Lessing, G. E. - Emilia Galotti - Literarische und theatralische Rezension


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

6 Seiten, Note: 10 Punkte


Leseprobe


Wirkungsgeschichte des bürgerlichen Trauerspiels Emilia Galotti

Das Drama Emilia Galotti wurde sowohl hochgelobt, als auch stark kritisiert. Sein Ansehen in der Literaturgeschichte nahm ab und wieder zu. Viele namhafte Schriftsteller haben sich mit Stück beschäftigt und es mehr oder weniger kritisiert. Dazu zählen Mathias Claudius, Goethe, als auch Friedrich Schlegel. Für einige Literaturkritiker seiner Zeit war Lessing sogar der deutsch Shakespeare. "Aber eben dadurch erhält Herr Lessing einen Rang unter den vornehmsten dramatischen Dichtern, auch der Ausländer, zu dem wenige hinangekommen sind." (24.3.1772 "Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unparteiischen Korrespondenten") Nach der Uraufführung der Emilia Galotti am 13. März 1772 in Braunschweig, entwickelte sich ein Meinungsbild, das sich bis in Details mit dem Stück beschäftigte.

Eine der ersten Reaktionen wurde von Mathias Claudius in dem von ihm herausgegebenen "Wandersbecker Bothen" publiziert. Dort hieß es: "Des Hrn. Lessings Emilia Galotti ist hier zum erstenmal mit außerordentlichen Beifall aufgeführt worden. Sie wissen, was Lessing fürs Theater zu schreiben pflegt, aber man sagt hier durchgehends, daß er diesmal noch mehr geschrieben habe". Wie bei Mathias Claudius, so auch bei anderen ersten Stellungnahmen, wurde das Stück und seine Aufführungen mit viel Beifall und daher mit Respekt und Ansehen gewürdigt. Zum Teil wurde es sogar auf Wunsch hoher Persönlichkeiten in den Theatern wiederholt aufgeführt. Seine spätere Frau Eva König schrieb nach der Erstaufführung in Wien an Lessing: "Ihr neues Stück ist vorige Woche drei Tage nach einander aufgeführt worden, und zwar mit außerordentlichem und allgemeinem Beifall. Der Kaiser hat es zweimal gesehen […]". Lessings Freund Moses Mendelssohn hat sich in einem Gespräch Lessings Bruder gegenüber von Emilia Galotti begeistert gezeigt. Allerdings war Mendelssohn einer der Ersten, die konkrete Kritik formulierten: "Der Prinz; der scheint mir im Anfange tätiger und tugendhaft, und am Ende ein untätiger Wollüstling. Und hiermit bin ich nicht zufrieden".

Im März des Jahres 1772 äußerte sich Johann Joachim Eschenburg in einer umfassenden und detaillierten Rezension zu Emilia Galotti. Hierbei ist auffällig, daß Eschenburg durchweg von dem Stück überzeugt ist. Er bemängelt an keiner Szene Schwächen, schwärmt sogar in überschwänglichem Stil von diesem Stück: "Unter allen Merkmalen des Genies, woran dies Stück so ungemein reich ist, sticht keines durchgehends mehr hervor als ebendiese weise, unnachahmliche Ökonomie, mit welcher der Dichter das simpelste Subjekt in einen Plan verweben gewusst hat, der nichts von dem zusammengestückten Ansehen episodischer Befehle an sich hat, der keiner einzigen müßigen und ermüdenden Szene, keiner kalten oder romanhaften Deklamation, keiner frostigen Erzählung, keiner widernatürlichen Situationen zu seiner Konsistenz bedurfte". Eine weiter Stellungnahme im "Wandsbecker Bothen" von Matthias Claudius erfolgte am 14. und 15. 4.1772. Darin zeigt sich Claudius weiterhin begeistert, weist aber auf diverse Schwächen des Stückes hin. Zum Beispiel ist es ihm nicht einleuchtend, "wie nämlich die Emilia so zu sagen bei der Leiche ihres Appiani an die Verführung eines anderen und dabei an ihr warmes Blut denken konnte".

