Eine Untersuchung von Dekonstruktionen normativer Männlichkeit in "Moonlight" (USA, 2016, Barry Jenkins)


Bachelorarbeit, 2019

56 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Männlichkeit(en)
2.1 Männlichkeit als Konstrukt in Forschung und Medien
2.2 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit
2.3 Normative afroamerikanische Männlichkeit in Forschung und Medien
2.3.1 Gesellschaftliche Erwartungen an afroamerikanische Männlichkeit
2.3.2 Repräsentationen afroamerikanischer Männlichkeit in der Populärkultur

3. Dekonstruktionen normativer Männlichkeit in Moonlight
3.1 Inhalt
3.2 Chiron – Inszenierung und Aufdeckung der Norm
3.3 Verhandlungen von Männlichkeiten
3.3.1 Juan
3.3.2 Die Beziehung von Chiron und Kevin
3.4 Eine finale Dekonstruktion normativer Männlichkeit?
3.4.1 Die Konstruktion normativer männlicher Identität durch „Black“
3.4.2 Die Auflösung normativer Männlichkeit durch Kevin und Chiron?

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

6. Medienverzeichnis

1. Einleitung

Wann ist ein Mann ein Mann? Im Kino gehen heutzutage immer mehr Filme dieser Frage nach und das Thema „Männlichkeit“ wird in den Medien und der öffentlichen Debatte immer präsenter. Die feministische Filmwissenschaft hatte lange Zeit aus historisch und politisch nachvollziehbaren Gründen die Analyse von Weiblichkeitsrepräsentationen in den Fokus gestellt und Männlichkeit bei diesen Untersuchungen weniger Bedeutung zugeschrieben. Doch die Erkenntnis der Genderstudien, dass Geschlecht eine kulturelle Handlung ist und demzufolge weder Männlichkeit noch Weiblichkeit feste Kategorien sind, sondern immer wieder vielfaltig konstruiert und geformt werden, führte zu einer zunehmenden Auseinandersetzung mit männlichen Identitäten und Entwürfen von Männlichkeit auf der Leinwand. Dass es im Medium Film, in dem alles von Inszenierungsstrategien lebt, gelingen kann alternative Rollenbilder und Charaktere zu entwerfen, die von den traditionellen Vorstellungen abweichen, macht den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit so spannend. Der auf dem Theaterstück In the Moonlight Black Boys Look Blue von Tarell Alvin McCraney basierende Spielfilm Moonlight (USA, 2016) vom Regisseur Barry Jenkins versucht, ein komplexeres Bild afroamerikanischer Männlichkeit zu vermitteln und Raum für alternative Männlichkeiten zu ermöglichen. Der Film erzählt in drei Kapiteln von drei beduetenden Lebensphasen eines jungen homosexuellen Afroamerikaners aus einem einkommensschwachen Stadtteil in Miami in den 1980er Jahren und stellt dabei die Frage des Mannseins und seiner Sexualität in den Mittelpunkt. Der Film problematisiert Männlichkeit sowie gesellschaftliche Traditionen und Erwartungen, die auf junge Männer übertragen werden und hebt sich durch seine progressive Verarbeitung dieser Thematik von tradierten Filmkonventionen ab. Anders als in Moonlight sind queere Charaktere immer noch sexuelle Minderheiten in Filmen und erfahren besonders in Werken mit afroamerikanischem Kontext häufig Stereotypisierung und/oder Marginalisierung (A. Harris 2012, 217). Diese Stereotypisierung nutzt Moonlight, um Konventionen und Normvorstellungen zu inszenieren, Erwartungen zu destruieren und alternative Männlichkeitskonzepte zu zeigen. Eine Besonderheit des Films Moonlight ist es, dass er verschiedene Arten von Männlichkeit aufeinandertreffen lässt, um normative Männlichkeit zu dekonstruieren.

Diese Arbeit möchte mit Hilfe verschiedener soziologischer und kultur- und medienwissenschaftlicher Überlegungen nachvollziehen, wie tradierte und vorgelebte Konzepte von Männlichkeit durch Konstruktion und Dekonstruktion, dem Spiel mit Stereotypen und der Gegenüberstellung verschiedener Männlichkeitskonzepte hinterfragt werden. Außerdem soll dabei klar werden, wie die Abweichung von der Norm dargestellt wird, um letzendlich eindimensionale Vorstellungen Schwarzer männlicher Identität zu dekonstruieren und Vielfalt zu repräsentieren.

Zunächst soll der Untersuchungsgegenstand Männlichkeit deskriptiv umrissen und Ausführungen über die Konstruiertheit und Performativität von Männlichkeit vorangestellt werden. Im darauffolgenden Unterkapitel soll das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von der australischen Soziologin Raewyn Connell1 dargelegt werden, welches dieser Arbeit als theoretisches Gerüst dient, um die Verhältnisse von dominanten und marginalisierten Männlichkeiten zu erfassen. Nach einer theoretischen Einordnung von Männlichkeit wird afroamerikanische männliche Identität in ihrer individuellen, kulturellen und sozialen Dimension erläutert, wofür unter anderem feministische Theorien herangezogen werden. An dieser Stelle gilt es nicht, das Thema der afroamerikanischen Männlichkeit und seinen historischen Diskurs in seiner Komplexität darzulegen, als vielmehr die normativen Vorstellungen, die in der Lebenswelt der Protagonisten in Moonlight dominieren, mit Theorien aus der Forschung zu fundieren. Im letzten Schritt wird ein Überblick darüber gegeben, wie afroamerikanische Männlichkeit in der Populärkultur porträtiert wird, wodurch erkennbar werden soll, welche konventionellen Stereotype, Ideale und Vorstellungen in Moonlight zunächst inszeniert werden um sie anschließend zu dekonstruieren. Anhand der Filmanalyse und anschließenden Interpretation sollen dann die zuvor erarbeiteten Konzepte, Begriffe und Vorstellungen normativer Männlichkeit und die Strategien hegemonialer Männlichkeit erkannt werden. Damit wird untersucht werden, inwiefern eine Dekonstruktion von normativer Männlichkeit mit Hilfe der Auflösung performativer Männlichkeit stattfindet. Abschließend wird ein Fazit gezogen, das die Untersuchung Revue passieren lässt und die Ergebnisse mit Blick auf die Fragestelllung einordnet.

