Politische Tendenzen in der Auslandsberichterstattung der dpa. Berichterstattung über die Proteste in Ecuador und Bolivien im Herbst 2019


Bachelorarbeit, 2020

148 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse und Forschungsfrage
1.2 Ziele der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit

2 Theorie und Hintergrund
2.1 News-Bias-Forschung
2.1.1 Abgrenzung des Forschungsfelds
2.1.2 Definition
2.1.3 Typologie: Gatekeeping Bias, Coverage Bias und Statement Bias
2.1.4 Forschungslogik im News-Bias-Ansatz
2.1.5 Ursachen von News-Bias
2.2 Auslandsberichterstattung
2.2.1 Forschungsfeld und Definition
2.2.2 Nachrichtengeografie
2.2.3 Struktur von Auslandsbildern
2.2.4 Nachrichtenagenturen in der Auslandsberichterstattung
2.3 Bias in der Auslandsberichterstattung
2.3.1 Verbindung zweier Forschungsfelder
2.3.2 Modell der Einflussfaktoren auf die Berichterstattung
2.4 Forschungsgegenstand: Deutsche Presse-Agentur (dpa)
2.4.1 Agenturforschung
2.4.2 Vorstellung der dpa
2.5 Hintergrund: Politik und Proteste in Ecuador und Bolivien
2.5.1 Situation in Ecuador
2.5.2 Situation in Bolivien
2.5.3 Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Ecuador und Bolivien
2.6 Forschungsstand

3 Forschungsfrage und Hypothesen

4 Forschungsdesign
4.1 Methode: Integrative Inhaltsanalyse
4.2 Vergleichendes Untersuchungsdesign: dpa und UNO
4.3 Auswahleinheit
4.4 Analyseeinheit
4.5 Operationale Definitionen
4.6 Vorgehen
4.6.1 Pretest
4.6.2 Datenerhebung
4.6.3 Reliabilitätstest
4.6.4 Statistische Auswertung mit SPSS
4.7 Methodenkritik und Limitierungen

5 Ergebnisse
5.1 Coverage Bias
5.2 Statement Bias
5.3 Beantwortung der Forschungsfrage

6 Limitierungen und Diskussion der Ergebnisse

7 Interpretation der Ergebnisse

8 Zusammenfassung der Arbeit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Zusammenfassung

In dieser Arbeit wird untersucht, ob in der Berichterstattung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) über die Proteste in Ecuador und Bolivien im Herbst 2019 politische Tendenzen erkennbar sind. Die theoretische Grundlage für die Analyse der Tendenzen bildet der News-Bias-Ansatz. Mit der Methode der integrativen Inhaltsanalyse wurde die gesamte Berichterstattung der dpa über die Proteste mit Veröffentlichungsdatum zwischen dem 1. Oktober und 1. Dezember 2019 untersucht. Außerdem wurde die Berichterstattung der Ver-einten Nationen (UNO) analysiert, die als möglichst neutrale Vergleichsgröße verwendet wurde. In der Auswertung der Inhaltsanalyse wurden deutliche Abweichungen der dpa-Berichterstattung von der UNO-Berichterstattung festgestellt. Unter der Annahme, dass die UNO-Berichterstattung einen neutralen Maßstab darstellt, deuten die Ergebnisse auf einen News-Bias in der dpa-Berichterstattung hin.

Die Ergebnisse der News-Bias-Analyse werden mithilfe von theoretischen Erkenntnissen aus der Forschung zur Auslandsberichterstattung, der Agenturforschung und der allgemeinen Journalismusforschung eingeordnet und interpretiert. Dabei wird strikt zwischen nationaler und internationaler Berichterstattung unterschieden. Die nationale Berichterstattung der dpa ist laut der Literatur aus der Agenturforschung aufgrund des Geschäftsmodells der Nachrichtenagentur ausgewogen und unabhängig. Dagegen wirken im Bereich der internationalen Berichterstattung verschiedene Einflussfaktoren verzerrend auf die dpa-Berichterstattung.

Die Erkenntnisse der Arbeit sollen Diskussionen und Reflexionen in der Wissenschaft, der Fachöffentlichkeit und der breiten Öffentlichkeit anstoßen. Durch den Nachweis von politischen Tendenzen wird die Neutralität der dpa infrage gestellt, die dieser in der Literatur und von der dpa selbst zugeschrieben wird. Dabei wird die Ansicht vertreten, dass möglicherweise nicht der News-Bias an sich, sondern das mangelnde Bewusstsein darüber, das Problem ist.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Modell von Einflüssen, Berichterstattung und Medienwirkung.

Abbildung 2: Einflussfaktoren im News-Bias-Ansatz

Abbildung 3: Einflussfaktoren auf Mikro-, Meso- und Makroebene

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Standpunkte der Akteur*innen in Ecuador nach Medium

Tabelle 2: Standpunkte der Akteur*innen in Bolivien nach Medium

Tabelle 3: Bewertung von Lenín Moreno und seiner Anhängerschaft nach Medium (in Prozent)

Tabelle 4: Bewertung der Opposition in Ecuador und deren Anhängerschaft nach Medium (in Prozent)

Tabelle 5: Bewertung von Evo Morales und seiner Anhängerschaft nach Medium (in Prozent)

Tabelle 6: Bewertung der Opposition in Bolivien und deren Anhängerschaft nach Medium (in Prozent)

Abkürzungsverzeichnis

ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst

AFP Agence France-Presse

AP Associated Press

AV abhängige Variable

BBC British Broadcasting Corporation

CCTV China Central Television

CNN Cable News Network

dapd Nachrichtenagentur ddp nach der Übernahme von AP Deutschland (siehe ddp und AP)

ddp Deutscher Depeschendienst

dpa Deutsche Presse-Agentur

FAIR Fairness & Accuracy In Reporting

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung

HSFK Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

IWF Internationaler Währungsfonds

OAS Organisation Amerikanischer Staaten

RT von der russischen Regierung finanzierter Fernsehsender, bis 2009 Russia Today

