Labour - Gründung und Überblick


Skript, 2001

6 Seiten


Leseprobe


Gewerkschaftsbewegung und Arbeiterpartei

Obschon England wohl als das Ursprungsland der industriellen Revolution zu sehen ist, spielte ausgerechnet hier die große neue politische Kraft des 19. Jahrhunderts, der Sozialismus, zunächst keine nennenswerte Rolle. Erst mit dem Ende des Jahrhunderts versuchte eine Arbeiterpartei, sich als weitere Kraft neben den Konservativen und den Liberalen im politischen System zu etablieren.

Dies heißt jedoch nicht, das eine Auseinandersetzung mit sozialen Problemen nicht stattfand. Anders als in anderen europäischen Staaten kam diese jedoch aus der Praxis, es lag ihr keine Theorie zugrunde, kein Manifest oder Programm. Zahlreiche Industrielle schafften für ihre Belegschaft und deren Familien betriebseigene Wohnungen, Betriebsküchen, verkürzten Arbeitszeiten und sorgten für die Schulbildung der Kinder. Es waren aber eben die Versuche einzelner Privatpersonen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Situation der Arbeiter zu verbessern, in der Hoffnung, ihre Modelle würden Schule machen.

Auf nicht-parteilicher Ebene gab es Ansätze zur gewerkschaftlichen Organisation bereits im vorindustriellen 18. Jahrhundert, als sich im Bereich des Handwerkes die Trade Societies als Reaktion auf das zerfallende Zunftwesen bildeten. Sie wollten vorrangig die Rechte gelernter Arbeiter gegen ungelernte Hilfsarbeiter verteidigen und die Lehrlingsausbildung regeln. Sie nahmen also weitgehend die alten Aufgaben der Zünfte wahr, bald jedoch waren sie auch verantwortlich für kollektive Lohnverhandlungen. Diese Trade Societies standen außerhalb der Legalität, da Common Law, die Arbeitsgesetzgebung des späten Mittelalters sowie die Combination Acts (1799/1800) solche Zusammenschlüsse als Verschwörung definierten und kollektive Lohnverhandlungen als kriminelle Handlung betrachteten.

Nichts desto trotz breiteten sich die Trade Unions, wie sie vielerorts bereits genannt wurden, aus, oft getarnt oder im Untergrund, bis schließlich 1824 bzw. 1825 das Parlament die Verbote solcher Zusammenschlüsse weitgehend aufhob -jedoch nicht die Rechtmäßigkeit von friedlichen Streikaktionen herstellte.

Die sozialen Probleme, die zwischen 1820 und 1850 deutlich zunahmen, warfen jedoch die Frage nach einer generelle politische Ziele verfolgenden Arbeiterbewegung auf, die 1834 in der Gründung der Grand National Consolidated Trade Union (GNCTU) Ausdruck fand. Sie scheiterte jedoch schon bald nach ihrer Gründung an den ersten Belastungsproben, ebenso wie die radikaldemokratische Chartistenbewegung. Es wurde deutlich, dass es im England der industriellen Revolution kein geschlossen agierendes Proletariat gab, was sich auch in der

Vielzahl kleiner, unabhängiger Trade Unions niederschlug. Merkmal dieser Unions war eine Tendenz zur Organisation der Selbsthilfe, sie gründeten und verwalteten z.B. freiwillige Vorsorgeversicherungen für ihre Mitglieder. Ziel war nicht, wie in den meisten anderen Arbeiterbewegungen der Zeit, ein gesellschaftlicher Umsturz, Klassenkampf wurde nie propagiert.

In dieser Situation begann nun die zweite gewerkschaftliche Gründungswelle ab 1850, es gelang erstmals, dauerhafte Zusammenschlüsse überregionaler Organisationen zu schaffen, wie die Amalgated Society of Engineers von 1851, die wohl die mächtigste Gewerkschaft der Zeit war. Ein großes Problem war jedoch nach wie vor der unsichere rechtliche Status, der es den Gewerkschaften auch unmöglich machte, den Schutz des Gesetzes in Anspruch zu nehmen. Um stärkeren Einfluss auf das Parlament und somit die Gesetzgebung zu erhalten, schlossen sich die Gewerkschaften 1868 zu einer Dachorganisation, dem Trade Union Congress (TUC) zusammen. Erste Erfolge stellen sich ein, als 1871 die Rechtsunfähigkeit der Unions abgeschafft und 1875 friedliche Arbeitskampfpraktiken ausdrücklich vom Parlament gebilligt wurden.

