Der Einsatz von Virtueller Realität in Psychotherapie. Eine Literaturrecherche


Hausarbeit, 2020

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Virtuelle Realität und Psychotherapie

2 Gestaltung und Wirksamkeit von VR-Therapie für verschiedene Störungsbilder
2.1 Angststörungen
2.2 Posttraumatische Belastungsstörung
2.3 Essstörungen
2.3.1 Konfrontation
2.3.2 Experientielle Kognitive Therapie
2.3.3 Cue Exposure Therapy
2.4 Psychotische Störungen
2.4.1 Avatar-Therapie
2.4.2 Training Sozialer Kognition und Sozialer Kompetenz
2.4.3 Kognitive Rehabilitation
2.4.4 Berufliche Rehabilitation

3 Verbreitung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Eine Patientin erlebt VR-Therapie (Max M North & North, 2016)

2 Eine Patientin erlebt VR-Therapie (Veling, Moritz & Van Der Gaag, 2014).

3 VR-Programm zur Simulation einer U-Bahn-Station in einer Konfrontationstherapie für Patienten mit Agoraphobie und Panikstörung (Botella et al., 2007)

4 Experientielle kognitive Therapie zur Behandlung einer Patientin mit einer Essstörung (Riva, 2011)

5 Ein möglicher Avatar für die Repräsentation von auditorischen Halluzinationen (Leff, Williams, Huckvale, Arbuthnot & Leff, 2013)

6 VR-Szenarios für die Behandlung von Höhenangst von VTplus (Bentz, 2017).

7 In der Praxis von Gerhard Strummer in Pfarrkirchen wird eine Patientin mit Agoraphobie auf das Dach eines Hochhauses in VR versetzt (Klinghardt, 2019)

1 Virtuelle Realität und Psychotherapie

Mensch-Maschine-Interaktionen eröffnen neue Möglichkeiten in der psychotherapeutischen Versorgung (Grochowska, Jarema & Wichniak, 2019). Der Einsatz von Virtueller Realität (VR) in Psychotherapie trägt zur Verbesserung des Verständnisses von Störungsbildern sowie zu beachtenswerten Behandlungserfolgen bei. Trotz dieses Potenzials handelt es sich bei VR-gestützten Therapien um eine Seltenheit, obwohl bereits seit den 1990ern vielversprechende Forschungsergebnisse vorliegen. Diese Arbeit versucht zu ergründen, wie die Integration von VR in Psychotherapie gestaltet werden kann und welchen Beitrag zum Therapieerfolg die Technologie leisten kann.

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive wird Virtuelle Realität als ein Kommunikationssystem definiert, das auf interaktiven 3D-Visualisierungen basiert, verschiedene Inputs nutzen und integrieren kann und damit eine realistische Erfahrung generiert (Riva, 2005). Nutzer erleben diese Visualisierungen dabei meist mithilfe eines Head-Mounted-Displays, zu sehen in Abbildung 1 und 2. Die Position der Nutzer im Raum wird, soweit von der Simulation erforderlich von Trackern erfasst. Maus und Tastatur am Computer oder Datenhandschuhe ermöglichen Interaktionen mit der Simulation. Eine geeignete VR-Umgebung kann dieselben physischen und psychischen Reaktionen hervorrufen wie die Situation, die sie simuliert (Max M North & North, 2016). Daher ist naheliegend, dass sich VR als Werkzeug der Psychotherapie eignen kann.

Es handelt sich bei VR um eine relativ neue Technologie, deren Entwicklung in den letzten 30 Jahren rasante Fortschritte gemacht hat. Kaindl (2018) beschreibt VR-Therapie als ein futuristisches Setting, das in Universitäten und Laboren längst zur Realität geworden ist. Die Technologie hält inzwischen auch in ambulanten und stationären klinischen Einrichtungen Einzug. VR-Therapie verfolgt einen Patienten-zentrierten Ansatz (Triber- ti & Liberati, 2014) und ist daher in der Behandlung einer Vielfalt an Störungsbildern denkbar. In Abschnitt 2 wird genauer betrachtet, wie genau eine VR-gestützte Therapie gestaltet wird und für welche Einsatzbereiche bereits Wirksamkeitsnachweise vorliegen. Abschließend wird das Ausmaß der Verbreitung im klinischen Einsatz in Abschnitt 3 genauer betrachtet.

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Abbildung 1: Eine Patientin erlebt VR-Therapie (Max M North & North, 2016).

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Abbildung 2: Eine Patientin erlebt VR-Therapie (Veling, Moritz & Van Der Gaag, 2014).

2 Gestaltung und Wirksamkeit von VR-Therapie für verschiedene Störungsbilder

Im Folgenden werden einige Konzepte von VR-Therapien genauer betrachtet. Dabei wird es sich in den meisten Fällen um die dokumentierten Vorgehensweisen ausgewählter klinischer Studien und Fallberichte handeln. Die beschriebenen Verfahren wurden daher meist speziell für diese Anwendung von oder in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Forschergruppe konzipiert. Wachsendes Forschungsinteresse und pragmatische Vorteile begünstigen eine vermehrte Distribution von Therapie-Programmen in der Zukunft. Um diese Übersicht einzugrenzen, wurden Störungen, für dessen Behandlung mit VR es bislang wenig Evidenz gibt, von der Betrachtung ausgeschlossen. Dabei handelt es sich unter anderem um Zwangsstörungen, Substanzabhängigkeit, Schlafstörungen und sexuelle Dysfunktionen. Für VR-gestützte Interventionen für die Behandlung von Depressiven Störungen konnten nur moderate Effekte gefunden werden (Riva, Banos, Botella, Mantovani & Gaggioli, 2016). VR findet neben therapeutischen Kontexten auch in Programmen zu Stressmanagement und Schmerztherapie Verwendung. Für die Erfassung von psycho- pathologischen Symptomen (zum Beispiel von ADHS oder Zwangsstörungen) wird das Medium ebenfalls eingesetzt. Zugunsten eines Fokus’ auf Einsatzmöglichkeiten von VR zur Behandlung psychischer Störungen, wurde der Einsatz für präventive, rehabilitative und diagnostische Zwecke von der Betrachtung ausgeschlossen.

