Trennungskinder. Handlungsmöglichkeiten der Sozialpädagogik


Bachelorarbeit, 2020

40 Seiten, Note: 2,5

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Grundlagen
1.1 Trennung und Scheidung
1.2Aktuelle Entwicklungen in Deutschland

2. Beziehungsdynamiken in einer Familie
2.1 Eltern-Kind-Beziehung
2.2 Eltern-Kind-Beziehung im Kontext einer Trennung

3. Der Trennungs- und Scheidungsprozess
3.1Ambivalenz- und Vorscheidungsphase
3.2 Trennungs- und Scheidungsphase
3.3 Nachscheidungsprozess

4. Kindliche Wahrnehmung des Trennungsprozesses
4.1 Mutter-Kind-Beziehung
4.2 Vater-Kind-Beziehung
4.3 Geschwisterbeziehungen
4.4Auswirkungen und Folgen einer Trennung aufdas Kind

5. Handlungsmöglichkeiten der Sozialpädagogik
5.1 Beratungfür Eltern und Kinder
5.2 Das kindzentrierte Interview

Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang
1. SechsArten der Beziehung zwischen geschiedenen Eltern nach Martin R. Textor
2. Ursachen von Beziehungskonstellationen alleinerziehender Eltern nach Martin R. Textor
3. Entwicklung des Verständnissesfür soziale Strukturen nach Remo H. Largo undMonika Czernin

Einleitung

Eine Trennung oder Scheidung stellt für alle Betroffenen ein kritisches Lebensereignis dar (vgl. Keil de Ballon, 2018: 21). Insbesondere wenn es sich um Partnerschaften mit Kindern handelt, bewirkt die Trennung der Eltern eine Veränderung der gesamten Familienstruktur. Sie bringt zahlreiche verschiedene Emotionen mit sich, mit denen sich die Familienmitglieder auseinandersetzen müssen. Vor allem betroffene Kinder stehen vor einer Herausforderung, für die sie keinerlei Verantwortung tragen. Ihre Entwicklung benötigt eine feste Struktur und ein geborgenes, sicheres Umfeld, um sich gelingend zu entfalten. Diese Struktur und Sicherheit werden durch eine Trennung vorerst zerrüttet. Das Kind ist demnach auf die Unterstützung und Kooperation seiner Eltern angewiesen, die allerdings oftmals mit ihren eigenen Problemen bezüglich der Trennung zu kämpfen haben (vgl. Textor, 1991: lOff.).

Dennoch ist es heutzutage nicht mehr ungewöhnlich, dass sich eine Lebensgemeinschaft zugunsten einer Scheidung oder Trennung entscheidet. Trotz der Schwere der Entscheidung, ist ein Anstieg der Tendenz zur Trennung mit Kind zu vernehmen (vgl. Statistisches Bundesamt, 2020c). All dies verdeutlicht, weshalb es sich bei Trennungen mit Kindern um eine stetig aktuelle und vieldiskutierte Thematik handelt.

Im Rahmen dieser Arbeit soll vor allem auf die Bedeutung und möglichen Auswirkungen einer elterlichen Trennung auf die Beziehungsstrukturen innerhalb einer Familienkonstellation eingegangen werden, um darauf aufbauend auf sozialpädagogische Unterstüt- zungs- und Handlungsmöglichkeiten im Bewältigungsprozess zu verweisen. Als Orientierungsfragen können in diesem Kontext, die Frage nach der Bedeutung und Auswirkungen der elterlichen Trennung für die Kinder, sowie die Möglichkeiten der Sozialpädagogik zur Unterstützung dieser in ihrem Bewältigungsprozess, verstanden werden. Dementsprechend kann als Leitfrage aufgegriffen werden inwiefern die sozialpädagogische Praxis Kinder und ihre Eltern in ihrem Umgang mit der Trennungssituation unterstützen kann.

