Das Familiensplitting. Eine sozialpolitische Einordnung


Hausarbeit, 2011

17 Seiten, Note: 1,8

Anonym


Leseprobe


1. Einleitung

„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ (Art. 6 Abs. 1 GG).

Familienpolitik genießt in Deutschland einen - sogar in der Verfassung festgeschriebenen - hohen Stellenwert. Zwischen den politischen Parteien herrscht weitestgehend Konsens darüber, dass Familien staatliche Förderungen erhalten sollen (vgl. Buchholz 2000: 2) und insbesondere die Debatte über den demographischen Wandel sowie dessen Folgen für den deutschen Wohlfahrtsstaat (vgl. Dietz 2004) lassen regelmäßig Forderungen nach dem Ausbau der vorhandenen bzw. der Schaffung neuer Förderinstrumente laut werden (vgl. Bergs et al. 2006: 4). Denn die in den nächsten Jahrzehnten zu erwartende massive (Über-)Alterung der Gesellschaft durch steigende Lebenserwartung einerseits und sinkende Geburtenraten andererseits und die damit einhergehenden Belastungen für Renten- und Pflegesysteme macht ein Reagieren der Politik notwendig. Dem Älterwerden selbst kann natürlich nichts entgegen gesetzt werden und Migration kann höchstens ein Teilaspekt einer Strategie sein (vgl. Kolb 2004). Die Steigerung der Geburtenrate ist also unerlässlich.

Dass zum Jahr 2007 eingeführte Elterngeld zielt genau darauf ab und führte im konservativen Wohlfahrtsstaat Deutschland (vgl. Esping-Andersen 1998) insbesondere was Geschlechtergerechtigkeit angeht zu einem Paradigmenwechsel, da es vom traditionellen male-breadwinner-model abwich (vgl. Althammer 2009) und kann insgesamt sicherlich als deutlicher Fortschritt angesehen werden. Zumindest in der breiten Öffentlichkeit scheint der Fokus der Debatte seitdem hierauf zu liegen. Doch auch andere Instrumente werden von Zeit zu Zeit immer wieder von verschiedener Seite ins Spiel gebracht, da es weiterhin große Kritik an der bestehenden Gesetzeslage gibt. Neben dem, sicherlich auf viele Gebiete anwendbaren, Vorwurf der Unübersichtlichkeit und Intransparenz, fehle es der deutschen Familienpolitik an einer klaren Systematik: „es gibt keine einheitlichen Fördergrundsätze“ und es sei oftmals nicht klar ersichtlich, wer womit wie wozu gefördert werden soll (Bün- nagel 2006: 1). Speziell das derzeitige Besteuerungsverfahren von Familien1 wird häufig sehr kontrovers diskutiert, da es sowohl unterschiedliche Zielsetzungen (Steuergerechtigkeit, Förderung der Geburtenrate) als auch verschiedene Sichtweisen (verfassungsrechtliche, ökonomische, normative) gibt, die teilweise miteinander konkurrieren.

Hier möchte diese Arbeit ansetzen und sich eingehend mit den Vorschlägen des Familiensplittings auseinandersetzen. Dazu soll im folgenden Kapitel kurz in die Debatte eingeführt werden. Neben der historischen Entwicklung der Besteuerung von Familien, wird insbesondere auf das Ehegattensplitting und die Kritik daran eingegangen. In Kapitel drei werden die beiden Hauptvarianten des Familiensplittings, das Familienrealsplitting und das Familientarifsplitting, diskutiert. Ich schließe mit einem Fazit. Ziel dieser Arbeit ist es, mittels der Analyse von Sekundärliteratur eine Bewertung der Vorschläge zum Familiensplitting vorzunehmen und die Frage zu beantworten, ob es sich bei ihnen um sinnvolle Instrumente der Familienpolitik handeln könnte.

2. Ehegattensplitting und Kritik

Instrumente zur Förderung von Kindern oder Familien umfassen in Deutschland breite Bereiche der Politik: Grundsicherung, Sozialversicherungen, Steuern und monetäre Transfers sowie Sachleistungen tragen zu ihrer Unterstützung bei. Diese Vielzahl sorgt allerdings auch dafür, dass es weder für die (potentiellen) Eltern noch für die Wissenschaft immer ganz klar ist, „wer zu den netto eigentlich Begünstigten der Familienpolitik gehört“ (Bün- nagel et al. 2009: 10).