2.1 Angststörungen

Für die Behandlung von AngststörungenIn den meisten Fällen ist in den meisten Fällen eine Form der Konfrontationstherapie die Methode der Wahl. In vivo Konfrontationstherapie hat Erfolgsraten von über 70%, die auch langfristig stabil sind (Becker, 2011). Bei der Integration von VR in die Therapie wird das Medium zur Präsentation des phobischen Stimulus oder angstauslösenden Situationen genutzt. Da mit Konfrontation mit phobischen Stimuli in VR vergleichbare physische und psychische Reaktionen ausgelöst werden können, eignet sich VR als Medium für die Exposition. Dies ist besonders dann nützlich, wenn eine in vivo Exposition aus praktischen Gründen ungünstig ist (zum Beispiel bei Angst vor dem Fliegen) oder wenn die Aversion vor der kritischen Situation zu groß ist.

Der größte Teil der Studien, die den Einsatz von Exposition in VR untersucht haben, konnten dessen Effektivität demonstrieren. Für den Einsatz bei Sozialer Phobie ist die Evidenz nicht eindeutig (Riva, Gutiérrez-Maldonado & Wiederhold, 2016). In Vergleichen mit den bisherigen Therapien der Wahl (z.B. in sensu Systematische Desensibilisierung) konnte keine konsistent auftretende Überlegenheit von VR-gestützter Konfrontationstherapie festgestellt werden (Grochowska et al., 2019). Der Reiz, die Methode weiterzuentwickeln, besteht eher in praktischen Vorteilen wie des erhöhten Gestaltungsspielraums, Kontrolle über die Inhalte der Exposition, sowie eine bessere Akzeptanz und höhere Motivation vonseiten der Patienten (da Costa & de Carvalho, 2004).

Die kontrollierte Studie von Max M. North, North und Coble (1996) gehörte zu den ersten, die Exposition in VR für die Behandlung von Angststörungen nutzbar machte. Patienten mit Akrophobie (Höhenangst) durchliefen eine wöchentliche Konfrontationstherapie für die Dauer von acht Wochen. Bei der Methode der Systematischen Desensibilisierung ist eine von Patient und Therapeut gemeinsam erstellte Angsthierarchie zentral. Die Situationen beziehungsweise Stimuli werden vom am wenigsten Angst auslösenden Stimulus beginnend in in sensu Exposition abgearbeitet (Maercker & Weike, 2009). Auf dieser Idee aufbauend, ermöglichte die virtuelle Umgebung bei Max M. North et al. (1996), sich auf Balkonen in verschiedenen Höhen zu bewegen. Beginnend vom niedrigsten Balkon im Ergeschoss, erfolgt nach gelungener Konfrontation der Fortschritt zu einem Balkon im zweiten, anschließend im zehnten und schließlich im 20. Stockwerk. Die therapeutische Unterstützung der Patienten während der Exposition ist dabei vergleichbar mit in sensu oder in vivo Verfahren. Im Vergleich vor und nach der Behandlung sowie zwischen Experimental- und Kontrollgruppe ohne Treatment wurden signifikante Unterschiede festgestellt. Die Szenarios wurden im Verlauf der Therapie als weniger bedohlich eingestuft. Subjektives Unbehagen ging sowohl während den Sessions als auch über den Verlauf der acht Wochen zurück.

Mehr als zehn Jahre später erprobten Botella et al. (2007) VR-Exposition für Patienten mit Agoraphobie und Panikstörung. Virtuelle Umgebungen ermöglichten die Exposition verschiedener Szenarios, die für agoraphobische Patienten üblicherweise kritisch sind. Das Beispiel einer U-Bahn-Station ist in Abbildung 3 zu sehen.

Das Programm ermöglichte neben zur Simulation der Szenarien auch die Simulation von interozeptiven Stimuli. So konnte zum Beispiel Zittern, erschwertes Atmen oder eine Verzerrung der Sicht durch Verschwimmen simuliert werden. Zusätzlich konnte die

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Abbildung 3: VR-Programm zur Simulation einer U-Bahn-Station in einer Konfrontationstherapie für Patienten mit Agoraphobie und Panikstörung (Botella et al., 2007).

Schwierigkeit der Situationen während der Session moduliert werden. So konnte zum Beispiel die Anzahl der umstehenden Menschen in der U-Bahn-Station verändert werden oder ein Fahrstuhl konnte zwischen zwei Stockwerken unerwartet anhalten. Jedes Event konnte in der virtuellen Umgebung so schwierig gestaltet, so lange durchgeführt und so oft wiederholt werden, wie es Patienten für eine erfolgreiche Exposition brauchten. In ihrer Wirksamkeit zeigte sich das VR-Programm als gleich effektiv wie die in vivo Konfrontation. Beide Behandlungen waren der Wartelisten-Kontrollgruppe überlegen. Die Autoren betonten aber die praktischen Vorteile der VR-Exposition. Für die Konfrontation geeignete Orte mussten nicht extra aufgesucht werden, was die Zeit- und Kosteneffizienz der Therapie erhöhte. Patienten konnten überdies ihre Reaktionen im Behandungszimmer in einem geschützten Rahmen in Privatsphäre ohne Zeugen erproben und aushalten lernen.