2. Männlichkeit(en)

Um Männlichkeit in Moonlight zu untersuchen, werden zunächst Prämissen und Grundlagen zur Konstruktion und Performativität von Geschlecht vorangestellt und ihre Konstruktion im Film kurz aufgegriffen werden. Anschließend wird das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Raewyn Connell dargelegt und am Schluss dieses Kapitels dann ausführlicher auf afroamerikanische Männlichkeit und ihre Repräsentation in der Populärkultur eingegangen.

2.1 Männlichkeit als Konstrukt in Forschung und Medien

In den USA wurde, angetrieben durch die Lesben- und Schwulenbewegung und die feministische Bewegung schon seit den 1970er Jahren vereinzelnt über Männer und Männlichkeit geforscht, bis sich dann in den 1990er Jahren die sogenannten „Men’s Studies“ als wissenschaftliche Disziplin etablierten (Fenske 2008, 42). Die Männlichkeitsforschung versucht nicht nur die Konstruiertheit des männlichen Geschlechts aufzudecken und das Konstrukt Männlichkeit vorzuführen oder zu kritisieren, sondern ebenfalls zu verstehen, wie das Handeln nach Genderkategorien aussieht und was dabei im Einzelnen repräsentiert wird (Herrmann und Erhart 2002, 38f.).

Die Geschlechterforschung etablierte mit dem Begriff „Gender“ einen neuen Ansatz, der Männlichkeit und Weiblichkeit als soziale Praxis sieht, die in Bezug zu ihrer spezifischen kulturellen und historischen Situation steht. Dabei ist es eine grundlegende Entdeckung der Geschlechterstudien, dass Gender performativ und nicht „natural“ ist (Gabbard und Luhr 2008, 3). In der Forschung wird Gender als soziale Konstruktion verstanden und vom biologischen Geschlecht getrennt. Judith Butler, die wohl am häufigsten rezitierte Gender-Theoretikerin, schreibt in ihrem Buch Gender Trouble (1990), dass die Geschlechteridentität unabhängig vom biologischen Geschlecht hauptsächlich ein kulturelles Konstrukt sei: „gender is culturally constructed“ (6) und sich als eine kulturelle Handlung zeige (ebd.). Durch die in den Gender Studies vollzogene Trennung der Begriffe gender für das kulturelle Konstrukt und sex als das biologische Geschlecht, entsteht ein Rahmen, der die Konstruiertheit von Geschlecht aufzeigt und somit analysierbar macht. Die Prämisse, unter der diese Arbeit demnach steht, ist die soziale Konstruiertheit von Geschlecht und die Pluralität von Männlichkeiten, zu der es im Folgenden weitere Ausführungen geben wird.

Das Oxford English Dictionary definiert „masculinity“ als „qualities or attributes regarded as characteristic of men”. Männlichkeit ist demzufolge ein Zusammenschluss von Attributen, die von der jeweiligen Gesellschaft als männlich angesehen werden. Das weist darauf hin, dass Vorstellungen von Männlichkeit kulturell und sozial konstruiert sind und Männlichkeit in unterschiedlichen Kulturen verschieden verstanden wird. Es muss demnach vorsorglich klargestellt werden, dass eine allgemeine Defintion von Männlichkeit problematisch ist.

Besonders vertreten in der Geschlechterforschung ist das Performativitätskonzept, welches die performative Inszenierung von Geschlecht beschreibt. Die Theoretikerin Judith Butler vertritt dabei die These, dass die Geschlechtsidentität in dem Moment gebildet werde, in denen Geschlecht und Körper inszeniert werden: „The gendered body is performative“ (2006, 185). Butler bezeichnet diese Inszenierung als ,performative Akte‘, die sich ständig wiederholen (2006, 191). Die repetitiven Äußerungen oder Akte, von denen Butler spricht, sind die Darstellungen jener Attribute, die kulturell als „männlich“ oder „weiblich“ definiert sind: this repetition is at once a reenactment and reexpieriencing of a set of meanings already socially established (Butler 1990, 140).

Die Performance von Gender ist demzufolge eine Inszenierung und Aufführung oder Darstellung von Geschlecht. Dieses ,Acting Male‘, wie Britta Herrmann und Walter Erhart es nennen, äußere sich je nach Alter, Kulturation usw. verschieden und werde den beiden Autor*innen zufolge jeweils den historischen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten angepasst (2002, 36). Weiter schreiben sie, Männlichkeit erweise sich als Maskerade, als ein „In-Szene-Setzen“ (37) und stellen anschließend fest, dass bei der „Realisierung und Materialisierung von Geschlecht und Geschlechternormen eine permanente Nachahmung und Mimikry“ stattfinde (38). Dazu führen Herrmann und Erhart weiter aus, dass sich Männlichkeit, wenn sie beginne sich zu artikulieren und zu agieren, als identifikatorisches Begehren zeige, das sich der Nachahmung, der Maskerade und des Schauspiels bediene (ebd.).

Robert J. Zeglin resümiert, dass sich Männlichkeit als eine mögliche Präsentation, oder in Butlers Worten ,Performance‘ (1990), von Gender zeige (2016, 43). In der Forschung werde unter der männlichen Performance generell das „typical enactment of behaviors, beliefs, values, feelings, and cognitions of male identity“ (ebd.) verstanden. Mit der Annahme, dass Gender ein Akt, anstatt eine festgelegte oder angeborene Charakteristik ist, bietet Judith Butlers Überlegung über die Performativität von Gender eine Basis, von der aus Performance von Maskulinität im Film und in diesem Fall im Werk Moonlight verstanden werden kann.

Vor allem seit den Publikationen der australischen Soziologin Raewyn Connell wird in der modernen Geschlechterforschung von Männlichkeit überwiegend nur noch im Plural gesprochen. Männlichkeit wird seitdem in der Forschung als komplexes Konstrukt der jeweiligen Gesellschaft anerkannt (Frey Steffen 2002, viii).