SPSS Statistical Package for the Social Sciences

SZ Süddeutsche Zeitung

taz Die Tageszeitung

UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

UNO United Nations Organization, auch UN

UV unabhängige Variable

ZDF Zweites Deutsches Fernsehen

1 Einleitung

Ist die dpa „Lügenpresse“? So könnte man die Forschungsfrage dieser Arbeit unwissenschaftlich formulieren. Die Vorwürfe, die unter dem Begriff „Lügenpresse“ zusammengefasst werden – dass über Ereignisse falsch, einseitig oder nicht berichtet wird (Hagen, 2015, S. 153; Holtz & Kimmerle, 2020, S. 21-22) – werden seit Jahrzehnten in der Kommunikationswissenschaft untersucht, speziell in der News-Bias-Forschung (Jackob, Quiring & Schemer, 2017, S. 226-227). Die ersten News-Bias-Studien stammen aus den 1950er Jahren (D‘Alessio & Allen, 2000, S. 138). Seitdem lieferte die Wissenschaft zahlreiche Hinweise für Verzerrungen, Einseitigkeiten und Auslassungen (Jackob, Quiring & Schemer, 2017, S. 227). „Nur selten jedoch lassen sich die kleineren Schwachpunkte oder die größeren medialen Missstände, die von der Forschung aufgedeckt wurden, als Funktion kollektiver Verschwörungen erklären“ (ebd.).

Doch die „Lügenpresse“-Gedanken stammen nicht nur von Verschwörungstheoretikern oder rechtspopulistischen Gruppierungen wie Pegida (Hagen, 2015, S. 152). Laut einer Allensbach-Studie aus dem Jahr 2017 denken 42 Prozent der Befragten in Deutschland, dass an den „Lügenpresse“-Vorwürfen „etwas dran“ ist (Institut für Demoskopie Allensbach, 2017). Die Diffamierung der Medien ist ein Gesprächsthema an Stammtischen, in Online-Foren und sozialen Netzwerken sowie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (Hagen, 2015, S. 152; Jackob, Quiring & Schemer, 2017, S. 227). Die Kritik zielt dabei nicht nur auf die nationale Berichterstattung, sondern auch auf die Auslandsberichterstattung, 2014 zum Beispiel besonders auf die Berichte zum Ukraine-Konflikt (Wolff, 2018, S. 6). Ebenfalls 2014 wurde „Lügenpresse“ zum „Unwort des Jahres“ gewählt (Janich, 2015). Laut der Jury werden Medien mit dem Schimpfwort pauschal diffamiert. „Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist“ (ebd.).

Die Autorin dieser Arbeit selbst lehnt als ambitionierte junge Journalistin die „Lügenpresse“-Vorwürfe entschieden ab. Ihr ist zwar bewusst, dass die Berichterstattung der Medien keineswegs fehlerfrei ist (Hagen, 2015, S. 152-153; Holtz & Kimmerle, 2020, S. 26), aber eine systematische Desinformation hat sie bei den deutschen Qualitätsmedien nie vermutet. Doch im Auslandssemester in Mexiko in der zweiten Jahreshälfte 2019 erlebte die Autorin einen Moment des Zweifelns. In den mexikanischen Medien waren die Proteste in einigen südamerikanischen Ländern, darunter Ecuador und Bolivien, eines der Hauptthemen der Berichterstattung. In der deutschen Presse waren die Ereignisse in Lateinamerika weniger präsent, aber einige Meldungen schafften es in die Schlagzeilen. Jedoch war nicht nur der Umfang der Berichterstattung unterschiedlich, sondern vor allem auch der Inhalt. Der Autorin kam es so vor, als würde sie zwei vollkommen unterschiedliche Geschichten lesen, obwohl es sich um die Berichterstattung über dieselben Ereignisse handelte – einmal auf Deutsch und einmal auf Spanisch. Aus der subjektiven Sicht der Autorin vermittelten ihr die mexikanischen Medien ein negatives Bild des ecuadorianischen Präsidenten Lenín Moreno und ein positives Bild des bolivianischen Präsidenten Evo Morales. In der deutschen Berichterstattung war es genau umgekehrt. Die Autorin verglich verschiedene Medien der beiden Länder miteinander, aber der Eindruck blieb bestehen, und sie fragte sich: Wer sagt hier die Wahrheit? Diese Frage mündete letztendlich in die vorliegende Bachelorarbeit.

1.1 Erkenntnisinteresse und Forschungsfrage

Die Wahrheit bzw. Unwahrheit von Berichterstattung ist ein höchst subjektives Thema. In der Kommunikationswissenschaft wurde bestätigt, dass selbst Anhänger*innen unterschiedlicher Positionen denselben Bericht als jeweils in die andere Richtung verfälscht wahrnehmen können (Holtz & Kimmerle, 2020, S. 23-25). Dieses Phänomen ist als Hostile-Media-Effekt bekannt (ebd.). Auch in der News-Bias-Forschung wird Subjektivität als zentrales Problem der Wahrnehmung und Messung von Bias diskutiert (Groeling, 2013, S. 138-139).

Der Anspruch dieser Arbeit ist daher, die subjektive Wahrnehmung der Autorin zur Berichterstattung über die Ereignisse in Ecuador und Bolivien im Herbst 2019 möglichst intersubjektiv nachvollziehbar und transparent zu überprüfen. Daher wird als Methode die integrative Inhaltsanalyse nach Werner Früh (2017) angewandt, die ein standardisiertes und systematisches Vorgehen erlaubt (S. 67, S. 91). Durch die empirische Prüfung von sechs Hypothesen wird die folgende Forschungsfrage beantwortet: Ist in der Berichterstattung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) über die Proteste in Ecuador und Bolivien im Herbst 2019 ein News-Bias erkennbar?

