Der Cowboy im Neo-Western am Beispiel von Walter Hill`s "Last Man Standing"


Seminararbeit, 2001

16 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


INHALT

Einleitung

1. Symbolismus und Motive im Western: Eine Einleitung
1.1. Die Magie des Cowboys: Lederstrumpf, Frontier und Cattle Drive
1.2. Ein Bild wird lebendig: Western als Film- Genre

2. Der Neo-Western

3. . Der Western zwischen Tradition und Abkehr: „Last Man Standing“ .

4. Zusammenfassung

Bobliographie / Filmographie 16

EINLEITUNG

Kein Genre amerikanischer Kultur hat sich als so beständig erwiesen wie der Western. Eingeläutet durch die Frühwerke der jungen Republik wie etwa James Fenimore Coopers Lederstrumpf-Saga (ab 1823 mit The Pioneers eingeleitet), konnte sich der Western in seiner Gesamtheit trotz regelmäßiger Veränderungen in Erzählstruktur u.ä. bis heute halten.

Noch immer ist die Symbolik des Wilden Westens fest in der amerikanischen Kultur verankert: Marlboro Man, „New Frontier“ und CowboyHut gehören noch heute zu den Sinnbildern und werden es noch lange sein.

Was aber macht den Western zu etwas besonderem? Welche Werte und Normen vermittelt er nur, dass er noch heute so populär ist. Gibt es etwas, dass alle Western vereint, so unterschiedlich sie auch sein mögen? Und wie wird mit dieser Basis des Westerns heute verfahren?

Diesen Fragen will die folgende Arbeit am Beispiel des Neo-Westerns Last Man Standing von Walter Hill (1995) nachgehen. Es soll die gemeinsame kulturelle Basis der Western-Erzählungen herausgearbeitet werden, um exemplarisch zu prüfen, wie der Neo-Western sie adoptiert und verformt. Wie haben sich klassische Sinnbilder und Motive verändert, um dem Geist der Postmoderne gerecht zu werden, ohne das Genre neu zu definieren? Diese Frage sollte als Leitfrage über der theoretischen Erforschung des Neo-Westerns stehen und den Leser fortan lenken.

1. SYMBOLISMUS UND MOTIVE IM WESTERN: EINE EINFÜHRUNG

1.1. Die Magie des Cowboys: Lederstrumpf, Frontier und Cattle Drive

Eingeleitet mit James Fenimore Coopers Lederstrumpf-Werken öffnete sich ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue Pforte amerikanischer Literatur: Die Frontier-Erzählung, die sich später zum Western weiterentwickelte.

Mit Natty Bumppo schuf Cooper die erste nationale Identifikationsfigur, deren Gültigkeit nicht lokal begrenzt war, sondern der Ost und West der jungen Republik gleichermaßen vereinte. Es war seine Unabhängigkeit von Zivilisation und seine trotzdem erhaltene Moralität, die den Lederstrumpf so populär machten. Sein Leben an der Grenze der Zivilisation, seine „Missionierung“ der „Wilden“ und sein Verständnis von kulturellen Werten und Moral machen ihn zur Erfüllung des amerikanischen Traums. Zwar ist erkennbar, dass Cooper in den späteren Werken auf das mythologische der Romanfigur mehr und mehr verzichtet und die konfliktreiche Position Bumppo’s mehr herauskristallisiert, aber nichtsdestotrotz sind bereits in diesem Frühwerk die Essenzen des späteren Westerns erkennbar: Individualismus und Freiheit an der Grenze der Zivilisation, und trotzdem Moralität und gar Religiösität der zivilisierten Welt.

