Das Konzept des Empowerments in der Sozialen Arbeit. Chancen und Möglichkeiten der Inklusion aus der Sicht von Menschen mit Handicap


Fachbuch, 2021

59 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Ziel der Arbeit
1.2 Begründete Ein- und Ausgrenzung

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Geistiges Handicap
2.2 Soziale Ungleichheit
2.3 Theorien der sozialen Ungleichheit
2.4 Empowerment-Ansatz
2.5 Vier Konzepte der Selbstbestimmung nach Anne Waldschmidt
2.6 Selbstbestimmungstheorie der Motivation nach Deci und Ryan
2.7 Ressourcen und die Wichtigkeit für den Empowerment-Prozess
2.8 Copingprozess

3 Behinderung als soziale Ungleichheit?
3.1 Das Recht von Menschen mit Handicap auf Inklusion
3.2 Selbstbestimmung bei Menschen mit Handicap aus rechtlicher Perspektive
3.3 Soziale Ungleichheit und Selbstbestimmung aus sozialarbeiterischer Perspektive
3.4 Empowerment als Leitlinie der Sozialen Arbeit
3.5 Ressourcenaktivierung und Ressourcendiagnostik
3.6 Methoden der Ressourcendiagnostik aus sozialarbeiterischer Perspektive
3.7 Strategien zur Aktivierung personaler Ressourcen
3.8 Hindernisse und Widerstände der Umsetzung von
Empowerment aus sozialarbeiterischer Perspektive

4 Forschungsmethode

5 Auswertung und Diskussion der Interviews subjektiv Betroffener
5.1 Hypothesen
5.2 Persönlich empfundene Stärken
5.3 Stärken laut dem persönlichen Umfeld
5.4 Lösung von Problemen
5.5 Netzwerke der Betroffenen
5.6 Wünsche und Träume
5.7 Diskussion der Ergebnisse
5.8 Ergebnisse im Zusammenhang mit den Hypothesen
5.9 Kritische Reflexion des Forschungsprozesses

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Impressum:

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1 Einleitung

Die gesellschaftliche Situation von Menschen mit Handicap befindet sich aktuell in unserer Gesellschaft in einem dynamischen Prozess. Bislang war das Thema der Integration äußerst prägnant für unsere Gesellschaft während es nun um Begriffe wie Inklusion, Empowerment und Partizipation von Menschen mit Handicap geht. Eine noch höhere Relevanz haben diese Begriffe zuletzt durch die UN-Konvention über Rechte behinderter Menschen bekommen (vgl. Schwalb u. Theunissen (2009): S. 7).

In theoretischer Hinsicht kommen wir dem Ziel der Inklusion, nämlich der Vorstellung, dass alle Menschen in der Gesellschafft vollkommen inkludiert werden, sehr nah. Dieses Denken ist aber visionär. Hier stellt sich die Frage, ob es so eine Gesellschaft überhaupt gibt oder ob diese existieren kann (ebd. S. 22).

In praktischer Hinsicht gibt es den Grund zur Annahme, dass Menschen mit Handicap durch viele Faktoren der Gesellschaft keinen oder nur bedingt Anschluss an das gesellschaftliche Leben haben.

Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass es Theorien wie Inklusion, Partizipation und Empowerment gibt, die einen Leitfaden für erfolgreiche Inklusion von Menschen mit Handicap darstellen. Doch meine Praxiserfahrungen haben teils andere Ergebnisse gezeigt.

Gerade die Frage nach den Chancen und Möglichkeiten von Menschen mit Handicap ist von besonderem Interesse für mich, da das Thema der Inklusion von Menschen, die sich in bestimmten Randgruppen der Gesellschaft befinden, ein aktuelles und viel diskutiertes Thema ist.

Im Verlauf dieser Arbeit werde ich mich mit den zentralen Begriffen der Behindertenarbeit auseinandersetzen. Essenziell hierbei sind die eigenen Ressourcen von Menschen mit Handicap. Also inwiefern Menschen mit Handicap in der Lage sind, ihre eigenen Ressourcen so einzusetzen, dass sie bestimmte Krisen aus ihrem Alltag, ohne externe Unterstützung bewältigen können. Entscheidend hierbei ist die Frage nach einer geeigneten Ressourcenaktivierung bei Menschen mit Handicap.

