Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Forschungstand
3 Methode
4 Resilienz
4.1 Begriffsbestimmung Resilienz
4.2 Schutz- und Risikofaktoren
4.3 Resilienzmodelle
4.4 Erklärungsmodelle von Resilienz
4.5 Resilienzförderung
4.6 Kritik am Resilienzkonzept
5 Sozialpsychiatrie
5.1 Begriffsbestimmung Sozialpsychiatrie
5.2 Geschichte der Sozialpsychiatrie
5.3 Zielgruppen der Sozialpsychiatrie
5.4 Soziale Arbeit in der Sozialpsychiatrie
6 Resilienzförderung bei Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen
6.1 Anwendung des Resilienzkonzeptes in der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit nach Hans Thiersch
6.2 Resilienzförderung durch das Empowerment-Konzept
6.3 Resilienz und Lebensbewältigung nach Lothar Böhnisch
6.4 Praktische Umsetzung von Resilienzförderung in der Sozialpsychiatrie
7 Ergebnisse
8 Diskussion
I. Literaturverzeichnis
Abstract
Diese Bachelorarbeit befasst sich mit dem Thema Resilienzförderung in der Sozialpsychiatrie, der Entstehung und den Komponenten von Resilienz und der möglichen Umsetzung des Resilienzkonzeptes durch die Soziale Arbeit in der Sozialpsychiatrie. Die wichtigsten Begriffe zum Thema werden kurz bestimmt, die Erklärungsmodelle zu Resilienz erläutert und auch Kritik am Resilienzkonzept sowie die Möglichkeiten und Grenzen von Resilienzförderung beleuchtet. Zudem wird auf den historischen Hintergrund der Sozialpsychiatrie, dessen Zielgruppen und Methoden eingegangen. Des Weiteren werden verschiedene Theorien und Konzepte der Sozialen Arbeit dargestellt, um die Fragestellung Was kann die Sozialpsychiatrie, mit ihren Handlungskompetenzen, zur Resilienzförderung beitragen, um eine langfristige Widerstandsfähigkeit zu erreichen? in der folgenden Diskussion zu beantworten, da durch Stress verursachte psychische Erkrankungen, durch die gesellschaftliche Entwicklung zu mehr Leistungsdruck, ansteigen und dringend ein Konzept benötigt wird, um diese Anforderungen zu bewältigen. Durch die Literaturrecherche und die daraus gewonnen Ergebnisse ist das abschließende Ergebnis dieser Bachelorarbeit, dass die Sozialarbeit der Sozialpsychiatrie durch ihre verschiedenen Handlungskompetenzen die Resilienzförderung positiv beeinflussen kann.
1 Einleitung
In der folgenden Bachelorarbeit wird sich mit der Thematik der Resilienzförderung in der Sozialpsychiatrie beschäftigt, da psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft ein immer wichtigeres Thema werden. Es ist zwar unklar, ob die Anzahl der psychischen Erkrankungen tatsächlich steigt oder ob diese Steigung durch die Erweiterung der möglichen Diagnosen herbeigeführt wurde (Gruber, Böhm, Wallner & Koren, 2018), allerdings wird so oder so deutlich, dass die Bedeutung von psychischen Erkrankungen immer mehr zunimmt. Es werden beispielsweise immer mehr psychologische und psychiatrische Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen (Gruber et al., 2018), laut Gruber et al. (2018) machen die direkten und indirekten Kosten von psychischen Erkrankungen 2014 mehr als 4 % des Bruttoinlandsproduktes aus. Ein weiterer relevanter Faktor in der gesellschaftlichen Entwicklung ist die Tendenz der Menschen in Deutschland vom Land in die Stadt zu ziehen, denn es gibt Hinweise darauf, dass Menschen in Städten ein höheres Risiko aufweisen, an einer psychischen Erkrankung zu leiden (Gruber et al., 2018). Die genannten Ergebnisse lassen darauf schließen, dass psychische Erkrankungen eine große Herausforderung für die heutige Gesellschaft darstellen, so gilt die Depression beispielsweise schon als Volkskrankheit (Gruber et al., 2018). Es ist schlussfolgernd also wichtig Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Die Resilienzförderung durch die Soziale Arbeit in den Sozialpsychiatrien könnte so eine Präventionsmaßnahme sein. Aus diesem Grund soll die vorliegende Arbeit