Ruth Klüger - "weiter leben" Eine Jugend
1. Kurzer Inhalt
Ruth Klüger wurde 1931 in Wien als Jüdin geboren, wo sie ihre frühe Kindheit verlebte. Sehr eindrucksvoll beschreibt sie, wie sie während ihrer Kindheit in Wien die Diskriminierung der Juden und kurz darauf die antisemitische Verfolgung und Deportation in verschiedene Konzentrationslager ( zuerst Theresienstadt dann Auschwitz-Birkenau und schließlich Christianstadt ) erlebt. Sie schreibt über die enorme Bedeutung der Lyrik, die ihr während dieser Zeit den Lebenswillen zurückgegeben hat und das alles durchzustehen. Im Gegensatz zu vielen anderen vertritt sie die Meinung, dass Lyrik in und nach Auschwitz von großer Bedeutung ist und dass Gedichte zur Bewältigung unserer Vergangenheit viel beitragen können.
Aber sie schreibt auch über generelle Folgen von Folter und Lageraufenthalten, wie zum Beispiel dass die Betreffenden diese Erinnerungen und physischen und psychischen Schmerzen nie wieder loswerden oder wirklich bewältigen können.
Ihr Bericht umfaßt neben zahlreichen Episoden auch die Flucht aus dem KZ kurz vor Kriegsende im Frühling 45 und das "weiter leben" danach in Deutschland und in den USA. Heute lebt die Professorin für Germanistik in Irvine/California und unterrichtet an dessen Universität.
2. Anstoß für die Entstehung der Autobiographie
In einem Epilog berichtet sie von einem Unfall, bei dem ein jugendlicher Radfahrer sie überfährt und sie so nur knapp einer Querschnittslähmung entgeht. Das alles geschah in Göttingen ( Deutschland ) wohin sie anlässlich des 50. Jahresgedenktages der Reichskristallnacht 1988 als Gastdozentin zurückgekehrt ist.
Diesen Zwischenfall erlebt sie zuerst noch unbewußt - als Wiederholung deutscher Aggression gegen sie selbst und alle Juden. Sie wird mit dem Trauma konfrontiert, das die Lagererfahrungen bei ihr hinterlassen haben und beschließt aus diesem Anlass ein Buch über die unmenschliche Judenverfolgung im 3. Reich und ihre Art mit dieser Vergangenheit umzugehen zu schreiben.
Die Widmung des Buches lautet: " Den Göttinger Freunden - ein deutsches Buch". Die Autorin identifiziert sich jedoch nicht mit den Deutschen sondern distanziert sich klar, was auch aus der direkten Anrede der Leser hervorgeht. Adressaten sind Deutsche Nicht-Juden zu denen Ruth Klüger die nötige Distanz bewahrt - sie schreibt als Jüdin an ein Nicht-jüdisches Publikum. Sie will ihre deutschen Leser zur Auseinandersetzung bewegen und geht das ganze Buch hindurch streng mit der deutschen Bewältigung der Holocaustvergangenheit ins Gericht. Der Umgang mit dem Thema Auschwitz gefällt ihr nicht: die stark verbreitete "Museumskultur der KZ's", ein Gemisch aus Sakralisierung, Besserwisserei, Tabuisierung und kathartischer Verdrängung dessen, was sie am einen Leib erlebt hat. Im Zuge dessen setzt sie sich mit den gängigen Verarbeitungsritualen zahlreicher prominenter Autoren und auch Meinungen nicht-prominenter Zeitgenossen auseinander.
Die Autorin dokumentiert die Genese jüdischer Identität und verteidigt ihr Anderssein gegenüber den Vereinnahmungsversuchen symbiotischen Denkens. Ihre Strategie scheint eher auf Abgrenzung als auf Versöhnung abzuzielen.
3. Die einzelnen Stationen ihres Lebensweges
Aus der Fülle an Episoden läßt sich leicht die Identitätsfindung durch eine verstärkte Abgrenzung zeigen:
Schon in ihrer Kindheit in Wien wächst sie mit der Diskriminierung der Juden auf, weigert sich aber schon damals der Aufforderung der Erwachsenen Folge zu leisten um einen schlechten Eindruck zu vermeiden, damit der Antisemitismus nicht noch mehr geschürt wird ( "mach kein Risches" ). Ihrer Meinung nach war dieses "Kopfsenken" bereits sinnlos, da sowieso die ganze Bevölkerung gegen die Juden aufgehetzt war. Ruth sieht sich schon damals als oppositionell.
