Inhaltsverzeichnis
VORWORT
1. DER AUTOR - FRIEDRICH DÜRRENMATT
2. DAS WERK - "DIE PHYSIKER"
2.1. ZUM STÜCK "DIE PHYSIKER"
2.2. ZUSAMMENFASSUNG
2.3. PERSONEN UND CHARAKTERE
2.3.1. Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd
2.3.2. Johann Wilhelm Möbius
2.3.3. Newton und Einstein
3. ANALYSE UND INTERPRETATION
SCHLUSSWORT
QUELLENVERZEICHNIS
Vorwort
Ich habe "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt für meine Literaturarbeit gewählt, weil mich einerseits die Thematik des Stückes interessiert und ich andererseits faszi- niert bin von der Art, wie Dürrenmatt aus einer an und für sich tragischen Handlung eine Komödie schuf. Sein gut verständlicher, realistischer Schreibstil und seine Fä- higkeit während des ganzen Werkes die Spannung zu erhalten, hat mir gut gefallen.
Das Stück ist ein grandioses Werk und ich empfehle jedem sich die Zeit zu nehmen um sich davon zu überzeugen.
1. Der Autor - Friedrich Dürrenmatt
Friedrich Dürrenmatt wird am 5. Januar 1921 in Konolfingen (Kanton Bern) als Sohn eines Pfarrers geboren. Er besucht das Gymnasium mit mässigem Erfolg und studiert anschliessend Philosophie, Literatur- und Naturwissenschaften, ohne jemals einen Abschluss zu machen1.
Zu schreiben beginnt er während des Zweiten Weltkrieges, den er, in der Schweiz lebend, durch Zeitungen und Rundfunk miterlebt. Sein Werk umfasst neben zahlrei- chen Theaterstücken, auch Hörspiele, Kriminalromane und theoretische Schriften.
Erste Werke von Dürrenmatt erscheinen nach dem Zweiten Weltkrieg. Er versucht in seinen Stücken als einer der ersten die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges aufzuarbeiten. Mit seinen Kriminalromanen "Der Richter und sein Henker" (1950) und "Der Verdacht" (1952) erlangt er grossen Erfolg.
Nach seinen Erfolgen als Kriminalautor beginnt sich Dürrenmatt mehr mit Gesell- schaftsproblemen zu beschäftigen. Es entstehen die berühmtesten Werke Dürren- matts: "Der Besuch der alten Dame" (1956) und das hier vorgestellte Werk "Die Phy- siker" (1962).
Ab 1966 beginnt für Friedrich Dürrenmatt eine neue Schaffensphase - er bearbeitet fremde und eigene Werke für die Bühne, so zum Beispiel "König Johann" nach Shakespeare oder "Urfaust" nach Goethe.
Friedrich Dürrenmatt stirbt am 14. Dezember 1990 im Alter von 69 Jahren in seinem Haus in Neuchatel.
2. Das Werk - "Die Physiker"
2.1. Zum Stück "Die Physiker"
"Die Physiker" wurde zu Dürrenmatts zweitem grossen Welterfolg und zum meistgespielten Werk in der Spielzeit 1962/632 auf deutschsprachigen Bühnen.
Die internationale Politik zur Zeit der Entstehung des Werkes war vom Koreakrieg, dem Mauerbau und der Kubakrise geprägt. Das Wettrüsten der Supermächte nahm stetig zu und das Verhältnis zwischen der USA und Russland wurde immer ange- spannter - ein Atomkrieg schien möglich. Die Frage war, ob es beim Kalten Krieg bleiben würde oder ob dieser Konflikt in einer atomaren Auseinandersetzung enden würde.
Das 1962, also mitten im Kalten Krieg entstandene Stück "Die Physiker" handelt von dieser Thematik - der atomaren Bedrohung der Welt. Dürrenmatt greift in seinem Werk ein Weltproblem auf, das er in einer stark vom Zufall abhängigen Handlung beschreibt. Dies begründet er damit, dass seiner Ansicht nach die Kunst des Dramatikers darin besteht, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen. 3 Somit ist es nicht verwunderlich, dass das Werk am Ende seinen schlimmstmöglichen Ausgang nimmt - Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat. 4
Dürrenmatt will damit aufzeigen, dass ein planmässiges Vorgehen durch Zufall vereitelt werden kann und ein noch so guter Plan in einer Katastrophe enden könnte:
Planmässig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel errei chen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchten, was sie vermeiden suchten (z.B. Ö dipus). 5
Das Werk - "Die Physiker" - 6 -
Er wählt für sein Werk die streng klassische Form: Einheit von Ort, Zeit und Hand lung 6 . So verlässt er nie den Gemeinschaftsraum der Irrenanstalt und die Handlung würde im echten Leben auch nicht länger dauern als auf der Bühne.
