Häufig gestellte Fragen zum römischen Dekurionenstand
Was ist der Dekurionenstand?
Der Dekurionenstand („ordo decurionum“) war die lokale Führungselite in den Städten des Römischen Kaiserreiches. Ihnen oblag die Verwaltung des städtischen Lebens. Die Städte erhielten das Recht zur Selbstverwaltung, da Rom einerseits über keinen ausreichenden bürokratischen Apparat verfügte und andererseits durch die Dezentralisierung eine bessere Kontrolle erhoffte.
Wie war der Zugang zum Dekurionenstand geregelt?
Der Zugang war, ähnlich wie bei anderen Ständen, an einen finanziellen Zensus gebunden. Dies bedeutete, dass die politische Macht in den Händen weniger reicher Familien lag, obwohl der Stand anfangs nicht erblich war. In der Blütezeit des Reiches brachte der Aufstieg Prestige und Einfluss, während die spätere Finanzkrise den Stand zu einer Belastung machte.
Wie sah die soziale Struktur und Herkunft der Dekurionen aus?
Der Dekurionenstand nahm eine Sonderstellung im römischen Ständewesen ein. Er bildete nur teilweise einen geschlossenen Reichsstand, aber die Mitglieder hatten eine gewisse reichsweite Homogenität in ihrer sozialen und rechtlichen Stellung. Die soziale Herkunft unterschied sich jedoch von Stadt zu Stadt, abhängig vom Zensus, der sich an der wirtschaftlichen Bedeutung der Gemeinde orientierte. Die Mitglieder waren meist Grundbesitzer, und die Mehrheit waren gleichzeitig Mitglieder des Ritterstandes.
Welche rechtlichen Grundlagen und Aufgaben hatte der Dekurionenstand?
Die Stadträte bestanden meist aus 100 Mitgliedern. Mitglieder erwarben ihren Sitz durch die einjährige Ausübung eines kommunalen Amtes. Sie waren Rom und ihrer Gemeinde verpflichtet und erfüllten „munera personalia“ (Ausübung von Ämtern) und „munera patrimoniorum“ (öffentliche Leistungen). Die Städte hatten Rechte in justitiellen, organisatorischen und polizeilichen Bereichen, während Hoheitsrechte bei Rom blieben.
Welche Ämter und Zuständigkeiten gab es in den Städten?
Die Städte hatten eine meist hundertköpfige Rat und eine vier- bis sechsköpfige Magistratur. Die höchsten Ämter waren die der „duoviri“ (Bürgermeister), „aediles“ (Polizei, öffentliche Ordnung), und „quaestor“ (Finanzbeamter).
Wie entwickelte sich der Dekurionenstand während der Kaiserzeit?
Die Kaiserzeit brachte eine zunehmende Urbanisierung und die Verleihung des römischen Bürgerrechts an die Dekurionen. Die Auswirkungen auf ihr Selbstverständnis sind umstritten. Die finanzielle und wirtschaftliche Krise verschlechterte sich jedoch stetig, was die Steuerlast erhöhte und die Leistungen der Dekurionen beeinträchtigte. Der Zugang zum Stand wurde breiter, und im 3. Jahrhundert wurde der Sitz erblich. Die Belastung wurde teilweise existenzbedrohend, was zu Fluchtversuchen führte.
Welche Neuerungen gab es im Amtswesen während der Kaiserzeit?
Die Steuerlast führte zur Bildung eines Ratsausschusses der zehn Reichsten („decum primi“). Im 4. Jahrhundert wurden die Ämter des „defensor civitatis“ (Volksbeschützer, der aber oft korrupt wurde) und des „curator“ (Haushaltsleiter mit weitreichenden Befugnissen) eingeführt.
Welche Zusammenfassung lässt sich zum Dekurionenstand ziehen?
