Catulls "Carmen 99" als längstes Epigramm des Dichters. Verhältnis von Juventius und Catull


Hausarbeit, 2007

12 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Catulls carmen 99: das längste Epigramm des Dichters
2.1. Metrische Analyse
2.2. Textkritische Analyse
2.3. Textinterpretation

3. Zusammenfassung

4. Bibliografie

1. Einleitung

Gaius Valerius Catullus aus Verona war ein im doppelten Sinne des Wortes leidenschaftlicher Dichter, der mutmaßlich früh starb und bis heute nicht mehr hinterließ als einen Gedichtband voll von Invektiven, Liebesbezeigungen an seine Muse Lesbia, so genannte große Gedichte und ein Epyllion. Für seine passer- Gedichte ist er heute wohl am bekanntesten; Lesbia, seine Angebetete, wird von Catull einerseits schwärmerisch wegen ihrer Schönheit besungen, andererseits klagt der Dichter über ihren Zorn und ihre Eifersucht, ihre Launenhaftigkeit und seinen daher erwachsenden Liebeskummer. Doch nicht nur sie ist Ziel der Begierde, auch ein Mann namens Juventius wird in mehreren Gedichten besungen. Die Frage nach Alter, Stand und dem Wahrheitsgehalt ist bis heute nicht einheitlich geklärt worden.

Lässt man sich darauf ein, dass es in Catulls Leben einen Jüngling namens Juventius gab – oder sei es auch nur in der Fantasie des Dichters –, so bilden die Gedichte, in denen unmittelbar und mittelbar vom ihm erzählt wird, so etwas wie einen Zyklus. Neben dem Wunsch, den Jüngling mit Küssen zu überhäufen (carmen 48), Catulls Warnung vor einem mittellosen Konkurrenten (carmen 24) und seiner Klage über Juventius’ Fremdgehen (car­men 81) schildert carmen 99, welches Gegenstand dieser Arbeit sein soll, das Verhältnis der beiden zueinander und dessen Umschwung.

Zu Beginn soll das Gedicht einer metrischen Analyse unterzogen werden. Daran schließt sich eine Untersuchung des textkritischen Apparates an: Die verschiedenen Überlieferungen sollen – sofern es sich anbietet – anhand ihrer Integrität erklärt, überprüft und bewertet werden. Den Hauptteil bildet in Kapitel 2.3 die Interpretation des Textes unter Zuhilfenahme der wichtigsten Kommentare verschiedener Autoren. Dabei orientiere ich mich nach Möglichkeit an einer chronologischen Behandlung der Sinneinheiten nach Versen.

2. Catulls carmen 99: das längste Epigramm des Dichters

2.1. Metrische Analyse

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2. Textkritische Analyse

Grundlage für die metrische und textkritische Analyse sowie die inhaltliche Interpretati- on bildet der von Mauriz Schuster bei Teubner herausgegebene Text aus dem Jahr 1958. Wie die meisten Editoren baut Schuster die Überlieferung des Catulltextes in einem Stemma1 nach, das als Archetypus eine einzige, jedoch nicht erhaltene Handschrift V (codex Veronensis) an die Spitze stellt; V wird aus den erhaltenen Handschriften G und O rekonstruiert. Von dieser werden eine erhaltene Handschrift O (codex Oxoniensis) sowie eine hypothetische Handschrift α abhängig gemacht. Von α sollen G (codex Sangermanensis) und r (codex Romanus) abstammen sowie weitere, jüngere Schriften m, ς, d und eine korrigierte Version von G, die mit g bezeichnet wird.