Die Autorin entschied sich dafür, die Meldungen der dpa stellvertretend für die Berichterstattung der deutschen Massenmedien insgesamt zu analysieren, weil Nachrichtenagenturen im Allgemeinen einen großen strukturellen Einfluss in der Auslandsberichterstattung haben (Beck, 2018, S. 55-56; Hafez, 2002, S. 95; Lorenz, 2017, S. 93; Meier & Schanne, 1981, S. 102) und die dpa im Besonderen als Primäragentur in Deutschland eine herausragende Stellung einnimmt (Beck, 2018, S. 56, S. 61; Lorenz, 2017, S. 124).

Für die Messung von News-Bias ist ein neutraler Maßstab als Vergleichsgröße notwendig (Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 250; Shoemaker & Reese, 1996, S. 41). Daher werden die dpa-Meldungen in der vorliegenden Arbeit nicht mit beispielsweise den Meldungen der mexikanischen Nachrichtenagentur Notimex verglichen. Wenn nämlich Abweichungen in der Berichterstattung der beiden Agenturen festgestellt werden würden, könnte nicht zugeordnet werden, ob der News-Bias auf der Seite der dpa oder der Notimex oder bei beiden Agenturen besteht. Um die Frage nach politischen Tendenzen speziell für die dpa zu klären, wird daher die Berichterstattung der Vereinten Nationen (UNO) als neutraler Maßstab verwendet.

1.2 Ziele der Arbeit

Die Zielsetzung dieser Arbeit kann in fünf zentralen Punkten formuliert werden. Das erste Ziel ist, die Forschungsfrage zu beantworten. Es soll wissenschaftlich ermittelt werden, ob politische Tendenzen in der Berichterstattung der dpa über die Ereignisse in Ecuador und Bolivien empirisch nachgewiesen werden können. Dabei soll besonderer Wert auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit und Transparenz gelegt werden.

Zweitens sollen die empirischen Ergebnisse anhand der Theorien der Auslandsberichterstattung, News-Bias-Forschung und Agenturforschung interpretiert werden, und es sollen Inferenzschlüsse auf die Ursachen des News-Bias gezogen werden. Dafür sollen Modelle der Einflussfaktoren auf die Berichterstattung verwendet werden. Es soll erörtert werden, welche Einflüsse im Fallbeispiel dieser Arbeit am stärksten wirken.

Das dritte Ziel der Arbeit ist, durch die empirischen Ergebnisse und die anschließende Interpretation zur Reflexion und Diskussion in den Forschungsgebieten der News-Bias-Forschung, Auslandsberichterstattung und Agenturforschung beizutragen. Darüber hinaus sollen die Ergebnisse der Arbeit geeignet sein, einen Diskurs in der journalistischen Fachwelt und in der Öffentlichkeit anzustoßen. Inwieweit sollten nationale Nachrichtenagenturen aus einer nationalen Sichtweise berichten, die zu Verzerrungen in der Berichterstattung führt? Welche normative Rolle sollte die Auslandsberichterstattung im Kontext von internationaler Verständigung spielen? Diese Fragen können und sollen in der Bachelorarbeit nicht abschließend beantwortet werden. Vielmehr sollen sie die Relevanz des Themas verdeutlichen und Anknüpfungspunkte für Diskurse schaffen.

Viertens soll im Theorie-Kapitel ein Weg erarbeitet werden, wie Hypothesen über News-Bias in der Auslandsberichterstattung theoretisch fundiert aus der wissenschaftlichen Literatur abgeleitet werden können. Dafür sollen die Forschungsfelder des News-Bias-Ansatzes, der Auslandsberichterstattung und der Agenturforschung verknüpft werden. Die Ausführungen sollen Orientierung für weitere Arbeiten an der Schnittstelle dieser Forschungsgebiete bieten.

Zuletzt hat diese Arbeit den Anspruch, als Vorbild für eine intersubjektiv nachvollziehbare, theoretisch fundierte und konzeptionell ausgereifte Untersuchung von News-Bias zu dienen. Es sollen alle Schritte der Analyse von der Operationalisierung des Konstrukts News-Bias über die Auswahl des Untersuchungsmaterials bis hin zu den Codieranweisungen und der Syntax der statistischen Auswertung transparent gemacht werden. Da bisherige News-Bias-Studien selten ihre theoretischen Grundlagen und Operationalisierungen offenlegen (Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 241, S. 243), soll die Arbeit anderen Forscher*innen als positives Beispiel für die Konzeption ähnlicher Studien dienen.

1.3 Aufbau der Arbeit

In Kapitel 2 werden zunächst die theoretischen Grundlagen für die Beantwortung der Forschungsfrage gelegt. Es werden der News-Bias-Ansatz, die Grundlagenliteratur zur Auslandsberichterstattung und zur Agenturforschung vorgestellt. Dabei werden die Forschungsgebiete nicht nur in einzelnen Blöcken behandelt, sondern auch miteinander verknüpft. Konkret geht es um die Fragen nach der Rolle der Nachrichtenagenturen in der Auslandsberichterstattung, nach einem systematischen News-Bias in der Auslandsberichterstattung und nach der Ausgewogenheit von Nachrichtenagenturen im Allgemeinen und der dpa im Besonderen. Am Ende des Theoriekapitels wird der Forschungsstand zur Fragestellung der vorliegenden Arbeit zusammengefasst.

