Die Entstehung der Republik Österreich


Facharbeit (Schule), 2001

10 Seiten, Note: 1


Leseprobe


DIE ENTSTEHUNG DER REPUBLIK

Das Attentat von Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 und das ihm folgende Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien stehen am Beginn des Zusammenbruchs der „Welt von gestern“. Die im Ze italter des Imperialismus geschlossenen Bündnisverträge zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien einerseits und Frankreich, Rußland und England anderseits haben den österreichisch-serbischen Krieg sofort zu einem europäischen und schließlich zu einem Weltkrieg ausgeweitet. Italien allerdings blieb zunächst neutral. 1915 schloß es sich aufgrund der Versprechungen des Londoner Vertrages - unter anderem der Erwerbung Südtirols bis zum Brenner - der Entente an. Das bedeutete für die Mittelmächte eine n Dreifrontenkrieg, wobei die Südfront vor allem von den Soldaten der Habsburgermonarchie gehalten werden mußte.

Der Tod des Kaisers im November 1916 galt sozusagen als das Symbol des Unterganges.

Der junge Kaiser Karl, durch die Ermordung Franz Ferdinands viel rascher zur Thronfolge gelangt, als auch er selbst je erwartet hatte, war vom Antritt seiner Regierung an von aufrichtiger Sehnsucht nach Frieden erfüllt.

Seine Bemühungen um eine österreichischen Separatfrieden, bei denen er sich der bourbonische n Verwandten seiner Frau bediente, entbehrten allerdings der notwendigen Basis. Ihr Scheitern band die Doppelmonarchie nur noch fester an den deutschen Bundesgenossen, der aufgrund seiner militärischen Erfolge bereits den Weg zur Weltmacht offen sah. Der „Brotfriede“ von Brest-Litowsk, den die nach dem Sturz des Zaren durch die Oktoberrevolution von 1917 an die Macht gelangte bolschewistische Regierung Rußlands im Frühjahr 1918 mit den Mittelmächten schloß, erleichterte deren militärische und wirtschaftliche Lage nur unbedeutend.

Der im Frühjahr 1917 erfolgte Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg auf seiten der Entente hatte diesen schon zu deren Gunsten entschieden. In Österreich war es im Jänner 1918 erstmals zu einem großen Streik der hungernden Arbeiterschaft gekommen, der übrigens auch beim Kaiser Verständnis fand. Im Februar revoltierte ein Teil der Kriegsmarine im Cattaro, und in Prag kam es zu Unruhen. Im August und September 1918 brachen infolge der Übermacht der an Soldaten und Kriegsmaterial überlegenen Gegner die West- und die Balkanfront zusammen. Zu dieser Zeit votierten bereits die Tschechen durch ihre politischen Führer in Paris und in Prag für die Errichtung eines selbständigen tschechoslowakischen Staates.

Anfang Oktober richteten die Mittelmächte an den amerikanischen Präsidenten Wilson eine Friedensnote, in der sie sich zur Annahme der von ihm im Jänner 1928 proklamierten 14 Punkte und damit zur Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker bereit erklärten. Die Note wurde jedoch von Wilson mit der Begründung abgelehnt, daß die bloße Gewährung der Autonomie für die Südslawen zuwenig sei. In dieser Zeit der beginnenden Auflösung des Teiches erließ Kaiser Karl am 16. Oktober 1918 ein von seinem Ministerpräsidenten entworfenes Manifest, in dem er das Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten zur Grundlage der föderativen Neuordnung der Monarchie erklärte:

„Österreich soll, dem Willen seiner Völker gemäß, zu einem Bundesstaat werden, in dem jeder Volksstamm auf seinem Siedlungsgebiet sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet...“

Der Umbau der Monarchie zu einem Bundesstaat wäre schon seit dem Ausgleich mit Ungarn, also seit 1867, fällig gewesen - nun war es zu spät. Das Manifest konnte den Zerfall der Monarchie nicht mehr verhindern, es hat ihn im Gegenteil sogar noch beschleunigt. In allen ehemaligen Kronländern konstituierten sich nationale Vertretungskörper, und in der Armee wurde die Wahl von Soldatenräten zugelassen. Auch in Österreich bildeten die Reichsabgeordneten des geschlossenen deutschen Siedlungsgebietes am 21. Oktober in Wien die Provisorische Nationalversammlung des selbständigen deutschösterreichischen Staates. Sie bestand aus 101 Abgeordneten des früheren Nationalverbandes (Deutschnationale und Liberale), 70 Christlichsozialen und 39 Sozialdemokraten.