Dürrenmatt bezeichnet das Stück als Komödie mit der Begründung, dass in der heu- tigen Zeit nur noch das Komische dem Realen beikommt. Die klassische Tragödie kann die heutige Zeit nicht mehr darstellen. Sie verlangt einen Helden, der frei ent- scheiden kann und daher auch für sein Schicksal selbst verantwortlich ist. In der heu- tigen Zeit ist dies jedoch nicht möglich. Jeder ist eingeschlossen in einem Gesell- schaftssystem, aus dem es für ihn kein Entrinnen gibt. Er handelt nicht mehr nach freiem Willen, sondern muss sich dem Willen vieler unterwerfen. 7 Diese Form des Schreibens, in der sich die Tragödie und die Komödie vermischt, nennt man "Tragi- komödie". Sie ist gekennzeichnet durch eine der Komödie entsprechenden Handlung mit einem tragischen Ende.
Die Uraufführung des Stückes fand am 21. Februar 1962 im Schauspielhaus Zürich8 statt. Nach der Erstaufführung ausserhalb der Schweizergrenze am 21. September 1962 in München9 folgen Inszenierungen im ganzen deutschen Sprachraum - da- nach Erstaufführungen in der ganzen Welt, von Belgrad bis Lima, von Johannesburg bis Mexico-City, unter anderem am 9. Januar 1963 am Aldwych Theater in London10 und am 13. Oktober 1964 am Martin Beck Theater in New York11 Im selben Jahr wird das Stück für die ARD als Fernsehspiel bearbeitet und am 5. November 196412 erst- ausgestrahlt. 198013 erscheint eine Neufassung des Werkes, die aber keine grund- sätzlichen Änderungen am Text bringen.
Vor allem zu Beginn der achtziger und auch in den neunziger Jahren zählt "Die Physiker" erneut zu den meistgespielten Bühnenstücken des deutschen Sprachraums.
2.2. Zusammenfassung
Die Handlung des Stücks spielt im Salon der Villa eines privaten Sanatoriums, oder besser gesagt eines Irrenhauses14. In der schon etwas verlotterten Villa leben drei Pa- tienten. Es sind dies die Physiker Herbert Georg Beutler, der von sich behauptet er sei Newton, Ernst Heinrich Ernesti, der sich für Einstein hält und Johann Wilhelm Möbius.
Leiterin und Gründerin des Irrenhauses ist Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd, die Irre- närztin. Sie ist die einzige noch lebende einer einst angesehenen und mächtigen In- dustriellenfamilie und geniesst einen guten Ruf als Menschenfreundin und Psychiate- rin.
Jeder der oben genannten Physiker ermordet im Verlauf der Handlung seine Krankenschwester aus zunächst nicht ersichtlichen Gründen. Wie sich später herausstellt geschieht jeder Mord nur zur Verhüllung dereigenen echten Identität.
Beim Mittagessen überrascht Newton die beiden anderen Physiker mit einem Ges- tändnis. Er gesteht, dass sein wirklicher Name Alec Jasper Kilton ist, der Begründer der Entsprechungslehre, und dass er sich in das Irrenhaus eingeschlichen hat, um hinter das Rätsel um Möbius Verrücktheit zu kommen. Er ist Angehöriger eines Ge- heimdienstes und hat seine Krankenschwester nur deshalb umgebracht, weil sie sei- ne wahre Identität erahnt hat. Er hält Möbius für den grössten Physiker aller Zeiten, hat alle seine Schriften gelesen und muss ihn nun im Auftrag seines Geheimdienstes überwachen.
Nach diesem Geständnis gibt Einstein (Ernst Heinrich Ernesti) ebenfalls zu, dass er nicht verrückt sei. In Wahrheit ist sein richtiger Name Joseph Eissler, der Entdecker des Eissler-Effekts. Auch er arbeitet für einen Geheimdienst und es ist ebenfalls seine Aufgabe Möbius zu bewachen.