Eine entscheidende Rolle spielt diese Grenze der Zivilisation seit dem Beginn der Besiedlung Amerikas durch europäische Aussiedler. Sie markiert quasi die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis, zwischen Religion und Heidentum, zwischen Gut und Böse. Sie ist so fest in der amerikanischen Kulturgeschichte verankert, dass sie kaum wahrnehmbar ist: Die Allgegenwärtigkeit dieses Mythos ist erschreckend. Einen Namen erhielt dieser Mythos der Grenze, als sie nicht mehr war: 1893 erkläre der junge Frederick Jackson Turner „that the frontier has gone [.]“1

Aber der Mythos der Grenze im eigenen Land sollte weiterleben, auch nach der Eroberung des Westens und dem zivilisatorischen Erreichen der Pazifik-Küste: Kennedy erkläre das „Space Program“ der 60er Jahre zur neuen Herausforderung an die Nation, zur „New Frontier“, und immer wenn die amerikanische Nation zusammengeschweißt werden soll, um ein nationales Problem zu lösen, wird der Frontier-Begriff abermals bemüht.

Als die frontier noch existierte, bildete sie tatsächlich eine kulturelle Grenze im eigenen Land und war somit etwas einmaliges. Die junge Nation des 19. Jahrhunderts hatte nicht nur Staatsgrenzen, sondern eine sich ständig verändernde kulturelle Grenze. Das Problem der Frontier liegt doch in ihrer Beschaffenheit: Sie kann zwar verschoben werden mit jedem Schritt eines Euro- Amerikaners in die „Wildnis“, mit jedem getötet „Heiden“, mit jedem neu bestellten Acker, aber sie ist als Grenze weder greif- noch bewachbar. Sie ist ein Symbolismus, der sich im täglichen Leben an dieser Grenze materialisierte und die Fantasien beflügelte. Sie ist ein nationales Symbol, das fortwährend gepflegt wird.

Ein Schutz für diese kulturelle und verschwommene Grenze konnte nur ein kultureller sein, und so ist in jedem Western, der sich des Mythos „Frontier“ bedient, der „Grenzschutz“ erkennbar: Die Moral der westlichen Welt, der Ehrenkodex und wahre Männer, die ihn leben, trieben die Fontier voran, ohne sich vom Einfluss der unzivilisierten anderen Seite beeinflussen zu lassen. Erst so konnte Mannwerdung und Zivilisierung wahr werden.

Der Mythos der zivilisatorischen Grenze, dessen sich der Western unweigerlich bediente und es noch heute tut, definiert auch die immer wiederkehrenden Konfliktfelder des Genres: das Problem des Fortschritts (verstanden als Grenzübertritt), der Konflikt zwischen Ehre und Gesetz auf der einen und Gesetzlosigkeit, Gewalt und Ungerechtigkeit auf der anderen Seite, der Mangel an sozialer Kontrolle und Ordnung, Rache-Motive vs. moralischem Ehrenkodex. Daraus ergeben sich auch die immer wiederkehrenden Personenkreise des Western: Die Verkörperung von Gesetz, Moral und sozialer Kontrolle zeichnet den Protagonisten aus, während Gesetzlosigkeit und mangelhaftes moralisches Bewusstsein die Antagonisten prägen. Interessanterweise sind die Träger des Gesetzes (Sheriffs und Polizisten) meist selbst bestechlich und gesetzlos. Sie symbolisieren den immer wiederkehrenden Zweifel der Amerikaner an Recht und Gesetz und geben ein Signal: Wenn man dem Gesetz nicht trauen kann, dann müssen zivilisatorische Moral und Recht allein umgesetzt werden. Auch wenn der Personenkreis selbst vielfältig ist - Sheriffs, Doktoren, Barkeeper, und natürlich Cowboys und Indianer- so ist dieser Konflikt doch immer verankert und dient jedem Western als Basis.