Wendet man sich auf der Suche nach Männlichkeit beziehungsweise nach den Charakteristika und Invariablen von Männlichkeit der Kulturantrophologie zu, so wird deutlich, dass in allen Kulturen unserer Erde eine klar definierte Vorstellung davon existiert, wie ein ‚wahrer‘ oder ‚echter‘ Mann zu sein hat. (Horlacher 2011, 31)

Diese klar definierte Vorstellung, die Norm also, von der auch Horlacher hier spricht, ist ein Konstrukt und dementsprechend ist Maskulinität nach den Anforderungen der jeweiligen Gesellschaft bestimmt: [s]ocial definitions of what it is to be a man, about what constitutes ‚manliness‘, are not natural but are historically constructed, and this construction is culturally variable (Mercer 1994, 136).

Das zeigt, dass Männlichkeit ein Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse ist, die im gesellschaftlichen Diskurs entstehen. Die eigene Männlichkeit zu konstruieren ist sowohl ein individueller als auch kollektiver Prozess, weil gesellschaftliche Institutionen bestimmte Männlichkeitskonzepte und -ideale aufbauen und produzieren, andere wiederrum destruieren (Horlacher 2011, 22).

Uta Fenske stellt fest, dass es entscheidend für den Konstruktionsprozess von männlicher Identität sei, dass die Männlichkeit nur dann gültig ist, wenn sie von anderen bestätigt wird (2008, 45). Nach Martina Läubli und Sabrina Sahli merken an, dass das Mannsein einen dauernden Definitionszwang zu implizieren scheine (2011, 8). John Beynon schreibt , dass Männer nicht mit dem Attribut „Männlichkeit” geboren werden, sondern sich dieses erst aneignen müssen (2002, 2). Männlichkeit sei dabei gebildet aus „social codes of behavior which they [Männer] learn to reproduce in culturally appropriate ways” (ebd.). Beynon betont dabei die Rolle der jeweiligen Gesellschaft und Kultur auf das Konstrukt „Männlichkeit”:

Masculinity is culturally shaped and can never be separated because it is a result of culture. It is shaped and expressed differently at different times in different circumstances in different places by individuals and groups (ebd.).

Männlichkeit ist nicht gegeben. Es wird deshalb ein Beweis von Männlichkeit gefordert. Dafür muss den Erwartungen in einem als männlich angesehenen Bereich entsprochen werden. Dies geschieht häufig durch besondere Initiationsriten, die sich je nach Kultur unterscheiden und auch als „Rites de Passage“2 bezeichnet werden. Dieser Versuch das eigene Männlich-Sein zu beweisen und den Erwartungen oder der Norm von Männlichkeit in der eigenen Kultur zu entsprechen äußert sich häufig in einer öffentlichen Performance.

Vor allem Filme verweisen auf diese öffentliche Performance von Gender, denn dort äußert sich Männlichkeit über audiovisuelle Zeichen, über Körper, Haltung und Handlung, Bewegung sowie Sprache (Mädler 2008, 34). Es stellt sich heraus, dass Gender und damit Männlichkeit in der Geschlechterforschung als konstruiert und performativ verstanden wird und sich dadurch als ein Resultat aus komplexen Verhandlungen soziokultureller Normen, individueller Gebote und durch Medien repräsentierter Wertevorstellungen zeigt (Gabbard und Luhr 2008, 3). Gender-Analysen lassen sich sinnvollerweise auf das Medium Film anwenden, da hier Geschlecht als Repräsentation und die Repräsentation des Geschlechts als Konstruktion offenbar wird (Hartmann 2002, o.A.). In audiovisuellen Medien wird ein Männlichkeitsbild entworfen, bei dem es sich um eine ideologische Darstellung handelt, die im Verlauf der Kinogeschichte immer wieder neu verhandelt wurde. Im Film werden Stereotype produziert und inszeniert aber gleichzeitig kann der audiovisuelle Gegenstand auch Stereotype dekonstruieren (ebd). Zusammenfassen lässt sich, dass wenn von Männlichkeit die Rede ist, dies gesellschaftliche Konstruktionen der Männlichkeit oder auch die Zusammensezung von Stereotypen gemeint sind. Im Film werden die als männlich verstandenen stereotypen Eigenschaften noch häufiger als im bloßen Diskurs aufgegriffen und die Normen massenwirksam reproduziert, wodurch das Enstehen filmischer Normen von Männlichkeit ermöglicht wird.

2.2 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit

Im Folgenden soll das schon vorausgehend erwähnte Konzept der australischen Soziologin Raewyn Connell über hegemoniale Männlichkeit vorgestellt werden. Mit Hilfe des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit lässt sich verstehen, wie eine bestimmte Form von Männlichkeit eine überlegene Position über andere Typen von Männlichkeit erhalten kann. Durch die Verwendung des besagten Konzepts lässt sich an dieser Stelle begreifen, wie „traditionell“ maskuline Stereotype als Referenz im Film verwendet werden. Connel geht hierbei nicht nur von einer, sondern von mehreren Formen von Männlichkeit aus. Da in dieser Arbeit Dekonstruktionen von Männlichkeit unterucht werden, die im Film Moonlight unter anderem anhand der Gegenüberstellung kontrastierender Männlichkeitsmodelle vollzogen werden, erscheint es an dieser Stelle sinnvoll Connells Konzept anzuführen, das auf Hierarchien zwischen Männlichkeiten guckt. Die Besonderheit des von Connell entwickelten Modells liegt darin, dass es nicht nur das Dominanzverhältnis zwischen Männern und Frauen beschreibt, sondern ebenfalls in der Lage ist, Hierarchien zwischen Männlichkeiten zu begreifen. Die Formen und Dynamiken von Männlichkeit im Film Moonlight können demnach mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit Raewyn Connells erfasst werden.

