Nutzen passiver Kräfte im Lernprozess


Ausarbeitung, 2001

4 Seiten


Leseprobe


Nutzen passiver Kräfte im Lernprozess

Eine experimentelle Bestätigung von Bernsteins Koordinationshypothese

Nicholas Bernstein:

Professor N. Bernstein war einer der berühmtesten russischen Physiologen und Begründer der „phsysiology of activity“. Er begann seine Arbeit in den 20ger Jahren und veröffentlichte dann 1947 „The Construction of Movement“ in Russisch. Diese Arbeit wurde 1969 ins Englische übersetzt und ist Grundlage für die Koordinationshypothese.

Klaus Schneider:

Die Überprüfung der Koordinationshypothese erfolgt durch ein Experiment, durchgeführt von Klaus Schneider am Department of Kinesiology der University of California in Los Angelas, USA.

Klaus Schneider hat eine Stelle am Lehrstuhl für Sportpsychologie an der Technischen Universität München. Dort promovierte er zum Dr. rer. nat. (1982) und erlangte durch Habilitation zum Dr. phil. habil. (1988) die Lehrbefähigung. Seit 1985 ist er als Associate Researcher am am Department of Kinesiology tätig.

Vorüberlegungen:

- Menschliche Bewegungen sind das Produkt aktiver und passiver Kräfte.
- Aktive Kräfte entstehen durch Muskelaktionen, passive Kräfte resultieren aus der Anatomie, weil der menschliche Körper ein System aus durch Gelenken verbundenen, beweglichen Gliedern ist.
- Die Folge ist das Auftreten von Kräften ohne Einwirkung von Muskelkräften an einem Glied der Kette, hervorgerufen durch die Bewegung eines oder mehrerer anderer Glieder.
- Forscher haben im Bereich der Biomechanik und der Kinesiologie die Bewegungsgleichungen für starre Körper neu formuliert, um zu quantifizieren, wie die Bewegungen von Gliedmaßen durch die an den Gelenken aktiv und passiv erzeugten Momente beinflusst werden.
- Aktiv erzeugte Momente = Muskelaktionen
- Passiv erzeugte Momente = Schwerkraft, Kräfte in Sehnen, Bändern und im Gewebe sowie Trägheits-, Coriolis - und Zentripetalkräfte
- Diese neuen Gleichungen erfassen die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Segmenten eines mehrgliedrigen Körperteils.
-Intersegmentelle Dynamik ist eine neue Methode um motorische Koordination zu erklären und hat erhebliche Bedeutung für die Erzeugung einer Bewegung eines bewegten Systems

Wie koordiniert das menschliche zentralnervöse System die aktiven und passiven Kräfte, und wie verändert sich die Koordination im Lernprozess?

Bernsteins Koordinationshypothese: Wie führt Übung zu einer Verbesserung der motorischen Fertigkeit?

- Die motorische Koordination entwickelt sich durch Übung, so daß mit andauerndem Üben einer Bewegung deren intersegmentelle Dynamik effektiver koordiniert wird. „Die Bewegung wird effizienter ausgeführt, indem passiv erzeugte reaktive Phänomene eingesetzt werden, um aktive Muskelkräfte zu ergänzen oder mit diesen in Wechselwirkung zu treten.“ (Schneider 1990, 5)
- Die Beziehungen zwischen einer Bewegung und den innervierenden Impulsen sind außerordentlich komplex.
- Je größer die Freiheitsgrade der Bewegungsperipherie im Verhältnis zum Erreger sind, desto größer ist die funktionelle Kluft.
- Bernstein bezeichnet die motorische Koordination als Größe der organisatorischen Kontrolle resultierend aus diesem Verhältnis.
- Motorischen Koordination entwickelt sich, indem man ein Bewegungsproblem immer wieder durch neue Techniken löst und diese dadurch ständig zu einer Neustrukturierung des motorischen Programms führen können.
- Während des Übens wird erlernt die aktiv und reaktiv erzeugten Komponenten einer Bewegung effektiver zu koordinieren (Bewegungsökonomie).

Ziel der Untersuchung:

„...in einer experimentellen Untersuchung die intersegmentelle Dynamik während des Erlernens einer Bewegung zu analysieren und dadurch Bernsteins Hypothese zur Koordination aktiver und passiver Komponenten der Bewegungsdynamik beim Erlernen von Bewegungen zu überprüfen.“

(Schneider 1990, 13)

Versuchsdurchführung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1(Schneider1990, 16)

- Sieben männliche Versuchspersonen im Alter von 26,5 Jahren führten vertikale Bewegungen mit ihrem linken, nicht dominanten Arm zwischen zwei Zielobjekten aus. Die Scheibe zum unterbrechen der Lichtschranken mußte so schnell wie möglich in einer kontinuierlichen Bewegung von unten um die T- förmige Barriere nach oben und zurück geführt werden. Unter Einhaltung dieser Randbedingungen konnten die Versuchspersonen die Bewegung nach belieben durchführen.
-Durch die Sitzposition und durch Schulter- und Beckengurte wurde die Oberkörperbewegung minimal gehalten, die Bewegungsfreiheit des Armes blieb jedoch uneingeschränkt. Die Plexiglasscheibe wurde individuell so justiert, daß sich obere Lichtschranke und Schulterniveau in einer Ebene befanden.
- Es wurden keine Informationen zur Lösung der Bewegungsaufgabe gegeben und alle Probanden waren hinsichtlich der Aufgabe ungeübt.
- Das Experiment bestand aus 100 Versuchen.
- Es wurden mehrere Daten erfasst. Zum einen wurde das Zeitintervall vom verlassen der unteren Lichtschranke bis zum Wiedereintreffen gemessen. Zum anderen wurden die Bewegungen durch Hochgeschwindigkeitsaufnahmen festgehalten. Dazu wurden die Gelenken mit schwarze Scheiben markiert.