In dieser ersten Sitzung der provisorischen Volksvertretung stand die Frage der Form des neuen Staates - Monarchie oder Republik - noch gar nicht im Vordergrund der Beratungen. Die Sprecher der Christlichsozialen und des Nationalverbandes plädierten sogar für ein Festhalten an der Monarchie. Für die Sozialdemokraten erklärte deren Führer Viktor Adler, daß der neue Staat demokratisch gestaltet sein müsse. Das oberste Ziel der Sozialdemokraten sei zwar selbstverständ lich die Republik, aber über diese Frage müsse die Konstituierende Nationalversammlung entscheiden. Deutschösterreich sei jedenfalls bereit, sich mit anderen Völkern der Monarchie zu einem freien Völkerbund zu vereinigen. Sollte dieser nicht zustande kommen, müßte sich Deutschösterreich als Sonderbundesstaat dem Deutschen Reich anschließen.

Die Deutschnationalen, die die radikale Abneigung ihres Parteigründers Georg von Schönerer gegen das Haus Habsburg getreulich hegten, und einige liberale bürgerliche Ab geordnete verlangten als erste die Ausrufung der Republik. Gegen jeden Staatenbund als Fortsetzung der Monarchie wandten sich die Sprecher der kleinen deutschösterreichischen Unabhängigkeitspartei und der im Sudetenland entstandenen DNSAP (Deutsche Nationa lsozialistische Arbeiterpartei). In ihrem Namen rief schon in der Geburtsstunde des neuen Österreich der Abgeordnete Hans Knirsch:

„Nur im deutschen Einheitsstaat können wir Ostmarkdeutsche die baldige Verwirklichung jener staatsrechtlichen Grundsätze erhoffen, welche die Wunden des Krieges heilen und unser 80 Millionen Volk der Arbeit und Tätigkeit einer glücklichen Zukunft entgegenführen wird.“

Nach diesen Enuntiationen wählte die Provisorische Nationalversammlung einen aus 20 Mitgliedern bestehenden Vollzugsausschuß mit voller Regierungsgewalt, der später Staatsrat genannt wurde, und beschoß die Errichtung eines selbständigen deutschösterreichischen Staates für das ganze deutsche Siedlungsgebiet der Monarchie einschließlich Südtirols und des Sudetenlandes. So wie 1945 haben also auch damals die politischen Parteien bzw. deren Vertreter den Staat geschaffen, in dessen Verfassung sie dann nicht verankert wurden, worin man mit Recht einen wesentlichen Grund für die Divergenz zwischen der Verfassungsnorm und der Verfassungswirklichkeit sieht.

Im Vollzugsausschuß fielen in der Folge auch alle wichtigen politischen Entscheidungen, während die vom Kaiser am 27. Oktober ernannte Regierung des Ministerpräsidenten Heinrich Lammasch, eines international angesehene n Völkerrechtlers, auf Anregung des Staatsrechtlers Hans Kelsen nur mehr als Exekutivausschuß der Nationalitäten bei der Liquidierung des Gestamtstaates fungierte. Dieser war bereits im Zerfallen begriffen, da in rascher Folge die Tschechen, die Südslawen und zuletzt auch die Ungarn darangingen, sich selbständig zu machen und von einem Bundesstaat oder Staatenbund nichts wissen wollten. Auch in Österreich verlor dies Idee immer mehr an Boden, während die Anhänger eines Anschlusses an Deutschland ständig zunahmen. Die durch die Note des letzten Außenministers Andrássy, vom 27. Oktober an die Entente mit dem Ersuchen um Sonderfriedensverhandlungen erfolgte Lösung des Bündnisses mit dem Deutschen Reich erregte daher den Unwillen weiter Kreise der Bevölkerung.

Nun begann es auch im deutschsprachigen Gebiet, besonders in der Steiermark, unruhig zu werden. In Wien kam es am 30. Oktober vor dem Parlament zu einer Demonstration gegen die Monarchie, an der sich Deutschliberale, Sozialdemokraten und deutschnationale Studenten beteiligten, die schließlich die vor dem Parlament gehißten schwarz-gelben Fahnen herunterrissen.

Die Volksvertreter nahmen an diesem Tag die von dem Sozialdemokraten Karl Renner ausgearbeitete provisorische Verfassung an. Renner hatte bei ihr er Vorlage erklärt:

„Wir sindüber Nacht auf einmal ein Volk ohne Staat geworden.“

Die sogar im Parlament herrschende Unsicherheit dem neuen Staatsgebilde gegenüber spricht auch aus Renners Vorschlag, es als unabhängigen Freistaat „Südostdeutschland“ zu bezeichnen. In der Nacht vom 30. zum 31. Oktober bildete sich dann die erste deutschösterreichische Regierung unter der Staatskanzlerschaft Renners. Alle im Parlament vertretenen Parteien gehörten ihr an.

