Arbeitsmigration von Italien in die Bundesrepublik Deutschland. Probleme und Maßnahmen der Integration


Hausarbeit, 2020

36 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Arbeitsmigration zwischen Deutschland und Italien vor 1945
2.1 Arbeitsmigration im Kaiserreich und der Weimarer Republik
2.2 Arbeitsmigration im Nationalsozialismus

3. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte nach 1945
3.1 Das Anwerbeabkommen von 1955
3.1.1 Der Weg bis zum Anwerbeabkommen
3.1.2 Das Anwerbeverfahren
3.2 Emigrationsmotive und Arbeitsbedingungen der Italiener

4. Integration der Italiener in die deutsche Gesellschaft
4.1 Vorbehalte und Diskriminierung gegenüber italienischen Migranten
4.2 Integrations- und Betreuungsmaßnahmen
4.2.1 Maßnahmen der Regierungen
4.2.2 Kirchliche Einrichtungen
4.2.3 Radio Colonia
4.2.4 Gewerkschaften
4.3 Die Boten des ,Dolce Vita‘

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Arbeitsmigration1 in deutsche Gebiete hat eine jahrhundertealte Tradition und dauert bis heute an. Neben Wirtschaftsflüchtlingen aus Nordafrika kommen jedes Jahr auch Hunderttausende Saisonkräfte nach Deutschland, um beispielsweise bei der Ernte in der Landwirtschaft zu helfen. Zwar war Deutschland bis in die 1880er Jahre hauptsächlich ein Auswanderungsland, mit der Hochindustrialisierung und der damit verbundenen Beschäftigung vor allem polnischer Arbeiter im Kaiserreich wurde es jedoch zunehmend zum Einwanderungsland.2 Gegen die Anerkennung dieses Stauts wehrte sich die deutsche Regierung bis ins 21. Jahrhundert beharrlich,3 was nichts daran änderte, dass weiterhin Menschen immigrierten. Insbesondere in die wirtschaftlich florierende Bundesrepublik der 1950er Jahren strömten Migranten4 zur Arbeitsaufnahme. Die erste und lange Zeit auch die größte Gruppe an Einwanderern waren die Italiener. 1955 schloss die Bundesrepublik ihr erstes Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften mit Italien, in der Absicht, den vermeintlich kurzfristigen Arbeitskräftemangel durch die sogenannten ,Gastarbeiter‘ zu beheben. Der Begriff verweist bereits auf den temporären Charakter, welchen die Migration nach Ansicht der Regierung kennzeichnen sollte. An eine Eingliederung der Migranten in die deutsche Gesellschaft dachten die Entscheidungsträger dabei nicht. Als sich zunehmend herauskristallisierte, dass die Italiener5 langfristig bleiben würden, ihre Familien nachholten und sich ein Leben in Deutschland aufbauten, waren bereits einige Jahre vergangen, ohne dass der Staat etwas für deren gesellschaftliche Integration getan hätte. Max Frisch beschrieb die Situation 1965 äußerst treffend mit den Worten: „man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“6. Die italienischen Migranten lebten in Deutschland gewissermaßen unter sich in ihrer eigenen Welt, mit wenig Kontakt zur deutschen Bevölkerung, welche den Italienern teilweise das neue Leben durch eine ausländerfeindliche Haltung zusätzlich erschwerte. Die Regierung hatte die Probleme, welche mit der fehlenden Integration einhergehen könnten, vollkommen unterschätzt. Andere Institutionen hingegen erkannten die Notwendigkeit der Eingliederung früh und nahmen sich der Fürsorge an. Welche Einrichtungen und Organisationen dies waren, die den Italienern bei ihrer Ankunft und Eingewöhnung in Deutschland zur Seite standen und mit welchen Vorbehalten und Problemen die italienischen Migranten konfrontiert waren, sind Fragen, denen diese Arbeit nachgeht.