- Kinobesuche sind Juden 1940 bereits verboten. Dennoch besucht die 9jährige Ruth alleine einen Disneyfilm und wird von der Nachbarstocher, einer Nicht-Jüdin streng zurechtgewiesen.
In dieser Situation wird dem jungen Mädchen zum ersten mal in ihrer Todesangst klar, wie schlecht es mit ihr und den Nazis stand. Sie versteht mit einem Mal worum es geht und wie ernst die Lage ist, was bei den Erwachsenen in ihrer Umgebung anscheinend erst später eintritt.
- Als die Deutschen 1938 in Österreich einmarschieren besteht die 7jährige darauf nicht mehr mit ihrem Spitznamen Susi sondern mit dem offensichtlich jüdischen Namen Ruth angesprochen zu werden, was für einige eher lächerlich Klang, aber das Mädchen verlangte das aus Protest wodurch sie sich das 1.mal von anderen absichtlich abgrenzte.
- Es folgen der Abtransport nach Auschwitz, die Ankunft an der Rampe ( eine parallele zur absichtlich provozierenden Verwendung des Wortes wie bei Peter Weiß Ermittlung sticht ins Auge ) und die Beschreibung der Lagerrealität.
60-80 Menschen werden dicht gedrängt in einem Viehwagon befördert. Sie erlebt diese Reise als weitere Verwerfung und Abtrennung aus der Gesellschaft. Nach Jahren folgt wieder die Kritik über die Schwierigkeit über ein solches Erlebnis zu sprechen, da sie eben nicht salonfähig sind. Damals dachte sie, später etwas Wichtiges zu erzählen zu haben, doch keiner wollte es hören - zumindest nicht als Gesprächspartner.
Ab der Ankunft bei der Rampe versteht das Mädchen, dass man an diesem Ort nicht weint um die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken und unterdrückt instinktiv die Tränen. Der hasserfüllte Ton, mit dem die Häftlinge in Auschwitz angesprochen werden und das Autoritätsgehabe waren auf Aberkennung und Ablehnung der menschlichen Existenz gerichtet. Die Lebensberechtigung war Ruth Stück für stück schon ab frühester Kindheit aberkannt worden sodass Birkenau nur eine weitere logische Folge war.
- Die eintätovierte Nummer wird für sie zu einem Symbol. Damit ist sie etwas Ausserordentliches und sie freut sich schon damals darauf, später dadurch eindeutig als früher Verfolgte erkannt zu werden, denen man Achtung schuldet. Allerdings ist diese Reaktion so zu deuten, dass nur die, die Überleben Zeugen sein können, und so schon der ungebrochene Lebenswille deutlich wird - Sie wird hier nicht umkommen, sie nicht!
- Nach der Flucht aus einem SS-Transport im Frühjahr 45 erlebt das Mädchen eine neue Identität und vor allem Freiheit. Das überlebensnotwendige Misstrauen der deutschen Bevölkerung gegenüber wird deutlich.
Unter falschem Namen ( den sie danach vergaß und der sie erst beim Schreiben des Buches wieder interessierte ) und mit, von einem Pastor freundlicherweise ausgestellten, Papieren gelangen die 3 ( auch ihre Ziehschwester Ditha ) auf einen Transport für Deutsche, wo sie das erste mal "unter die Deutschen" kommt, zwar unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, aber doch als sie selbst.
- In New York bietet ein ehemaliger Freund ihres Vaters der depressiven Tochter kostenlose Therapiestunden an. Dieser österreichische Dr. Lazi Fessler ruft jedoch durch seine ständigen Beschuldigungen schließlich Selbstmordgedanken in dem 16jährigen Mädchen hervor. Das Schlimmste ist für sie, nicht ernst genommen zu werden und kein Recht auf Vergangenheitsbewältigung zu haben, ohne die Schuld bei ihr selbst zu suchen. Er bringt sie sogar so weit, dass sie versucht sich schlechte Charaktereigenschaften einzugestehen, die sie gar nicht hat. Dafür lebt sie weiter mit dem Problem das ihr die Toten machen, denen gegenüber sie ein schlechtes Gewissen hat, da sie ja am Leben ist.
