Das Ende des SDS


Seminararbeit, 1999

13 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Externe Faktoren
2.1. Die Entwicklung in der BRD
2.2. Andere Externe Faktoren

3. Interne Faktoren
3.1. Zerplitterung
3.2. Frauenfrage
3.3. Kritik von J. Habermas
3.4. Zur Strategie der Gegenistitutionen und Gegenkultur

4. Exkurs: Der SDS in Freiburg
4.1. Organisation
4.2. Aktionen
4.3. Das Ende des Freiburger SDS

5. Was blieb übrig vom SDS?

6. Schluß

Anhang: Literaturverzeichnis

1. Einführung

Im September 1946 gründete sich in Hamburg der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). In den folgenden Jahren widmete er sich als Hochschulgruppe der SPD fast ausschließlich hochschulpolitischen Themen. Ende der fünfziger Jahre und speziell nach der Verabschiedung des Godesberger Programmes seitens der SPD, kam es zu immer stärkeren und offeneren Spannungen zwischen SDS und SPD. Daraufhin brach die SPD, Ende Juli 1960, die Beziehungen zum SDS ab und verabschiedete einige Monate später einen Unvereinbarkeitsbeschluß1. Von nun an war der SDS gezwungenermaßen unabhängig. In den folgenden Jahren arbeitete er weiterhin hauptsächlich zu hochschulpolitischen Themen. Doch mit Beginn der Studentenunruhen 1967, avancierte der SDS mehr und mehr zur "revolutionären Speerspitze" des Protestes. Er war es, der durch zahlreiche Veranstaltungen, Demonstrationen und Demonstrationstechniken die Studentenunruhen entscheidend prägte. Am 21. März 1970 löste eine Versammlung im Frankfurter Studentenhaus den SDS- Bundesvorstand und damit den SDS als Bundesverband auf.

Die Auflösung war nur der mehr oder minder formale Aspekt der Tatsache, daß der SDS schon längst aufgehört hatte, einheitlich zu funktionieren.

Wie kam es, das sich der Verband kurz nach seiner Hochphase auflöst?

Welche Probleme und Spannungen waren offenbar schon länger vorhanden, kamen aber erst spät zum Ausdruck?

Welche internen und externen Faktoren spielten diesbezüglich eine Rolle?

Was wurde aus den politisierten Studenten und deren Ideen nach der Auflösung des SDS? In meiner Arbeit werde ich versuchen, diese Fragen zu beantworten. Desweiteren werde ich anhand des Beispieles des Freiburger SDS versuchen, die konkreten Auswirkungen der SDSPolitik zu verdeutlichen. Es soll einerseits helfen, die vielen praktischen und alltäglichen Probleme der SDS-Arbeit aufzuzeigen, andererseits aber auch exemplarisch für die Verhältnisse in SDS Gruppen stehen, die nicht zu den "großen" Gruppen wie der Frankfurter und der Berlin SDS gehörten, welche doch weitestgehend den bundespolitischen Diskussionsprozess innerhalb des SDS, bestimmten.

2. Externe Faktoren

2.1. Die Entwicklung in der BRD

In der BRD formierte sich gegen die geplanten Notstandsgesetze ein breites Bündnis aus Kirchenvertretern, Studenten, Gewerkschaften und Linken. Dem SDS war schon zum Zeitpunkt der großen Anti-Notstands-Demonstrationen klar, daß die Kampagne gescheitert war. Für ihn ging es darum, den Rückfall der Studenten und Schüler in die politische Apathie zu verhindern und die Breite der Bewegung, besonders die Unterstützung der Gewerkschaften und damit der Arbeiter zu erhalten, sowie sich als revolutionäre Speerspitze zu etablieren. Doch schon im "September 1968 mußte der bisherige Vorsitzende, Karl-Dietrich-Wolf bekennen, daß es nicht gelungen sei, die während den Osterunruhen erreichte spontane Aktionseinheit in 'kontinuierliche Kontakte' umzuwandeln."2