Das Konzept des Empowerments ist bei der Suche nach Lösungen für ungleiche Strukturen der Gesellschaft ein geeignetes Konzept um Stärken, Potentiale und Ressourcen autonom einzusetzen.

Inwiefern kann also dieses von mir näher beschriebene Konzept in der Praxis der Sozialen Arbeit fundiert werden, und was gibt es für Grenzen dieses Konzeptes?

Ein großer Teil dieser Arbeit wird sich mit der Thematik auseinandersetzen, inwieweit der Empowerment-Ansatz in der Behindertenarbeit zu einem anerkannten Konzept werden kann.

Aus der Sicht der professionellen Unterstützer/innen ergeben sich Fragen nach geeigneten Methoden dieses Konzeptes, welche in dieser Arbeit näher beschrieben werden.

Für mich ist es entscheidend am Ende dieser Arbeit geeignete Methoden für die Praxis der Sozialen Arbeit herauszuarbeiten, um dann für die Zukunft mit einem Repertoire an Wissen über bestimmte Haltungen und Anwendungen ausgestattet zu sein.

1.1 Ziel der Arbeit

Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in die ressourcenorientierte Arbeit professioneller Helfer/innen in Bezug auf das Empowerment-Prozess leisten. Die Ressourcen der Menschen mit Handicap stellen einen wesentlichen Teil einer gelingenden Inklusion dar. Ebenfalls verfolgt diese Arbeit das Ziel, aufzuzeigen, inwieweit Menschen mit Handicap strukturelle Benachteiligung durch die Gesellschaft erfahren. Strukturelle Benachteiligung wird in diesem Zusammenhang synonym mit sozialer Ungleichheit gesetzt.

Für den Verfasser erscheint die praktische Ausführung ressourcenorientierter Arbeit als essenziell in der Behindertenarbeit. Daher wird ein Einblick in die praktische Ausführung von ressourcenorientierter Arbeit im Zuge des Empowerment-Ansatzes aufgezeigt. In Bezug auf die praktische Durchführung sind bestimmte Methoden für professionelle Unterstützer/innen bedeutsam für den Umgang mit Menschen mit Handicap.

Diese Arbeit verfolgt also zusammengefasst das Ziel, Methoden aufzuzeigen, um struktureller Benachteiligung entgegenzuwirken. Der Fokus wird dabei auf das autonome Handeln von Menschen mit Handicap gelegt.

1.1.1 Problemstellung

Als Problemstellung dieser Arbeit kann die Differenz von Theorie und praktischen Anwendungen gelingender Inklusion bezeichnet werden. Diese Differenz entstammt einem fehlenden Wissen über bestimmte Handlungen in der Sozialen Arbeit. Oftmals verfügen professionelle Unterstützer/innen in der Behinderten­arbeit über ein großes Wissen, wie Inklusion funktionieren kann. Doch inwieweit können diese theoretischen Grundlagen auch in der Praxis umgesetzt werden?

Als Grundproblematik dieser Aneignung von inklusiven Methoden steht die gesellschaftliche Akzeptanz zu dem Thema Randgruppen einer Gesellschaft, zu denen auch Menschen mit Handicap gehören.

1.1.2 Fragestellung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche Chancen und Möglichkeiten Menschen mit Handicap haben, um strukturellen Benachteiligungen und sozialen Ungleichheiten zu entkommen. Die Fragstellung benötigt für ein positives Gelingen ein Repertoire an geeigneten Handlungsmöglichkeiten für professionelle Unterstützer/innen. Diese werden im Verlauf dieser Arbeit erörtert.

1.2 Begründete Ein- und Ausgrenzung

Um den Umfang dieser Arbeit nicht zu überschreiten musste entschieden werden, welche Themen behandelt werden sollten und welche Thematiken den Umfang dieser Arbeit überschritten hätten.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Kontext Strukturelle Benachteiligung und Soziale Ungleichheit von erwachsenen Menschen mit Handicap. Folgende Aspekte sind bewusst ausgelassen worden:

- Jugendliche und Kinder
- Historie der sozialen Ungleichheit in Zeiten der Klassentheorie nach Karl Marx
- Modell der Salutogenese
- Modell des Kohärenzgefühls

Die Definition von Behinderung in Kapitel 2.1 wurde bewusst nach der WHO beschrieben, um den Fokus nicht allein auf das Individuum und dessen Handicap zu legen, sondern die Umweltfaktoren eines Individuums zu berücksichtigen.

