Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Prinzip der Verantwortung von Hans Jonas
2.1 Der Naturbegriff
2.2 Verantwortung
2.3 Der ökologische Imperativ
2.4 Die Idee der Heuristik der Furcht
3 Praxistauglichkeit
4 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Der philosophische Ansatz der Zukunftsethik knüpft an die geschichtsphilosophische Ansicht an, „[…] die technische Zivilisation bringe keinen eigenen historischen „Sinn“ mehr hervor, da die existenziellen Probleme der „Daseinsvorsorge“ gelöst seien […]“(Rohbeck 2013, 8). Jedoch fanden durch den Menschen seit der Industrialisierung mit zunehmender Geschwindigkeit massive und tiefgreifende Eingriffe in die Natur statt und es wurden Technologien, wie beispielsweise die Atombombe, entwickelt, welche ein existenzbedrohendes Vernichtungspotential mit sich brachte, welches vor allem während der Zeit des kalten Krieges bewusst wahrgenommen wurde und nicht zuletzt in dem Buch „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt, aber auch in Hans Jonas Buch „Das Prinzip der Verantwortung“ ethische Debatten angestoßen hat. Diese Entwicklungen stellten die tradierte Ansicht mit der Zeit in Frage und machten eine zukunftsethische Debatte nötig, welche sich dieser Problemstellung annimmt(vgl. Rohbeck 2013, 8). Zentrale Problemfelder der Gegenwart sind beispielsweise der anthropogen verursachte Klimawandel, technologische Eingriffe wie unter anderem die Nutzung von Atomenergie und deren problematische Abfälle, die Herstellung von Atomwaffen, die Knappheit und Verunreinigung von Ressourcen, schädliche Eingriffe in die Umwelt und ein damit verbundenes Artensterben, materielle und immaterielle Hinterlassenschaften, sowie demographische Herausforderungen.
Generell lässt sich die zukunftsethische Debatte dualistisch unterteilen, nämlich in verantwortungstheoretische und verteilungstheoretische Ansätze. Ein grundlegendes Unterscheidungsmerkmal beider Ansätze ist der „temporale Standpunkt“. Debatten der Verteilungstheorien setzen eine „Gleichzeitigkeit aller Zeiten“ voraus, da sie die Frage nach einer normativen und quantitativen Verteilung von Ressourcen über alle Generationen hinweg behandeln. Verantwortungstheorien beziehen sich hingegen auf die Handlung gegenwärtig lebender Menschen und sind somit zeitlich limitiert(vgl. Müller-Salo 2017, 2). Das Werk von Hans Jonas lässt sich in die Kategorie der verantwortungstheoretischen Ansätze einordnen. Weitere zentrale Merkmale der Verantwortungstheorien sind der Einzelfallbezug, das Definieren klar abgrenzbarer Pflichten in Bezug auf diese konkreten Handlungen und in Abhängigkeit der technischen Kompetenz einer Generation, sowie das Motiv einer Schadensvermeidung gegenüber künftigen Generationen, was auch mit einschließt, dass künftigen Generationen die Möglichkeit gelassen wird, selbst Handlungsentscheidungen treffen zu können(vgl. Müller-Salo 2017, 4).
Im weiteren Verlauf dieser Arbeit sollen ausgewählte Aspekte des theoretischen Konzeptes von Hans Jonas zu seinem Prinzip der Verantwortung vorgestellt werden, um im Anschluss auf Probleme und Herausforderungen des Konzeptes eingehen und eine Bewertung vornehmen zu können.
2 Das Prinzip der Verantwortung von Hans Jonas
In den folgenden Abschnitten sollen nun einige ausgewählte Aspekte von Hans Jonas Theoriekonstrukt vorgestellt werden, zu welchen insbesondere Jonas Naturbegriff, sein Verständnis von Verantwortung, sein ökologischer Imperativ und seine Idee der Heuristik der Furcht als zentrale Aspekte zählen. Jonas weitere Ausführungen müssen dabei unbehandelt bleiben, da sie den Umfang dieser Arbeit überschreiten würden.