Seinen Führungsanspruch begründete der SDS mit der sogenannten Manipulationsthese. D.h., daß das Proletariat durch Manipulation, Repression und Konsumterror daran gehindert werde, seine objektiven sozialen und politischen Interessen zu erkennen. Deshalb müssen die Intellektuellen das System durchschauen und die Massen mobilisieren und leiten.3

Doch dies gelang nicht. Direkt nach Verabschiedung der Notstandsgesetze wandte sich ein Großteil der Demonstranten enttäuscht ab.

Es "wurde die Diskrepanz zwischen konkreter 'linker' Strategie, augenblicklicher Potenz und der Repressonssteigerung von Seiten der herrschaftlichen Reaktion offenbar".4

Doch im Verlaufe der 68er Bewegung lernte auch die Polizei hinzu, so daß sich einige originelle Demonstrationstechniken, die allen voran der SDS entwickelt hatte, sich mit der Zeit abnutzten und eine massenhafte Solidarisierung ausblieb,5 zumal viele sympathisierende Studenten von der Rigidität und Rigerosität der SDS Forderungen Abstand nahmen. Auch die Hochschulreform und der Regierungswechsel 1969, waren für viele Studenten der Beweis, der Veränderbarkeit dieser Gesellschaft, so daß sie von den radikalen Forderungen des SDS Abstand nahmen.

2.2. Andere Externe Faktoren

Im Sommer 1968 wurde die Pariser Studenten Kommune zerschlagen. Am 21. August 1968 marschierten Truppen verschiedener Warschauer-Pakt-Staaten in die nach größerer Unabhängigkeit und mehr individuellen Freiheiten strebende CSSR ein. Diese beiden Ereignisse hatten große Auswirkungen auch auf die deutsche Studentenbewegung.

In Frankreich hatten sich weite Teile der Arbeiterschaft mit den Studenten solidarisiert. Es war eine Massenbewegung entstanden, wie sie sich die SDS nur wünschen konnte und der revolutionäre Umsturz schien zum Greifen nahe. Dennoch gelang er nicht und demotivierte damit gewiss auch weite Teile der westdeutschen Linken.

Mit dem Einmarsch in die CSSR schien die Möglichkeit eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz, welcher sich nicht direkt an den Vorgaben Moskaus orientierte, zumindest im Bereich des Warschauer Paktes, unmöglich. Das Sozialismusmodell des Warschauer Paktes, konnte nun praktisch keine Anziehungskraft auf die westdeutsche Linke mehr ausüben.

3. Interne Faktoren

3.1. Zersplitterung

Innerhalb der Studentenbewegung war der Führungsanspruch des SDS unbestritten, auch wenn er selbst durchaus nicht homogen war.

Der SDS hatte keine klar umrissene Strategie vorzuweisen. In ihm sammelten sich Strömungen, welche sich vor allem auf Rosa Luxemburg oder Lenin beriefen, darüber hinaus war der SDS stark beeinflußt von Anhängern Herbert Marcuses. Desweiteren gab es trotzkistische, castroisch und anarchistische oder anarcho-syndikalistische Strömungen, sowie vereinzelt auch maoistische Tendenzen.6

Die Fraktionierung in die verschiedensten "Basisgruppen", "Ad-hoc-Gruppen" und "Roten Zellen" interpretiert Langguth als Ermüdungserscheinung, ausgelöst durch das Scheitern des bisherigen Versuches, die Arbeiterschaft zu mobilisieren und einen Revolutionierungsprozess zu beginnen.7 Im Wesentlichen gab es aber zwei Gruppen: Die Antiautoritären, deren Hauptwortführer Krahl, Lefèvre, Rabehl, Dutschke und die Gebrüder Wolff waren, auf der einen Seite und andererseits die Traditionalisten, die auch als KP-Fraktion bezeichnet wurden, sich selbst als Marxisten-Leninisten sahen und sich weitgehend am Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang Abendrot orientierten.

