Die Ermordung Siegfrieds im Nibelungenlied. Warum der Heros sterben musste


Seminararbeit, 2018

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Politisch-soziale Ursachen für die Ermordung Siegfrieds

3. Der Tod des heroischen Siegfried im unheroischen Wald

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Seminararbeit widmet sich dem Tode Siegfrieds im Nibelungenlied, der zentralen Figur des ersten Teils des um 1200 niedergeschriebenen Heldenepos. Bei der Analyse ausgewählter Stellen des mittelhochdeutschen Textes soll die Frage zugrunde gelegt werden, welche Faktoren als ursächlich für den Tod des Helden zu werten sind. In einem ersten Punkt sollen mehrere Schlüsselstellen des Nibelungenlieds Hinweise darauf geben, welche politisch-sozialen Beweggründe für die Ermordung Siegfrieds in der 16. Aventiure in den Blick zu rücken sind. Dabei sollen auch auf die Frage Hinweise gefunden werden, inwieweit Siegfried durch eigene Taten oder Fehler zu seiner Ermordung beigetragen hat oder vielmehr als tragisches Opfer der Fehler oder Komplotte anderer Figuren zu betrachten ist. Im zweiten Punkt der Arbeit sollen Ursachen für die Ermordung Siegfrieds in Betracht gezogen werden, die seiner Funktion als heroische und mythische Figur zugrundeliegen. Musste Siegfried sterben, weil er nicht in die höfische Welt am Wormser Hof passte? In diesem Zusammenhang soll auch auf den Ort der Ermordung Siegfrieds eingegangen werden: Weshalb wählte der Nibelungen -Dichter einen Wald als Siegfrieds Sterbeort? Welche Symbolik liegt der Jagd-Szene in eben jenem Wald unmittelbar vor dem Tod des Helden zugrunde?

Als Primärquelle für die Arbeit dient die von Joachim Heinzle herausgegebene, übersetzte und kommentierte Ausgabe des Nibelungenlieds 1, die sowohl den mittelhochdeutschen Text als auch eine neuhochdeutsche Übersetzung enthält. Als wichtige Grundlage bietet Jan-Dirk Müllers Monographie Spielregeln für den Untergang2 Einblicke in das Nibelungen lied und analysiert zahlreiche Aspekte des Heldenepos aus verschiedenen Perspektiven. Insbesondere Müllers Überlegungen zu den Merkmalen des Heros und zur Gewaltthematik im Epos fließen in diese Arbeit mit ein. Als wichtige Sekundärliteratur ist neben dem Aufsatz von Uta Strömer-Caysa zum Tode Siegfrieds und welche Rolle Kriemhild für diesen spielte 3 , insbesondere Christoph Fasbenders Aufsatz über die Semantik von Räumen im Nibelungenlied4 zu nennen, der sich mit Siegfrieds Wald-Tod auseinandersetzt und Anhaltspunkte für den zweiten Teil der vorliegenden Arbeit liefert.

Bevor jedoch der Raum-Symbolik bei Siegfrieds Tod auf den Grund gegangen wird, soll im folgenden Punkt zunächst auf die zahlreichen Faktoren auf der Handlungsebene des Nibelungenlieds eingegangen werden, die möglicherweise zur Ermordung Siegfrieds in der 16. Aventiure beigetragen haben.

2. Politisch-soziale Ursachen für die Ermordung Siegfrieds

Die für Siegfried fatale Verkettung von Umständen, die letztlich zu seiner Ermordung beitragen, nimmt bereits in der sechsten und siebten Aventiure ihren Anfang. Um die schöne und starke Brünhild für sich als Braut zu gewinnen, bittet König Gunther Siegfried um seine Unterstützung. Dieser willigt unter der Bedingung ein, als Lohn für seine Dienste Kriemhild ehelichen zu dürfen: „gîstu mir dîne swester, sô will ich ez tuon“ (Str. 333, 2). Um Gunther die erfolgreiche Brautwerbung zu ermöglichen, muss Siegfried jedoch lügen und seinen standesrechtlichen Status vor Brünhild als niedriger darstellen, als es bei dem eigentlich zu Gunther ebenbürtigen Fürsten der Fall ist, denn aufgrund des bloßen Erscheinungsbildes Siegfrieds spricht die Umworbene zunächst Siegfried an und hält diesen offenbar instinktiv für den würdigsten potentiellen Brautwerber (vgl. Str. 419). Um sich selbst als Werber zu diskreditieren und die Aussicht auf Kriemhilds Hand nicht zu gefährden, bezeichnet er Gunther Brünhild gegenüber als „mîn herre“ (Str. 420, 4), sich selbst also als einen bloßen Dienstmann, der selbst nicht den Stand hat, um um Brünhild zu werben. Diese Standeslüge ist der Stein, der die für Siegfried fatale Dynamik ins Rollen bringt, denn als Siegfried als Lohn für seine Dienste Kriemhild zur Frau nehmen darf, empfindet Brünhild tiefe Trauer und Mitleid für Kriemhild, die mit einer aus ihrer Perspektive unstandesgemäßen Heirat herabgesetzt wird:

„Ich mac wol balde weinen“, sprach diu schoeniu meit. „umb dîne swester ist mir von herzen leit. di sihe ich nâhen sitzen dem eigenholden dîn. daz muoz ich immer weinen, sol si alsô verderbet sîn.“ (Str. 620)

Als logische Folge der Standeslüge Siegfrieds betrachtet Brünhild Siegfried als Leibeigenen Gunthers und deshalb als nicht würdig, um eine Königsschwester wie Kriemhild zu ehelichen. Gunther deutet zwar an, dass Siegfried „wol bürge als ich und wîtiu lant“ (Str. 623, 2) besitze und „ein kunic rîch“ (Str. 623, 3) sei, doch Brünhild gibt sich damit nicht zufrieden und verweigert Gunther, die Ehe mit ihr zu vollziehen, bevor sie nicht die ganze Wahrheit erfahren würde: „ich will noch magt belîben, ihr sult wol merken daz, unz ich diu maer erfinde.“ (Str. 635, 3-4). Doch statt Brünhild einzuweihen, muss erneut Siegfried eingreifen und verhilft Gunther dazu, die Ehe mit Brünhild gewaltsam zu vollziehen, indem er sie – mithilfe seiner Tarnkappe unsichtbar – überwältigt und für Gunther gefügig macht (vgl. Str. 666-678). An dieser Stelle ist für die Fragestellung dieser Arbeit als besonders relevant hervorzuheben, dass Siegfried sich dazu hinreißen lässt, Brünhild ihren Ring und ihren Gürtel als Trophäen zu entwenden, um sie schließlich seiner Frau Kriemhild als Geschenk zu geben (vgl. Str. 679-680). Selbst wenn Siegfried sein Versprechen gegenüber Gunther, Brünhild nur zu überwältigen, sie aber nicht zu „ minnen “ (vgl. Str. 655-656), eingehalten hat5, so muss es doch für Kriemhild eben diesen Anschein haben, dass Siegfried mit Brünhild intim gewesen sein müsse, um an ihre persönlichen Habseligkeiten zu gelangen. Der Königinnenstreit zwischen Brünhild und Kriemhild, der schließlich in der 14. Aventiure ausbricht, und als wohl unmittelbarste Ursache für die Ermordung Siegfrieds betrachtet werden kann, ist als logische Folge der Standeslüge, des Brautnachtbetrugs und dem dort erfolgten Diebstahl der Habseligkeiten Brünhilds in den Blick zu rücken. Von ihrem Standpunkt aus betrachtet, d.h. das zugrunde legend, was die beiden Königinnen jeweils für die Warheit halten, handeln sowohl Brünhild, als auch Kriemhild in Worten und Taten schlüssig. An einer Bemerkung Kriemhilds, dass alle Reiche unter Siegfrieds Befehl stehen sollten, „ze sînen handen solden stân“ (Str. 815, 4), entzündet sich der Streit der beiden Frauen und eskaliert schließlich zu einem Eklat. Beide sehen sich nicht grundlos im Recht, als sie von ihrem Ehemann behaupten, er sei der jeweils mächtigere König. Brünhild, die noch immer nicht die Wahrheit kennt, muss Kriemhilds prahlende Worte als anmaßend und schlicht haltlos empfinden, denn für sie ist Siegfried ein Lakai Gunthers, da er selbst sich als solcher bei ihr vorgestellt hatte (vgl. Str. 820-821). Um ihre höhere Position symbolisch zu untermauern, befiehlt sie Kriemhild, ihr beim Betreten der Kirche den Vortritt zu lassen (Str. 838). Kriemhild hingegen weiß, dass Siegfried, und damit aus ihrer Sicht auch sie selbst zumindest ebenbürtig mächtig ist und in ihrem Zorn ob der Herabwürdigung durch Brünhild, offenbart sie ihr vermeintliches Wissen: Siegfried habe Brünhild die Jungfernschaft genommen und sie damit zur „ kebse “ gemacht (vgl. Str. 839-840). Als Beweis für diese Behauptung zeigt sie Brünhild den Ring und den Gürtel, den Siegfried Brünhild gestohlen hatte. Brünhilds Demütigung vor versammeltem Hofe ist damit auf die Spitze getrieben. Man könnte an dieser Stelle argumentieren, dass Kriemhild, selbst wenn sie aus ihrer Sicht die Wahrheit gesprochen hatte, zu weit gegangen ist und damit hätte rechnen müssen, dass die Beleidigung Brünhilds zwangsläufig einen Konflikt heraufbeschwören würde, bei dem sie oder Siegfried mit dem Tode als Strafe zu rechnen hätten. Uta Störmer-Caysa stellt in ihrem Aufsatz über die Ehe Kriemhilds und Siegfrieds die plausible These auf, dass Kriemhild die Möglichkeit eines Konfliktes, der in Gewalt mündet, nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern einen solchen Konflikt geradezu beabsichtigt und darauf hingearbeitet hat.6 Der These nach drücke Kriemhild lediglich das aus, was Siegfried ohnehin von Beginn an wollte: den Anspruch auf die gesamte Macht im Land durchzusetzen, so wie Siegfried es bei seiner Ankunft in Worms bereits verkündet hatte: „ich will an iu ertwingen, swaz ir muget hân. Lant unde burge, daz sol mir werden undertân.“ (Str. 110, 3-4). Demzufolge würde Kriemhild exakt so handeln, wie ihr Mann es von ihr erwarte. Doch auf die Forderung Gunthers, Stellung zu den Behauptungen Kriemhilds zu beziehen, stellt sich Siegfried gegen seine Frau und versucht, den Schaden zu begrenzen, indem er alle Behauptungen dementiert und gelobt, Kriemhild für ihre Äußerungen zu bestrafen (vgl. Str. 858-862). Gunther indes, der selbst befürchten muss, dass sein eigener Verrat an Brünhild offenkundig wird, schützt Siegfried öffentlich und bürgt für dessen Unschuld:

(…) dô sprach der künic rîche: „mir ist wol bekannt iuwer grôz unschulde, ich will iu ledic lân, dez iuch mîn swester zîhet, daz ir des niene habt getân.“ (Str. 860, 2-4)

Es ist anzunehmen, dass Gunther vielmehr sich und seine Frau durch diese Geste schützen will, denn vor versammeltem Hofe muss der Vorwurf der Unzucht der Gemahlin des Königs glaubhaft widerlegt werden, da das Königspaar andernfalls riskieren würde, dass ihre Nachkommen die Legitimation, die Herrschaft zu erben, verlieren. Auf diese Gefahr weist Hagen hin, als er Gunther und dessen Brüder Gernot und Giselher, sowie Gunthers Truchsess Ortwin von Metz davon überzeugen will, dass Siegfried ob der Anschuldigungen sterben müsse: „Suln wir gouche ziehen?“ (Str. 867, 1). Der mittelhochdeutsche Ausdruck gouche verweist lautmalerisch auf den bei Aufregung geäußerten Ruf des Kuckucks.7 Hagens rhetorische Frage impliziert, dass man der Gefahr zuvorkommen müsse, dass die Kinder Brünhilds als Kuckuckskinder gelten, d.h. mit Siegfried unehelich gezeugte Bastarde, die als solche kein Recht zu herrschen hätten. Hagen ist als der energischste Verfechter des Plans zu betrachten, Siegfried zu töten. Der junge Giselher stellt sich indes entschieden gegen den Mordkomplott und auch Gunther scheint zumindest anfangs abgeneigt zu sein, was jedoch offenbar vor allem von seiner Furcht vor Siegfrieds Stärke herrührt, worauf die Strophe 872 hindeutet: „ouch ist sô grimme starc der wundernküene man, ob er sîn innen würde, sô torste in niemen bestân.“ (Str. 872, 3-4). Doch Hagen gelingt es schließlich, Gunther davon zu überzeugen, dass es ihm gelingen würde, Siegfried durch einen Hinterhalt zu töten. Die letzte Information, die er für diesen Zweck benötigt, erhält er ausgerechnet von Siegfrieds eigener Frau Kriemhild. Sie verrät Hagen die einzige Stelle am Körper des Helden, an der er verwundbar sei, nämlich zwischen den Schulterblättern. An dieser Stelle sei beim Bad im Drachenblut, das ihn ansonsten unverwundbar gemacht hatte, ein großes Lindenblatt auf ihn gefallen:

[...]


1 Das Nibelungenlied und die Klage. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Mittellhochdeutscher Text. Übersetzung und Kommentar. Herausgegeben von Joachim Heinzle. Berlin 2013.

2 Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang: die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998.

3 Störmer-Caysa, Uta: Kriemhilds erste Ehe: Ein Vorschlag zum Verständnis von Siegfrieds Tod im Nibelungenlied. In: Neophilologus, 1997; 83(1), S. 93-113.

4 Fasbender, Christoph: Siegfrieds Wald-Tod. Versuch über die Semantik von Räumen im Nibelungenlied. In: Staubach, Nikolaus/Johanterwage, Vera (Hrsg.): Außen und Innen. Räume und ihre Symbolik im Mittelalter. Frankfurt a.M. 2007, S. 13-24.

5 Diese Annahme geht aus dem Text nicht zwangsläufig als Fakt hervor.

6 vgl. Störmer-Caysa: Kriemhilds erste Ehe, S. 103-104.

7 „Gouche“. In: Singer, Johannes: Mittelhochdeutscher Grundwortschatz. Paderborn 2001, S. 134.

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Details

Titel
Die Ermordung Siegfrieds im Nibelungenlied. Warum der Heros sterben musste
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Verrecken bis Entschlafen. Poetische Todesästhetik im Mittelalter
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
14
Katalognummer
V1004701
ISBN (eBook)
9783346385246
ISBN (Buch)
9783346385253
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Siegfried, Nibelungenlied, Heros, Tod, Mediävistik, Kriemhild, Ermordung, Wald, Ursachen, Motive
Arbeit zitieren
Maximilian Pössinger (Autor:in), 2018, Die Ermordung Siegfrieds im Nibelungenlied. Warum der Heros sterben musste, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1004701

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