Anschließend werden in Kapitel 3 sechs falsifizierbare Hypothesen zur Forschungsfrage aufgestellt, die mithilfe der Methode der integrativen Inhaltsanalyse nach Früh (2017) überprüft werden. Das Forschungsdesign wird in Kapitel 4 ausführlich vorgestellt, begründet und diskutiert. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse werden in Kapitel 5 geordnet nach den sechs Hypothesen präsentiert und die Forschungsfrage wird beantwortet. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse und die Limitierungen diskutiert. Nach dem empirischen Teil werden die Ergebnisse in Kapitel 7 mit Bezug auf die theoretischen Grundlagen interpretiert. Dabei steht die Frage nach den Ursachen von News-Bias im Vordergrund. Die empirischen Ergebnisse werden dadurch in einen größeren Kontext eingeordnet und es wird die Relevanz der Forschungsfrage verdeutlicht. Im letzten Kapitel 8 werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und es werden Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsarbeiten und für Diskussionen in der (Fach-)Öffentlichkeit aufgezeigt.

2 Theorie und Hintergrund

2.1 News-Bias-Forschung

Die vorliegende Arbeit stellt sich in die Tradition der News-Bias-Forschung. News-Bias ist dabei der englische Fachbegriff, mit dem politische Tendenzen in der Berichterstattung bezeichnet werden. In diesem Kapitel wird zunächst das Forschungsfeld definiert und gegenüber den anderen Nachrichtentheorien abgegrenzt. Danach wird eine Definition für News-Bias formuliert. Unter Punkt 2.1.3 wird die im Forschungsgebiet etablierte Typologie von News-Bias nach Dave D‘Alessio und Mike Allen (2000) vorgestellt, die auch in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. Anschließend wird die Forschungslogik im News-Bias-Ansatz erklärt. Zuletzt werden die theoretischen Erkenntnisse zu den Ursachen von News-Bias erörtert.

2.1.1 Abgrenzung des Forschungsfelds

Der News-Bias-Ansatz wird den Nachrichtentheorien zugeordnet, zu denen auch der Framing-Ansatz, die Nachrichtenwert-Theorie, die Gatekeeping-Theorie und der Agenda-Setting-Ansatz gezählt werden. Die Nachrichtentheorien haben unterschiedliche Schwerpunkte, aber sie überschneiden sich in einzelnen Aspekten. In diesem Unterkapitel wird der News-Bias-Ansatz von den anderen Nachrichtentheorien abgegrenzt, und das Forschungsfeld wird mithilfe eines Schaubilds eingeordnet.

Eine viel zitierte Definition des Forschungsfelds stammt von Joachim Friedrich Staab (1990), laut dem es das Ziel der News-Bias-Forschung ist, „Unausgewogenheiten, Einseitigkeiten und politische Tendenzen in der Medienberichterstattung zu messen sowie Aufschluss über deren Ursachen zu erlangen“ (S. 27). Auch neuere Definitionen gehen in diese Richtung. Ines Engelmann (2016a) formuliert: „Der News-Bias-Ansatz beschäftigt sich mit mehr oder weniger bewussten bzw. zielgerichteten ‚Verzerrungen‘ im tatsachenbetonten Teil der Berichterstattung, wobei hier primär auf den politisch bedingten Bias eingegangen wird“ (S. 98).

Der Beginn der Forschungstradition geht laut Hans Mathias Kepplinger (2011b) auf eine Studie in den USA aus dem Jahr 1954 zurück, bei der die Forscher Malcolm W. Klein und Nathan Maccoby die Objektivität von Wahlberichterstattung untersuchten (S. 48). Darauf folgte bis heute eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeiten, in denen die Einseitigkeit oder – aus der anderen Perspektive – die Ausgewogenheit von Berichterstattung analysiert wurde. Die meisten Studien zum News-Bias stammen aus den USA (Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 241), aber es gibt auch viele Untersuchungen aus Deutschland. Einen guten Überblick geben verschiedene Zusammenfassungen und Meta-Analysen (D‘Alessio & Allen, 2000, S. 141-148; Groeling, 2013, S. 140-142; Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 243-249; Staab, 1990, S. 27-40). Wie in der Pionier-Studie von 1954 wird in den Arbeiten oft die Berichterstattung über Wahlen oder Parteien untersucht. Doch es wurden auch zahlreiche News-Bias-Studien zu anderen Fragestellungen veröffentlicht, zum Beispiel zur Berichterstattung über Kriminalität, über Minderheiten und soziale Randgruppen (Staab, 1990, S. 31) sowie über kontroverse Themen wie Kernenergie, Abtreibung und die EU-Osterweiterung (Oehmer, 2014, S. 224). Aktuelle deutsche Arbeiten untersuchten beispielsweise die Auswirkungen redaktioneller Linien auf die Berichterstattung über die Steuerpläne von Bündnis 90/Die Grünen (Gerrits & Scheller, 2018) und die Ausgewogenheit der Berichterstattung über die sogenannte Flüchtlingskrise im Jahr 2015 (Maurer, Jost, Haßler & Kruschinski, 2019).

So vielseitig wie die Anwendungsbereiche des News-Bias-Ansatzes sind auch die Untersuchungskonzepte, Operationalisierungen und Definitionen. Kepplinger (2011b) spricht zurecht von einer „verwirrende[n] Forschungslage“ (S. 50). Er beschreibt zusammenfassend drei Forschungsansätze von News-Bias-Studien. Erstens nennt er experimentelle Untersuchungen, zweitens Kombinationen von Befragungen von Journalist*innen und Inhaltsanalysen und drittens Einzelfallstudien sowie Zeitreihenanalysen, bei denen die Inhaltsanalysen mit externen Realitätsindikatoren kombiniert werden (ebd., S. 49-50). Die von Kepplinger beschriebenen Ansätze setzen bei der Nachrichtenproduktion an. Es gibt darüber hinaus jedoch auch Untersuchungen, die bei der Medienrezeption zu verorten sind (Eberl, Boomgaarden & Wagner, 2017, S. 1126). Am Ende dieses Unterkapitels 2.1.1 wird die Komplexität des News-Bias-Ansatzes mithilfe eines Schaubildes dargestellt.