Die hegemoniale Männlichkeit ist ein von Raewyn Connell geprägter Term, der entscheidend zur Männer­forschung beigetragen und weltweiten Einfluss genommen hat. Die meisten Forscher*innen und Gender-Theoretiker*innen, die sich mit dem Thema Männlichkeit beschäftigen, nehmen Bezug auf das Konzept. Connell entwickelte ihren Ansatz erstmals in den 1980er Jahren und stellte ihn in ihrem Buch Gender und Power von 1987 vor. Dabei gehen ihre Überlegungen zurück auf Antonio Gramscis Werk von 1971. Gramsci versuchte mit dem Begriff „Hegemonie“ Relationen und Machtstrukturen zwischen sozialen Klassen innerhalb einer Gesellschaft zu analysieren. Connell übertrug dieses Modell auf das Geschlechterverhältnis und erklärte, dass zu jeder Zeit eine Form von Männlichkeit anderen Formen von Männlichkeit überlegen sei (Connell 1995, 77). Angelehnt an Gramsci’s Theorie bezeichnet Connell jene Form von Männlichkeit als hegemonial, die sich in einer spezifischen historischen Situation in einem konkreten kulturellen Kontext gegenüber konkurrierenden Männlichkeiten behauptet (Connell 2015, 130), oder in Connells Worten: „It embodied the currently most honored way of being a man“ (Connell und Messerschmidt 2005, 832). Connell fand in ihren historischen und kulturellen Analysen heraus, dass es nicht nur eine, sondern vielfältige Erscheinungsformen von Männlichkeit gebe, die auch innerhalb einer Kultur zur gleichen Zeit existieren könnten. Diejenige Form von Männlichkeit, die in einer Kultur als dominierend akzeptiert wird, wird von ihr „hegemoniale Männlichkeit“ genannt. Der Begriff „Hegemonie“ ist gleichzusetzen mit dem Terminus „Vorherrschaft“ (Duden online). Danach bezeichnet der Term „hegemoniale Männlichkeit“ eine vorherrschende Männlichkeit, die nach. Connell folgend definiert werden kann:

Hegemoniale Männlichkeit kann man als jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder erhalten soll) (2015, 130).

Raewyn Connell betont jedoch auch, dass hegemoniale Männlichkeit keine normale Männlichkeit beschreibe, denn nur wenige Männer erfüllen sie. Trotzdem sei sie normativ und garantiere dadurch die dominante Position der Männer und die Verteidigung des Patriarchats (Connell 1995, 79).

Ein konstitutives Attribut hegemonialer Männlichkeit bei Connells Konzept ist die Heterosexualität: „The most important feature of this masculinity, alongside it’s connection with dominance, is that it is heterosexual“ (Carrigan, Connell und Lee 1985, 593). Connell schreibt in ihren Ausführungen über das Konzept, dass alles, was die patriarchale Ideologie aus der hegemonialen Männlichkeit ausschließe, dem Schwulsein zugeordnet werde und dass aus der Sicht der hegemonialen Männlichkeit Schwulsein leicht mit Weiblichkeit gleichgesetzt werde (Connell 2015, 132).

Der Ansatz, den Connell verfolgt, vermittelt, dass es in der Gruppe der Männer neben dem herrschenden, ergo hegemonialen Typ marginalisierte, unterdrückte und komplizenhafte Männlichkeiten gebe, die sich in einem Unterordnungsverhältnis zur hegemonialen Männlichkeit befinden. Dabei gilt nach Connell folgendes Muster: Homosexuelle Männer werden als unmännlich ausgegrenzt und in eine untergeordnete Position gedrängt. Komplizenschaft unter Männern dienen dabei der Stärkung ihrer Position, wobei das Ziel ihres Zusammenhaltes die Sicherung ihrer Hegemonie sei. Marginalisierung werde insbesondere gegenüber Männern aus untergeordneten Klassen oder ethnischen Gruppen praktiziert (Dinges 2005, 16).

Martin Dinges beschäftigte sich mit Connels Konzept und stellt fest, dass die Hegemonie einer bestimmten Form von Männlichkeit, wie bei Gramscis Theorie auch, nie auf Dauer gesichert sei und immer wieder neu errungen werden müsse (2005, 11). Das führe dazu, dass Gewalt zu einem verbreiteten Instrument vieler Mitglieder der privilegierten Gruppe werde, die dadurch ihre Dominanz zu sichern versuchen (ebd.). Dazu zähle laut Connell die Einschüchterung von Frauen, sowohl körperlich als auch verbal, und auch die Terrorisierung unter Männern, wie es bei heterosexueller Gewalt gegen Schwule der Fall sei. In Gruppenkonflikten könne Gewalt dazu dienen, sich der eigenen Männlichkeit zu versichern oder diese zu demonstrieren (Connell 2015, 137f.) .

Für diese Untersuchung ist es relevant , dass in der Forschung über Schwarze Männlichkeit in den USA häufig davon ausgegangen wird, dass afroamerikanische Männer aus der Kategorie der hegemonialen Männlichkeit ausgeschlossen werden (Hill Collins 2005, 188). Auch Raewyn Connell selber zählt Schwarze Männlichkeit zu der marginlisierten Form männlicher Identität. Gleichzeitig führen Connell und Messerschmidt an, dass das Konzept der hegemonialen Männlichkeit eine Unterdrückung von nicht-hegemonialen Männlichkeiten voraussetze. Dies wiederrum sei ein Prozess, der in vielen Gesellschaften international beobachtet werde (2005, 846). Es sei immer deutlicher geworden, dass auch in ein und derselben kulturellen oder institutionellen Situation verschiedene Männlichkeiten entstehen können (Connell 2015, 85). Das zeigt für diese Untersuchung, dass in unterschiedlichen Kontexten ganz verschiedene Arten von Männlichkeit hegemonial sein können und sich daher eine Betrachtung des Filmes Moonlight auch in Hinblick auf das Konzept hegemonialer Männlichkeit anbietet. Darauf aufbauend soll im folgenden Unterkapitel ein Überblick darüber gegeben werden, welche Attribute in der Forschung zu afroamerikanischer Männlichkeit dem hegemonialen Typen in diesem Kontext zugeschrieben werden.