Vorwiegend befasst sich diese Arbeit mit Menschen, die ein oder mehrere Handicaps aufweisen also eine geistige Beeinträchtigung haben jedoch sind die beschriebenen Aspekte auch auf Menschen mit einer psychischen oder physischen Beeinträchtigung anwendbar.

2 Theoretische Grundlagen

Im folgenden Abschnitt werden die theoretischen Grundlagen für den weiteren Verlauf dieser Arbeit näher erläutert. Zunächst wird der Begriff geistiges Handicap definiert um anschließend die Theorien sozialer Ungleichheit und des Empowerments zu beschreiben.

2.1 Geistiges Handicap

Der Begriff geistige Behinderung wird international unterschiedlich interpretiert und verwendet. Deshalb ist es essenziel diesen Begriff für den weiteren Verlauf dieser Arbeit zu definieren (vgl. Theunissen (2008): S. 127).

Während dieser Arbeit wird der Begriff „geistiges Handicap“ mit dem Begriff „geistige Behinderung“ synonym behandelt.

Es gibt unterschiedliche Definitionen von dem Begriff „geistige Behinderung“. Für diese Arbeit ist die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) treffend, da sie den Blick nicht nur auf das Handicap eines Individuums legt, sondern die Umwelt eines Menschen mit Handicap berücksichtigt.

Die WHO definiert den Begriff als eine signifikant verringerte Fähigkeit, neue oder komplexe Informationen zu verstehen und neue Fähigkeiten zu erlernen und anzuwenden. Dadurch verringert sich die Fähigkeit, ein unabhängiges Leben zu führen. Behinderung ist laut WHO nicht allein von der individuellen Gesundheit oder den Beeinträchtigungen eines Individuums abhängig, sondern hängt auch davon ab, in welchem Maße die vorhandenen Rahmenbedingungen seine vollständige Beteiligung am gesellschaftlichen Leben begünstigen (vgl. WHO 2020a).

Die ICD- Klassifikation der WHO teilt geistige Behinderung in verschiedene Grade ein. In diesem Klassifikationssystem sind die Intelligenzstörungen F70-F79 unterteilt in:

- F70.- Leichte Intelligenzminderung
- F71.- Mittelgradige Intelligenzminderung
- F72.- Schwere Intelligenzminderung
- F73.- Schwerste Intelligenzminderung
- F74.- Dissoziierte Intelligenz
- F78.- Andere Intelligenzminderung
- F79.- Nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung

Die WHO setzt die Begriffe „Intelligenzminderung“ und „geistige Behinderung“ synonym (vgl. WHO 2020b).

Im folgenden Abschnitt wird das Konstrukt der sozialen Ungleichheit näher beschrieben.

2.2 Soziale Ungleichheit

Dieses Kapitel beschäftigt sich damit, was unter sozialer Ungleichheit zu verstehen ist und woran diese gemessen wird.

Soziale Ungleichheit ist ein Phänomen der Sozialstruktur einer Gesellschaft. Also muss zunächst einmal geklärt werden, was mit der Sozialstruktur einer Gesellschaft gemeint ist. Es geht um Menschen, die als Individuum einer sozialen Kategorie angehören wie beispielsweise durch das Geschlecht, die Herkunft, das Alter, der Bildungs- oder Berufsgruppe und um dessen interaktiven Beziehungen in den einzelnen sozialen Gruppen. Von einer Struktur wird in der Soziologie dann gesprochen, wenn es sich um eine regelhafte und relativ dauerhafte Beziehung handelt. Sozialstruktur bedeutet also das stabile System sozialer Beziehungen in einer Gesellschaft (vgl. Solga, Powell u. Berger (2009): S. 13).