Nun bekennt auch Möbius, dass er eigentlich gar nicht verrückt sei. Weil er hinter das Geheimnis der Gravitationslehre und der Feldtheorie gekommen ist und nun fürchtet, dass seine Entdeckungen für die Menschheit verheerende Folgen hätten, falls sie bekannt würden, ist er ins Irrenhaus geflüchtet.
Beide Agenten bemühen sich Möbius für sich zu gewinnen. Doch sie müssen sich eingestehen, dass nur Möbius selbst entscheiden kann, welcher Seite er sein Wissen zur Verfügung stellen will.
Da gesteht Möbius, dass er sein Manuskript bereits verbrannt hat. Er begründet dies damit, dass er nicht in die Abhängigkeit von Politikern kommen möchte und deshalb hat er sich entschlossen, sein Wissen nicht zu veröffentlichen. Nach diesem Geständnis entschliessen sich auch Newton und Einstein im Irrenhaus zu bleiben - als vermeintlich Irre und, mittlerweile, echte Mörder wollen sie weiterleben.
Nun erscheint die Leiterin des Irrenhauses mit ihren Pflegern im Salon. Zur Überraschung der Physiker werden diese mit ihrem richtigen Namen angesprochen. Aus dem Mund von Fräulein Dr. von Zahnd erfahren die Physiker, dass sie ihr Bündnis umsonst geschlossen haben. Sie habe seit Jahren sämtliche Manuskripte von Möbius heimlich fotokopiert und besitze nun "das System aller möglichen Erfindungen" 15 um die Weltherrschaft an sich zu reissen.
Die Lage der Physiker ist aussichtslos geworden. Sie müssen, als gefährliche Geisteskranke zum Schweigen verurteilt, ihr Dasein weiterhin im Irrenhaus fristen, das sich nun plötzlich als Gefängnis erweisst. In kurzen Schlussmonologen geben sie ihrer tiefen Resignation Ausdruck.
2.3. Personen und Charaktere
2.3.1. Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd
Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd ist Gründerin, Eigentümerin und oberste Ärztin des Sanatoriums "Les Cerisiers". Sie führt ihre Irrenanstalt mit viel Erfolg, denn in ihrem Haus sind stets die wohlhabendsten Funktionäre aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft untergebracht. Medizinisch geniesst sie Weltruf.
Anfänglich zeigt sich Fräulein Dr. von Zahnd sehr freundlich. Sie behandelt ihre Patienten mit Geduld und bringt ihnen viel Verständnis entgegen.
Später zeigt sich die immer stärker ins Bild tretende Sucht nach Macht, so zum Beispiel gegenüber dem Inspektor, dem sie klar macht, dass sie entscheidet, für wen sich ihre Patienten halten. Dieser negative Eindruck bestätigt sich nach dem dritten Mord in ihrer Klinik. Der gewaltsame Tod der Schwester ist für sie nicht das Schlimmste, vielmehr fürchtet sie ihren medizinischen Ruf zu verlieren:
"Dieser dritte Unglücksfall hat mir in "Les Cerisiers" gerade noch ge fehlt. Ich kann abdanken. Monika Stettler war meine beste Pflegerin. Sie verstand die Kranken. Sie konnte sich einfühlen. Ich liebte sie wie eine Tochter. Aber ihr Tod ist noch nicht das Schlimmste. Mein medizinischer Ruf ist dahin." 16
Hier zeigt sich erstmals, wie egoistisch sie denkt. Die zuerst menschlich wirkende Person scheint immer unmenschlicher zu werden und zuvor positive Charakterzüge wandeln sich ins Negative.
Ihr wahres Gesicht zeigt die Irrenärztin am Ende des Stückes. Sie gibt zu, dass die Morde einkalkuliert waren und dazu dienten, ihren Plan von der Weltbeherrschung zu verwirklichen. Es zeigt sich, dass die Ärztin selber geisteskrank ist: Sie ist grössenwahnsinnig und ihr erscheint König Salome.
2.3.2. Johann Wilhelm Möbius
Möbius ist neben Fräulein Dr. von Zahnd die zweite zentrale Figur in diesem Stück. Er ist ein ehrgeiziger und zielstrebiger Mensch, studierte Physik und war kurz davor Professor zu werden - da wurde er krank.