2.3 Normative afroamerikanische Männlichkeit in Forschung und Medien

Da der Film Moonlight eine Schwarze Gesellschaft in einer US-amerikanischen Großstadt porträtiert ist es für die Untersuchung notwendig, näher auf afroamerikanische Männlichkeit einzugehen. Im ersten Teil dieses Kapitels sollen Theoretiker*innen herangezogen werden, die sich auf soziologischer, politischer, psychologischer und kultureller Ebene mit der Bedeutung von Männlichkeit und Sexualität und ihrer Darstellung und Konstruktion innerhalb der Schwarzen Gesellschaft in den USA beschäftigt haben. Dabei wird der Fokus auf Männlichkeitsvorstellungen innerhalb einer afroamerikanischen einkommensschwachen Gesellschaftsschicht in den USA liegen, da der Film Moonlight ein solches Umfeld in Szene setzt. Im zweiten Teil wird dargelegt werden, wie afroamerikanische Männlichkeit in der Populärkultur repräsentiert wird, wie dadurch Normen entstehen können und durch Stereotype erhalten und verbreitet werden. Damit wird erkannt werden können, wie Moonlight diese Traditionen nutzt, um sie durch Gegenüberstellungen und dem Spiel mit Erwartungen wieder aufzubrechen und multidimensionale Männlichkeiten zu zeigen.

2.3.1 Gesellschaftliche Erwartungen an afroamerikanische Männlichkeit

Wie schon vorausgehend festgestellt ist die hegemoniale Männlichkeit keine feste Kategorie, die immer und überall dieselben bzw. die gleichen Eigenschaften hat, sondern ist die eine Form von Männlichkeit, die gerade in den gegebenen Umständen die hegemoniale Position einnimmt (Connell 1995, 76). Wie im Film Moonlight sehr deutlich wird, und was auch Connell so beschreibt, bestehen auch innerhalb marginlisierter Männlichkeiten, für diese Untersuchung beispielsweise innerhalb der Kategorie afroamerikanischer Männlichkeit, Machtverhältnisse. Daher lässt sich ein hegemonialer, demnach dominanter und vorherrschender Männlichkeitstyp, auch dort festmachen und untersuchen. Mit folgender Übersicht über Erkenntnisse aus der Forschung zu Schwarzer Männlichkeit in den USA soll eine informative Grundlage geschaffen werden, durch die Dynamiken von Männlichkeit und die gesellschaftlichen Erwartungen porträtiert in Moonlight, verstanden werden können. Dadurch kann besser nachvollzogen werden, aus welchen Gründen der Protagonist im Film marginlisiert wird. Außerdem macht ein grundlegender Überblick über Erwartungen an afroamerikanische Männlichkeit, demnach „Normen“, es überhaupt erst möglich zu untersuchen, inwiefern die normative Männlichkeit in Moonlight dekonustriert wird . Im Folgenden soll genauer definiert werden, was damit gemeint ist, wenn in dieser Arbeit von „normativer“ Männlichkeit in einem afroamerikanischen Kontext gesprochen wird.

Der Begriff „Norm“ beschreibt die „allgemein anerkannte, als verbindlich geltende Regel für das Zusammenleben der Menschen“ (Duden online) oder wie das Cambridge Dictionary schreibt: „an accepted standard or a way of behaving or doing things that most people agree with“. Diese Defintion ähnelt der Connell’schen Idee: hegemoniale Männlichkeit ist die zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Kontext aktzeptierte Form von Männlichkeit. Und diesen Kontext stellt in vorliegender Untersuchung die Lebenswelt im Film Moonlight dar. Es folgt ein Überblick darüber, welches Bild Theoretiker*innen über Schwarze Männlichkeit in den USA in ihren Überlegungen darstellen und was sie dort als Norm ausmachen. Wichtig dabei ist, dass diese Norm nicht „normal“ ist, genau so wie Connell betont, dass hegemoniale Männlichkeit nicht „normal“ ist, denn nicht alle Männer entsprechen diesem Ideal. Die folgende Darstellung kann daher nicht pauschal auf Schwarze Männer übertragen werden. Außerdem beschränken sich die nachfolgend aufgeführten Attribute nicht nur auf eine afroamerikanische Gesellschaft, sondern finden sich in dieser Form in vielen Kulturen wieder. Jedoch bilden die Überlegungen der angeführten Forscher*innen einen Rahmen, mit dem die gesellschaftlichen Normen, die in Moonlight porträtiert werden, besser erfasst werden können.

Die afroamerikanische Feministin bell hooks beschreibt in ihren Werken eine von ihr als ‚traditional patriarchal black culture‘ (2004) bezeichnete Gesellschaft und untersucht in dieser Geschlechterverhältnisse und Schwarze Männlichkeit in den USA. Die Theoretikerin schreibt in ihrem Essay „Reconstructing Black Masculinity” (1992) die traditionelle, patriarchalische afroamerikanische Gemeinschaft erwarte von Männern, dass sie einem männlichen patriarchalischen Ideal entsprechen, welches aus Aggressivität und Phallozentrismus bestünde (hooks 2004, 151). Ein echter Mann zu sein bedeute demnach in einer afroamerikanischen Gesellschaft patriarchalisch, phallozentrisch und maskulin zu sein (ebd.). Die Forscherin betont aber auch, dass viele afroamerikanische Männer diesen Erwartungen nicht nachkommen und dass sie selbst immer ein komplexes Bild Schwarzer männlicher Erfahrungen und Identitäten erlebt habe (ebd.). Die vorhersschende Vorstellung von Männlichkeit in den Werken von bell hooks ist ein konservatives Ideal gegründet auf „the ruling values of imperialist white-supremacist capitalist patriarchy” (ebd.). hooks betont in all ihren Werken aus historisch, politisch und gesellschaftlich nachvollziehbaren Gründen die Auswirkungen, die die Zeit der Sklaverei, und wie sie es nennt, das ,imperialistische kapitalistische vorherschende weiße Patriarchat‘ (1994) des 20. Jahrhunderts auf die afroamerikanische Gesellschaft hatte: „by the time slavery ended partriarchal masculinity had become an accepted ideal for most black men, an ideal that would be reinforced by twentieth-century norms“ (4).3

Die afroamerikanische Feministin Patricia Hill Collins spricht in ihren Ausführungen über afroamerikanische Männlichkeit darüber, was es bedeutet in den USA ein „echter“ Mann zu sein und welche Erwartungen die Gesellschaft daran stellt. Die Autorin beschreibt in ihren Überlegungen die in der Gesellschaft aktzeptierte Form von Maskulinität, und demnach den hegemonialen bzw. normativen Typ von Männlichkeit. Sie beginnt damit, dass hegemoniale oder vorhersschende Männlichkeit in den USA viele Maßstäbe habe. Ein erster wäre: „,real‘ men are primarily defined as not being like women“ (Hill Collins 2005, 188; Herv. i. Orig.). Eine geläufige Beleidigung für Männer sei es, dass sie „soft“ wie eine Frau sind (ebd.). Auch bell hooks schließt sich dem an:

As a man, one must not show emotions or weakness. Those features are viewed to be female qualities. In this sense, a man must be strong, emotionally indifferent, sexually potent and economically wealthy in order to gain respect (2004, 151).

