Die Jüdische Chronik. Der Entstehungsprozess der Gemeinschaftskomposition unter besonderer Berücksichtigung der Problematik des Ost-West-Konflikts in Deutschland ab 1959/1960


Hausarbeit, 2018

10 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe

Inhalt

Einleitung

2. Entstehung
2.1 Die Aufführungen

3. Aufbau
2.1 Inhalt
2.2 Besetzung

Der Einfluss des Ost-West-Konflikts

Schluss

Quellen- & Literaturverzeichnis

Einleitung

In der folgenden Arbeit beschreibe ich zunächst den Entstehungsprozess der Gemeinschaftskomposition Jüdische Chronik. Sie stellt, neben bekannten Bühnenstücken aus der Zeit, wie etwa Rolf Hochhuths Der Stellvertreter (1963) und Peter Weiss Die Ermittlung' (1965), einen wichtigen Teil im Hinblick auf die Vergangenheitsbewältigung im Bereich der Kunst dar.

Musikalisch wird der Diskurs um die 'unbewältigte' Vergangenheit und den erneut aufkeimenden Antisemitismus in der Komposition Jüdische Chronik (1960) evident.1

Während der Recherche zu der vorliegenden Hausarbeit wurde schnell deutlich, dass der, sich vor allem durch den Bau der Berliner Mauer im August 1961 zuspitzende, OstWest-Konflikt in Deutschland einen erheblichen Einfluss, sowohl auf die Entstehung als auch auf die Aufführung sowie die Rezeption des Werkes hatte. Der letzte Punkt geriet hier jedoch zwecks Eingrenzung der Fragestellung in den Hintergrund. Unter fortwährender Berücksichtigung dieses Aspekts stelle ich zunächst die Entstehungsgeschichte der Chronik dar, bevor dann die Ereignisse rund um die (Ur- )Aufführungen thematisiert werden. Im weiteren Verlauf gehe ich allgemein auf den Aufbau Inhalt der Jüdische[n] Chronik, der dann im Weiteren zum allgemeinen Verständnis um eine Skizzierung des Inhalts und der Besetzung ergänzt wird. Die, sich, wie ein roter Faden durch die Arbeit ziehende Ost-West-Thematik wird dann im vorletzten Teil noch einmal detaillierter beleuchtet. Welche Rolle spielt die unterschiedliche Herkunft der fünf Komponisten und des Autors? Und welche Relevanz hatte deren Zusammenarbeit über das eigentliche Ziel des Werkes, nämlich den Prostest gegen den aufkommenden Antisemitismus, hinaus?

2. Entstehung

In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1959 wurde die frisch restaurierte Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen beschmiert. Dies war der Anfang einer antisemitischen Serie, in deren Folge Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen umgestoßen und Synagogen verunstaltet und beschmiert wurden. Die Täter, hauptsächlich Jugendliche und junge Erwachsene wurden verhaftet und dessen Handlungen in 685 Fällen von der westdeutschen Polizei als antisemitische Straftaten eingestuft. Von diesen Nachrichten im höchsten Maß beunruhigt, beschloss der jüdische Komponist Paul Dessau einen musikalischen Weckruf, als einen Ausdruck des sozialen Protests und der Warnung vor einem erneut aufkeimenden Antisemitismus, zu arrangieren. Dessau, der den Krieg im amerikanischen Exil überlebte, komponierte das Werk gemeinsam mit Kollegen aus West- und Ostdeutschland. Er war die treibende Kraft und wirkte als Initiator der Idee. So war die Jüdische Chronik „keine Auftragskomposition, sondern „eine spontane Idee anläßlich der ersten Zeichen von Antisemitismus“ (Zitat Henze).2 Im Westen lebten zu der Zeit, die beteiligten Komponisten Boris Blacher, Karl Amadeus Hartmann und Hans Werner Henze. Blacher war ebenfalls Jude, weshalb ihm die Nationalsozialisten seine Lehrlizenz in Komposition entzogen. Auch Hartmann galt als „'Neinsager' unter den deutschen Komponisten [...], der Verbindungen zu Widerstandskreisen hatte und seiner Musik verschlüsselte Oppositionsbotschaften mitgab.“3 Henze wanderte 1953 unter anderem wegen seiner Homosexualität ins Exil nach Italien aus und trat dort der Kommunistischen Partei bei. Paul Dessau selbst sowie der Komponist Rudolf Wagner- Régeny hingegen lebten im Ostteil Deutschlands. Der Hamburger Lyriker Jens Gerlach, der als Einziger für den Text zuständig war, ging 1953 als 'Pazifist, Lyriker und Hafenarbeiter' von West- nach Ostdeutschland „[...] wo er im Kreis um Paul Dessau, der sich in Zeuthen bei Berlin versammelte, verkehrte.“4.