Das Bild des traditionellen Western-Helden entstand jedoch weit nach Coopers Lederstrumpf-Romanen. Anfang des 20. Jahrhunderts, als die glorreichen Jahre des Cowboys längst vorbei waren, überfluteten Western-Romane abermals den literarischen Markt der USA und belebten die Western-Motive neu. Der Grund für diese Flut an Western-Literatur, die bis in die 1950er anhielt und auch entsprechend Einzug in die Kinos hielt, ist kulturell begründbar: Mit dem Einsetzen der Industrialisierung und der „Normalisierung“ des Lebens, dem täglichen Trott der Arbeiter in den Städten des Ostens, dem Bedarf nach abwechslungsreicher Unterhaltung, füllte der Western-Held eben diese Lücke. Er forderte geradezu zum Erleben, zum Mitfiebern und zum Träumen auf, er bildete den Ausgleich zum sonst so monotonen Leben der Arbeiter. Versteht man Literatur und Film als Möglichkeit zur Realitätsflucht und folgt der Theorie des Eskapismus, dann ist der Western jener Zeit ein gutes Beispiel. Die Unregelmäßigkeit des Cowboy-Lebens, seine (positive) Ziellosigkeit und die daraus resultierende ungeahnte Freiheit lassen ihn den amerikanischen Traum verkörpern. Lee Clark Mitchell erkennt treffenderweise: „The cowboy’s appeal is part of the deep nostalgia of an industrial society - a character so perfectly posed against modern culture that if he had not existed he would have been invented.“2

Interessant ist natürlich, dass der Cowboy tatsächlich erfunden war. Es ist schließlich weithin bekannt, das das Leben der wahren Cowboys auf den Farmen des Westens und der Cattle Drive alles andere als das waren, was wir heute aus Film und Literatur als Leben im Wilden Westen kenne. Tatsächlich war es ein wenig aufregendes Leben und die wahren Cowboys waren unterbezahlt. Ihr Ruf war schlecht und den einsamen Reiter im langen Mantel, der Gerechtigkeit und Moral verkörpert, ist eine wahre Erfindung der Literaten und Filmemacher.

1.2.Ein Bild wird lebendig: Western als Film-Genre

Bereits mit den ersten Stummfilmen erschien auch der Cowboy auf der Leinwand und visualisierte, was bis dato nur literarisch oder in der Malerei erfasst war. Mit dem Einzug des Cowboys auf die Leinwand entstanden dann auch die stereotypen Merkmale des Cowboys, die noch heute allgegenwärtig sind: Die übertriebene Betonung der Kleidung der Western-Helden etwa und die vielen Accessoires, die einem sofort in den Sinn kommen, wenn man an den Cowboy denkt. Der Sechsschüsser, der Hut, die Stiefel und natürlich die unendliche Weite der Prärie als landschaftliches Film-Set, dass mit der Figur des einsamen Reiters Hand in Hand geht, prägen auch heute noch die Vorstellung vom Western.

In den sechziger Jahren brach der Western erstmals seit Entstehung seiner großen Popularität ein. Es schien einfach unmöglich, weiter WesternFilme zu drehen. Man hatte alles erschöpft, man hatte alle Sehnsüchte bedient, alle Klischees ausgeschöpft.

Und doch: Statt wie viele Genres im Wandel der Kultur auf der Strecke zu bleiben, gelang es dem Western, sich zu erholen. Interessanterweise rettete ein Italiener den Western vor dem Untergang: Sergio Leone’s „A Fistful Of Dollars“ (1967) und die beiden Sequels, die dicht darauf folgten, brachten eine neue Erzählweise in den Western, ohne sich von den alten Motiven abzukehren.

Nach John Ford’s „The Man Who Shot Liberty Valance“ (1962) mit seinem überraschenden Ende war die Trennung von Fakt und Mythos vollzogen: Ford’s Film führt dem Zuschauer vor Augen: Die Kamera kann nicht alles zeigen, ihr könnt nicht alles wissen, ihr müsst uns vertrauen. Ford ließ uns mit seinem Werk wissen, dass der Zuschauer immer nur einen Ausschnitt aus einer Geschichte erlebt, die auch anders hätte erzählt werden können. Der klassische Western-Shoot-Out war beerdigt worden, zur Farce verkommen.

Leone’s Werke hingegen formten den Western neu. Die Konzentration der Kamera auf den schweigsamen Protagonisten ohne Namen (Clint Eastwood), die innovative Filmmusik, der kryptische Dialog des Filmes und eine Abkehr vom stereotypen Ideal-Bild des Cowboys lockten die Zuschauer ins Kino. Ein neuer Weg war gewiesen und der Western-Held ohne Vergangenheit, gar ohne Namen, war geboren. Sam Peckinpah folgte mit „The Wild Bunch“ (1969) diesem neuen Western-Weg. Beide Filme müssen als Bruch mit dem traditionellen Western verstanden werde. Auch sie greifen jedoch auf die alten Motive und den Symbolismus des Wilden Westens zurück.