Das bedeutet für hooks in einer „traditional patriarchal black culture, male grieving has no place. The black male who grieves is seen as weak“ (99). bell hooks nennt den Druck, den afroamerikanische Jungen in ihrer Kindheit erleben „Soul Murder”-Erfahrung (87): „black men are required by rituals of patriarchal manhood to surrender their capacity to feel“ (138). Die patriarchalische Gesellschaft erwartet von Jungen ihre Gefühle zu unterdrücken; andernfalls werden sie als schwach und daher feminin wahrgenommen. Dabei üben patriarchalische Männer oder Vaterfiguren häufig massiven Druck auf Jungen aus, um deren Selbstbewusstsein des Jungen zu zerstören (106). Es lässt sich darauf schließen, dass sie in dem Moment, in dem sie Schwäche zeigen, von anderen Männern verspottet oder sogar tyrannisiert werden. Das bedeutet als Konsequenz für sie, dass sie permantent stark und stoisch auftreten müssen, sich nicht unterkriegen lassen dürfen und den Willen zeigen müssen, zu kämpfen: „a real male is fearless, insensitive, egocentric, and invulnerable“ (61). Mit bell hooks lässt sich argumentieren, dass afroamerikanische Männer dazu erzogen wurden, ihren höheren Status als Mann durch Dominanz sichtbar zu machen. Ihnen sei beigebracht worden, dass es akzeptiert sei, Gewalt anzuwenden, um patriarchalische Macht zu demonstrieren und zu erhalten (3). Weiter führt hooks aus, dass sie in einer Umgebung großgezogen werden, die Gewalt als Instrument für soziale Kontrolle toleriere und Gewaltbereitschaft sogar als Indiz für patriarchalische Männlichkeit schätze. Von Männern, die in einer gewalttätigen Kultur leben, werde gefordert, dass sie ihre Gewalttätigkeit und Aggressivität zur Schau stellen und performen (88). Dazu ergänzen Majors und Billson, dass in der amerikanischen Gesellschaf ein „potpourri of violence, tougness, and symbolic control over others“ ein primäres Mittel sei, durch das afroamerikanische Männer Männlichkeit demonstrieren könnten (1993, 33). Diese Werte würden von Mann zu Mann in einer Straßenkultur übertragen und aufrechterhalten (34) und entwickeln sich so zur Norm.

Nicht nur Kontrolle und Gewalt gegenüber sich selbst oder konkurrierenden Männlichkeiten, sondern auch gegenüber Frauen, sei ein Attribut gesellschaftlich geforderter und herrschender Männlichkeit, schreibt Hill Collins (2005, 189). Das gleiche gilt für Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit, nach dem die Überlegenheit gegenüber Frauen zum Erhalt des Patriarchats dient. Die Beziehung afroamerikanischer Männer zu Frauen beschreibt die Feministin Patricia Hill Collins als Dominanzverhältnis: Männer brauchen die ständige weibliche Bestätigung, dass sie als Mann überlegen sind. Sie brauchen die Kontrolle über Frauen, um sich zu vergewissern, dass sie „echte“ Männer sind. Dabei erleiden Männer, die Frauen zu eng verbunden erscheinen und keine Autorität ihnen gegenüber ausüben, einen Verlust der Männlichkeit (ebd.). Hill Collins Ausführungen nach werden Männer als schwach angesehen, wenn sie keine Schwarze Frau dominieren können: „Being strong enough to ‚bring a bitch to her knees‘ becomes a marker of Black masculinity“ (ebd). Außerdem sei die sexuelle Beziehung zu einer Frau ein Ereignis, welches jugendliche Männer zu einem echten Mann mache: „Sexual intercourse with a woman initiates them into manhood“ (191).

Zusätzlich liest sich bei vielen der Theoretiker*innen, dass es als ein Merkmal echter Maskulinität verstanden werde, finanziell unabhängig zu sein: „Black men who could show they had money (no matter how they acquired it) could be among the powerful“ (hooks 2004, 19). Auch in Kobena Mercers Ausführungen spielt Reichtum eine Rolle für die männliche Identität: „a ‚real‘ man must be an active, independent economic agent‘“ (1994, 145). Erwachsene Männer streben danach als Mann respektiert und behandelt zu werden, was historisch gesehen schon immer mit wirtschaftlichem Erfolg verbunden gewesen sei (Griffith und Cornish 2018, 78).

Auführungen über Männlichkeit als Performance und Maskerade in den Genderstudien wurden im ersten Kapitel dieser Arbeit schon vorangestellt. Mit dem Term ‚Cool Pose‘, den Richard Majors und Janet Macini Billson in ihren Studien entwickelten, beschreiben die beiden Forscher eine Art Performance Schwarzer junger Männer, die in den „inner cities“ der USA, dem Setting im Film Moonlight, leben. Besagte junge Männer hätten eine sogenannte ‚Cool Pose‘ entwickelt: they have adopted and used cool masculinity – or as we prefer to call it, ‘cool pose‘ – as a way of surviving in a restrictive society (1993, 2).

Ihrer These nach nutzen einige junge, afroamerikanische Männer, besonders jene, die in der unteren Gesellschaftsschicht leben, „cooles“ Verhalten als eine expressive Performance, um ihre männliche Identität zu repräsentieren:

Cool Pose is a ritualized form of masculinity that entails behaviours, scripts, physical posturing, impression management, and carefully crafted performances that deliver a single, critical message: pride, strength, and control (4).

