Kanzler der Bundesrepublik Deutschland


Facharbeit (Schule), 2001

11 Seiten


Leseprobe


Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und ihre Bedeutung für die Geschichte der BRD

1. Konrad Adenauer

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Adenauers Kanzlerzeit

Schon bevor Konrad Adenauer zum Kanzler gewählt wurde, verstand er es seine Interessen durchzusetzen. Auf Grund seiner guten Beziehungen zu den Besatzungsmächten schaffte er es, dass Bonn die Hauptstadt des neuen Landes werden würde, obwohl die Amerikaner Frankfurt favorisierten.

Auch seine Kandidatur zum Bundeskanzler war seine Idee. Nachdem die CDU/CSU am 7. August 1949 die erste Bundestagswahl mit 39 Prozent vor der SPD (29 Prozent) gewonnen hatte, lud Adenauer am 21. August 1949 Vertreter der CDU/CSU in sein Haus nach Rhöndorf ein. Die Gäste hatte er danach ausgewählt, wie er mit ihnen klar kam. Der CDU-Ministerpräsident z.B. fehlte, weil er Adenauer nie freundlich gesinnt war, stattdessen war der damals noch unbekannte Franz Josef Strauß dabei. Während dieses Treffens wurden verschiedene Fragen diskutiert: Mit wem würde man koalieren? Wer würde Bundespräsident und wer Bundeskanzler werden? Am Ende hatte sich Adenauer in allen Fragen durchgesetzt. Die CDU/CSU bildete eine Regierungskoalition mit FDP und DP (Deutsche Partei), Theodor Heuss wurde Bundespräsident und er selbst Kanzler. Es zeigt sich schon damals, dass er in aller erster Linie seine Interessen verfolgte, die er allerdings mit denen „seines“ Deutschlands gleichsetzte. Denn Adenauer hatte sich selbst als Kanzlerkandidat vorgeschlagen und das Amt des Bundespräsidenten ausgeschlagen.

Als dann am 15.September 1949 die eigentliche Wahl zum Bundeskanzler im Bundestag anstand, verlief diese allerdings knapper als gedacht. Obwohl die Koalition über sieben Stimmen mehr als nötig verfügte, entschied eine Einzige das Ergebnis. Adenauer erhielt nur die Mindestmehrheit von 202 Stimmen. Die entscheidende Stimme war seine eigene gewesen. Schon in seiner Regierungserklärung machte Adenauer klar, welche Ziele er mit seiner Politik verfolgen wollte: konsequente Westbindung, europäische Integration und einen deutschen Wehrbeitrag. Vor allem die Außenpolitik bestimmte die erste Hälfte einer Amtszeit. (Bis 1955 war er Kanzler und Außenminister.) Insbesondere das Thema „Wiederbewaffnung“ verursachte großen Wirbel. Schon im Sommer 1948, als die Mehrheit der Deutschen noch pazifistisch eingestellt war, liebäugelte Adenauer mit einer stattlichen deutschen Armee von 80 Divisionen. Aber als aus Washington Signale kamen die Deutschen vorerst auf keinen Fall mit Waffen auszurüsten, stellte er seine Pläne offiziell zurück. Noch im Dezember 1949 versicherte er: „In der Öffentlichkeit muss ein für alle mal klargestellt werden, dass ich prinzipiell gegen eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland und damit auch gegen die Errichtung einer neuen deutschen Wehrmacht bin.“ Und das, obwohl er seine Pläne keineswegs abgehakt hatte. Und schon im Sommer 1950 sah alles anders aus. Durch die Eskalation im Koreakonflikt erinnerten sich Briten und Amerikaner an die Absichten des Kanzlers. Das Pentagon forderte 10 bis 15 Divisionen, der britische Generalstab sogar 20, dazu 2000 Kampfflugzeuge. All das sollte zwar noch unter alliiertem Oberbefehl stehen, aber Adenauer sah sich bestätigt. Doch als der deutsche Wehrbeitrag während der New Yorker Konferenzserie trotz der drängenden Forderungen der Amerikaner von den Franzosen abgelehnt wurde, verschwanden die Pläne erneut in der Schublade.

Am 11. April 1951 trat Adenauer seine erste Frankreichreise an. Insgesamt würde er sechsundzwanzig mal nach Paris reisen. Eines seiner Ziele war es, die Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich beizulegen. In den folgenden Monaten sollte Deutschland im Rahmen der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) eigene Truppen aufstellen und weitestgehende Souveränität zurückerhalten.

Am 10. März 1952 ging in Bonn die „Stalin-Note“ ein. In dieser Offerte bot Moskau dem Westen die Wiedervereinigung Deutschlands und freie Wahlen für ganz Deutschland an. Unter einer Bedingung: Deutschland sollte totale Neutralität wahren, was das Ende der gerade ans Laufen gebrachten Westpolitik bedeuten würde. Adenauer formulierte in seiner ersten Stellungnahme ein klares „Nein“ als Antwort und musste sich von diesem Moment an immer wieder vorwerfen lassen, er hätte sie Wiedervereinigung verhindert. Aber ganz abgesehen davon, wie ernst gemeint das Angebot des Kremls war, hatte er damals gar nicht die Befugnis, eigenmächtig darauf einzugehen. Denn im Sommer 1952 war immer noch das Besatzungsstatut in Kraft. Und das die Westmächte nicht daran interessiert waren, mit Moskau zu kooperieren liegt auf der Hand. Außerdem lag es ganz klar nicht in Adenauers Interesse, seine Westpolitik aufzugeben.

Bei seiner ersten USA-Reise am 8. April 1953 stellte Adenauer fest, dass die Bundesrepublik den Sprung vom besiegten Land zum Juniorpartner geschafft hatte. Denn durch die Unterzeichnung der Westverträge am 26. Mai 1952, das Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar und das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel vom 10. September hatte Deutschland nach Meinung der USA seinen guten Willen demonstriert. Bei der Bundestagswahl 1953 bekam die CDU/CSU sensationelle 45% der abgegeben Stimmen. Von den zwei Jahren Amtszeit, von denen Adenauer vor seiner Wahl zum Bundeskanzler gesprochen hatte, war jetzt keine Rede mehr. Denn die Wahl 1953 war in erster Linie eine Adenauer-Wahl. Und auch in der Innenpolitik setzte Adenauer jetzt jene Form der Machtausübung durch, die als „Kanzlerdemokratie“ bekannt wurde. Er führte ein patriarchalisches Regiment, in dem er seine Ziele so ungestört verfolgen konnte, wie keiner seiner Nachfolger. Begünstigt wurde das vor allem durch seine unangefochtene Stellung in der Partei, die bis 1957 den Namen „Kanzlerwahlverein“ hätte tragen können. Seine erste Abstimmung in der Fraktion verlor Adenauer erst 1962.

Im Jahr 1955 trat die Bundesrepublik der NATO bei und erlangte weit gehende Souveränität. Der Streit um das Saarland, das nach dem Krieg Frankreich zugeteilt worden war, eskalierte. Schließlich sollte das Volk entscheiden, ob es zu Frankreich oder zu Deutschland gehören wollte und entschied sich mit 67% für den Anschluss an die Bundesrepublik.

Am 5. Mai 1955 traten die Westverträge in Kraft und Deutschland wurde vollständig eigenständig.

