Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Argumente für ein möglichst frühzeitiges Kennen lernen von fremden Sprachen
2.1. exogene Faktoren
2.2. endogene Faktoren
3. Ziele des Fremdsprachenunterrichts
4. Didaktische Prinzipien im Grundschulunterricht
5. Vorstellung der Konzepte des „Frühen Fremdsprachenunterrichts“ und des „Begegnungssprachenmodells“
5.1. Das Konzept „Begegnung mit fremden Sprachen“
5.1.1. Ziele dieses Konzeptes
5.1.2. Organisatorische Bedingungen
5.1.3. Didaktisch-methodische Umsetzung
5.2. Das Konzept „Früher Fremdsprachenunterricht“
5.2.1. Ziele dieses Konzeptes
5.2.2. Organisatorische Bedingungen
5.2.3. Didaktisch-methodische Umsetzung
6. Übereinstimmung der Konzepte mit den unter Kapitel 3 aufgeführten Zielen eines Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule, sowie Vor- und Nachteile
7. Schlussfolgerungen
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ich habe mich sehr gefreut, für meine Hausarbeit gerade dieses Thema gestellt bekommen zu haben, denn es geht hierbei um eine aktuelle Diskussion, deren Entscheidungen mich als zukünftige und auch für die Primarstufe qualifizierte Fremdsprachenlehrerin ganz persönlich betreffen werden.
Daher werde ich im Anschluss an meine Ausführungen zum fremdsprachlichen Lernen in der Grundschule anhand wissenschaftlicher Forschungsberichte, durchgeführter Projekte und vorliegender Konzepte auch meine persönliche Vision eines fremdsprachlichen Unterrichts darlegen, die sich für mich als notwendige Konsequenz aus dieser Arbeit ergibt.
Bevor ich jedoch zu einem Vergleich der Konzepte des Frühen Fremdsprachenunterrichts und der Begegnungssprache komme, möchte ich zunächst darstellen, welche Gründe überhaupt für eine frühzeitige Begegnung[1] mit fremden Sprachen sprechen, da sich daraus die Ziele einer modernen Fremdsprachendidaktik ableiten lassen.
2. Argumente für ein möglichst frühzeitiges Kennen lernen von fremden Sprachen
Es gibt zahlreiche Gründe, die für eine möglichst frühe Heranführung der Kinder an fremde Sprachen sprechen. Unterscheiden möchte ich sie hier zunächst ganz allgemein in exogene und endogene Faktoren.
2.1. exogene Faktoren
Dazu gehören an erster Stelle sprachenpolitische Überlegungen.
In unserer Gesellschaft sind inzwischen viele Sprachen und Kulturen präsent. Das liegt zum einen an den Wanderungsbewegungen des 20. Jahrhunderts, die durch Vertreibungen aufgrund politischer Neuordnungen nach verschiedenen Kriegen, durch Einwerben und Anbieten von Arbeitskräften in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur, durch Suche nach Schutz vor politischer Verfolgung und wirtschaftlicher Ausbeutung sowie durch den Tourismus in Gang gesetzt wurden.
Zum anderen leben wir in einem Zeitalter, in dem wir durch moderne Massenmedien und neue Kommunikationstechnologien über Ländergrenzen und sogar Kontinente hinweg kommunizieren können. Nicht zuletzt haben wir eine sehr hohe Mobilität erreicht.
Vor allem in der Internationalisierung der Konsumgüterindustrie und ihrer Märkte sowie in der politischen internationalen Verflechtung vieler Gesellschaften zeigt sich die Globalisierung sehr deutlich.
Direkt betreffen tut uns natürlich auch das Zusammenwachsen Europas und die damit verbundenen Perspektiven für Deutschland. Das Zusammenwachsen, also der Weg zu einer neuen kulturellen und politischen Identität, gelingt in für alle zufriedenstellender Weise u.a. nur, wenn Europa seinen vielsprachigen und multikulturellen Charakter bewahrt. Daher fordert der Europarat schon heute, dass jeder drei Fremdsprachen erlernen können soll. Die Zeiten nationalstaatlicher Entwicklung in Europa und totalitärer Sprachen- und Kulturpolitik gehören der Vergangenheit an. Die Zukunft wird ohne Zweifel mehrsprachig sein und viele berufliche, wirtschaftliche, aber auch private Erfolge werden auf der Mehrsprachigkeit der Bürger beruhen. Auf diese Zukunft einer multikulturellen und mehrsprachigen Gesellschaft müssen wir die Kinder auch schon in der Grundschule vorbereiten.