Auch Johann Wolfgang G oethe vertrat Mitte Juli 1772 in einem Brief an Johann Gottfried Herder seine Meinung über Emilia Galotti. Dort sagt er, die Entwicklung der Handlung sei zu "gedacht", daher nicht von "Zufall und Caprice" gesteuert. Lessing habe sich nicht an seine von ihm selbst in der Hamburgischen Dramaturgie aufgestellten Forderungen gehalten, das Verhalten und die Handlungen der Charaktere müssen dem Zuschauer ohne Zweifel einsichtig sein.

Der Schriftsteller und Berliner Theaterdirektor Johann Jakob Engel verglich 1774 in vier Briefen das römische Original mit Emilia Galotti. Darin geht er besonders auf die Katastrophen ein und stellt diese gegenüber. Er stellt heraus, daß die "Geschichte der Virginie vor dieser der Emilie schon eine nicht verächtlichen Vorteil" hat, da Odoardo nicht Sklaverei und Entehrung seiner Tochter fürchten muss, sondern nur Entehrung. Im folgenden kritisiert er die Handlungsweise des Odoardos, die unumgängliche Reaktion des Virginias im Hinterkopf. Engel ist nicht verständlich, warum Odoardo "den Dolch nicht ins Herz des Räubers [des Prinzen] und seines nichtswürdigen Geholfen, sondern ins Herz seines eigenen Kindes" gestoßen hat. Seine Begründung die er liefert ist ebenso einleuchtend wie nachvollziehbar: "Moralisch unmöglich, scheint es, mußte die Ermordung seines Kindes dem Vater noch eher seyn, als die Ermordung des Prinzen." Desweiteren zeigt er weiter mögliche Reaktionen des Vaters auf, die er in Form von Fragen formuliert (Läßt nicht Odoardo zu schnell alle Hoffnung fahren, gleichsam um dem Dichter zu Ende zu helfen?").

1794 lobt Johann Gottfried Herder in den "Briefen zur Beförderung der Humanität" die "Charakter der Emilia, Orsina, geschweige der Claudia". Er widerspricht damit dem Vorurteil, Lessing sei kein Kenner des weiblichen Geschlechtes und stelle die Weiblichkeit als "Kinder oder Männer, Helden oder schwache Geschöpfe" dar. Seiner Meinung nach ist die Handlungsweise der Emilia nachvollziehbar ("Wer kennt die Übermacht dieses Standes [der höfischen Welt] beim schönen Geschlechte nicht? und wer darf es der Emilie in diesen Augenblicken einer solchen Situation verargen, wenn sie den Dolch ihres Vaters einer künftigen Gefahr vorziehet?") und die Charakterisierung hervorragend gelungen ("Wie verständnisvoll hat Lessing das Herz der Emilie mit Religion verwebt, um auch hier die Stärke und Schwäche einer solchen Stütze zu zeigen?").

Johann Wolfgang Goethe äußerte sich 1809 erneut über Emilia Galotti, nimmt aber von seiner Meinung von 1772 ein wenig Abstand. Obwohl er weiterhin Schwächen in der Handlung ausmacht, attestiert er Lessing, Emilia Galotti "habe Züge einer Meisterhand, welche hinlänglich beurkunden, wie tiefe Blicke Lessing in das Wesen der dramatischen Kunst vergönnt waren".

Am Ende des 18. Jahrhunderts steht der Romantiker Friedrich Schlegel. Sein Text bildet die Summe aller Kritiken und erklärt Emilia Galotti zu einem beispielhaften Drama: "Emilia Galotti ist daher das eigentliche Hauptwerk, wenn es darauf ankömmt zu bestimmen, was Lessing in der poetischen Kunst gewesen, wie weit er darin gekommen sei. Und was ist denn nun diese bewunderte merkwürdige Emilia Galotti? Unstreitig ein gutes Exempel der dramatischen Algebra."

Während dieser Zeit kam es zwischen den Kritikern nie zu einem Meinungsausgleich. Sowohl die Kritiker, als auch die Befürworter Emilia Galottis, beziehen sich in ihren Schriften auf die von Lessing 1767-1770 verfaßte Hamburgische Dramaturgie. Die Wertungskriterien waren so unterschiedlich, daß es unmöglich erschien sie auf einen Nenner zu bringen. Friedrich Schlegel (s. o.) hat es geschafft.