Die nächsten Jahre waren im wesentlichen gekennzeichnet von ökonomisch wechselhaften Zeiten, die in ihrem Kielwasser die Gewerkschaften mit sich zogen. So sanken in schlechten Zeiten die Mitgliederzahlen zeitweise um 50 %.

Die fortschreitende Industrialisierung und Technisierung egalisierte allmählich die Unterschiede zwischen gelernter und ungelernter Arbeit, die Kluft zischen Arbeitern und Mittelklasse wuchs. Die Arbeitskämpfe wurden härter, die Fronten geschlossener. Neue Gewerkschaften ungelernter Arbeiter entstanden, die zum Ziel hatten, die gesamte Arbeiterschaft eines Produktionszweiges zu vereinigen. Allmählich entstand ein Klassenbewusstsein. Die 1890er sahen eine weiter Verschärfung der Lage, als die Gewerkschaften reihenweise in Arbeitskämpfen gegen die Arbeitgeber unterlagen, wie z.B. 1897/1898 die mächtige ASE. Die Einsicht, dass eine parlamentarische Vertretung zur wirkungsvollen Wahrnehmung der Interessen der Arbeiterschaft unabdingbar war.

Erste Versuche scheiterten jedoch, die 1869 gegründete Labour Representation League ebenso wie die Labour Election Association von 1886. Auch die Independent Labour Party schaffte es, trotz eines beachtlichen Mitgliederstammes nicht, bei den Wahlen 1895 auch nur einen ihrer Bewerber im Parlament unterzubringen.

Aufgrund der andauernden Misserfolge entschloss sich das TUC 1899, für das kommende Jahr einen Kongress einzuberufen, der über weitere Maßnahmen befinden sollte. Ergebnis war am 27.2.1900 erfolgte Gründung des Labour Representation Committee, dem es, entgegen einer ungünstigen nationalistischen Stimmung im Land, gelang, wenigstens zwei Abgeordnete ins Unterhaus zu bringen. Nun konnten sich auch die Gewerkschaften entschließen, ihre bisherige Zurückhaltung aufzugeben und die 1906 in Labour Party umbenannte Partei zu unterstützen. Bei den Wahlen dieses Jahres stellte sich der Erfolg in Form von 29 gewonnenen Sitzen ein.

Mit der Parteireform von 1918 wurde Labour zu einer echten Mitgliederpartei: einzelnen Personen war es nun möglich, in die Partei direkt einzutreten, anstatt wie zuvor Mitglied in einer der sie bildenden Gewerkschaft oder politischen Gruppe zu werden. Damit war der Schritt zu einer Arbeitervertretung im Parlament eindeutig vollzogen.

Labour 1900-1945

- eher eine Partei der Interessen denn der Ideen, da vor allem durch die Unions dominiert
- nicht revolutionär: „a gradual change of the old order into the new, without breach of continuity or abrupt general change of the social tissues”
- Politik kommt in der Zukunft nicht um kollektivistische Lösungen herum, wie die Bereitstellung eines öffentlichen Erziehungs- und Sozialwesens zeigt
- „Strictly constitutional action“
- nach 1918: Sozialismus (Clause IV) wird ins Programm aufgenommen, um radikale Gruppen ruhigzustellen; in den folgenden Jahren dogmatische Reden, jedoch keine erkennbare Politik in diese Richtung
- 1925: Rückkehr zum Goldstandard des Pfundes, englische Produkte werden international teurer, es kommt zu Lohnkürzungen bei den Kohleminen; Generalstreik, aus dem sich die meisten Unions jedoch schnell wieder zurückziehen; Minenarbeiter streiken alleine und erfolglos weiter; Konsequenz für Labour: nur politische Aktion ist wirksam
- „Trade Disputes Act“ macht gemeinsame Streikaktionen Illegal
- 1929 erstmals größte Partei im House of Commons, jedoch immer noch ohne Mehrheit; Weltwirtschaftskrise; Regierung MacDonald versucht, Budget stabil zu halten, verliert jedoch die Unterstützung durch die Partei nach Plänen, die Arbeitslosenhilfe zu kürzen; „National Government“; Labour verliert Wahlen
- 30er Jahre sehen eine programmatische Fortentwicklung mit sauber ausgearbeiteten

Zielen, um auf eine Regierungsübernahme vorbereitet zu sein:

- Public ownership
- Planning
- Demand management
- Collective system of welfare § Welfare

§ Well-being § Social justice

- Angst vor einer Rückkehr zu den Zuständen vor dem Krieg bringt Labour 1945 erstmals eine Mehrheit