Um die Ursprünge der Arbeitsmigration zwischen Deutschland und Italien sowie die Langfristigkeit der Integrationsprobleme nachvollziehen zu können, muss bereits einige Jahre vor Gründung der Bundesrepublik angesetzt werden. Daher wird in Kapitel 2 vorerst die Geschichte der Erwerbsmigration, welche Deutschland und Italien seit vielen Jahrhunderten verbindet, nachgezeichnet. Dabei wird neben der Migration im Kaiserreich insbesondere auf die Zeit während des Nationalsozialismus eingegangen. 1937 schloss das Deutsche Reich bereits eine Vereinbarung zur Arbeitskräfteanwerbung mit dem verbündeten Italien, an welches das Abkommen von 1955 anschließt. Wie es zu dem Anwerbeabkommen der Bundesrepublik kam, welche Punkte es beinhaltete und welche Motive die Italiener zum Verlassen ihrer Heimat brachten, behandelt das dritte Kapitel. Der vierte Abschnitt widmet sich schließlich der Frage, mit welchen Vorurteilen und Schwierigkeiten die Italiener insbesondere zu Beginn in Deutschland zu kämpfen hatten. Hierbei zeigt sich, dass die Migranten vor allem unter der Diskriminierung litten, welche ihnen alltäglich bei der Arbeit und auf der Straße begegnete. Anschließend wird aufgezeigt, welche Institutionen sich es zur Aufgabe gemacht hatten, die Italiener in ihrem neuen Leben zu unterstützen. Zum Schluss des Kapitels wird dargestellt, wie sich der Blick der Deutschen auf die Migranten gewandelt hat, vom stereotypen Ausländer zum herzlichen und gerne gesehenen Italiener. Das letzte Kapitel schließt mit einem Fazit und einer Bewertung der Integrationsmaßnahmen ab.

2. Arbeitsmigration zwischen Deutschland und Italien vor 1945

Die Migration von Italien nach Deutschland kann auf eine lange Tradition zurückblicken und ist im Wesentlichen durch drei Emigrationsphasen gekennzeichnet, welche durch die scharfen Einschnitte des Ersten und Zweiten Weltkriegs voneinander getrennt werden.7 Während die erste Phase der Emigration von Italien ins Deutsche Kaiserreich mehr oder weniger unkontrolliert vonstattenging, kam es nach der Machtergreifung Hitlers zunehmend zu einer systematischen Förderung der Arbeitsmigration. Mit dem ersten Abkommen zur Arbeitskräfteanwerbung der Bundesrepublik mit Italien schloss die dritte Phase direkt an die Zeit des Nationalsozialismus an. Trotz Unterschieden zwischen den drei Phasen, beispielsweise in Bezug auf die Herkunftsgebiete der Italiener, lässt sich dennoch eine Kontinuität erkennen, wie dieses Kapitel zeigen wird.

2.1 Arbeitsmigration im Kaiserreich und der Weimarer Republik

Die Emigration aus Italien begann bereits im Mittelalter, als Händler, Bankiers oder Gläubige sich auf den Weg in die expandierenden mittelalterlichen Stadtstaaten machten. Auch in deutsche Gebiete wanderten bereits früh italienische Geldwechsler und Münzmeister ein, im 14. Jahrhundert zog es insbesondere Künstler, Dichter, Musiker und Bildhauer in die fürstlichen Residenzen Europas. Während des 17. und 18. Jahrhunderts vermehrte sich die Zuwanderung italienischer Kaufleute und Händler, die ihre Südfrüchte und Seiden aus Savoyen und Piemont verkaufen wollten. Meist war die Emigration auf eine Saison begrenzt, während welcher die Händler ihre Ware verkauften, um anschließend zur Produktion nach Italien zurückzukehren.8

Im 19. Jahrhundert kam es zu einer verstärkten Auswanderung aus Italien ins Deutsche Kaiserreich.9 Die sogenannten Transalpini, die Migranten von jenseits der Alpen, kamen fast ausschließlich aus dem Norden Italiens, aus Venetien, der Lombardei oder der Emilia Romagna.10 Sie wanderten in den Süden und Südwesten des Deutschen Reiches,11 um einer Beschäftigung im Baugewerbe, in Ziegeleien oder im Bergbau nachzugehen, die Frauen arbeiteten oft auch in der Textilindustrie. Auffällig hierbei ist, dass die Italiener die Arbeit in der Landwirtschaft mieden und nach Del Fabbro zu über 90% einer Tätigkeit im Industriesektor nachgingen. Möglicherweise strebten sie nach einer anderen Beschäftigung als in ihrem Heimatland, wo viele für einen Hungerslohn auf dem Land hatten arbeiten müssen.

