Sozialarbeit mit Inhaftierten. Mit besonderem Blickpunkt auf ihre Subkulturen


Essay, 2002

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Inhaftierte in ihrer Lebenswelt
2.1 Subkultur
2.2 Persönliches Hafterleben
2.3 Persönliche Folgen für den Inhaftierten

3 Konsequenzen für die Sozialarbeit mit Inhaftierten
3.1 Konsequenzen für die Sozialarbeit innerhalb der JVA
3.2 Konsequenzen für die Sozialarbeit „von außen“

4 Schlußbetrachtung bezogen auf die JVAs in Deutschland

5 Fazit
5.1 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Wieso beschäftigt sich dieses Essay mit dem Thema „Lebenswelt Inhaftierter? Es geht bei dieser Arbeit darum, welche Rückfallwahrscheinlichkeiten bei den Inhaftierten, nämlich wieder in einer JVA zu landen, zu erwarten sind. Nicht selten haben wir uns als SozialarbeiterInnen diese Frage gestellt, ob nicht der eine oder andere Inhaftierte dorthin zurückkehrt. Leider gibt es keine genaue Rückfallstatistik1, da viele Rückfälle z.B. verdunkelt bleiben. Sie kann somit keine genauen Angaben über die tatsächliche Verhaltensänderung eines Inhaftierten nach der Entlassung geben. Von einzelnen Gesprächen mit beispielsweise Bediensteten in Bezug auf die JVA Hannover ist zu erfahren, dass einige Häftlinge wieder zurückgekehrt seien. Teilweise erhalten die noch Inhaftierten ebenfalls eine solche Prognose von ihnen. Allein bestehende Statistiken über Wiedereinlieferung2 in Justizvollzugsanstalten lassen bei näherer Betrachtung allerdings eine weitere Frage aufkommen: Wieso gibt es Rückfälle schon allein in dieser meßbaren Größenordnung? Michael Hürlimann bringt dies ursächlich mit der These in Zusammenhang, dass Subkulturen innerhalb der JVA-Mauern einen hohen Beitrag dafür leisten (vgl. Hürlimann 1993, S. 9f.). Diese These soll durch eine genauere Betrachtung und Beschreibung jener Subkulturen verfestigt oder angezweifelt werden (unter 3.).

Am Schluß sollen die Konsequenzen für die soziale Arbeit von innen und von außerhalb der JVA, die sie aus diesen Ergebnissen zu ziehen sind, zur Sprache kommen.

2 Inhaftierte in ihrer Lebenswelt

Es folgt nun eine genauere Betrachtung, in welcher Lebenswelt die Häftlinge sich befinden. Infolgedessen kommt dem Begriff der Subkultur eine starke Bedeutung zu und wird deshalb definiert und näher erläutert.

2.1 Subkultur

2.1.1. Definition

Die Kultur ist die Summe aller Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen, Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. in einer konkreten Gesellschaft. ...Somit ist Subkultur ein Teil einer konkreten Gesellschaft, der sich in seinen Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen, Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. in einem wesentlichen Ausmaß von den herrschenden Institutionen etc. der jeweiligen Gesamtgesellschaft unterscheidet“ (zit. n. Hürlimann 1993, S. 3f.).

Diese Definition umschreibt den Begriff „Subkultur“ sehr deutlich. Vereinfacht und verkürzt ausgedrückt, könnte sie mit anderen Worten folgendermaßen benannt werden: Subkultur bedeutet die unterscheidbare und abgrenzbare Mikrokultur in ihrer jeweiligen Makrokultur.

Es wird zwischen extra- und intramuralen3 Subkulturen unterschieden (vgl. ebda.). Extramurale beziehen sich z.B. auf Drogensubkulturen oder Jugendbanden. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll jedoch näher auf die intramuralen Subkulturen eingegangen werden: Die Häftlinge folgen in ihrem Umfeld, sprich dem Vollzugshaus mit ihrem/ ihre VollzugsleiterIn, den Bediensteten etc., gewissen aufdoktrinierten Normen. Allerdings haben sie selbst gewisse Normen für sich aufgestellt. In diesem Rahmen gelten Regeln, die es einzuhalten gilt (vgl. Kaufmann 1974, S. 107). Verfolgt jemand sie nicht, hat er Konsequenzen von seinen Mithäftlingen zu erwarten, die sich durch subkulturelles Verhalten verbunden haben. Bei Befolgung werden sie hingegen durch positive Bestätigung in Form von Wohlwollen, für sie positive Gegenreaktionen, Verfestigung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe etc. belohnt.

Im Folgenden soll nun ein näherer Blick auf die Eigenschaften solcher Subkulturen geworfen werden, um Verhaltensweisen Inhaftierter besser verstehen zu können.