Grundschule muss sich, so eine der vielleicht wichtigsten Prinzipien, an der Lebenswirklichkeit der Kinder orientieren und Fremdsprachen sind im Alltag der Kinder zweifellos präsent und nicht mehr wegzudenken. Sie begegnen ihnen in der eigenen Klasse, der Schule, bei Nachbarn, im Nachbarland, beim Einkaufen, in den Medien, im Urlaub, in Museen, auf dem Flughafen, ... . In einer Untersuchung im Rheinland und in Westfalen , an der 1983 400 Schüler und 1988 noch einmal 540 Schüler teilnahmen[2] zeigte sich, dass die Schüler bereits im 2. Schuljahr über einen enormen aktiven (hauptsächlich englischen) Wortschatz verfügen, ganz ohne Sprachunterricht im weitesten Sinne. Dabei beeindruckte besonders die Vielfalt und Reichhaltigkeit des erworbenen Wissens. Die Kenntnisse bezogen sich vorrangig auf folgende Bereiche: Lebensmittel und Gaststätten, Kleidung und Körperpflege, Sport- und Spielzeug, Show business und Musik, Werbung, Fernsehen und Film. Die Internationalisierung wird also im Alltag der Kinder bereits mitvollzogen.
Ein früher Fremdsprachenerwerb würde darüber hinaus unter bestimmten Bedingungen in der Sekundarstufe Raum schaffen, für den Erwerb mehrerer Fremdsprachen.
Auch anthropologische Überlegungen können zur Begründung eines frühen Fremdsprachenerwerbs herangezogen werden.
Jedes Kind ist offen für das „Andere“. Es ist von Natur aus neugierig darauf, fremde Kulturen, Religionen und Normen zu erforschen, wenn man ihm die Möglichkeit einer Begegnung mit solchen bietet.
Diese Offenheit und Neugier, die leider meist schon im Laufe der Grundschulzeit verloren geht, sollte unbedingt erhalten werden. Das spielerische Entdecken von Neuem in anderen Kulturen kann dafür eine große Chance sein, die es zu nutzen gilt.
2.2. endogene Faktoren
Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und der Neuropsychologie sprechen dafür, dass Kinder in dem Entwicklungsalter von 2 bis 9 Jahren eine besondere Bereitschaft zum Fremdsprachenlernen aufweisen. Dafür wichtige angeborene kognitive Strukturen sind bis zum 9. Lebensjahr besonders ausgeprägt. Einschränkend muss allerdings hinzugefügt werden, dass diese Dispositionen immer abhängig von sozialen Interaktionen entfaltet werden.
Davon nicht betroffen sind aber das Hörsystem und die hohe Aufnahmebereitschaft, über die alle Kinder in diesem Alter verfügen. Auch die Sprechfreude und Bereitschaft zur Imitation kann bei allen beobachtet werden und stellt gute Voraussetzungen für den Erwerb von Fremdsprachen dar. Ein guter Fremdsprachenunterricht könnte auch dem Bewegungsdrang, dem Interesse an praktischen Tätigkeiten und der Neugier für alles Neue, über die die Kinder verfügen, gerecht werden.
Diese Gründe würden also eher einen noch früheren Beginn des Fremdsprachenerwerbs befürworten, einen, der in der Vorschule oder spätestens ab Klasse 1 stattfinden sollte. Darüber hinaus gibt es aber auch Argumente, die einen Fremdsprachenunterricht ab Klasse 3 rechtfertigen.[3]
Im Alter von 9 oder 10 Jahren beginnen die Kinder zunehmend bewusster zu lernen, reflektieren über sprachliche Mittel, erkennen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen deutschen und nicht-deutschen Wörtern und zwischen Lautung und Schreibung. Sie brauchen wie jüngere Kinder noch Übersichtlichkeit, Berechenbarkeit und Gegliedertheit, um sich Neues verstehend erschließen zu können, aber sie sind bisweilen auch von Unüberschaubarem fasziniert und werden so motiviert. Hinzu kommt, dass sie zunehmend besser in der Lage sind, Dinge aus der Perspektive anderer zu betrachten.
Spracherwerbstheoretische Forschungsergebnisse bezeugen, dass die allgemeinen Basisfertigkeiten, die beim frühen Lernen einer Fremdsprache erworben werden, das spätere Fremdsprachenlernen enorm erleichtern. Es ist darüber hinaus nicht so, wie weit verbreitet angenommen, dass sich die früh eingeprägten sprachlichen Strukturen, Fähigkeiten und Fertigkeiten verlieren, wie das bei einem späteren Fremdsprachenerwerb häufiger der Fall ist. Sie können auch nach langer Zeit der Nichtanwendung durch Übung und Sprachbenutzung wieder reaktiviert werden.[4]
Der wesentliche Gewinn eines frühen Fremdsprachenlernens ist laut Gogolin[5] dabei nicht in erster Linie das Verfügen über Redemittel aus einer anderen Sprache, sondern dass die Kinder zu einem differenzierteren Verhältnis zu Sprache überhaupt und zu ihrem Sprachgebrauch gelangen, bzw. sprachreflexive Fähigkeiten herausbilden. Aus interkultureller Perspektive heraus gilt es demnach, durch Unterricht zu einem besseren Umgang mit der sprachlichen Heterogenität und Pluralität zu befähigen, die die Lebenswirklichkeit unserer Kinder prägen. Weiterhin scheint der Frühbeginn mit fremden Sprachen mit dem Ziel interkultureller Erziehung eine Chance zu sein, die sich noch nicht verfestigten Einstellungen bezüglich des „Anderen“ günstig zu beeinflussen.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich hier auch die negativen Folgen einer monolingualen Bildungspolitik für die sprachliche und schulische Entwicklung von Kindern mit Zweitspracherfahrungen, v.a. für die, die Deutsch nicht als ihre Muttersprache betrachten können.[6]
3. Ziele des Fremdsprachenunterrichts
In diesem Abschnitt möchte ich nun versuchen, aus den im vergangenen Kapitel dargelegten Argumenten für einen frühen Fremdsprachenerwerb Ziele für den Sprachunterricht in der Grundschule abzuleiten.