2.1 Der Naturbegriff
Hans Jonas zeichnet sein Bild von der Natur in Anbetracht ihres Verhältnisses zum Menschen und insbesondere darüber, wie sich dieses Verhältnis über die Menschheitsgeschichte hinweg gewandelt hat. Dabei lässt sich Jonas Perspektive auf die Natur einem Physiozentrismus zuordnen, welcher sich als Gegenentwurf zum Anthropozentrismus versteht. Im Anthropozentrismus steht der Mensch im Mittelpunkt und es wird der Natur kein Eigenwert zugeschrieben, denn der Wert der Natur liegt nach dieser Sichtweise nur im menschlichen, subjektiven Empfinden und kann insofern auch stark variieren(vgl. Meyer-Abich 1999, 429). Jonas spricht der Natur hingegen objektive Werte zu, welche er argumentativ über einen teleologischen Naturbegriff identifiziert(vgl. Jonas 2020, 129). Hinter diesem teleologischen Naturbegriff verbirgt sich die aristotelische Sichtweise eines der menschlichen Handlung immanenten Zweckes oder Zieles [τέλος – telos](vgl. Rapp und Wagner 2006, 197), welchen Jonas auf die Objekte der Natur und schließlich auf ihre Gesamtheit projiziert. Jonas geht also in einer stufenweise vollzogenen Argumentation zunächst von einer Zweckgebundenheit menschlicher Existenz durch ihre rein funktionale Ebene aus und sieht diese als Referenzebene an, da der Mensch in seiner Komplexität das für ihn „zugänglich ‚Höchste[ ]‘“ sei(Jonas 2020, 135). Davon ausgehend beginnt Jonas seine metaphysische Betrachtung der Natur, indem er sich in einem ersten Schritt auf zwei vom Menschen willkürlich geschaffene Gegenstände bezieht. Diese nutzt er argumentativ und führt beispielhaft den Hammer als Werkzeug und auf einer höheren Ebene den Gerichtshof als teilweise beseeltes, institutionelles Objekt an. Beide Objekte seien durch den Menschen geschaffen, dementsprechend kausal an diesen zweckgebunden und ohne intrinsischen Eigenzweck vorhanden, sodass der Bezugspunkt der Mensch bleibt. In seiner weiteren Argumentation grenzt Jonas dann jedoch beispielhaft zwei natürlich vorkommende Phänomene ab, das Gehen und die Verdauung. Das Gehen sei dabei eine willkürliche und rational entschiedene Funktion, welche ihren Zweck für den Gehenden erfüllt. Das Verdauungsorgan hingegen erfüllt einen rein funktionalen Zweck, losgelöst vom menschlichen Verstand. Der subjektive Zweck liegt hier also nicht beim Menschen, sondern ist die unwillkürliche, rein funktionale Selbsterhaltung und folglich das Leben an sich(vgl. Jonas 2020, 140–141). Durch die Identifikation des Lebens als Zweck der Natur im Einklang mit dem Sein, gelangt Jonas über einen induktiven Schluss zu der These, dass der Zweck „[…] über alles Bewußtsein hinaus, menschliches wie tierisches, in die physische Welt als ein ihr ursprünglich eigenes Prinzip […]“(Jonas 2020, 143)integriert ist und die Natur somit sowohl über einen solchen Zweck, als auch über die Zuschreibung eines phänomenologischen Seins charakterisiert ist. Mit diesen der Natur immanenten Zwecken eröffnet sich für Jonas jedoch die Problemstellung, ob sich mit der Erkenntnis eines solchen Zweckes bereits eine Moral ableiten lässt und sich die Zwecke durch ihr bloßes Vorhandensein selbst legitimieren. „Es ist die alte Frage, ob Sein überhaupt ein Sollen begründen kann“(Jonas 2020, 144). Die Zuschreibung der objektiven Werte der Natur nimmt Jonas schließlich vor, indem er argumentiert, dass bei jedem „[…] erstrebten Zweck […] die jeweilige Erreichung ein Gut und die Vereitelung ein Übel [ist], und mit diesem Unterschied […] die Zusprechbarkeit von Wert [beginnt]“(Jonas 2020, 151). Der Wert der Natur ergibt sich somit aus „ihr selbst“, durch ihr bloßes Sein, welches der gleichzeitigen Möglichkeit der Existenzlosigkeit trotzt und somit aus der instrumentellen Bejahung seiner selbst erwächst(vgl. Jonas 2020, 153). Dabei sind die Werte losgelöst von moralischen Werten, da dies noch kein Werturteil darüber impliziert, ob ihre Existenz subjektiv positiv oder negativ bewertet werden kann. Jonas argumentiert grundsätzlich: „[…] Dass das Sein nicht indifferent gegen sich selbst ist, macht seine Differenz vom Nichtsein zum Grundwert aller Werte […]“(Jonas 2020, 153). Dem Zweck der Natur, welcher im Sein begründet ist, schreibt Jonas also einen absoluten Wert zu, welcher dem Nicht-Sein überlegen ist, da dieses nicht charakterisierbar und frei von Wert ist. Umso komplexer der Zweck dabei sei, desto größer sei die Rechtfertigung des Seins und der Wert, der daraus hervorgeht(vgl. Jonas 2020, 154). Die Natur in ihrer Komplexität und insbesondere das organische Leben, hat für Jonas demzufolge einen hohen Grundwert und darüber hinaus einen subjektiven Charakter, welcher Interessen und Ziele aktiv verfolgt. Eine Abkehr von diesem Wert der Natur sei für den Menschen zwar prinzipiell möglich, aber nur unter der Voraussetzung, sich auf eine höhere Instanz, etwa „[…] eine Transzendenz, die ihrerseits [eine] Autorität besitzt […]“(Jonas 2020, 146), berufen zu können. Der bedingungslose Dissens mit diesem Wert wäre nach Jonas „leichtfertig“ (ebd.). Inwiefern aus diesem Grundwert für Jonas eine moralische Pflicht gegenüber der Natur entsteht, soll in einem späteren Teil dieser Arbeit thematisiert werden.