Struktur der Arbeit:

Der Aufbau meiner Arbeit setzt sich beginnend mit einer kurzen Thematisierung der Be- grifflichkeiten ,Scheidung‘ und ,Trennung‘ auseinander, um deren Nutzen für den weiteren Verlauf zu verdeutlichen. Darauf aufbauend wird auf die aktuellen Entwicklungen innerhalb Deutschlands bezüglich der Trennung mit Kindern eingegangen. Dies dient dazu, eine Veranschaulichung über die Relevanz der Auseinandersetzung mit der genannten Thematik zu geben.

Um die Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung im Kontext der kindlichen Entwicklung hervorzuheben, wird im Anschluss an die statistischen Daten auf die Beziehungsdynamiken einer Familie eingegangen. In diesem Zusammenhang thematisiert der darauffolgende Abschnitt wie eine Veränderung auf der Ebene der Eltern-Kind-Beziehung Auswirkungen auf die Betroffenen nehmen kann.

Im anschließenden Kapitel wird ein in drei Phasen eingeteilter Scheidungs- bzw. Trennungsprozess dargestellt, um ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln inwiefern und vor allem weshalb eine Trennung Einfluss auf die Beziehungskonstellationen der Familie nimmt. Darauf aufbauend wird genauer auf die unterschiedlichen Beziehungskonstellationen innerhalb der Familie und deren trennungsbedingten Veränderungen eingegangen. Einerseits um die unterschiedlichen Entwicklungen und deren Bedingungen darzustellen, andererseits vor allem um das kindliche Erleben des Trennungsprozesses in den Fokus zu rücken.

Anschließend werden die Auswirkungen und Folgen einer Trennung mit zentriertem Blick auf das Kind thematisiert1. Daraus resultierend wird auf die Handlungsmöglichkeiten der Sozialpädagogik eingegangen, die aufzeigen inwiefern eine sozialpädagogische Beratung einer trennungsbedingt zerrütteten Familie helfen kann ihre Strukturen und Beziehungskonstellationen zu reorganisieren.

1. Grundlagen

In diesem Kapitel werden Grundlagen für einen Einstieg in die Thematik dargestellt, auf die ich mich im Verlauf der Arbeit rücklaufend beziehen werde.

1.1 Trennung und Scheidung

Unter einer „Scheidung“ bzw. einer „Ehescheidung“ wird die gerichtliche Auflösung einer Eheschließung verstanden. Dies impliziert, dass eine Partnerschaft im Vorhinein durch eine Heirat dem Bund der Ehe beigetreten und dementsprechend neben einer emotionalen, auch eine wirtschaftliche Bindung eingegangen ist.

Wiederum gibt es zahlreiche Partnerschaften, die sich in nichtehelichen Lebensgemeinschaften befinden und sich aus unterschiedlichen Gründen dafür entscheiden diese zu beenden (vgl. Statistisches Bundesamt, 2020d).

In beiden Fällen, sprich bei einer Scheidung oder der Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, kommt es bei einer Auflösung der Partnerschaft zu einer Trennung. Dementsprechend findet eine Trennung, im Gegensatz zu einer Scheidung, unabhängig von einer Heirat statt. Folglich ist diese der Scheidung vorangestellt und kann verhältnismäßig als emotional schwerwiegenderer Prozess angesehen werden (vgl. Klein, 2010: 55f.).

Nichteheliche Partnerschaften durchlaufen demnach einen Trennungsprozess, der sich an dem von verheirateten Paaren messen lässt (vgl. ebd.: 55). Vor allem in Bezug auf Lebensgemeinschaften mit einem oder mehreren Kindern müssen sich die betroffenen Familien - ob nun verheiratet oder nicht - aufgrund einer Trennung neu organisieren und einen gerechten Umgang mit der neuen Situation finden. Der Trauschein ist in dieser Hinsicht kein bedingender Faktor (vgl. ebd.).