die Fragestellung Was kann die Sozialpsychiatrie, mit ihren Handlungskompetenzen, zur Resilienzförderung beitragen, um eine langfristige Widerstandsfähigkeit zu erreichen? beantworten und sich mit diesen Hypothesen beschäftigen: Die Förderung von Resilienz in Sozialpsychiatrien, führt dazu, dass die Betroffenen ihre psychischen Beeinträchtigungen besser bewältigen können. Die Sozialpsychiatrie steigert durch individuelle Gesundheitsförderung die langfristige Resilienz der Klienten. Beispielsweise erhöht Resilienz die Widerstandskraft gegen Stress (Habermann-Horstmeier, 2017), ermöglicht einen Perspektivwechsel, von der Defizit- zur Ressourcenorientierung und fördert die Eigenaktivität der Klienten (Gruber et al., 2018). Es wird in dieser Arbeit zunächst auf den aktuellen Forschungstand eingegangen, denn die Resilienzforschung begann schon in den 1950er Jahren. Somit ist die wissenschaftliche Relevanz des Themas nicht neu, es wurden eine Vielzahl von Studien durchgeführt. Alle Studien kamen zu dem Ergebnis, dass biologische sowie umgebungsbezogene Faktoren die Resilienz beeinflussen können. Bei resilienten Studenten konnte beispielsweise eine innere „Kontrollüberzeugung“ (Rolfe, 2019) nachgewiesen werden. Rolfe (2019) geht davon aus, dass ein Resilienzpotenzial bei jedem Menschen vorhanden ist, die Stärke der Ausprägung hänge allerdings von den „individuellen Erfahrungen und Qualitäten, der Umgebung und dem Gleichgewicht zwischen Risiko- und Schutzfaktoren ab“ (Rolfe, 2019). Des Weiteren wird das Resilienzkonzept ausführlich beleuchtet, so wird Resilienz als Begriff definiert, die Risiko- und Schutzfaktoren erläutert, verschiedene Resilienzmodelle gegenübergestellt, Resilienzförderung erklärt und eine Kritik am Resilienzkonzept dargestellt. Begrifflich wird sich an die Sozialpsychiatrie angenähert, ihr historischer Kontext geklärt, die Zielgruppen genannt und die Aufgabe der Sozialen Arbeit in diesem Handlungsrahmen erläutert. Im darauf folgenden Kapitel werden verschiedene Theorien und Konzepte sozialarbeiterischen Handelns, mit Hilfe verschiedener Wissenschaftler, in den thematischen Zusammenhang gebracht. Abschließend werden die gesammelten Ergebnisse dargestellt und in der Diskussion interpretiert. Die Verfasserin konnte die gesellschaftliche Entwicklung der psychischen Erkrankungen selbst beobachten, wie sich der Druck der Gesellschaft auf das Individuum immer mehr gesteigert hat. Es werden zunehmend höhere Ansprüche an Menschen gestellt, der Ausbildungsgrad muss immer höher sein, Familie und Beruf muss parallel perfekt funktionieren, nebenbei wird durch Medien vermitteln, dass Menschen sich selbst immer mehr perfektionieren müssen, um dem gesellschaftlichen Anspruch zu genügen. All diese Faktoren können zu Stress führen und Stress kann nach Sarris (2019) die Entstehung von psychischen Erkrankungen fördern. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage der Motivation der Autorin diese Arbeit zu verfassen, um den gesellschaftlichen Entwicklungen und Ansprüchen durch die Soziale Arbeit entgegenzuwirken. Durch die Resilienzförderung könnte in der praktischen Arbeit ein Perspektivwechsel erfolgen, weg von der Defizitorientierung hin zur Ressourcenorientierung. Dieser Gedanke, den Klienten, als Menschen mit Ressourcen, mit Potential zur Selbsthilfe sowie zur langfristigen psychischen Gesundheit zu betrachten und nicht als Mensch mit Schwächen und Problemen, führte die Verfasserin zu der Resilienzförderung. Denn die Resilienzförderung beinhaltet zentral die Ressourcenorientierung und könnte zur Bewältigung der Bedingungen einer anspruchsvolleren Gesellschaft eine innere Widerstandsfähigkeit aufbauen sowie dem Klienten Handwerkszeug zur Selbsthilfe in die Hand geben. Ob und wie dies in der Sozialpsychiatrie möglich ist, soll diese Bachelorarbeit beantworten.