Insgesamt verließen zwischen 1867 und 1915 über 14 Millionen Italiener ihre Heimat, wovon 1,2 Millionen ins Kaiserreich immigrierten.12

Im damaligen Italien war die Emigration ein zentraler Aspekt. Der italienische Staat hatte die Auswanderung zunächst kritisch betrachtet, da die Großgrundbesitzer im Land einen Lohnanstieg durch die Abwanderung befürchteten. Zunehmend wurde die Auswanderung jedoch als notwendiges Ventil, um den sozialen Spannungen im Land entgegenzuwirken, angesehen und die Regierung begann sie zu fördern.13 1904 schloss Italien sein erstes Anwerbeabkommen mit Frankreich, welches die Bereitstellung italienischer Arbeiter für die französische Kriegswirtschaft regelte und auf welches viele weitere Abkommen folgten.14

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegen reiste die Mehrheit der 325.000 Italiener im Kaiserreich in ihre Heimat zurück.15

In der Weimarer Republik folgte man, auch wegen der wirtschaftlichen Instabilität,16 einer stark restriktiven Migrationspolitik. Lediglich mehrere Hundert Obst- und Gemüsehändler aus Italien arbeiteten zu dieser Zeit in Deutschland. Aufgrund der Kriegsniederlage stellte Deutschland ohnehin zunächst ein eher unattraktives Land für Auswanderer dar. Vielmehr emigrierten die Italiener nach dem Ersten Weltkrieg in Länder wie Frankreich, England oder Belgien, mit welchen die italienische Regierung bereits Anwerbeabkommen vereinbart hatte. Auch mit Deutschland versuchte die Regierung in Rom 1920 erfolglos einen Vertrag zur Beschäftigung italienischer Arbeiter zu schließen, die Entscheidungsträger in Berlin ließen sich jedoch nicht von der protektionistischen Haltung und der Ablehnung gegenüber der Öffnung des Arbeitsmarktes abbringen.17 Diese Einstellung änderte sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 grundlegend.

2.2 Arbeitsmigration im Nationalsozialismus

Die Rüstungskonjunktur führte Ende der 1930er Jahre mehr und mehr zu einem Mangel an Arbeitskräften im Deutschen Reich. Mit dem Ziel, die Arbeitskräfteknappheit, welche sich vor allem in der deutschen Landwirtschaft niederschlug, zu beheben, schloss das Naziregime mit neutralen und verbündeten Staaten Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften. Auch mit dem faschistischen Bündnispartner Italien wurde 1937 ein solcher Vertrag unterzeichnet, der insbesondere italienische Landarbeiter ins Reich bringen sollte. 1941 befanden sich bereits 270.000 Italiener in Deutschland, welche jedoch nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Baugewerbe, im Bergbau, in Ziegeleien oder in der Metallindustrie tätig waren.18 Bis 1942 waren etwa eine halbe Million Land- und Industriearbeiter aus Italien nach Deutschland eingewandert. Während im Kaiserreich die Immigration unreguliert abgelaufen war, kam es nun zu einer kontrollierten Förderung.19 Den italienischen Arbeitsmigranten kam hierbei eine besondere Bedeutung zu, da sie als Bürger eines verbündeten Staates in wichtigen wirtschaftlichen wie militärischen Bereichen für das nationalsozialistische Deutschland eingesetzt werden konnten.20 Die italienischen Arbeiter wurden zum Missfallen vieler ihrer deutschen Kollegen oft durch die Allianz zwischen Fascho-Italien und Nazi-Deutschland, trotz rassistischer Ideologie der Nationalsozialisten, privilegiert und den Deutschen arbeitsrechtlich gleichgestellt.

Diese Sonderbehandlung endete mit dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten und dem Sturz Mussolinis 1943 schlagartig. 600.000 italienische Arbeiter und Soldaten wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Aufgrund des ,Verrats‘, wie viele Deutsche den Seitenwechsel Badoglios empfanden, litten die Italiener in Deutschland nun besonders unter einer brutalen Behandlung.