Sein Weg in die Irrenanstalt war eine Folge seiner neusten physikalischen Erkennt- nis. Er sah sich gezwungen, sich selbst als ein Verrückter auszugeben, um die Menschheit vor verheerenden Auswirkungen durch die von ihm entdeckte Weltformel zu bewahren:
"Es war meine Pflicht, die Auswirkungen zu studieren, die meine Feldtheorie und meine Gravitationslehre haben würden. Das Resultat war verheerend. Neue, unvorstellbare Energien würden freigesetzt und eine Technik ermöglicht, die jeder Phantasie spottet, falls meine Untersuchungen in die Hände der Menschen fiele." 17
Um seine Erkenntnisse zu verheimlichen gibt er sein ganzes Leben preis, in dem er vor seiner Familie den Verrückten spielt und diese verflucht. Gesteigert wird diese Verhalten durch den Mord an der Pflegerin Monika, den er so rechtfertigt: "Ich habe getötet, damit nicht ein noch schrecklicheres Morden anhebe." 18
Dies zeigt den idealistischen und gleichsam unmoralischen Charakter von Möbius, der darunter leidet die Weltformel entdeckt zu haben und seither ständig mit dieser schwerwiegenden Verantwortung zu kämpfen hat. Am Ende scheitern aber all seine Bemühungen. Sein Spiel, der Menschheit einen Verrückten vorzuspielen, war von Anfang an durchschaut worden - die Realität holte ihn ein. Dürrenmatt zeigt in den "21 Punkten zu den Physikern" auf weshalb Möbius von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist: "Was alle angeht, können nur alle lösen" 19 und somit gilt "Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern." 20
2.3.3. Newton und Einstein
Weder Herbert Georg Beutler (alias Newton, mit richtigem Namen Alec Jasper Kilton) noch Ernst Heinrich Ernesti (alias Einstein, mit richtigem Namen Joseph Eisler) sind in Wirklichkeit geisteskrank. Beide sind Geheimagenten rivalisierender Mächte mit dem gemeinsamen Ziel - der Beschaffung der Weltformel.
Im Zweiten Akt gestehen sowohl Newton, wie auch Einstein ihre wahre Identität gegenüber Möbius und geben zu, die Krankenschwestern nur umgebracht zu haben um ihre Anonymität zu bewahren.
Dabei wird aufgezeigt, welche Einstellung die beiden Physiker gegenüber der Wissenschaft und deren Verantwortung haben. Newtons Auffassung zeigt sich deutlich im Zwiegespräch mit Möbius:
"Es geht um die Freiheit unserer Wissenschaft und um nichts weiter. Wir haben Pionierarbeit zu leisten und nichts ausserdem. Ob die Menschheit den Weg zu gehen versteht, den wir ihr bahnen, ist ihre Sache, nicht die unsrige." 21
Er legt die Verantwortung der Wissenschaft ab und plädiert für freies Forschen ohne Rücksicht auf das Wohlergehen der Menschheit. Dies ist die Position des kapitalisti- schen, westlichen Wissenschaftlers - wobei sich die von ihm angestrebt "Freiheit" als illusionär erweist. Die Physiker müssen im Auftrag der Politiker wissenschaftliche Probleme lösen, die für die Landesverteidigung entscheidend sind - sie sind somit Gefangene der Regierung.
Einstein andererseits geht es vordergründig um die mit der Wissenschaft verbundene Macht:
"Mir ist bloss mein Generalstab heilig. Wir liefern der Menschheit ge- waltige Machtmittel. Das gibt uns das Recht, Bedingungen zu stel- len." 22
Diese Ansicht markiert die Einstellung des sozialistischen Forschers, der sich völlig in den Dienst seiner Regierung stellt. Seine Ideologie macht ihn zum willfährigen Instrument der politischen Führungskräfte. Möbius fragt Einstein:
"Können Sie die Partei im Sinne Ihrer Verantwortung lenken, oder laufen Sie Gefahr, von der Partei gelenkt zu werden?" 23
Daraufhin antwortet Einstein:
"Möbius! Das ist doch lächerlich. Ich kann natürlich nur hoffen, die Partei befolge meine Ratschläge, mehr nicht. Ohne Hoffnung gibt es nun mal keine politische Haltung." 24
Damit zeigt sich, dass auch Einstein seiner Regierung völlig ausgeliefert ist und auch er Möbius nicht überzeugen kann, seine Erkenntnisse preiszugeben:
Möbius: "Merkwürdig. Jeder preist mir eine andere Theorie an, doch die Realität, die man mir bietet, ist dieselbe: ein Gefängnis. Da ziehe ich mein Irrenhaus vor. Es gibt mir wenigstens die Sicherheit, von Politikern nicht ausgenützt zu werden." 25
Am Ende gelingt es Möbius die beiden Physiker zu überzeugen, gemeinsam mit ihm in der Anonymität des Irrenhauses weiter zu leben um damit die Menschheit vor ihrem Untergang zu schützen:
"Entweder löschen wir uns im Gedächtnis der Menschen aus, oder die Menschheit erlischt." 26
3. Analyse und Interpretation
Das Werk von Friedrich Dürrenmatt rückt die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Menschheit ins Zentrum. Sollte ein Wissenschaftler eine Entdeckung machen, von der er annehmen muss, dass sie zu grauenhaften Auswirkungen führen kann - wie hat er sich in einem solchen Fall zu verhalten?