Der ordo decurionum diente Rom als Instrument zur Kontrolle seines Reiches. Der Reichtum der Oberschicht sicherte deren Macht, und die „munera“ kamen den Unterschichten zugute. Mit dem Verlust von Reichtum verkam die Mitgliedschaft im Stadtrat von Ehre zu Last, was zum Niedergang des Standes führte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Soziale Struktur und Herkunft
3. Legitimation, Organisation und Aufgaben
3.1. Rechtliche Grundlagen
3.2. Ämter und Zuständigkeiten
4. Entwicklung während der Kaiserzeit
4.1. Wandel der sozialen Struktur
4.2. Neuerungen im Amtswesen
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Dekurionenstand („ordo decurionum“) stellte die lokalen Führungseliten der Städte des Römischen Kaiserreiches dar. Diesen Eliten oblag die Verwaltung ihres jeweiligen Stadtwesens. Da das Römische Reich formal vom Stadtstaat Rom zentralistisch geführt wurde, verdankten die Städte das Zugeständnis diverser Rechte bezüglich ihrer Selbstverwaltung zweierlei Umständen:
Zum Einen fehlte es in Rom an einem adäquaten bürokratischen Apparat der das Reich im vollen Umfang erfassen konnte1 ; zum Anderen hoffte Rom durch die Bürokratisierung der Städte eine „organisatorische Unterwerfung des flachen Landes unter die Stadt .. zu bewerkstelligen”2.
Die Praxis der städtischen Selbstverwaltung durch eine lokale Elite wurde im gesamten Römischen Reich angewandt. In Städten die nicht über eine entsprechende gesellschaftliche Struktur verfügten wurde diese, notfalls mit Gewalt, eingeführt3.
Der Zugang zum ordo decurionum war, ähnlich den übrigen Ständen, unter anderem durch einen finanziellen Zensus geregelt. Dieses führte dazu, daß die politische Macht in den Gemeinden faktisch in den Händen weniger reicher Familien lag, obwohl der Dekurionenstand am Anfang der Kaiserzeit nicht erblich war4.
Während der wirtschaftlichen Blüte des Römischen Kaiserreiches bedeutete der Aufstieg in den ordo decurionum einen Zugewinn an sozialem Prestige und politischem Einfluß. Mit der sich zuspitzenden Finanzkrise der Städte änderte sich jedoch die Einstellung der reichen Bürger gegenüber dem Stand, der mit seinen finanziellen Verpflichtungen mehr und mehr als Last empfunden wurde5.
2. Soziale Struktur und Herkunft
Der Stand der Dekurionen nahm im römischen Ständewesen eine Sonderstellung ein. Entgegen dem Senatoren-, sowie Ritterstand („ordo senatorius“; „ordo equester“) bildete er nur teilweise einen in sich geschlossenen Reichsstand. Hinsichtlich der sozialen und rechtlichen Stellung, die die Mitglieder in ihren jeweiligen Städten innehatten bestand eine gewisse reichsumfassende Homogenität6, weiterhin zählten die Dekurionen zusammen mit den Senatoren und Rittern zur Gruppe der Vornehmeren („honestiores“)7. Jedoch gab es von Stadt zu Stadt zum Teil gravierende Unterschiede die soziale Herkunft der Dekurionen betreffend. Meßbar waren diese Unterschiede beispielsweise am Zensus, der sich an der wirtschaftlichen Funktion, bzw. Bedeutung der einzelnen Gemeinden orientierte.
In mittleren und großen Städten wie z.B. Como oder Karthago lag der Zensus bei 100.000 Sesterzen, in unbedeutenderen afrikanischen Gemeinden lediglich bei 20.000 Sesterzen8.
Des Weiteren beschränkte sich der Horizont politischen und ökonomischen Interesses zumeist auf die lokale Ebene, was einem städteübergreifenden Standesbewußtsein abträglich war. Auch die Verleihung des römischen Bürgerrechts, in dessen Besitz die meisten Dekurionen im Laufe der Jahrhunderte gelangten, änderte wenig an der starken Bindung zur Heimatstadt9.
Allen Dekurionen gleich, wenigstens in der frühen Kaiserzeit, war die Art und Weise wie Vermögen erworben wurde. Bei den Mitgliedern der städtischen Oberschichten handelte es sich anfangs so gut wie ausnahmslos um Grundbesitzer, die ihre Güter im näheren Umkreis der Stadt besaßen. Zwar betrieb man auch teilweise lokalen Handel, doch wurde der Grund- und Bodenbesitz als einzige standesgemäße Art des Reichtums betrachtet10.
An der Zahl seiner Mitglieder gemessen, war der ordo decurionum der größte Stand der römischen Oberschicht (ca. 100.000 - 150.000 Personen)11. Die Mehrheit der Mitglieder des ordo waren gleichzeitig Mitglieder des Ritterstandes, die den größten Teil ihres politischen Lebens nach Ablauf ihrer militärischen Laufbahn in kommunalen Ämtern verbrachten12. Folgerichtig war auch die Mehrheit der Ritter Mitglied in ihrem lokalem ordo13.