Schließlich rettet sie sich in die Lektüre von Büchern, in ihre Leidenschaft zu Gedichten und therapiert sich selbst durch stundenlange Abendspaziergänge durch Manhatten. Hier festigt sie ihre Identität in einem langen Prozess.
4. Wichtige Personen im Leben von Ruth Klüger
Der Vater
Sie bezeichnet ihn als "Tyrannen von wundervoller Leichtigkeit". Die durch ihn und durch den Rest der jüdischen Männer erfahrene Unterdrückung bleibt ihr unweigerlich im Gedächtnis. Dieser patriarchaische Aspekt ihrer Religion war auch einer der Gründe, warum sie jetzt zwar immer noch Jüdin, allerdings ungläubige Jüdin ist. Den 2. Aspekt, ihren Vater betreffend, bilden die Erinnerungen an die unbeschwerten Stunden mit ihm in ihrer Kindheit, denn das Spielerische vermisste sie an ihrer Mutter.
Jetzt bringt sie ihm gemischte Gefühle entgegen: eine Mischung aus Schuld, die die als Überlebende dem Ermordeten gegenüber empfindet und Vorwürfe, die sie ihm macht, da er sie in der Kindheit verlassen ( im Stich gelassen ) hat.
Die Mutter
Mit ihr befindet Ruth sich ein Leben lang in Konflikt. Sie wirft ihr Aufdringlichkeit, Erziehung zur Abhängigkeit, Herrschsucht und ständige Konkurrenz vor. Allerdings tauchen auch Erklärungsversuche für dieses Verhalten auf. Vor allem die Entwurzelung durch die Zeit der Ausgrenzung haben starken Verfolgungswahn in der Psyche der Mutter hinterlassen, unter denen die Tochter oft zu leiden hatte. Als Kind schon verwirrt sie das Verhalten der Mutter ihr gegenüber sehr oft und sie erklärt sich diese absichtlichen Irritationen durch Boshaftigkeit und den Egoismus der Frau, die sie letztendlich durch ihre Stärke während der KZ-Zeit doch auch überleben ließ.
Das äußerst komplizierte Verhältnis zur Mutter äußert sich auch in dem Unvermögen zum Gespräch über intime Einzelheiten ihrer gemeinsamen Vergangenheit.
Schon in früher Kindheit zeigt sich die Mutter nie verständnisvoll für die Probleme der Tochter und hält ihr fortwährend vor, sie sei in ihrer Kindheit schlauer, creativer, mutiger und belastbarer gewesen, was das Kind in diesem Alter natürlich auf die Dauer natürlich stark in der Entwicklung eines gesunden Selbstbewußtseins hindern kann, was bei Ruth allerdings nicht der Fall war. Sie erkannte anscheinend früh die Absicht der Mutter sie durch diese irritierenden Methoden ( willkürliche Bestrafungen und plötzlicher Umschwung in Liebkosungen ) abhängig und unselbstständig zu machen um sie auf keinen Fall jemals zu verlieren. "Ihre Sprache war eine Sprache der Manipulation". Der Wunsch den letzten Menschen, der ihr geblieben ist, an sich zu binden ist unter Berücksichtigung der äußeren extremen Umstände auch Ruth klar und sie gesteht ihr dies auch zu.
Christoph
Sie lernt ihn als junge Studentin nach dem Krieg in Regensburg kennen. Seitdem verbindet die beiden eine "zähe Freundschaft" die oft aufgrund zu verschiedener Ansichten an der Kippe steht. Er wird zum "Inbegriff des Deutschen", der vom Fremden zwar fasziniert ist, es aber nur solange an sich heranläßt, als es seine Identität nicht gefährdet.