Jens Gerlach erzählte im Rückblick wie er bei einem Krebsessen in Zeuthen den Anstoß für die Jüdische Chronik gab, [...] und wir überlegten: Wen beteiligen wir an dem Gemeinschaftswerk [...]. Er [Dessau] wollte die Geschichte der Juden in den KZs schreiben. Dessaus Mutter ist in Theresienstadt vergast worden, sein Vater war ein jüdischer Vorsänger. Paul Dessau - ich habe so ziemlich sein ganzes ffiuvre uraufgeführt.5

Die Komponisten und Jens Gerlach eint neben einer freundschaftlichen Beziehung, das humanistische Engagement und eine damit einhergehende antifaschistische Haltung.

2.1 Die Aufführungen

Die geplante Doppelpremiere im Oktober 1961, die in Köln und Leipzig stattfinden sollte, wurde Seitens der Westdeutschen Komponisten als Reaktion auf den Mauerbau im August des Jahres sowie den anstehenden Eichmann-Prozess in Jerusalem, abgesagt. Dessaus Appell an seine Kollegen ein halbes Jahr zuvor blieb ungehört: „Das Stück muss spätestens im Mai heraus. Mit dem Eichmann-Prozess hat es alle Menschen zu treffen, die drohen, einzuschlummern in ihrem Saft“6

Die Uraufführung im Westen Deutschlands war als Teil der 1951 gegründeten Konzertreihe Musik der Zeit des Westdeutschen Rundfunks geplant. Die Proben sowohl für die Aufführung in Köln unter dem polnischen Dirigenten Witwold Rowicki als auch in Leipzig waren zu diesem Zeitpunkt bereits in vollem Gang. Dessau ließ sich jedoch nicht von seiner Überzeugung abbringen, dass die Chronik in beiden Teilen Deutschlands zur Aufführung gebracht werden müsste. So schrieb er in einem Brief an Blacher: „Lieber Blacher! Die 'Chronik' wurde nicht in 'ruhigen Zeiten' geschrieben. Wir haben sie geschrieben, damit ruhigere Zeiten kommen sollen.“7 Schließlich beschloss man die Uraufführung auf einen unbestimmten Zeitpunkt zu verschieben. Fünf Jahre später, kam es dann am 14. Januar 1966 zur Premiere in Köln an der auch Dessau und Blacher teilnahmen. Karl Amadeus Hartmann hatte keine Möglichkeit mehr die Umsetzung des Werkes mitzuerleben, denn er starb 1963 in München. Im Rahmen der Konzertserie Musik der Zeit wurde die Gemeinschaftskomposition vom Kölner Westdeutschen-Sinfonieorchester unter der Leitung von Christoph von Dohnanyi uraufgeführt. Wenn auch nicht zeitgleich, wie ursprünglich geplant, kam es einen guten Monat später am 16. Februar 1966 auch in Leipzig zur Aufführung der Jüdische(n)

Chronik durch das Rundfunk-Sinfonieorchester und den Rundfunkchor Leipzig unter dem Dirigat von Herbert Kegel.