Einigkeit herrschte darüber, daß ein Sieg nur im Bündnis mit der Arbeiterklasse zu erreichen war.

Der Ausschluß von fünf Mitgliedern der KP-Fraktion die "spalterisch die Aktionseinheit des SDS gefährdet" hätten, auf der Delegiertenkonferenz im September 1968, wies bereits auf die großen ideologischen Gräben innerhalb des SDS hin. Auf der SDS-Delegiertenkonferenz vom 13./14. April 1969 konnten dann im SDS keine verbindlichen Beschlüsse mehr gefaßt werden.

Lediglich ein neuer Vorstand konnte gewählt werden. Doch auch der SDS-Bundesvorstand hatte längst keine koordinierende Funktion mehr, sondern galt lediglich als Clearing- und Informationsstelle.8

Dem SDS gelang es auch auf seiner letzten ordentlichen Delegiertenkonferenz vom 12.-16. September 1969 auch nicht, die "informellen Machteliten", die immer wieder von den Antiautoritären bemängelt wurden, abzubauen und eine Demokratisierung umzusetzen. Selbst Dutschke war innerhalb des SDS heftig umstritten und es wurde immer wieder die Entfremdung der revolutionären Führungsschicht von ihren eigenen Anhängern beklagt. Ein weiteres Problem, das ebenfalls innerhalb des SDS bestand, war die Ungleichzeitigkeit der ideologischen Entwicklung von Stadt und Land. Während auf dem Land noch theoretisiert wurde, praktizierten die Großstätdter schon den Angriff auf die Polizei.9

3.2. Frauenfrage

Auch in der Frauenfrage schleppte der SDS einige Probleme mit, wie auf der Delegiertenkonferenz vom 12. bis zum 16. September 1968 in Frankfurt deutlich wurde.

Frauen aus dem Berliner "Aktionsrat zur Befreiung der Frau", forderten von ihren männlichen Genossen Gleichberechtigung ein. Sie wollen nicht nur als Plakatkleber und Kaffekocher für die männlichen Genossen dienen. Vielmehr sollten sich diese auch an der Kinderbetreuung innerhalb des SDS beteiligen. Die Genossinnen hatten es satt, "ihre alltäglichen Bedürfnisse und Probleme der 'großen Politik' nachzuordnen, sich lediglich theoretisch und abstrakt auf einen emanzipatorischen Anspruch einzulassen"10. Als die männlichen Genossen das Anliegen der Frauen nicht ernst nahmen, und man den Frauen erklärte, daß zuerst einmal die noch stärker ausgebeuteten Frauen, die Arbeiterinnen, befreit werden müssten, flog eine Tomate auf das Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Krahl. Dieser Tomatenwurf gilt als Anfang der neuen Frauenbewegung in Deutschland. Es bildeten sich in vielen SDS-Gruppen sogenannte "Weiberräte", die für die Gleichberechtigung der Frauen im SDS und in der Gesellschaft kämpften. Auf dem nächsten SDS Bundeskongress brachten die "Weiberräte" ihre Forderungen dann aggressiver ein. Fast schon legendär ist das Flugblatt "Befreit die sozialistischen Eminenzen, von ihren Bürgerlichen Schwänzen".11 Sie warfen den SDS- Männern vor, zwar Menschheitsbefreier sein, aber dennoch Frauenunterdrücker bleiben zu wollen.12 Dennoch wurden den Forderungen der Frauen im SDS selbst weit weniger Aufmerksamkeit gewidmet, als in der linken bis linksliberalen Presse.13 In der Zeitschrift des SDS "Neue Kritik", wurde bis zur Auflösung nicht mit einem einzigen Artikel auf die Frauenfrage eingegangen.14