Nach Ende des Krieges 1945 blieben nur sehr wenige Italiener in Deutschland, 1953 lebten etwa 5.000 von ihnen in der Bundesrepublik.21 Eine Auseinandersetzung mit der grausamen Zwangsarbeit, welche die Italiener für die Deutschen verrichten mussten, bleibt bis heute aus.22

Diese zwei Phasen der freiwilligen Rekrutierung vor und der Zwangsdeportation nach 1943 müssen voneinander getrennt werden,23 insbesondere bei der Betrachtung des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und Italien von 1955, für welches der Kontrakt von 1937 als direktes Vorbild diente.24

3. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte nach 1945

Die Migration italienischer Arbeitskräfte in deutsche Gebiete war im 20. Jahrhundert also bereits ein bekanntes Phänomen. 1955 folgte eine Art ,Neuauflage‘ des Vertrages aus nationalsozialistischen Tagen, wodurch in den Folgejahren tausende Italiener nach Deutschland kamen. 1973 verhängte die Bundesrepublik aufgrund der Weltwirtschaftskrise einen Anwerbestopp, von welchem die Italiener jedoch aufgrund der EWG-Freizügigkeit ausgenommen waren. Folgendes Kapitel behandelt zunächst die Frage, wie es zum Abkommen kam, welche Regelungen es enthielt und wie die Anwerbeprozedur gestaltet war. Anschließend werden die Motive, welche die Italiener dazu antrieben, ihre Heimat zu verlassen sowie die Arbeitsbedingungen, welche sie in Deutschland vorfanden, nachgezeichnet.

3.1 Das Anwerbeabkommen von 1955

Als die deutsche und die italienische Regierung 1955 das Abkommen zur Anwerbung italienischer Arbeitskräfte in die Bundesrepublik unterschrieben, versprachen sie sich beide arbeitsmarktpolitische Vorteile. Zudem wollte Deutschland mit dem Abkommen Italien als einem ökonomisch wie politisch bedeutendem Partner entgegenkommen, womit der Vertrag auch vor dem Hintergrund des europäischen Integrationsprozess zu betrachten ist. Darüber hinaus ist das Abkommen als Teil einer Politik wirtschaftlicher Liberalisierung zu verstehen, ein Kernanliegen der damaligen Bundesrepublik.25

3.1.1 Der Weg bis zum Anwerbeabkommen

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war Italien noch immer ein semi-agrarisch geprägter Staat. Insbesondere im Süden des Landes lebten viele Landarbeiter und Tagelöhner, welche den Großteil ihrer Erträge noch an die padroni, die Großgrundbesitzer, abgeben mussten. Viele Menschen waren von Armut, Unterentwicklung und struktureller Arbeitslosigkeit betroffen. 1953 waren knapp 2 Millionen Italiener erwerbslos, was einer Arbeitslosenquote von 10% entsprach, zusätzlich wuchs die italienische Bevölkerung zu dieser Zeit stark an.26 Trotz umfangreichem Entwicklungsprogramm des Finanzministeriums für den Mezzogiorno sah die italienische Regierung die Notwenigkeit, italienische Arbeiter zur Auswanderung zu bewegen, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu mildern.27 Italien hatte bereits kurze Zeit nach Ende des Krieges Abkommen mit verschiedenen Ländern wie Belgien, Frankreich, Schweden oder Großbritannien zur Anwerbung von Arbeitskräften geschlossen.28 1951 fragte die italienische Regierung auch in Bonn bezüglich eines Anwerbeabkommens an,29 welches nicht nur den Arbeiterüberschuss senken, sondern auch den italienischen Export steigern sollte. Außerdem verfolgte Italien das Ziel, eine Entlastung der Zahlungsbilanz zu erreichen.30 Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in den 1950er Jahren und auch infolge des Krieges herrschte in Teilen Deutschlands insbesondere in der Landwirtschaft und in körperlich und gesundheitlich belastenden Berufen ein Mangel an Arbeitskräften.31 Dies führte 1952 schließlich zu Forderungen, erst aus der Landwirtschaft, dann auch aus Ziegeleien, Steinbrüchen und der Bauwirtschaft, zur Anwerbung ausländischer Arbeiter. Das Wirtschaftsministerium um Ludwig Erhard unterstützte die Forderungen, ebenso die Unternehmer, die in ihren Betrieben zunehmend den Arbeitermangel zu spüren bekamen.32 Arbeitsminister Anton Storch sowie die Gewerkschaften hingegen lehnten ein solches Abkommen ab.33 Hier vertrat man die Meinung, es müssten erst einmal die arbeitslosen Deutschen in Arbeit vermittelt sowie weitergebildet werden, bevor an eine Anwerbung aus dem Ausland zu denken sei.34 Erhard wiederum argumentierte, dass mit einem Anwerbeabkommen zum einen die Konkurrenz zwischen den Unternehmern erhöht und damit einem Lohndruck entgegengewirkt werden könne. Zum anderen werde es durch die Expansion der deutschen Wirtschaft und die kriegsbedingt geburtenschwachen Jahrgänge künftig zum Arbeitskräftemangel kommen. Hinzu kam das Interesse, den Handel mit Italien als wichtiges Abnehmerland von Maschinen, Metall und chemischer Industrie auszuweiten, was nicht nur der deutschen Wirtschaft zugutekommen würde, sondern auch dem Wunsch Italiens nach Produktions- und Exportsteigerung entspräche. Doch das Arbeitsministerium wehrte sich mit Unterstützung des Innenministeriums beharrlich gegen eine Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Erhard und Storch bewerteten die Lage des Arbeitsmarktes grundsätzlich verschieden. Erst als es 1955 zu immer mehr offenen Stellen in der Landwirtschaft und im Baugewerbe kam, stimmte der Arbeitsminister einer präventiven Abmachung mit Italien zu und räumte ein, auf das Angebot Italiens zurückzukommen, falls der Bedarf an Arbeitskräften tatsächlich nicht mehr durch deutsche Bürger gedeckt werden könne.35