Am 7. Juni 1955 ging in Bonn die Einladung zu einem Besuch des Kanzlers in Moskau ein. Diese Einladung sollte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen einleiten. Der Botschaftertausch würde allerdings eine Anerkennung des zweiten deutschen Staates, der DDR, bedeuten, denn die DDR besaß in Moskau schon eine deutsche Botschaft. Das Alleinvertretungsrecht, dass die Bundesrepublik für alle Deutschen beanspruchte, war somit in Gefahr geraten. Doch Adenauer wollte nach Moskau reisen, vor allem wegen der knapp 100 000 Kriegsgefangenen, die in Russland vermutet wurden. Also reiste Adenauer am 8. September 1955 nach Moskau. Während der Verhandlungen zeigte sich schnell, dass die beiden Delegationen völlig verschiedene Forderungen hatten. Die Sowjets forderten diplomatische Beziehungen ohne Bedingungen, der Kanzler wollte die Verhandlungen über die Gefangenen mit einem Ergebnis in der Deutschlandfrage verknüpfen. Am 12.September unterbreiteten Bulganin und Chruschtschow Adenauer ein Angebot: Botschaftertausch gegen die Freilassung der Gefangenen, allerdings ohne schriftliche Vereinbarung. Das Ehrenwort des Kremlherrrn müsse reichen. Adenauers Berater sprachen sich gegen diesen Vorschlag aus, aber der Kanzler entschied darauf einzugehen.

Diese Entscheidung ließ den Popularitätsfaktor Adenauers in ungeahnte Höhen schießen. Doch der Kanzler hatte den Zenit erreicht. Und obwohl die CDU bei der Bundestagswahl 1957 50,2% der Stimmen erhielt, begann nun der Abstieg des Kanzlers. Auch die Höhepunkte der zweiten Hälfte der Ära Adenauer (Unterzeichnung des EWG-Vertrages 1957 und die Besiegelung der deutsch-französischen Freundschaft mit Charles de Gaulle 1963) hatten nicht die Dimensionen der frühen Jahre. Seine größte Pleite landete Adenauer am 13.August 1961, als er dem Mauerbau in Berlin völlig untätig zusah und einen Tag später in einer Fernsehsendung immer noch totale Hilf- und Ratlosigkeit vermittelte. Als er Berlins Bürgermeister als „Herr Brandt, alias Frahm“ verunglimpfte war er bei den Berlinern endgültig unten durch und erntete ein gellendes Pfeifkonzert, als er doch noch in die geteilte Stadt kam.

Als er 1959 seine schon öffentlich bekräftigte Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten zurücknahm, nur um Ludwig Erhard als Nachfolger im Bundeskanzleramt auszuschalten, zweifelten viele Menschen, ob er seinem Amt noch gewachsen war.

Als die CDU bei der Wahl 1961 „nur“ 45% der Stimmen erhielt, musste Adenauer versprechen, im Laufe der Legislaturperiode zurückzutreten. Bevor er jedoch am 15. Oktober 1963 das Palais Schaumburg räumte, versuchte er noch einmal alles, einem anderen als Erhard sein Amt zu überlassen - vergebens.

2. Ludwig Erhard

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Erhards Kanzlerzeit

Ludwig Erhard, das ist für viele Deutsche der Vater der Währungsreform und dem damit verbundene Wirtschaftswunder. Dabei ist das eigentlich falsch. Denn als am 20.Juni 1948 jeder 40 DM erhielt, wusste kaum jemand, dass die D-Mark keine deutsche Entwicklung war. Viel mehr war sie nicht anderes als ein Retortenbaby der Alliierten. Und trotzdem wäre das Wirtschaftswunder ohne Erhard nicht möglich gewesen. Denn am Abend der Währungsreform verkündete er, der schon immer ein Befürworter der freien Marktwirtschaft war, eigenmächtig in einer Rundfunkansprache, dass die Bewirtschaftungsmaßnahmen und Preisbindungen aufgehoben werden würden. Am nächsten Morgen waren die Regale und Schaufenster in allen Läden auf einmal übervoll von bislang zurückgehaltener und gehorteter Ware -der unvergessliche „Schaufenstereffekt“. Dass Erhard beschloss, die Währungsreform mit einer Wirtschaftsreform zu verknüpfen, das war seine eigentliche historische Tat. Hinzu kommt, dass er den Begriff „Wirtschaftswunder“ immer abgelehnt hatte. 1954 sagte er: „Ich kann den Begriff nicht gelten lassen, weil dass, was sich in Deutschland in den letzten sechs Jahren vollzogen hat, alles andere als ein Wunder war. Es war einfach nur die Konsequenz der ehrlichen Anstrengungen eines ganzen Volkes, das nach freiheitlichen Prinzipien die Möglichkeit eingeräumt erhalten hat, menschliche Initiative, menschliche Freiheit, menschliche Energien wieder anwenden zu dürfen.“

Als Adenauer sich nach der Bundestagswahl 1961 dazu verpflichten musste, im Laufe der kommenden Legislaturperiode das Kanzleramt zu räumen, war Erhard Wirtschaftsminister. Für die Deutschen war klar, wer der neue Bundeskanzler werden sollte: der „Dicke“, der „Vater des Wirtschaftswunders“. Für Adenauer jedoch war das undenkbar. Durch die so genannte Präsidentenkrise 1959 begann der offene Kampf ums Kanzleramt Denn in diesem Jahr endete die Amtszeit von Theodor Heuss. Die SPD nominierte Carlo Schmid als Kandidaten. Da die CDU so zum Handeln gezwungen war, präsentierte Adenauer den ahnungslosen Erhard als Präsidentschaftskandidaten. Mit diesem Schachzug wollte Adenauer endgültig verhindern, dass Erhard sein Nachfolger werden würde, denn war er einmal Bundespräsident, so konnte er nicht mehr Bundeskanzler werde. Doch Adenauer hatte zu offensichtlich gehandelt und schon machte das Wort vom „Kronprinzenmord“ die Runde. Erhard erkannte das schließlich auch und gab am 2.März 1959 seinen Verzicht auf die Kandidatur bekannt. Daraufhin kündigte Adenauer selbst an, Bundespräsident werden zu wollen. Doch schon bald erkannte er, dass er dann erstens keine Macht mehr haben würde und zweitens, dass Erhard dann erst recht ins Palais Schaumburg ziehen würde. Also zog er seine Kandidatur wieder zurück und begründete das damit, dass es die angespannte weltpolitische Lage nicht zulasse, die Außenpolitik Deutschlands in unerfahrene, sprich Erhards, Hände zu legen. Aber die Öffentlichkeit erkannte diese gehässige Kampagne gegen Ludwig Erhard und verzieh diese Adenauer nie Als die CDU die Landtagswahlen 1963 gewann und erkannte, das sie diesen Erfolg nur Erhard zu verdanken hatte, bestimmte die Fraktion ihn gegen Adenauers Willen zum Nachfolger. Bei seiner Wahl zum Bundeskanzler am 16.Oktober 1963 fehlten ihm schon einige Stimmen aus dem eigenen Lager. Viele sahen das als schlechtes Omen, aber Erhard beachtete solche Kritiker nicht.