3.3. Kritik von J. Habermas

Am 1. Juni 1968 forderte Jürgen Habermas den SDS zu einem inhaltlichen Streitgespräch heraus. Er behauptete, es gebe eine "neue ernsthafte Perspektive für die Umwälzungen tiefsitzender Gesellschaftsstrukturen"15. Auf einem Frankfurter Studentenkongreß vertrat er folgende sechs Thesen:

1.Das politische System gerät in eine Legitimationskrise, sobald eine breite Schichte der Bevölkerung ihre Interessen wahrnimmt, da das spätkapitalistische System von einer endpolitisierten Öffentlichkeit lebt. Ziel der Studenten sei es daher, die Öffentlichkeit zu politisieren.

2. Ihre Erfolge verdanken die Studentenbewegung und der SDS ihren neuen Demonstrationstechniken, die mit geringem Aufwand, tendenziell in allen Schichten der Bevölkerung einen Lernprozess in Gang bringen.

"Die neuen Demonstrationstechniken treffen die einzige schwache Stelle des legitimationsbedürftigen Herrschaftssystems, nämlich die funktionsnotwendige Entpolitisierung breiter Bevölkerungsschichten"16.

3. Das Potential der protestierenden Schüler und Studenten verlangt keine ökonomische, sondern eine sozialpsychologische Erklärung, da die Träger der Protestbewegung relativ privilegiert sind. Das Leistungsprinzip hat seine Funktion verloren und die Studentenbewegung ist auf dem Weg, dieser historisch überholten Leistungsideologie den Rest zu geben.

4. Die Studenten verfolgten marxistische Handlungstheorien, die ungewiß oder nachweislich falsch, in jedem Falle jedoch unbrauchbar sind.

Erstens steht das Kapital nicht vor grundlegenden Verwertungsschwierigkeiten.

Zweitens gibt es keinen empirischen Beleg dafür, daß Klassengegensätze unbedingt in politische Klassenkämpfe führen müssen.

Und drittens wird die imperialistische Ausbeutung der Dritten Welt abgelöst durch strategische Abhängigkeit der einstmals kolonialisierten Völker.

5. Aus dieser falschen Einschätzung heraus, folgt eine Strategie, die auf Dauer zu einer Isolation führt und alle demokratischen Kräfte auf Dauer schwächt. Die Demonstrationstechniken haben sich in den Köpfen der SDSler längst verselbstständigt und dazu geführt, daß sie Symbole mit der Wirklichkeit verwechseln, was den klinischen Tatbestand der Wahnvorstellung erfüllt.

6."Die Taktik der Scheinrevolution muß eine langfristige Strategie der massenhaften Aufklärung weichen." Die Studenten könnten nicht Stellvertreter der Massen sein. Politische Streiks seien nur mit Hilfe der Gewerkschaften möglich.17

Zum ersten Mal entzog sich der sonst so streitfreudige SDS der Debatte, veröffentlichte zwar einige Zeit später eine Gegenschrift, bei der er aber nicht mit der sonstigen intellektuellen Redlichkeit vorging. Diese Debatte war ein Beleg für die Unfähigkeit des SDS, Fehler und Lücken einzugestehen. Sie war ebenfalls ein Zeichen dafür, daß das früher so stabile theoretische Fundament des SDS ins Wanken geriet.

3.4. Zur Strategie der Gegeninstitutionen und Gegenkultur

Der SDS entwickelte, basierend auf der Idee, daß es bereits unter diesem System möglich sei einen emanzipatorischen Anspruch zu Leben, die Strategie der Gegeninstitutionen und Gegenkultur.18