Die Sozialstrukturanalyse ist also eine Form der Gesellschaftsanalyse, bei der es um die Frage nach sozialer Ungleichheit geht. Grundlage für eine Regelmäßigkeit und Dauerhaftigkeit sozialer Beziehungen ist die unterschiedliche Verteilung von wichtigen Ressourcen. Ressourcen können hierbei Kapital, Macht, Bildung oder Einkommen sein. Die Verteilung unterschiedlicher Ressourcen bestimmt dann auf der einen Seite, welche Unterschiede es im Ressourcenbesitz sozialer Gruppen gibt, auf der anderen Seite lassen sich daraus aber auch Vor- und Nachteile ableiten. Dann wird von sozialer Ungleichheit gesprochen (ebd. S. 14).

Im Zuge der sozialen Ungleichheit wird von Menschen gesprochen, die einer sozialen Gruppe zugehörig sind. In diesen sozialen Gruppen nehmen Individuen unterschiedliche soziale Positionen ein, in denen unterschiedliche Erwartungshaltungen, Aufgabenbereiche und Ressourcen zugeteilt sind. Beispiele hierfür sind der Arbeitsmarkt, das Bildungssystem, die Familie, die Religion oder der Staat. Diese definierten Aufgaben und Ressourcen sind jedoch auf die soziale Position einer sozialen Gruppe und nicht auf das Individuum zugeschnitten. Soziale Positionen sind beispielsweise Beschäftigte und Unternehmer, Kinder und Eltern, Lehrer/innen und Schüler/innen oder Männer und Frauen. Da für die einzelnen Positionen einer sozialen Gruppe Handlungserwartungen und -bedingungen sowie Gelegenheitsstrukturen definiert sind, werden diese auch an das jeweils zugehörige Individuum gestellt. Beispielsweise gibt es Erwartungen an den Unternehmer, der dafür sorgen muss, dass das Unternehmen nachhaltig und effizient wirtschaftet. Nun sind diese Erwartungen aber lediglich an die Position des Unternehmers gestellt und nicht an das dazugehörige Individuum. Individuen können die zur Verfügung gestellten Handlungsspielräume dieser Position unterschiedlich nutzen (ebd. S. 14)

Um soziale Ungleichheit näher beschreiben zu können, wird zunächst horizontale und vertikale Ungleichheit definiert. In der Theorie wird davon ausgegangen, dass es auf einer horizontalen sowie einer vertikalen Ebene zu sozialer Ungleichheit kommen kann. Die horizontale Sicht beschreibt Eigenschaften wie das Alter, ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung während die vertikale Ebene Einkommen, Vermögen Bildung und Beruf aufzeigt. (vgl. Felder (2012): S. 230).

Die Theorie der horizontalen und vertikalen Ungleichheit geht davon aus, dass Menschen mit Handicap sozialer Ungleichheit ausgesetzt sind, die über die horizontale Ungleichheit hinausgeht. Unterschiede der horizontalen Ungleichheit (Alter, ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung) können sich anhäufen und dann so groß werden, dass das Wohlergehen der Betroffenen stark eingeschränkt ist. Dies ist dann der Fall, wenn sich mehrere potenziell benachteiligte Eigenschaften und Faktoren vereinen. Beispielsweise sind Menschen, die ein Handicap haben und zusätzlich noch Faktoren horizontaler Ungleichheit zeigen wie beispielsweise Homosexualität oder einen Migrantenstatus, besonders stark benachteiligt (ebd. S. 231).

Viele Menschen mit Handicap sind Prozessen der sozialen Ungleichheit ausgesetzt. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird die Thematik sozialer Ungleichheit im Hinblick auf Menschen mit Handicap näher beschrieben.

2.3 Theorien der sozialen Ungleichheit

Der folgende Abschnitt beschäftigt sich näher mit den Theorien der sozialen Ungleichheit nach Solga. Zunächst wird festgehalten, dass Theorien sozialer Ungleichheit sich erstens durch die Determinanten und Dimensionen und zweitens durch den Mechanismus, der durch soziale Ungleichheit ausgelöst wird, definieren. Beides muss gegeben sein, um soziale Ungleichheit zu erklären. Ist nur ersteres gegeben, spricht Solga lediglich von der Beschreibung bestimmter Phänomene sozialer Ungleichheit. Um soziale Ungleichheit messbar zu machen, benötigt es die Herstellung geeigneter sozialer Indikatoren. Diese Indikatoren können soziale Ungleichheit messen und abbilden (vgl. Solga, Powell u. Berger (2009): S. 20).

