Inhaltsverzeichnis
1. Problemstellung
2. Der politische Kampf um NAFTA
2.1. NAFTA - ein Erbe von George Bush
2.2. Die Interessenlage der Regierung Clinton und ihrer Opposition
2.3. Die politische Vorgehensweise bei der NAFTA-Ratifikation
3. Die Unterzeichnung und Verabschiedung des GATT
3.1. Handelspolitische Bedeutung des GATT für die USA
3.2. Clinton abermals erfolgreich – GATT passiert den Kongress
4. Fair Trade! - Handelspolitik gegenüber Asien
4.1. Der Druck auf Japan als aggressive Marktöffnungspolitik
4.2. Die Intensivierung des Handels mit China
5. Scheitern des ‚fast-track’-Mandates und der WTO-Konferenz
5.1. Der Kongress verweigert Clinton das ‚fast-track’-Mandat
5.2. Der Fehlstart der Millenniumsrunde in Seattle
6. Ergebnis der Untersuchung
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Problemstellung
Durch die zunehmende internationale Verflechtung der amerikanischen Wirtschaft wird Handelspolitik zu einem immer wichtigeren Politikfeld. Sowohl die klassische Wirtschaftspolitik als auch die Außenpolitik muss die handelspolitischen Interessen der heimischen Produzenten, einer Reihe von Non-Governmental Organisations (NGO) und der internationalen Partner in erheblich größerem Maße als noch vor einigen Jahrzehnten berücksichtigen. Als Indikator für die gestiegene Abhängigkeit der amerikanischen Wirtschaft von der internationalen Umwelt dienen die, seit den 70er Jahren rapide ansteigenden, Importe und Exporte von Produkten und Dienstleistungen in und aus den USA (siehe Schaubild 1).
Die USA haben zur Entwicklung des weltweiten Freihandels maßgeblich beigetragen. Mit dem großen General Agreement on Traffic and Trade (GATT) unternahm Präsident Truman 1948 einen ersten bedeutenden Schritt in Richtung Liberalisierung des Welthandels. Weitere tiefgreifende Freihandelsinitiativen innerhalb des GATT folgten mit der Kennedy-Runde (1964-67) und der Tokio-Runde (1973-79). Das Konzept des Freihandels folgt der Überzeugung, durch die Senkung von Zöllen und anderen Handelshemmnissen einen weltweiten Markt zu schaffen, der eine effiziente Produktion der Güter und eine Verflechtung der Staaten auf wirtschaftlicher Ebene nach sich ziehe (siehe Schaubild 2). Verbraucher in den Ländern des GATT hätten damit den Vorteil eine breite Auswahl an preiswerten Gütern und Dienstleistungen konsumieren zu können. Außerdem folge aus den wirtschaftlichen Verbindungen ein ‚spill-over’ auf verschiedene andere Politikbereiche, der feindlichen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten vorbeuge. Diese Dimension spielte gerade für den Zusammenhalt des westlichen Lagers während des Kalten Krieges eine wichtige Rolle.1 Mit William J. Clinton wählte die amerikanische Bevölkerung 1992 einen Mann zum Präsidenten, der nicht mehr in der Welt des Kalten Krieges regieren sollte. Frei vom Zwang der Bipolarität machte er es sich zur Aufgabe sein Land auf die wachsende Globalisierung einzustellen. Er erklärte sein Wahlkampfmotto ‚It’s the economy, stupid’ auch zur außenpolitischen Maxime2 und wies damit der Handelspolitik eine große Bedeutung in seinem außenpolitischen Konzept zu.
Zu Beginn der ersten Amtszeit setzte Clinton bedeutende Freihandelsabkommen wie das North American Free Trade Agreement (NAFTA) auf regionaler Ebene und GATT auf
multilateraler Ebene durch. In der Folgezeit verwehrte ihm der Kongress das ‚fast-track’3 - Mandat, und damit eine wichtige Verhandlungsgrundlage für multilaterale Abkommen. Auf bilateraler und regionaler Ebene konnte Clinton durchaus weitere Handelsliberalisierungen erreichen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich in der amerikanischen Handelspolitik unter der Regierung Clinton ein Paradigmenwechsel von der Strategie des globalen Freihandels hin zu einer regionalen und bilateralen Strategie vollzogen hat.
Um die Frage zu beantworten wird von folgender These ausgegangen: Die Regierung Clinton kann nicht wie ihre Vorgängerregierungen eindeutig zum multilateralen Freihandelsbekenntnis zugerechnet werden. Clinton kommt stattdessen den Interessen der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft auch mit Hilfe von bilateralen und regionalen Abkommen nach oder er versucht andere Ziele amerikanischer Politik in Freihandelsabkommen zu integrieren.