Zu Gegeninstitutionen, gehört sicherlich der Aufbau der kritischen Universität in Berlin, die aber recht einseitig ausgerichtet war und nach kurzer Zeit wieder aufgegeben wurde. Zu den Gegeninstitutionen, die noch bis in die Gegenwart reichen, gehören Beispielsweise die Herausbildung direkter Aktionsformen, Stadtteilinitiativen oder alternative Medien.19 Gegenkulturelle Techniken hatten das Ziel einer Transformation der Persönlichkeitsstrukturen. Ausgehend von den Arbeiten der Frankfurter Schule über den Zusammenhang von Antisemitismus und Persönlichkeitsstruktur, wollten sie über vielfältige Strategien die "subjektiven Dispositionen" der Persönlichkeiten ändern. Dazu gehörte Marcuses Strategie der großen Weigerung, aber vor allem durch neue Kunstformen wie sie z.B. die Situationistische Internationale praktizierte, wollte man die Bevölkerung spielerisch mit antiautoritären und revolutionären Verhaltensweisen in Kontakt bringen.

4. Exkurs: Der SDS in Freiburg

4.1. Organisation

Um 1967 hatte die Freiburger SDS Gruppe20 ca. 20 Mitglieder, einen Vorsitzenden gab es nicht mehr, dennoch gab es eine informelle Kerngruppe, die aus Klaus Theweleit (Germanistik Student), Ekkehard Werner (Soziologie Student), Ute Hagemann (Soziologie Studentin), Edmund Riedmüller (ehemaliger Bremer Werftarbeiter, Soziologie Student), Michael Moos (Jura Student), Karl Müller (Germanistik Student), Walter Moosmann (Mitarbeiter der Arno Bergsträsser Institut und Radiojournalist) und Daniel Basi (argentinischer Musik Student) bestand. Man traf sich regelmäßig Montags in der Alten Uni und auch in den WGen in der Immentalstraße und der Gartenstraße, die weitgehend von SDS Mitgliedern bewohnt waren und diskutierte bis spät in die Nacht.

In Freiburg war der SDS in Projektgruppen unterteilt. So gab es beispielsweise neben der Hochschulgruppe eine Betriebsprojektgruppe und eine Projektgruppe Internationalismus, die im Gegensatz zu Amnesty International oder der u.a. vom sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) gegründeten Dritte Welt Gruppe, offen Geld für Waffen zur Befreiung der Länder Lateinamerikas sammelten.

Der SDS war auch in Freiburg nie eine einheitliche Organisation. Vielmehr war es eine Anzahl von Leuten, die ihm nach Außen ein Gesicht verliehen. Viele der neuhinzugekommenen SDS Mitglieder waren im Gegensatz zu den älteren, die eher aus der Tradition der SPD und der Gewerkschaftsarbeit kamen, Musiker oder Künstler und machten den SDS insgesamt aktionistischer und verliehen ihm damit ein anderes Gesicht. Finanziert hat sich der SDS in Freiburg, entgegen anderslautender Gerüchte, nicht aus Ostgeldern, sondern aus Mitgliedsbeiträgen und ab 1969 auch aus Einnahmen, des Buchladens "libro libre" in der Hermannstraße 53. Einmal bekam er auch eine Spende von 1000 DM vom Historiker und Publizist Golo Mann. Zum Drucken konnte die Druckerei des AStA genutzt werden, obwohl es immer wieder einen Kampf darum gab. Überhaupt bestand oft eine Spannung zwischen dem SDS und dem AStA, der von SDS Mitgliedern als angepasst beschrieben wurde.

Dem Bundestrend entsprechend wuchs auch der SDS Freiburg bis 1969 deutlich. Inzwischen kamen 50-75 Personen zu den Montagssitzungen.

Zu der Frage, wie es mit der Gleichberechtigung der Frauen beim Freiburger SDS bestellt war, gibt es widersprüchliche Angaben. Während Theweleit meinte, es gäbe keine Frauenunterdrückung in Freiburg, die Frauen hätten sich lediglich von sich aus so wenig eingebracht, meinte Trude Hensch, ebenfalls damaliges SDS Mitglied, Frauen hätten auch im Freiburger SDS eine untergeordnete Rolle gespielt. Michael Moos erklärte dies als Folge der insgesamt wenigen weiblichen Studierenden an der Uni und dem SDS. Allerdings habe man sich erst nach dem Tomatenwurf auf Krahl in Frankfurt überhaupt mit der Thematik befasst. Vorher sei das Problem lediglich als ein Abstraktes wahrgenommen worden.