Die Strukturebenen sozialer Ungleichheit lassen sich wie folgt erklären. Es gibt vier Strukturebenen sozialer Ungleichheit. (1) Determinanten, (2) Dimensionen, (3) Ursachen und (4) Auswirkungen (siehe Abbildung 1.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Soziale Ungleichheit- Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse, (2009): S.17

(1) Determinanten sozialer Ungleichheit sind beispielsweise Merkmale von bestimmten Personen wie das Geschlecht, das Bildungsniveau oder die soziale Herkunft, die die Zugehörigkeit sozialer Gruppen definieren. Diese Merkmale werden auch Sozialkategorien genannt und in zugeschriebene und erworbene Merkmale unterteilt. Während die zugeschriebenen Merkmale wie Alter, Geschlecht, regionale Herkunft, Behinderung eines Individuums nicht oder kaum beeinflusst werden können, sind erworbene Merkmale von Individuen durch eigenes Engagement zu erlangen wie beispielsweise durch Bildung, Beruf, Familienstand (ebd. S. 16).

Jedoch nicht alle biologischen Unterschiede zwischen einzelnen Individuen sind per se ungleichheitsrelevant. Dazu benötigt es einen sozialen Prozess, der bestimmte biologische Merkmale in sogenannte soziale Positionen oder auch Kategorien einteilt. Ein Beispiel hierfür ist das Geschlecht. Für jeden scheint es klar zu sein, dass zwei Geschlechtertypen auf der Welt vertreten sind. Das ist zum einen der Mann und zum anderen die Frau. Doch was ist mit den Menschen, die ihr Geschlecht verändert haben? Darüber hinaus handelt es sich bei diesen zugeschriebenen Merkmalen um soziale Konstruktionen, die eher vom gesellschaftlichen Kontext statt von der „Natur der Sache“ abhängig gemacht werden. Als Beispiel wird hier ein Mensch mit einer Sehbehinderung herangezogen. In der Zeit als es noch keine Brillen gab, war ein Mensch, der ohne Brille nichts sehen konnte, blind. In der heutigen Zeit ist dieser Mensch nicht mehr blind. Der Unterschied zwischen sozial konstruierten Positionen als „Blinder“ und „Sehender“ sind fundamental unterschiedlich (ebd. S. 17/18)

Zusammengefasst wird unabhängig von erworbenen oder zugeschriebenen Merkmalen dann von Determinanten sozialer Ungleichheit gesprochen, wenn es sich um Sozialkategorien handelt, die eine Zuweisung zu bestimmten sozialen Positionen einer Gesellschaft bewirken (ebd. S. 18).

(2) Dimensionen sozialer Ungleichheit sind Werte wie Einkommen, materieller Wohlstand, Macht, Prestige, Wohnbedingungen, Arbeits- und Beschäftigungs­verhältnisse, Gesundheitsbedingungen und andere zentrale Lebensbedingungen (ebd. S. 18).

Eine Dimension der sozialen Ungleichheit kann auch zu einer Ungleichheit bei einer anderen Determinante führen. So könnte beispielsweise die soziale Herkunft (Determinante) zur Bildungsungleichheit (Dimension) führen. Dies gilt allerdings nur bei erworbenen Merkmalen. Zugeschriebene Merkmale selbst können jedoch nicht Grund für eine Dimension sozialer Ungleichheit sein. Es kann also aus dem Geschlecht (Determinante) eine Ungleichheit resultieren, jedoch ist das Geschlecht selbst keine Ungleichheit. Denn erst durch die unter Punkt (3) aufgeführten sozialen Prozesse kann beispielweise das Geschlecht zu einer Form von Ungleichheit werden (ebd. S. 18f.).