Um diese Vorteile zu nutzen, bietet Gerhard Strummer in seiner Praxis in Pfarrkirchen VR-Expositionstherapie für ein breites Spektrum an spezifischen Phobien an. Ein TV-Beitrag zeigt den Ablauf einer VR-Session in Behandlung einer Patientin mit Agoraphobie (Klinghardt, 2019). Zunächst im Sitzen, dann im Stehen erlebt sie zum Beispiel die Simulation eines Balkons, auf dem sie sich bewegen und umherschauen kann. Der Heilpraktiker sieht auf einem Laptop live, was die Patientin sieht. Sie berichtet, dass sie sich vorkomme, als ob sie wirklich in der Situation sei, und dass sie währenddessen eine starke Anspannung verspüre. Der Heilpraktiker hält dabei ihre Hand, leitet die nächsten Schritte an und fragt gelegentlich nach einem aktualisierten Stress-Level-Rating. Während der VR-Session ist die Patientin angehalten, ihre Angst auszuhalten und zu fühlen, wie diese vorüber geht. Durch diese Erfahrungen sollen Patienten achtsam werden für ihre Körperwahrnehmungen sowie für negative Gedanken und Gefühle. Die Patientin im Video berichtet, dass sie bereits nach zwei Sitzungen Hoffnung auf Besserung schöpfen konnte und drückt ihre Motivation aus, in realen Situationen mehr ausprobieren zu wollen. Eine solche Motivation ist eine optimale Voraussetzung für die Behandlung von Angststörungen. Wenn bislang vermiedene Situationen ihren Schrecken verlieren und wieder bewältigt werden können, reduziert das die Einschränkungen auf das Funktionsniveau und erhöht die Lebensqualität der Betroffenen.

2.2 Posttraumatische Belastungsstörung

Insgesamt scheint es für den Einsatz von VR bei der Behandlung von PTBS noch relativ wenig Evidenz zu geben. Die vorhandene Ergebnislage ist aber vielversprechend (Gro- chowska et al., 2019).

Konfrontationstherapie für die Behandlung von Posttraumatischer Belastungsstörung hat sich als gut untersuchte und validierte Methode etablieren können (Botella, Serrano, Banos & Garcia-Palacios, 2015). Im praktischen Einsatz gibt es allerdings einige Limitationen. Beispielsweise hat sich in vivo Konfrontation in Form eines HelikopterFlugs bei Vietnam-Veteranen als hilfreich bewährt, die starke emotionale Reaktionen auf Hubschrauber-Geräusche zeigten (Fontana, Rosenheck & Spencer, 1993). Es wäre aber ökonomisch schwierig, diese Methode bei tausenden von behandlungsbedürftigen Veteranen weltweit einzusetzen. Konfrontation in sensu ist aber keine optimale Alternative. Es wird vermutet, dass ca. 80% der Population nicht effektiv visualisieren können (Ventura, Banos & Botella, 2018). Einigen Patienten ist es aufgrund sehr starker Symptome nicht möglich, sich mit einer Visualisierung effektiv auseinander zu setzen. VR kann hier eine unterstützende Funktion erfüllen. Die Behandlung bei Rothbaum et al. (1999) sah zum Beispiel nicht nur Exposition in virtuo vor, sondern nutzte die Technologie zusätzlich zur Visualisierung der in sensu Exposition. Gemäß der Beschreibungen des Patienten einer besonders kritischen Situation wurde die Simulation dahingehend angepasst, um die Imagination zu unterstützen. Botella et al. (2015) erfassten in ihrer Literaturübersicht mehrere Studien, die VR-basierte Exposition mit anderen Therapie-Komponenten wie in sensu Exposition, Psychoeduktion, Übungen zur Atemkontrolle, Biofeedback und Pharmakotherapie integrierten.

Mögliche negative Effekte von Konfrontationstherapie bei PTBS-Patienten stellen ein großes Problem dar. Bei der Behandlung von Vietnam-Veteranen mit Konfrontationstherapie zeigten sich zum Teil negative Auswirkungen in Form von Depressionen, Wut und erhöhtem Substanzmissbrauch (Pitman et al., 1991). In der Fallstudie von Rothbaum et al. (1999) kam es zu keinen derartigen Effekten. VR bietet eine fiktive, kontrollierbare und sichere Umgebung für Exposition und erzielt bei Patienten hohe Akzeptanz- und Zufriedensheitswerte (Botella et al., 2015).

2.3 Essstörungen

Riva, Banos et al. (2016) fassen zusammen, dass VR-gestützte Therapie von Essstörungen effektiv zu sein scheint. Dabei sind zwei grundlegende Ansätze vertreten. Eine kognitive Umstrukturierung hin zu einem angepassten Körperbild wird vor allem für Patienten mit Anorexia und Bulimia nervosa angewandt. Dies geschieht zum Beispiel in Form einer Konfrontationstherapie oder gemäß des Ansatzes der Experientiellen Kognitiven Therapie. Cue Exposure Therapy war erfolgreich für Essstörungen, bei denen Craving auftritt, also Bulimie und Binge-Eating-Störung. Zum Teil wird diese Methode auch bei chronisch Übergewichtigen angewandt. Diese Ansätze werden in den folgenden Abschnitten im Einzelnen genauer betrachtet.