Die amerikanischen Studienfreundinnen und die Religion
Mit Marge, Anneliese und Simone schließt Ruth ebenfalls eine sehr gute Freundschaft, die bis heute gehalten hat. Nach ihrem Unfall in Göttingen fliegt Anneliese, die selbst an einer Gehbehinderung leidet, zu ihr um ihr im Krankenhaus während der unsicheren Zeit beisteht. Mit den dreien kommt es oft zu heißen theologischen Diskussionen, da Anneliese und Marge zwar von Geburt an Jüdinnen waren, jedoch gleichzeitig skeptische Christinnen. Durch sie kann Ruth ihre Vorurteile gegenüber den orthodoxen, die man für altmodische Fanatiker und die Getauften für charakterlose Assimilanten hält, abstreifen. Ruth selbst sieht sich als Nicht- gläubige Jüdin und nennt 3 Gründe dafür:
1. ihr fehlendes Talent zur Transzendenz
2. Die Abneigung gegen die jüdisch-christliche Gesellschaftsstruktur mit ihren patriarchaischen Zügen
3. war sie zu früh in gottverlassenen Räumen
5. Sprachliche Auffälligkeiten
- Nebeneinander verschiedener Textsorten in der Autobiographie:
Prosa ( im größten Teil )
Lyrik ( eine Anzahl von Gedichten ihrer Jugend, wie auch aus späterer Zeit unterbricht die Erzählungen. Die Ausführungen über die Entstehung und Bedeutung dieser Gedichte von der Autorin selbst sind sehr aufschlussreich und helfen dem Leser, die persönliche Aussage für Ruth zu begreifen. Ihr Leben lang fand sie Trost im Auswendiglernen und Aufsagen von Gedichten der alten Klassiker, wie zum Beispiel beim Appellstehen im KZ. So drückte sie auch ihre Gefühle aus, was der Psychiater in New York jedoch nicht verstehen konnte, obwohl das die einzige Möglichkeit für Ruth war, sich mitzuteilen. Essay
- chronologischer Aufbau, der jedoch von reflexiven und "theoretischen" Passagen unterbrochen wird.
Die Erzählung beginnt mit der Kindheit in Wien und endet im Epilog mit dem Unfall und der drohenden Lähmung, die die Autorin erst zum Schreiben dieser Autobiographie anregten.
Die Häufigen Abschweifungen und Erinnerungen an kleine Episoden lassen im Ganzen ein genau gezeichnetes Bild der Erfahrungen in Ruths Leben entstehen.
Zwischendurch lässt sie auch immer wieder ihre Meinung zu literarischen Verarbeitungsversuchen, von dem was sie erlebt hat, anderer berühmter Autoren ( wie Peter Weiß, Franz Kafka, Kant... ) einfließen. Der ästhetischen Diskussion über ein Darstellungsverbot nach Auschwitz und der Aussage Adornos, es sei barbarisch nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben, steht Ruth oppositionell gegenüber. Seiner Meinung nach solle man sich nur informieren und Dokumente lesen bzw. ansehen. Dem setzt Ruth jedoch entgegen, dass Gedichte eine bestimmte Art von Kritik sind und beim Verstehen dieser Dokumente helfen könne. Warum sollen sie nicht zum Denken anregen dürfen?
- verschiedene Zeiten
Die Erzählzeit ist, wie bei Romanen üblich das Imperfekt.
Jedoch wird diese Erzählzeit an gewissen Stellen zu Gunsten des Perfekt ausgesetzt.
Das läßt den Einfluss des österreichischen Sprachraumes, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat deutlich werden, da dies die "Erzählzeit" der Österreicher ist (im Unterschied zu den Deutschen).
- Verschiedene Zeitebenen in der Erz ä hlerinnenperspektive:
Die Stationen Kind - Heranwachsende - junge Frau - Autorin bedingen jeweils eine andere Sichtweise der Dinge, die auch nachempfunden werden können. Zum Beispeil werden Erlebnisse aus der Kindheit auch so gut als möglich zuerst aus der Sicht der 8jährigen, und die der Heranwachsenden aus der der Unverstandenen berichtet, bevor der Kommentar der heutigen reifen Frau hinzukommt.
- erz ä hlerische Darstellungsformen:
- Bericht
- direkte Anrede ( "an die Deutschen", "liebe Leserin", da sie ohnehin annimmt nur
weibliche Leser zu haben. Männer würden sich über ein solches Thema nicht genügend Gedanken machen. )
- syntaktischer Befund:
- Ganze Passagen, in denen der Leser mit Fragen überhäuft wird, was der Absicht der Autorin, zum Dialog zu bewegen entgegenkommt. Teilweise sind sie sehr provozierend.
- komplizierte Satzkonstruktionen
- wenig direkte Reden ( auch in Episoden mit Dialogen werden diese bevorzugt in indirekter Rede wiedergegeben )
- Wortwahl und Sprachebene:
- gehobene Stilebene (wie es von einer Germanistikprofessorin zu erwarten ist )
- Fremdworte und Fachausdrücke ( vor allem bei der Behandlung der Themen Religion und Philosophie )
- Umgangssprachliche sowie jiddische Ausdrücke
Vor allem am Beginn, als von der Kindheit in Wien berichtet wird, ist die Verwendung von Umgangssprachlichen, sowie typisch österreichischen Ausdrücken unumgänglich und werden für die deutsch Leser auch erklärt.