Die Organisation der Städte außerhalb des römischen „Stammlandes“ entsprach der aller übrigen Städte des Römischen Imperiums. Die Mitglieder der lokalen Eliten rekrutierten sich hier jedoch teilweise zum Einen aus altem Stammesadel (z.B. Gallien), zum Anderen aus entlassenen Militärs, deren Nachkommen oder römischen Kolonisten (z.B. Niedergermanien)14.
Neben dem Zensusverfahren gab es noch weitere Zugangskriterien die von den Anwärtern zu erfüllen waren. Allein Freigeborene und die Söhne Freigelassener konnten mit einer Aufnahme in den ordo decurionum rechnen15. Wohlhabenden Freigelassenen („liberti“) stand lediglich die Beteiligung am Kaiserkult zu, der zumeist in eigenen Körperschaften (z.B. in Ostia: „ordo augustalium“16 ) betrieben wurde, in denen ausschließlich Freigelassene tätig waren. Sie bildeten neben dem ordo decurionum teilweise einen zweiten städtischen Stand und traten auch auf dem Gebiet der freiwilligen öffentlichen Stiftungen in Erscheinung. Waren viele von ihnen auch Grundherren, so versperrte ihnen doch der Makel einer unfreien Geburt den Zugang zum Dekurionenstand.
3. Legitimation, Organisation und Aufgaben
3.1. Rechtliche Grundlagen
Die Stadträte des Römischen Kaiserreiches („ordo“ oder „senatus“) bestanden in der Regel aus 100 Mitgliedern. Trotz der bereits unter Punkt 2 erwähnten Unterschiede zwischen den einzelnen Städten, bildeten ordos mit höheren ( z.B. Antiochia: 1200 Mitglieder17 ) oder niedrigeren Mitgliedszahlen eher die Ausnahme18.
Die Ratsmitglieder erwarben durch die einjährige Ausübung eines kommunalen Amtes das Recht auf einen Sitz im ordo. In der frühen Kaiserzeit stellten sich die ausreichend qualifizierten Bewerber (siehe Kapitel 2) einer Wahl durch die Volksversammlung ihrer Gemeinde19. Der Sitz im Rat wurde auf Lebenszeit erworben, war aber anfangs (wie bereits erwähnt) de jure nicht erblich.
Die Mitglieder des ordo decurionum waren gegenüber Rom und ihrer Gemeinde gleichermaßen verpflichtet. Der Dienst am Römischen Reich bestand hauptsächlich in der „munera personalia“, worunter man die Ausübung der Stadtverwaltung in den entsprechenden Ämtern verstand, sowie der Entrichtung der städtischen Steuern, deren Hauptlast von den Dekurionen getragen wurde (im Gegensatz zur Reichsaristokratie, die von Steuerzahlungen befreit war20 ). Zum Wohl der Stadtgemeinde erfüllten die Dekurionen die „munera patrimoniorum“, die die Errichtung von Bauten, die Ausbesserung von Wegen oder auch öffentliche Stiftungen (z.B. Waisenhäuser) beinhaltete21.
Die Erfüllung der munera patrimoniorum unterlag keiner starren gesetzlichen Regelung, sondern oblag dem Ermessen der einzelnen Dekurionen22. Obwohl es sich hierbei im Prinzip um freiwillige Leistungen handelte, wußte jeder Amtsanwärter um die traditionelle öffentliche Erwartung. Bei Amtsantritt wurde ein sogenanntes „nobles Versprechen“ („pollicitatio ob honorem“) abgegeben, welches die beabsichtigte Leistung darlegte23. In der wirtschaftlichen Blütezeit der römischen Städte sahen die Honoratioren in der munera vor allen Dingen eine Möglichkeit ihr soziales Ansehen durch Großzügigkeit zu steigern24. Den städtischen Kassen waren diese „freiwilligen“ Leistungen unentbehrlich geworden, da sie den lokalen Haushalt allein nicht bewältigen konnten25.
Die wesentlichen Rechte die die Städte von Rom zuerkannt bekamen, betrafen justitielle, organisatorische und polizeiliche Bereiche. Neben der niederen Zivilgerichtsbarkeit und der „freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (worunter z.B. Fragen der Adoption, der Freilassung und der Emanzipation aus der Väterlichen Gewalt fielen), waren die Gemeinden noch für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, der Aufsicht über Markt und Spiele, sowie der Sicherstellung der Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung verantwortlich. Die eigentlichen Hoheitsrechte wie beispielsweise die Verwaltung der städtischen Wehrkraft, die Strafjurisdikation und die Ziviljurisdikation blieben weiterhin unter der Kontrolle des römischen Zentralstaates, der diese Rechte teilweise durch entsendete Hilfsbeamte (z.B. Richter) wahrnahm26.