2 Forschungstand
Die Langzeitstudie der Entwicklungspsychologin Emmy E. Werner auf der Insel Kauai, führte zu den ersten größeren Erfolgen in der Resilienzforschung. Sie begleitete 40 Jahre lang 689 Kinder von ihrer Geburt an, ein Drittel dieser Kinder kam aus schwierigen Verhältnissen. Allerdings zeigte ein Drittel dieser Risikokinder während der Laufzeit der Studie überhaupt keine Verhaltensauffälligkeiten. Nach Emmy E. Werner verfügten all diese Kinder über Schutzfaktoren, welche dazu führten, dass sie Stress besser bewältigen konnten (Rolfe, 2019). Die damals identifizierten Schutzfaktoren finden sich heute noch in den Resilienzfaktoren wieder (Huber, 2019). Auch die Langzeitstudie „Project Competence“ kam zu dem Ergebnis, dass Kinder die sich trotz schwieriger Verhältnisse „gesund und positiv“ (Rolfe, 2019) entwickeln über stärker ausgeprägte innere sowie äußere Ressourcen verfügen. Bei einer Klientenzufriedenheitsbefragung in der sozialpsychiatrischen Einrichtung pro mente Oberösterreich, in den Jahren 2013 und 2014, gaben über 75 % der Klienten an, dass sich ihr persönliches Wohlbefinden durch die Gesundheitsförderung, mit Beinhaltung des Resilienzkonzeptes, verbessert hat. Bei 70 % hat sich die psychische Gesundheit verbessert, 65 % fühlen sich selbstsicherer, 56 % können ihren Alltag besser bewältigen und 51 % haben eine verbesserte Körperwahrnehmung (Gruber et al., 2018). Eine weitere relevante Studie aus den 1970 er Jahren ist Aaron Antonovskys Studie zur Salutogenese. Antonovsky hat sich in seinen Untersuchungen auf die förderlichen Ressourcen von Menschen konzentriert, um die Frage zu beantworten „was Menschen hilft, schwierige Bedingungen zu überwinden und gesund zu bleiben“ (Huber, 2019), Salutogenese bedeutet demnach so viel wie „Gesundheitsentstehung“ (Huber, 2019). Bei der Studie wurden Frauen mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft über die Folgen der Wechseljahre befragt. Ein Teil der befragten Frauen war in Konzentrationslagern inhaftiert gewesen und es wurde davon ausgegangen, dass diese psychisch weniger gesund sind. Das Ergebnis war allerdings ein anderes, 29 % dieser Frauen waren, trotz der Erlebnisse, psychisch sehr gesund. Aus diesen Ergebnissen sowie der daraus resultierenden salutogenetischen Fragestellung, leitete Antonovsky das Kohärenzmodell als Antwort ab. Des Weiteren beschäftigte sich Sarris (2019) mit Resilienz in Verbindung mit der kognitiven Reserve, die „kognitive Reserve“ bezieht sich dabei auf die Kapazität des Gehirns, „biopsychosoziale Leistungsbarrieren bzw. stressinduzierte Beeinträchtigungen aktiv zu kompensieren“ (Sarris, 2019). Demnach können Menschen mit einer hohen kognitiven Reserve besser mit Belastungssituationen umgehen. Josef Zihl konnte durch kognitive Tests nachweisen, dass sich die kognitive Reserve bei Menschen mobilisieren und steigern lässt („testing the limits“ – Ansatz) (Sarris, 2019). Die Grenzen dieser Reserven waren allerdings sehr individuell unterschiedlich. Sarris (2019) ist der Meinung, dass diese Mobilisierungen der kognitiven Reserven essenziell sind, um Stress bei Menschen zu bewältigen. Er geht von der Annahme aus, dass übermäßiger, langfristiger Stress die Entstehung von psychischen Störungen fördert. Resilienz könnte diesem entgegenwirken, da Resilienz neuroimmunbiologisch und neuroendokrinologisch mit der Stressvulnerabilität in Wechselwirkung steht. Anhand von Tierversuchen mit Mäusen konnte dies nachgewiesen werden, diese zeigten neurochemische Veränderungen, die denen von depressiven Menschen ähnlich sind, nachdem sie neurochemischen Resilienzsteigerungen ausgesetzt waren (Sarris, 2019). Diese Tests müssten allerdings noch durch Humantest komplettiert werden.