Erhard war klar gegen die vielen Interessenverbände wie z.B. Gewerkschaften, Parteien und Verbände, ohne zu bedenken, dass gerade diese das Wesen der Demokratie ausmachten. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt versuchte er den Interessenverbänden Einhalt zu gebieten. Die Kriegsopfer forderten damals eine allgemeine Erhöhung der Pensionszahlungen, was Erhard als übertrieben ablehnte. Er verkündete, dass die Entschädigungshöhe immer erst im Einzelfall geprüft werden müsse. Daraufhin zogen am 10.Dezember 1963 über 30 000 Demonstranten durch Bonn. Das hatte wiederum zur Folge, dass auch der Druck aus den eigenen Reihen auf den Erhard wuchs und er schließlich nachgab. Das war das erste, aber nicht das letzte Mal, dass der Kanzler eine einmal getroffene Meinung änderte. Nächste Stücke seiner Glaubwürdigkeit büßte er beim Streit um die Telefongebühren ein: Die Deutsche Bundespost, damals noch eine Staatsunternehmen, machte hohe Verluste. Trotzdem musste sie immer noch sechseinhalb Prozent ihrer Einnahmen als Steuern abgeben. Die einfachste Lösung wäre gewesen, diese Abgaben zu streichen. Doch stattdessen sollten die Telefongebühren von 16 auf 20 Pfennige erhöht werden. Das stieß bei der Bevölkerung verständlicherweise auf heftigen Widerstand. Das machte sich die SPD zu nutzen und forderte eine Sondersitzung des Bundestages. Also wurden alle Abgeordneten aus den Sommerferien zurückbeordert und am 29. Juli wurde außerplanmäßig im Plenum debattiert. Doch der Antrag der Sozialdemokraten auf Rücknahme der Gebührenerhöhung wurde abgelehnt und der Unmut der Deutschen nahm nicht ab. Also versuchte Erhard einen Kompromiss zu finden, der den Protest entschärfen sollte: Die Gebühren sollten nur noch um die Hälfte, also auf 18 Pfennig steigen. Das war wieder ein Zeichen für Erhards Führungsschwäche.

Der letzte Rest Vertrauen in seine Führungsqualitäten vernichtete die Verjährungsdebatte. Und das, obwohl er diesmal einfach nur fair sein wollte. Im Frühjahr 1965 ging es im Bundestag um die Verjährung von Gräueltaten während des NS-Regimes. Der Rechtsstaat besagte, dass ein Mord nach 20 Jahren verjährt und damit nicht mehr zu bestrafen war. Doch den Schergen Hitlers wollte niemand Straffreiheit gewähren. Als es im Bundestag zur Abstimmung kam, traf der Kanzler keine Richtlinienentscheidung. Er ließ es zu, dass jeder Abgeordnete nach eigenem Gewissen abstimmte. Daran war sicher nichts falsches, doch wurde es Erhard wiederum als Führungsschwäche angekreidet. Auch in Sachen der Außenpolitik war Erhard von ganz anderem Schlag als Adenauer. Suchte dieser noch die Annäherung an Frankreich, so wollte Erhard um jeden Preis ein gutes Verhältnis zu den Amerikanern. Zwar reiste er nach seiner Amtsübernahme als Erstes nach Paris. Dennoch verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich rapide, bis es im Juni 1964 zum endgültigen Zerwürfnis zwischen de Gaulle und Erhard. Das lässt sich nicht nur darin begründen, dass die politischen Ansichten der beiden Politiker grundverschieden waren, sondern auch darin, dass die Privatmenschen de Gaulle und Erhard sich nie verstanden.

Stattdessen entwickelte sich zwischen Erhard und dem amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson so etwas wie Freundschaft. Doch Erhard besaß ein zu naives Vertrauen, wie sich zeigen sollte. Denn er konnte nicht zwischen knallharter Machtpolitik und persönlicher Freundschaft unterscheiden.

Im Umgang mit der den Ostblockstaaten ging Erhard im Vergleich zu Adenauer ebenfalls neue Wege. Er ließ es zu, dass Außenminister Schröder halboffizielle Beziehungen zu allen Ostblockstaaten aufnahm. Die DDR war davon jedoch ausgeschlossen, denn die Bundesrepublik beanspruchte immer noch das Alleinvertretungsrecht und hielt an einer Isolierung der DDR fest. Doch beides geriet durch die Reise von Staats- und Parteichef Walter Ulbricht am 24. Februar 1965 in Gefahr. Denn Ulbricht wurde vom ägyptischen Staatschef Nasser wie ein Staatsgast empfangen, was einer formellen Anerkennung der DDR als vollwertiger Staat entsprach. Die Bundesregierung, wusste nicht, wie sie reagieren sollte und wurde deshalb scharf kritisiert. Die Regierung hatte einst damit gedroht, alle Beziehungen zu den Ländern abzubrechen, die die DDR anerkannten. Aber Ägypten, eine Vormacht der gesamten arabischen Welt, war nicht irgendein Staat. Außerdem stand den Deutschen umgekehrt eine Drohung Kairos ins Haus: sollten die Deutschen Israel als eigenständigen Staat anerkennen, so würden sie Araber die DDR und damit die deutsche Zweitstaatlichkeit anerkennen. Entgegen dem Rat aller außenpolitischen Experten nahm Erhard am 7.März 1965 diplomatische Beziehungen zum jüdischen Staat auf. Eingedenk der deutschen Vergangenheit war das für ihn persönlich die einzig richtige Möglichkeit. Das war Erhards wichtigste außenpolitische Tat und es war eins der wenigen Male, bei denen er von seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler Gebrauch machte. Die Bundestagswahlen am 19.September 1965 waren für Ludwig Erhard und seine Partei richtungsweisend. Denn er hatte mitten in der Legislaturperiode das Amt des Kanzlers übernommen und musste jetzt beweisen, dass er eine Bundestagswahl alleine gewinnen konnte. Innerhalb von sechs Wochen absolvierte der über 500 Wahlveranstaltungen. Und das mit Erfolg. Denn die CDU erhielt 47,6 Prozent der abgegebenen Stimmen und gewann klar vor der SPD (39,3 Prozent).

Nach der sich auf Grund der Querelen der FDP lange hinziehenden Regierungsbildung ging es jedoch abwärts mit Erhard: Seine Unentschlossenheit, Wankelmut und Führungsschwäche traten offen zu Tage und vermittelten den Wählern einen Endruck von innenpolitischem Stillstand. Die USA verloren auf Grund der eigenen Probleme zunehmend das Interesse an Deutschland. Bis Mitte 1965 stürzten 26 Maschinen vom Typ „Starfighter“ (Lockheed F- 104G) ab, 15 Piloten starben dabei. Die Bürger sahen darin das Verschulden der Regierung und einen ganz klaren Beschaffungsskandal und forderten den Rücktritt von Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel. Damit wuchs erneut der Druck auf die gesamte Regierung. Weitere Probleme für Erhard resultierten aus der wirtschaftlichen Entwicklung: Die Hochkonjunktur schwächte ab, 216 000 (0,7 Prozent) Menschen waren arbeitslos. Für ihn war das nichts unnatürliches, hatte er doch immer davor gewarnt, zu glauben, die Konjunktur würde ewig steigen. Bei der Bevölkerung jedoch schrillten die Alarmglocken. Als die CDU dann auch noch die Landtagswahlen am 10.Juli 1966 in Nordrhein-Westfalen infolge der Bergbaukrise und den damit verbundenen Zechenstilllegungen verlor, war das das endgültige Signal zum Kanzlersturz.

Als Erstes trat sein wichtigster Mitarbeiter, Kanzleramtschef Ludger Westrick zurück und es gelang Erhard nicht, einen Nachfolger für ihn zu finden. Im Herbst 1966 reiste Erhard nach Amerika, um einen Aufschub für die Zahlungen, die Deutschland für die hier stationierten US-Truppen zahlen musste, zu erreichen. Er hoffte auf einen Freundschaftsdienst Johnsons. Doch dieser brauchte selbst Geld und bestand auf die Erfüllung der Abmachungen: Deutschland musste bis Mitte 1967 den vollen Betrag an die USA auszahlen.

Erhard bekam die Lage nicht mehr in den Griff. Am 27. Oktober 1966 stieg die FDP auf Grund der ungelösten Frage, wie man das Haushaltsloch stopfen könne, aus der Koalition aus. Nach ein paar Wochen mit einer Minderheitsregierung wurde Ludwig Erhard am 1.Dezember 1966 als Bundeskanzler entlassen.

