Sigmund Freud - Das Unbehagen in der Kultur
Einleitung: Sigmund Freud beginnt den Versuch der Kulturbetrachtung mit der selben Methode, welche die psychologische Untersuchung der Psychoneurosen bestimmt haben. Freuds Einstellung ist subjektiv, was sich in verschiedenen Äußerungen eigener Ansichten verdeutlicht; die Position Freuds wird zwar bestimmt durch die eines Beobachters, Freud als Betrachter erscheint daneben.
Bedeutung der Freudschen Kulturbetrachtung: es darf nicht als Alterswerk eines anders begonnenen Forschers gesehen werden, da die Kultur auch in der Psychoanalytik eine wichtige Rolle spielt und somit immer schon seine Arbeit beeinflusst hat. Einerseits sind es die Bedürfnisse, Wünsche, Lebensentwürfe, Normen und Richtlinien, die das Leiden eines Patienten hervorrufen können, andererseits darf die sozialgesellschaftliche Situation nicht außer Acht gelassen werden, da das Problem des Individuums in der Kultur immer Einfluss auf das Seelenleben hat.
Freud beginnt die kulturellen Formen der Weltdeutung zu untersuchen, welche auf den Lebenssinn ausgerichtet sind.
Die besondere Hervorhebung von Sexualität und Perversion zeigt Freuds Bemühen, den Zusammenhang zwischen Triebschicksal und Kultur zu unterstreichen.
Unbehagen in der Kultur
Im ersten Kapitel beschäftigt sich Freud anfangs mit dem falschen Maßstab der Gesellschaft und den fälschlicherweise hochgehobenen Werten, welcher die breite Masse folgt. Die Leistung einiger weniger Menschen, die sich außerhalb der regulären Normen und Werte stellten, wird zwar anerkannt und gewürdigt, doch nicht als ausschlaggebend betrachtet.
Weiteres geht Freud auf das Gefühl des Ozeanischen ein, welches als ursprüngliches Gefühl der Religiosität gesehen wird; jede Glaubensrichtung, Religion muss von diesem erst durchtränkt sein, um überhaupt existieren zu können.
Freud bezweifelt, dass dieses Gefühl als Ursprung und Quelle aller religiösen Bedürfnisse anerkannt werden soll. Er sieht dieses eher als Gefühl der unauflösbaren Verbundenheit, als Verbundenheit mit dem Ganzen der Außenwelt.
Danach geht er auf das Gefühl unseres Selbst ein. Unser eigenes Ich erscheint uns zwar als einheitlich und eigenständig, dies ist jedoch nur ein Trug, da es bei diesem Gefühl nach innen hin keine klar definierte Grenzen zwischen Ich und Es gibt.
Das Ich- Gefühl ist auch Störungen unterworfen; eine davon ist die Unbeständigkeit der
Grenzen oder wenn diese falsch gezogen wurden gegenüber der Außenwelt. Bspl: Gefühle, die einem fremd erscheinen, werden der Außenwelt zugeschrieben (Projektion).
Entwicklung des Ichgefühls des Erwachsenen :
Beim Säugling gibt es anfangs keine Unterscheidung zwischen äußeren Eindrücken und Erregungen gegenüber dem inneren ,,Ich ". Unvermeidbare, vielfältige Schmerzempfindung und Erfahrung führt zur Aufwertung der eigenen Lustempfindung, die mit dem Ichgefühl gleichgesetzt wird. Dies sollte jedoch durch Erfahrung berichtigt werden.
Pubertät/Reifezeit: Ein allumfassendes Gefühl der innigen Verbundenheit des Ich mit der Umwelt, sowie die enger und schärfer gezogenen Grenzen bestimmen diese Zeit.
Freud fügt hinzu: es dürfte aber noch etwas von dem ursprünglichen Gefühl erhalten sein, welches nun das Ozeanische Gefühl darstellt. Dies kann als die Erhaltung des Primitiven neben dem daraus entstandenen Umgewandelten gesehen werden (ein bestimmter Anteil einer Einstellung, Triebregung erhalten - der andere hat sich entwickelt).