(3) Ursachen sozialer Ungleichheit sind bestimmte soziale Prozesse oder auch soziale Mechanismen, die ihre Relevanz durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Sozialkategorien erfahren. Diese Zugehörigkeit führt dann zwangsläufig zu Vor- bzw. Nachteilen in anderen Lebensbereichen (Dimensionen). Durch diesen Prozess entsteht und reproduziert sich also erst eine soziale Ungleichheit (ebd. S. 19).

Ausbeutungsverhältnisse, soziale Vorurteile oder Diskriminierung können Beispiele für Ursachen sozialer Ungleichheit sein. Merkmale von bestimmten Individuen wie beispielsweise Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit oder Beruf werden erst dann Determinanten sozialer Ungleichheit, wenn sie durch systematische Vor- und Nachteile versehen werden. Es ist also erst einmal kein Nachteil eine Behinderung zu haben, doch wird die Verteilung von Menschen mit Handicap auf dem ersten Arbeitsmarkt betrachtet so stellt Solga fest, dass dort eine statistische Diskriminierung vorliegt. Genauso ist es erst einmal kein Nachteil eine Frau zu sein, doch wird der Anteil an Frauen in Führungspositionen näher betrachtet, so stellt Solga fest, dass statistisch gesehen eher Männer eine Führungsposition einnehmen. Es wird also von statistischer Diskriminierung gesprochen, wenn Entscheidungen über das einzelne Individuum auf Grundlage von Verhaltensannahmen bezüglich sozialer Gruppen getroffen werden (ebd. S. 19f.).

(4) Auswirkungen sozialer Ungleichheit sind letztlich die Konsequenz aus den sozial strukturierten Vor- und Nachteilen. Hier handelt es sich möglicherweise um weitere Ungleichheiten in bestimmten Lebensbedingungen wie beispielsweise soziale Netzwerke aber auch alltägliche Verhaltensweisen oder Lebensstile, die sich aus der jeweiligen Sicht der Dimensionen sozialer Ungleichheit ergeben. Beispielsweise kann Einkommensungleichheit eine Auswirkung von ungleichem Zugang zu Führungspositionen sein (ebd. S. 19).

2.4 Empowerment-Ansatz

Diese Arbeit verfolgt das Ziel, Menschen mit Handicap Chancen und Möglichkeiten aufzuzeigen, struktureller Benachteiligung einer Gesellschaft entgegenzuwirken. Ein Aspekt des positiven Entgegenwirkens struktureller Benachteiligung ist das Konzept des Empowerments. Dieses wird im folgenden Kapitel beschrieben.

Empowerment bedeutet wörtlich übersetzt die Selbstbefähigung, die Selbst­bemächtigung und die Stärkung von Eigenmacht und Autonomie. Der Begriff meint den Entwicklungsprozess, in dessen Verlauf Menschen die Kraft entwickeln sollen, ein „besseres Leben“ zu führen. Klar wird aus dieser Definition, dass die Art und Weise, wie das Leben „optimal“ zu leben scheint, individuell zu betrachten ist. So ist der Empowerment-Begriff erst einmal eine offene und normative Form. Im Text von Norbert Herringer wird sinnbildlich von einem Begriffsregal gesprochen, welches mit unterschiedlichen Grundüberzeugungen, Wertehaltungen und moralischen Positionen aufgefüllt werden kann (vgl. Herringer (2014): S. 13).

Die Praxis von dem Empowerment-Konzept verfolgt also das Ziel, vorhandene oder verlorengegangene Fähigkeiten der einzelnen Individuen so zu bekräftigen und Ressourcen zu fördern, dass diese ihnen helfen, eigene Lebenswege und Lebensräume autonom gestalten zu können (vgl. Lenz (2011): S. 13).

Essenzielle Begrifflichkeiten des Ansatzes sind die Nutzung der eigenen Ressourcen und das autonome Handeln, welche noch näher beleuchtet werden.

Zunächst ist es wichtig für den weiteren Verlauf dieser Arbeit zu erläutern, wie der Empowerment-Ansatz theoretisch fundiert ist.

Das Konzept des Empowerments lässt sich laut Norbert Herringer aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Vorweg muss gesagt werden, dass alle vier Perspektiven als Gemeinsamkeit die Strebung nach „einem besseren Leben“ haben.