Ein weiterer neuer Aspekt hält Einzug in die Western-Welt: Die bis dato versteckte Gewalt, die dem Western innewohnt und ein Teil desselben ist, wird erstmals zelebriert. Ein Grund dafür muss der Überschwang an alltäglicher Gewalt in der amerikanischen Kultur der 1960er Jahre sein. In einem Land, in dem täglich im Fernsehen zu sehen ist, wie Demonstranten in den Südstaaten niedergeknüppelt werden, kann sich ein ohnehin gewaltbereites Genre nicht verschließen und folgt dem vorgegebenen Pfad.

In den folgenden Jahren gelang dem Western-Genre jedoch abermals wenig neues. Die Zahl der Produktionen sank weiter, und mit dem finanziellen Debakel von Michael Cimino’s „Heavens Gate“ (1980) war der Western abermals totgeglaubt. Hollywood verschloss sich den Helden zu Pferde und besann sich auf Action-Streifen. Moderne Film- und Special-effects-Technik schien das Ende des Westerns zu besiegeln, der ja ohne die technischen Raffinessen auskam. Die moralischen und soziologischen Werte des Western- Helden fanden ihren Fortbestand in den neuen Genres. Die neuen Helden der „Star Wars“-Trilogie etwa oder auch „Rocky“ verkörpern den Fortbestand der Moralvorstellungen des Westerns.

Erst ab Mitte der 1980’er Jahre schien man sich erneut auf den Western zu besinnen: Die Eastwood-Produktion „Pale Rider“ und Kasdans „Silverado“ (beide 1985) belebten das Genre leicht. Aber erst „Young Guns“ (1988), gern als „Yuppie-Western“ bezeichnet, und Kevin Costners „Dances With Wolves“ (1991) zogen die Zuschauer wieder zu Tausenden in die Kinos, ohne den klassischen Western zu kopieren.

Uwe Wolfrum prägte für diese noch heute anhaltende Phase des Hollywood-Western den Begriff „Neo-Western“3, da auch er völlig veränderte Motive und Funktionen erkennt, die die Western-Produktionen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre klar vom klassischen, aber auch vom Spätwestern abtrennen.

2. DER NEO-WESTERN

Bereits mit „Silverado“, der in der internationalen Kritik wenig Anerkennung fand, zeichneten sich die ersten Tendenzen ab, die den Neo- Western bestimmen sollten: Voller Action reiten die Protagonisten durch eine klischee-behaftete Westernwelt, um eine Spur der Vernichtung und Gewalt zu hinterlassen.

Cristoph Cains „Young Guns“ und dessen Nachfolger „Young Guns II“ (1990, Regie: Geoff Murphy) begingen einen anderen Weg des Neo-Western. Bestückt mit den jugendlichen Helden des neuen Hollywood scheint es, als wäre ein Jugendfilm von den Straßen der Bronx in die Wüste verlegt worden. Rockmusik unterlegt die zahlreichen blutigen Schießereien. Gedreht für die Sehnsüchte und Bedürfnisse des „MTV-Publikums“ waren beide Filme finanzielle Erfolge - und der Bon-Jovi-Song „Blaze Of Glory“ tönt noch heute aus den Lautsprechern vieler Radios.

Interessanterweise ist der Kampf um Land, der noch zentrales Thema vieler Siedler- und Pionierfilme war, einem sozialen Kampf um Gerechtigkeit gewichen.4 In einer Phase, wo sich die mythische Frontier der amerikanischen Kultur verändert hat von einer Herausforderung in der Land- und später der Weltall-Eroberung zu einer sozialen Herausforderung der Gesellschaft, hält eben dieses Muster auch Einzug in den Western. Die Herausforderungen der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation weichen den Herausforderungen sozialer Ungerechtigkeit. Auch der Kampf gegen die „wilden“ Indianer ist kein Bestandteil des Neo-Western. Eher noch wird immer häufiger auf das zugefügte Leid aufmerksam gemacht.