Die Städte in den römischen Provinzen behielten anfänglich die Kompetenzen aus der Zeit ihrer Unabhängigkeit (ausgenommen der außenpolitischen und militärischen Autonomie), wurden aber im Lauf der Zeit und im Zuge der Nivellierung der Unterschiede zwischen römischen und peregrinen Städten, immer stärker dem Einfluß Roms unterzogen27.
3.2. Ämter und Zuständigkeiten
Der politische Apparat der Städte bestand aus dem bereits beschriebenen (meist hundertköpfigen) Stadtrat und einer vierbis sechsköpfigen Magistratur.
Das höchste kommunale Amt, war das des (bzw.: der) „duoviri“. Sie waren in ihrer Funktion Bürgermeistern gleichzusetzen und bildeten das Präsidium des Stadtrates. Sie saßen den Wahlen der weiteren Beamten vor und standen der in Kapitel 3.1. beschriebene niederen Zivilgerichtsbarkeit und der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor. Den duoviri wurde die oberste Leitung der Stadtverwaltung zuerkannt28.
Die zweithöchste Funktion war die der „aediles“. Sie standen der städtischen „Polizei“ vor und waren für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig, z.B. indem sie marktpolizeiliche Aufgaben versahen. Ferner besaßen sie die Aufsicht über die Erhaltung und Reinigung der Straßen, die Leitung der Spiele und die Beaufsichtigung der Bäder29.
Die dritte Gruppe der städtischen Beamten repräsentierte der „quaestor“, der der lokalen Kasse vorstand und somit eine Art Finanzbeamter war30.
4. Entwicklung während der Kaiserzeit
4.1. Wandel der sozialen Struktur
Während der gesamten Kaiserzeit fand eine Urbanisierung des Römischen Imperiums statt, so daß im 4.Jahrhundert fast das gesamte Reichsgebiet in Gemeinden eingeteilt war31. Im Zuge der monarchischen Bürgerrechtspolitik erhielten (unter anderem) alle Angehörigen der lokalen Eliten das Römische Bürgerrecht im Laufe der Jahrhunderte verliehen. Die Auswirkungen die dies auf das Selbstverständnis der Dekurionen hatte, wird in der zeitgenössischen Geschichtsforschung höchst unterschiedlich ausgelegt. Zum Einen wird behauptet, daß die Vereinheitlichung der Rechtsstellung aller Dekurionen einen Bewußtseinswandel auslöste, bzw. förderte, der die Mitglieder des ordo decurionum dazu bewog sich nicht länger als städtische Schicht, sondern vielmehr als Reichsstand (und damit dem Kaiser näher als der Gemeinde) zu betrachten32. Zum Anderen wird interpretiert, daß die Dekurionen die Verleihung des Bürgerrechts als Anerkennung ihrer lokalen Leistungen (die ein fundamentaler Bestandteil der römischen Oberherrschaft waren) begriffen und sich an ihrer traditionell starken Bindung zu ihrer Stadt nichts änderte33.
Einhelligkeit herrscht dagegen in der Ansicht, das der Wandel den der ordo decurionum während der Kaiserzeit durchlief, eng an eine sich stetig verschlechternde finanzielle und wirtschaftliche Krise gebunden war34. Das Steueraufkommen, für dessen Eintreibung die Dekurionen verantwortlich waren, vergrößerte sich und brachte die lokalen Eliten bald an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten, worunter auch die Leistungen die für die Gemeinden erbracht wurden zu leiden hatte.
Die fiskalische Mehrbelastung, die mit dem Ende der wirtschaftlichen Blüte in den römischen Gemeinden einherging, führte schließlich dazu, daß die ständischen Schranken fielen und so der Zugang zum ordo decurionum einer breiteren (wohlhabenden) Schicht der städischen Bevölkerung möglich wurde. Alleiniger Maßstab für die Bewerber wahr nunmehr die Größe ihres Besitzes. Reichen Bürger, die wegen ihrer unstandesgemäßen Berufe (z.B. Händler, Handwerker, Schauspieler, ehemalige Gladiatoren, Bordellbesitzer, etc.)oder einer eventuellen früheren Straffälligkeit während der wirtschaftlichen Blüte ausgegrenzt waren, wurde nun der Zugang zum ordo gewährt, teilweise auch befohlen35.