Forschungsergebnisse sind durchweg vielversprechend. Die Behandlungseffekte bei Patienten von VR-gestützter Therapie sind im Vergleich zu denen anderer Behandlungen mindestens gleich groß oder größer. Autoren von VR-Behandlungsprogrammen für diese Störungsbilder schlagen eine Kombination mit begleitend laufender Therapie vor. Eine gute Integration ist zum Beispiel mit kognitiv-behavioraler Therapie möglich, was die bisherige Methode der Wahl darstellte. De Carvalho, De Santana Dias, Duchesne, Nardi und Appolinario (2017) stellt fest, dass diese positiven Ergebnisse noch zu gering an der Zahl sind. Es gibt nur wenige Studien zur Behandlung von Anorexie-Patienten. Außerdem fehlt es an Studien mit Kontrollgruppen und Follow-Up. Die bisherige Forschungsarbeit hat überwiegend in nur drei verschiedenen Forschergruppen stattgefunden. Das Interesse an der Weiterentwicklung von VR-gestützter Therapie für die Behandlung von Essstörungen scheint aber zu steigen.

2.3.1 Konfrontation

Die Essstörungen Anorexie und Bulimie haben gemeinsam, dass Patienten von einer starken Angst vor Gewichtszunahme betroffen sind. Auch für diese Störungsbilder haben sich Konfrontationstherapien als wirksam erwiesen (Gutiérrez-Maldonado, Ferrer-Garcia, Da- kanalis & Riva, 2017). Viele Patienten stehen einer Konfrontation in vivo allerdings sehr negativ gegenüber. Eine Konfrontation in VR wird von jenen negativ eingestellten Patienten besser akzeptiert (Gutiérrez-Maldonado et al., 2017). Vereinzelte (Fall-)Studien konnten zeigen, wie mit VR-Konfrontationstherapie eine Reduzierung der Angst und der Weigerung, zu essen, bei Patienten erreicht werden konnte (Gutiérrez-Maldonado et al., 2017). Im Therapieprogramm der Studie von Gutiérrez-Maldonado, Ferrer-Garcia und Riva (2013) wurde Gewichtszunahme als phobischer Stimulus genutzt. Dabei nahm der BMI des Avatars der Patienten über die Dauer der Behandlung in festgelegten Schritten zu. In diesem Avatar wurden Patienten mit Situationen konfrontiert, in denen gemäß ihrer Überzeugungen eine Gewichtszunahme schreckliche Folgen hätte, zum Beispiel in der Schule ausgelacht zu werden.

Einige Studien können bereits von Erfahrungen mit Body Image Exposure (Konfrontation mit dem eigenen Körperbild) berichten. Beim Körperbild handelt es sich um ein multidimensionales Konstrukt, das eine mentale Repräsentation der physischen Erscheinung des Körpers widerspiegelt, dabei perzeptuelle, kognitive und affektive Aspekte involviert und Verhalten beeinflusst (Gutiérrez-Maldonado et al., 2017). Konfrontation mit dem eigenen Körper ist in VR zum Beispiel durch die Simulation eines Spiegels möglich. Mit immersiven Head-Mounted-Displays ist eine Darstellung möglich, die der tatsächlichen Höhe und den tatsächlichen Dimensionen des dargestellten Körpers entspricht. Durch wiederholte und andauernde Exposition mit dem eigenen Körper soll die Assoziation zwischen dem Körperbild und den dazu konditionierten negativen Reaktionen aufgebrochen werden.

2.3.2 Experientielle Kognitive Therapie

Die Forschergruppe um Guiseppe Riva war in den 90ern eine der ersten, die VR für die Behandlung von Essstörungen einsetzte. Die Forscher nehmen an, dass Wahrnehmung des eigenen Körpers aus zwei Komponenten besteht. Die egozentrische Komponente basiert auf Sinneswahrnehmungen, während die allozentrische Komponente Kognitionen über die Außensicht auf den eigenen Körper beinhaltet (Riva, 2011). Die beiden Komponenten interagieren in Prozessen der räumlichen Kognition. Ist diese Interaktion gestört, ist keine Integration von egozentrischen sensorischen Inputs in das allozentrische Körperbild möglich (allocentric lock). Essstörungen sind eine Konsequenz eines allozentrischen negativen Körperselbstbildes, das eine Verzerrung darstellt und schwer veränderbar ist.

Experientielle Kognitive Therapie (Riva, Bacchetta, Baruffi, Rinaldi & Molinari, 1999; Riva et al., 2000) basiert auf diesem theoretischen Gebäude. In der aktuellsten Form (Riva, 2011) beginnt eine therapeutische Session mit einem klinischen Interview, das aktuelle Erfahrungen und Probleme der Patienten thematisiert. Es folgt eine 20-minütige VR-Erfahrung. Es stehen verschieden VR-Szenarios zur Verfügung, die gemäß des Behandlungsplans bearbeitet werden. Eines davon ist ein „Body Image Room“. Dort können Patienten aus mehreren Modellen ein ideales sowie ihr aktuell wahrgenommenes Körperbild auswählen, um anschließend einen Vergleich mit der Realität anzustellen. Eine ähnliche Methode stellt Body Exposure Therapy dar, die in Abschnitt 2.3.3 gesondert betrachtet wird.