Nach schnellem Eintritt dieser Situation wurde am 20. Dezember 1955 schlussendlich das Abkommen über die Anwerbung und Vermittlung italienischer Arbeitskräfte in die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet. Vorbild für das Abkommen war der Vertrag von 1937, welcher von deutscher wie von italienischer Seite als sehr erfolgreich bewertet wurde, womit das Abkommen von 1955 auch als Erbe des nationalsozialistischen Deutschlands verstanden werden kann.36

Der Vertrag regelte das Vorgehen der Anwerbung und enthielt außerdem gewisse Klauseln wie das Prinzip des Inländerprimats in Bezug auf die Arbeits- und Wohnungssuche (hierauf hatten insbesondere die Gewerkschaften gepocht) und die sozialpolitische wie tarifliche Gleichstellung der italienischen und deutschen Arbeiterschaft. Außerdem wurde den Migranten eine angemessene Unterkunft sowie die Zahlung von einem Kindergeld für die Nachkommen in Italien zugesichert. Bemerkenswert an dem Vertrag ist darüber hinaus, dass bereits die Möglichkeit des Familiennachzugs gegeben wurde, was in den 1970er Jahren noch weitreichenden Einfluss auf die deutsche Gesellschaftsstruktur haben sollte.37

Ganz nach dem Vorbild des deutsch-italienischen Abkommens von 1955 folgten weitere Abkommen wie mit Spanien (1960), der Türkei (1961), Tunesien (1965) oder Jugoslawien (1968).38

3.1.2 Das Anwerbeverfahren

Der im Vertrag geregelte Weg zur Anwerbung italienischer Arbeitskräfte war äußerst kompliziert und mit vielen Behördengängen verbunden. In einem ersten Schritt meldeten die deutschen Arbeitgeber ihren Arbeitskräftebedarf an das lokale Arbeitsamt. Dieses leitete die Zahlen an das Bundesamt für Arbeit in Nürnberg weiter, welches die Anfrage wiederum an dessen Außenstelle, die Deutsche Kommission in Verona (später auch in Neapel) weitergab. Die Deutsche Kommission übermittelte die Zahlen an das Centro di Emigrazione der italienischen Arbeitsverwaltung, von wo aus der Bedarf an die 93 Provinzialarbeitsämter weitergeleitet wurde. Abschließend teilten diese die Zahlen den über 8.000 kommunalen Dienststellen mit, bei welchen sich alle vermittlungsbereiten Personen, anmelden konnten. Die Provinzialbehörden führten eine gesundheitliche und berufliche Vorauswahl der Bewerber durch, bevor diese zur Deutschen Kommission weitergeschickt wurden,39 wo sie sich noch einmal einer Untersuchung durch einen deutschen Arzt unterziehen mussten, bevor sie ihre Legitimationskarte40 zur Einreise erhielten. Insbesondere Italiener aus dem Süden, die oft dem unteren Bildungsmilieu entstammten und nach dem Zweiten Weltkrieg den größten Migrantenteil nach Deutschland ausmachten, waren mit der Bürokratie und der Beschaffung der Unterlagen, welche vom Führungszeugnis bis zur amtlichen Bescheinigung des Familienstandes reichten, oft überfordert.41 Aufgrund der langwierigen Anwerbeprozedur gaben viele Italiener ihre Pläne zur Auswanderung nach Deutschland auf und emigrierten stattdessen nach Frankreich oder in die Schweiz, wo weniger bürokratische Hindernisse überwunden werden mussten und zusätzlich ein höherer Lohn gezahlt wurde. Die Einreise über die Kommission hatte jedoch auch Vorteile für die Italiener. Sie erhielten einen Mustervertrag, welcher den gültigen Tarifvereinbarungen entsprach und rechtsverbindlichen Charakter besaß. Außerdem wurde ihnen die Reise von Verona nach Deutschland durch ihren neuen Arbeitsgeber finanziert und eine Unterkunft zugesichert.42