Zur Überprüfung dieser These werden im Folgenden die einzelnen handelspolitischen Meilensteine der Regierung Clinton untersucht. Dabei wird jeweils die Art der Strategie identifiziert und es werden die Gründe für die Wahl der politischen Vorgehensweise Clintons herausgearbeitet. In der vorliegenden Arbeit wird die Handelspolitik immer wieder in der gesamten Außenpolitik verortet, da dieser Zusammenhang unter Clinton eine neue Dimension gewann und damit auch das bisherige handelspolitische Paradigma berührte.
2.2. Die Interessenslage der Regierung Clinton und ihrer Opposition
Schon während des Wahlkampfes brachten insbesondere die Gewerkschaften und Umweltschutzverbände starke Einwände gegen NAFTA vor. Diese Interessen musste Clinton besonders berücksichtigen, da die genannten Gruppen zum Großteil der klassischen demokratischen Wählerschaft zuzurechnen sind.6
Ferner machte besonders der unabhängige Präsidentschaftskandidat Ross Perot mit den Slogan ‚the giant sucking sound going south’ auf die erheblichen Arbeitsplatzverluste aufmerksam, die durch die Abwanderung US-amerikanischer Firmen in das Billiglohnland Mexiko entstehen würden.7
Die ökonomischen Auswirkungen wurden unterschiedlich eingeschätzt. Die Regierung ging von einem Zuwachs von bis zu 500000 Arbeitsplätzen in den USA aus, die aus einer Erhöhung des Absatzes amerikanischer Produkte in Mexiko resultieren. Außerdem erwartete man einen Rückgang der illegalen Immigration, bessere Kontrollmöglichkeiten gegen die Drogenimporte und eine Verbesserung der Umwelt und der arbeitsrechtlichen Standards in Mexiko.8
Als Hauptgrund für NAFTA wird aber vor allem der geopolitische Aspekt hervorgehoben: Es wäre töricht, aufgrund irrationaler Ängste NAFTA zu beenden und sich damit eine feindliche Nation an der Südgrenze zu schaffen, so Paul Krugman. Er argumentierte, dass die Gewinne bzw. Verluste im ökonomischen Bereich wie im Umweltschutz marginal wären und es stattdessen für Clinton wichtig wäre, der mexikanischen Regierung zu helfen. Sie sei zwar nicht besonders demokratisch ausgeprägt, aber immerhin die liberalste und US- freundlichste in der Geschichte Mexikos.9 Dieser Aspekt trat aber in der öffentlichen Diskussion in den Hintergrund.
2.3. Die politische Vorgehensweise bei der NAFTA-Ratifizierung
Die Durchsetzung des NAFTA im Kongress konnte nicht unmittelbar nach Amtsantritt des Präsidenten vollzogen werden. Clinton konzentrierte sich zu Beginn seiner Amtszeit auf die Steuer- und Haushaltspolitik. Im Hintergrund dieser Auseinandersetzung verhandelte der Handelsbeauftragte Michael Kantor die im Wahlkampf versprochenen Nebenabkommen zu NAFTA. Sie wurden im August 1993 vorgelegt, erzielten aber nur teilweise ihre beabsichtigte
Wirkung: die Umweltbewegung konnte zu einem Großteil für NAFTA gewonnen werden, die Gewerkschaften blieben bei ihrer konfrontativen Haltung. Folglich konnte nur wenig Druck von den demokratischen Abgeordneten und Senatoren genommen werden. Da es Clinton im Repräsentantenhaus an Unterstützung durch die Führung der Demokraten fehlte, warb er um Stimmen aus der Minderheitspartei.10
Den deutlichen Willen NAFTA im Kongress durchzusetzen, zeigte die eindrucksvolle Kampagne, die das Weiße Haus zur Gewinnung der großen Anzahl noch unentschlossener demokratischer Abgeordneter inszenierte. Da amerikanische Abgeordnete weniger ihrer Partei und mehr ihrem Wahlkreis verpflichtet sind, war es wichtig, die öffentliche Meinung für NAFTA zu gewinnen. Clinton holte sich die Unterstützung jedes noch lebenden früheren Präsidenten, die Zustimmung von 41 Gouverneuren und zwölf Nobelpreisträgern der
Ökonomie.11 Die US-amerikanische Wirtschaft rief die Lobby-Organisation USA*NAFTA