3. Kurt Georg Kiesinger

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Kiesingers Kanzlerzeit

Nachdem Erhard als Kanzler mehr oder weniger geschasst worden war, machte der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg das Rennen um die Kandidatur in der CDU. Mit Hilfe der CSU wurde Kiesinger am 10.November 1966 zum Kanzlerkandidaten der CDU/CSU gewählt. Sofort erhoben sich kritische Stimmen dagegen, dass ein ehemaliges NSDAP-Mitlgied Kanzler werden sollte. Während des Krieges hatte Kiesinger im Auswärtigen Amt gearbeitet und war für die Propaganda im Ausland zuständig. Was oder wie viel er von den Taten der Nazis gewusst und inwiefern er sich selbst schuldig gemacht hat konnte nie vollständig geklärt werden.

Nachdem die FDP unter Erhards Kanzlerschaft die Koalition verlassen hatte, musste nun eine neues regierungsfähiges Bündniss geschlossen werden. Ohne die FDP in Gespräche miteinzubeziehen, stellten Kiesinger und Herbert Wehner, der stellvertretende Vorsitzende der SPD, die Weichen für eine große Koalition.

Am 1.Dezember 1966 wurde Kurt Georg Kiesinger im Bundestag mit 340 von 473 Stimmen zum dritten Kanzler Deutschlands gewählt. Dieses Ergebnis zeigte deutlich, was die Bevölkerung von der neuen Regierung zu halten hatte. Denn die Regierungskoalition besaß 447 und damit mehr als 90 Prozent aller Stimmen. Die FDP bildete eine Miniopposition mit nur 49 Abgeordneten. Damit konnte sie ihrer eigentlichen Funktion, dem Kontrollieren der Regierung, nicht mehr nachkommen. Denn sie konnte weder Untersuchungsausschüsse fordern noch Sondersitzungen des Parlaments einberufen. Im Gegensatz dazu konnte die Regierung im Alleingang Änderungen im Grundgesetz vornehmen. Aus diesem Grund waren viele von Anfang an gegen die große Koalition. Vor allem junge Leute und Studenten machten ihrem Unmut Luft.

Eine von Kiesingers Herzensangelegenheiten war die Wahlrechtsänderung. Das vorherrschende Verhältniswahlrecht sollte durch das Mehrheitswahlrecht abgelöst werden. Damit würden alle kleinen Parteien ausgeschlossen und der Einzug der NPD in den Bundestag, der damals schon von Schwarzmalern befürchtet wurde, verhindert. Vorerst war die SPD damit auch einverstanden.

Im Mai 1967 gab es in Berlin eine erste große Demonstration. 2000 Studenten protestierten gegen die Vietnampolitik, die große Koalition und die Universitätsstrukturen. Die Regierung reagierte mit Unverständnis und Härte und bestätigte damit die Vorurteile der „Rebellen“. Als am 2.Juni 1967 ein Kripobeamter den an der Demonstration gegen den Besuch des Diktators Schah Reza Pahlevi völlig unbeteiligten Studenten Benno Ohnesorg von hinten erschoss, gab das den Startschuss für den Aufstand der „68er“. Die Gewalt eskalierte Ostern 1968, als ein rechtsradikaler Attentäter die Zentralfigur des SDS (Sozialistischer Deutsche Studentenbund), Rudi Dutschke, mit drei Schüssen lebensgefährlich verletzte. Die schweren Krawalle in ganz Deutschland forderten in München zwei Todesopfer. Im Mai 1968 protestierten bundesweit 30 000 Menschen gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze, womit die Proteste ihren Höhepunkt erreichten. Während dieser ganzen Zeit zeichnete sich die Regierung mit Unverständnis aus. Der Kanzler verstand noch weniger als die Studenten selbst, das was sie eigentlich wollten. Für ihn waren ihre Forderungen ein Buch mit sieben Siegeln.

Die große Koalition entzweite sich vor allem in Sachen Ostpolitik. Zwar wollten beide Parteien das Verhältnis zur DDR entkrampfen, aber sie wollten das auf unterschiedliche Art und Weise. Während die SPD vor allem auf Gespräche mit Ostberlin setzte, suchte Kiesinger die Annäherung an Moskau. Und dennoch begann Kiesinger die Hallstein- Doktrin zu lockern. Diese Doktrin aus dem Jahre 1955 besagte, dass die Bundesrepublik zu jedem Staat alle diplomatischen Beziehungen abbrach, wenn dieser die DDR anerkannte und damit gegen den „Alleinvertretungsanspruch“ der BRD verstieß. So nahm die Regierung am 31.Januar 1967 zu Rumänien und im August 1967 zu Jugoslawien diplomatische Beziehungen auf. (Die Beziehungen zu Jugoslawien waren 1957 abgebrochen worden, nachdem Tito die DDR anerkannt hatte.) Am 5. Juni 1967 beantwortete der Kanzler höchstpersönlich einen Brief des DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph. Das war das erste Mal seit den Fünfzigerjahren, dass ein Brief aus Ostberlin nicht als unzustellbar wieder zurückgeschickt wurde. Bis Oktober 1967 folgte ein Briefwechsel zwischen Kiesinger und Stoph über die Normalisierung der Beziehungen. Doch die Differenzen ließen sich nicht überbrücken. So forderte die DDR die Aufgabe der „Alleinvertretungsanmaßung“ und Kiesinger mied den Begriff DDR und damit die Anerkennung des zweiten deutschen Staates. Der Kontakt schlief wieder ein.

Die große Koalition geriet jedoch in eine tiefe Krise, als die verschiedenen Marschrichtungen betreffend der Ostpolitik offensichtlich wurden. Auf dem SPD-Parteitag im März 1968 forderte Außenminister Brandt die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze Polens und damit das Akzeptieren des Verlustes der ehemaligen deutschen Ostgebiete. Als dann bekannt wurde, dass die SPD über geheime Kontakte zu italienischen Kommunisten verfügte und sich einige führende Sozialdemokraten in Rom mit Vertretern der SED getroffen hatten, vertiefte sich der Konflikt zwischen den Regierungsparteien.

Den Ausschlag gab aber schließlich etwas andere: Die SPD hatte bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg enorme Verluste erlitten und schob nun die Entscheidung über die Wahlrechtsänderungen weiter vor sich her. Die CDU war mehr als wütend und war der Meinung, die SPD hätte gegen die Koalitionsvereinbarungen verstoßen. Viele fragten sich, warum der Kanzler jetzt nicht die Koalitionsfrage stellte. Doch wieder griff Kiesinger nicht durch.

Zum endgültigen Eklat und damit zum Ende der großen Koalition kam es im Frühjahr 1969, als es um die Wahl zum Bundespräsidenten ging. Brandt war der Meinung, dass dieses Amt einem Sozialdemokraten zustehe, da bis jetzt nur Christdemokraten das Amt bekleidet hatte. Kiesinger war damit einverstanden, ließ sich dann jedoch von Parteifreunden dazu überreden, einen Gegenkandidaten zu nominieren. Kiesinger favorisierte Richard von Weizsäcker, die Union den Verteidigungsminister und Erzfeind von Kiesinger, Gerhard Schröder. Kiesinger wandte sich und zögerte, bis die CDU nach einer Stichwahl schließlich Schröder nominierte. Am 1.November 1968 war es offiziell: Für die SPD ging Justizminister Gustav Heinemann und für die CDU Schröder ins Rennen. Für Kiesinger den Parteivorsitzenden war das eine empfindliche Niederlage.