[...]


1 Migration wird verstanden als „die auf einen längerfristigen Aufenthalt angelegte räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes von Individuen, Familien, Gruppen oder auch ganzen Bevölkerungen.“ Die Arbeitsmigration dient dabei der „Aufnahme unselbstständiger Erwerbstätigkeit in Gewerbe, Landwirtschaft, Industrie und im Dienstleistungsbereich“. Oltmer, Jochen: Migration, in: Deutschland Einwanderungsland. Begriffe – Fakten – Kontroversen, hg. v. Meier-Braun, Karl-Heinz / Weber, Reinhold, Stuttgart 2013, S. 31-34, S. 31.

2 Vgl. Oltmer, Jochen: Ausländerbeschäftigung und restriktive Integrationspolitik, in: bpb: Bundeszentrale für politische Bildung (2005), hochgel: 15.03.2005, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration-ALT/56356/1871-1918 (17.04.2020).

3 Vgl. Hanewinkel, Vera / Oltmer, Jochen: Integration und Integrationspolitik in Deutschland, in: bpb: Bundeszentrale für politische Bildung (2017), hochgel. 20.09.2017, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/265044/integration-und-integrationspolitik (17.04.2020).

4 Aufgrund der Leserlichkeit sowie der Tatsache, dass es sich bei einem Großteil der italienischen Migranten in der Bundesrepublik der 1950er bis 1970er Jahre um männlich Personen handelte, wird in dieser Arbeit hauptsächlich das generische Maskulinum verwendet. Migrantinnen werden hierbei miteingeschlossen.

5 Ist von den Italienern, den Migranten oder den Deutschen die Rede, wird der Einfachheit halber eine Verallgemeinerung vorgenommen, in dem Wissen, dass es durchaus Differenzen innerhalb der Gruppen gab und gibt.

6 Frisch, Max: Öffentlichkeit als Partner, Frankfurt a.M. 1967, S.100. Max Frisch bezieht sich dabei zwar auf die italienischen Migranten in der Schweiz, das Zitat ist aber ebenso gut auf die Situation in der Bundesrepublik übertragbar.

7 Vgl. Sala, Roberto: Die Nation in der Fremde. Zuwanderer in der Bundesrepublik Deutschland und nationale Herkunft aus Italien, in: IMS-Beiträge 29 (2006), S. 99-123, S. 104.

8 Vgl. Martini, Claudia: Italienische Migranten in Deutschland. Transnationale Diskurse, Berlin 2001, S. 50f., S.59ff.

9 Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wanderte eine große Zahl an Italienern nach Übersee in die USA sowie Südamerika aus. Mit der restriktiven Einwanderungspolitik in den USA ab 1921 verstärkte sich jedoch die Emigration nach Europa. Vgl. ebd., S. 51.

10 Vgl. Del Fabbro, René: Transalpini. Italienische Arbeitswanderung nach Süddeutschland im Kaiserreich 1870-1918 (Studien zur historischen Migrationsforschung, Bd. 2), Osnabrück 1996, S. 39.

11 Vgl. ebd., S. 24; Vgl. Sala: Die Nation in der Fremde, S. 101.

12 Vgl. Del Fabbro: Transalpini, S. 24-27, S. 136.

13 Vgl. Sala, Roberto: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft, in: Vierteljahreszeitschrift für Zeitgeschichte 1 (2007), S. 93-120, S. 99.