Im Stück entdeckt der geniale Physiker Möbius eine Formel, die sämtliche Probleme der Physik löst. Als er erkennt, welch ungeheure Macht mit dieser Entdeckung ver- bunden ist, zieht er sich aus der Gesellschaft zurück und versucht seine Erkenntnis vor der Menschheit zu verbergen. Er will vermeiden, dass die Wissenschaft zu einem Machtwerkzeug der Politiker wird. Ihm ist klar geworden, dass der Staat als Kontroll- organ über seine Theorien nicht in der Lage ist, sie vor einem Missbrauch zu schüt- zen:
"Es gibt Risiken, die man nie eingehen darf: der Untergang der Menschheit ist ein solches. Was die Welt mit den Waffen ausrichtet, die sie schon besitzt, wissen wir, was sie mit jenen ausrichten würde, die ich ermögliche, können wir uns denken. Dieser Einsicht habe ich mein Handeln untergeordnet." 27
Weil Möbius davon überzeugt war, dass der Staat seine Theorie dazu verwenden würde, um Vorteile gegenüber anderen zu schaffen und nicht, wie von ihm beabsichtigt, zum Wohle der Menschheit, entschliesst er sich, sein Wissen nicht zu veröffentlichen. In seinen Augen ist die Wissenschaft an einem Punkt angelangt, an dem die Menschheit den neuen Erkenntnissen nicht mehr gewachsen ist:
"Unsere Wissenschaft ist schrecklich geworden, unsere Forschung gefährlich, unsere Erkenntnis tödlich. Es gibt für uns Physiker nur noch die Kapitulation vor der Wirklichkeit. Sie ist uns nicht gewach- sen. Sie geht an uns zugrunde. Wir müssen unser Wissen zurück- nehmen, und ich habe es zurückgenommen. Es gibt keine andere Lösung." 28
Er ist bereit sein Leben zu opfern und auf sämtlichen Ruhm zu verzichten um damit die Menschheit vor ihrem Untergang zu bewahren. Sein Verantwortungsbewusstsein lässt ihm keine andere Wahl als diesen Weg zu beschreiten:
"Ich war arm. Ich besass eine Frau und drei Kinder. An der Universi- tät winkte Ruhm, in der Industrie Geld. Beide Wege waren zu gefähr- lich. Die Verantwortung zwang mir einen anderen Weg auf. Ich liess meine akademische Karriere fahren, die Industrie fallen undüber- liess meine Familie ihrem Schicksal. Ich wählte die Narrenkappe."
Der Entschluss von Möbius sich in die Irrenanstalt zu begeben scheint im ersten Moment der einzig richtige zu sein. Doch die Geschehnisse belehren uns eines besseren. Eine Reihe von Zufällen und unglücklichen Umständen vereiteln den Plan von Möbius. Am Ende des Stückes erkennt er, dass all seine Bemühungen vergebens waren und es kommt aus meiner Sicht zur Kernaussage des Werkes:
"Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden." 29
In diesem Sinne ist das Werk ein Appell an die Wissenschaft, die sich vermehrt über die Folgen und Auswirkungen ihrer Entdeckungen Gedanken machen sollte. Ich möchte hier drei Punkte aus den von Dürrenmatt verfassten "21 Punkte zu den Phy sikern" 30 aufgreifen:
16 Der Inhalt der Physiker geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen.
17 Was alle angeht, können nur alle lösen.
18 Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.
Wenn es um Fragen geht, die für die Menschheit schwerwiegende Konsequenzen haben könnten, ist es nicht den Politikern oder Wissenschaftlern allein überlassen zu entscheiden. In solchen Fällen ist die ganze Menschheit gefragt und nur alle zusammen sind im Stande zu entscheiden.