Schon im Prädikat surrupui des Verses 1 existieren andere Überlieferungen; Schuster hat seine Version einer Catullausgabe von Friedrich (1908) entnommen. Es existieren daneben auch Varianten in der 3. Person Singular surrupuit, nämlich in der Oxford-Handschrift, sowie die gängigere Perfektformen surripui bzw. surripuit in G bzw. d und ς, allesamt metrisch indifferent. Im Sinne des logischen Gefüges des Gedichtes ist der 1. Person Singular der Vorzug zu geben: surripui, die Perfektform mit i in der Stammsilbe, findet sich zudem häufiger im gesamten überlieferten lateinischen Textmaterial. – V überliefert weiterhin viventi an Stelle des metrisch gleichwertigen Iuventi. Da das carmen 99 wohl dem Kreis der Juventius-Gedichte zuzurechnen ist, ist eher der Version von Schuster beizupflichten.

suaviolum in Vers 2 taucht in Vers 14 noch einmal auf. Handschrift V überliefert im ersten Fall (neben r, m und ς) tatsächlich suav-, im zweiten jedoch sav-. Auf welche Form die Entscheidung fällt, ist nachrangig, denn beide Formen existierten bedeutungsgleich nebeneinander; im Sinne einer einheitlichen Textedition ist wohl in erster Instanz auf die Verwendung paralleler Schreibweisen zu achten, wie auch Schuster sich im zweiten Fall für suaviolum entschieden hat. – Neben ambrosia bieten V ambrosio bzw. G eine Schreibweise mit Ausfall des b. Während das Substantiv ambrosia für die Götterspeise, den Göttertrunk steht, bezeichnet das Adjektiv ambrosius etwas von göttlicher Natur. Freilich sind an dieser Stelle beide Varianten denkbar; da Kroll jedoch bemerkt, das Adjektiv „findet sich erst seit Vergil“2, erscheint die Variante auf -a jedoch passender. Dasselbe gilt für die Varianten in Vers 13.

Anstatt id in Vers 7, das von O und m gleichermaßen überliefert wird, bietet die Handschrift G ad. Schusters Idee, mit id Bezug auf das geschilderte Geschehen zu nehmen, den geraubten Kuss nämlich, lässt eine Verbesserung nach ad ungerechtfertigt er- scheinen. Auch Kroll bemerkt, id greife „etwas prosaisch auf das surripere zurück“3.

Wenn Schuster in Vers 8 abstersti verwendet, hat er sich zwar für keine grammatisch korrekte Form entschieden, gibt jedoch die Variante der Handschrift O wieder. Das Perfekt von abstergere lautet abstersi; die hier passende 2. Person Plural müsste korrekt abstersisti heißen – diese Form würde wegen der zusätzlichen Silbe die Dihärese des Pentameters übergehen.4 G und m bieten beide astersi, was auf einen Infinitiv a(d)stergere hindeuten würde. Dieses Verbum ist aber nicht belegt. – Zur Vermeidung des Hiats schlug Aldus Manutius im 16. Jahrhundert die Umstellung von guttis abstersti nach abstersti guttis vor. Syndikus hält an einer Konjektur zu abstersisti fest, die die Synalöphe mit omnibus nach sich zöge, aber metrisch verträglich wäre.5

Der Konjunktiv in Vers 9 gibt der Lesart ne, die in d und ς zu finden ist, eindeutig den Vorzug vor nec aus V und nei aus der Handschrift von Baehrens. Um den konsekutiven Bezug zum vorangehenden Vers zu wahren, kommt ne m. E. am ehesten in Frage.

Anstatt des commictae in Vers 10 können gleich drei Varianten gefunden werden: cōmicte in G, comitte in O sowie comincte in r und m. Ausführliche Wörterbücher6 verzeichnen allerdings fast ausschließlich die Varianten, die mit comm- beginnen, weshalb ich der von Schuster verwendeten Schreibweise am ehesten zustimme.

Schließlich bietet ς nunquam an Stelle von numquam in Vers 16. Da es sich hier lediglich um die Frage der Assimilation handelt und die Entscheidung für die eine oder für die andere Lesart weder von metrischem noch von syntaktischem oder semantischem Be- lang ist, erscheint es wohl am einfachsten, nunquam in ς als das Ergebnis des undeutlichen Schreibens des dritten Bogens zu erklären, der für ein m hinreichend gewesen wäre, da offensichtlich alle anderen Handschriften hier numquam überliefern.