In den letzten Oktober- und ersten Novembertagen wurde die endgültige Trennung der Südslawen, Tschechen und Ungarn von der Monarchie vollzogen. Der Waffenstillstand mit Italien vom 3. November führte zur Räumung Südtirols bis zum Brenner. Da die Italiener außerdem durch bis heute nicht restlos geklärte Mißverständnisse und Versäumnisse in der Nachrichtenübermittlung der Österreicher volle 36 Stunden länger kämpften als diese, gerieten 350.000 Soldaten der k. u. k. Armee kampflos in italienische Gefangenschaft. Die übrigen zogen mehr oder minder geordnet nach Norden, wo sich in Tirol und Kärnten ein einigen Orten lokale Heimatwehren zum Schutz vor den eigenen Truppen bildeten.

In diese verzweifelten Situation traf in Wien die Nachricht von der Revolution in Deutschland und der Abdankung des deutschen Kaisers Wilhelm II. ein. Nun waren die österreichischen Sozialdemokraten entschieden für die Ausrufung der Republik und den Anschluß an das Deutsche Reich. Dasselbe wollten auch die Deutschnationalen und die Liberalen. Nur die Wiener Gruppe der Christlichsozialen und der Wiener Kardinal Piffl setzten sich noch für die Erhaltung der Monarchie ein. Prälat Hauser und J. Fink, die eigentlichen Führer der Partei, erklärten jedoch unter Berufung auf die Stimmung der Bauern in Tirol, Kärnten und Oberösterreich, daß die Entwicklung von einer Partei allein nicht mehr aufgehalten werden könne, und votierten ebenfalls für die Republik, Damit war die Entscheidung gefallen. Prälat Seipel, der kommende Mann der Christlichsozialen und Sozialminister im Kabinett Lammasch, änderte den von Renner, Lammasch, Innenminister Gayer und Finanzminister Redlich entworfenen Text einer Abdankungserklärung des Kaisers im Sinne eines zeitweiligen Thronverzichts und erreichte hiefür die Zustimmung des Monarchen. Am 11. November 1918 unterschr ieb der letzte österreichische Kaiser das von Lammasch gegengezeichnete formlose Blatt. Seine entscheidenden Sätze waren:

„Nach wie vor von unwandelbarer Liebe für alle meine Völker erfüllt, will ich ihrer freien Entfaltung meine Person nicht als Hindernis entgegenstellen. Im Voraus erkenne ich die Entscheidung an, die Deutschösterreichüber seine künftige Staatsform trifft. Das Volk hat durch seine Vertreter die Regierungübernommen. Ich verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften.“

Noch am selben Tag beschloß der Staatsrat gegen drei christlichsoziale Stimmen die Ausrufung der Republik und gegen eine christlichsoziale Stimme (des nachmaligen Bundespräsidenten Wilhelm Miklas) den Anschluß an das Deutsche Reich. Die Provisorische Nationalversammlung nahm die Vorlage dieser Beschlüsse am 12. November einstimmig an. Beide Beschlüsse sind von der Konstituierenden Nationalversammlung am 12. März 1919 bestätigt worden.

Am frühen Nachmittag des 12. November verkündete der erste Präsident der Provisorischen Nationalversammlung, der Großdeutsche Dinghofer, von der Rampe des Wiener Parlaments der wartenden Menge, daß Deutschösterreich eine demokratische Republik sei. Kurz darauf begann die ebenfalls auf der Rampe postierte Rote Garde, eine kleine bewaffnete kommunistische Formation, eine ziellose Schießerei. Zwei Menschen fielen ihr zum Opfer. Unter den Verletzten befand sich auch der Leiter des deutschösterreichischen Pressebüros und nachmalige Geschichtsschreiber der sozialdemokratischen Partei, Ludwig Brügel. Die Fahne mit den neuen Staatsfarben Rot-Weiß-Rot war bei ihrer Hissung heruntergerissen und ihres weißen Mittelstreifens beraubt worden. Diese Vorfälle und die eher absurden Attacken der Roten Garde auf das Schloß Schönbrunn und einige Zeitungsredaktionen, an denen sich auch der „rasende Reporter“ Egon E. Kisch beteiligte, waren die einzigen „revolutionären“ Ereignisse bei der Entstehung der Republik Österreich.