Dieses Verhalten fängt schon im frühen Jugendalter an. Von jungen Männern wird erwartet, dass sie sich den Verhaltenscodes anpassen oder sie riskieren in eine marginalisierte Position gedrängt zu werden:

If a young male does not conform to certain subcultural expectations for behaviour, he risks not being in. On the streets he learns that being cool is the key to being in – his developing sense of dignity, confidence, and worth depend on it (4).

Schwarze Männer haben, laut Majors and Billson, gelernt „posing and posturing“ (8) zu nutzen, um Macht, Härte und Style nach Außen zu kommunizieren (8), was sowohl automatisch und unterbewusst, als auch als bewusste Maskerade passieren könne (9). Die maskuline „coole“ Performance fungiere als eine Maske und gleichzeitig als Schutz, der Selbstbewusstsein, Kontrolle und innere Stärke suggeriere und dabei Selbstzweifel, Unsicherheiten und innere Unruhen überdecke (5).

Zuletzt ist die Heteronormativität, die auch ein konstitutiver Aspekt im Konzept hegemonialer Männlichkeit von Raewyn Connell ist, den meisten Forscher*innen zufolge für Männer in einer afroamerikanischen Gesellschaft zwingend. Heterosexuelle afroamerikanische Männer seien extrem beschützend gegenüber ihrer heterosexuellen Männlichkeit und reagieren oftmals mit Gewalt, wenn sie sich darin bedroht fühlen, so Hill Collins (2005, 192). Schwarze homosexuelle Männer als weiblich und schwach zu stereotypisieren sei dabei eine wichtige Strategie um Schwarze, männliche Heterosexualität und heternormative Strukturen sicher zu stellen (ebd.). Vieles bei der Suche nach phallozentrischer und damit bell hooks zur Folge gesellschaftlich aktzeptierter Männlichkeit basiere auf der Forderung nach Zwangsheterosexualität (1994b., 142). Der Soziologe Robert Staples, so schreibt Kobena Mercer, habe zudem festgestellt, dass in der afroamerikanischen Gesellschaft kein Diskurs über Homophobie stattfinde (1994, 151).

In diesem Kapitel wurde anhand von theoretischen Überlegungen verschiedener Forscher*innen erarbeitet, was in einer vorwiegend einkommensschwachen, afroamerikanischen Gesellschaftsgruppe in den USA als die am meisten aktzeptierte Männlichkeit gilt und Marlon Riggs fasst zusammen, welche Folgen es haben kann, wenn Schwarze Männer in den USA nicht den vorgeschriebenen hypermaskulinen Verhaltenscodes entsprechen und wie als Konsequenz daraus untergeordnete Männlichkeiten entstehen:

Strong Black men – ‚Afrocentic‘ Black men – don’t flinch, don’t weaken, don’t take blame or shit, take charge, step to when challenged, and defend themselves without pause for self-doubt. Against this warrior model of masculinity, Black Macho counterpoises the emasculated Other: the Other as punk, sissy, Negro Faggot, a status with which any man, not just those who in fact are gay, can be branded should he deviate from rigidly prescribes codes of hypermasculine conduct. (2017 1991, 278)

Der von Riggs hier beschriebene „Black Macho“ erscheint als Kämpfer und drängt den „entmännlichten“ Mann, der nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht, in eine untergeordnete Position, in der sich auch der Protagonist in Moonlight wiederfindet.

2.3.2 Repräsentationen afroamerikanischer Männlichkeit in der Populärkultur

Normen und Standards werden unter anderem durch Institutionen oder Künste reproduziert und verbreitet. Besonders interessant für die vorliegende medienkulturwissenschaftliche Untersuchung ist der Einfluss der Künste und der Populärkultur auf normative Erwartungen an afroamerikanische Männer. Darunter fallen unter anderem filmische Werke, der Gangsta Rap und die gesamte Hip-Hop-Kultur.4 Durch Mainstream-Medien werden normative Standards der Gesellschaft konstruiert und verbreitet. Wie sich dadurch ein normatives Bild afroamerikanischer Männlichkeit herausgebildet hat und wie sich dieses Idealbild über Sprache, Gestiken, Mimiken und Style vermittelt, soll nun vorgestellt werden. Connell schreibt, dass die jeweils offensichtlichsten Vertreter einer hegemonialen Männlichkeit nicht automatisch auch die mächtigsten Männer seien. Sie können Vorbilder sein, zum Beispiel Filmschauspieler, oder auch Phantasiegestalten wie Filmfiguren (Connell 2015, 131). Deshalb erscheint es sinnvoll, im Folgenden einen Überblick über Schwarze Männlichkeit in der Populärkultur zu geben. In der anschließenden Filmuntersuchung, kann gezeigt werden, wie Moonlight einige diese Stereotype nutzt, um normative Männlichkeit zu konstruieren und dann mit diesen Stereotypen spielt, um alternative Männlichkeiten zu zeigen.

Angelique Harris macht deutlich, dass in der amerikanischen Filmgeschichte afroamerikanische Charaktere überwiegend in einer stereotypen und/oder negativen Weise in Mainstream-Filmen porträtiert wurden (2012, 217). Auch bell hooks schließt sich dem an und behauptet, dass afroamerikanische Männer in den Medien häufig als hypermaskulin, aggressiv und kriminell dargstellt werden und dass dies ein rassistisches Stereotyp im Film von den Anfängen bis zur Gegenwart sei (1990, 69). Kelly Welch schreibt, dass „[t]hroughout American history, Blacks have been consistently stereotyped as criminals“ (2007, 276). Mit Hill Collins lässt sich hinzufügen, dass Schwarze Männer, besonders aus der „poor and/or working-class” (2005, 177), immer noch in den Mainstream-Medien mit einer eindimensionalen männlichen Identität dargestellt werden. Kelly Welch behauptet: „Blacks have often been portrayed as physically threatening“ (2007, 277), was in Moonlight instrumentell als beliebtes Stereotyp eingesetzt wird, um eindimensionale Männlichkeit aufzubauen und wieder zu dekonstruieren.