Seit dem 2.Jahrhundert ergänzte sich die Stadtverwaltung durch Zuwahl (Kooptation) und war demnach nicht mehr von der Zustimmung der Volksversammlung abhängig Auch die einjährige Ausübung eines komunalen Amtes war nun nicht mehr Voraussetzung für den Rang eines „decuriones“ (Spätrom: „curiales“)36. Der Sitz im Stadtrat wurde im 3.Jahrhundert nun auch formal erblich37.
Die Belastung der Dekurionen nahm teilweise für das einzelne Mitglied des Stadtrates existenzgefährdende Formen an. Nicht selten kam es daraufhin zu regelrechten Fluchtversuchen der Honoratioren. Beispielsweise versuchte man Reste des eigenen Vermögens durch den Eintritt in die Armee oder das Geistliche Leben zu retten. In manchen Fällen tauchten Ratsmitglieder aber auch unter und versuchten unter falschem Namen sich in entlegenen Provinzen eine neue Existenz aufzubauen38. Aus dem 3.Jahrhundert stammt die erste urkundliche Erwähnung, die die Suche nach flüchtigen Dekurionen beschreibt. Oft waren es die Mitglieder des selben ordo, die den Weg zu ihrem flüchtigen Kollegen wiesen, da sie ansonsten seine finanziellen Lasten mittragen mußten39.
Gelegentlich kam es sogar zu „Strafeinsetzungen“ von Personen, die schwerer Verbrechen überführt wurden (z.B. Einsetzung von Christen unter Kaiser Maxentius)40.
4.2. Neuerungen im Amtswesen
Neben dem Wandel im strukturellen Bereich, unterlagen auch die städtischen Organe einer Neuordnung. Die immer stärker drückende Steuerlast führte bereits Ende des 2.Jahrhunderts dazu, daß der Hauptteil der zu erbringenden Abgaben zu Lasten der reichsten Mitgliedern des ordo decurionum ging. Im Gegenzug wurden diesen auch die einflußreichsten Ämter zuerkannt. Es kam zur Konstituierung eines Ratsausschusses der zehn Reichsten („decum primi“), der mehr und mehr die eigentliche Stadtregierung darstellte41.
Im 4.Jahrhundert wurden der Stadtverwaltung zwei weitere Ämter zugeschaltet: der „defensor civitatis“ und der „curator“. Die Dekurionen verfielen im Verlauf der wirtschaftlichen Krise darauf, die sie drückende Steuerlast auf die Schultern der ihnen unterstehenden Unterschichten abzuwälzen. Die Reaktion des Kaisers auf die sich häufenden Beschwerden aus der Bevölkerung war die Einführung des Amtes des defensor civitatis, des „Beschützers“ des einfachen Volkes. Der Amtsinhaber mußte ein höheres Amt in der Reichsverwaltung bekleidet haben und wurde von der Zentralverwaltung, genauer dem Prätorianerpräfekten, ernannt. Der Anwärter mußte allerdings durch eine Wahl vom Stadtrat bestätigt werden, der auch eine lokale Persönlichkeit, die die Kriterien erfüllte nominieren konnte42. Dem defensor civitatis wurden im Laufe der Zeit immer mehr Aufgaben zuteil, z.B. unterstand ihm alsbald die niedere Gerichtsbarkeit sowie die Eintreibung der Steuern von der ärmeren Bevölkerung. Der ursprüngliche Sinn des Amtes wurde nicht sehr lange aufrecht erhalten. Unter dem Druck der Dekurionen und der Korruption der Amtsinhaber entwickelte sich das Amt vom „Beschützer“ zum „Bedrücker“ des Volkes43.
Das zweite neugeschaffene Amt, der Kurator, besaß die uneingeschränkte Oberaufsicht über den kommunalen Haushalt. Er wurde auf Wunsch der lokalen Eliten vom Kaiser eingesetzt (vereinzelt schon seit dem Ende des 1.Jahrhunderts)44. Ab dem 4.Jahrhundert wurde der Kurator durch Wahl des ordo bestätigt45. Er besaß die Befugnis seine Beschlüsse notfalls mit Gewalt durchzusetzen und stellte nunmehr im Prinzip das höchste Amt der Stadtverwaltung dar46.