Aufgrund der sich stark ähnelnden Auswirkungen und Folgen, die eine Trennung auf eheliche und nichteheliche Eltern sowie auf deren Kinder ausübt (vgl. ebd.: 56), wird im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter zwischen einer Scheidung und Trennung differenziert. Da im weiteren Verlauf die Bedeutung und die möglichen Folgen für Trennungskinder und Eltern und die daraus resultierenden sozialpädagogischen Handlungsmöglichkeiten thematisiert werden, ist es von keiner Relevanz, ob es sich zusätzlich zu einer Trennung nachfolgend noch um eine gerichtliche Scheidung handelt.

Um allen möglichen Adressateninnen und Adressaten gerecht zu werden, wird deshalb von „Trennungskindem“ und nicht explizit von „Scheidungskindem“ gesprochen.

1.2 Aktuelle Entwicklungen in Deutschland

Um einen groben Einblick in das Themenfeld der Trennung mit Kindern innerhalb Deutschlands zu bekommen, werden in diesem Abschnitt aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2019 dargestellt. Trotz dessen, dass in diesem Zusammenhang von Scheidungen gesprochen wird, lassen sich die unten aufgeführten Zahlen und Tendenzen auf den allgemeinen Trennungskontext dieser Arbeit anwenden. Begründen lässt sich dies aufgrund des Trennungsjahres, dem sich Ehepartner nach § 1566 des Bürgerlichen Gesetzbuches im Normalfall unterziehen müssen, bevor eine gerichtliche Scheidung stattfinden kann (vgl. § 1566 BGB. Vermutung für das Scheitern).

Im Juli letzten Jahres verkündete das Statistische Bundesamt in einer Pressemitteilung einen erstmaligen Anstieg der Scheidungsrate um etwa 0,6 % innerhalb der letzten sieben Jahre. Insgesamt wurden im Jahr 2019 ca. 149.000 Ehen in Deutschland geschieden. Damit waren dies knapp tausend geschiedene Ehen mehr als im Jahr zuvor. Berücksichtigt werden muss an dieser Stelle, dass eine erstmalige Miteinbindung von Scheidungen gleichgeschlechtlicher Ehen, bei den statistischen Daten für das Jahr 2019, stattfand. Der Anteil dieser fällt mit ca. 100 geschiedenen Ehenjedoch verhältnismäßig gering aus. Von den geschiedenen Paaren im Jahr 2019 haben sich ein Großteil von 82,2 % nach einer vorherigen Trennung von einem Jahr scheiden lassen, während 16,8 % der Ehepaare sich erst nach einer dreijährigen Trennung scheiden ließen (vgl. Statistisches Bundesamt, 2020c).

Aus rund 50 % der in 2019 geschiedenen Ehen gingen minderjährige Kinder hervor. Aus etwas mehr als der Hälfte dieser geschiedenen Ehen mit minderjährigen Kindern gingen jeweils ein Kind (51,2 %), aus 38,1 % zwei Kinder und aus rund 10,6 % mehr als zwei Kinder hervor. Insgesamt kann von rund 122.000 minderjährigen Kindern ausgegangen werden, die im Jahr 2019 von der Scheidung ihrer Eltern betroffen waren. Dies verzeichnet ebenfalls einen leichten Anstieg zum Vorjahr (vgl. ebd.). An diesem Punkt sind allerdings lediglich minderjährige Kinder erfasst, die von einer Scheidung - und der damit inbegriffenen Trennung - von verheirateten Paaren betroffen sind. Die Gesamtanzahl der Kinder, die sich mit einer Trennung der Eltern - unabhängig von einer Eheschließung - auseinandersetzen müssen, ist demnach wesentlich höher, wenn man die Trennungen der unehelichen Lebensgemeinschaften mit minderjährigen Kindern in die Berechnung mit einbeziehen würde.

Im Jahr 2017 äußerte sich das Statistische Bundesamt mit einer Berechnung über ca. 2,8 Millionen Paaren, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen in einem Haushalt leben. Ein Drittel (33 %) der nichtehelichen Paare lebt gemeinsam mit Kindern in einem Haushalt, was im Gegensatz zum Jahr 1996 einen Anstieg um 28 % vorweist. Zumal ein Anstieg der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in Relation zum Jahr 1996 um etwa eine Million zu vernehmen ist (vgl. Statistisches Bundesamt, 2020d).