Labour 1945-1951

- Verstaatlichung („Nationalization“) zahlreicher Industrien bis 1951 (Wasser, Gas Elektrizität, Kohle, Stahl, Eisenbahnen etc.)
- Kredite von den USA zu harten Rückzahlungsbedingungen zum Wiederaufbau der zerstörten Industrien und Wohnungen
- Kohle Krise Winter 1946/47, Dollar-Krise 1947 wegen US-Rezession; Kredite werden zu schnell verbraucht, da entwertet; Rationalisierung von Lebensmitteln härter als während des Krieges; Jedoch: keinerlei Kürzungen im überseeischen Militärbereich, da sonst die SU das entstehende Vakuum füllen könnte - Aufrechterhalten des Weltmachtstatus
- Marshall-Plan rettet GB aus der Finanzkrise

Verstaatlichung

- Betriebe mit ca. 2,3 Mio. Arbeitsplätzen in „public ownership“
- Annahme, dass die staatliche Kontrolle der Wirtschaft in Kriegszeiten die Funktionsfähigkeit der Planwirtschaft bewiesen hat, wobei jedoch die unterschiedlichen Ansprüche verkannt wurden

§ Konnte nur funktionierten, wenn die Industrien profitabel sowie die zu zahlenden Kompensationen gering sind - was beides nicht zutraf § Problem: alte Hierarchien blieben intakt, Labour schafft es nicht, sich die Wirtschaft nutzbar zu machen, sie war zwar nun nationalisiert, aber eben nicht geplant; dennoch zumindest in einigen Bereichen profitabel

- Im Gegensatz zu Japan oder Frankreich nicht die Kapitalströme kontrolliert, was dort zu besseren Ergebnissen führte - trotz Verstaatlichung der Bank von England
- Kontrolle von Kapital und Ressourcen, um Exporte zu steigern und den Import von Nahrung und Rohmaterialien zu finanzieren; Auf Kosten der Konsumgüter zunächst große Steigerung der Wirtschaftsleistung
- 1946 National Insurance Act
- 1947 Rezession in den USA, Pfund fällt mit: Kurserhalt und wirtschaftliche Stabilität laut Banken nur möglich, wenn im Wohlfahrtsstaat gekürzt wird; Kabinett widersteht und trotz Pfundentwertung steigt die Inflation nicht
- 1948 Gründung des NHS unter Bevan, der auch Hausbauprogramme mit hohem Standard initiiert
- Jedoch blieben die Hauptquellen sozialer Ungleichheit unangetastet:

- Verteilung des Reichtums
- Private Erziehung
- Private Versicherungen

New Labour

- 1993 One Member - One Vote
- 1994 Tony Blair zum Parteiführer Gewählt in der Nachfolge des verstorbenen John Smith: Bekenntnis zur Modernisierung der Partei, fordert Abschaffung der „Clause IV“
- 1995 Neue „Clause IV“ fordert nicht länger die Verstaatlichung der Industrien, sondern bekennt sich zu den Kräften des Marktes und definiert sich als demokratische sozialistische Partei, fordert „a community in which power, wealth, and opportunity are in the hands of the many, not the few“
- Der Klassenkampf ist ausgekämpft
- dynamische Wirtschaft im Dienste der Öffentlichkeit: Unternehmergeist und Wettbewerb vereint mit Partnerschaft und Zusammenarbeit, um den für die Nation notwendigen Reichtum zu erarbeiten
- Chancengleichheit: Leistungsgesellschaft, in der Menschen gemäß ihrem Talent und Potential aufsteigen, nicht nach Privileg oder Klasse (Potential der Vielen, nicht der Wenigen)
- Blühende Privatwirtschaft und hochkarätige Öffentliche Dienste
- Reduzierung der Macht der Gewerkschaften: Zusammenarbeit auch mit, aber ebn nicht nur den Gewerkschaften
- Mehr Geld für NHS, Sozialstaat und Ausbildung
- Mehr Integration in Europa

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Details

Titel
Labour - Gründung und Überblick
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Veranstaltung
Zwischenprüfung LA GY
Autor
Jahr
2001
Seiten
6
Katalognummer
V100473
ISBN (eBook)
9783638988995
Dateigröße
347 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Labour, Blair, Vlause IV, Geschichte, Arbeiter, Partei, England, Großbritannien, Thatcher, Verstaatlichung
Arbeit zitieren
Niels Meyer (Autor:in), 2001, Labour - Gründung und Überblick, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100473

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