Insbesondere die Frage wie man Familien steuerlich begegnen soll, ist immer wieder Anlass für kontroverse Debatten, da hier mit dem Wunsch Ehe und Kinder(kriegen) zu unterstützen und dem Ziel der Steuergerechtigkeit zwei verschiedene Aspekte aufeinander treffen. Auch das Bundesverfassungsgericht musste sich bereits mehrfach mit dieser Thematik beschäftigen, nachdem es am 17. Januar 1957 entschieden hatte, dass die bis dato angewandte Praxis Ehegatten zwar zusammen zu veranlagen, ihre Einkünfte aber nach Individualtarif zu besteuern nicht verfassungskonform war, da diese „rohe Haushaltsbesteuerung“, die „eine Höherbesteuerung der Ehepartner im Vergleich zu Unverheirateten nach sich ziehen [konnte]“ und deswegen gegen Art. 6, Abs. 1 GG sowie Art. 3, Abs. 2 und 3 GG verstieß (Althammer 2002: 68). Der Gesetzgeber orientierte sich dann, wie vom Verfassungsgericht empfohlen, an das in den USA angewandte Splittingverfahren, welches seitdem in den Grundzügen unverändert besteht und Ehegatten zudem die Möglichkeit gibt, sich für oder gegen eine gemeinsame Besteuerung zu entscheiden (vgl. Althammer 2002: 68).

Beim Ehegattensplitting wird die Steuerlast durch das „Splitten“ des insgesamt erwirtschafteten zu versteuernden Einkommens eines Ehepaares errechnet. Dabei wird jedem Partner die Hälfte zugerechnet und mit dem jeweiligen Steuersatz veranlagt. Durch multiplizieren mit dem Faktor zwei ergibt sich die gemeinsame Steuerschuld des Paares. Dieses Verfahren besteuert das Paar also unabhängig davon, wer was erwirtschaftet hat, so dass ein Ehepaar so wie zwei Ledige mit identischem Einkommen besteuert wird (vgl. Bünna- gel 2006: 19).

Zur besseren Veranschaulichung ein Beispiel (Stand: 2006, vgl. Deutscher Juristinnenbund 2006: 9):

Einkommen: Mann 95.000€, Frau 24.000€

Individuell besteuert:

Mann: 31.577€

Frau: 3.980€

Insgesamt: 35.557€

Gemeinsames Einkommen: 119.000€ - 35.557€ = 83.443€

Zusammenveranlagung, wenn die beiden verheiratet sind und beide Weiterarbeiten: Gemeinsame Einkommenssteuer: 34.154€

Gemeinsames Einkommen: 84.846€

Steuervorteil: 1.403€

Zusammenveranlagung, wenn die beiden verheiratet sind und sie aufhört zu arbeiten: Gemeinsame Einkommenssteuer: 22.230€

Gemeinsames Einkommen: 72.770€

Steuervorteil: 9.347€

Auf den ersten Blick wird ganz klar deutlich, dass das Ehegattensplitting eine nicht unerhebliche Entlastung für Ehepaare darstellt. Deutlich wird allerdings auch, dass diese Splittingform bestimmte Formen der Arbeitsteilung innerhalb einer Ehe stärker fördert als ande- re, was uns zum ersten Kritikpunkt bringt. Bevorjedoch hierauf näher eingegangen werden kann, bedarf es zuvor einer näheren Auseinandersetzung mit den Gründen für dieses Vorgehen.