Im Zuge der Trennung von Ehepaaren mit Kindern stellte das Statistische Bundesamt Statistiken über den Verbleib der Kinder bei deren Eltern auf. Dementsprechend werden unter einem alleinerziehenden Elternteil, Mütter oder Väter, die mit ihrem Kind oder mehreren Kindern ohne Ehe- oder Lebenspartner in einem gemeinsamen Haushalt leben, verstanden (vgl. Statistisches Bundesamt, 2020b). In den meisten Fällen verbleiben die Kinder nach der Trennung der Eltern bei der Mutter. 2019 geben rund 2,2 Millionen Mütter an alleinerziehend zu sein, während die Zahl der alleinerziehenden Väter mit 410.000 einen wesentlich geringeren Anteil ausmacht (Statistisches Bundesamt, 2020a)2 3.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Trennungen von Ehepaaren oder nichtehelichen Partnerschaften, ob mit oder ohne Kind, heutzutage keine Seltenheit mehr darstellen. Die Scheidungsrate stieg im Verlauf des letzten Jahres zwar lediglich um 0,6 %, allerdings muss berücksichtigt werden, dass dem entgegen immer mehr Partnerschaften die Entscheidung zu einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft treffen. Demnach kann eine genaue Zahl der Trennungen, die im letzten Jahr stattfanden, nicht genannt werden und es lässt sich lediglich eine Tendenz erkennen. Deutlich wird dennoch, dass Trennungen sowie Scheidungen ein fester Bestandteil in der heutigen Gesellschaft sind. Dementsprechend sind Kinder von getrenntlebenden Eltern und deren Umgang mit den damit verbundenen Umständen ebenfalls keine Seltenheit mehr.

Aufgrund der in diesem Kapitel herausgestellten aktuellen Entwicklungen, wird die Relevanz der Auseinandersetzung mit der Trennungsthematik im sozialpädagogischen Zusammenhang erkennbar. Begründet in der steigenden Tendenz zur Trennung und Scheidung mit Kindern, sollte eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen und Veränderungen, die diese auf das Kind, dessen unmittelbare Umwelt sowie das gesamte Familiensystem haben, unumgänglich sein.

2. Beziehungsdynamiken in einer Familie

Um einen Einblick in die Veränderungen, die eine Trennung bei den Betroffenen auslöst zu bekommen, ist vorangestellt ein Verständnis für die Beziehungskonstellation innerhalb des Familiensystems hilfreich. Dementsprechend wird in diesem Kapitel die Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung für die Entwicklung des Kindes thematisiert.

2.1 Eltem-Kind-Beziehung

Zur unmittelbaren Umwelt in den ersten Lebensjahren eines Kindes zählen primär dessen Eltern. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass die Beziehung zwischen ihnen einen verhältnismäßigen Einfluss auf das Kind und damit auch auf dessen Entwicklung nimmt. Was unter einer Eltem-Kind-Beziehung verstanden werden kann und weshalb diese bedeutend für die kindliche Entwicklung ist, wird in diesem Abschnitt thematisiert. Es dient dazu ein Verständnis für die Bindungs- und Beziehungsqualität innerhalb eines Familiensystems zu erlangen, um im späteren sozialpädagogischen Kontext darauf zurückgreifen zu können.

Besonders in der frühen Kindheit eines Individuums formt sich deren lebenslanger Ent- wicklungs- und Lernverlauf, welcher stark durch die Bindung und Beziehung zwischen dem Kind und dessen Eltern geprägt wird. Diese Beziehungs-Bindungskonstellation kann als ,Eltern-Kind-Beziehung‘ verstanden werden, die aus einer wechselseitigen Interaktion zwischen dem Kind und den Eltern besteht (vgl. Rohsmanith, 1977.: 4ff.).