- Mehrsprachigkeit
Aufgrund der sprachenpolitischen Überlegungen, die ich weiter oben näher erläutert habe, scheint in unserer heutigen Zeit ein Hauptanliegen zu sein, die Kinder zur Mehrsprachigkeit zu führen. Eine Fremdsprache wie bisher zu erlernen, ist heute nicht mehr ausreichend.
Da andere wissenschaftliche Erkenntnisse (aus der Anthropologie, der Entwicklungs- und Neuropsychologie, Linguistik) dafür sprechen, den Fremdsprachenerwerb in die Grundschulzeit zu verlegen, ist dieses Ziel nicht unerreichbar. Durch den frühen Beginn, bleibt mehr Raum für den Erwerb weiterer Fremdsprachen. Bei der Sprachwahl sollte man sich aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen dazu entschließen, zunächst (z.B. für die erste und zweite Fremdsprache) europäische Sprachen auszuwählen.
- Interkulturelle Erziehung
Aus den oben angeführten Erfordernissen stellt sich die Aufgabe, im gesamten Unterricht und insbesondere im Fremdsprachenunterricht der interkulturellen Erziehung als Teil des sozialen Lernens mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Um grundlegende Voraussetzungen für die künftige Ausprägung einer übernationalen Perspektive zu schaffen, müssen verstärkt auch kulturelle und soziale Aspekte mit in den Fremdsprachenunterricht einbezogen werden.
Nur durch die Förderung des Verstehens fremder Kulturen, kann auch eine interkulturelle Sprachhandlungskompetenz entwickelt werden. Durch einen solchen Fremdsprachenunterricht hat man die Chance, Haltungen und Einstellungen (wie z.B. Offenheit, Toleranz und Solidarität) positiv zu beeinflussen. Dabei sollten nicht nur rationale Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, sondern der Unterricht muss so gestaltet werden, dass die Kinder emotional angesprochen werden. Weiterhin sollten die Kinder erkennen, dass alle Sprachen gleichwertig sind (was bei der enormen Favorisierung des Englischen sehr schwierig wird) .
Interkulturelles Lernen heißt nach Nieke[7]:
1. Erkennen des eigenen unvermeidlichen Ethnozentrismus
2. Umgang mit der Befremdung (Gelegenheiten zum Kennen lernen schaffen,
Rollenspiele, darstellendes Spiel, Pantomime,
attraktive Seite\n der fremden Kultur präsentieren)
3. Grundlegung von Toleranz (mehr als gleichgültiges Akzeptieren!)
4. Akzeptanz von Ethnizität (Akzeptieren der Eingebundenheit in ihre Kultur)
5. Thematisierung von Rassismus (Unbehagen gegenüber rassisch differenten
Menschen aufgreifen und hinterfragen,
Thema zur Diskussion bringen)
6. Das Gemeinsame betonen (auch Triviales)
7. Ermunterung zur Solidarität (Recht auf Anderssein einräumen)
8. Einüben in Formen vernünftiger Konfliktbewältigung
9. Aufmerksamwerden auf Möglichkeiten gegenseitiger kultureller Bereicherung
(Übernahme von Elementen aus anderen Kulturen in die eigene)
10. Aufhebung der „wir“- Grenze in globaler Verantwortung
[...]
[1] Wenn ich hier „Begegnung“ schreibe, meine ich das Kennen lernen einer fremden Sprache ungeachtet eines möglichen Konzeptes
[2] aus: Bebermeier, H.: Begegnung mit Fremdsprachen in der Lebenswirklichkeit von Grundschulkindern, S. 28/29
[4] vgl.: Pfeiffer, W.: Ein sprachendidaktisches Konzept für Mehrsprachigkeit, 1989
[5] Gogolin, I.: Fremdsprachen im Vorschul- und Primarbereich, 1995
[6] Anm.: Leider kann ich aber in dieser Arbeit nicht nach Lösungen für dieses Problem suchen, denn hier geht es mehr um den Vergleich zwischen den beiden genannten Konzepten.
[7] Nieke, W.: Interkulturelle Erziehung und Bildung, Leske und Budrich 1995