4.2. Aktionen

Seit dem Eintritt vieler Künstler und Musiker in den Freiburger SDS, wurden viele Aktionen richtige Happenings. So zum Beispiel die Blockade des Bertoldsbrunnen (der damals noch Hauptverkehrspunkt auch für den Autoverkehr war), am 1. Februar 1968. Diese Aktion war der Durchbruch des Freiburger SDS. Fingen die Besetzungen, die jeden Tag um 13 Uhr stattfanden zuerst mit 20-40 Leuten, überwiegend SDSler und Sympathisanten an, so gesellten sich im Verlaufe der Tage einige hundert Menschen, hauptsächlich Schüler und Studenten, dazu. Dabei wurde zuerst nur gegen eine Fahrpreiserhöhung von 40 Pf demonstriert, da aber die Polizei übermäßig reagierte (es kam zum ersten Wasserwerfereinsatz in Baden Württemberg), schlossen sich viele Demonstranten einer generellen Kritik am "System" an. Doch obwohl sie logistisch von der Gewerkschaft unterstützt wurden, bestand ein breites Unverständnis für die Besetzungsaktion in der "Arbeiterklasse".

Desweiteren wurden regelmäßig Teach Ins, sowie zwei Großveranstaltungen mit jeweils 3000 Personen zu den Notstandsgesetzen veranstaltet. Im Wintersemester 68/69 wurde die Leinwand im Friedrichspalast "unbrauchbar" gemacht, um die Ausstrahlung des Vietnamkriegsverherlichenden Films "The Green Barrets" zu verhindern. Auch an überregionalen Aktionen waren Freiburger unter Federführung des SDS beteiligt. Zum Vietnamkongress in Berlin kamen ca. 100 Freiburger, am Sternmarsch auf Bonn nahmen ca. 500 Freiburger Studenten und Schüler teil, sowie ca. 200 Arbeiter. Ostern 1968 schaffte man es unter anderem mit ca. 150 Freiburgern die Auslieferung der Bildzeitung für einen Tag zu verhindern (im Gegensatz zu Berlin, wo dies nicht gelang). Auch sind einige SDSler auf die Delegiertenversammlungen des SDS gefahren. Geredet hat dort aber keiner von ihnen, da aufgrund des hohen theoretischen Niveaus, welches dort geherrscht hat, lediglich die Frankfurter und Berliner geredet hätten.

4.3. Das Ende des Freiburger SDS

Über das Ende des SDS in Freiburg meinte Karl Müller, das "hier-und-jetzt-Gefühl" sei gewichen. Theweleit hingegen beschreibt das Ende als einen "normalen" psychischen Zusammenbruch. Immerhin war es eine kleine Kerngruppe, die ca. 2 Jahre lang Tag und Nacht für den SDS gearbeitet hat. Die meisten von ihnen hätten sich daraufhin sogar in psychiatrische Behandlung begeben müssen. Michael Moos wiederum erklärte den Zusammenbruch als logische Konsequenz der Tatsache, das man von den Hochschulen weg, hin zur Gesamtbevölkerung wollte.

Die Internationalismusgruppe arbeitete dennoch weiter. Auch die Hochschulaktivisten setzten als Rote Zellen ihre Arbeit fort und die Betriebsprojektgruppe wandelte sich in den Bund Kommunistischer Arbeiter, der sich 1973 mit anderen ähnlichen Gruppen auf Bundesebene zum Kommunistischen Bund Westdeutschlands zusammenschloß. Von den Hauptaktiven, blieben viele der politischen Arbeit, oft im kulturellen Bereich, in irgendeiner Weise treu. Im Frühjahr 1970 war der SDS am Ende. Lautlos und ohne Dramatik. Statt wie sonst Montags Abends um halb Eins nach der SDS Sitzung in den Wienerwald zu gehen, ging man schon um 21 Uhr hin. Am nächsten Morgen gab es keinen SDS mehr.