In seinem gemeinsamen Werk „Eltern-Kind-Beziehung“ mit Helmut Bonn eröffnet Kurt Rohsmanith mit den Worten:

„Die Bedeutung der Eltern für ihre Kinder erscheint den meisten Menschen so fraglos klar, daß die Beziehung zwischen ihnen nur sehr allmählich Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wurde. Über viele Jahre hinweg beobachtet man, wie das Kind die Gesellschaft der es betreuenden Erwachsenen sucht, sich bei ihnen 'wohlfühlt und sich ängstigt, wenn auch nur die Gefahr droht, sie zu verlieren“ (Rohsmanith, 1977: 3).

Was Rohsmanith mit diesen Worten anstoßen möchte, ist die Frage nach der Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit einer Eltem-Kind-Beziehung. Was lange als eine selbstverständliche Bindung zwischen Mutter und Kind - später auch Vater und Kind - galt, ist heute als Eltern-Kind-Beziehung Gegenstand der Forschung aus den verschiedensten Bereichen der Wissenschaft. Denn klar ist: es handelt sich um keinen linearen Prozess und die Entwicklung dieser Beziehungskonstellation ist durch unterschiedliche Faktoren und Ereignissen bedingt (vgl. ebd.: 3ff.).

Der Kinder - und Jugendpsychiater John Bowlby (1969) definiert im Kontext seiner Bindungstheorie eine „[...] Bindung als spezifisches, überdauerndes affektives Band zwischen zwei Personen, insbesondere zwischen den Eltern oder primären Bezugspersonen und ihrem Kind“ (Gloger-Tippelt, 2002: 119).

Betrachtet man solch eine Bindung aus einem entwicklungspsychologischen Blickwinkel, so wird davon ausgegangen, dass Beziehungserfahrungen die ein Kind mit seinen ersten Bezugspersonen im Leben macht, als Basis für die Wahrnehmung und Erwartungshaltung an deren Umwelt dienen und demnach relational mit einer dementsprechenden Selbstbildentwicklung einher gehen. Herrscht ein Vertrauen an die Umwelt und dem Kind wird ein Gefühl von Unterstützung suggeriert, so kann ein positives Selbstbild entstehen. Handelt es sich aber um ein Misstrauen und die Erwartungen des Kindes an deren Umwelt werden enttäuscht, tendiert das Selbstbild des Kindes zu einer negativen Entwicklung (vgl. Gloger-Tippelt, 2002: 120).

Die Eltern sind für das Kind die erste und relevanteste Umwelt, mit der es im Laufe seines Lebens konfrontiert wird. Die Beziehung und Bindung zwischen Eltern und Kind kann demnach als einer der bedeutsamsten Faktoren für dessen Persönlichkeitsentwicklung verstanden werden und hat dementsprechend Auswirkungen über die Kindheit des Individuums hinaus (vgl. Rohsmanith, 1977.: 8f).

Aus einem soziologischen Blickwinkel hervorgehend, kann an dieser Stelle auf den Aspekt des sozialisierenden Einflusses der Eltern auf das Kind hingewiesen werden. Demnach reproduziert das Kind Verhaltensweisen sowie die Wahrnehmung seiner Umwelt, oftmals sogar den gesamten Habitus, den es durch die Eltern erfährt (vgl. ebd.: 4f.).

Da die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes in relationaler Beziehung zu dessen sozialer und psychischer Umwelt steht, können die Eltern - betont wird meist die MutterKind-Beziehung - als erste und wichtigste Sozialisationsinstanz in der kindlichen Umwelt verstanden werden (vgl. ebd.: 9). Nicht ohne Grund wird es als Pflicht der Eltern verstanden, die Eltern-Kind-Beziehung zu respektieren und zu pflegen, sowie der Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen als das ,Recht des Kindes‘ betitelt (vgl. Bröning, 2010: 16).

Die Psychologin Sibylle Escalona (1968) thematisierte in ihrer Monografie „The roots of individuality“ unter anderem die Auswirkungen, die Veränderungen innerhalb einer Beziehungskonstellation auf kleinster Ebene auf das gesamte Beziehungskonstrukt haben können. Im Zuge dessen kann eine Veränderung im Kontext einer Eltern-Kind-Beziehung Auswirkungen auf Ebene der Erfahrungsmuster des Kindes nehmen (vgl. Escalona, 1968 zit. nachRohsmanith, 1977: 6).

