Das Leere Blatt im Mathematikunterricht der Grundschule

Ein informelles Instrument zur Einschätzung heterogener Lernausgangslagen. Band 1: Das Leere Blatt im mathematischen Anfangsunterricht


Fachbuch, 2021

98 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Woher kommt das Leere Blatt?
1.2 Das Leere Blatt im mathematischen Anfangsunterricht
1.3 Einsatzbereiche: Das Leere Blatt im

2 Hinweise zum Lernumfeld
2.1 Das konstruktive Lernverständnis
2.1.1 Die Lernkultur
2.1.2 Die Gesprächskultur
2.1.3 Die Fehlerkultur
3 Die Leeren Blätter von Schulanfänger*innen
3.1 Die Leeren Blätter von Haja und Cora
3.1.1 Fachdidaktischer Exkurs: Zahlworte lernen
3.2 Die Leeren Blätter von Rojan, John und Karina
3.2.1 Rojan
3.2.2 John
3.2.3 Karina
3.3 Das Leere Blatt von Fabian
3.4 Das Leere Blatt von Volkan und Olaf

4 Chancen, Hürden und Grenzen
4.1 Leitfragen zur Leeren-Blatt-Analyse
4.1.1 Die Schreibrichtung (von links nach rechts)
4.1.2 Die Ziffernschreibweise
4.1.4 Der Materialeinsatz
4.1.5 Die Zahlbeziehungen
4.2 Der Alltagsbezug
4.3 Wenn es nicht gelingt Voraussetzungen und Alternativen

5 Mutmacher

Literaturverzeichnis
Monographien
Zeitschriftenartikel
Internetquellen

Anhang
Vorlage: Leitfragen zur Leere-Blatt-Analyse
Übungen mit Schüler*innenprodukten
Übung 1: Leon
Übung 2: Jana
Übung 3: Jayson
Übung 4: Annie
Übung 5: Saaron
Zerlegungen der 10

Abstract

Der Anspruch an einen aktuellen Mathematikunterricht in der Grundschule ist in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewachsen. Diagnostische Kompetenz, prozessorientierte Lernangebote, individuelle Förderung sind nur einige Schlagworte, die in diesem Zusammenhang an Bedeutung gewonnen haben. Im Rahmen von Studium, Ausbildung und Weiterbildung wird häufig gefragt, wie ein entsprechend auf unterschiedliche Lernausgangslagen ausgerichteter Unterricht gestaltet werden kann. Gerade Lehrkräfte in der Ausbildung, aber auch Lehrer*innen mit Berufserfahrung formulieren oftmals die Sorge, wie sie der Vielzahl an unterschiedlichen Lernausgangslagen, Lernbedürfnissen und Interessenslagen in ihrem Mathematikunterricht adäquat begegnen können. Ein erster Schritt dorthin ist, sich über das Vorwissen der Lernenden zu informieren. Eine Möglichkeit, sich informell einen Überblick über das Vorwissen und die Lernstände von Schüler*innen in der Grundschule zu verschaffen, bietet – so simpel es auch klingen mag – ein leeres Blatt. Eine Methode, die eine Reihe von Vorteilen in sich vereint. In diesem Band werden Voraussetzungen, Einsatzmöglichkeiten und Grenzen an zahlreichen Beispielen aus der Praxis vorgestellt. Angebote laden zum Selbstversuch ein, um einen kompetenzorientierten Blick zu üben. Sie werden überrascht sein, welche Vielfalt an kreativen Ideen in den Produkten zu entdecken ist und wie viele Informationen über den jeweiligen Lernstand zutage treten.