Die anderen zur Verfügung stehenden VR-Szenarios sind Umgebungen, die genutzt werden können, um das Setting von kritischen Situationen zu reproduzieren. Ein Beispiel könnte der Gang in der Schule sein, wo sich Mitschüler über eine Patientin lustig gemacht haben. Das VR-Szenario „Schule“ wird ausgewählt, die Erfahrung durchlebt und mit kognitiven Techniken bearbeitet. Im Sokratischen Dialog werden Patienten dazu angehalten, ihre aktuelle Erfahrung zu reflektieren. Sie nehmen zum Beispiel die Perspektive einer beobachtenden Person ein und explorieren ihre eigenen emotionalen Reaktionen auf Aspekte der Situation. Gemeinsam mit dem Therapeuten erstellen Patienten eine Liste an verzerrten Überzeugungen. Wenn diese in der VR-Session aufkommen, lernen Patienten, diese Überzeugungen als verzerrt wahrzunehmen und durch adaptivere Kognitionen zu ersetzen. Beim „Label Shifting“ werden negative Wörter, die zur Beschreibung der Situation genutzt werden, durch deskriptivere oder mehrere Wörter ersetzt. Im nächsten Schritt erleben Patienten die Situation aus einer Beobachterperspektive und sehen sich selbst (beispielhaft zu sehen in Abbildung 4). Während dieser Erfahrung lernen Patienten, alternative Interpretationen (zum Beispiel, dass ein Witz über das Gewicht absolut nicht auf die tatsächliche Figur der Patientin bezogen war) zu berücksichtigen und diskutieren diese mit dem Therapeuten. Gegebenenfalls sollen Überzeugungen mit objektiven Informationen abgeglichen werden, bevor Entscheidungen und Urteile über diese Situation gefällt werden. Gleichzeitig wird in dieser Phase auch auf Psychoedukation abgezielt: Der Einfluss der Krankheit auf die gemeinsam aufgelisteten verzerrten Überzeugungen wird erklärt. Das maladaptive Essverhalten wird durch eine kognitiv-behaviorale Interpretation rationalisiert.

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Abbildung 4: Experientielle kognitive Therapie zur Behandlung einer Patientin mit einer Essstörung (Riva, 2011).

Auf die VR-Session folgt eine Diskussion mit dem Therapeuten zur Aufarbeitung der Erfahrung. Wenn nötig, werden Coping-Strategien eingeführt, deren Anwendung in der nächsten Session geübt werden kann.

Experientielle kognitive Therapie wurde in diversen Fall-Studien und zwei Studien mit Kontrollgruppe getestet und war im Vergleich zu kognitiv-behavioraler Therapie und Ernährungsberatung überlegen (Riva, Gutiérrez-Maldonado & Wiederhold, 2016).

2.3.3 Cue Exposure Therapy

Einen ähnlichen Ansatz zur Konfrontation von essgestörten Patienten in VR stellt Cue Exposure Therapy (CET) dar. Cue Exposure Therapy (CET) ist eine spezielle Form der Expositionstherapie. Durch die Präsentation von Cues (auch Trigger) wird ein Craving hervorgerufen. Dabei handelt es sich um einen starken motivationaler Zustand, der süchtiges oder suchtartiges Verhalten bedingt. Bei Bulimia nervosa, Binge-Eating-Störung und Substanzabhängigkeit handelt es sich um Störungen, die sich durch ein solches problematisches Verhalten auszeichnen. Für die Aufrechterhaltung dieses Verhaltens sind Cues eine zentrale Ursache (Grochowska et al., 2019). Anders als beim Einsatz von Konfrontationstherapie für die Behandlung von Angst- oder Zwangsstörungen zielt CET nicht auf den Abbau von Flucht- oder Vermeidungsverhalten ab. Stattdessen soll das gestör- te Annäherungs- beziehungsweise Konsumverhalten gelöscht werden (Lörch, 2015). Bei kontrollierter Cue-Exposition lernen Patienten mithilfe von Coping-Strategien, problematische Reaktionen zu verhindern. In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen CET und anderen Formen der Konfrontationstherapie nicht immer trennscharf.

CET in VR wurde bislang vor allem für die Behandlung von Substanzabhängigkeit eingesetzt (Gutiérrez-Maldonado et al., 2017). Die bisherigen Studien in diesem Bereich zeichnen aber kein einheitliches Bild ab (Hone-Blanchet, Wensing & Fecteau, 2014). Es gibt vielversprechende Befunde aus Fallstudien, in einigen VR-CET-Programmen blieb aber das Ausmaß an subjektivem Craving über die Behandlung hinweg stabil. Behaviorale Veränderungen, zum Beispiel eine Reduktion der täglich gerauchten Zigaretten, konnten noch nicht durch eine ausreichend große Anzahl an Studien gesichert oder durch FollowUps bestätigt werden.

Auf der Basis des Wissensstands zur Suchtbehandlung wurde der CET-Ansatz auf die Behandlung von Bulimie und Binge-Eating-Störung übertragen. Für diese Störungsbilder sind Craving und Essanfälle charakteristisch. Für eine Cue-Exposition in vivo gibt es zum Teil logistische Probleme, da individuelle Trigger für Craving oft spezifisch für das jeweilige Essen oder der Umgebung sind (Gutiérrez-Maldonado et al., 2017).

Aus der Forschung zu Cue-Reaktivität von Substanzabhängigen ist bekannt, dass eine Cue-Präsentation in VR wesentlich stärkeres Craving induzieren kann, als dies mit zweidimensionalen Cues, also zum Beispiel Fotos, möglich ist (Hone-Blanchet et al., 2014). Reaktivität auf im therapeutischen Setting präsentierte Cues ist eine wichtige Voraussetzung, damit CET Effekte erzielen kann. Für die Anwendung auf Essstörungen konnte ein Zusammenhang zwischen Fragebogen-Maßen zu Craving und momentanem Craving in VR festgestellt werden (Pla-Sanjuanelo et al., 2015). Das bedeutet, dass VR-Exposition sich als Alternative für CET anbietet. VR kann auch als Werkzeug in einer kognitiv- behavioralen Therapie genutzt werden, um individuelle Trigger und Risikofaktoren durch ein Assessment in VR zu identifizieren (Pla-Sanjuanelo et al., 2015). Solche Daten können hilfreich sein, um passende VR-Umgebungen für CET zu entwickeln. Gutiérrez-Maldonado et al. (2013) konnten durch eine VR-CET-Behandlung eine Reduktion von Binging- und Purging-Verhalten bei bislang therapieresistenten bulimischen Patienten zeigen. Im Vergleich zu einer kognitiv-behavioralen Therapie war das VR-Treatment überlegen, auch bei einem Follow-Up nach einem Jahr. Außerhalb dieser Forschergruppe fehlt es aber noch an klinischen Studien, die diesen Effekt bestätigen können.