3. Aufbau

Gemeinschaftskompositionen fallen in der musikalischen Einordnung oft in die Gattung 'Kuriosita'. Um diese Verbindung in Bezug auf die Ernsthaftigkeit des im Werk behandelten Themas ausschließen zu können, entschieden sich die fünf Komponisten und der Dichter Jens Gerlach für eine zyklische Komposition. Von höchster Wichtigkeit hierbei ist die Gestaltung einer Einheit. Sowohl die Tatsache, dass der Text von ausschließlich einem Autor verfasst wurde als auch dessen klare und schlüssige Gliederung spielen diesbezüglich bereits eine wichtige Rolle. Als ein weiteres Indiz für eine, in sich abgeschlossene Einheit kann die formale Klammer, die Prolog und Epilog bilden, gesehen werden. Der Epilog beginnt mit dem ersten Textteil des Prologs:

Dies geschieht heute:

Auf den Planken vor den Neubauten, die errichtet werden über den Resten des Krieges, finden sich schwarze Kreuze, jedes ein vierfacher Galgen. An den Mauern der wenigen Synagogen sehen die Vorbeigehenden die mißbrauchten Sterne Davids.8

Zudem lässt sich eine Ähnlichkeit im Kompositionsstil der fünf Komponisten feststellen, die alle geprägt sind durch die zweite Wiener Schule. Auch die fast tonlose Ausgestaltung sowohl des ersten Satzes Prologs 'Dies geschieht heute' als auch der, vom Chor fast tonlos widergegebene letzte Satz des Prologs 'Seid wachsam!

[...]


1 Gerlach, Katrin: Die Jüdische Chronik (1960) - Antisemitismus in der musikalischen Kritik in: Musik - Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkulturen. Bericht über den XIV. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung vom 28. September bis 3. Oktober 2008 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig, hrsg. von Helmut Loos, Bd. 4: Musik - Stadt. Freie Beiträge, hrsg. von Katrin Stock und Gilbert Stock, Leipzig 2012, S. 338 - 339

2 Dreyer, Lutz: Jüdische Chronik: Fünf Komponisten schreiben ein zyklisches Werk in: Birtel, Wolfgang, Dorfmann, Josef, Mahling, Christoph-Hellmut (Hrsg.): Jüdische Musik und ihre Musiker im 20. Jahrhundert: [Bericht über ein Symposium (Mainz 1998)], S. 1-3

3 Ross, Alexis: The rest is noise, Februar 2013 München, S. 358

4 Eisele Theresa: Unerwünschte Uraufführungen: Das deutsche Miserere und die jüdische Chronik 1966 in Leipzig in: Raphael Gross (Hg.): Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts / Simon Dubnow Institute Yearbook XIV/2015, 1. Auflage 2015, S. 214

5 Eisele Theresa: Unerwünschte Uraufführungen: Das deutsche Miserere und die jüdische Chronik 1966, S. 215

6 Ebd., S. 213

7 Ebd., S. 214

8 Dreyer, Lutz: Jüdische Chronik: Fünf Komponisten schreiben ein zyklisches Werk in: Birtel, Wolfgang, Dorfmann, Josef, Mahling, Christoph-Hellmut (Hrsg.): Jüdische Musik und ihre Musiker im 20. Jahrhundert: [Bericht über ein Symposium (Mainz 1998)], S. 24 - 30

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Details

Titel
Die Jüdische Chronik. Der Entstehungsprozess der Gemeinschaftskomposition unter besonderer Berücksichtigung der Problematik des Ost-West-Konflikts in Deutschland ab 1959/1960
Hochschule
Universität zu Köln
Note
2,0
Jahr
2018
Seiten
10
Katalognummer
V1003247
ISBN (eBook)
9783346380135
Sprache
Deutsch
Schlagworte
jüdische, chronik, entstehungsprozess, gemeinschaftskomposition, berücksichtigung, problematik, ost-west-konflikts, deutschland
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Die Jüdische Chronik. Der Entstehungsprozess der Gemeinschaftskomposition unter besonderer Berücksichtigung der Problematik des Ost-West-Konflikts in Deutschland ab 1959/1960, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1003247

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