Dementsprechend stellt sich berechtigt die Frage in welchem Ausmaß die Auswirkungen auf das Kind sein können, wenn es zur Herabsetzung oder gar zum gänzlichen Verlust der elterlichen Interaktion binnen des Eltern-Kind-Beziehungskonstrukts kommt. Solch ein Verlust oder eine Einschränkung kann beispielsweise durch die Trennung der Eltern entstehen, da diese - wie bereits Escalona betonte - mit Veränderungen auf allen Variablen in einem Beziehungssystem einher geht. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass die Eltern-Kind-Beziehung durch eine Trennung der Eltern beeinflusst und verändert wird (vgl. Klein, 2010: 54).

Da diese Arbeit sich im weiteren Verlauf mit der Bedeutung und den möglichen Folgen einer Trennung und den Handlungsmöglichkeiten der Sozialpädagogik zur Bewältigung der elterlichen Trennung auseinandersetzt, wird von der Annahme ausgegangen, dass es zu Veränderungen innerhalb der Eltern-Kind-Beziehung gekommen ist.

Bei der Betrachtung dieser muss allerdings im Voraus klargestellt werden, dass Trennungen und auch die Beziehung zwischen Kind und Eltern injedem Fall individuell verlaufen und diese nicht im Kollektiv miteinander verglichen werden können. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass injedem Fall eine Trennung der Eltern, eine Veränderung in der Eltem-Kind-Beziehung bedeutet, was einen bedeutenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes nehmen kann. Inwiefern eine Trennung eine solche Veränderung auf die Eltern-Kind-Beziehung nehmen kann, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.

2.2 Eltem-Kind-Beziehung im Kontext einer Trennung

Für das Kind bedeutet die Trennung der Eltern oftmals eine gleichzeitige Trennung von einem der beiden Elternteile. Ausgegangen wird hier meist vom ,klassischen‘ Verhältnis, der alleinerziehenden Mutter und dem Zurückziehen des Vaters aus dem gemeinsamen Zusammenleben als Familie4. Demnach handelt es sich bei der Trennung der Eltern um ein Ereignis im Leben des Kindes, das destabilisiert und ihm seine bisherige sichere Basis nimmt. Der Zugang zu einer Bezugsperson - in Relation zum vorherigen Verhältnis - wird eingeschränkt. Dementsprechend kann es zu entsprechenden Veränderungen in der Vater-Kind- sowie derMutter-Kind-Beziehung kommen5 (vgl. Klein, 2010: 73ff).

Betrachtet man die Trennung der Eltern im bindungstheoretischen Kontext der im vorherigen Abschnitt aufgeführten Eltern-Kind-Beziehung, so lassen sich die Veränderung innerhalb dieser Beziehungskonstellation mit den Emotionen, denen das Kind ausgesetzt wird, etwas genauer veranschaulichen.

Aufgrund der elterlichen Trennung setzt sich das Kind vor allem mit den Gefühlen der Angst und Wut auseinander. Auf der einen Seite begegnet es neuen und demnach auch nicht einschätzbaren Situationen, wie beispielweise der räumlichen Trennung von einem Eltemteil oder auch den vermehrten Konflikten der Eltern, die durch deren Trennung entstehen können. Diese Situationen können beängstigend auf Kinder wirken. Auf der anderen Seite kann aufgrund des Verlustes einer Bezugsperson bzw. der Verminderung des Kontaktes zu dieser, eine gewisse Wut über die Auflösung der gewohnten Familienstrukturen entstehen (vgl. Hopf, 2005: 43).