2.4 Psychotische Störungen

Es gibt noch keine starke Evidenz für die Effektivität von VR-gestützter Therapie von Patienten mit psychotischen Störungen (Riva, Banos et al., 2016). Diese könnte aber dadurch bedingt sein, dass sich Schizophrenie und verwandte Störungen durch ein breites Symptomspektrum auszeichnen. Es wurden verschiedene Ansätze entwickelt, die sich stark voneinander unterscheiden und schlecht vergleichbar sind. Bereits zur Evaluation dieser Ansätze publizierte Studien konnten aber vielversprechende Ergebnisse berichten (Veling, Moritz & Van Der Gaag, 2014).

Es konnte nachgewiesen werden, dass Symptome, die Patienten in Alltagssituationen erleben, in entsprechenden VR-Simulationen auf ähnliche Weise auftreten (Veling et al., 2014). Der Einsatz von VR bei Patienten mit psychotischen Störungen erscheint daher sinnvoll. Die positiven Erfahrungen im experimentellen Einsatz lassen vermuten, dass VR-Behandlung für Schizophrenie-Patienten in der nahen Zukunft verfügbar werden wird (Veling et al., 2014). Noch gibt es aber einen großen Bedarf an klinischen Studien, vor allem solche mit Kontrollgruppe, Follow-Up oder mit Vergleichen zu bisher etablierten Therapieformen.

2.4.1 Avatar-Therapie

Ein Viertel der Patienten mit Schizophrenie in Behandlung sprechen nicht auf antipsychotische Medikation an (Leff, Williams, Huckvale, Arbuthnot & Leff, 2013). Unter anderem auditorische Halluzinationen bleiben trotz Behandlung lange bestehen. Durch die Ermutigung eines Dialogs können Patienten eine konstruktivere Beziehung mit diesen Stimmen aufbauen. Gelingt das, fühlen sich Betroffene weniger hilflos und gewinnen an Lebensqualität (du Sert et al., 2018). Im Therapie-Setting ist aber zunächst keine direkte Interaktion mit den Stimmen möglich. Patienten müssen sich den Dialog vorstellen, was nicht immer gelingt. Leff et al. (2013) entwickelten daher ein System zur Erstellung eines Avatars auf Basis der Beschreibung der Patienten am Computer. Wie ein solcher Avatar aussehen kann, zeigt Abbildung 5. Dieser repräsentiert die bedrohliche Halluzination. Patienten können mit diesem Avatar in einem sicheren Setting interagieren und dadurch Durchsetzungsfähigkeit und Selbstbewusstsein aufbauen.

Das kanadische Forscher-Team um du Sert et al. (2018) entwickelte den Ansatz weiter zu einer Avatar-Therapie in VR und testete die Methode mit als therapieresistent gelten-

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Abbildung 5: Ein möglicher Avatar für die Repräsentation von auditorischen Halluzinationen (Leff, Williams, Huckvale, Arbuthnot & Leff, 2013).

den Patienten. Das Aussehen der Avatare wurde mit den Patienten gemeinsam erstellt und den individuellen Halluzinationen nachempfunden. Dies konnten bekannte Personen oder auch dämonische Wesen sein. Patienten wählten eine Stimme aus, die sie als subjektiv dominant und bedrohlich empfanden und gaben typische Sätze an, die diese Stimme sagen würde. Die Simulation der Halluzination in VR bestand in der Begegnung mit dem Avatar in einem dunklen Raum. Der Therapeut erfüllte die Rolle des Avatars. Dabei wurde die Stimme des Therapeuten mit einem Stimmverzerrer nach den zuvor festgelegten Parametern zur Stimme des Verfolgers. Der Dialog basiert auf den zuvor besprochenen typischen Mustern. Dies verlangte dem Therapeuten schauspielerisches Können ab. Über sechs Sessions hinweg traten Patienten in den Dialog mit dem Avatar. Gemäß eines Therapie-Manuals wurde die Konfrontation genutzt, um mit Patienten an deren Emotionsregulation, Durchsetzungsvermögen und Selbstwert zu arbeiten. Mit der Zeit wurde die Interaktion mit dem Avatar weniger bedrohlich. Patienten bewerteten ihre Avatare als ausreichend glaubhaft, um sich durch die Präsenz ihres individuellen Verfolgers bedroht zu fühlen. Mit der Therapie konnte erreicht werden, dass sich Patienten signifikant weniger durch ihre auditorischen Halluzinationen bedrängt fühlten. Die Stimmen wurden als weniger omnipotent und böswillig eingeschätzt. Bezüglich depressiver Symptome und Lebensqualität konnte eine signifikante Verbesserung erreicht werden. Diese Effekte blie- ben bei einem Follow-Up nach drei Monaten bestehen. Allerdings wurden Dropouts aus den ausgewerteten Daten ausgeschlossen, was den Behandlungseffekt überschätzen könnte. Die Autoren schlussfolgern, dass es nach diesen vielversprechenden Ergebnissen mehr Studien zur Validierung der Methode braucht.