Es hat zum (1) eine politische Aussagekraft. Also der konflikthafte Prozess der Umverteilung politischer Macht aus der Sicht der Menschen, die zuvor eine Position relativer Machtunterlegenheit zur Aneignung politischer Entscheidungsmacht besetzt haben (vgl. Herringer (2014): S. 14)

Aus dieser Perspektive wird das Ziel des Empowerments darauf gerichtet, durch politische Initiativen auf sich aufmerksam zu machen. Dies kann beispielsweise durch Kampagnen von Menschen mit Handicap geschehen.

Zweitens (2) hat dieses Konzept eine lebensweltliche Aussagekraft. Gemeint ist hier das Vermögen der Menschen, die Überschaubarkeit, Komplikationen und Belastungen des Alltags aus eigener Kraft zu bewältigen, eine eigenbestimmte Lebensregie zu führen und nach eigenem Empfinden gelingendes Lebensmanagement zu realisieren. Somit soll diese Sicht auf das Empowerment-Konzept nicht nur allein auf makropolitischer Ebene passieren, sondern auch, und das ist aus dieser Sicht entscheidender, aus mikropolitischer Sicht des Alltags betrachtet werden (ebd. S. 15).

Als dritter (3) Aspekt wird laut Herringer der Blick auf den reflexiven Aspekt gelegt. Also die Aneignung von Macht, Kraft und Gestaltungsvermögen der von Machtlosigkeit und Ohnmacht Betroffenen selbst. Beschrieben wird also der Prozess der Selbstaneignung von Lebenskräften, die bezwecken sollen, dass Menschen das Gehäuse der Abhängigkeit und Bevormundung verlassen. Vielmehr werden diese Individuen nun zu aktiv handelnden Akteuren, die für sich und andere Selbstbestimmung, Autonomie und Lebensregie erstreiten. Dies geschieht sowohl auf der Alltags-Ebene als auch auf politischer Ebene (ebd. S. 16).

Die vierte (4) Sichtweise ist die transitive. Damit ist die Unterstützung und Förderung von Selbstbestimmung durch andere gemeint. In den Fokus rücken hier die professionellen Helfer/innen, zu denen auch die Sozialarbeiter/innen gehören, die Hilfestellungen bei der Eroberung von Selbstbestimmung leisten. Sie unterstützen bei der Suche nach eigenen Stärken und ermutigen Menschen zur Erprobung von Selbstgestaltungskräften. Das Bereitstellen von Ressourcen ist hierbei ein wesentlicher Aspekt. Die transitive Sicht legt damit den Fokus auf das professionelle Umfeld Betroffener (ebd. S. 17).

Bei diesen unterschiedlichen Sichtweisen des Empowerments lässt sich feststellen, dass je nach Betrachtungsweise unterschiedlich definiert wird, was unter Empowerment zu verstehen ist. Alle Sichtweisen haben allerdings gemeinsam, dass es grundsätzlich um die Verbesserung des eigenen Lebensgefühls geht.

Diese erste Einordnung in die vier beschriebenen Zugänge zum Empowerment schafft noch keine vollständige Übersichtlichkeit der Theorie. Diese sprichwörtlichen „Schubfächer“ dieser begrifflichen Sortierung vom Empower­ment ergibt an vielen Stellen bestimmte Schnittmengen und die Übergänge lassen sich nicht klar definieren (ebd. S. 18)

Um die Unübersichtlichkeit der einzelnen Zugänge besser sortieren zu können, ist ein zweiter Schritt zwingend erforderlich. Die Einteilung in unterschiedliche Dimensionen.

Empowerment hat zwei Dimensionen. Zum einen die politische Dimension und zum anderen die Bedeutung als professionelles Konzept zur Unterstützung von Selbstbestimmung (ebd. S. 18).