John Bowlby, beschäftige sich im Rahmen der Bindungsforschung unter anderem mit den Emotionen, denen Kinder bei einer Trennung von den Eltern ausgesetzt werden. Zwar thematisierte er die Trennung des Kindes von beiden Elternteilen im Kontext einer Betreuung durch Außenstehende, dennoch können seine Ausführungen über den Einfluss, den die trennungsbedingt hervorgerufenen Emotionen, auf die Eltem-Kind-Beziehung nehmen, an den bereits aufgeführten Punkten anknüpfen (vgl. Klein, 2010: 76).

Die Wut des Kindes kann langfristig gesehen einen dysfunktionalen Einfluss auf die Bindung zu einem Eltemteil haben. Beispielhaft hierfür kann die abwesende Vaterfigur vi- sualisiert werden, die durch einen Umgangskontakt mit einer immer wiederkehrenden Trennung für das Kind einher geht. Das wütende Potential des Kindes, welches durch den Verlust und einer subjektiven Schuldzuweisung entsteht, kann demnach durch das permanent erneute Trennungserleben verstärkt werden. Möglicherweise kann sich sogar die zuvor empfundene Zuneigung zu der väterlichen Bezugsperson in ein Gefühl der Befrem- dung entwickeln. Die Schwächung der Beziehungsbindung und eine Entfremdung voneinander können dementsprechend Veränderungen in deren Eltern-Kind-Beziehung sein, die durch eine elterliche Trennung entstehen können (vgl. ebd.).

Ebenso wie Wut, spielt das Gefühl der Furcht eine bedeutende Rolle in Relation mit dem Bindungsverhalten des Kindes. Oftmals äußert das Kind nach einer Trennung ein gesteigertes Bedürfnis nach Nähe in Form von Bindungsverhalten gegenüber einer Bindungsperson - in dem hier dargestellten Verhältnis, kann von der Mutterfigur ausgegangen werden. Verstanden werden kann dies als eine schutzsuchende Reaktion, die das Kind ausgelöst durch Furcht und Angst verspürt (vgl. ebd.).

Zusammenfassend können die Veränderungen in der Eltem-Kind-Beziehung aufgrund einer Trennung unterschiedlich ausfallen. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass das Kind sich aufgrund seiner Emotionen von einem Elternteil distanziert, während es zum anderen die Nähe sucht. In welchem Rahmen sich diese Annahmen bestätigen, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit erneut aufgegriffen.

[...]


1 Dabei werden Langzeitfolgen sowie positive Folgen nicht mit einbezogen, da diese im Rahmen dieser Arbeit keine Relevanz für das Hauptaugenmerk darstellen. Die thematisierten Unterstützungsmöglichkeiten beziehen sich auf den Zeitraum des Trennungsprozesses und beschäftigen sich ausschließlich mit der Bewältigung der negativen Veränderungen einer Trennung. Dennoch ist darauf zu verweisen, dass Folgen einer Trennung nicht ausschließlich negative Auswirkungen auf die Beteiligten nehmen und einige Folgen das Kind ein Leben lang begleiten können.

2 Demnach wird im Verlauf dieser Arbeit vom klassischen Verhältnis4 nach der Trennung gesprochen,

3 wenn das Kind bei der Mutter bleibt und der Vater sich aus dem gemeinsamen Zusammenleben zurück

4 Anmerkung: Da die Zahlen der alleinerziehenden Väter im Verhältnis zu den Zahlen der alleinerziehenden Mütter gering sind, wird hier von der Ausgangsposition der alleinerziehenden Mutter ausgegangen, siehe Kapitel 1.2. (Statistisches Bundesamt, 2020a)

5 Explizit auf die Mutter- und Vater-Kind-Beziehung wird in Kapitel 4.1 und 4.2 eingegangen

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Trennungskinder. Handlungsmöglichkeiten der Sozialpädagogik
Hochschule
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Note
2,5
Jahr
2020
Seiten
40
Katalognummer
V1005511
ISBN (eBook)
9783346387332
ISBN (Buch)
9783346387349
Sprache
Deutsch
Schlagworte
trennungskinder, handlungsmöglichkeiten, sozialpädagogik
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Trennungskinder. Handlungsmöglichkeiten der Sozialpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1005511

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