Primär kann und muss es bei der Berücksichtigung des Familienstandes bei der Besteuerung des Einkommens nämlich nur um eines gehen: Steuergerechtigkeit, wie Scherf (1999: 28) feststellt:

Bei gleichem Einkommen entscheidet die Anzahl der aus diesem Einkommen zu versorgenden Personen über die steuerliche Leistungsfähigkeit. (...) Aus dem Leistungsfahigkeits- prinzip ergeben sich zwei allgemeine Anforderungen an die Besteuerung. Im Sinne der horizontalen Gerechtigkeit müssen Steuerpflichtige in gleicher wirtschaftlicher Lage gleich besteuert werden, während Steuerpflichtige in unterschiedlichen wirtschaftlichen Positionen mit Blick auf die vertikale Gerechtigkeit unterschiedlich zu besteuern sind.

Da ein Ehepaar offenkundig nicht über gleiche Leistungsfähigkeit wie ein Lediger mit identischem Einkommen verfügt, ist die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Besteuerung erkennbar. Dafür bieten sich grundsätzlich drei Varianten an.

a) Haushaltsbesteuerung: Hierbei werden die beiden Ehegatten gemeinsam veranlagt und mit dem selben Tarif wie ein Lediger besteuert. Genau diese Methode aber wurde 1957 als verfassungswidrig erklärt, da sie gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, denn bei einer progressiven Einkommenssteuer ergeben sich ,,[d]urch die Eheschließung (...) Steuernachteile, sofern beide Partner Einkommen (oberhalb des Grundfreibetrags) erzielen“ (Scherf 1999: 30).
b) Die Individualbesteuerung wiederum wäre völlig unabhängig vom Familienstand und würde eine solche Ungleichbehandlung vermeiden. Jedoch würde sie gegen das Prinzip der Globaleinkommensbesteuerung verstoßen, welches zur Ermittlung der Steuerschuld zwar die gemeinsame Summe veranschlagt, die Verteilung auf die Ehepartner dabei aber unberücksichtigt lässt. Verfassungsrechtlich wäre es anders auch gar nicht möglich, denn ,,[e]ine Abhängigkeit der Steuerbelastung von der Einkommensverteilung würde gegen den in Art. 3 GG verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Damit wäre es 'nicht vereinbar, Ehen mit eigenen Einkünften beider Ehegatten ohne besondere stichhaltige Gründe günstiger zu besteuern als Ehen, in denen der Ehemann die gesamten Einkünfte bezieht'“ (Scherf 1999: 30).
c) Ehegattensplitting: Steuersystematisch und verfasungsrechtlich könne das Ehegattensplitting die Nachteile der beiden erstgenannten Verfahren umgehen und müsse deswegen favorisiert werden (vgl. Scherf 1999: 30f).

Zwar wäre eine Berücksichtigung der besonderen Verpflichtungen innerhalb einer Ehe steuertechnisch auch mit Freibeträgen oder Sonderausgabenabzügen möglich, doch da das Verständnis der Ehe als Wirtschafts- und Erwerbsgemeinschaft viel weitreichender ist, ist ein Splitting allein schon aus Neutralitätsgründen gegenüber privaten Entscheidungen notwendig. Denn den beiden Partnern müsse es zustehen, frei über die Aufgabenverteilung innerhalb ihrer Ehe zu entscheiden, ohne sich dabei von Steuerüberlegungen beeinflussen lassen zu müssen. Andernfalls würde es aufgrund des progressiven Steuertarifs zu einer Benachteiligung von Einverdiener-Ehen gegenüber Zweiverdiener-Ehen kommen (vgl. Bünnagel et al. 2009: 19), weswegen das Bundesverfassungsgericht sich auch 1982 für das Ehegattensplitting aussprach, da es an die „wirtschaftliche Realität der intakten Durchschnittsehe“ anknüpft (zitiert in Scherf 1999: 30).

