Das Fest Potlatsch im Essay "Die Gabe" von Marcel Mauss. Der Höhepunkt des Gabentauschs?


Hausarbeit, 2020

14 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Marcel Mauss Lektüre über die Gabe
2.1. Die Gabe - das totale gesellschaftliche Phänomen
2.2. Die Pflichten der Gabe
2.3. Geschenke an die Götter
2.4. Der Potlatsch
2.5. Mauss moralische Schlussfolgerung

3. Batailles Lehre über die Ökonomie
3.1. Die allgemeine Ökonomie
3.2. Der Potlatsch als Lösung des Problems

4. Hénaffs Suche nach dem Wert des Wissens
4.1. Hénaffs Kritik an Mauss Gabentheorie

5. Fazit - Ist der Potlatsch der Höhepunkt, oder das Ende der Gabe?

6. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Stellen wir uns vor, ich würde eine teure Vase nehmen. Diese Vase gehört mir, sie ist schon ewig in meiner Familie. Nun findet ein großes Nachbarschaftsfest statt, alle sind da, haben sich herausgeputzt und zeigen was sie besitzen. Meine Nachbarin von gegenüber, Frau Rauh, fährt mit ihrem neuen Audi vor und das Ehepaar von nebenan bringt Trüffelpizza als kleine „Aufmerksamkeit“ mit. Nun komme ich, die Vase unter meinem Arm und begrüße alle herzlich. Ich stelle mich vor Frau Rauh, schaue sie an und schweiße die Vase mit voller Wucht zu Boden. Alle haben es gesehen, sind erschrocken und starren. Und ich? Ich lächle und gehe zum Catering, wo ich mich an der Trüffelpizza bediene. Währenddessen denke ich: „Der habe ich es gezeigt, mal sehen wie sie das überbieten will.“

Fragt ihr euch gerade ob ich noch bei klarem Verstand bin? Zurecht, denn bevor ich mich mit Marcel Mauss Essay Die Gabe1 auseinandersetzte, hätte ich nie über eine solche Ungeheuerlichkeit nachgedacht. Doch früher war dies in manchen Gesellschaften bei einem Fest üblich. Man betrachtete es als Gabe, oder wie wir sagen würden Geste. Zweck war die Demonstration der eigenen Überlegenheit. Dieses Fest heißt „Potlatsch“. Doch kann eine solche Zerstörung eine Geste sein? Wie kann man dadurch seine Macht demonstrieren, schließlich hat man danach nichts mehr? Warum sollte der andere dies überbieten wollen? Kurz: Ist der Potlatsch der Höhepunkt der Gabe? All das soll diese Arbeit klären.

Um dies herauszufinden muss ein wenig Vorarbeit geleistet werden, aus diesem Grund werde ich Marcel Mauss Werk zu Beginn vorstellen und das (für diese Arbeit) wichtigste zusammenfassen. Da ich nicht die erste bin, die sich mit dieser Thematik beschäftigt, suche ich die Antwort in bereits publizierten Werken. Zuerst wende ich mich Georges Bataille Aufhebung der Ökonomie2 zu. Er greift dort den Potlatsch und Marcel Mauss Lektüre auf und bindet sie in seine Theorie mit ein. Dort werden wir auch sehen, wie vielversprechend der Potlatsch eigentlich ist. Danach folgt Marcel Hénaffs Studie Der Preis der Wahrheit3, in der er, anders als Bataille, Kritik an Marcel Mauss äußert. Diese Kritik bezieht sich nicht speziell auf den Potlatsch, viel mehr auf Mauss allgemeine Gabentheorie, jedoch würde ich dieses Werk nicht mit einbeziehen, wenn es nicht zur Lösung unseres Problems beiträgt. Diese beiden Werke werden mich zur Antwort führen.