3 Methode
Die Bachelorarbeit soll eine systematische Übersichtsarbeit beziehungsweise eine Literaturarbeit sein. Die Autorin bezieht sich auf Literatur aus der Bibliothek der Medical School Hamburg und der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Zur Eingrenzung der Literatur wurden für die Literaturrecherche Ein- und Ausschlusskriterien festgelegt. Einschlusskriterien sind beispielsweise das Datum der Veröffentlichung der Literatur: zwischen 1950 und 2020, um auch einen Einblick in die frühe Resilienzforschung zu erhalten. Die Sprache: Deutsch. Das Ergebnis: Beeinflussung der Resilienz. Der Kontext: Literatur bezogen auf das Setting Sozialpsychiatrie, Resilienz und Soziale Arbeit. Ausschlusskriterien sind unter anderem Studien aus anderen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit. Verwendete Suchbegriffe bezogen sich auf Sozialpsychiatrie, Resilienz, Resilienzförderung, Gesundheitsförderung, Empowerment, Lebensweltorientierung und Methoden der Sozialen Arbeit.
4 Resilienz
4.1 Begriffsbestimmung Resilienz
Der Begriff Resilienz kommt aus dem lateinischen und meint so viel wie „zurückspringen, abprallen“ (Rolfe, 2019). Zu Anfang bezog sich der Begriff in der Werkstoffkunde auf die Fähigkeit eines Materials wieder in die Ursprungsform zurückzukehren, nachdem es verformt wurde (Rolfe, 2019). Im deutschen Sprachraum wird Resilienz häufig als Synonym für „Belastbarkeit, Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Krisenfestigkeit“ (Rolfe, 2019) verwendet. Eine genaue Definition des Begriffes gibt es jedoch nicht. Seit Beginn der wissenschaftlichen Forschungen zu diesem Thema werden unterschiedliche Meinungen vertreten. In Deutschland wird Resilienz meist als „Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“ (Wustmann, 2004) verstanden. Laut Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff (2015) definiert sich Resilienz am ehesten als Fähigkeit der Menschen Lebenskrisen zu bewältigen, in dem auf sozial vermittelte persönliche Ressourcen zurückgegriffen wird, mit der Folge, dass eine Entwicklung des Individuums stattfindet. Alle Definitionen haben miteinander gemein, dass Resilienz sich erst zeigt, wenn eine Krisensituation bewältigt werden muss. Resilienz ist somit keine angeborene Fähigkeit, sondern wird im Laufe der Entwicklung erworben (Huber, 2019). Des Weiteren stimmen die meisten Definitionen in drei bestimmten Merkmalen überein, welche charakteristisch für das Konzept der Resilienz sind. Zum einen ist Resilienz ein „dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess“ (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015), dies bedeutet, dass sich Resilienz aus der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt entwickelt und von Erfahrungen sowie bereits bewältigten Erlebnissen abhängt. Das zweite Merkmal zeigt sich darin wie sich Resilienz im Verlauf des Lebens verändern und entwickeln kann, Resilienz ist somit eine „variable Größe“ (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015). Das letzte Merkmal bezieht sich darauf, dass Resilienz „situationsspezifisch und multidimensional“ (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015) ist. Resilienz kann also in unterschiedlichen Lebensbereichen verschieden ausgeprägt sein.