Erneut argumentiert mit bell hooks muss, an dieser Stelle erwähnt werden, dass diese Stereotype von einer weißen vorherrschenden Gesellschaft gefördert werden und diese patriarchalische Werte verherrliche (2004, 27). Nach bell hooks drücken Hip-Hop und Rap Musik die Realität Schwarzer Männer in der amerikanischen Gesellschaft aus. Demnach seien die „sexist, misogynist, patriarchal ways of thinking and believing that are glorified in hip-hop and rap“ (1994a, 116) auch Reflektionen der vorherrschenden Werte, die von der „white supremacist capitalist patriarchy” (ebd.) kreiert und gefördert werden, und von Schwarzen angenommen werden. Schwarze würden dann ähnliche stereotype Bilder reproduzieren (ebd.), wie sich in den im Folgenden vorgestellten Hood-Filmen zeigt.

Filme sind als Gesellschaftsporträts Zeitdokumente, in denen die Normen von Männlichkeit sichtbar werden können. Besonders das Genre des Hood-Film5 formte in den 1980er Jahren das Bild Schwarzer Männlichkeit in den USA. Dieses Genre wird hier bewusst angeführt, weil es unter anderem Ähnlichkeiten zum Film Moonlight aufweist: Coming-of-Age Erzählungen, die sich auf junge Erwachsene aus ethnischen Minderheiten, überwiegend Afroamerikaner*innen, im urbanen Raum konzertieren (Kaczmarek 2012). Die meisten stellen dabei die interne Beziehung zwischen Armut, Kriminalität und Gewalt junger Männer dar und lassen sich in urbanen Ghettos verorten, wobei das Hauptanliegen der Filme die Auseinandersetzung mit afroamerikanischer Männlichkeit ist (Boylorn 2017, 147), wie auch der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit zeigt.

Die Hood-Filme sind eng mit der Hip-Hop Kultur verbunden und greifen viele ihrer Themen und Bilder auf: „Masculinity and manhood, in these films, are defined based on the glorified themes of contemporary hip-hop“ (Boylorn 2017, 161). Außerdem integrieren sie Rap Musik in ihre Mise-en-Scène (Guerrereo 1993, 187). Die Filme präsentierten „black men and black masculinity as invulnerable, dangerous, and endangered“ (Boylorn 2017, 147) und machen ein „super phallic image of black masculinity” (Wiegman 1993, 185) zur Norm. Einige der Filme implizieren dabei, dass Schwarze Männlichkeit besonders verbunden mit Gewalt sei (Boylorn 2017, 150). Afroamerikanische Rap-Musiker, die den Typus des Gangsta-Rappers formierten, wurden zu beliebten Protagonisten in Hood-Filmen, wodurch im Kino die Vorstellung des „Gangstas“ als authentische afroamerikanische Männlichkeit konstruiert wurde (Hoffstadt 1995, 12). Bekannte Rapper, wie Puff Daddy, 50 Cent, R. Kelly oder Snoop Doggy Dogg haben die Assoziation von Schwarzen mit Kriminalität verstärkt, schreibt Welch (2007, 284), was erklärt warum die „demonization” (ebd.) Schwarzer Männer in den Medien von Forscher*innen sowohl im Film, als auch in der Rap Musik festgestellt wurde (ebd.).

[...]


1 Ehemals Bob Connell oder R.W. Connell. Die Autorin wird im Folgenden Raewyn Connell genannt, da sie sich einer späteren Geschlechtsumwandlung (2007) unterzog und sich seitdem als Frau wahrnimmt. Die meisten ihrer früheren Arbeiten wurden unter dem Gender-neutralen Namen R. W. Connell veröffentlich (Raewyn Connells Homepage).

2 Angelehnt an Arnold van Genneps Überlegungen zu Übergangsriten in seinem Werk Les Rites de Passage (1981). Nach van Gennep besteht das Leben eines Individuums in jeder Gesellschaft darin, nacheinander von einer Altersstufe zur nächsten überzuwechseln (15). Immer ist dieser Übergang von einer Gruppe zur anderen von speziellen Handlungen begleitet bzw. in Zeremonien eingebettet und diese nennt er Übergangsriten oder „Rites de Passage“ (15). Diese Initiationsriten machen ein Kind zum Mann (72).

3 Wie bell hooks beschreiben viele Forscher*innen afroamerikanische Männlichkeit als reaktionär zu vergangenen sowie gegenwärtigen Formen von Unterdrückung und gehen dabei von einer Verknüpfung von Rassismus, Sexismus und Klassisismus aus. Darunter unter anderem Kobena Mercer (1994) oder der Soziologe Robert Staples (1982). Der Rahmen dieser Arbeit reicht zwar für eine umfassende historische Darstellung von afroamerikanischer Männlichkeit nicht aus, es ist jedoch wichtig an dieser Stelle die Einflüsse und Auswirkungen der historischen und kulturellen Dynamik aus Macht und Unterdrückung zu erwähnen sowie die Vergangenheit der Sklaverei und die Auswirkungen der Postkolonialen Zeit bewusst zu machen.

4 Der Begriff „Hip Hop“ bezeichnet die Kultur im Gesamten, wie beispielsweise die Mode, Filme, Fernsehshows, Musikvideos und den generellen „Style“, den die Kultur entfaltet. Der Begriff „Rap“ auf der anderen Seite wird häufig als der etwas spezifischere Style der poetischen und musikalischen Kunst verstanden (Saddik 2003, 124f.) und ist eine Ausdrucksform des Hip Hops.

5 In der Literatur finden sich verschiedene Bezeichnungen des Genres, z.B. Ghetto Action Film, Homeboy Film, New Jack City Film, Gangsta Film, Hood-film etc. Für die Einheitlichkeit wird nun im Folgenden Bezeichnung „Hood-Film“ verwendet.

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Eine Untersuchung von Dekonstruktionen normativer Männlichkeit in "Moonlight" (USA, 2016, Barry Jenkins)
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
56
Katalognummer
V1004613
ISBN (eBook)
9783346386403
ISBN (Buch)
9783346386410
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eine, untersuchung, dekonstruktionen, männlichkeit, moonlight, barry, jenkins
Arbeit zitieren
Celine Keuer (Autor:in), 2019, Eine Untersuchung von Dekonstruktionen normativer Männlichkeit in "Moonlight" (USA, 2016, Barry Jenkins), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1004613

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