Eine weitere Unklarheit besteht darin, wie der News-Bias-Ansatz gegenüber anderen Nachrichtentheorien wie dem Framing-Ansatz, der Nachrichtenwert-Theorie, der Gatekeeping-Theorie und dem Agenda-Setting-Ansatz abzugrenzen ist (Brinkmann, 2015, S. 21; Engelmann, 2016a, S. 95; Staab, 1990, S. 11-12; Maier, Stengel & Marschall, 2010, S. 116). Daher werden im Folgenden die verschiedenen Theorien und ihre Überschneidungen zum News-Bias-Ansatz kurz vorgestellt. Außerdem wird jeweils begründet, warum für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit der News-Bias-Ansatz besser als theoretische Fundierung geeignet ist.

Abgrenzung zum Framing-Ansatz

Der Framing-Ansatz hat unter den Nachrichtentheorien die größte Ähnlichkeit zum News-Bias-Ansatz. Beide setzen auf den Ebenen der Nachrichtenproduktion und -rezeption an. Außerdem wird in beiden Konzepten die Auswahl und Darstellung von Themen oder Akteur*innen untersucht (Scheufele & Engelmann, 2013, S. 536). Eine viel zitierte Definition von Framing stammt von Robert Entman (1993) und lautet: „To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described“ (S. 52). An dieser Formulierung wird die Überschneidung der beiden Ansätze deutlich. Wenn es um die „moral evaluation“ durch Framing geht, kann dadurch ein Bias in der Berichterstattung entstehen. Darüber hinaus kann die Bestimmung von Frames zur Messung von News-Bias genutzt werden. Wayne Dunham (2013) beispielsweise untersuchte einen möglichen Bias US-amerikanischer Zeitungen und der Presseagentur AP anhand des Framings politischer Think Tanks.

Laut Bertram Scheufele und Ines Engelmann (2013) spielen Framing und News-Bias empirisch oft zusammen, unterscheiden sich jedoch in grundsätzlichen Punkten (S. 536). Die Autor*innen veranschaulichen dies an dem Beispiel der Vorwahlberichterstattung. Um Framing handelt es sich, wenn Werte wie Freiheit oder Umweltschutz als Bezugsrahmen an Parteien angelegt werden und wenn diese Parteien als förderlich oder hinderlich für die entsprechenden Werte dargestellt werden. Dagegen bezieht sich der News-Bias beispielsweise auf den Tenor der Kandidat*innendarstellung oder die Kritik an der Wahlkampfführung einer Partei (ebd.).

Bei der Analyse von Studien aus dem englischen Sprachraum fällt auf, dass das Verb „to frame“ auch in Bezug auf den News-Bias-Ansatz verwendet wird und dadurch zu den Ungenauigkeiten in der Abgrenzung der Konzepte beigetragen wird. Beispielsweise definieren Jakob-Moritz Eberl, Hajo Boomgaarden und Markus Wagner (2017) die Kategorie des „tonality bias“ folgendermaßen: „The media can frame actors as being either good or bad politicians (or parties), and thereby provide evaluations of them and their performance“ (S. 1128). Wie aus dem Kontext deutlich wird, ist damit jedoch nicht die Bewertung durch Frames nach dem Framing-Ansatz gemeint. Vielmehr wird das Verb „to frame“ als Synonym für „to portray“ verwendet.

Zusammenfassend überschneiden sich der Framing- und News-Bias-Ansatz zwar in einem Teilaspekt, die Theorien haben aber jeweils andere Schwerpunkte. Grundsätzlich könnte die dpa-Berichterstattung über die Proteste in Ecuador und Bolivien auch auf mögliche Frames untersucht werden. Da es bei der Fragestellung der vorliegenden Arbeit jedoch generell um die Bewertung der Präsidenten und der Opposition in Ecuador und Bolivien geht, ist der News-Bias-Ansatz die geeignetere Theorie.

Abgrenzung zur Nachrichtenwert-Theorie

Während beim Framing-Ansatz vor allem die Art der Darstellung eines Themas untersucht wird, steht bei der Nachrichtenwert-Theorie und der Gatekeeping-Theorie der Aspekt der Auswahl von Themen im Vordergrund. Innerhalb der Nachrichtenwert-Theorie gibt es verschiedene Konzeptionen, wobei vor allem zwischen dem von Johan Galtung und Marie Holmboe Ruge entwickelten Modell der Nachrichtenfaktoren als Ereignismerkmale und dem erweiterten Ansatz unterschieden wird, der auf Winfried Schulz zurückgeht und bei dem zusätzlich journalistische Selektionskriterien einbezogen werden (Kepplinger, 2011a, S. 60-61).

Eine weitere Modifikation nahm Staab (1990) vor, der das Kausalmodell durch ein sogenanntes „Finalmodell“ ergänzte. Demnach richten sich die Selektionsentscheidungen von Journalist*innen nicht nach allgemeinen Kriterien, sondern sie sind „zielgerichtete Handlungen“ (S. 96). Journalist*innen können Nachrichten nach diesem Modell gemäß ihrer politischen Linie auswählen und mehr oder weniger salient machen. An diesem Punkt überschneidet sich das Finalmodell mit dem News-Bias-Ansatz. „Da damit die Verzerrung der Nachrichtenrealität entlang der politischen Einstellungen der Journalisten angesprochen ist“ (Eilders, 2016, S. 438), rechnet Christiane Eilders diese Sichtweise der News-Bias-Forschung zu (ebd.).

Die Selektionsentscheidungen von Journalist*innen können also eine Ursache für einen Bias in der Berichterstattung sein. Verzerrungen durch einseitige Bewertungen können durch die Nachrichtenwert-Theorie jedoch nicht erfasst werden. Daher eignet sie sich nicht für die Beantwortung der Fragestellung der vorliegenden Arbeit.