ins Leben, die sich mit hohem Werbeaufwand für einen erfolgreichen Abschluss des NAFTA einsetzte. Auch die meisten Medien kommentierten die von Clinton eingebrachte Gesetzesvorlage positiv. Schließlich stimmte Clinton zu, seinen Stellvertreter Albert Gore mit dem einflussreichen NAFTA-Gegner Ross Perot in einer nationalen Fernsehsend ung aufeinandertreffen zu lassen. Gore entlarvte die Argumente Perots und entschied die Diskussion deutlich für sich. Am folgenden Tag erhöhte sich die öffentliche Zustimmung zu
NAFTA von 34 auf 57 Prozent.12
Neben der enormen Öffentlichkeitsarbeit versucht e Clinton die Interessen der unzufriedenen demokratischen Abgeordneten individuell zu berücksichtigen, um sie für eine Zustimmung zu gewinnen. Der schonungslose Einsatz dieses Mittels zeigte den starken politischen Willen Clintons, sich für regionalen Freihandel einzusetzen. Allerdings wurde durch die große Zahl protektionistischer Sonderregeln das Freihandelsprinzip beeinträchtigt, was der Vorsitzende des AFL-CIO13 in folgendem Satz auf den Punkt brachte: „It takes an awful lot of
protectionism to get a free trade agreement.“ 14 Von Seiten der Republikaner musste sich
Clinton den Vorwurf des Stimmenkaufs gefallen lassen und verlor deshalb fast deren Zustimmung.15
2. Der politische Kampf um NAFTA
In diesem Abschnitt wird untersucht, welche Ziele die Regierung Clinton mit der Durchsetzung des NAFTA verfolgte, wodurch sie geleitet wurde, und welche Interessen sie nicht in ihre Politik integrieren konnte.
2.1. NAFTA - ein Erbe von George Bush
Die Diskussion um NAFTA war weniger geprägt von der Bedeutung der Handelsbeziehungen mit Kanada. Vielmehr erhitzten die Handelsliberalisierungen und wirtschaftlichen Annäherungen an Mexiko die politischen Gemüter in den USA. Dabei ist das Interesse an stärkeren Handelsbeziehungen mit Mexiko seitens der USA nicht neu. Schon unter Präsident Jimmy Carter gab es Anfragen an die mexikanische Regierung nach einer Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen. Auch Ronald Reagan verfolgte dieses Interesse weiter. Allerdings scheiterten diese Initiativen immer an der anti-amerikanischen Haltung der mexikanischen Regierung. Diese schlossen sich aufgrund ihrer defensiven, nationalistischen Haltung gegen die übermächtigen USA eine vertragliche Bindung mit einer US-amerikanischen Regierung aus. Als der mexikanische Präsident Salinas de Gortari die Politik der Abschottung aufgab und schrittweise durch Wirtschaftsliberalisierungen ersetzte, konnten er und George Bush 1990 erstmals über ein Freihandelsabkommen sprechen. Die Vereinbarungen wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 1992 beendet und George Bush unterzeichnete das Abkommen am
17. Dezember 1992.
Bill Clinton äußerte sich als Präsidentschaftskandidat der Demokraten erst am 4. Oktober 1992 zu NAFTA. Mit dem Versprechen das Abkommen in der vorliegenden Form zu akzeptieren und um drei Zusatzabkommen zu erweitern, versuchte er sich zum einen die Wahlkampfhilfe der großen Konzerne, die sich deutlich für NAFTA aussprachen, zu sichern. Zum anderen sollte die Unterstützung der Gewerkschaften und Umweltverbände durch Zusatzabkommen für die Bereiche Umweltschutz, Arbeitsrechte und Bedrohungen durch Importwellen bei der Wahl nicht verloren gehen.54
Die Taktik Clintons war erfolgreich: das Abgeordnetenhaus stimmte mit 234 zu 200 für NAFTA, der Senat ebenso deutlich mit 61 zu 38 Stimmen. Unter den Befürwortern im Repräsentantenhaus waren 132 Republikanern. Diese bedeutet im Umkehrschluss, dass nur 102 Demokraten in der Ratifikation zustimmten.16Clinton konnte mit diesem Erfolg über die Parteigrenze n hinweg sein Profil als ‚New Democrat’ der politischen Mitte schärfen und sich in der Öffentlichkeit als Führungsfigur präsentieren.