5. Was blieb übrig vom SDS?

Nach der Auflösung des SDS-Bundesverbandes existierte der SDS in einigen Städten weiterhin. So auch in Heidelberg, wo er aufgrund der bundesweiten Schwäche am 24. Juni 1970 von der Landesregierung verboten werden konnte.

Viele der stark politisierten SDS Mitglieder engagierten sich jedoch in den verschiedensten linken Gruppierungen z.B. DKP, KPD/ML etc. weiter.

Innerhalb des SDS befürworteten eine kleine Gruppe offen den Terror. Bernd Rabehl sprach diesbezüglich von einem "Bakunistischen Geheimbund des SDS". Daraus bildete sich später der Kern der sogenannten Bader-Meinhof-Gruppe.21

Die experimentellen Ansätze alternativer Lebensformen, wie Kommune, Wohngemeinschaft, Kinderläden, kritischer Konsum etc. wurden von weiten Teilen der SDS-Aktiven weiter verfolgt und erhielten durch Abschwächung und Ausbreitung in den 70er Jahren durchaus Massenrelevanz.22

Auch viele gegenkulturelle Ansätze wirken noch bis weit in die Gegenwart.

6. Schluß

Die Auflösung des SDS war bei einem Treffen von 80 Genossen anläßlich der Beerdigung Hans Jürgen Krahls in Frankfurt bereits informell beschlossen worden. Bei der Versammlung vom 21. März 1970, waren nicht einmal mehr Vertreter aus Berlin anwesend. Gescheitert ist der SDS an der Tatsache, daß er seinem selbstgesetzten Anspruch, nicht mehr gerecht werden konnte.

Die Oligarchisierung, die bereits eingetreten war stand im Gegensatz zum Anspruch, eine antiautoritäre Organisation zu sein. Der SDS war nicht mehr fähig die Diskussionen, die im Inneren der Organisation schwelten, zu führen. Dazu gehört die Diskussion nach einer modernen sozialistischen Zukunft sowie dem Weg dorthin und auch die Frage der Gleichberechtigung oder der Organisationsform.

Das Ende des SDS begann schon lange vor der endgültigen Auflösung, mit der Unfähigkeit zur kritischen (und vor allem selbstkritischen) Auseinandersetzung. Denn genau diese Kritikfähigkeit auf hohem intellektuellen Niveau war ein stabiles Theoretisches Fundament für alle weiteren Aktionen des SDS.

Doch längst war der Zusammenhalt der einzelnen Gruppen nur durch eine Negativdefinition möglich. Gemeinsam lehnte man die Zustände in der BRD ab. Als es aber darum ging, konkrete Konzepte für einen modernen Sozialismus vorzulegen, hielt man nur vage, rätedemokratische Vorstellungen parat.

Insgesamt war der Rahmen, der die Gruppe durch eine gemeinsame Ablehnung des bestehenden Systems zusammen hielt, nicht stark genug, die inneren Widersprüche zu überdecken. Man drängte hinaus aus den Hochschulen hin zur Gesamtbevölkerung und riß alle Brücken in Form einer sicheren Organisation hinter sich ab.

Das Ende des SDS ist daher zwar ein langsamer Zerfallsprozeß, der aber lediglich gegen Ende als ein solcher wahrgenommen wurde. Lange Zeit überdeckte die Revolutionseuphorie, die innerorganisatorischen Probleme

Literaturverzeichnis

1. Fichter/Lönnendonker, Macht und Ohnmacht der Studenten - kleine Geschichte des SDS, Hamburg 1998
2. Langguth, Gerd, Protestbewegung, Köln 1983
3. Albrecht, Willy, Der sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), Bonn 1994
4. Brand, Karl-Werner, Aufbruch in eine andere Gesellschaft, Frankfurt/Main 1986
5. Raschke, Joachim, Soziale Bewegungen, Frankfurt/Main, 1988
6. Schwarzer, Alice, So fing es an - 10 Jahre Frauenbewegung, Köln 1981
7. Gilcher-Holtey, Ingrid (Hrsg.), 1968 - Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998

[...]