Wieder einmal kam es auf die FDP an, die die SPD brauchte, um Heinemann durchzubringen. Wehner schlug der FDP vor, dass die Wahlrechtsänderung vom Tisch sei, wenn sie für Heinemann stimmte. So wurde Gustav Heinemann am 6. März 1969 zum Bundespräsidenten gewählt. Die FDP stimmte geschlossen für den SPD-Kandidaten und läutete so den Anfang vom Ende der großen Koalition ein.

Zum offenen Bruch zwischen Wehner und Kiesinger kam es durch die so genannte Berlin-Krise. Moskau und Ostberlin waren entschieden gegen die Bundesversammlung in Berlin, sie sahen es als Provokation. Wehner sah die Chance für eine Entschärfung des Klimas zwischen Ost und West und schlug vor, den Wahlort zu verlegen. Doch Kiesinger machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Ihm waren die Ostberliner völlig egal und er lehnte das Angebot der DDR ab, dass den Westberlinern im Gegenzug zur Verlegung des Wahlortes die Chance zu Verwandtenbesuchen an Ostern ermöglichte. Die Bundesversammlung wurde in Berlin abgehalten, doch die Beziehung zwischen Wehner und Kiesinger war dauerhaft angeknackst.

Vor der Bundestagswahl 1969 testete Kiesinger das Klima in seiner Partei. Er selbst war immer noch ein Befürworter der großen Koalition, doch die CDU war ganz andere Ansicht. Doch einen anderen Koalitionspartner gab es nicht. Die FDP, von Kiesinger immer ignoriert, war durch die vom Kanzler geforderte Wahlrechtsänderung nicht sehr gut auf ihn zu sprechen. Aber Anstatt sich um Wiedergutmachung zu bemühen, hoffte Kiesinger auf die absolute Mehrheit.

Bei der Wahl am 28.September 1969 erhielt die CDU 46,1 Prozent und 242 Mandate, SPD (42,7 Prozent) und FDP (5,8 Prozent) erhielten jedoch zusammen 254 Mandate. Kiesinger überließ in der Wahlnacht das Handeln anderen und besiegelte das Ende seiner Kanzlerschaft so selbst.

4. Willy Brandt

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Brandts Kanzlerzeit

Willy Brandt hatte schon zwei Mal für das Kanzleramt kandidiert und hatte jedes Mal gegen den Kandidaten der CDU verloren. Nach seiner zweiten Niederlage hatte er Bonn den Rücken gekehrt und kam erst 1966 als Außenminister und Vizekanzler der großen Koalition Kiesingers wieder zurück. Am 29.September 1969 entschied Brandt den Wahlkrimi für sich: In den ersten Hochrechnungen hatte die CDU fast die absolute Mehrheit erreicht, dann holten SPD und FDP allerdings auf, aus vier Mandaten Mehrheit wurden sechs und schließlich zwölf. Die CDU holte letztendlich zwar 46,1 Prozent der Stimmen, doch SPD und FDP verfügten zusammen über 48,5 Prozent. Der Parteivorsitzende Brandt ließ gegenüber dem Vorsitzenden der FDP, Walter Scheel, noch in der selben Nacht durchblicken, dass man zu Gesprächen bereit war.

So wurde Brandt am 21.Oktober 1969 zum vierten Bundeskanzler gewählt. Mit zwei Mandaten mehr als benötigt fiel die Wahl jedoch denkbar knapp aus. Drei Abgeordnete aus der eigenen Koalition hatten gegen ihn gestimmt. Schon jetzt ließ sich erkennen, dass nicht alle mit der sozial/liberalen Koalition zufrieden waren.

Brandt Regierungszeit war geprägt durch die Annäherung an die DDR und damit an den ganzen Osten. Er hatte erkannt, dass mit dem Pochen auf die Hallstein-Doktrin auch der Bundesrepublik die Isolation drohte. Er suchte als Erstes die Annäherung an den Kreml. Staatssekretär Egon Bahr genoss das volle Vertrauen Brandts und flog deshalb im Januar 1970 nach Moskau. Nach seinem dritten Besuch in Russland gab es eine die Rohfassung eines Vertrages zwischen Russland und Deutschland, die allerdings noch absolut geheim war. Und doch konnte man die meisten Inhalte kurze Zeit später in der Bild-Zeitung lesen. Die Bevölkerung war empört, denn sie wollte nicht auf die deutschen Ostgebiete, sprich Polen, verzichten. Nachdem die Menschen sich wieder beruhigt hatten, einigten sich Walter Scheel und Andrej Gromykos auf den „Moskauer Vertrag“, der Gewaltverzichtszusicherungen beider Seiten und die Anerkennung der bestehenden europäischen Grenzen enthielt. Am 12. August unterzeichneten Brandt und Leonid Breschnew den Vertrag.

Am 6. November 1972 wurde der Grundlagenvertrag mit der DDR unterzeichnet, in dem festgelegt war, dass beide Staaten Bemühungen anstellen würden, in die UNO aufgenommen zu werden und das in einigen Bereichen, wie z.B. Wissenschaft und Wirtschaft, enger zusammengearbeitet werden würde. Außerdem sagte die DDR zu, dass sie die Möglichkeiten der Reise in die DDR und wiederum in die BRD verbessern werde.

Die Opposition übte heftige Kritik an Brandts Politik und Oppositionsführer Rainer Barzel versuchte die Ostverträge zu stoppen. Doch sie passierten schließlich den Bundestag mit der Enthaltung der gesamten Opposition. Im Laufe der Zeit waren die zwölf Mandate Mehrheit, die man nach der Bundestagswahl im September 1969 erhalten hatte, alle zur Opposition übergelaufen, das letzte nahm am 20.April 1972 Wilhelm Helms mit zur CDU. Daraufhin brachte Barzel am 24. April ein konstruktives Misstrauensvotum gegen den Kanzler ein. Doch die Öffentlichkeit reagierte empört darauf. Sie wollte nicht, dass Willy Brandt, der äußerst beliebt war, durch einen Kanzler Barzel abgelöst würde, den man nicht gewählt hatte. Spontane Parteieintritte in die SPD und erste Warnstreiks im Ruhrgebiet zeigten, wie sehr man an Brandt hing.

Die Abstimmung im Bundestag folgte am 27. April. Im Gegensatz zur Opposition, die geschlossen zur Stimmabgabe antrat, nahm die SPD nicht teil, nur einige sichere FDP-Kandidaten wurden zur Urne geschickt, um eventuellen Überläufern aus der CDU bessere Tarnung zu gegen. Von 260 Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben hatten, hatten 247 mit „Ja“ gestimmt, zwölf mit „Nein“ und drei hatten sich enthalten. Damit hatten Barzel zwei Stimmen gefehlt. (Eine dieser Stimmen war ironischer Weise die von Wilhelm Helms, der von der Rede Walter Scheels Rede vor der Abstimmung so begeistert war, dass er seine Stimme doch Brandt gab.)

Die andere Stimme stammte von Julius Steiner, einem CDU-Hinterbänkler, der nach eigener Aussage von Fraktionsgeschäftsführer Karl Wienand 50 000 DM für seine Stimme bekommen hatte. Im Untersuchungsausschuss leugnete Wienand jegliche Zahlung, sodass das Ve rfahren eingestellt wurde. Die CDU hakte nicht weiter nach, konnte sich selbst doch auch keine weiße Weste haben. Vor der Abstimmung hatten beide Parteien versucht, sich gegenseitig die Abgeordneten abspenstig zu machen. Diese Affäre ramponierte das Ansehen der SPD.

Obwohl Brandt die Abstimmung gewonnen hatte, gelang es ihm nicht, den Haushalt durchzubringen. Barzel hatte die Abstimmung darüber für den nächsten Tag anberaumt; sie ging mit 247 zu 247 Stimmen aus. Damit war die Regierung in einer ausweglosen Situation, die nur durch Neuwahlen zu beheben war. Brandt stellte dem Parlament die Vertrauensfrage und da die Minister nicht abstimmen sollten, stimmten nur 233 Abgeordnete für den Kanzler. Somit wurde der Bundestag aufgelöst und eine Neuwahl anberaumt.