Abgrenzung zur Gatekeeping-Theorie

Bei der Gatekeeping-Theorie liegt der Fokus des Erkenntnisinteresses auf der Selektion von Nachrichten und von Themenaspekten. „Insgesamt kann man Gatekeeping als einen Prozess verstehen, der nach den Gründen der Auswahl und der Präsentation von Themen, Ereignissen und Ereignisaspekten an verschiedenen Stufen des Informationsflusses fragt“ (Engelmann, 2016a, S. 11). Die Überschneidung zum News-Bias-Ansatz ist ähnlich wie bei der Nachrichtenwert-Theorie. Wenn es durch das Gatekeeping zu einer systematischen Verzerrung der Berichterstattung kommt, fungiert der Gatekeeping-Prozess als Ursache für den Bias. Dies wird außerdem am Begriff des Gatekeeping Bias deutlich, den D‘Alessio und Allen (2000) geprägt haben. Gatekeeping Bias ist in ihrer Typologie neben Coverage Bias und Statement Bias eine Kategorie von News-Bias. Sie definieren Gatekeeping Bias in Bezug auf Wahlberichterstattung als „preference for selecting stories from one party or the other“ (D‘Alessio & Allen, 2000, S. 133).

Eine Unterscheidung des News-Bias-Ansatzes von der Gatekeeping-Theorie wurde darüber hinaus anhand der Einflussfaktoren vorgenommen. Zurückgehend auf Pamela Shoemaker und Stephen Reese (1996) werden in der Gatekeeping-Theorie neben der Ebene der einzelnen Journalist*innen auch weitere Einflussfaktoren berücksichtigt, die Shoemaker und Reese auf insgesamt fünf Niveaus verorten: individual level, media routines level, organizational level, extramedia level und ideological level (S. 101). In der Literatur ist teilweise zu lesen, dass sich der News-Bias-Ansatz von der Gatekeeping-Theorie unterscheide, weil im News-Bias-Ansatz lediglich das Level einzelner Journalist*innen untersucht werde (Brinkmann, 2015, S. 27; Rauchenzauner, 2008, S. 69). Aus Sicht der Autorin ist diese Sichtweise zu verengt. Zum einen ergibt sich ein Widerspruch, wenn die Forscher*innen im Anschluss die Studie von Klein und Maccoby als beispielhaft oder maßgeblich anführen (Brinkmann, 2015, S. 27-28; Rauchenzauner, 2008, S. 71). Denn Klein und Maccoby kommen zu dem Ergebnis, dass „ausschlaggebend für die Auswahl und Darstellung von Nachrichten […] die politische Linie der untersuchten Zeitungen [war], die je einen Kandidaten bevorzugten“ (Brinkmann, 2015, S. 28). Der Einfluss wird von Klein und Maccoby somit auf der Ebene der Medienorganisation und nicht der einzelnen Journalist*innen ermittelt. Zum anderen wird in den Arbeiten von Kepplinger (2011b) und von Shoemaker und Reese (1996) deutlich, dass nicht nur die individuelle und organisationelle Ebene Ursachen für Bias sind. Vielmehr finden sich zahlreiche Einflussfaktoren auf dem extra media und ideological level (Shoemaker & Reese, 1996, S. 40, S. 210, S. 215).

Die verschiedenen Einflussfaktoren auf die Berichterstattung werden unter Punkt 2.1.5 Ursachen von News-Bias genauer behandelt. An dieser Stelle soll vorerst festgehalten werden, dass die Einflussfaktoren nicht den entscheidenden Unterschied zwischen der Gatekeeping-Theorie und dem News-Bias-Ansatz darstellen. Der Grund, warum sich die Gatekeeping-Theorie nicht gut für das Forschungsanliegen der vorliegenden Arbeit eignet, ist die Fokussierung auf die Auswahl von Themen und Themenaspekten, während Verzerrungen durch die Wortwahl nicht berücksichtigt werden.

Abgrenzung zum Agenda-Setting-Ansatz

Der Agenda-Setting-Ansatz ist im Kern eine Medienwirkungstheorie. Er beschäftigt sich – wie der Name sagt – mit der Themensetzung durch die Massenmedien. Umgekehrt werden mit dem Agenda-Building-Ansatz Einflüsse auf die Themensetzung der Medien untersucht (Maurer, 2016, S. 419). Beide Ansätze lassen sich deutlich vom News-Bias-Ansatz abgrenzen, weil es beim Agenda-Setting beziehungsweise Agenda-Building um die Themengewichtung geht, jedoch nicht um Tendenzen in der Berichterstattung (ebd., S. 420).

Auch wenn das Erkenntnisinteresse unterschiedlich ist, ergibt sich eine geringfügige Überschneidung der beiden Ansätze, wenn durch die Themengewichtung eine Verzerrung in der Berichterstattung entsteht. Dies wird ähnlich wie beim Gatekeeping Bias in diesem Fall an der Bezeichnung Agenda Bias deutlich. Agenda Bias stellt eine Kategorie von News-Bias in der Typologie von Eberl, Boomgaarden und Wagner (2017) dar, die „the extent to which parties address preferred issues in media coverage“ (S. 1125) beschreibt. Wenn also eine Partei ihre Hauptthemen und Argumente in der Berichterstattung unterbringt und eine andere Partei nicht, deutet dies auf einen Bias hin.

Einordnung des News-Bias-Ansatzes

Mit einem einfachen Schaubild werden nun die Nachrichtentheorien und besonders der News-Bias-Ansatz in einem Modell aus Einflussfaktoren, Berichterstattung und Medienwirkung verortet. Dabei wird verdeutlicht, welche Variablen in der jeweiligen Theorie im Fokus stehen. Das Schaubild wurde von der Autorin in Anlehnung an ein Modell von Michaela Maier, Karin Stengel und Joachim Marschall (2010, S. 116) erarbeitet. Auch Shoemaker und Reese (1996, S. 3) entwarfen im Rahmen ihrer „Theorie von Medieninhalt“ bereits ein Modell bestehend aus den drei Elementen Einflüsse, Berichterstattung und Wirkungen. Die linke Hälfte des hier entworfenen Schaubilds bezieht Elemente aus einer Grafik von Carsten Reinemann und Philip Baugut (2014, S. 491) ein. Die Einflussfaktoren sind einer Übersicht über Mehrebenenmodelle von Christine Heimprecht (2017, S. 35) entnommen. In der rechten Hälfte wird auf Details zu den Elementen Rezeption und Medienwirkung verzichtet, da die Medienwirkung nicht Teil des Forschungsinteresses der vorliegenden Arbeit ist.