Darin sehe ich den grossen Fehler, den Möbius begeht - einen doppelten Irrtum. Zum einen wagt er den Versuch die Verantwortung alleine zu übernehmen, zum anderen handelt er bei seinem Vorhaben nicht konsequent genug. Er forscht selbst im Irrenhaus noch weiter, obwohl er sich bewusst ist, wie gefährlich seine Formeln sind. Konsequenterweise hätte Möbius den Selbstmord wählen müssen, um die Welt vor seiner grauenhaften Formel zu schützen.
Schlusswort
Die Geschichte des genialen Physikers Möbius ist keineswegs eine erfundene. Möbius steht in diesem Stück stellvertretend für Albert Einstein, der dazumal mit seinen Erkenntnissen den Grundstein für den Bau einer Atombombe gelegt hatte und, als er die Gefährlichkeit seiner Erfindung erkannt hatte, nicht mehr in der Lage war die Herstellung zu verhindern. Wissen ist hier zu Macht geworden. Sie hat dem Menschen Macht gegeben, sich selbst zu vernichten.
Die in diesem Werk angesprochenen Problematik - die Verantwortung der Wissenschaft - ist auch heute noch hoch aktuell: jeder hat sich schon seine Gedanken gemacht, wo uns die zukünftige Entwicklung hinführt.
Nicht nur die Physik, auch andere Wissenschaften bergen diese Problematik, so wird in naher Zukunft die Gentechnologie noch einige Fragen diesbezüglich aufwerfen. Meist bietet eine Entdeckung eine Unmenge an Chancen; man betrachte etwa die Möglichkeit, dank der Gentechnologie Diabetiker mit dem nötigten Insulin zu versor- gen, die Nahrungsmittelsituation der Menschheit zu verbessern oder vielleicht einmal Krankheiten wie Krebs oder AIDS bekämpfen zu können. Solche Entdeckungen ber- gen aber auch viele Risiken, die auf den ersten Blick gar nicht erkennbar sind.
Ich hoffe die Wissenschaft ist sich dessen bewusst und wird ihre Einstellung gegen- über dem Forschen überdenken. Die Devise kann und darf nicht mehr sein: "Ich for- sche und scher mich den Teufel um die damit verbundenen Konsequenzen." Gerade bei der Gentechnologie sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir uns vermehrt Gedanken über die Verantwortung machen sollten. Es sind alle Menschen gefragt, denn die Wissenschaftler alleine sind gar nicht in der Lage, alle Auswirkungen auf ihrem Fachgebiet zu überblicken. Sie können sich nur darauf verlassen, dass ihnen bei der Entscheidung, wie ihre Entdeckungen anzuwenden sind, geholfen wird.
"WAS ALLE ANGEHT, KÖNNEN NUR ALLE LÖSEN"31
Quellenverzeichnis
Primärliteratur
Friedrich Dürrenmatt, "Die Physiker", Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, ISBN 3-257-23047-8
Sekundärliteratur
Diverse Internetseiten
http://philipp.buchmann.ch/facdur2.htm http://www.referate.heim.at
http://www.hausarbeiten.de
[...]
1 Folgende Daten entstammen mehrerer Internetseiten und wurden vom Verfasser zu seinen Zwecken überarbeitet
2 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.94
3 Ebenda, S.91
4 Ebenda
5 Ebenda, S.92
6 Quelle: http://www.hausarbeiten.de
7 Ebendahttp://www.referate.heim.at/html/duerrn01.htm
8 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.94
9 Ebenda
10 Ebenda
11 Ebenda
12 Ebenda
13 Ebenda
14 Folgende Inhaltsangabe entstammt der Internetseite: http://www.referate.heim.at und wurde vom Verfasser zu seinen Zwecken überarbeitet
15 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.83
16 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.55/56
17 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.69
18 Ebenda, S.75
19 Ebenda, S.92
20 Ebenda, S.93
21 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.70
22 Ebenda, S.70
23 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.73
24 Ebenda
25 Ebenda
26 Ebenda, S.76
27 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.73
28 Ebenda, S.74
29 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.85
30 Ebenda, S.91
31 Friedrich Dürrenmatt, Die Physiker, Diogenes Verlag AG Zürich, Neufassung 1980, S.92
- Arbeit zitieren
- Thomas Hügli (Autor:in), 2000, Dürrenmatt, Friedrich - Die Physiker, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101237
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