In der nächste Phase der Rezeptionsgeschichte, ungefähr beginnend mit der Jahrhundertwende, wird von den Autoren der zu Lessings Zeit aktuelle politische Kontext mit in die Interpretationen einbezogen. Die Autoren, angefangen bei Johann Wolfgang Goethe bis zu Heinrich Mann, sehen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Stück und der damaligen politischen und gesellschaftlichen Situation. Sie verstehen somit unter anderem Lessings Stück Emilia Galotti als Kritik an der höfischen Welt und deren heuchlerischen und willkürlichen Handlungsweisen. Allerdings äußern sich die Schriftsteller auch weiterhin zu den Charakteren und den ihnen auffallenden Schwächen des Stückes. Sie unterscheiden sich aber nicht allzusehr von den schon zuvor aufgestellten Dokumenten.

Einer der ersten Schriftsteller, der die im Land herrschenden Umstände mit in seine Überlegungen einbezogen hat, ist Johann Wolfgang Goethe, der sich am 7. Februar 1827 wie folgt äußerte: "In der Emilia Galotti hatte er seine Piken auf die Fürsten, im Nathan [Nathan der Weise - 1779] auf die Pfaffen."

Heinrich Heinen schreibt 1833: "Mehr als man ahnte, war Lessing auch politisch bewegt, eine Eigenschaft, die wir bei seinen Zeitgenossen gar nicht finden; wir merken erst jetzt, was er mit der Schilderung des Duodezdespotismus in Emilia Galotti gemeint hat." Der Marxist Franz Mehring sieht in Emilia Galotti gar eine Satire: "Als Lessing 1757 in Leipzig den ersten Plan zu einer bürgerlichen Virginia, zur Emilia Galotti fasste, ahnte er wenig, welche furchtbare Satire auf die deutschen Zustände des achtzehnten Jahrhunderts die Nachwelt in der Katastrophe seines dramatischen Meisterstücks erblicken würde […]." Im folgenden schwingt auch Kritik an dem bestehenden politischen System mit: "In der berühmten Erzählung des Livius erkannte der junge Lessing zuerst die empörendste und erschütterndste Begleiterscheinung der sozialen Unterdrückung, die Vergewaltigung der jungfräulichen Ehe, die im achtzehnten Jahrhundert so modern war, wie vor zweitausend Jahren, wie sie heute noch ist und wie sie immer sein wird, so lange soziale Unterdrückung besteht."

Abschließend ist die von Heinrich Mann anlässlich Lessings 150. Todestages gehaltene Rede zu nennen, in der er bürgerliche Trauerspiele als einen Grund für den Beginn der politischen und gesellschaftlichen Umstrukturierung angibt: "Die bürgerliche Umwälzung hatte innerlich begonnen, sobald bürgerliche Trauerspiele eine Menge Zuschauer fanden. Infolge dessen konnte sie sich im öffentlichen Leben eintreten, wenn auch noch nicht für Deutschland. Wir müssen festhalten, daß die politische Revolution in Deutschland 1789 noch nicht ausbrach." Unter anderem ist Emilia Galotti ein Spiegelbild der damaligen bürgerlichen Verhältnisse: "So sahen die bürgerlichen Trauerspiele im Leben aus."

Das bürgerliche Trauerspiel

Das bürgerliche Trauerspiel entstand im 18.Jahrhundert als Reaktion auf die klassische Tragödie, in der ausschließlich die Schicksale von Königen behandelt wird. Wie der Name schon sagt, zeigt das bürgerliche Trauerspiel das bürgerliche Leben. Mit "Miss Sara Sampson" (1755) führte Lessing die neue Gattung in Deutschland ein und damit ist es das erste bürgerliche Trauerspiel in der deutschen Literatur. Mit "Emilia Galotti" erfährt diese Gattung jedoch eine Weiterentwicklung und Veränderung, weil Lessing erstmals den Ständekampf behandelt. Damit erhält diese Gattung einen gesellschaftskritischen Aspekt, indem die Rechtlosigkeit des Bürgers in der Zeit des Absolutismus und die Gefährdung der bürgerlichen Tugend durch die Willkür eines absolutistischen Herrschers geschildert wird.