5. Zusammenfassung
Der ordo decurionum diente dem Römischen Reich während der gesamten monarchischen Epoche als Instrument zur Beherrschung seines ausgedehnten Einflußgebietes. Durch die Förderung der lokalen Autonomie wurde einerseits das Land regier- und erfassbar, andererseits festigte man durch die Hierarchisierung der Städte die soziale Grundstruktur des Reiches und beugte somit eventuellen Unruhen, bzw. Umstürzen vor.
Der Grundpfeiler des Elitewesens in den Städten war der Reichtum der oberen Schichten, der einerseits die kulturelle und politische Vorherrschaft einer bestimmten Gruppe sicherte, andererseits aber in Form der „munera“ auch den Unterschichten zugute kam. Mit dem Schwinden dieses Reichtums im Zuge der wirtschaftlichen Krise, war den Eliten die Chance auf gesellschaftlichen Prestigegewinn weitestgehend genommen. Die vormalige Ehre, Mitglied des Stadtrates zu sein, verkam zur lästigen (teilweise existenzbedrohenden) Pflicht. Der moralische und soziale Antrieb der Honoratioren sank und leitete schließlich den Niedergang des Standes der Dekurionen ein.
6. Literaturverzeichnis
Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, 3.Aufl. Wiesbaden 1984.
Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, Band 1, 3.Aufl. Paderborn München Wien Zürich 1989.
Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, Band 2, 3.Aufl. Paderborn München Wien Zürich 1994.
Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte 3), 1.Aufl. München 1984.
Fischer Weltgeschichte, Band 7: Grimal, Pierre (Hrsg.), Der Aufbau des römischen Reiches, Frankfurt a.M. 1966.
Kolb, Frank, Die Stadt im Altertum, München 1984.
Mommsen, Theodor, Römisches Staatsrecht, Band 2.1, 3.Aufl. Leipzig 1887.
Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, hg. v. G. Mann und A. Heuss, Band 4: Rom. Die römische Welt, Frankfurt a.M. 1963.
[...]
1 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, Band 1, 3.Aufl. Paderborn München Wien Zürich 1989, S. 177
2 Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit (= Oldenbourgh Grundriß der Geschichte 3), 1.Aufl. München 1984
3 vgl.: Ebd.
4 vgl.: Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, 3.Aufl. Wiesbaden 1984, S. 109 f.
5 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 54
6 vgl.: Ebd., S. 50
7 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte des römischen Kaiserreiches, Band 2, 3.Aufl. Paderborn München Wien Zürich 1994, S. 22
8 vgl.: Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, S. 110
9 vgl.. Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 49
10 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 48
11 vgl.: Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, S. 110
12 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 51
13 vgl.: Kolb, Frank, Die Stadt im Altertum, München, 1984, S. 188
14 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 51
15 vgl.: Kolb, Frank, Stadt im Altertum, S. 188 f.
16 vgl.: Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, S. 113
17 vgl.: Kolb, Frank, Stadt im Altertum, S. 199
18 vgl.: Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, S. 110
19 vgl.: Mommsen, Theodor, Römisches Staatsrecht, Band 2.1, 3. Aufl. Leipzig 1887, S.472 vgl.: Ebd., S. 529
20 vgl.: Kolb, Frank, Stadt im Altertum, S. 188
21 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 2, S. 24
22 vgl.. Alföldy, Géza, Römische Sozialgeschichte, S. 112
23 vgl.. Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 49
24 vgl.: Ebd., S. 47
25 vgl.: Ebd., S. 48
26 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 1, S. 177
27 vgl.. Ebd., S. 178
28 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 2, S. 25
29 vgl.: Ebd.
30 vgl.: Kolb, Frank, Stadt im Altertum, S. 188
31 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 1, S. 176
32 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 2, S. 42
33 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 49
34 vgl.: Ebd., S. 51 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 2, S. 23 f.
35 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 51
36 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 2, S. 24
37 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 52
38 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 2, S. 98
39 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, S. 52
40 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 2, S. 98
41 vgl.: Ebd., S. 97
42 vgl.. Kolb, Frank, Stadt im Altertum, S. 197
43 vgl.: Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte, Band 1, S. 180
44 vgl.. Dahlheim, Werner, Geschichte des Römischen Kaiserreiches, S. 50
45 vgl.: Kolb, Frank, Stadt im Altertum, S. 197
46 vgl.: Dahlheim, Werner, Geschichte des Römischen Kaiserreiches, S. 50
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- Maik Güneri (Autor:in), 1994, Der ordo decurionum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100219