Seine Krönung der „Political Correctness“ erlebt der Western indes 1991 mit Kevin Costners Regiedebüt „Dances With Wolves“. Es geling Costner mit diesem Film das für Kritiker und Branchenkenner nicht vorstellbare: In einer Zeit, in der der Western tot gesagt ist, kann Costner das Genre wiederbeleben mit einem Film, der über drei Stunden lang ist und zum Grossteil in der Sioux- Sprache Lakota (mit Untertiteln) gesprochen ist. Zum grandiosen Erfolg dieses Filmes (immerhin gewann er sieben Oscars) trug sicherlich dessen Darstellung der Unterschiede zwischen einer maroden und irrsinnigen weißen Gesellschaft und deren „heiles“ indianisches Gegenstückes bei.

Die Welle der Neo-Westernproduktionen hielt dann bis Mitte der 1990’er Jahre weiter an und brachte neue interessante Filme auf die Kinoleinwand. Zum einen entwickelte sich ein Zweig der Neuerzählung traditioneller Western-Helden und -epen - zumeist jedoch aufgepeppt durch wilde Schießereien und moderne Musik - wie etwa „Tombstone“ (1994) von George Pan Cosmatos und Kasdan’s „Wyatt Earp“ (1994).

Zum anderen eroberten jedoch völlig neue Figuren den Western: 1993 entstand mit „Posse“ ein Western, dessen Augenmerk sich auf afro- amerikanische Siedler richtete. Und um der „Quotenregelung“ gerecht zu werden, kam dann 1994 mit „Bad Girls“ (Jonathan Kaplan) auch endlich ein Western in die Kinos, der den Frauen das Recht auf eine „revenge story“ im Sattel einräumte.

3. DER WESTERN ZWISCHEN TRADITION UND ABKEHR: „LAST MAN STANDING“

1995 erschien mit Walter Hill’s „Last Man Standing“ ein sehr interessanter Neo-Western in den Kinos. Ohne die traditionellen Motive zu verneinen zeigt dieser Film abermals neue Wege für den Western auf.

Basierend auf den Samurai-Film „Yojimbo“ (1961) von Akira Kurosawa, der bereits Grundlage für Segio Leone’s „Für eine Handvoll Dollar“ war und natürlich in Referenz zu diesem Spätwestern, , aber auch in klarer Verbindung zu Dashiel Hammett’s „Red Harvest“ (1928) erzählt der Film die Geschichte von „John Smith“ (gespielt von Bruce Willis), einem vom Gesetz Verfolgten, der 1931 auf dem Höhepunkt der Prohibition auf dem Weg nach Mexico durch die kleine Stadt Jericho kommt. Hier trifft er auf zwei rivalisierende Bootleg-Banden, einen korrupten Sheriff, auf Huren und Verrückte - kurzum auf eine gesetzlose und marode Gesellschaft fernab der vertrauten Großstadt. In der Hoffnung auf das schnelle Geld heuert Smith bei beiden Banden als Schütze, Leibwächter und Lieferant wichtiger Informationen an, um die beiden rivalisierenden Mächte auszuspielen. Erst zu spät stellt er fest: Man kommt nie mit heiler Haut davon. Und sein Schicksal - wie vom Sheriff vorausgesagt - sind die Frauen. Bei dem Versuch, den schwachen Frauen der Gangster-Bosse zu helfen, gerät er selbst in die Mühlen der Gewalt. In einem mächtigen Rachefeldzug und durch das gekonnte Ausspielen der beiden Rivalen gegen einander gelingt es ihm, die Schmugglerbanden auszulöschen, um als geschlagener Mann in sein Auto zu steigen auf dem Weg ins nirgendwo.