4.2 Schutz- und Risikofaktoren
Es gibt Faktoren, die das Risiko an einer psychischen Störung zu erkranken erhöhen können und Faktoren, welche diese Risiken abschwächen und die Resilienz fördern können (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Diese Risiko- und Schutzfaktoren beeinflussen sich gegenseitig, durch die im nächsten Kapitel genannten Resilienzmodelle wird, in der heutigen Forschung, versucht diese Interaktionsprozesse zu erklären und aufzuschlüsseln. Durch dieses Wechselspiel zwischen Schutz- und Risikofaktoren, während der Interaktion des Menschen mit der Umwelt, entsteht die Resilienz (Rolfe, 2019). Die genannten Faktoren können durch das Individuum selbst entstehen oder auf das individuelle Umfeld bezogen sein (Rolfe, 2019). Die Schutzfaktoren erhöhen die Kompetenzen und wirken resilienzbildend, während die Risikofaktoren eine Belastung entstehen lassen. Zu den personenbezogenen Schutzfaktoren oder auch Ressourcen gehört die Selbst- und Fremdwahrnehmung, die Selbstregulation, die Selbstwirksamkeit, die soziale Kompetenz, die aktiven Bewältigungskompetenzen in Stresssituationen sowie die Problemlösekompetenz (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015). Die auf die Umwelt bezogenen Schutzfaktoren sind die soziale Einbindung, ein wertschätzendes Arbeitsumfeld, Beziehungen zu Bezugspersonen und eine resilienzfördernde Kultur des Umfeldes (Rolfe, 2019). Der in der Forschung als am wichtigsten hervorgehobene Schutzfaktor für eine resiliente Entwicklung ist dabei die stabile Beziehung zu einer Bezugsperson (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015). Dabei ist nicht wichtig wer für das Individuum als Bezugsperson gilt, sondern von welcher Qualität diese Beziehung ist. Bezugspersonen könne beispielsweise Freunde, Lebenspartner oder pädagogische Fachkräfte sein, diese Bezugsperson sollte allerdings bestimmte Kriterien erfüllen. Sie sollte regelmäßig verfügbar sowie emphatisch sein, Sicherheit, Vertrauen und Wertschätzung vermitteln, das Selbstwertgefühl stärken, eine optimistische Grundhaltung vertreten, realistische aber fordernde Ziele setzen und bei deren Erreichung unterstützen sowie Ermutigungen aussprechen und positive Rückmeldungen geben (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015). Bei den Risikofaktoren wird ebenso zwischen personenbezogenen und durch die Umwelt entstehenden Risikofaktoren unterschieden (Wustmann, 2004). Die personenbezogenen Faktoren sind zudem in primäre und sekundäre Faktoren unterteilt, also in angeborene und durch die Umwelt erworbene Risikofaktoren. Primäre Risikofaktoren sind zum Beispiel eine Frühgeburt, gesundheitliche Schwierigkeiten nach der Geburt, neuropsychologische Mängel, genetisch bedingte Behinderungen, chronische Erkrankungen oder geringe kognitive Kompetenzen (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Zu den sekundären Risikofaktoren zählen unsichere Bindungen und wenig Fähigkeiten zur Selbstregulation (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). In Bezug auf die umweltbezogenen Risikofaktoren nennen Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff (2019) acht besonders bedeutsame Faktoren:
1. Eine psychische Erkrankung der Hauptbezugsperson
2. gewalttätiges Verhalten eines Elternteils
3. Eltern ohne einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung
4. alleinerziehender Elternteil
5. toxische Partnerschaft
6. Großfamilien
7. zu geringe Wohnbedingungen
8. Fremdunterbringung des Kindes
Bei Risikofaktoren kann außerdem zwischen veränderlichen und unveränderbaren Faktoren unterschieden werden. Strukturelle Faktoren, wie das Geschlecht, lassen sich nicht verändern, variable Faktoren, traumatische Lebensereignisse, dagegen können durch Interventionen modifiziert werden (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Für die Soziale Arbeit in der Sozialpsychiatrie sind dabei die variablen Faktoren von größerer Wichtigkeit, da nur sie durch Präventionsmaßnahmen veränderbar sind. Die subjektive Wahrnehmung und Bewertung von kritischen Lebensereignissen spielt bei der Wirkung von Risikofaktoren allerdings auch eine große Rolle, so kann die individuelle Haltung zu einem Erlebnis beeinflussen, ob es zu einem Risikofaktor wird und wenn ja, wie er sich auswirkt (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Die Schutz- und Risikofaktoren befinden sich immer in einer komplexen Wechselwirkung zueinander.