Problem der Erhaltung im Psychischen: Die Annahme, dass im Seelenleben nichts, das einmal gebildet wurde, untergehen kann, wird vorausgesetzt. Freud meint, dass alles irgendwie erhalten bleibt; zum Vorschein kommt es aber nur durch bestimmte Umstände (Regression). Die Erhaltung allem Vergangenen kann aber nur bei Intaktbleiben des Organs funktionieren.
Freud fügt aber noch hinzu, dass manch weit zurückliegende Erinnerung nicht mehr wiederbelebt werden kann.
Den Anspruch, die Quelle des Religiösen zu sein, den das Ozeanische Gefühl stellt, führt Freud auf das kindliche Bedürfnis des Schutzes, den Versuch der religiösen Tröstung und der Ablehnung der Gefahr der Menschen zurück.
Freud stellt die Religionskritik am Anfang des zweiten Kapitels in den Vordergrund. Er will sich mit dem, was der gemeine Mensch als Religion versteht, beschäftigen, also mit dem System der Lehren und Verheißungen der Religion.
Aus dem kindlichen Schutz und Sicherheitsbedürfnis heraus stellt sich die Religion Gott als überhöhte Vaterfigur vor, was Freud eindeutig als infantil und wirklichkeitsfremd deutet. Da uns das Leben von unzähligen Schmerzen, Enttäuschungen und Leid fast unerträglich gemacht wird, haben sich drei Methoden zum Ertragen diesen Leids entwickelt:
- Mächtige Ablenkungen lassen uns Leid gering schätzen (Bspl. Wissenschaftliche oder schöpferische Arbeit)
- Ersatzbefriedigungen verringern Leid (Bspl. Kunst- Flucht in die Illusion)
- Rauschstoffe machen uns unempfindlich, beeinflussen den Körper chemisch
Die Frage nach dem Zweck unseres Lebens ist die wichtigste Frage: diese wird einzig von der Religion beantwortet, diese steht und fällt mit dem religiösen System ( weiterer Anhang: würde aber das Leben gar keinen Zweck haben, wäre es wertlos)
Das Ziel des menschlichen Strebens ist eindeutig auf das Glück ausgerichtet. Genauer gesagt auf die Erlangung und Erhaltung von Glück.
Glück wird als Erleben von starken Lustgefühlen (positiv) und die Abwesenheit von Schmerz und Unlust (negativ) definiert.
Das Programm des Lustprinzips setzt den Lebenszweck. Alle Leistung nur darauf ausgerichtet, obwohl es im vollkommenen Gegensatz zu aller Gesetzmäßigkeit im Kosmos steht; ,,die Absicht des glücklich seienden Menschen, ist im Plan der ,,Schöpfung" nicht enthalten".
Da das Glück ein episodisches Phänomen ist wie auch die Tatsache, dass der Mensch nur den Kontrast intensiv genießen kann, machen die den Wunsch des Menschen, immer glücklich zu sein, unmöglich.
Das Leiden droht von drei Seiten her:
- Vom Körper, bestimmt durch Krankheit, Zerfall und Auflösung
- Von der Außenwelt, welche durch übermächtige, zerstörerische Kräfte Leid anrichten kann
- Beziehungen zu anderen Menschen, diese wird am schmerzhaftesten empfunden.
Wenn die Aufgabe der Leidvermeidung die der Lustgewinnung in den Hintergrund drängt, wandelt sich das Lustprinzip unter Einfuß der Außenwelt zum bescheideneren Realitätsprinzip um.