Der folgende Wahlkampf wurde ein „Willy-Wahlkampf“. Die SPD verlor an Sympathie, nicht zuletzt durch die Wienand/Steiner-Affäre, doch Willy Brandts Popularitätswerte und Beliebtheit stieg in ungeahnte Höhen.

Am 19.November 1972 war es so weit. Mit 91,1 Prozent Wahlbeteiligung wurde ein neuer Rekord aufgestellt.

Erstmals wurde die SPD stärkste Fraktion im Bundestag mit 45,9 Prozent. Die CDU/CSU erhielt 44,9 Prozent, die FDP 8,4 Prozent. Nun verfügte die Koalition mit 271 Sitzen über eine solide Basis zum Regieren. Brandt genoss in seiner eigene Partei immer weniger die Rückendeckung der anderen. Als er nach der Wahl mit einer Kehlkopfentzündung, von Ärzten zum Schweigen verurteilt, das Bett hüten musste und somit bei den Koalitionsverhandlungen fehlte, wurde das offensichtlich. Zwar versuchte er durch schriftliche Anweisungen seine Ansprüche geltend zu machen. Doch „vergaß“ Wehner beispielsweise einen Zettel Brandts in der Jackentasche und mit ihm auch die Kopie für Helmut Schmidt. Bei vielen Personalentscheidungen wurde der Kanzler vor vollendete Tatsachen gestellt. So wurde beispielsweise das Wirtschaftsministerium an die FDP gegeben, Kanzleramtschef Horst Ehmke ins Forschungsministerium verbannt, und von Horst Grabert beerbt, und Brandts Freund und Pressesprecher Conrad Ahlers wurde ebenfalls abgesägt. All das war gegen den Willen des Kanzlers.

Durch dieses Verhalten verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Brandt und Wehner rapide. Sie hatte sich noch nie wirklich gemocht, doch jetzt wurde es offensichtlich. So unterstützte der Kanzler den Fraktionsvorsitzenden nicht, als dieser nach einer DDR-Reise und einem Treffen mit Honecker vom nicht informierten Parteivorstand zur Rede gestellt wurde. Wehner setzte schließlich zur großen Kanzlerschelte an. Aber Brandt wollte es nicht auf eine Machtprobe innerhalb der Partei ankommen lassen und so ließ man die Sache auf sich beruhen. Doch Wehners Kritik blieb nicht ohne Folgen, vielmehr gab sie den Startschuss zum endgültigen Abstieg des Kanzlers. So gab FDP-Vorsitzender und Vizekanzler Walter Scheel bekannt, Nachfolger Heinemanns im Amt des Bundespräsidenten werden zu wollen.

Und Brandt glitten die Fäden in der Innenpolitik aus den Händen. Beispielsweise gab er der Forderung der Gewerkschaft ÖTV nach einer fünfzehnprozentigen Lohnerhöhung während der Tarifrunde 1974 trotz leerer Kassen nach. In der Öffentlichkeit rief das Unverständnis hervor, woraufhin Helmut Schmidt einen Wechsel an der Parteispitze forderte.

Am 24.April 1974 wurde Günter Guillaume [gi´jo:m], Referent im Kanzleramt, verhaftet. Guillaume war 1956 mit seiner DDR nach Frankfurt a.M. zur Schwiegermutter übergesiedelt. Nach außen hin war das eine ganz normale Familienzusammenführung, die allerdings durch eine Geldspritze vom Ministerium für Staatssicherheit unterstützt worden war. Gemäß Ostberliner Weisung trat das Ehepaar ein Jahr später in die SPD ein. Günter Guillaume arbeitete sich bis ins Kanzleramt hoch und bestand die Routineüberprüfung der Sicherheitsorgane ohne Abzüge. Er war unbeliebt, da er übertrieben fleißig, übertrieben neugierig, aber auch unauffällig und unentbehrlich war. Verraten wurde der DDR-Spion schließlich von Kommissar Zufall. Schon Anfang 1973 fiel einem Beamten im Kölner Amt für Verfassungsschutz auf, dass in drei ihm vorliegenden Spionagefällen der Name Guillaume auftauchte. Er erzählte einem Kollegen davon, der in den Fünfzigerjahren drei Funksprüche abgefangen hatte. In diesen Funksprüchen wurde einmal einem Georg und einmal einem gewissen „Chr.“ zum Geburtstag gratuliert und einmal wurde jemand zum „zweiten Mann“ beglückwünscht. Die beiden verglichen die Daten und fanden heraus, dass die Geburtstagsgrüße für „Georg“ an Günter Guillaume gerichtet waren und die für „Chr.“ an seine Frau Christel. Der letzte Funkspruch sollte Guillaume zur Geburt seines Sohnes gratulieren.

Am 29.Mai 1973 informierte Innenminister Hans-Dietrich Genscher den Kanzler, dieser jedoch wiegelte ab, da er sich so etwas nicht vorstellen konnte. Man beschloss jedoch, Guillaume zu überwachen.

Als der Kanzlertross im Sommer wie so oft nach Norwegen in den Heimatort von Brandts Frau Rut reiste und Kanzlerreferent Wilke eine Auszeit nahm, fuhr an seiner statt Guillaums mit. Seine Aufgabe in Hamar bestand darin, die eintreffenden Fernschreiben für den Kanzler an ihn weiter zu geben. Das tat er allerdings immer erst, nachdem er eine Kopie der Schreiben angefertigt hatte.

Aber nicht nur der Fall Guillaume bedeutete eine herben Dämpfer für Brandt. Denn nachdem der Spion keine verwertbare Aussage darüber machte, wer noch im Kanzleramt aus und ein gegangen war, wurde Brandt Begleitkommando verhört. Die wussten genau, wer wann wie lange geblieben war. In einem Schreiben, dass Klaus Kinkel Brandt überreichte, waren alle Besuch genau aufgeführt. Vor allem die Besucherinnen des Kanzlerzuges, in dem Brandt während des Wahlkampfes durch Deutschland gefahren war. Guillaume habe dem Kanzler Damen zugeführt. Dieser war empört darüber, dass diejenigen, die nicht in der Lage dazu gewesen waren, einen Spion von ihm fern zu halten, in seinem Privatleben herumgeschnüffelt hatten. Dennoch machte er weiter wie bisher, Günter Nollau, Präsident des Verfassungsschutzes, brachte brisantes Material zu seinem Mentor Wehner. Der sprach den Kanzler am 4.Mai 1974 in Bad Münstereifel darauf an, beteuerte jedoch, zu ihm zustehen so gut es ging, auch wenn es „hart werde“. Das war kein „Kanzlermord“, sondern nur „Sterbehilfe“. Dem verletzten Kanzler reichte das jedoch nicht, er brauchte Hilfe und Zuspruch. Am selben Abend sprach er mit Holger Börner und Karl Ravens. Sein Entschluss zurückzutreten festigte sich. Als Helmut Schmidt am nächsten Tag nach Münstereifel kam, war alles schon entschieden. Er versuchte Brandt umzustimmen und ihn davon zu überzeugen, dass solch „läppische Frauengeschichten“ doch kein Grund waren zurückzutreten. Und das, obwohl er Brandts Nachfolger werden sollte. Das wolle er schon, aber nicht unter solchen Umständen.

Zurück in Bonn verfasst Brandt seine Rücktrittserklärung und begründete seine Entscheidung mit dem Fall Guillaume.

Am 7.Mai 1974 erhielt Willy Brandt seine Entlassungsurkunde.