2.3. Textinterpretation

Folgt man der u. a. von Syndikus vorgeschlagenen Differenzierung des Werks Catulls, so fällt carmen 99 in die Gruppe der Epigramme, die neben den carmina minora am Anfang und den carmina maiora in der Mitte das letzte Drittel des Gedichtbandes umfassen. Diese Epigramme, so beschreibt es Syndikus, sind „Reflexionsgedichte“ über „schmerzlichste Umstände des eigenen Lebens“7, was auf das hier behandelte 99. Gedicht unumschränkt zutrifft. Offenbar pflegt Catull als das lyrische Ich eine spielerisch-erotische Beziehung zu einem Knaben namens Juventius. Nach einem Zwischenfall jedoch hat dieser das Interesse an Catull verloren: Er hatte jenen „ohne dessen Einwilligung geküßt und erfuhr durch seine höchst empfindliche Reaktion eine beschämende Zurückweisung“8 – damit sei der Inhalt des Epigramms grob umrissen.

Diesem carmen 99 geht jedoch – ungeachtet der Frage, ob Catull nun die Anordnung der Gedichte selbst vorgenommen hat oder die Reihenfolge nachträglich besorgt worden ist – carmen 48 voraus. Darin wird, von Anfang bis Ende im Konjunktiv, „die Grenzenlosigkeit des erotischen Begehrens“ zwischen Catull und dem Knaben Juventius thematisiert – „[w]as an Lebensrealität dahintersteckt, ist schwer zu sagen.“9 Im Gegensatz zur wahrscheinlichen Affäre zwischen Catull und Lesbia bzw. Clodia lässt sich über homosexuelle oder homoerotische Verbindungen von Catull nichts Verlässliches aussagen.10 Man denke außerdem an carmen 16, in dem Catull deutlich darauf hinweist, dass Dichtung und Wirklichkeit streng voneinander zu trennen seien. Dennoch ergeht sich Catull in diesem carmen minus in bildhaften Fantasien von unzähligen Küssen, die er Juventius geben möchte. In carmen 99 werden dann der Juventius-Kuss und seine Folgen aufgegriffen: „The kiss which was hoped for in 48 is here stolen – with dire results for the thief.“11

[...]


1. Vgl. Schuster/Werner 1958: ix–x.

2. Kroll 1968: 273.

3. Kroll 1968: 272.

4. Kroll sieht keinerlei Probleme mit dem Hiat: „Den Hiat zu tilgen ist verfehlt […] und die vollere Form abster- sisti bewirkt Synaloephe in der Fuge, die C. freilich nicht gerade meidet“ (Kroll 1968: 272).

5. Vgl. Syndikus 2001: iii, 100, Fußnote 14.

6. Beispielsweise Klotz, R. (Hg.): Handwörterbuch der lateinischen Sprache, Braunschweig 1853.

7. Syndikus 2001: i, 67.

8. Syndikus 2001: iii, 98.

9. Syndikus 2001: i, 24.

10. Dennoch unternimmt Arkins den Versuch, Juventius mit Marcus Juventius Talna, dem Sohn eines Freundes von Cicero zu identifizieren, und weist folgerichtig auf die fehlende Verwendung eines Pseudonyms (wie Lesbia für Clodia) hin (vgl. Arkins 1982: 107).

11. Ferguson 1985: 307.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Catulls "Carmen 99" als längstes Epigramm des Dichters. Verhältnis von Juventius und Catull
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Klassische Philologie und Komparatistik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
12
Katalognummer
V1011075
ISBN (eBook)
9783346405784
ISBN (Buch)
9783346405791
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Catull, Juventius, Textkritik, textkritische Analyse, Interpretation, carmen 99
Arbeit zitieren
René Dietzsch (Autor:in), 2007, Catulls "Carmen 99" als längstes Epigramm des Dichters. Verhältnis von Juventius und Catull, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1011075

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