1 Vgl. Albrecht, Willy, Der sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), Bonn 1994, S.440f

2 Albrecht, Willy, Der sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), Bonn 1994, S.467

3 vgl. Langguth, Gerd, Protestbewegung, Köln 1983, S.37f

4 Liberaler Studentenbund (Hrsg.), Neue Linke, Heft 1/69, S.4 zitiert nach: Langguth, Gerd, Protestbewegung, Köln 1983, S.29

5 vgl. Langguth, Gerd, Protestbewegung, Köln 1983, S.45f

6 Vgl. Langguth, Gerd, Protestbewegung, Köln 1983, S.36f

7 vgl. Langguth, Gerd, Protestbewegung, Köln 1983, S.45

8 Vgl. Langguth, Gerd, Protestbewegung, Köln 1983, S.29

9 vgl. Fichter/Lönnendonker, Macht und Ohnmacht der Studenten - kleine Geschichte des SDS, Hamburg 1998, S.200

10 Brand, Karl-Werner, Aufbruch in eine andere Gesellschaft, Frankfurt/Main 1986, S.124

11 Flugblatt des Frankfurter Weiberates 1968 in: Schwarzer, Alice, So fing es an - 10 Jahre Frauenbewegung, Köln 1981, S.120

12 vgl. Schwarzer, Alice, So fing es an - 10 Jahre Frauenbewegung, Köln 1981, S.14

13 vgl. Schwarzer, Alice, So fing es an - 10 Jahre Frauenbewegung, Köln 1981, S.17

14 vgl. Albrecht, Willy, Der sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), Bonn 1994, S.469

15 Habermas, Jürgen, zit. Nach: Fichter/Lönnendonker, Macht und Ohnmacht der Studenten - kleine Geschichte des SDS, Hamburg 1998, S.191

16 Habermas, Jürgen, zit. Nach: Fichter/Lönnendonker, Macht und Ohnmacht der Studenten - kleine Geschichte des SDS, Hamburg 1998 S.192

17 vgl. Fichter/Lönnendonker, Macht und Ohnmacht der Studenten - kleine Geschichte des SDS, Hamburg 1998, S.191f

18 vgl. auch Schmidke, Michael, Reform Revolte oder Revolution? in: Gilcher-Holtey, Ingrid (Hrsg.) 1968 - Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998, S.188ff

19 vgl. auch Schmidke, Michael, Reform Revolte oder Revolution? in: Gilcher-Holtey, Ingrid (Hrsg.) 1968 - Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998, S.194

20 Die Informationen zu diesem Teil stammen aus dem Film "Um 13 Uhr am Bertoldsbrunnen", einem Reader des Proseminars Neue Geschichte vom Wintersemester 92/93 herausgegeben von Michael Berger, dem Ordner 5.2.1 des Archivs für Soziale Bewegungen, sowie einem persönlichen Interview mit Michael Moos, damaliges Freiburger SDS-Mitglied.

21 Vgl. Langguth, Gerd, Protestbewegung, Köln 1983, S.289

22 vgl. Raschke, Joachim, Soziale Bewegungen, Frankfurt/Main 1988, S.73

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Das Ende des SDS
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Seminar für wissenschaftliche Politik
Autor
Jahr
1999
Seiten
13
Katalognummer
V100551
ISBN (eBook)
9783638989763
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ende, Seminar, Politik
Arbeit zitieren
Benno Herzog (Autor:in), 1999, Das Ende des SDS, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100551

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