Scholastik als neue Methode der Wissensvermittlung

Kann Peter Abaelard als Begründer der scholastischen Methode gesehen werden?


Hausarbeit, 2019

14 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Scholastik als neue Methode der Wissensvermittlung

3. Peter Abaelard und seine Schulen in der Frühscholastik

4. „Sic et Non“ und seine Rezeption in der Hochscholastik

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Universität ist heutzutage ein Wissensort, an dem Studierende lernen, das ihnen vermittelte Wissen zu hinterfragen und sich vertieft darüber Gedanken zu machen.

Es geht nicht mehr darum, nur zuzuhören und wiederzugeben, sondern vielmehr darum, selbst Fragestellungen zu entwickeln und kritisch zu beleuchten. Wissenschaftler können somit auch als „professionelle Zweifler und In-Frage-Steller“1 bezeichnet werden. Diese Methodik der Infragestellung ist allerdings kein Phänomen der Moderne, sondern hat ihre Ursprünge im 12. Jahrhundert.

Das 12. Jahrhundert ist geprägt von Veränderungen und Umbrüchen. Es kommen vermehrt Zweifel an den Traditionen auf, wodurch sich eine „neue“ Art der Wissensvermittlung herausbildet. Im Gegensatz zu der fremdreferentiellen Qualität des Wissens an Klöstern, bezieht sich das Wissen nun erstmals auf sich selbst. Es wird mehr Wert auf wissenschaftliche Ergebnisse gelegt, als auf den Beitrag zum Gemeinwohl.

Die Herausbildung der scholastischen Methode, welche sich auf die Wissensgenerierung auf der Grundlage von widersprüchlichen Argumenten konzentriert, wurde in der Forschung im 18. und 19. Jahrhundert vor allem Peter Abaelard zugeschrieben. Die Forschung des 20. Jahrhunderts minimiert den Einfluss Abaelards jedoch, weshalb eine genauere Betrachtung der damaligen Umstände interessant ist.

Auch wenn die Scholastik heutzutage ein fester Begriff ist, war die scholastische Methode im Mittelalter einem stetigen Wandel unterworfen. Abaelard spielt bei diesem Wandel eine große Rolle. Schon in der Frühscholastik ist Abaelard maßgeblich an der Entwicklung einer neuen Methodik beteiligt. Durch sein Auftreten und seine Schulen verkörpert er einen neuen Typus des Unterrichts, der nicht mehr nur aus Frontalunterricht bestand, sondern das Prinzip der Disputation umsetzte.

Seine Schüler sollten sich mit Themen auseinandersetzen und ihren Standpunkt in einem Geistesduell deutlich machen.

Die Widersprüchlichkeit wurde zum Ausgangspunkt für Abaelard und für die Veränderung der Methode zur Wissensgenerierung.

Auch in seinem Werk „Sic et Non“ geht er auf diese Widersprüchlichkeit ein, bezieht sie jedoch nicht nur auf die Wissenschaft an sich, sondern nimmt die Auslegung der Heiligen Schrift als Grundlage. Seine Methoden waren für das 12. Jahrhundert neuartig, weswegen er vor allem aufgrund von „Sic et Non“ auf Kritik, ins Besondere bei monastischen Vertretern, stieß.

Die breitere Rezeption dieses Werks erfolgte allerdings erst Generationen später2, weswegen sich die Forschung uneinig ist, was für eine Rolle Abaelard im Prozess der Entwicklung der scholastischen Methode spielt. Es herrscht eine Diskrepanz zwischen Abaelards Rolle in der Frühscholastik und die Rolle der Rezeption des Werks „Sic et Non“ in der Spätscholastik.

Um herauszufinden, inwieweit Abaelard als Begründer der scholastischen Methode gesehen werden kann, ist eine genaue Betrachtung dieser Diskrepanz und der Umstände zu Beginn der Herausbildung der Scholastik und zu Zeiten der Rezeption von „Sic et Non“ vonnöten.

2. Die Scholastik als neue Methode der Wissensvermittlung

Da Peter Abaelard oft auch als „Revolutionär“ für die Art der Wissensvermittlung gilt, ist es wichtig zu definieren, was die Scholastik als eine neue Methode der Wissensvermittlung ausmacht und wie sie im Gegensatz zu der Wissensvermittlung an den Klöstern charakterisiert ist.

Unsere heutige Hochschulverfassung beruht immer noch auf den damals getroffenen Setzungen der Schulen in Paris und Bologna.3 Während die Scholastik heutzutage ein feststehender Begriff ist, befand sich die scholastische Methode im 12. Jahrhundert noch in der Anfangsphase und es dauerte einige Jahrhunderte bis die Scholastik vollständig entwickelt war.