Erklärung:
- Realitätsprinzip: Beherrschen von psychischem Geschehen - Ziel: Unlust vermeiden, Lust verschaffen
- Lustprinzip (Trieb, Es): will unmittelbare Erfüllung = Erlangen des Lustzustandes
Realitätsprinzip (Verstand, Über-Ich), schiebt die Lustgewinnung wegen hemmender Bedingungen der Außenwelt auf, sodass das Ich erfährt, Unlust zu ertragen und ev. Lustquellen ganz aufgeben muss. Das so erzogene Ich folgt nicht mehr dem Lustprinzip, sondern dem Realitätsprinzip, welches gesicherte Lust erzielen will, indem es auf die Realität Rücksicht nimmt
Freud führt nun verschiedene Wege der Leidvermeidung an.
1. Fernhaltung von anderen Menschen ( v. Beziehung), gewollte Vereinsamung, Eremitentum. Ziel Glück der Ruhe;
Abwendung (v. Außenwelt), wahnhafter Umgestaltung der Realität (unten noch einmal angeführt);
2. Beeinflussung des Organismus:
roheste, wirksamste Methode: chemische Intoxikation = Rauschmittel, verschafft unmittelbaren Lustgewinn und Unabhängigkeit zur Außenwelt; ändert Bedingungen des Empfindungslebens so, dass wir untauglich zur Aufnahme von Unlusterregung werden. Dabei geht Energie nutzlos verloren.
Körperliche Wahnzustände, rauschähnliches Verhalten ohne Gift (Bspl. Manie)
Tötung/Beherrschung des Trieblebens: die höheren psychischen Instanzen herrschen in diesem Zustand vor und haben das Realitätsprinzip unterworfen; damit hängt eine Herabsetzung der Genussmöglichkeiten zusammen.
3. Libidoverschiebung = Sublimierung/Verschiebung der Triebziele
Psychische intellektuelle Arbeit: wird als feiner und höher betrachtet, aber sie versagt, wenn der Körper die Leidensquelle darstellt. Durch Wissenschaft und Technik die Natur dem menschlichen Willen unterwerfen im Sinne von Arbeit als Gesellschaftsmitglied für das Glück aller.
Diese Methode ist nicht allgemein anwendbar, nur wenigen Menschen zugänglich.
Fantasiebefriedigung : Kunst als Lustquelle und Lebensströmung. Schwäche: nicht stark genug, um reales Elend vergessen zu machen.
Feindbild - Quelle alles Leidens = sich von der Realität (Außenwelt) abwenden, Umwandlung der Wirklichkeit, Eremitentum, zum Wahnsinn.
Massenwahn = Wahnhafte Umbildung der Realität durch große Anzahl von Menschen (Bspl. Religion)
Liebe als Mittelpunkt des Lebens bringt jedoch auch die größte Schwäche mit sich: ungeschützt gegen Leiden - hilflos und abhängig.
Ä sthetik, Genuss der Schönheit: wirkt milde berauschend, aber ohne kulturelle Notwendigkeit
Das Ziel, "glücklich zu werden und zu bleiben" ist zwar unerfüllbar, aber die Bemühungen, ihm näher zu kommen, dürfen nicht aufgegeben werden.
Man kann die verschiedensten Wege wählen, entweder haben sie das positive (Lustgewinn) oder das negative Ziel (Lustvermeidung) vorangestellt. Auf alle Fälle muss er auf äußeres Verhältnis und individuelle Persönlichkeit abgestimmt sein. Gelingt es nicht eine Richtung seiner Lebensgestaltung zu finden, wird der letzte Ausweg oft leider nur mehr in der Neurose, chronischen Intoxikation oder Psychose gesehen.
Die Religion bietet allen in gleicher Weise Leidensschutz und Glückserwerb an, bedingt jedoch den Wert des Lebens herabzudrücken und das Bild der realen Welt zu entstellen (Voraussetzung Einschüchterung der Intelligenz).
Die gewaltsame Fixierung und Einbeziehung in infantilen Massenwahn erspart zwar vielen eine individuelle Neurose, aber da er sich dem ,,unerforschlichen Ratschluss" Gottes unterwirft, hätte er auch schon vorher erkennen können, dass ihm als letzte Trostmöglichkeit und Lustquelle im Leiden nur bedingungslose Unterwerfung geblieben ist.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in Sigmund Freuds "Das Unbehagen in der Kultur"?