Dieses Modell soll helfen, die Widersprüche in den Definitionen der Forschungsfelder, besonders in Bezug auf den News-Bias-Ansatz, zu erklären und zu beseitigen. Außerdem wird es verwendet, um die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit zu verorten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Modell von Einflüssen, Berichterstattung und Medienwirkung (Eigene Darstellung in Anlehnung an Maier, Stengel & Marschall, 2010, S. 116; Reinemann & Baugut, 2014, S. 491; Shoemaker & Reese, 1996, S. 3)

In dieses Schaubild können alle zuvor beschriebenen Nachrichtentheorien eingeordnet werden. Dies soll nun in aller Kürze geschehen, bevor ausführlicher auf den News-Bias-Ansatz eingegangen wird. Im Framing-Ansatz wird der Fokus auf das Framing im Rahmen der sekundären Nachrichtenentscheidungen gelegt. Univariate empirische Analysen beziehen sich lediglich auf die Untersuchung von Frames in der Berichterstattung. Bivariate Analysen untersuchen entweder das sogenannte Frame-Setting oder Frame-Building. Die beiden Begriffe wurden durch Dietram A. Scheufele (1999) geprägt (S. 115-116). Beim Frame-Building sind die Einflussfaktoren (Komponente 1) die unabhängige Variable (UV) und das Framing die abhängige Variable (AV). Als mögliche Einflussfaktoren nennt Scheufele individuelle Einflüsse von Journalist*innen, Art und redaktionelle Linie von Medien sowie externe Einflussfaktoren wie politische Akteur*innen, Behörden, Interessengruppen und andere Eliten (ebd., S. 115). Beim Frame-Setting stellt das Framing die UV und die Medienwirkung die AV dar (ebd.). Der Framing-Ansatz umfasst also sowohl Einflüsse als auch Medienwirkung, im Kern jedoch nicht die Komponenten der Nachrichtenfaktoren und der primären Nachrichtenentscheidungen.

Analysen im Rahmen der Nachrichtenwert-Theorie umfassen hauptsächlich bivariate Untersuchungen mit den Einflüssen als UV und den primären Nachrichtenentscheidungen als AV. Dabei beschränkten sich frühe Arbeiten auf die Komponente der Nachrichtenfaktoren als UV. Erst im Rahmen der Überlegungen von Schulz und dem Zwei-Komponenten-Modell von Kepplinger wurden zunehmend die Einflussfaktoren als Selektionskriterien berücksichtigt. Die sekundären Nachrichtenentscheidungen sowie der Kontext der Medienwirkung werden von der Nachrichtenwert-Theorie im Kern nicht erfasst.

Bei der Gatekeeping-Theorie geht es ebenfalls um die Zusammenhänge zwischen den Einflussfaktoren und der Berichterstattung. Sie bezieht sich sowohl auf die primären als auch auf die sekundären Nachrichtenentscheidungen, wobei es bei letzteren hauptsächlich um die Auswahl von Themenaspekten geht (Engelmann, 2016a, S. 11). Die UV sind in empirischen Analysen demnach die Einflussfaktoren und die AV liegen im Kontext der Berichterstattung. Im Kern wird die Medienwirkung nicht untersucht.

Der Agenda-Setting- und der Agenda-Building-Ansatz können parallel zum Frame-Setting und Frame-Building eingeordnet werden (Scheufele, 1999, S. 116). Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie sich statt mit den sekundären mit den primären Nachrichtenentscheidungen beschäftigen (ebd.). Dementsprechend sind beim Agenda-Building die Einflussfaktoren die UV und die primären Nachrichtenentscheidungen die AV. Beim Agenda-Setting stellt die Medien-Agenda die UV und die Medienwirkung die AV dar.

Der News-Bias-Ansatz umfasst alle Elemente des Schaubilds außer der Komponente der Nachrichtenfaktoren. Einer der Gründe für die Widersprüche in den Definitionen von Bias kommt davon, dass sich nur auf einen Teil der Komponenten bezogen wird, zum Beispiel nur auf die primären oder nur auf die sekundären Nachrichtenentscheidungen. Dabei ist wichtig zu betonen, dass derartige Definitionen im Rahmen von Operationalisierungen angemessen sind, wenn sie auf das Forschungsanliegen zugeschnitten sind. Eine Definition, die sich auf die gesamte Theorie bezieht, sollte jedoch alle Elemente umfassen.

Die empirischen Analysen beziehen sich meistens nur auf Teilbereiche. Ähnlich wie im Framing-Ansatz werden zum einen bivariate Analysen mit den Einflussfaktoren als UV und den primären und sekundären Nachrichtenfaktoren als AV oder mit dem Berichterstattungs-Kontext als UV und der Medienwirkung als AV durchgeführt. Zum anderen wird der Kontext der Berichterstattung im Rahmen von univariaten Analysen untersucht (Boomgaarden & Semetko, 2012, S. 443; Eberl, Boomgaarden & Wagner, 2017, S. 1126). Dies ist bei den meisten Studien der Fall, die lediglich die Methode der Inhaltsanalyse anwenden (Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 247). Mit dieser Untersuchungsanlage kann empirisch zunächst nur das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Bias in der Berichterstattung überprüft werden. Durch ein entsprechendes Untersuchungsdesign können jedoch darüber hinaus Rückschlüsse auf die Einflussfaktoren gezogen werden (Engelmann, 2016a, S. 49).