Die Wiederentdeckung der antiken Philosophen spielt hierbei eine große Rolle für die Entwicklung einer neuen und scholastischen Identität.4 Da die Gesellschaft mehr an den Traditionen zweifelt, berufen sich einige Frühscholastiker auf Schriften von Aristoteles, in denen die Logik das Hauptmotiv ist. Während Logik und Argumentation in Klöstern und Kathedralschulen kaum eine Rolle spielen, sind dies die Leitmotive der neuen scholastischen Identität.

Immer mehr rücken die wissenschaftlichen Ergebnisse in den Vordergrund, die sich aus der Beschäftigung mit der Wissenschaft selbst ergeben. Wissen ist somit nicht mehr fremdreferentiell, sondern bezieht sich immer mehr auf sich selbst.5 In der monastischen Wissenskultur geht es vor allem um den Beitrag zum Gemeinwohl der Gesellschaft. Die Aufgabe der monastischen Vertreter ist es, Wissen zu lehren und zu erlernen, um das Seelenheil der Gesellschaft zu gewährleisten.6 Zu diesem Zweck ist auch der Unterricht an den Klöstern und Kathedralschulen gestaltet. Die Weitergabe des Wissens erfolgt durch Autoritätspersonen, welche großen Wert auf eine formgerechte und „richtige“ Vermittlung von Wissen legen.7 Inhalte sollen von den Schülern lediglich aufgenommen und dabei nicht verändert werden.

Diese Form der Wissensvermittlung wird von den Frühscholastikern jedoch immer mehr infrage gestellt. Um neues Wissen zu generieren, muss vermitteltes Wissen hinterfragt und dadurch verändert und ergänzt werden. Somit ist es erforderlich, den Schülern beizubringen, dass das, was ihnen vermittelt wird, nicht der Wahrheit entsprechen muss.8 Hierbei geht es nicht darum die Lehrpersonen an sich infrage zu stellen, sondern das Gesagte zu prüfen. Schüler und Lehrer entwickeln somit gemeinsam ein neues Verständnis von Wissen und arbeiten auch gemeinsam daran, neues Wissen zu generieren. Durch das Hinterfragen von Aussagen von Texten oder auch Aussagen von Lehrpersonen, werden neue Gedanken geformt und dadurch weiterentwickelt. Diese Reflexion ist sichtbar in Kommentaren, die zu Texten von Schülern und Lehrern verfasst werden.9

Der Frontalunterricht an Klöstern und Kathedralschulen wird in der scholastischen Unterrichtsform durch eine freie Diskussionskultur ersetzt.10 Da es den Scholastikern um das Infragestellen geht, ist es auch wichtig, die eigene Meinung begründen zu können und logisch zu argumentieren. Dieses logische Können wird dann in einem Geistesduell unter Beweis gestellt, wodurch sich im späten 13. Jahrhundert letztendlich die Disputation als feste Form des Unterrichts an der Universität etabliert.11 Somit entwickelt sich im Laufe der Zeit eine eigene Methodik der Scholastik, mit Wissen umzugehen. Es wird zuerst von einer quaestio, also einer grundlegenden Fragestellung oder These ausgegangen, um seine Position dazu dann in der disputatio mit logischen Argumenten zu vertreten.12 Die scholastische Methode unterscheidet sich somit grundlegend von der Wissensvermittlung an den Klöstern und Kathedralschulen. Das Wissen bezieht sich nun erstmals auf sich selbst und auch die Wissensvermittlung verändert sich in der Scholastik bedeutend. Es kommt nicht mehr auf die richtige Weitergabe des Wissens an, sondern darauf, vermitteltes Wissen infrage zu stellen und weiterzuentwickeln. Schüler hören nicht mehr nur zu, sondern sind selbst an der Wissensgenerierung beteiligt. Dies entwickelt sich letztendlich zu einer eigenständigen Methode der Scholastik in Form der Disputation, die später dann auch fester Bestandteil des Universitätsbetriebs wird.

3. Peter Abaelard und seine Schulen in der Frühscholastik

Schon in der Frühscholastik galt Peter Abaelard als einer der bedeutendsten Logiker seiner Zeit.13 Durch sein großes Interesse an der Wissenschaft und der damit für ihn verbundenen Logik, gibt er neue Impulse für die wissenschaftliche Methodenlehre. Diese Methodik versucht Abaelard an seinen Schulen zu vermitteln.

Seine erste eigene Schule gründet er 1102 in Melun und kurz darauf eine Weitere in Corbeil.14 Beide Schulen liegen in der Nähe von Paris, wo der ehemalige Lehrer Abaelards Wilhelm von Champeaux unterrichtet.15 Abaelard besaß schon als Schüler eine wissenschaftliche Neugier und ein großes Selbstbewusstsein, weswegen er oftmals das Wissen seines Lehrers hinterfragte und in Diskussionen mit Champeaux seinen Standpunkt vertrat.16 Somit war er schon in jungen Jahren ein großer Verfechter der Diskussion als Grundlage für die Wissensgenerierung. Diese neue Diskussionskultur bildet die Basis für die spätere Disputation als fester Bestandteil des Universitätsbetriebs.