Kompus (2018) arbeiteten ebenfalls mit der Erstellung von Avataren, die zu den paranoiden Ideen der Patienten passten. Patienten erhielten die Möglichkeit, wahnhafte und misstrauische Gedanken durch direkte Interaktion mit den Avataren herauszufordern und konnten dadurch eine effektive Reduzierung von Angst und momentaner Paranoia erreichen. Der Effekt war sogar dem einer kognitiv-behavioralen Intervention überlegen (Grochowska et al., 2019).

2.4.2 Training Sozialer Kognition und Sozialer Kompetenz

Es gibt Evidenz dafür, dass die Induktion von Zweifeln zu einer Reduktion der Positivsymptome von Schizophrenie-Patienten führen kann (Moritz et al., 2014). In einer Konzeptstudie entwickelten Moritz et al. (2014) ein auf dieser Idee aufbauendes VR-Training. Dabei sollten wahnhafte Schizophrenie-Patienten sich durch eine Straße bewegen und anschließend berichten, welchen Gesichtsausdruck sie bei den Fußgängern wahrgenommen hatten und wie sicher sie sich in ihrer Einschätzung sind. Nach der VR-Session wurde eine signifikant geringere Häufigkeit paranoider Gedanken berichtet. Diese Verbesserung war assoziiert mit geringerer subjektiver Sicherheit der Antwort, vor allem bei falschen Antworten und in retrospektiver Einschätzung nach Feedback über die tatsächlichen Gesichtsausdrücke. Es gab keine Kontrollgruppe und kein Follow-Up, das Konzept scheint aber für einen therapeutischen Einsatz bei paranoiden Schizophrenie-Patienten Potenzial zu haben.

Für die Rehabilitation von Schizophrenie-Patienten ist ein Training von sozialen Kompetenzen ein effektiver Ansatz (Park et al., 2011). Der Transfer des Gelernten in den Alltag gelingt aber nicht immer (Rus-Calafell, Gutiérrez-Maldonado & Ribas-Sabaté, 2014). Der Einsatz von VR könnte als Bindeglied zwischen Training und Anwendung im Leben fungieren. Im VR-Training von Rus-Calafell et al. (2014) können Patienten ihr Sozialverhalten in VR-Szenarios aus dem täglichen Leben üben. Dabei werden die Patienten aktiviert, haben komplette Handlungsfreiheit und erhalten Feedback in Echtzeit. Es werden zum Beispiel Aufgaben zur Interpretation von Emotionsausdruck und Intentionen geübt, sowohl an statischen Stimuli, als auch bei non-verbal kommunizierenden Personen. Ebenfalls geübt wird das Führen von Konversation. Veränderungen zeigten sich in Form einer Reduktion sozialer Angst, einer Verbesserung der sozialen Kognition und sozialen Kompetenzen und einem erhöhten sozialen Funktionsniveau. Ein Rückgang von Negativsymptomen konnte ebenfalls verzeichnet werden. Der Großteil dieser Veränderungen konnte auch noch bei einem Follow-Up gemessen werden. Allerdings handelte es sich um eine recht kleine Stichprobe und es gab auch hier keine Kontrollgruppe.

Die Befunde sind dafür konsistent mit den Ergebnissen von Park et al. (2011). Schizophrenie-Patienten erzielten Verbesserungen ihrer Konversationsfähigkeit und in selbstbewusstem Auftreten nach einem Training für soziale Kompetenzen. Ein Rollenspiel zum Training von Begrüßungen, Konversation, sowie der Interpretation von Gesichtsausdrücken und der Auswahl der eigenen Antworten wurde in VR durchgeführt. Ein Lerneffekt des Trainings konnte auch in einem klassischen Rollenspiel ohne VR erzielt werden. Die Verbesserungen im VR-Training waren denen des normalen Rollenspiels aber überlegen. Zudem wurde das VR-Training von Patienten besser bewertet.

Training sozialer Kompetenzen findet in ähnlicher Weise Anwendung bei Patienten mit Autismus (Gutiérrez-Maldonado et al., 2017). Auch in diesem Bereich wird derzeit zum Potenzial von VR-Anwendungen intensiv geforscht.

2.4.3 Kognitive Rehabilitation

Zu dem Einsatz von VR-Training in der Rehabilitation neurologischer Symptome von Schizophrenie-Patienten liegen bereits vielversprechende Forschungsergebnisse vor (Gro- chowska et al., 2019). Anwendungsbereiche sind unter anderem Aufmerksamkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnisleistung, Problemlösefähigkeiten, exekutive Funktionen und soziale Kognition. Der Einsatz solcher Trainings ist auch für Patienten mit Läsionen, Schlaganfällen oder Rückenmarksverletzungen denkbar (Grochowska et al., 2019). Aufgrund dieses breiten Spektrums potenzieller Anwendungsfälle besteht für die Weiterentwicklung von VR-Anwendungen zur kognitiven Rehabilitation ein großes Forschungsinteresse.