Seine Regierung ist mit einem weitreichenden regionalen Handelsabkommen vom Prinzip des Multilateralismus abgewichen und schaffte es erstmals ein Handelsabkommen mit anderen Politikinhalten (Arbeitsrechts- und Umweltstandards) zu verbinden. Auch wenn NAFTA bereits von Bush eingeleitet wurde, stellte sich Clinton massiv hinter das Vorhaben und machte es am Ende zu seiner Politik.
3. Die Unterzeichnung und Verabschiedung des GATT
Beim Abschluss des GATT ist es interessant zu analysieren, wie Clinton den Rahmen für die Durchsetzung zukünftiger amerikanischer Interessen gesetzt hat. Die wichtigsten Gesichtspunkte sind dabei die Erhaltung der Antidumping Gesetze und die Diskussion um eine mögliche Einschränkung amerikanischer Souveränität durch die WTO. Im Weiteren wird mit der Abstimmung über eine Erneuerung des ‚fast-track’-Mandates ein entscheidender Punkt für die Durchsetzungsmöglichkeit von Clintons zukünftiger Handelspolitik angesprochen. Zunächst werden aber die Interessen der amerikanischen Regierung an einem neuen globalen Freihandelsabkommen erläutert.
3.1. Handelspolitische Bedeutung des GATT für die USA
Die Uruguay-Runde wurde bereits 1986 begonnen und sollte zu den bisher umfassendsten Handelsliberalisierungen führen. Verhandlungsziele der USA waren insbesondere die Bereiche Landwirtschaft, Dienstleistungen, der Schutz geistigen Eigentums, und eine größere Disziplin bei Subventionen. Weitere wesentliche Bestandteile sollten auch die zur
Überwachung der Handelsregeln zu schaffende Welthandelsorganisation (WTO) und ein beschleunigtes Verfahren zur Sanktionierung von Verstößen gegen das GATT werden.17 Im Sektor Landwirtschaft versuchten die USA von jeher in erster Linie die Europäische Union (EU) und Japan dazu zu bewegen nicht-tarifäre Handelshemmnisse, wie die hohen Agrarsubventionen, abzubauen. Die hohen Subventionen machten es den amerikanischen
[...]
1 Cohen, 1996, S. 34
2 Clinton/Gore, 1993, S. 104ff. Hier finden sich Darstellungen der vorgeschlagenen wirtschaftspolitischen Instrumente und handelspolitischen Vorhaben der demokratischen Präsidentschaftskandidaten.
3 Das sogenannte Fast-Track-Verfahren wurde im Trade Act of 1974, Section 151 beschlossen. Mit diesem Gesetz beschränkte sich der Kongress in seiner Möglichkeit, den bei der Implementationsgesetzgebung von Handelsabkommen eingebrachten Vertragstext, zu verändern. Neben der fehlenden Möglichkeit solcher amendments ist besonders die schnelle Verabschiedungspflicht durch den Kongress entscheidend: die Verabschiedung des Gesetzes soll nach je 20 Stunden Debatte im Repräsentantenhaus und im Senat binnen 90 Tagen abgeschlossen sein. Dieses Verfahren wurde eingerichtet, um die Verhandlungsmacht des Präsidenten bei internationalen Handelsgesprächen verlässlicher und damit stärker zu gestalten. Seit der Einführung dieses Instrumentes wurde bis zum Implementation des GATT allen Präsidenten die Verhandlungsautorität im Rahmen des Fast-Track gewährt.
Eine Übersicht zur Entstehung dieses Verfahrens und dessen Anwendung findet sich bei: Destler, 1995, S.71ff
6 Destler/Balint, 2000. Hier findet sich in den Kapiteln 2 und 3 eine ausführliche Analyse der Politik von Gewerkschaften und Umweltverbänden.
7 Scherrer, 1999, S.275
8 Czempiel, u.a., 1994, S.29f
9 Krugman, 1993, S.19
10 Lange, 1998, S.238f
11 Conti, 1999, S.138
12 CNN/USA Today Umfrage zitiert in Scherrer, 1999, S.283,301
13 AFL-CIO ist der Dachverband der US-amerikanischen Gewerkschaften. Er entstand 1955 aus dem Zusammenschluss der beiden Dachverbände American Federation of Labor (AFL) und des Congress of Industrial Organizations (CIO)
14 Zitiert in Czempiel, 1994, S. 30
15 Destler, 1995, S.227
4 Lange, 1998, S.223 ff
5 Destler, 1995, S.219
16 Lange, 1998, S.240
17 Falke, 1996, S. 141f
- Arbeit zitieren
- Christoph Frey (Autor:in), 2001, Freihändler Clinton? - NAFTA, GATT, Seattle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100557