In der politischen Dimension steht die Bürgerrechtsbewegung civil-rights-movement aus den USA an erster Stelle. Gemeint ist hierbei die radikale Politik der Selbstbemächtigung und die Forderung nach Gleichheitsrechten der farbigen Bevölkerung und die Friedensbewegung in den 1960er Jahren. Ebenfalls wichtig für diese Einordnung des Begriffs war die Frauenbewegung mit der Dekonstruktion von Machtungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Aus diesen Bewegungen entstand durch einen Prozess der Selbstbemächtigung von Menschen, die von Ressourcen und Macht abgeschnitten waren, sich aber in kollektiver politischer Selbstorganisation in die Spiele der Macht eingemischt haben, ein Verständnis für Empowerment. Empowerment meint hier also ein kollektives Projekt, welches für die (Wieder-)Herstellung von politischer Selbstbestimmung, der Umverteilung von Entscheidungsmacht und die Korrektur von sozialer Ungleichheit definiert wird (ebd. S. 19).

Die Sicht auf die Bedeutung von einem professionellen Konzept zur Unterstützung von Selbstbestimmung beschreibt ein Handlungskonzept für eine Profession wie die Soziale Arbeit, welche die beschriebenen Prozesse der (Wieder-) Aneignung von Selbstgestaltungskräften anregen, unterstützen und fördern soll. Ressourcen sollen für die Empowerment-Prozesse bereitgestellt werden. Laut Herringer zielt dieser Teil des Empowerments also darauf ab, Menschen zu befähigen, ihre eigene, oftmals abhanden gekommene, Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen (ebd. S. 19).

Was dies mit der Sozialen Arbeit zutun hat, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit erläutert.

Zusammengefasst gesagt, kann der Begriff Empowerment aus vielen Perspektiven betrachtet werden. Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit ist wichtig zu wissen, dass Empowerment in unterschiedlichen Kontexten vertreten ist. Im Hinblick auf das Thema ist sowohl die politische Dimension, als auch die Bedeutung professioneller Unterstützung für den weiteren Verlauf entscheidend.

Empowerment dient als professionelles Konzept der Unterstützung von Selbstbestimmung (ebd. S. 19). Daher wird im folgenden Abschnitt der Begriff der Selbstbestimmung in vier Konzepte nach Waldschmidt gegliedert. Anschließend wird die Selbstbestimmungstheorie der Motivation nach Deci und Ryan beschrieben.

2.5 Vier Konzepte der Selbstbestimmung nach Anne Waldschmidt

Um im weiteren Schritt auf die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan einzugehen, wird vorher der Begriff Selbstbestimmung in vier Konzepte gegliedert.

Anne Waldschmidt hat im Zuge des heutigen Selbstbestimmungsbegriffs vier zentrale Konzepte vorgestellt, die nicht klar voneinander zu trennen und deren Grenzen fließend sind. Je nach Aussage treffen einzelne Begriffe eher oder weniger zu. Hier werden die vier Begrifflichkeiten „Selbstbeherrschung“, „Selbst­instrumentalisierung“, „Selbstthematisierung“ und „Selbstgestaltung“ unterschieden (vgl. Waldschmidt (2012): S. 51-52). Selbstbeherrschung - Was soll ich tun?

Bei der Selbstbeherrschung beschreibt Waldschmidt den menschlichen Willen als Grundlage dieses Begriffes. Dieser menschliche Wille wird nicht von Trieben, Begierden und Interessen geleitet, sondern allein durch die Vernunft. Ein Individuum bildet sich eigene Gesetze, um diese dann auf sich selbst zu beziehen. Selbstbestimmung bedeutet hierbei die Autokratie auf selbst entworfene Zwecke. In diesem Fall meint der Begriff Bestimmung das Regieren über sich selbst.

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Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Das Konzept des Empowerments in der Sozialen Arbeit. Chancen und Möglichkeiten der Inklusion aus der Sicht von Menschen mit Handicap
Autor
Jahr
2021
Seiten
59
Katalognummer
V1008662
ISBN (eBook)
9783960959915
ISBN (Buch)
9783960959922
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale Arbeit, Chancengleichheit, Inklusion, Behinderung, Ressourcen, Soziale Ungleichheit, Selbstbestimmung, Empowerment, Handicap, Copingprozess, Selbstbestimmungstheorie
Arbeit zitieren
Jonas Wienholt (Autor:in), 2021, Das Konzept des Empowerments in der Sozialen Arbeit. Chancen und Möglichkeiten der Inklusion aus der Sicht von Menschen mit Handicap, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1008662

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