5. Helmut Schmidt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schmidts Kanzlerzeit

Als Willy Brandt infolge der Guillaume-Affäre gegenüber Schmidt verlauten ließ, dass er zurücktreten werde und Schmidt sein Nachfolger werden solle, schrie dieser ihn erst mal an. Doch als auch er den Kanzler nicht umstimmen konnte, war der Machtwechsel perfekt: Am 16.Mai 1974 wurde Helmut Schmidt der fünfte Bundeskanzler der BRD. Sein Amtsantritt fiel in eine Zeit, in der die Bevölkerung reformmüde war und Stabilität und einen Kanzler forderte, der die anstehenden Krisen meistern würde. Dieser Stimmungslage entsprechend wollte Schmidt handelt, wie es eigentlich auch seinem Naturell entsprach.

So wollte er nur Reformen realisieren, die auch bezahlbar waren. Auf keinen Fall wollte er alle Reformprojekte der Vorgängerregierung durchführen. Der Parteivorsitzende Brandt unterstützte ihn dabei so gut er konnte, indem er versuchte, dem Flügel der SPD, der Reformen um jeden Preis wollte, Schmidts Konzept schmackhaft zu machen.

Sein erstes Augenmerk lag auf der Außenpolitik. Auf der Abschlusstagung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki im Sommer 1973 trafen zum ersten Mal Diplomaten aller europäischen Länder, der USA und Kanadas aufeinander. Auch Vertreter der DDR waren anwesend. Nach fast zwei Jahren zäher Verhandlungen sollten nun die Verträge unterschrieben werden, in denen es hauptsächlich um drei Punkte ging: Bestehende Grenzen sollten nicht gewaltsam verändert werden und grenzüberschreitende wirtschaftliche und zwischenmenschliche Kontakte sollten zugelassen werden. Im Anschluss an diese Unterzeichnung traf sich Kanzler Schmidt mit dem polnischen Staats- und Parteichef Edward Gierek und handelte mit ihm aus, das bis 1980 125 000 Deutsche, wohnhaft in den ehemaligen deutschen Ostgebieten, aus Polen ausreisen durften. Außerdem erhielt Polen einen Milliardenkredit zu einem Zinssatz von zweieinhalb Prozent.

Um die innenpolitischen Wirtschaftsprobleme zu lösen, berief Schmidt in Absprache mit den Regierungschefs aus den USA, England und Frankreich ein Treffen der führenden Industrienationen ein. Am 15.November 1975 fand der Weltwirtschaftsgipfel erstmals in Rambouillet bei Paris statt. Anwesend waren Vertreter aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und den USA. Diese sicherten sich Koordinierung in Fragen des Handels, der Energieund Rohstoffpolitik und der Währungspolitik zu.

Das schwärzeste Jahr seiner Kanzlerzeit war das Jahr 1976. Nach den Landtagswahlen in Niedersachsen, die die CDU gewann, hatte diese ein deutliches Übergewicht im Bundesrat, was es Schmidt erschwerte, Gesetze durchzubringen. Die Bundestagswahl gewann die Regierungskoalition nur knapp: die SPD erhielt 42,6 Prozent, die FDP 7,9 Prozent und die CDU um ihren Spitzenkandidaten Helmut Kohl 48,6 Prozent. Bei seiner Wahl zum Bundeskanzler am 15.Dezember 1976 erhielt Schmidt nur eine Stimme über der erforderliche Mindestmehrheit. Und das obwohl die sozial-liberale Koalition über drei Stimmen verfügte. Das bedeutete, dass zwei Abgeordnete nicht zu ihrem Kanzler gestanden hatten. Im Jahr 1976 verschlechterten sich das Verhältnis zu den USA drastisch. Das lag vor allem daran, dass Schmidt den neuen US-Präsidenten Jimmy Carter nicht mochte. Außerdem brachte Carter die Entspannungspolitik zwischen den USA und der Sowjetunion, bei der der Kanzler als Vermittler diente, in Gefahr, indem er russischen Dissidenten öffentlich seine Sympathie bekundete.

1978 machte Carter der NATO Vorschläge für ein Aufrüstungsprogramm gegen die UdSSR. Es sollte ca. 20 Milliarden Mark kosten, von denen Deutschland etwa ein Drittel zahlen sollte. Das war angesichts der leeren Staatskassen allerdings reine Utopie.

Auf dem Vierergipfel von Frankreich, Großbritannien, Deutschland und den USA in Guadeloupe im Januar 1979 wurden erste Entwürfe für den NATO-Doppelbeschluss gemacht. Er enthielt sowohl ein Gesprächsangebot an die Sowjetunion als auch die Drohung, dass die NATO nachrüsten und in mehreren europäischen Ländern Raketen stationieren werde, sollte die UdSSR ihren Bestand an SS-20-Raketen nicht reduzieren.

Außerdem stimmte der Kanzler zu, dass weitere Atomkraftwerke gebaut werden sollte, falls eine „Energielücke“ auftreten würde. Infolgedessen bildete sich in Norddeutschland eine neue Partei: die „Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen“. 1980 wurde die Bundespartei „Die Grünen“ gegründet, die einen wirklichen Zulauf an Wählern erhielten, als der NATO-Doppelbeschluss offiziell gefällt wurde. Die pazifistisch eingestellte Partei organisierte Massenproteste, deren Wut sich gegen den Kanzler entlud.

Nachdem die russische Armee am 27.Dezember 1979 Afghanistan überfallen und erobert hatte, geriet Schmidts Entspannungspolitik völlig ins wanken. Die USA verkündeten ein Handelsembargo und kündigten an, an den Olympischen Sommerspielen in Moskau nicht teilzunehmen. Sie forderten die europäischen Länder auf, sich an diesem Boykott zu beteiligen. Deutschland folgte dem Ruf der Amerikaner, Frankreich nahm jedoch an den Spielen teil. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl im Sommer 1980 titulierte die CDU Schmidt als „Schulden-Kanzler“. Auch wurde ihm angekreidet, dass er dem NATO-Doppelbeschluss zugestimmt hatte.

Der Kanzler reiste nach Moskau, um Breschnew ernsthafte Gespräche über die Abrüstung anzubieten und damit den zweiten Teil des NATO-Doppelbeschlusses zu erfüllen. Breschnew willigte wider Erwarten ein, sodass Schmidt als Triumphator nach Deutschland zurückkehren konnte. Dieser Erfolg war das Beste, was ihm in der heißen Phase des Wahlkampfes passieren konnte.

Und er zeigte Wirkung: Die SPD gewann vier Sitze dazu und bekam 42,9 Prozent der abgegebenen Stimmen, die CDU blieb stärkste Kraft, verlor jedoch 17 Sitze und die FDP konnte sich auf 10,6 Prozent steigern.

Die Eintracht in der sozial-liberalen Koalition begann allerdings zu bröckeln. Vor allem in der Wirtschaftspolitik gab es einige Streitpunkte. Hinzu kam, dass immer mehr Firmen Pleite gingen, die Arbeitslosenzahl auf 1,27 Millionen stieg, die Unternehmen weniger investierten und immer mehr Sozialabgaben fällig wurden. Und auch in der eigenen Partei formierte sich eine Gruppe, die gegen die Politik des Kanzlers war, aber erst richtig bedrohlich wurde, als sich der Parteivorsitzende Brandt auf deren Seite schlug. Im Frühjahr 1982 gerieten die Koalitionspartner in Streit, an welcher Stelle im Etat für das laufende Jahr gespart werden sollte.