2.4.4 Berufliche Rehabilitation

Der Einsatz von VR für die berufliche Rehabilitation von Schizophrenie-Patienten steht noch am Anfang. Tsang und Man (2013) konnten aber bereits beeindruckende Ergebnisse erzielen. Die Forscher haben einen ganzheitlichen Ansatz zum Training von Kommunikation und Problemlösefähigkeiten in VR entwickelt. In einem Shopping-Center-Szenario agieren Patienten als Verkäufer und müssen diverse Aufgaben erfüllen. Die Erfahrung ist angemessen nah an der Realität, aber für Patienten weniger unangenehm . Die Schwierigkeit der Simulation kann an das individuelle Lerntempo angepasst werden. Durch das Training konnten Verbesserung bei der Erfüllung von Arbeitsaufgaben und kognitiver Leistungsfähigkeit (im Wisconsin Card-Sorting-Test) erreicht werden. Nach ausreichender wissenschaftlicher Validierung könnte die Verbreitung dieser Methode die Arbeitsfähigkeit von Schizophrenie-Patienten verbessern. Dies würde einen großen Zugewinn an Lebensqualität bedeuten. Theoretisch wäre eine Simulation jedes beliebigen Job-Kontexts für ein VR-Training denkbar. Das Medium VR könnte auch ein selbstgesteuertes Training von zuhause aus ermöglichen (Veling et al., 2014), was die Rehabilitation von SchizophreniePatienten noch weiter voranbringen könnte.

3 Verbreitung

Eine genaue Abschätzung des Verbreitungsgrades von VR-Therapie ist schwierig. Einen möglichen Anhaltspunkt bietet eine wachsende Zahl an Anbietern von Hard- und/oder Software-Lösungen. Das Unternehmen VTplus (VT steht dabei für „Virtual Therapy“) ist einer dieser Anbieter. Abbildung 6 zeigt Ausschnitte aus dem Szenario-Repertoire von VTplus für die Behandlung von Akrophobie. Auf seiner Webseite gibt VTplus elf Einrichtungen an, die ihre Systeme nutzen (VTplus, 2020). Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Auswahl von Referenzen.

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Abbildung 6: VR-Szenarios für die Behandlung von Höhenangst von VTplus (Bentz, 2017).

Die „Virtual Reality Medical Center“ sind ein Verbund von zwei Kliniken in den USA, die VR-basierte Behandlung für ein breites Spektrum an Störungsbildern anbieten und auf diesem Gebiet in der Forschung mit 14 Einrichtungen weltweit kooperieren. Das Angebot an VR-Therapie ist bislang vor allem auf klinischen Forschungseinrichtungen wie diese konzentriert.

Ausgehend vom aktuell vielversprechenden Forschungsstand ist zu erwarten, dass die Verfügbarkeit von VR-Therapie auch in ambulanten Einrichtungen zunehmen wird. Praxen wie von Gerhard Strummer in Pfarrkirchen (zu sehen in Abbildung 7) oder von Susanne Vömel in Berlin bieten die Durchführung von VR-Sessions im Rahmen von Konfrontationstherapie gegen Angststörungen an.

Freeman et al. (2018) stellen fest, dass die Verfügbarkeit von VR-basierter Therapie

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Abbildung 7: In der Praxis von Gerhard Strummer in Pfarrkirchen wird eine Patientin mit Agoraphobie auf das Dach eines Hochhauses in VR versetzt (Klinghardt, 2019).

sich aktuell auf eine geringe Anzahl Anbieter beschränkt. Als mögliche Gründe werden das benötigte Equipment sowie die erforderliche therapeutische Expertise genannt. Allerdings zeigt die von den Autoren evaluierte automatisierte Therapie ohne Therapeuten mit einem virtuellen Coach beeindruckende Resultate (Freeman et al., 2018). Ein relativ günstiges, für Therapie nutzbares System ist zum Beispiel die Samsung Gear VR-Brille, die um 120 Euro kostet und mit einer Reihe an Mittel- und Oberklasse-Smartphones integriert werden kann. Anschaffungskosten stellen also im Vergleich zu den Entwicklungskosten der Software den deutlich geringeren Kostenfaktor dar. Das Medium VR stellt zudem eine Plattform dar, die sich für die internet-basierte Distribution von standardisierten Behandlungsprogrammen gut eignet (Dixon & Regenbrecht, 2008). Riva (2011) zum Beispiel verwendeten in frei im Internet verfügbare Software in ihrer Studie.

Die Meta-Analyse von Turner und Casey (2014) zeigt im Jahr 2014, dass der Großteil der klinischen Studien sich auf spezifische Phobien bezieht. Der Literaturüberblick von Grochowska et al. (2019) fasst einige Jahre später auch für andere Störungsbilder eine vielversprechende Befundlage zusammen. Die Behandlung von spezifischen Phobien stellt aber noch den derzeitigen Schwerpunkt des praktischen Einsatzes von VR in klinischen Einrichtungen dar. Die gute Evidenzlage für die Behandlung von spezifischen Phobien mit Expositionstherapie in VR führte zur Aufnahme der Methode in die deutschen S3-Leitlinien. Der Einsatz von VR wird empfohlen, wenn eine Expositionstherapie in vivo nicht durchführbar ist (Bentz, 2017). Wissenschaftlicher Fortschritt und die Weiterentwicklung der Technologie werden zeigen, ob eine ähnliche Entwicklung für weitere Störungsbilder denkbar ist.

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VTplus. (2020). Anwendung von VR in der empirischen Forschung. Zugriff 5. März 2020 unter https://www.vtplus.eu

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Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Der Einsatz von Virtueller Realität in Psychotherapie. Eine Literaturrecherche
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Veranstaltung
Human Factors und kognitive Ergonomie
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
26
Katalognummer
V1002336
ISBN (eBook)
9783346378033
ISBN (Buch)
9783346378040
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Human Factors, VR, Virtual Reality, Psychotherapie, Mensch-Maschine-Interaktion
Arbeit zitieren
Leonie Manzke (Autor:in), 2020, Der Einsatz von Virtueller Realität in Psychotherapie. Eine Literaturrecherche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1002336

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