In dem Trauerspiel stehen sich zwei Stände gegenüber:

- Der Prinz, Marinelli und Orsina als die Adeligen und
- Emilia, Ordoardo und Claudia Galotti, die das Bürgertum darstellen.

Historischer Hintergrund

Das Zeitalter des Absolutismus

1) Der Westfälische Frieden und die Folgen des 30jährigen Krieges

Der 30jährige Krieg wurde mit dem Westfälischen Frieden 1648 beendet. Die Folgen des Krieges und die Bedingungen des zu Münster und Osnabrück abgeschlossenen Friedens waren von großer Bedeutung für die Reichsgeschichte. Das Reich war zerstückelt, schwächer und uneiniger den je und bildete einen losen Staatsbund, der nur mehr durch die Person des Kaisers und einige Verwaltungsbehörden zusammengehalten wurde. Deutschland löste sich in unzähligen selbständige Herrschaftsgebiete auf. Die Landesherrn dieser Gebiete nutzten diese Zersplitterung für ihre eigenen Interessen.

2) Der Absolutismus

Absolutismus als Epochenbegriff: 1648-1789

"Als Absolutismus bezeichnet man diejenige Regierungsform, in welcher der Inhaber der Staatsgewalt, im allgemeinen ein Monarch, eine von anderen Menschen oder Institutionen nicht kontrollierte Macht ausübt und durch kein Gesetz in seinem Handeln beschränkt ist (legibus solutus), jedoch die Gebote Gottes nicht übertreten soll." (Fischer- Lexikon: Staat und Politik)

Der Absolutismus hat sich aus der neuzeitlichen Souveränitätslehre von Jean Bodin (1530-1596) und aus der Staatslehre von Thomas Hobbes (1588-1679) entwickelt. Thomas Hobbes forderte einen Staat mit extremen Machtbefugnissen, denn nur so sei der Kampf gegen alle zu überwinden und dem einzelnen Recht und Sicherheit zu geben.

Charakteristisch für den absoluten Herrscher war, dass seine Macht auf dem Heer, einem Beamtentum und Staatsreligion beruhte. Die Verwaltung wurde zentralisiert und immer stärker mit Berufsbeamten besetzt. Er allein war für die Gesetzgebung und die Rechtsprechung maßgebend. Der Monarch, in dem sich der Staat verkörperte, lenkte das gesamte Leben der Untertanen. Er verlangte von diesen Gehorsam und Fleiß und bot dafür Sicherheit.

Der absolute Herrscher beanspruchte auch, aus göttlichem Recht zu regieren, das heißt, dass er nur Gott verantwortlich war. Die Verwirklichung des Absolutismus stand auch in Deutschland unter dem Eindruck Ludwig des Vierzehnten. Die Gewalt des Herrschers war absolut, frei von Verpflichtungen gegenüber ständischen Privilegien und althergebrachten Verfassungen. Er allein entschied über Wahl und Nutzen. Sein Handeln wurde jedoch durch die Staatsräson und durch sittliche und christliche Maßstäbe bestimmt und eingeengt, sodass der Absolutismus nicht mit dem Despotismus gleichgesetzt werden kann.

Quellenangabe

Gotthold Ephraim Lessing, Emilia Galotti, Reclam Verlag 1994

Erläuterungen und Dokumente zu Lessings Emilia Galotti, Reclam Verlag 1994

Wilfried Barner (Hrsg.) / G. Grimm / H. Kiesel / M. Kramer, "Lessing - Epoche, Werk, Wirkung", Verlag C. H. Beck, München, 1998

Brockhaus Multimedial 2000 Premium, Mannheim 1999

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Lessing, G. E. - Emilia Galotti - Literarische und theatralische Rezension
Note
10 Punkte
Autor
Jahr
2001
Seiten
6
Katalognummer
V100851
ISBN (eBook)
9783638992732
Dateigröße
351 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Teatralische literarische Rezension Emillia Galotti
Arbeit zitieren
Basti S (Autor:in), 2001, Lessing, G. E. - Emilia Galotti - Literarische und theatralische Rezension, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100851

Kommentare

  • Gast am 13.6.2001

    Hammer!.

    Klasse Beitrag. Gratuliere!

Blick ins Buch
Titel: Lessing, G. E. - Emilia Galotti - Literarische und theatralische Rezension



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