Bereits die erste Einstellung des Filmes erinnert an den klassischen Western. Kam der Held hier meist auf dem Pferd durch die Wüste in die Stadt (eine Erinnerung an Peckinpah’s „The Wild Bunch“?), sehen wir Willis in einem Auto auf staubiger Straße fahren. Er hält an einer Weggabelung, steigt aus, dreht eine Flasche, steigt ein und nimmt den zufällig gewiesenen Weg. Das Freiheitsmotiv, die Ziellosigkeit des Westernhelden, seine Heimatlosigkeit und die Zufälligkeit der nun folgenden Erzählung finden hier ihre Symbiose mit moderner Technik, eingebettet in die traditionelle Landschaft des Western.

Ganz in der Tradition von „A Fistful of Dollars“ verkörpert Bruce Willis den Anti-Helden der Geschichte. Sein Namen (immerhin hat er einen) ist offensichtlich angenommen. Er hat keine Vergangenheit, er denkt nicht an die Zukunft. Er redet wenig, er scheint ohne Moral. Und doch kann der Zuschauer mitfühlen, trotz der exzessiven Gewalt des Filmes, die ein so wichtiger Bestandteil ist und geradezu zelebriert wird. Die klassischen Motive des Western werden skrupellos adoptiert: Smith erschießt die Bewacher der zu befreienden Frau, ohne selbst verletzt zu werden. Man fühlt sich während des ganzen Filmes an Clint Eastwood erinnert.

Die zum Anfang herausgestellten Werte und moralischen Vorstellungen des Western-Helden werden, wenn auch durch einen kratzbürstigen Helden verkörpert, doch weitergetragen. Smith erscheint als einzige Person des Plots trotz seiner Fehler als menschlich. Er kümmert sich um die Freundin des Gangster-Bosses, er nimmt Ordnung und Gerechtigkeit in die eigenen Hände und bereinigt die Stadt ohne Rücksicht auf sich selbst.

Trotzdem verkörpert auch Smith weiterhin die klassischen Werte des Western: Er ist aufrecht, aber nicht makellos. In einer völlig gesetzlosen Stadt ist Smith zumindest das zivilisatorische Gegengewicht. Seine Käuflichkeit scheint begründbar und deshalb entschuldbar. Interessanterweise wird - wie bei Leone’s „ A Fistful... “ das verdiente Geld nie ausgegeben, es erscheint nicht einmal im Bild.

Bruce Willis gelingt es sehr gut, die Ambivalenz des Western-Helden darzustellen: Zum einen die harte Schale der Gewalt, dem Mord nicht fremd st und der nicht vor dem Kampf zurückschrickt, zum anderen jedoch seine Schwäche für die Frauen im Film. „Ich bin eben ein netter Kerl. Ein lieber Kerl“, sagt er an einer Stelle im Film, und man möchte es ihm fast glauben, wären da nicht die exzessiven Gewaltszenen.

Einen Beitrag zur Zwiespalt des Protagonisten leistet die filmische Gestaltung: Die Stimme Willis’ begleitet aus dem Off den ganzen Film, sie dient als Narration und Einblick in den Charakter des Mannes. Und so kann es sein, dass er eine Schießerei völlig unbekümmert kommentiert.

Die Ambivalenz des Western-Helden ist ein typisches Element der Hollywood-Kultur, welches den inneren Konflikt repräsentiert. Interessant ist jedoch hier der Ausgang von „Last Man Standing“: Während der Held des klassischen Western meist geläutert aus den Konflikten hervorgeht, ist dies hier nicht schlüssig zu erfahren. Willis’ gibt einen Helden, dem in der nächsten Stadt ähnliches widerfahren kann. Auch die Liebe einer Frau - meist zentrales EndElement der „Outcast“-Filme, ist ihm nicht gewiss.

Aber John Smith verkörpert auch einen kulturellen Konflikt, den man als nahezu traditionell bezeichnen kann: Sein Tun ist unrechtmäßig, und doch gerechtfertigt, da das Gesetz nicht eingreift. Im Interesse der Menschlichkeit und der Gesellschaft übt er seine Gewalt-Exzesse aus, um Recht und Ordnung in der Stadt herzustellen. Politisch gewachsene Strukturen tragen nicht zum Selbsterhalt der Gesellschaft bei und müssen daher verworfen werden, um Platz zu schaffen für persönliche Konfliktlösungen. Die Unfähigkeit des Gesetzes ist allgegenwärtig im Film: Trinkende Ranger, bestechliche Sheriffs, mordende Grenzpatrolien. Und doch hilft der Sheriff Smith zum Schluss, sein „Werk“ zu beenden. Warum, wird nie ganz klar.