Das selbe gilt für jiddische Ausdrücke ( die Sprache der Juden ), die Ruth erst im KZ von den Zionisten vermehrt lernt. (z.B.: "Risches machen" für Antisemitismus provozieren )
- englische Ausdrücke ( in der Zeit nach dem Krieg in Amerika. Englisch ist die zweite Sprache von Ruth Klüger geworden. )
- Metaphern und Vergleiche
6. Ablehnung des Museumskults
Dem Buch liegt die These zugrunde, dass der Holocaust unter den Deutschen heute immer noch tabuisiert werde, was allerdings angesichts dem, im Gegenteil, großen Interesse an der Vergangenheit nicht belegbar ist. Man denke nur an Filme wie "Schindlers Liste", "Holocaust" oder die zahlreichen Hitler-Dokumentationen im TV. Im Wesentlichen gibt es zwei Arten, wie falsch an die Vergangenheitsarbeit herangegangen werden kann:
- Der Grundsatz "Nie wieder Faschismus" der 68er Generation ist für die heutigen Jugendlichen nicht mehr verständlich und sie bringen dieser Argumentation Desinteresse oder gar Ablehnung entgegen.
- Das Holocaustdrama zum großen Medienspektakel zu machen und somit der Völkermord des 3. Reiches nur noch den Status einer beliebten Hollywood-Story erhält.
Sie versucht ihre deutschen Leser zur Auseinandersetzung zu bewegen und schreibt dabei immer wieder gegen einen bestimmten Umgang mit dem Thema Auschwitz: der "Museumskult der KZs" ist ein Gemisch aus
- Sakralisierung (die Konservierung von KZs; hier tauchen die beiden Zivildiener in Göttingen auf, die die Zäune von Auschwitz gestrichen haben - was für Ruth zum Inbegriff eines überflüssigen Museumskults wird),
- Besserwisserei ( am Beispiel der immer wieder auftauchenden Figur der deutschen Gisela, die sie später in den USA trifft und die der Meinung ist " Auschwitz kann nicht so schlimm gewesen sein". ),
- Tabuisierung ( viele sind nicht im Stande über die Vorgänge zu reden und das Gespräch ist am Ende, wenn die Partner Ruths Vergangenheit erfahren.) und
- kathargischer Verdrängung
Die "Zaunanstreicher" idealisieren "die" Opfer und verdammen "die" Täter Pauschal. Merkwürdigerweise empfindet Ruth keine Rachegefühle gegen die "Deutsch", was besonders in dem Teil deutlich wird, als sie ihre Gleichgültigkeit über die Verurteilung eines ehemaligen Lagerführers zum Ausdruck bringt.
Der "Museumskult" besteht darin, Schulklassen vor Ort, an den grausigen Stellen des Verbrechens, eine bestimmte Reaktion zu diktieren und die oben genannten Pauschale werden automatisch vermittelt. Jedoch wird aus der Lagerrealität, die Ruth beschreibt, klar, dass es "die" Opfer nicht pauschal gibt, da die unterschiedlichsten Charaktere in den Lagern umkamen. Bestes Beispiel dafür sind die "Politischen", die ebenso Anhänger des Antisemitismus waren und aus anderen politischen Gründen ins Lager gekommen waren. Sie verachteten die Juden genauso, wie die Nazis draußen. Im krassen Gegensatz zu ihnen steht das Erlebnis, das Ruth im Alter von 12 Jahren das Leben rettete. Ein weiblicher Häftling nimmt ein enormes Risiko auf sich, um dem ihr unbekannten Kind die Verlegung von Auschwitz ( wo ihr der sichere Tod gedroht hätte ) in ein Arbeitslager zu ermöglichen. Hier beschäftigt sie sich mit Kants Akt der Freiheit und bringt den Beweis, dass die altruistische Abkehr von jeglichen Eigeninteresse existiert. Zwar nicht als allgemein selbstverständliches Phänomen, aber doch als prinzipielle Möglichkeit - als seltenes Ereignis in einer Extremsituation. Der Mensch hat also die Freiheit zu moralischem Handeln.
- Arbeit zitieren
- Katharina Schulz (Autor:in), 2000, Klüger, Ruth - weiter leben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100508