2. Marcel Mauss Lektüre über die Gabe

2.1. Die Gabe - das totale gesellschaftliche Phänomen

Marcel Mauss ist ein berühmter französischer Sanskrit-Forscher, Religionshistoriker und Soziologe, der von 1872 bis 1950 lebte. Hauptsächlich befasste er sich mit Religionsforschung und Religionssoziologie, die Methode des Vergleichs war ihm dabei am liebsten (auch in dem Werk, welches wir hier untersuchen werden). In seinen Werken versucht er stets die Phänomene in ihrer Gesamtheit zu erfassen, um die einzelnen Aspekte besser zu verstehen.4 5 6

Im Essay die Gabe (1924) untersucht Mauss Gesellschaften, welche die Vorgänger von unserer heutigen Gesellschaft sind. Er nennt sie auch primitiv und archaisch.5 6 Auffällig ist, dass der Großteil des Austauschs dort über Geschenke stattfindet und auch Verträge werden über Geschenke abgewickelt. Dieser Austausch ist ein totales gesellschaftliches Phänomen7 und bildet den Kern des gesamten Werks. „Total“, was bedeutet das? Es weist darauf hin, dass wir einen Geschenkaustausch nicht allein aus einer Perspektive, zum Beispiel der ökonomischen, betrachten können. Der Austausch von Geschenken zieht sich durch das gesamte gesellschaftliche Leben dieser Gemeinschaften. „Er ist zur gleichen Zeit ein ökonomisches, juristisches, moralisches, ästhetisches, religiöses, mythologisches und sozio-morphologi- sches Phänomen.“8 Diese Art Leistung hat einen sehr ambivalenten Charakter. Zum einen ist sie selbstlos, denn bei einem Geschenk gibt jemand etwas von sich weg. Außerdem ist sie freiwillig, da jedem selbst überlassen ist, ob er das Geschenk annimmt oder nicht. Zum anderen handelt es sich aber auch um Eigennutz, man präsentiert sich beim Schenken selbst und strebt gewisse Profite an. Diese Profite können zum Beispiel materiell oder sozial sein. Des Weiteren herrscht ein gewisser Zwang, man möchte sich in eine Gesellschaft integrieren oder auch integriert bleiben, man möchte sein Ansehen aufrechterhalten, den Ruf wahren.

Die Eigenschaft des Zwangs tritt zudem auch auf, wenn ein Geschenk empfangen wird, dann ist man in einer gewissen Weise zu einer Gegenleistung verpflichtet. Diese Leistungen sind also freiwillig und zugleich auch verpflichtend.9 10 11 Doch wie sieht ein solcher Austausch, bzw. eine solche Leistung nun genau aus? Viele mögen vielleicht denken, dass es sich bei den beteiligten Personen um Individuen handelt: Eine Person schenkt einer zweiten Person etwas. Doch Dies ist in den Gesellschaften nicht der Fall, es sind immer mehrere Personen die gleichzeitig in Kontakt treten, zum Beispiel Familien, Stämme oder Clans. Außerdem ist das geschenkte Etwas nicht unbedingt materiell, meist sind es Feste, Höflichkeiten und Rituale. Und selbst wenn es materiell ist, kann auch eine Frau oder ein Kind geschenkt werden.10 11 All dies fasst Marcel Mauss mit dem System der totalen Leistungen12 zusammen.

2.2. Die Pflichten der Gabe

Wie schon erwähnt, das System der totalen Leistung beinhaltet gewisse Pflichten. Diese gilt es nun genauer zu erläutern. Beginnen wir am Anfang: eine Gabe wird gegeben. Beim Geben geht es vor allem darum sich zu integrieren, neue Bündnisse zu schließen und in Kontakt zu treten, man wird Teil der anderen Gesellschaft. Es ist also klar, wenn niemand gibt, gibt es nur Fremde, keine Beziehungen und keine Freunde. Die erste Pflicht ist also die des Gebens. Die Pflicht des Gebens impliziert in einer gewissen Weise die Pflicht des Nehmens, denn auch wenn etwas gegeben wird, muss erst einmal angenommen werden bevor ein Bündnis entsteht.13 Kniffliger wird es nun bei der Pflicht der Erwiderung. Mauss fragte sich dazu, was wohl in der gegebenen Sache steckt, so dass sie immer zurückkommt.14 Genau wie Mauss, möchte ich ein Beispiel anführen, um dies zu verdeutlichen:

Stellen wir uns vor, Maria schenkt Thomas ihr Stofftier. Nun Schenk Thomas dieses Stofftier seiner kleinen Schwester Sophie. Er gab es ihr ohne festgelegten Preis. Trotzdem verspürt Sophie (nach einer gewissen Zeit) den Drang Thomas etwas zurückzugeben, sie schenkt ihm also ihren Lieblingsball. Auch Thomas verspürt allmählich den Drang Maria etwas für ihr Kuscheltier zurückzugeben und schenkt ihr Sophies Lieblingsball. Obwohl Maria ebenfalls keinen Preis von Thomas erwartet hat.

Was ist dort geschehen? Kinder sind bekanntlich sehr eng verbunden mit ihren Spielzeugen. In dem geschenkten Stofftier steckt also ein Teil von Maria selbst drin. Oder zumindest bleibt die Verbindung des Stofftiers und Maria darin enthalten. Thomas besitzt also ein Stofftier, welches immer noch ein Teil von Maria ist. Als Thomas das Stofftier seiner Schwester Sophie schenkte, besaß Sophie ein Teil von Maria und einen Teil von Thomas der nun ebenfalls mit dem Stofftier verbunden war. Diese Verbindung führte dazu, dass Sophie Thomas etwas zurückgeben wollte. Der Wert des Stofftieres steckt also nun in Sophies Lieblingsball. Und wie wir sehen, kommt zumindest der Wert des gegebenen Gegenstands immer zu seinem Ursprung zurück. Genauso ist es in diesen archaischen und primitiven Gesellschaften die Mauss beschreibt. Die Menschen dort glauben, dass ein Teil ihres Geistes in ihren Besitzgütern steckt, werden diese verschenkt wird auch ein Teil ihres Geistes verschenkt. Dieser Geist in der gegebenen Sache sorgt dafür, dass der Gegenstand nach seinem Ursprung strebt. Wenn man etwas behält, was den Geist eines anderen beinhaltet, so wird etwas Schlimmes geschehen „ganz bestimmt, sogar der Tod.“15 16 17 Diesen Geist in der gegebenen Sache nennen wir fortan hau.16 17

Fassen wir diese Pflichten zusammen, so ist alles in einem Kreislauf des Gebens und Nehmens. Alles zirkuliert. Alles kommt und geht.18

2.3. Geschenke an die Götter

Bevor wir uns dem Potlatsch zuwenden, möchte ich kurz auf die ersten Gaben eingehen. Die Götter oder Geister sind die wahren Eigentümer der Dinge und wie wir nun durch das hau wissen, Steck ein Teil ihrer Seele noch immer in den Dingen. Mit ihnen ist der Austausch am wichtigsten. Nicht nur weil uns eigentlich gar nichts von und auf der Erde gehört, sondern auch, um den Frieden zu wahren. Aus diesem Grund kommt es in alten Gesellschaften oft zu Opfergaben.19