14 Vgl. Sala, Roberto: Die migrationspolitische Bedeutung der italienischen Arbeitswanderung in die Bundesrepublik, in: Das „Gastarbeiter“-System. Arbeitsmigration und ihre Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 104), hg. v. Oltmer, Jochen / Kreienbrink, Axel / Sanz Díaz, Carlos, München 2012, S. 71-89, S. 73; Vgl. Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“, S. 99f.

15 Vgl. Martini: Italienische Migranten in Deutschland, S. 64.

16 Vgl. Rieker, Yvonne: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“. Die italienische Einwanderung in die Bundesrepublik, Essen 2003, S. 17.

17 Vgl. Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“, S. 100; Vgl. Sala: Die Nation in der Fremde, S. 105.

18 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 17.

19 Vgl. Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“, S. 100.

20 Vgl. Martini: Italienische Migranten in Deutschland, S.65.

21 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 17f.

22 Vgl. Sala: Die migrationspolitische Bedeutung der italienischen Arbeitswanderung in die Bundesrepublik, S. 76.

23 Vgl. Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“, S. 102.

24 Vgl. Sala: Die Nation in der Fremde, S. 105f.

25 Vgl. Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“, S. 97f.

26 Vgl. Knortz, Heike: Gastarbeiter für Europa. Die Wirtschaftsgeschichte der frühen europäischen Migration und Integration, Köln 2016, S. 33, S. 42, S. 200; Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 20, S. 28. Nach Knortz wuchs die italienische Bevölkerung von 32,5 Millionen im Jahre 1901 innerhalb von 35 Jahren auf 43 Millionen an. 1951 lebten bereits 47 Millionen Italiener im Land. Vgl. Knortz: Gastarbeiter für Europa, S. 43.

27 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 20.

28 Vgl. Knortz: Gastarbeiter für Europa, S. 44.

29 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 20; Vgl. Prontera, Grazia: Italienische Zuwanderung nach Deutschland. Zwischen institutionalisierten Migrationsprozessen und lokaler Integration, in: bpb: Bundeszentrale für politische Bildung (2017), hochgel. 07.11.2017, https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/259001/italienische-zuwanderung-nach-deutschland (14.04.2020).

30 Vgl. Rieder, Maximiliane: Deutsch-italienische Wirtschaftsbeziehungen. Kontinuitäten und Brüche 1936-1957, Frankfurt a.M. 2003, S. 450.

31 Vgl. Martini: Italienische Migranten in Deutschland, S. 67;

32 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 18f, S. 22.

33 Vgl. Prontera: Italienische Zuwanderung nach Deutschland.

34 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 19.; Vgl. Rieder: Deutsch-italienische Wirtschaftsbeziehungen, S. 454.

35 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 19ff; Vgl. Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter, S. 96; Vgl. Prontera: Italienische Zuwanderung nach Deutschland.

36 Vgl. Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter, S. 102f.

37 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 23f.

38 Vgl. Oltmer, Jochen: Anwerbeabkommen, in: Deutschland Einwanderungsland. Begriffe – Fakten – Kontroversen, hg. v. Meier-Braun, Karl-Heinz / Weber, Reinhold, Stuttgart 2013, S. 38-42, S. 39.

39 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 25; Vgl. Prontera: Italienische Zuwanderung nach Deutschland.

40 In der Legitimationskarte, welche als Arbeitserlaubnis diente, waren Arbeitgeber, Art der Tätigkeit sowie Aufenthaltsdauer festgelegt. Vgl. Martini: Italienische Migranten in Deutschland, S. 67; Vgl. Rieder: Deutsch-italienische Wirtschaftsbeziehungen, S. 459.

41 Rieder: Deutsch-italienische Wirtschaftsbeziehungen, S. 459.

42 Vgl. Rieker: „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, S. 43, S. 48.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Arbeitsmigration von Italien in die Bundesrepublik Deutschland. Probleme und Maßnahmen der Integration
Hochschule
Universität Augsburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
36
Katalognummer
V1007921
ISBN (eBook)
9783346396006
ISBN (Buch)
9783346396013
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Integration, Deutschland, Italien, Arbeitsmigration, Migration, Integrationsmaßnahmen
Arbeit zitieren
Maryvonne Kälberer (Autor:in), 2020, Arbeitsmigration von Italien in die Bundesrepublik Deutschland. Probleme und Maßnahmen der Integration, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1007921

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