Festzuhalten ist also, dass die Rechtsprechung stets klar pro Ehegattensplitting entschieden hat. Jedoch ist es, wie bereits oben angesprochen, keineswegs ohne Kritik geblieben. Eher im Gegenteil. Insbesondere die Begünstigung der traditionellen Ehe ist häufiges Ziel der Kritiker, da unverheiratete Paare und Alleinerziehende nicht berücksichtigt werden und laut Althammer (2002: 76)

mehren sich (...) die Stimmen sowohl in der steuerjuristischen wie in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, die dem Splittingverfahren aufgrund seiner normativen Begründung und seiner allokativen wie distributiven Implikationen ablehnend gegenüber stehen, es teilweise sogar als verfassungswidrig einstufen.2

Bünnagel et a. (2009: 20) entgegnet, dass es sich beim Ehegattensplitting nicht um eine Förderung oder gar Subvention der Ehe, „sondern um die verfassungsrechtlich gebotene steuersystematische Berücksichtigung der wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb einer Ehe [handele]“ und dass Alleinerziehende einen anderen, nicht mit der Ehe vergleichbaren Status hätten, zumal die eingeschränkte steuerliche Leistungsfähigkeit von Alleinerziehenden gesetzlich längst anerkannt und berücksichtigt werde (vgl. Althammer 2002: 71). Die Anwendung auf unverheiratete Paare ist da schon komplizierter zu beurteilen. Kritiker fordern häufig den Ausbau zum Familiensplitting, um nicht die Ehe, sondern Familien mit Kindern zu fördern. Diese Forderung sei aber wegen des oben genannten besonderen Charakters einer Ehe abzulehnen, auch wenn der Sinn einer Ausweitung auf Ehe-ähnliche-Le- benspartnergemeinschaften natürlich nicht von der Hand zu weisen sei. Ein Familiensplitting, wie es oftmals gefordert wird, sei aber nicht notwendig, denn für die Förderung von Kindern gebe es andere Instrumente, und sei nun mal keine Aufgabe des Ehegattensplittings, denn die gegenseitigen Verpflichtungen der Ehepartner bestünden unabhängig vom Eltemstatus. (vgl. Bünnagel et al. 2009: 20f).

Deutlich kritischer geht Wrede (2007: 212) mit dem Ehegattensplitting ins Gericht, da es eine Reihe von Fehlanreizen liefere und durchaus als „Ehesubvention“ bezeichnet werden könne, die andere Paare horizontal benachteilige. Ein weiterer gängiger Kritikpunkt ist, dass das Ehegattensplitting die „Hausfrauenehe“ fördert (vgl. Buchholz 2000: 7), so dass „Haushaltsproduktion zulasten über Märkte vermittelter Dienstleistungen gefördert [und] formelle Kinderbetreuung zugunsten elterlicher Kinderbetreuung diskriminiert [wird]“ (Wrede 2007: 222). Ökonomisch spreche daher einiges gegen das Ehegattensplitting, so Wrede (2007: 223) abschließend. Zwar gibt es auch Ansätze, die das Ehegattensplitting reformieren wollen, wie zum Beispiel der von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagswahlkampf 2002 vorgestellte Entwurf eines „beschränkten Ehegattenrealsplittings“, bei dem die Eheleute individuell veranlagt werden, der besser verdienende Partner aber bis zu 20.000€ auf seinen Ehepartner übertragen kann (vgl. Steiner/Wrohlich 2006: 9f). Weitaus häufiger jedoch treten Vorschläge bezüglich der Einführung eines Familiensplittings auf, dessen nähere Betrachtung an dieser Stelle notwendig wird.

[...]


1 Althammer (2002: 67) weist zurecht daraufhin, dass es eine Besteuerung von Familien natürlich gibt, „da nicht Personenmehrheiten, sondern nur Individuen zur Steuerzahlung veranlagt werden.“ In Kontext dieser Arbeit wird mit diesem Begriff die Einkommensbesteuerung von Ehegatten (mit oder ohne Kinder) gemeint.

2 Ob die Ehe „als Leitbild“ (Scherf 1999: 34) noch zeitgemäß ist, soll kein Thema dieser Arbeit sein. Auch auf die mehr ideologische Kritik an dieser christlichen Institution wird hier nicht weiter eingegangen.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Familiensplitting. Eine sozialpolitische Einordnung
Note
1,8
Jahr
2011
Seiten
17
Katalognummer
V1002096
ISBN (eBook)
9783346377623
ISBN (Buch)
9783346377630
Sprache
Deutsch
Schlagworte
familiensplitting, eine, einordnung
Arbeit zitieren
Anonym, 2011, Das Familiensplitting. Eine sozialpolitische Einordnung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1002096

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