4.3 Resilienzmodelle
Durch die Erforschung der im vorherigen Kapitel genannten Wechselwirkung der Schutz- und Risikofaktoren entstanden drei verschiedene Forschungsansätze. Der personenzentrierte, der entwicklungspfadbezogene und der variablenbezogene Ansatz (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Bei dem personenzentrieten Ansatz wird sich auf das Individuum konzentriert und dessen Entwicklungen in Bezug auf die genannten Faktoren beobachtet (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Der entwicklungspfadbezogene Ansatz stellt den Fokus auf die konkreten resilienten Entwicklungsverläufe und lässt in dessen Forschung der zeitlichen Perspektive einen besonderen Stellenwert zukommen (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Der dritte und letzte Ansatz, auf den sich in der Literatur häufig primär bezogen wird, ist der variablenbezogenen Ansatz. Bei diesem Ansatz steht das Zusammenspiel der Schutz- und Risikofaktoren im Mittelpunkt und es wird sich zudem mit der Frage beschäftigt, welche Ergebnisse durch diese an Bedeutung gewinnen sowie welchen Einfluss diese auf die Entwicklung des Menschen nehmen (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Der variablenbezogene Ansatz wird in vier weitere Wirkmodelle eingeteilt. Das erste Wirkmodell ist das Kompensationsmodell, wessen zentrale Annahme es ist, dass die Schutzfaktoren eine neutralisierende Wirkung für risikoerhöhende Faktoren haben (Wustmann, 2004). Somit sollen die Schutzfaktoren die Risikofaktoren kompensieren. Bei dieser Kompensation werden noch zwei weitere Wirkmechanismen unterschieden. Zum einen die direkte Einflussnahme auf die Entwicklung des Individuums und zum anderen die indirekte Einflussnahme (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Das zweite Wirkungsmodell nach Wustmann (2004) ist das Herausforderungsmodell, hierbei steht der Bewältigungsprozess im Zentrum. Die Bewältigung von Herausforderungen wird als Steigerung der Kompetenzen sowie Ressourcen gesehen, da neue Bewältigungsstrategien entstehen, auf die in schwierigen Lebenssituationen wieder zurückgegriffen werden kann. Wichtig für diese Entwicklung ist, dass die erlebten Ereignisse für das Individuum bewältigbar erscheinen. Das dritte Modell ist das Interaktionsmodell, bei welchem im Mittelpunkt die wechselseitige Beziehung zwischen Schutz- und Risikofaktoren steht. Es geht dabei von der Annahme aus, die entwicklungsfördernden Faktoren wären nur indirekt für den Verlauf der Entwicklung verantwortlich (Wustmann, 2004). Somit wird der Schutzfaktor nur wirksam, „wenn eine risikogefährdende Situation vorliegt und er dann im Sinne eines Puffers wirkt“ (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Das letzte Wirkungsmodell ist das Kumulationsmodell. Bei diesem Modell wird der Anzahl der Faktoren am meisten Bedeutung zugesprochen, je mehr Schutz- oder Risikofaktoren vorhanden sind, desto wahrscheinlicher ist eine gelingende oder nicht gelingende Entwicklung des Individuums (Wustmann, 2004). Diese genannten Ansätze sowie Modelle könnten gleichzeitig oder nacheinander wirken und schließen sich somit nicht gegenseitig aus (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019).