Das Verhältnis zwischen dem Menschen und der Natur sieht Jonas als zutiefst gestört an. Die Natur sieht Jonas dabei in der Opferrolle, sowie als vom Menschen unterworfen an(vgl. Jonas 2020, 9)und charakterisiert die Natur in diesem Zusammenhang weitergehend als vom Menschen „vergewaltigt“(Jonas 2020, 20). Ausgehend vom antiken Chorlied aus Sophokles‘ Antigone, vergleicht Jonas das Verhältnis zwischen dem Menschen und der Natur im zeitlichen Horizont zwischen der Antike und der Gegenwart. Während der Mensch als rationales Wesen bereits in der Antike seine Macht dazu nutzt, sich die Natur durch die Ausübung von Gewalt untertänig zu machen und für seine Zwecke zu nutzen, schreitet mit dem Errichten von Städten und der „[…] Zivilisierung seiner selbst […]“ (ebd.) für Jonas die Entfremdung des Menschen von der Natur und die Misshandlung und Ausbeutung eben dieser weiter voran (vgl. ebd.). Allerdings war für Jonas „[…] der Mensch [in der Vergangenheit], gemessen an den Elementen, immer noch klein […](Jonas 2020, 21)und vermochte es nicht, einen dauerhaften, irreversiblen Schaden in der Natur anzurichten und „[…] ihr festgesetztes Gleichgewicht zu stören“ (ebd.). Auch sei in der Antike noch keine bewusste Bedrohung durch eine Steigerung dieser menschlichen Eingriffe vorhanden gewesen. Jonas zeichnet also ein vergangenes Bild der Natur, in welchem diese noch unverwundbar, konstant existent und im Gefüge einer „[…] kosmischen Ordnung […]“ war(Jonas 2020, 22). Jonas gelangt zu dem Schluss: „Die Natur war kein Gegenstand menschlicher Verantwortung – sie sorgte für sich selbst und, mit entsprechender Überredung und Bedrängung, auch für den Menschen: nicht Ethik, sondern Klugheit und Erfindungsgabe war ihr gegenüber angebracht“(Jonas 2020, 23). Allerdings sei mit der Erfindung neuer, moderner Technologien auch eine neue Charakterisierung der Natur notwendig geworden. Moderne Technik sei in ihrem Einfluss auf die Natur nicht mehr überschaubar und lasse so tiefgreifende Eingriffe zu, dass die Unverletzlichkeit der Natur nicht mehr gegeben sei und das traditionelle Bild der Natur umgekehrt gedacht werden müsse(vgl. Jonas 2020, 28). Außerdem nehme die Ausdehnung der Städte ein so großes Ausmaß an, dass die Natur in großem Maßstab verdrängt werde(vgl. Jonas 2020, 35). Diese entscheidende Änderung des Naturbildes ist gleichzeitig der Ausgangspunkt für Jonas zukunftsethische Überlegungen, worauf in einem späteren Teil dieser Arbeit noch genauer eingegangen werden soll.