Die Gewalt-Darstellung selbst ist wenig apologetisch als vielmehr eine Inszenierung. In Zeitlupe wird genüsslich gemetzelt, werden Waffen nachgeladen, Abzüge betätigt. Sein ultimatives Gewalt-Inferno erlebt der Film, als der Treffpunkt einer Bootleg-Bande angezündet wird: Wer flüchtet, wird erschossen, wer nicht rennt, verbrennt. Ein Aufgeben, wie es die Ehre gebietet, gibt es nicht.

Der Film lebt indes von der Ehrlosigkeit ALLER Beteiligten, was ihn vom klassischen Western abgrenzt. Selbst Smith, der offensichtlich Sympathieträger für das Publikum ist, kann sich nur selten zu einem Funken Ehre durchringen, nämlich dann, wenn es um die Frauen im Film geht. Ansonsten verkauft er sich an beide Seite und sagt selbst: „Ich bin ohne Gewissen auf die Welt gekommen.“

Der Zuschauer hat es schwer, sich mit Smith zu identifizieren, was ihm eine gewisse Distanz zum Film gibt. Man lebt nicht mit dem Film, man beobachtet, geführt von der Stimme aus dem Off, ein Ereignis unbeteiligt, ohne für die Personen mitzufühlen.

Nicht zuletzt die filmische Gestaltung trägt zum Gefühl des Zuschauers bei: Schlagschatten und eine schlechte Ausleuchtung während der Nahaufnahmen von Willis, ein Gelbfilter während der Wüstenaufnahmen, düstere Musik im Western-Stil von Ry Cooder, die bereits erwähnte Stimme aus dem Off: Alles sorgt für eine düstere Beobachter-Perspektive. Man spürt förmlich den Staub der Wüste auf der Haut und möchte um nichts auf der Welt mit Willis tauschen. Wozu auch? Seine Position ist eine unschöne, die Stadt unwirtlich.

Trotz der neuen Erzählperspektive also, trotz einer Verlegung des Westerns in modernere Zeiten, trotz der noch exzessiveren Gewalt und auch trotz des sympathisch unsympathischen Protagonisten ist auch dieser Neo- Western keine Absage an die traditionellen Western-Werte. Sie werden raffinierter verpackt, gar versteckt vor dem Zuschauer, aber nicht revidiert.

Auch Smith verkörpert weiterhin die Freiheit des Westens, das Bewusstsein des „Selbst-in-die-Hand“-Nehmens, den inneren Konflikt aus Rachemotiv und moralischer Selbstzüchtigung.

4. ZUSAMMENFASSUNG

Mit dem Neo-Western erlebt das Western-Genre eine abermalige Veränderung, um den Fortbestand zu sichern. Spätestens mit den Filmen der 1960er und 1970er Jahre schien eigentlich - und wieder einmal - das Genre erschöpft, die Mythen ausgelaugt. Und doch gelang es durch weitreichende Veränderungen der Erzählstruktur, den Western mit seinen traditionellen Werten und der moralischen Inkarnation des Cowboys wiederzubeleben. Einen großen Beitrag dazu leistete Costner’s „Dances With Wolves“ und viele andere Filme folgten. Ob der Trend anhält, bleibt abzuwarten.

Walter Hill’s „Last Man Standing“ indes ist ein sehr gutes Beispiel für die traditionelle Revision des Westerns. Basierend auf der oft erzählten Geschichte vom Gesetzlosen ohne Namen und Vergangenheit, der Recht und Ordnung in eine noch gesetzlosere Stadt bringt, verbindet der Film den traditionellen Western-Helden mit Mitteln des modernen Hollywood-Kinos. Sowohl die Einflüsse der alten Western-Filme (sehr witzig in Form des Leichenbestatters, der Smith immer grüßt, wenn dieser vorbeikommt) als auch die moderne Erzählstruktur des Hollywood der 1990er Jahre haben in diesem Film eine - manchmal umstrittene - Symbiose gefunden. Das Auto ersetzt das Pferd, die Rechtlosigkeit der Frontier wird ersetzt durch die Rechtlosigkeit der Prohibitions-Zeit. Der Protagonist will telefonieren, aber die Stadt verkörpert noch eine Western-Stadt im traditionellen Sinne.