4.4 Erklärungsmodelle von Resilienz
Hoffmann (2016) geht in seinem Buch Organisationale Resilienz auf verschiedene Erklärungsmodelle, die in den letzten Jahrzehnten aufgestellt wurden, ein. Ein Erklärungsmodell bezieht sich darauf, dass Resilienz eine persönliche Eigenschaft ist, die auch durch genetische Disposition weitergeben werden kann. Demnach könnten manche Menschen prekäre Lebenssituationen durch dieses Persönlichkeitsmerkmal besser bewältigen. Einige Studien belegen, dass eine gewisse genetische Veranlagungen vorhanden sein kann, allerdings reicht diese Erkenntnis nicht aus, um Resilienz vollends zu begründen (Hoffmann, 2016). In einem anderen Erklärungsansatz wird Resilienz als „Folge von bestimmten Faktoren, die schützend, bewahrend, ja möglicherweise förderlich wirken“ (Hoffmann, 2016) können, betrachtet. Diese Annahme kann als Gegensatz zum ersten Erklärungsmodell verstanden werden, denn Resilienz wird als Prozess verstanden, welcher von den individuellen Bedingungen abhängt und mit diesen immer in Wechselwirkung steht. Erweitert geht dieses Modell davon aus, dass es für die Entwicklung von Resilienz zu bewältigende Lebenserfahrungen braucht, die jedoch das Individuum nicht überfordern dürfen (Hoffmann, 2016). Resilienz wird als Folge dieser Annahmen als Resultat eines Lernprozesses interpretiert. Durch die soziologische Ausrichtung der Resilienzforschung wurden diese beiden Modelle durch einen weiteren Ansatz ergänzt, in dem der soziale sowie kulturelle Kontext des Menschen im Zentrum steht. Nach diesem Modell stellen die Beziehungserfahrungen und die soziale Unterstützung einen starken protektiven Faktor dar (Hoffmann, 2016). Anders als die genannten Erklärungsmodelle sieht das Modell der differenziellen Resilienz die Resilienz nicht als Folge von Entwicklungsprozessen, sondern geht davon aus, dass Menschen nicht einfach resilient gegenüber allen schwierigen Lebensereignissen sind. Viel mehr muss zu dem Zeitpunkt des Ereignisses „in gerade diesem Umfeld und Kontext auf dem Hintergrund seiner Bewältigungsbiografie über genügend geeignete protektive internale und externale Faktoren und Abwehrkraft verfügt“ (Müller und Petzold, 2003) werden, welche zudem auch noch mobilisiert werden können müssen. Es wird dabei zwischen den Faktoren Potenzial, Ressource, Kompetenz und Performanz unterschieden, erst wenn diese mit den individuellen Lernerfahrungen und den sozialen sowie kulturellen Bedingungen zusammenkommen, ist, nach diesem Modell, Resilienz möglich (Hoffmann, 2016).
4.5 Resilienzförderung
Der Schwerpunkt der Resilienzförderung liegt darin die genannten Schutzfaktoren, wie Stärken und Ressourcen einer Person und dessen Umwelt, zu erkennen und zu stärken sowie die Auswirkungen von Risikofaktoren zu verringern (Schickler, 2015). Die Förderung der Resilienz geschieht zum großen Teil präventiv, um eine Entstehung von Problemen, wie psychischen Erkrankungen, zu vermeiden. Sie kann jedoch auch zu einem späteren Zeitpunkt ansetzten, zur Verhinderung der Verschlimmerung oder Verfestigung eines Problem (Witteck, 2015). Als Zielgruppen werden besonders Kinder und Jugendliche hervorgehoben, da Resilienzförderung möglichst früh ansetzten sollte, um im Vorherein der Entstehung von Problemen vorzubeugen. Frühprävention sollte nach der Meinung mancher Autoren bereits im Säuglingsalter mit der Förderung der Bewältigungskompetenzen beginnen (Witteck, 2015). Da Resilienz dynamisch ist und sich im Laufe des Lebens verändern kann, macht es jedoch Sinn resilienzfördernde Angebote für alle Lebensalter anzubieten, besonders zu den verschiedenen Entwicklungsübergängen mit passenden individuellen Inhalten (Witteck, 2015). Uneinigkeit besteht bei der Frage, ob sich bei Resilienzförderung nur auf gefährdete Gruppen konzentriert werden sollte oder ob sie bei allen Menschen sinnvoll wäre, da als resilient geltenden Menschen in bestimmten Lebensbereichen trotz dessen Resilienz fehlen könnte und andersrum (Witteck, 2015). Als weiterer wichtiger Aspekt hat sich bei Forschungen herausgestellt, dass länger andauernde Angebote einen größeren Einfluss auf die Resilienzsteigerung haben als kurzfristige Angebote (Witteck, 2015). Zur Erreichung der Resilienzförderung können drei verschiedene Strategien genutzt werden: die Risikozentrierten, die Ressourcenzentrierten und die Prozesszentrieten Strategien (Schickler, 2015). Durch die Risikozentrierten Strategien wird versucht negative Erlebnisse im Voraus zu verhindern beziehungsweise die Folgen zu vermindern. Die Ressourcenzentrierten Strategien haben zum Ziel die Wirksamkeit der Ressourcen eines Menschen, durch Verbesserung der Kompetenzen, zu steigern. Prozessorientierte Strategien zielen dagegen darauf ab die elementar schützenden Systeme, wie soziale Beziehungen oder selbstregulative Systeme, in die Entwicklung des Menschen einzubeziehen. Laut Schickler (2015) geschieht Resilienzförderung auf zwei Ebenen: der individuellen Ebene und der Beziehungsebene. Auf der Beziehungsebene geht es um das soziale Umfeld des Menschen und die individuelle Ebene bezieht sich auf die spezifischen Stärken und Kompetenzen der konkreten Person.