Einer ihrer bedeutendsten Geburtshelfer, Viktor Adler, der Einiger und Führer der österreichischen Sozialdemokratie, der am 11. November 1918 jäh verschied, hatte als „Hofrat der Revolution“ gegolten. Die von Karl Renner verfaßte Proklamation der Provisorischen Nationalversammlung vom 12. November enthielt zumindest für die abgeordneten mit Recht die Feststellung daß sich Bürger, Bauer und Arbeiter zusammengetan hätten, „um das neue Deutschösterreich zu begründen“.

Trotzdem haben die Arbeiter allzu bald die von ihren neuen Führern verbreitete Legende von ihrer „siegreichen Revolution“ über Gebühr strapaziert, während Bürger und Bauern ebenso rasch vergaßen, daß die Republik auch durch das Votum ihrer Vertreter zustande gekommen war.

GEFÄHRDETE DEMOKRATIE

Schon in der Proklamation der Provisorischen Nationalversammlung vom 12. November 1918 waren für den kommenden Jänner allgemeine Wahlen angekündigt worden. Sie fanden dann am 16. Februar 1919 statt. Erstmals in der Geschichte Österreichs gingen an diesem Tage auch die Frauen zur Wahlurne. Die stärkste Partei wurde mit 72 Mandaten die sozialdemokratische. Ihr folgte mit 69 Mandate die christlichsoziale, während die Deutschnationalen mit 26 Mandaten im geschlagenen Feld landeten. Auf Grund dieses Ergebnisses kann es zu einer sozialdemokratisch-christlichsozialen Koalitionsregierung unter Karl Renner. die im November 1918 entstandene kommunistische Partei hatte nicht ein einziges Mandat errungen. Die „Einheit der Arbeiterklasse“, das oberste Ziel der sozialdemokratischen Führer blieb gewahrt.

Es war dies der Erfolg der geschickten, aber nicht ungefährlichen Taktik von Friedrich Adler und Julius Deutsch gegenüber den Linksradikalen in ihrer eigenen Partei.

F. Adler, der Sohn Viktor Adlers, hatte 1916 den damaligen österreichischen Ministerpräsidenten Stürgkh erschossen und war seit seiner Rückkehr aus dem Gefängnis der vielbewunderte Heros der Partei, der auch bei den Arbeiterräten beachtlichen Einfluß besaß. Die Arbeiterräte waren nach dem Jännerstreik von 1918 entstanden und spielten in der unmittelbaren Nachkriegszeit bei der Organisierung der Arbeiterschaft eine große Rolle. Eine Reichskonferenz der Arbeiterräte beschloß am 1. März 1919, daß auch Kommunisten in den Arbeiterrat gewählt werden konnten, so daß die Grenzen ihnen gegenüber nicht mehr klar gezogen waren.

Zur Bildung von Soldatenräten war es Ende Oktober und Anfang November 1918 gekommen. Der Staatsrat dachte ihnen bald eine ordnende Funkton bei der Aufstellung der neuen Wehrmacht, der sogenannten Volkswehr, zu.

Sie haben sie und die Anordnungen des sozialdemokratischen Staatssekretärs für Heerwesen, Julius Deutsch, mehr oder minder erfüllt. Gemeinsam mit der Volkswehr, in deren 41. Bataillon die Rote Garde aufgegangen war, haben sie sich aber auch, vor allem in der ersten Hälfte des Jahres 1919, viele widerrechtliche Eingriffe in den Bereich der Exekutive angemaßt und eigenmächtig Beschlagnahmen vorgenommen. Von ihnen und den Arbeiterräten ausgesandte Rollkommandos haben vor den Februarwahlen 1919 Versammlungen der bürgerlichen Parteien gelegentlich gesprengt. Für jene Zeit gilt das Wort des den Sozialdemokraten durchaus wohlgesinnten amerikanischen Historikers Gulick in besonderem Maß:

„Die Position der Sozialdemokraten im Parlament wurde ständig durch Kräfte außerhalb des Parlaments gestärkt.“

Das Bürgertum und der kleine Mittelstand haben damals tatsächlich des öfteren die „rote Herrschaft über die Straße“ erlebt. Die Erinnerung daran ist ihnen als Trauma geblieben. Es hat ihre Haltung gegenüber dem politischen Gegner noch bestimmt, als dieser schon längst nicht mehr die Straße beherrschte, oder besser gesagt: es ist erst dann voll zur Wirkung gekommen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war nämlich doch noch die Erinnerung daran wach, daß nicht zuletzt die Sozialdemokraten Österreich das Schicksal einer Rätediktatur ersparten.