2.2 Verantwortung
Das Prinzip der Verantwortung ist von Hans Jonas als „Gegenentwurf“ zu dem von Ernst Bloch 1954 publizierten Buch „Das Prinzip Hoffnung“ intendiert, in welchem die Hoffnung in der Tradition des „marxistischen Utopismus“ im Vordergrund menschlicher Vorausschau steht. Hoffnung und utopische Träumerei allein seien nach Jonas jedoch ein verantwortungsloser Luxus, vielmehr bedürfe es eines verantwortungsvollen Handelns(vgl. Brocker 2018, 610). Der Verantwortungsbegriff bei Jonas bezieht sich zum einen auf die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur und zum anderen gegenüber künftig lebenden Generationen. Zwar wird der Mensch weiterhin als Teil der Natur verstanden, dennoch schreibt Jonas diesbezüglich, dass die Natur in ihrem subjektiven Charakter und als aktiver Entscheidungsträger, mit der Erschaffung des Menschen ein großes „Wagnis“ eingegangen sei(vgl. Jonas 2020, 241). Jonas merkt in diesem Zusammenhang an: „Im Menschen hat die Natur sich selbst gestört und nur in seiner moralischen Begabung […] einen unsicheren Ausgleich für die erschütterte Sicherheit der Selbstregulierung offengelassen“(Jonas 2020, 242). Jonas argumentiert jedoch gegen eine Eigenverantwortung der Natur, denn obwohl er der Natur diesen subjektiven Charakter zuschreibt, basiere sie weiterhin nur auf einem „[…] unbewussten Funktionieren […]“ (ebd.). Vielmehr liege die Verantwortung beim Menschen, da dieser sowohl die Begabung von Rationalität, als auch die weitreichende Macht in seinem Handeln habe. Jonas Prämisse für eine menschliche Verantwortung gegenüber der Natur und sich selbst lautet: „Macht im Verein mit Vernunft führt an sich Verantwortung mit sich“ (ebd.).
Moderne Technologien und der verletzliche Charakter der Natur erfordern für Jonas also auch eine neue Ethik und der Mensch trage eine Verantwortung gegenüber der Natur aus der bloßen Implikation heraus, dass er die Macht hat, die „[…] gesamte Biosphäre des Planten […]“ zu verändern und ihr im schlimmsten Fall einen irreversiblen Schaden zuzufügen(Jonas 2020, 29). Diese Verantwortung gehe somit mit der Pflicht einher, sich der Natur gegenüber solidarisch zu verhalten und die ihr drohende Gefahr abzuwenden(vgl. Jonas 2020, 242). Als Verantwortungsobjekt sieht Jonas neben der Natur auch die „[…] Idee des Menschen […]“ (Jonas 2020, 90), womit Jonas die Verantwortung des Menschen seiner eigenen Spezies gegenüber versteht, sodass diese weiterhin auf dem Planeten Erde existiert (vgl. ebd.). Vor diesem Hintergrund bezeichnet Jonas seine Ethik auch als „Notstandsethik“(vgl. Jonas 2020, 244). Diese ergebe sich aus dem „[…] Schicksal des Menschen in seiner Abhängigkeit vom Zustand der Natur […]“ als seine Lebensgrundlage und der Ausdehnung seiner Macht durch moderne Technologien, deren Handlungskausalitäten Auswirkungen bis in die Zukunft haben und deren Folgen sich kumulieren und somit keine Rückkehr mehr zum Ausgangszustand zulassen(vgl. Jonas 2020, 29). Außerdem sei problematisch, „[…] daß das vorhersagende Wissen hinter dem technischen Wissen, das unserem Handeln die Macht gibt, zurückbleibt […]“ und es somit unmöglich macht, Vorhersagen über die Reichweite der Handlungsfolgen moderner Technologien zu treffen(Jonas 2020, 30). Nach Jonas trägt der Mensch also Verantwortung für beides, für sich selbst und die Natur, was in einem Konflikt mit der Nutzung moderner Technologien steht. Mit „dem Menschen“ meint Jonas jedoch keinen individuellen Akteur. Verantwortung trage derjenige, der eine Tat begeht, welche einen Schaden verursacht(vgl. Jonas 2020, 169), oder derjenige, der durch seine Macht einen Verantwortungsbereich erhält(vgl. Jonas 2020, 171). Dies münde jedoch mit der Zeit in einer diffusen und nicht rückverfolgbaren Menge an Handlungen, weshalb der Eingriff in die Natur durch eine kollektive Tat begangen werde, woraus auch eine kollektive Verantwortung folgt(vgl. Jonas 2020, 34). Verantwortung ergibt sich bei Jonas also aus dem reinen Kausalzusammenhang einer Handlung und kann nur kollektiv vom Menschen wahrgenommen werden, wodurch die Verantwortung vor allem auch bei der Politik liegt und diese herausfordert (vgl. ebd.). Außerdem unterscheide sich die kollektive Verantwortung von der elterlichen Verantwortung im Zeithorizont. Die Geschichte der Menschheit habe „[…] einen ganz anderen Sinn als das Werden des Individuums vom Keim zum Erwachsenen“(Jonas 2020, 197). Der Pfad der Menschheit sei nicht mit der individuellen Entwicklung des Menschen gleichzusetzen, sondern ein zeitloses Sein (vgl. ebd.). Dennoch gebe es „[…] geschichtliche[ ] Gelegenheiten, bei [denen] es durchaus bewußt sein kann, daß hiermit das kollektive Schicksal auf Generationen, vielleicht Jahrhunderte entschieden wird“(Jonas 2020, 199).
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