2.4. Der Potlatsch

Die radikalste Form des20 Gabenaustauschs ist in Nordwestamerika zu finden. Die indianischen Gesellschaften bringen nicht nur bei den Opfergaben das Motiv der Zerstörung mit in das System der totalen Leistung. Es geht um ein großes winterliches Feste, an dem nur besonders reiche Gruppen teilnehmen können und indem es darum geht, eine Rangordnung/ Hierarchie zu schaffen oder zu festigen.21 22 23 24 Radikal ist der Potlatsch in dem Sinne, dass die Motive der Rivalität und des Antagonismus22 dort sehr ausgeprägt sich. Ein offener Kampf, oder die Zerstörung des gesamten Besitzes sind dort nicht selten. Aus diesem Grund nennt Mauss den Potlatsch auch totale Leistung vom agonistischen Typ23. Was ebenfalls stärker zu sehen ist, als bei anderen Gesellschaften, ist die Gabenbeziehung als einen Vertrag. Die Begriffe des Kredits, Darlehen und der Ehre24 spielen eine zentrale Rolle. Durch das hau liegt es auf der Hand, dass nach einer gewissen Zeit alles wieder zurückkommt, die Gegengabe hat also eine gewisse Frist. Allerdings muss auch mehr zurückkommen, als gegeben wurde. Die Schulden werden mit Zinsen beglichen. Das liegt daran, dass durch die Rivalität jedes Geschenk überboten werden muss, zudem möchte jeder seine Ehre wahren. Du schenkst mir edle Metalle? Hier, nimm meine ganze Pelzsammlung.25 So kommt es zu einem stetigen Wechsel von Schuldner und Gläubiger. Durch den Begriff der Ehre, kommt es allerdings oft dazu, dass Luxusgüter einfach zerstört werden. Das liegt daran, dass keiner möchte, dass jemand denkt, man sei selbst nur auf eine Gegengabe aus. Durch die Zerstörung vermittelt man, dass man so reich ist, dass einem diese Verschwendung von Luxusgütern nichts ausmacht. Außerdem stellt man die Kontrahenten öffentlich bloß.26

[...]


1 Marcel Mauss: Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. 12. Aufl. Suhr- kamp 1990

2 Georges Bataille: „Die Aufhebung der Ökonomie." In: Gerd Bergfleth (Hg.): Georges Batailles. Das theoretische Werk in Einzelbänden 2., erw. Aufl. München Matthes & Seitz 1985

3 Marcel Hénaff: Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld und Philosophie. Suhrkamp Frankfurt am Main 2009

4 Vgl. Marcel Mauss: Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. 12. Aufl. Suhrkamp 1990, S. 7f.

5 Mauss: Die Gabe, S. 17

6 Diese Beschreibung ist aus meiner Sicht jedoch nicht herabwürdigend, schließlich vermittelt Mauss uns in seiner moralischen Schlussfolgerung, dass man aus diesen Gesellschaften viel lernen kann und auch sollte.

7 Mauss: Die Gabe, S. 17

8 Mauss: Die Gabe, S. 10

9 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 36f.

10 Aufgrund dessen, dass wir unter Geschenk offensichtlich an etwas anderes denken, trifft es der Begriff der Leistung doch etwas besser.

11 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 21f.

12 Mauss: Die Gabe, S. 22

13 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 36f.

14 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 31f.

15 Mauss: Die Gabe, S. 33

16 Mauss: Die Gabe, S. 33

17 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 31f.

18 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 81

19 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 39f.

20 Der Begriff „Potlatsch" wurde von amerikanischen Autoren etabliert und bedeutet übersetzt „ernähren" oder „verbrauchen" S. 23

21 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 77f.

22 Mauss: Die Gabe, S. 24

23 Mauss: Die Gabe, S. 25

24 Mauss: Die Gabe, S. 82

25 Die Gruppen kontrahieren übrigens nur über ihren Häuptling bzw. Anführer. Die Häuptlinge verkörpert dabei ihre gesamten Stämme.

26 Vgl. Mauss: Die Gabe, S. 81f.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Das Fest Potlatsch im Essay "Die Gabe" von Marcel Mauss. Der Höhepunkt des Gabentauschs?
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal  (Geistes- und Kulturwissenschaften)
Note
1,7
Jahr
2020
Seiten
14
Katalognummer
V1011891
ISBN (eBook)
9783346408198
ISBN (Buch)
9783346408204
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Die Gabe, Potlatsch, Marcel Mauss, Bataille
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Das Fest Potlatsch im Essay "Die Gabe" von Marcel Mauss. Der Höhepunkt des Gabentauschs?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1011891

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