Im Frühjahr 1919 war es im benachbarten Ungarn und in Bayern zur Ausrufung der Räterepublik gekommen. In Österreich wünschten die Kommunisten, der linke Flügel der Sozialdemokratischen Partei und die Arbeiter- und Soldatenräte eine ähnliche Entwicklung. Die maßgeblichen Theoretiker und Praktiker der Partei waren sich jedoch darüber einig, daß dieser Weg für Österreich, nicht nur wegen der mit Sicherheit zu erwartenden Sanktionen der Entente, nicht gangbar war.

Die antikollektivistisch eingestellten Bauern waren zu stark und keineswegs gesonnen, sich einer Rätediktatur zu beugen. Daher wurde als Parteilinie der Kampf mit den „geistigen Waffen“ festgelegt. Die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder, die sich redlich um das Wohl des um seine Existenz ringenden jungen Staates mühten, der Parteivorstand und zuletzt auch die Reichskonferenz der Arbeiterräte forderten von den Arbeitern Mäßigung und Besonnenheit.

Die Distanzierung gegenüber den Kommunisten wurde immer klarer. Schon der Putschversuch der Kommunisten am 17. April 1919 in Wien, bei dem sogar das Parlament gestürmt wurde, konnte mit Hilfe von Teilen der Volkswehr niedergeschlagen werden. Der weitaus gefährlichere, weil mit Hilfe ungarischer Gelder planmäßig für den 15. Juni 1919 vorbereitete Putsch scheiterte an der gemeinsamen Abwehr von Polizei und Sozialdemokratie. Der den Großdeutschen nahestehende Wiener Polizeipräsident Schober ließ in der Nacht vor dem 15. Juni die kommunistischen Führer verhaften. Die von F. Adler durch die Arbeiterräte informierten sozialdemokratischen Arbeiter blieben der Demonstration am folgenden Morgen fern, und Soldatenräte hinderten Das Bataillon 41 am Eingreifen in das zwischen Polizei und Demonstranten ausgebrochene Gefecht. In seinem Verlauf wurden zwar 17 Menschen getötet, doch hätte ein Gelingen des Putsches und eine noch so kurzfristige Rätediktatur samt Gegenreaktion mit Sicherheit wesentlich mehr Opfer gefordert. Nach dem 15. Juni und vollends nach dem Zusammenbruch der Herrschaft Bela Kuns in Ungarn waren die Kommunisten in Österreich bedeutungslos geworden.

Das Verdienst der österreichischen Sozialdemokraten an dieser Entwicklung ist im Frühjahr 1919 auch in der christlichsozialen „Reichspost“ gewürdigt worden. Wenige Jahre später sprach man dort nicht mehr davon, wie auch die Sozialdemokraten sehr rasch vergessen hatten, daß Karl Renner am 12. November 1918 im Parlament ausdrücklich die verständnisvolle Haltung des Kaisers in der neuen politischen Situation rühmte. Als man Karl und seine Familie unter beschämenden Umständen des Landes verwies und nach der Zurücknahme aller seiner Erklärungen seit dem 16. Oktober 1918 durch das sogenannte „Feldkircher Manifest“ Karls vom 24. März am 3. April 1919 die Gesetze über die Beschlagnahme des Habsburgervermöge ns beschloß, war davon nicht mehr die Rede.

Jetzt galt es, den radikalen Elementen in der eigenen Partei zu beweisen, daß man doch revolutionär, wenn auch nicht kommunistisch war.

Die meist nur in Form der „radikalen Phase“ (Otto Bauer) abgegoltenen Zugeständnisse an den linken Flügel der Partei und die als Ersatz für die eigentlichen politischen Ziele - sozialistisches Wirtschaftssystem und Anschluß an die Weimarer Republik - vorgenommenen Aktionen waren der verhängnisvolle Fehler der österreichischen Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit. Die Einheit der Partei ist mit einem hohen, für Demokratie und Republik zu hohen Preis bezahlt worden: mit der Erbitterung und dem Mißtrauen der politischen Gegner, die eben dadurch zu Feinden wurden. Eine nicht unwesentliche Rolle in dieser Entwicklung hat die Kulturpolitik gespielt. Durch aggressive, kirchenfeindliche Propaganda, Ehegesetzreformversuche und heute, nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus eher selbstverständlich wirkende, aber nicht mir der Kirche abgesprochene Schulerlässe, wie jenen vom April 1919 über die Nichtberücksichtigung der Teilnahme an den religiösen Übungen bei der Notengebung im Religionsunterricht, wurden die Katholiken in eine Abwehrhaltung gedrängt, die zunächst nur den Sozialdemokraten, später aber auch der Demokratie al solcher galt.