4.6 Kritik am Resilienzkonzept
Mit Resilienz wird sich schon seit mehreren Jahrzehnten wissenschaftlich beschäftigt, die praktische Umsetzung erfolgt allerdings erst seit ungefähr einem Jahrzehnt. Es gibt durch diese Entwicklung eine Vielzahl verschiedener Begriffsbestimmungen, von denen viele, besonders jene aus den Anfängen der Resilienzforschung, in der Praxis nicht sinnvoll umgesetzt werden können (Weiß & Hartman & Högel, 2018). In diesen Definitionen wird Resilienz beispielsweise mit „Unverwundbarkeit und besonderer Begabung“ (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019) gleichgesetzt. Diese Sichtweise wird vielfach kritisiert, da Resilienz nicht als Charaktereigenschaft, sondern als Prozess oder auch als Merkmal anstatt als Adjektiv gesehen werden sollte (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Das Fehlen von Resilienz soll somit auch nicht als Charakterdefizit gedeutet werden. Böhme (2019) sieht einen weiteren Kritikpunkt in der Umsetzung des Resilienzkonzeptes in der heutigen Zeit. Sie bezieht sich darauf, dass das Resilienzkonzept seinen Ursprung in der Bewältigung von schweren Traumata und schwierigen Kindheiten hat und es heute allerdings immer mehr als Selbstoptimierung gesehen wird. Resilienz wird beispielsweise in institutionellen Organisationen sowie Unternehmen präsenter, mit dem Ziel „Mitarbeiter stressresistenter und somit leistungsfähiger zu machen“ (Böhme, 2019). Diese Entwicklung führt zu einer Verschiebung der Verantwortung für psychische Gesundheit hin zum Individuum und weg von der Gesellschaft. Der Mensch wird somit selbst für seinen Umgang mit prekären Lebenssituationen verantwortlich gemacht und die Stressfaktoren, welche durch die gesellschaftlichen Bedingungen entstehen werden nicht berücksichtigt (Böhme, 2019). Die Gesellschaft und die Politik sollten stattdessen ihren eigenen Teil zur Resilienzförderung beitragen. Ein weiterer kritisierter Aspekt des Resilienzkonzeptes ist der starke Fokus auf die Stärken, Schutzfaktoren und Ressourcen, da dadurch „negative Gefühle, wie z.B. Angst, Trauer, Schmerz, aber auch Dysfunktionalität weniger Berechtigung erhalten“ (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019) können. In der Praxis kann diese Sichtweise dazu führen, dass das Resilienzkonzept auf eine reine Ressourcenorientierung reduziert wird. Es ist also wichtig sich die Notwendigkeit der Schutz- aber auch der Risikofaktoren bewusst zu machen und die Berechtigung von negativen Gefühlen und Schwierigkeiten zu verdeutlichen (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2019). Böhme (2019) hebt trotz aller Kritik allerdings auch die Wichtigkeit von Präventionsprogrammen zur Resilienzförderung hervor und betont zudem, dass „chronischer Stress und negative Lebensereignisse uns immer belasten werden, selbst wenn wir alle bekannten Strategien für Resilienz nutzen“ (Böhme, 2019).
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