Am 3.Februar 1982 stellte der Kanzler dem Parlament die Vertrauensfrage, bei der alle Abgeordneten für Schmidt stimmten, obwohl dieser Genscher vorher nichts davon gesagt hatte und damit das Verhältnis zu ihm nicht wirklich verbesserte. Es folgte eine Kabinettsumbildung, bei der unter anderem der Posten des Finanzministers neu besetzt wurde.

Die Situation eskalierte im September 1982, nachdem die FDP nach der Landtagswahl in Hessen, die Koalition mit der SPD verließ und zur CDU überlief. Außerdem wurde bekannt, dass sich Genscher mehrere Male mit Helmut Kohl getroffen hatte, mit welchem er gut befreundet war. Schmidt wusste, dass die letzte Stunde der sozial-liberalen Koalition geschlagen hatte. Er überlegte, wie man eine Neuwahl herbeiführen konnte, musste aber erkennen, dass das unmöglich war. [Wenn ein Bundeskanzler zurücktritt, gestürzt wird oder die Vertrauensabstimmung verliert, so wird zuerst versucht, im Bundestag einen neuen Kanzler zu bestimmen. Erst wenn das nicht funktioniert, wird das Parlament aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt.]

Also entließ Schmidt die FDP-Minister aus ihren Ämter und führte daraufhin eine Minderheitsregierung. Am 1.Oktober 1982 stellten CDU und FDP im Bundestag die Vertrauensfrage. 256 Abgeordnete stimmten gegen den Kanzler und wählten damit Helmut Kohl zum neuen Bundeskanzler, 235 stimmten für Schmidt und vier enthielten sich.

6. Helmut Kohl

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kohls Kanzlerzeit

Am 1.Oktober 1982 übernahm Helmut Kohl das Kanzleramt von seinem Vorgänger Helmut Schmidt. Das wichtigste Ereignis seiner Kanzlerzeit war die Wiedervereinigung Deutschlands. Bevor es jedoch dazu kam, war seine Regierung im Sommer 1989 kurz vor dem Ende. Zum Streit mit den Koalitionspartnern kamen Probleme in der Politik. Doch auf dem Parteitag der CDU gelang es ihm, die Wogen zu glätten und alle wieder auf einen Kurs zu bringen. Denn er lenkte die Aufmerksam aller von den innerparteilichen Querelen auf etwas ganz anderes. Am 10.September verkündete er, dass DDR-Flüchtlinge von nun an aus der DDR ausreisen durften. Daraufhin nahm die Zahl derer, die aus der DDR nach Ungarn, fuhren drastisch zu. Bis Ende September waren es ca. 4000 Menschen, die sich auf dem Gelände der westdeutschen Botschaft in Prag aufhielten und darauf hofften, in den Westen ausreisen zu dürfen. Die DDR-Regierung beschloss, dass die Flüchtlinge per Bahn nach Westdeutschland reisen durften, über ostdeutsches Gebiet. Bundesaußenminister Genscher reiste nach Prag, um den Noch-DDR-Bürgern die frohe Botschaft zu bringen. Dabei ließ er sich feiern und heimste den ganzen Ruhm für sich ein. Kohl war darüber äußerst erbost, und die Beziehung zwischen den beiden bekam einen Riss.

Am 9.November reiste der Kanzler nach Polen. Durch diesen Besuch sollten die deutsch-polnischen Beziehungen verbessert werden. Doch am Abend des 9.November fiel die Mauer. Hunderttausende Deutsche stürmten die Mauer, nachdem sie einer missverständlichen Meldung des ZK-Mitgliedes Günther Schabowski entnommen hatten, dass von nun an alle DDR-Bürger aus der DDR ausreisen durften. Kohl musste sich entscheiden, ob er den äußert wichtigen Besuch in Warschau abbrechen und nach Berlin reisen sollte, oder ob er den Besuch zu Ende bringen sollte und damit vielleicht den gleichen Fehler begehen sollte, den Adenauer begangen hatte, als er zum Mauerbau nicht erschienen war. Und so entschied er sich, so schnell wie möglich nach Deutschland zurückzukehren.

In der Folge begann die DDR immer mehr zu zerfallen. Die Menschen wanderten im Strömen aus, die SED verlor immer mehr an Macht, zumal Gorbatschow ihr die Rückendeckung aus Moskau immer mehr entzog. Es bestand Handlungsbedarf. Und so trafen sich am 23.Novmeber die engsten Mitarbeiter beim Kanzler und entwarfen ein Zehnpunkteprogramm, einen Stufenplan für den Weg zur deutschen Einheit, dass am 28.November im Bundestag verlesen wurde. Es schlug ein wie eine Bombe, denn außer dem Kanzler selbst und einigen wenigen Vertrauten hatte niemand etwas davon gewusst. Noch nicht einmal der Vizekanzler hatte etwas davon gewusst. Die Reaktionen auf dieses Programm waren im Großen und Ganzen ähnlich: Die britische Premierministerin Thatcher war äußerst wütend, der französische Staatschef Mitterrand beleidigt und der sowjetische Kremlherr Gorbatschow empört über diesen Alleingang.

Am 10.Februar 1990 brach der Kanzler nach Moskau auf, um endgültig zu klären, was mit der DDR passieren sollte.

Man war sich darüber einig, dass Deutschland ein Land werden sollte, aber es blieb die Frage der Bündnisszugehörigkeit. Sollte Deutschland sich der NATO anschließen? Gorbatschow legte sich nicht fest und überließ es den Deutschen, dass zu entscheiden. Als Kohl daraufhin nach Deutschland zurückkehrte, wurde er gefeiert. Dabei steht heute außer Frage, dass nicht Kohl, sondern der Regierungschef der DDR, Hans Modrow, der eigentliche Auslöser für diese Entscheidung war. Der war nämlich schon am 30.Januar nach Moskau gereist und hatte dem Russen schonungslos offen gelegt, wie es um die DDR stand.

Am 18.Mai 1990 fand die erste freie Wahl in der DDR statt. Die „Allianz für , Deutschland“, bestehend aus Ost-CDU, DSU und dem „Demokratischen Aufbruch“, gewann. Und das vor allem, weil sie in ihrem Wahlkampf propagierte, dass sie die D-Mark so schnell wie möglich einführen würden.

Nach der Wiedervereinigung ging es bergab mit Helmut Kohl. Seine Akzeptanz in der Bevölkerung verschwand schlagartig, als der Solidaritätszuschlag eingeführt wurde und man entgegen den Versprechen des Kanzlers auf einmal doch als Preis für die Einheit tiefer in die Tasche greifen musste. Auch herrschte Unstimmigkeit über die Geschwindigkeit der Zusammenführung der beiden Staaten. Den einen ging es nicht schnell genug, den anderen wiederum zu schnell.

Die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl gewann der Kanzler, doch der Bonus, den er als „Einheitskanzler“ eigentlich haben sollte, machte sich nicht wesentlich bemerkbar. Auch 1994 gewann er die Wahl zum deutschen Bundeskanzler. Doch 1998 verlor er.

Damit war Helmut Kohl der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, der vom Volk direkt abgewählt wurde, nachdem Adenauer und Brandt zurückgetreten waren, Erhard entlassen, Kiesinger von den Koalitionsverhandlungen von SPD und FDP überrascht und Schmidt durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden war.

(Quellen: Guido Knopp „Kanzler- Die Mächtigen der Republik, C.Bertelsmann Verlag, München, 1999 stern 39/99 „Deutschland, deine Kanzler“)

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Kanzler der Bundesrepublik Deutschland
Autor
Jahr
2001
Seiten
11
Katalognummer
V101191
ISBN (eBook)
9783638996112
Dateigröße
383 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kanzler, Bundesrepublik, Deutschland
Arbeit zitieren
Kathrin Schneider (Autor:in), 2001, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101191

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