Am 12. November 1918 hatte sie der Wiener Kardinal Piffl in einer Weisung an seine Klerus unter Berufung auf Thomas von Aquin positiv bewertet. Die Katholiken waren daher zur Mitarbeit am Aufbau der rechtmäßig zustande gekommenen Republik ermuntert worden. nach dem Frühjahr 1919 haben die österreichischen Bischöfe nicht mehr gesprochen. Im Gegenteil, sie erwarteten im neuen Staat einen Kulturkampf, für den sich zu rüsten sie die Gläubigen aufriefen.

Die Angst vor einem Kulturkampf hat auch die Politik des neuen Führers der Christlichsozialen Partei bestimmt, des Prälaten Seipel, der seine Partei als weltliche Schutzmacht der Kirche betrachtete und als solche einsetzte.

Der Bruch der sozialdemokratisch-christlichsozialen Koalition im Juni 1920, der von den Abgeordneten beider Parteien mit frenetischem Applaus begrüßt wurde, ist nicht zuletzt auf kulturpolitische Erwägungen der christlichsozialen zurück zuführen. Daß diese Koalition in der Ersten Republik nie wieder zustande gekommen ist, war allerdings nicht die Ursache für den Niedergang der Demokratie in Österreich. Sie ist am mangelnden Vertrauen der beiden Parteien zueinander gescheitert.

DER KÄRNTNER ABWEHRKAMPF

In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde eine Reihe von äußerst schwierigen Problemen und gefährlichen Situationen durch das einträchtige Zusammenwirken aller Parteien gelöst. Zu ihnen gehört die Erhaltung der Einheit Kärntens.

Nach der Konsultierung einer slowenischen Nationalregierung in Laibach Ende Oktober 1918 war es zum Einfall jugoslawischer Truppen in Kärnten gekommen, dessen Landesrat schon am 25. Oktober das Land für unteilbar erklärt hatte. Am 26. Oktober sprach sich die provisorische Kärntner Landesversammlung, der 27 Deutschfreiheitliche, 11 Christsoziale, und 18 Sozialdemokraten angehörten, für die Errichtung eines selbständigen Deutschösterreich aus. Die Kärntner Landesregierung übernahm als Landesverweser der Deutschfreiheitliche Arthur Lemisch.

Nach anfänglichen Erfolgen der Jugoslawen infolge der allgemeinen Ratlosigkeit und Desorganisation beschloß die Kärntner Landesversammlung Anfang Dezember, den Rat der Wiener Regierung mißachtend, den Widerstand gegen die Jugoslawen. Unter dem Befehl von Oberstleutnant Hülgerth, des Leiters des Wehrausschusses, dem alle Parteien angehörten, setzten sich deutsche und slowenische Kärntner so energisch gegen die Eindringlinge zur Wehr, das diese aus dem Lavant-, Rosen- und Gailtal vertrieben werden konnten.

Schon bei diesen Kämpfen haben gelegentlich Männer gegeneinander gekämpft, die vier Jahre lang den gleichen kaiserlichen Regimentern angehört und in ihnen treu gedient hatten, ehe der Zusammenbruch der Monarchie sie plötzlich einander feindlichen Staaten zugehören ließ. Im Jänner 1919 kann es über Vermittlung einer amerikanischen Studienkommission zu einem Waffenstillstand und zur vorläufigen Teilung des Klagenfurter Beckens in zwei Verwaltungsgebiete durch eine von den Amerikanern bestimmte Demarkationslinie. Am 29. April unternahmen die Südslawen jedoch neuerlich einen Angriff auf breiter Front zur Eroberung von Klagenfurt und Villach. Obwohl der Vorstoß der Jugoslawen offiziell ohne Wissen Belgrads erfolgt war, blieb die Wiener Regierung weiterhin sehr zurückhaltend.

Die Kärntner hatten daher nicht nur die Hauptlast des Kampfes, sondern auch die Verantwortung für ihn zu tragen. Sie erhielten allerdings Waffen und Munition aus Wien und zwei Volksabwehrbataillone aus Wien und Klosterneuburg kamen ihnen zu Hilfe, die sich sehr tapfer schlugen. Es gelang den Kärntnern, den Feind innerhalb weniger Tage fast zur Grenze zu vertreiben. Sie ließen sich davon weder von den Mahnungen und Bitten der Regierung in Wien, die Demarkationslinie ja nicht zu überschreiten, noch von den Inventionen des ihnen an sich wohlgesinnten italienischen Generals Sergè, des Vorsitzenden der Alliieten Waffenstillstandkommission in Wien, abhalten.