Grundbedingung für diese Methode der Wissensgewinnung war die Beherrschung der Dialektik.17 Das sprachliche Können war für die Disputation unabdingbar, weswegen es nicht mehr um die Inhalte an sich ging, sondern mehr um die Begabung in der logischen Argumentation.

An den Schulen Abaelards wurde seinen Schülern dieses Argumentieren beigebracht. Die Disputation ersetzte den Frontalunterricht, wodurch nun auch die Schüler an der Wissensgenerierung beteiligt waren. Abaelard eröffnet damit eine neue Methodik, um Wissen weiterzugeben. Statt Wissen unverfälscht widergeben zu wollen, wie es in der monastischen Gelehrsamkeit der Fall war, will Abaelard seine Schüler dazu anregen, sich mit Problemen und Fragestellungen auseinanderzusetzen, um Erkenntnisse zu erlangen.18 Die Disputation ist also ein Prozess, um Wissen zu generieren und weiterzuentwickeln.

Abaelard wurde von seinen Schülern für sein dialektisches Können bewundert, stand bei monastischen Gelehrten aber unter starker Kritik.19 Durch seine starke Persönlichkeit und seine neuartige und kontroverse Methode, stand Abaelard immer wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit. Einerseits verlieh ihm sein oft überhebliches, aber selbstbewusstes Auftreten eine Reichweite im Bildungszentrum Paris, wodurch er mit der Entwicklung der scholastischen Methode in Zusammenhang gebracht wird. Andererseits jedoch stieß er mit diesem, seinerzeit kontroversen, Verhalten und Denken auf Widerstand und Kritik.

So auch bei Wilhelm von Champeaux, den Abaelard als Schüler in Disputationen übertrumpfte. Mit ihm herrschte ein regelrechter Konkurrenzkampf um die Gewinnung von neuen Schülern.20 Die Gründung von Schulen basierte nämlich darauf, genug Schüler zu finden, die die Vorlesungen besuchen und dafür das benötigte Geld zahlen.21

[...]


1 Frank Rexroth: Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters. München 2018, S.16.

2 Vgl. Martin Kintzinger: Disputation und Duell. Akademische Streitkultur im ausgehenden Mittelalter. In: Artes - Artisten - Wissenschaft. Die Universität Wien in Spätmittelalter und Humanismus, hrsg. v. Thomas Maisel u.a. Wien 2015. (Singularia Vindobonensia, Bd. 4), S.34.

3 Vgl. Rexroth 2018, S.41.

4 Vgl. Rexroth 2018, S.34

5 Vgl. Rexroth 2018, S.33.

6 Vgl. Rexroth 2018, S.50.

7 Vgl. Rexroth 2018, S.55.

8 Vgl. Rexroth 2018, S.137.

9 Vgl. Rexroth 2018, S.136.

10 Vgl. Rexroth 2018, S.147.

11 Vgl. Bernhard Geyer: Die patristische und scholastische Philosophie. 12. Auflage. Tübingen 1951, S.156.

12 Vgl. Geyer 1951, S.143.

13 Vgl. Rexroth 2018, S.155.

14 Vgl. Robert Gramsch-Stehfest: Bildung, Schule und Universität im Mittelalter. Berlin 2019, S.90.

15 Vgl. Gramsch-Stehfest 2019, S.90.

16 Vgl. Gramsch-Stehfest 2019, S.90.

17 Vgl. Rexroth 2018, S.173.

18 Vgl. Rexroth 2018, S.175.

19 Vgl. Martin Grabmann: Die Geschichte der scholastischen Methode. Freiburg 1991, S.171.

20 Vgl. Gramsch-Stehfest 2019, S.91.

21 Vgl. Helmut Meinhardt: Die Philosophie des Peter Abaelard, in: Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, hsg. V. Peter Weimar. Zürich 1981. (Züricher Hochschulforum Bd. 2), S.108.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Scholastik als neue Methode der Wissensvermittlung
Untertitel
Kann Peter Abaelard als Begründer der scholastischen Methode gesehen werden?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
2,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
14
Katalognummer
V1006889
ISBN (eBook)
9783346390516
ISBN (Buch)
9783346390523
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte Hausarbeit Scholastik Universität Peter Abaelard Mittelalter
Arbeit zitieren
Lena Morgenstern (Autor:in), 2019, Scholastik als neue Methode der Wissensvermittlung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1006889

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