So wird auch in der vorliegenden Arbeit vorgegangen. Die empirische Untersuchung von News-Bias in der dpa-Berichterstattung über die Proteste in Ecuador und Bolivien ist im mittleren Teil des Schaubilds im Kontext der Berichterstattung zu verorten. In Kapitel 7 werden interpretative Inferenzschlüsse auf mögliche Einflussfaktoren des News-Bias gezogen. Dies betrifft also den linken Teil der Abbildung. Die Einflussfaktoren werden nicht empirisch analysiert, weil dies den Rahmen einer Bachelorarbeit übersteigt. Laut Heimprecht (2017) wären wegen der Komplexität der Ursachenmessung Mehrebenenanalysen nötig, die komplexer als Regressionsanalysen sind (S. 138-139).

2.1.2 Definition

Bias hat als englischer Begriff im Sinne des News-Bias-Ansatzes keine eindeutige deutsche Entsprechung. Ebenso wie die Theorie News-Bias-Ansatz genannt wird, werden auch in der deutschsprachigen Literatur die Begriffe Bias, News-Bias oder Media Bias benutzt (Arnold, 2016, S. 66; Engelmann, 2016a, S. 98; Im Winkel, 2015, S. 2; Kepplinger, 2011b, S. 48; Reinemann & Baugut, 2014, S. 482; Scheufele & Engelmann, 2013, S. 532; Maier, Stengel & Marschall, 2010, S. 123). Darüber hinaus sprechen einzelne Arbeiten von Nachrichten-Bias (Boomgaarden & Semetko, 2012, S. 443), Parteilichkeit (Esser, 1998, S. 472), Ausgewogenheit (Maurer, Jost, Haßler & Kruschinski, 2019, S. 21) oder Framing entlang redaktioneller Linien (Gerrits & Scheller, 2016, S. 135). Im englischen Sprachraum werden die Begriffe ideological bias, media bias, news bias, partisan bias und political bias verwendet (Eberl, Boomgaarden & Wagner, 2017, S. 1126).

Verschiedene Begrifflichkeiten stellen bei eindeutigen Definitionen und Einordnungen kein Problem dar. In der News-Bias-Forschung finden sich jedoch zahlreiche unterschiedliche Definitionen, Operationalisierungen und selten Einordnungen (Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 241, S. 243). Dabei ist es in diesem Forschungsbereich besonders wichtig, theoretische Grundlagen, Annahmen und Operationalisierungen offenzulegen. News-Bias ist nämlich kein eindeutig festgelegtes Konstrukt, sondern „[b]oth balance and bias (or imbalance) are complex terms and hard to define“ (ebd., S. 243). Die Autorin schlägt daher vor, die Definition von Staab (1990), die von anderen Autor*innen in ähnlicher Form wiederholt wurde, um eine Überlegung von David Nicolas Hopmann, Peter Van Aelst und Guido Legnante (2011) zu erweitern. Demnach handelt es sich nur um einen Bias, wenn die Berichterstattung nicht kongruent mit den politischen (Partei-)Verhältnissen oder Nachrichtenfaktoren ist (Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 249). Dies ist bei News-Bias-Studien auch implizit gemeint, aber oft nicht explizit erwähnt (ebd.). Die Definition für diese Arbeit lautet demnach:

Bias bezeichnet die Unausgewogenheiten, Einseitigkeiten und politischen Tendenzen der Berichterstattung, die nicht auf die politischen (Partei-)Verhältnisse oder die Selektion nach Nachrichtenfaktoren zurückzuführen sind.

Das heißt, dass man nicht von einem Bias sprechen würde, wenn über Parteien gemäß ihrer Sitzverteilung im Parlament berichtet werden würde. Ebenso zählt ein sogenannter Incumbency Bonus oder Kanzlerbonus (Eberl, Boomgaarden & Wagner, 2017, S. 1128; Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 245) nicht zur Definition, da es auf die politischen Verhältnisse zurückgeführt werden kann, wenn mehr über die Regierung als über andere Politiker*innen berichtet wird. Ebenso wird ein Negativity Bias oder Negativitäts-Bias im Sinne des Nachrichtenfaktors Negativität (Hopmann, Van Aelst & Legnante, 2011, S. 246; Schulz, 2008, S. 69) nicht als Bias im Sinne der Definition bezeichnet, wenn über alle Akteur*innen oder Ereignisse hinweg gleichsam stärker negativ als positiv berichtet wird.

[...]

Ende der Leseprobe aus 148 Seiten

Details

Titel
Politische Tendenzen in der Auslandsberichterstattung der dpa. Berichterstattung über die Proteste in Ecuador und Bolivien im Herbst 2019
Hochschule
Technische Universität Dortmund  (Institut für Journalistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
148
Katalognummer
V1010403
ISBN (eBook)
9783346403711
ISBN (Buch)
9783346403728
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar der Erstprüferin: Die Arbeit genügt nicht nur wissenschaftlich allerhöchsten Ansprüchen, sondern ist auch für die Medienpraxis von großem Interesse. Ich möchte Frau Schaftner ausdrücklich ermutigen, ihre Forschungsergebnisse sowohl einem akademischen als auch einem medienpraktischen Publikum vorzustellen. Auch sprachlich ist die extrem sorgfältige Arbeit exzellent.
Schlagworte
Journalismus, dpa, Nachrichtenagentur, Bolivien, Ecuador, News Bias, Journalistik, Auslandsberichterstattung, Media Bias
Arbeit zitieren
Sandra Schaftner (Autor:in), 2020, Politische Tendenzen in der Auslandsberichterstattung der dpa. Berichterstattung über die Proteste in Ecuador und Bolivien im Herbst 2019, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1010403

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