Daraufhin kam es zu neuerlichen Waffenstillstandsverhandlungen unter der Leitung von Julius Deutsch in Klagenfurt, die allerdings erfolglos blieben. Da die Pariser Friedenskonferenz aber mittlerweile dem Gedanken einer Volksabstimmung zur Lösung des Kärntner Problems nahegetreten war, der die Jugoslawen zuvorkommen wollten, griffen sie Ende Mai neuerlich zu den Waffen. Diesmal setzten sie aber eine so große Zahl regulärer Truppen ein, daß sie von den Kärntner Partisanen nicht gehindert werden konnten, Klagenfurt zu besetzen. Nun setzte sich Staatskanzler Renner bei der Pariser Konferenz nachdrücklich für Kärnten ein und erreichte schließlich, dass den Jugoslawen die Räumung Klagenfurts befohlen wurde.

Wiederrum wurden 2 Zonen gebildet:

Die südliche Zone A wurde bis zu der im Staatsvertrag von St. Germain vorgesehenen Volksabstimmung von jugoslawischen Truppen besetzt, die nördliche Zone B mit dem Klagenfurter Becken - von österreichischen.

Die Volksabstimmung sollte drei Monate nach der Ratifizierung des Friedensvertrages unter alliierter Kontrolle stattfinden. Eine Abstimmung in der Zone B war nur für den Fall vorgesehen, dass jene in der Zone A für Jugoslawien günstig ausginge.

Die Zeit bis zur Volksabstimmung ist bestimmt von jugoslawischen Pressionsversuchen einerseits und der entschiedenen Haltung der Kärntner Landesregierung andererseits, die von den von Re nner auf Grund einer Pariser Anregung gemachten Vorschlag, von den Jugoslawen den Verzicht auf die Volksabstimmung zu erreichen und als Gegenleistung dafür Kärntner Boden in der Zone A abzutreten, energisch ablehnte.

Der Ausgang der Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 in der von den Jugoslawen schwer bedrängten Zone A gab der Kärntner Regierung recht:

59 Prozent stimmten für Österreich und 41 Prozent für Jugoslawien.

Dieses wollte sich aber nicht beugen und besetzte neuerlich das Abstimmungsgebiet mit Militär, musste aber auf Anordnung der Alliierten bald wieder räumen. Eine Abstimmung in der Zone B hatte sich durch den Ausgang der Abstimmung vom 10. Oktober erübrigt.

Dadurch ist die Einheit Kärntens gewahrt, dem Land das Schicksal der Südsteiermark, die unmittelbar nach dem Zusammenbruch ebenfalls von den Jugoslawen besetzt und diesen trotz österreichischer und italienischer Bemühungen im Vertrag von St. Germain zugesprochen worden ist, erspart geblieben. Zweifellos hat dabei auch das Votum der Alliierten den Ausschlag gegeben. Dieses ist aber ohne Zweifel auf den Eindruck zurückzuführen, den der tapfere und einhellige Abwehrkampf der Kärntner Bevölkerung, auch der slowenischen, auf die Weltöffentlichkeit machte. In keinem der anderen Gebiete, die Österreich 1918 verloren gingen, hat sich ähnliches ereignet.

DER VERTRAG VON ST. GERMAIN

Bis zum Bekanntwerden der Bedingungen des deutschen Friedensvertrages im Mai 1919 hatten die Österreicher immer noch gehofft, Südtirol und das Sudetenland in eine r, wenn auch noch so lockeren Form für Österreich retten zu können. Die Regierung und die provisorische Nationalversammlung setzten ihre Erwartungen vor allem auf die Rechtsauffassung der führenden österreichischen Juristen, dass die Monarchie als Staat und Völkerrechtssubjekt im November 1918 untergegangen und Deutschösterreich so wie die anderen Nachfolgestaaten ein neuer Staat sei, der nicht als Rechtsnachfolger der Monarchie gelten und daher nicht allein für deren Verbindlichkeiten aufkommen könne.

Diesen Standpunkt vertrat auch die österreichische Delegation in St. Germain, die aus Karl Renner, dem Christlichsozialen Dr. Gürtler und dem Großdeutschen Dr. Schönbauer sowie aus einer ganzen Reihe von Fachleuten für Spezialfragen bestand.

Die bei den Friedensverhandlungen vertretenen alliierten Mächte schlossen sich der Rechtsauffassung der österreichischen Delegation, die anfangs in St. Germain förmlich interniert worden war und wochenlang auf den für den 12. Mai 1919 angekündigten Verhandlungsbeginn warten musste, jedoch nicht an. Ihre Unterhändler waren der Ansicht, dass zwischen der Doppelmonarchie und Österreich sowie Ungarn eine Rechtskontinuität bestehe, da es für sie ha sonst gar keinen Partner für einen Friedensvertrag gegeben hätte.