2.1.2. Kennzeichen der intramuralen Subkulturen

Die Sprache der Inhaftierten paßt sich ihren Subkulturen an (vgl. Hürlimann 1993, S.10f.). Beispielsweise haben gerade Drogenabhängige eine verstärkte Codierung der Begrifflichkeit von Suchtmittel in Petto, die sie schon teilweise in ihrer extramuralen Subkultur angewendet haben. Diese bringen sie in die JVA hinein und verändern sie gegebenenfalls. Kennt sich der Zuhörer mit ihr nicht aus, so hat er das Gefühl, einer Fremdsprache zu begegnen. Für Häftlinge dient sie dem Zusammengehörigkeitsgefühl. Außerdem können dadurch ihre Aktivitäten und Interessen besser vor den Bediensteten versteckt werden.

Die soziale Struktur ist selbstverständlich von subkulturellen Äußerungen geprägt. Gibt sich ein Häftling konform mit seiner jeweiligen Gruppierung, nämlich über Straftaten der Mithäftlinge, die während eines Vollzugs begangen werden, hinweg zu sehen, hat er nichts „Schlimmes“ zu erwarten. Macht er allerdings das Gegenteil oder steht in „gutem“ Kontakt mit den Bediensteten, kann er mit Sanktionen bis Gewaltanwendungen rechnen (Kaufmann 1974, S.107f.). Dies macht allerdings deutlich, dass seitens der Häftlinge Grenzen gegenüber dem Personal gezogen werden (näheres s.u.).

Eine weitere Einzelheit, die Michael Hürlimann in seiner Ausarbeitung beschreibt, ist: Die Gewalt- und Machtverhältnisse innerhalb der Subkulturen (vgl. Hürlimann 1993, S.14-17). Nicht selten treten demnach kriminelle Handlungen auf, die es einerseits zum Ziel haben, eine gewisse „Hackordnung“ unter den Gefangenen aufrecht zu erhalten bzw. zu verfestigen oder gewisse Zuwendungen z.B. materieller Art ( Zigaretten, Drogen etc.) zu erpressen. Dies kann ganz gewöhnlich unter Gewaltandrohung oder durch tatsächliche Handlungen zum Zuge kommen.

Es gibt leider wenige statistischen Erhebungen, die zu stichhaltigen Angaben führen. Allerdings sprechen viele Gefangenenerfahrungen für Gewaltäußerungen innerhalb einer JVA. Dass jedoch keine offiziellen Meldungen über aufgetretene Gewaltformen in Haftanstalten vorliegen, mag daran liegen, dass die Normen der „Bediensteten-Kultur“ sie im Rahmen ihrer Tätigkeit verbietet. Deshalb geschieht Gewalt meist im Verborgenen (Middendorff, 1987, S. 116), wo lediglich die Folgen zu sehen sein könnten. Größtenteils werden diese wiederum seitens der Inhaftierten verschwiegen und verdeckt, um nicht noch mehr Konsequenzen ihrer Mithäftlinge erdulden zu müssen. Zum anderen wird sie sicherlich durch eine „Weg-Schau-Strategie“ der Bediensteten begünstigend ignoriert oder verdrängt.

Die homosexuelle Gewalt, die an Gefangenen verübt werden, umschreibt ein genauso großes Dunkelfeld. Es treten dabei Erscheinungen auf, in denen neue oder schwächere bzw. im unteren Drittel der Gefangenenordnung stehenden Häftlinge sexuell mißbraucht werden. Homosexuelle Aktivitäten im Allgemeinen können aber auch verschieden motiviert sein. Sie müssen sich nicht zwangsläufig durch Gewaltanwendungen äußern: Die einen mögen eine tatsächliche Neigung, die anderen durch den langen „Entzug“ des weiblichen Objektes Übergangsformen aufweisen. Die Nächsten versuchen bloße Machtverhältnisse den Mitgefangenen zu symbolisieren und wiederum andere, diese „Gefälligkeiten“ gegen Suchtmittel eintauschen zu wollen. Dabei übernehmen die einen den aktiven, die anderen eher den passiven Teil sexueller Handlungen (Harbordt 1967, S.68-73).