Und selbstverständlich haben sich weder die Konfliktfelder des Genres noch der Personenkreis verändert, sie sind vielmehr in eine andere Zeit transformiert. Der Mythos des Helden zeigt Risse, aber das tat er bereits bei Ford, Leone und Peckinpah. Vielmehr knüpft der Neo-Western hier an, verstärkt die Konfliktfelder noch und untermauert sie mit den experimentellen Mitteln des Kinos (Nahaufnahmen, Filter, Musik,...). Interessanterweise kommt der Western immer noch ohne Special-Effects aus, sondern lebt weiterhin vom Schwerpunkt auf die Personen der Handlung.

Gesetzlosigkeit vs. Moral, Rache vs. Selbstbeherrschung und die resultierenden Charaktere werden auch weiterhin ihren Fortbestand in der amerikanischen Kultur finden. Sie werden neu erzählt, anders verpackt, dem Bedarf der Unterhaltungsindustrie angepasst, aber doch erhalten. Und warum auch nicht? Sie sind fest verankerter Bestandteil amerikanischer Kultur und werden es bleiben. Der Prozess der Mannwerdung, der im Western so verbunden ist mit Gewalt und Moralbildung wird uns auch weiterhin beschäftigen und interessante Filme bieten. Aufgrund seiner simplen Basis, die immer wieder erzählt werden kann, ist der Western und die darin verankerten kulturellen Werte zwar in der Erzählstruktur einem immer währenden Wandel unterworfen, sein Fortbestand scheint jedoch gesichert.

BIBLIOGRAPHIE

BOYER, PAUL S. ET AL. : «The Enduring Vision ». A History of the American People. Concise Third Edition.Boston: Houghton Mifflin Co., 1998. S. 286.

MITCHELL, LEE C.: Westerns: Making the Man in Fiction And Film. Chicago: The University Of Chicago Press, 1996: S. 27.

WOLFRUM, UWE: Der NeoWestern: Zwischen Tradition und Revision. Alfeld/Leine: Coppi Verlag, 1996: S. 10.

FILMOGRAPHIE

Basis für diese Arbeit waren u.a. folgende Filme:

COSTNER, KEVIN: “Dances With Wolves” 1991)

FORD, JOHN: “The Man Who Shot Liberty Valence” (1962)

HILL, WALTER: „Last Man Standing“ (1995)

Leone, Sergio: “A Fistful of Dollars” (1967)

“For A Few Dollars More” (1969)

PECKINPAH, SAM: “The Wild Bunch” (1969)

[...]


1 Boyer, Paul S. et al. : «The Enduring Vision ». A History of the American People. Concise Third Edition. Boston: Houghton Mifflin Co., 1998. S. 286.

2 Mitchell, Lee C.: Westerns: Making the Man in Fiction And Film. Chicago: The University Of Chicago Press, 1996: S. 27.

3 Wolfrum, Uwe: Der NeoWestern: Zwischen Tradition und Revision. Alfeld/Leine: Coppi Verlag, 1996: S. 10.

4 Wolfrum, Uwe (1996): S. 24.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der Cowboy im Neo-Western am Beispiel von Walter Hill`s "Last Man Standing"
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
PS amerk. Filmgeschichte
Note
1.0
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V100254
ISBN (eBook)
9783638986830
Dateigröße
365 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Prüfer: Eine gute Kenntnissreiche Arbeit.
Schlagworte
Cowboy, Neo-Western, Beispiel, Walter, Hill`s, Last, Standing, Filmgeschichte
Arbeit zitieren
Hardy Puls (Autor:in), 2001, Der Cowboy im Neo-Western am Beispiel von Walter Hill`s "Last Man Standing", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100254

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