Die führende Rolle der Deutschösterreicher in der ehemaligen zisleithanischen Reichshälfte und ihre Mitschuld an dem von ihren Politikern verursachten Krieg wurden dann auch als Begründung für die Wiedergutmachungen und Gebietsabtretungen angeführt.

Unter diesen Umständen war es der österreichischen Delegation natürlich nicht möglich, die ihr vom Hauptausschuss der Nationalversammlung mitgegebenen Verhandlungsrichtlinien erfolgreich zur Geltung zu bringen. Nach diesen war vor allem auf Betreiben des sozialdemokratischen Staatssekretärs für äußere Angelegenheiten, Dr. Otto Bauer, auch der künftige Anschluss Österreichs an Deutschland vorgesehen gewesen. Bauer hatte im März 1919 ein Geheimabkommen mit dem deutschen Außenminister über die wirtschaftlichen, finanziellen und rechtlichen Belange des Anschlusses abgeschlossen. In Paris gaben jedoch die Wünsche der Franzosen, Tschechen und Italiener, die eine Vergrößerung des deutschen Reiches entschieden ablehnten, den Ausschlag. Schon vor dem Eintreffen der österreichischen Delegation war daher beschlossen worden, die österreichische Unabhängigkeit im deutschen Friedensvertrag zu sichern, was dann im Artikel 80 des Versailler Vertrages geschehen ist.

Als sich dann zeigte, dass selbst mit dem freiwilligen Verzicht auf den Anschluss keine Erleichterungen für Südtirol zu erreichen waren, legte Bauer sein Amt nieder. Trotzdem hat die österreichische Delegation die Zeit von der Überreichung des ersten Teiles der Friedensbedingungen am 2. Juni bis zur Mantelnote der Entente zu den Friedensbedingungen vom 2. September, in der deren bedingungslose Unterzeichnung gefordert wurde, nicht ungenützt verstreichen lassen.

Ihren vielfältigen und unermüdlichen Bemühungen sind zu danken:

- die Erhaltung der Einheit Kärntens
- die Rettung von Radkersburg
- Erleichterungen bei Behandlung der Kriegsgefangenen
- die Gewinnung Westungarns, des heutigen Burgenlandes

Der Vertrag ist von dem österreichischen Bevollmächtigten Karl Renner am 10. September 1919 unter Rechtsverwahrung unterschrieben worden. Die Provisorische Nationalversammlung erteilte ihm gegen die Stimmen der Großdeutschen „unter feierlichem Protest vor aller Welt“ ihre Zustimmung.

Sie hat ihn künftig ebenso wie die österreichischen Diplomaten und Rechtsgelehrten ausschließlich als Staats- und nicht als Friedensvertrag bezeichnet.

Er enthielt die schon genannten Gebietsveränderungen, die Verpflichtung zur Zahlung von Reparationen, deren Höhe eine Wiedergutmachungskommission nach der Leistungsfähigkeit Österreichs festsetzen sollte, und im Artikel 88 das ausdrückliche Verbot eines Anschlusses an Deutschland.

Diese zum Teil kaum vermeidbaren Härten und Ungerechtigkeiten des - rein juristisch unangreifbaren - Vorgehens der Sieger von 1918 hätten durch eine verständnisvolle Behandlung der deutschen Minderheiten, vor allem in der Tschechoslowakei und in Italien, und sofortige Wirtschaftshilfen für Deutschland und Österreich wesentlich gemildert werden können. Leider hat man sich dazu erst entschlossen, als auch in Österreich das Schlagwort vom Unrecht des Diktats von St. Germain bereits tiefgehende Wirkungen zeigte.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung der Republik Österreich
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
10
Katalognummer
V100334
ISBN (eBook)
9783638987622
Dateigröße
354 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zwischenkriegszeit (1./2. WK)
Schlagworte
Entstehung, Republik
Arbeit zitieren
Anja Rindler (Autor:in), 2001, Die Entstehung der Republik Österreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100334

Kommentare

  • Gast am 25.1.2004

    Kommentar.

    Finde die Arbeit im Gegensatz zu dem einzig vorliegenden Kommentar ausgesprochen objektitiv , sachkundig und durchaus "österreichisch"

  • Gast am 28.12.2001

    -.

    eine sehr "deutsch-österreichische" Sicht der Geschichte ...

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Titel: Die Entstehung der Republik Österreich



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