Ergebnisse:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2(Schneider1990, 30)

- Während des Lernprozesses nahm die Dauer der Gesamtbewegung näherungsweise exponentiell ab.
- Neben Verschiebungen bei Gelenkstreckung zu -beugung und umgekehrt wurde die Bewegung des Handgelenks mehr an das Ellbogengelenk gekoppelt.
- Die Winkelgeschwindigkeiten stiegen im Übungsverlauf für alle Gelenke.
- Mit zunehmender Übung glich der Handweg mehr einer Parabel, wobei die Länge von Beginn an nah am geometrischen Minimum lag. Die Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektoren nahmen jedoch stark zu.
- Die Momente in allen Gelenken nahmen signifikant zu.
- Die Organisation der Muskelaktivität (Elektromyogramm) wurde deutlich verändert. Die Muskeln wurden so eingesetzt, daß sie mit der passiven Dynamik des bewegten System in Wechselwirkung traten und somit eine schnellere Bewegung erzeugten. Die Versuchspersonen nutzten z.B. eine Vorspannung der Schulterund Ellbogenflexoren und setzten dadurch die passiven Eigenschaften des Muskels besser ein.

„Zusammenfassend sagen diese Ergebnisse aus: Nachdem die Form des Handwegs mit nur geringfügigen Variationen im Übungsverlauf beibehalten wurde, können die deutlichen Veränderungen in der Kinematik der Handbewegung nur die Konsequenz signifikanter Veränderungen in der Bewegungsdynamik sein. Wie aus den Moment-, Zeit- und EMG-Verläufen deutlich wurde, hatte sich im Übungsverlauf die Koordination der intersegmentellen Dynamik entscheidend verändert, und zwar in besonderem Maße während des Umrundens der Barriere und während der Annäherung, des Eintritts und Verlassens der Zielobjekte. Als Folge traten signifikante Veränderungen in den Handgeschwindigkeiten und -beschleunigungen auf und die Bewegung wurde schneller ausgeführt. Kurz ausgedrückt, es wurde ein relativ stabiler Handweg aufrechterhalten, jedoch die intersegmentelle Dynamik verändert, diesen Weg auszuführen. Die aktiven und passiven Momente waren effektiver koordiniert worden.“(Schneider 1990, 63)

Diskussion der Ergebnisse im Hinblick auf die „Intersegmentelle Dynamik“ und „Bernsteins Koordinationshypothese“:

- Während der Anfangsversuche herrschten nahezu statische Bedingungen in der Bewegungsumkehr, die Momente waren nahezu null. Die Muskelmomente wurden fast ausschließlich dazu genutzt der Schwerkraft entgegenzuwirken.
- Im Verlauf der Übung kam es zur Neuorganisation des motorischen Programms, indem die Muskelaktivität gezielter eingesetzt wurde und die Funktion der Muskelmomente von einer agonistischen zu einer wechselwirkenden überging. (vgl. Schneider 1990, 63).
- Im Schultergelenks, an dem durch Vorspannung der Schulterflexoren durch passive intersegmentelle Momente die kraftproduzierende Kapazität der Muskeln, für die anschließende Kontraktion erhöht wurde, war dieser Effekt am stärksten.
- Obwohl die Versuchspersonen schon mit der ersten Ausführung versucht haben den Arm so schnell wie möglich zu bewegen, waren das Üben und damit verbunden das Bewegungsproblem immer wieder durch Techniken, die verändert und perfektioniert wurden, zu lösen, unabläßlich.

Bedeutung der „Intersegmentellen Dynamik“:

„..., daß die Analyse der intersegmentellen Dynamik eine außerordentlich wichtige neue Methode der Biomechanik darstellt, um die der motorischen Steuerung zugrundeliegenden dynamischen Prozesse zu analysieren.“(Schneider 1990, 65)

Literatur:

Bernstein, Nikolaj A.: The coordination and regulation of movements. Oxford. 1967

Jonath, Ulrich: Lexikon Trainingslehre. Reinbek. 1986

Schneider, Klaus: Koordination und Lernen von Bewegungen. Frankfurt a.M.. 1990

Ende der Leseprobe aus 4 Seiten

Details

Titel
Nutzen passiver Kräfte im Lernprozess
Autor
Jahr
2001
Seiten
4
Katalognummer
V100883
ISBN (eBook)
9783638993050
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine experimentelle Bestätigung von Bernsteins Koordinationshypothese
Schlagworte
Nutzen, Kräfte, Lernprozess
Arbeit zitieren
Jens Farwick (Autor:in), 2001, Nutzen passiver Kräfte im Lernprozess, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100883

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