Sigmund Freud untersucht in "Das Unbehagen in der Kultur" die Ursachen des menschlichen Leidens und die verschiedenen Strategien, die Menschen anwenden, um mit diesem Leiden umzugehen. Er analysiert die Rolle der Kultur, der Religion und der Triebe im menschlichen Leben und kommt zu dem Schluss, dass ein gewisses Maß an Unbehagen unvermeidlich ist.
Was sind die Hauptthemen in Freuds Kulturbetrachtung?
Zu den Hauptthemen gehören die Spannung zwischen individuellen Bedürfnissen und den Anforderungen der Gesellschaft, die Suche nach Glück und die Vermeidung von Leiden, die Rolle der Religion als Trost und Illusion, die Bedeutung der Sexualität und der Triebschicksale, sowie die verschiedenen Abwehrmechanismen, die Menschen einsetzen, um mit Konflikten umzugehen.
Was ist das "ozeanische Gefühl" und welche Bedeutung hat es?
Das "ozeanische Gefühl" beschreibt Freud als ein ursprüngliches Gefühl der Verbundenheit mit dem Ganzen der Außenwelt. Er bezweifelt, dass es der Ursprung aller religiösen Bedürfnisse ist, sieht es aber als die Erhaltung des Primitiven neben dem Umgewandelten.
Wie erklärt Freud die Entwicklung des Ich-Gefühls?
Freud beschreibt, wie das Ich-Gefühl sich vom Säuglingsalter über die Pubertät bis zum Erwachsenenalter entwickelt. Im Säuglingsalter gibt es anfangs keine Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Eindrücken. Später werden Grenzen gezogen, aber das Ich-Gefühl kann auch Störungen unterliegen, z.B. durch falsche Grenzziehungen zur Außenwelt.
Welche Rolle spielt das Lustprinzip in Freuds Theorie?
Das Lustprinzip ist das grundlegende Prinzip, das das menschliche Streben nach Glück und die Vermeidung von Unlust bestimmt. Freud argumentiert, dass dieses Prinzip im Widerspruch zu den Gesetzmäßigkeiten des Kosmos steht und dass das Glück nur ein episodisches Phänomen ist. Das Realitätsprinzip entwickelt sich aus dem Lustprinzip als Reaktion auf die Anforderungen der Außenwelt.
Welche Strategien zur Leidvermeidung beschreibt Freud?
Freud beschreibt verschiedene Strategien zur Leidvermeidung, darunter die Fernhaltung von anderen Menschen, die Beeinflussung des Organismus (z.B. durch Rauschmittel), die Tötung/Beherrschung des Trieblebens, die Libidoverschiebung (Sublimierung), die Fantasiebefriedigung (Kunst), die Projektion von Schuld auf ein Feindbild und die wahnhafte Umgestaltung der Realität.
Wie beurteilt Freud die Religion?
Freud sieht die Religion kritisch als eine infantile Illusion, die aus dem kindlichen Bedürfnis nach Schutz entsteht und Gott als überhöhte Vaterfigur darstellt. Er argumentiert, dass die Religion zwar Schutz vor Leiden und Glückserwerb bietet, aber den Wert des Lebens herabdrückt und das Bild der realen Welt entstellt.
Was ist Freuds Fazit bezüglich des "Unbehagens in der Kultur"?
Freud kommt zu dem Schluss, dass ein gewisses Maß an Unbehagen unvermeidlich ist, da die Spannung zwischen individuellen Bedürfnissen und den Anforderungen der Gesellschaft immer bestehen wird. Er betont, dass die Suche nach Glück und die Vermeidung von Leiden zwar unerreichbare Ziele sind, aber dass die Bemühungen, ihnen näher zu kommen, nicht aufgegeben werden dürfen.
- Citation du texte
- Johanna Waldmann (Auteur), 2001, Das Unbehagen in der Kultur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101405