Auch der Schwarzmarkthandel ist ein häufig auftretendes Phänomen. Er erstreckt sich von Genuß- bis zu Suchtmitteln. Dass der Handel nicht immer reibungslos abläuft, versteht sich von selbst. Beispielsweise treten auch hier Erpressung durch Gewaltandrohung in Erscheinung. Manchmal muss sich ein Drogenabhängiger erst Geld für Suchtmittel erpressen, direkt stehlen oder sich prostituieren, um sich die gewünschte Ware leisten zu können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sollte hier noch einmal als Extrapunkt erwähnt werden: Die ablehnende Haltung gegenüber den Bediensteten. Solch eine ablehnende Haltung bezieht sich auf alle gewaltrepräsentierenden Einrichtungen (Polizei, Justiz etc.) (Hürlimann 1993, S.6f.). So kann sich zwangsläufig auch eine JVA nicht dieser Betrachtungsweise entziehen. Es ist sehr wichtig, sie als separat erscheinendes Phänomen zu sehen, da es gerade für SozialarbeiterInnen innerhalb der Vollzugsmauern schwierig zu verstehen ist, warum ihre Gruppenangebote nicht oder nur schlecht angenommen werden. Wenn die Angebote generell von der Subkultur allein aus Desinteresse z.B. abgelehnt werden oder der Bedienstete nicht ihr Vertauen genießt, so hat er Schwierigkeiten mit der erfolgreichen Durchführung eines solchen Programms.

Dies wiederum entspringt den Normen und Werten der Inhaftierten, die dahinter verborgen sind. Es werden Normen aufgestellt, wie „den Mithäftling nicht zu verraten; nicht auf die Seite der Bediensteten zu wechseln; die angesprochene Homosexualität der anderen zu tolerieren“ etc. (vgl. Harbordt 1967, S.21-26). Selbst überholte Männlichkeitsbilder, „keine Gefühle zu zeigen oder immer stark sein zu müssen“, bleiben hier erhalten. Anderseits kommt es zu einem Rückgang von Werten wie Religiosität, Ehrlichkeit, Leistung und Güte. Dieser wird mit zunehmender Haftdauer größer (Hürlimann 1993, S.8).

2.2 Persönliches Hafterleben

Gerade bei Langzeitinhaftierten kann die Zeit bis zur Haftentlassung unerträglich lang erscheinen. Der Entzug von Aktivitäten und allgemeiner Freiheit hat persönliche Folgen. Von einer anfänglichen Rebellion gegen das System der JVA getrieben, vielleicht mit aktiven Regelverstößen, weicht nun zunehmend diese dem Konformgang mit den gegebenen Verhältnissen. Je länger der Aufenthalt dauert, desto mehr nagt es am allgemeinen Interesse des Häftlings. Es tritt für ihn mehr und mehr ein Reiz-Reaktions-Schema in Kraft (vgl. Wetter 1972, S. 26-31). Es bieten sich lediglich nur die Essensausgabe, der tägliche Ausgang mit seinen Mithäftlingen und Gruppenangebote (wenn sie denn besucht werden) als Abwechslung an. Der Gefangene muss schon eine gewisse Portion an Eigeninitiative in die JVA mitbringen, um diesen Prozess des Desinteresses und Motivationsabfall aktiv widerstehen zu können. Selbst Bücher, Fernsehen/ Play-Station oder das tägliche Onanieren schaffen nicht 100%-ige sinnvolle Tagesabwechslung.

[...]


1 Nach einer Email-Anfrage an das Statistische Bundesamt und dessen Antwort vom 13.11.01: „Eine echte Rückfallstatistik, bei denen nach der Haftentlassung prospektiv Daten über Rückfälligkeit bzw. Legalbewährung in einem bestimmten Zeitraum erhoben werden, wurde bisher in Deutschland nicht durchgeführt. Im Rahmen der Strafvollzugsstatistik (Stichtagserhebung zum 31.3.00) wird dagegen erhoben, ob die aktuell im Strafvollzug einsitzenden Personen bereits vorbestraft sind und ob sie bereits im Strafvollzug waren, ob sie also wiedereingeliefert wurden.“

2 Statistisches Bundesamt: Tabelle 4, Fachserie 10, Reihe 4.1. vom Jahr 2000.

3 Unter dem Begriff „intramurale Subkultur“ ist die Subkultur zu verstehen, die sich“ innerhalb der Mauern“ einer JVA befindet: Das Wort „intra“ kommt aus dem lateinischen und bedeutet „innerhalb“; „mural“ kommt von „muralis“ und bedeutet „zur Mauer gehörig“.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Sozialarbeit mit Inhaftierten. Mit besonderem Blickpunkt auf ihre Subkulturen
Hochschule
Hochschule Hannover  (Soziale Arbeit)
Veranstaltung
Projektgruppenarbeit
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V1012321
ISBN (eBook)
9783346404541
ISBN (Buch)
9783346404558
Sprache
Deutsch
Schlagworte
JVA, Gruppenarbeit, Resozialisierung, Justizvollzuganstalt, Sozialarbeit
Arbeit zitieren
Diplom Sozialarbeiter/ -pädagoge, MBA Marc Ehlerding (Autor:in), 2002, Sozialarbeit mit Inhaftierten. Mit besonderem Blickpunkt auf ihre Subkulturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1012321

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