Die Autorin ist seit 2005 in der Lehrerausbildung tätig am Studienseminar GHRF Frankfurt am Main. Seit 2009 bestehen Abordnungen und Lehraufträge an der J.W. Goethe-Universität Frankfurt. Am Institut für Didaktik der Mathematik und Informatik (IDMI) ergab sich, aus einem Forschungsprojekt heraus, die Promotion im Bereich der Erziehungswissenschaften. Die Vernetzung aller drei Phasen der Lehrerbildung wird als großer Gewinn empfunden, die von der weiterhin bestehenden unterrichtlichen Praxis an einer Frankfurter Grundschule im Bereich der mathematischen Diagnostik und Förderung profitiert. Im Laufe der Jahre ist eine umfangreiche Sammlung an Leeren Blättern entstanden, die im Rahmen der Aus- und Weiterbildung genutzt wird, um Einblicke in ganz unterschiedliche Lernausgangslagen zu gewähren und Handlungsmöglichkeiten für den Mathematikunterricht aufzuzeigen.

Die in den Leere-Blatt-Sammlungen immer wieder bestätigte große Bandbreite der Lernvoraussetzungen soll als Chance für einen vielfältigen, an den Kindern ausgerichteten Mathematikunterricht verstanden werden. Auf vielfache Nachfrage hin, ist nun dieses Buch entstanden…

Band 1 befasst sich mit der Erhebung von Lernausgangslagen zum Zeitpunkt des Schulstarts. Das Augenmerk liegt hierbei auf den Kenntnissen und Fertigkeiten, die Kinder bereits vor der Einschulung erworben haben und in den Mathematikunterricht mitbringen. Die Erfahrung zeigt, dass Kinder oft viel mehr wissen und können, als Ihnen Erwachsene - in diesem Fall die Lehrer*innen - zutrauen. Insofern eignet sich der Einsatz des Leeren Blattes gerade zum Schulbeginn, um sich einen Überblick über das individuelle mathematische Vorwissen zu erleichtern und Unvermutetes zu entdecken.

Band 2 „Leere Blätter“ im Inhaltsfeld Zahlen und Operationen sowie Größen und Messen (Klasse 1-4).

Band 3 „Leere Blätter“ in den Inhaltsfeldern Raum und Form (Klasse 1-4).

Band 4 „Leere Blätter“ im Inhaltsfeld Daten, Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten (Klasse 1-4).1

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Haja_6j.

Abbildung 2: Haja_1 bis 10

Abbildung 3: Haja_11 bis 20

Abbildung 4: Haja_Rückwärtszählen

Abbildung 5: Haja_Zahlenfolgen

Abbildung 6: Cora_5J.

Abbildung 7: Farbige Karten zum Zahlenaufbau

Abbildung 8: Rojan_7J.

Abbildung 9: Rojan_18. Schulwoche

Abbildung 10: Rojan_Plusaufgaben

Abbildung 11: Rojan_"Minusaufgaben" bis 10

Abbildung 12: Rojan_Analogien bis 20

Abbildung 13: Rojan_Aufgaben bis 100

Abbildung 14: John_6J.

Abbildung 15: John_Zehnerschritte

Abbildung 16: John_18.Schulwoche

Abbildung 17: John_Gleichsinniges Verändern

Abbildung 18: Karina_6J.

Abbildung 19: Karina_Plusaufgabe

Abbildung 20: Karina_18.Schulwoche

Abbildung 21: Fabian_3.Schulwoche

Abbildung 22: Fabian_Kettenaufgabe

Abbildung 23: Fabian_Zehnerübergang

Abbildung 24: Fabian_Zahlenraum bis 20

Abbildung 25: Fabian umgedreht

Abbildung 26: Volkan_3.Schulwoche

Abbildung 27: Volkan_Drei plus zwei

Abbildung 28: Olaf_3.Schulwoche

Abbildung 29: Verdopplungsaufgaben mit Eierkartons

Abbildung 30: Zehnerzerlegung

Abbildung 31: Leon_6J._3.SW

Abbildung 32: Jana_7J._3.SW

Abbildung 33: Jayson_7J._3.SW

Abbildung 34: Annie_6J._3.SW

Abbildung 35: Saaron_7J._2.SW

Abbildung 36: Zehnerzerlegung untereinander

Abbildung 37: Zehnerzerlegung von zwei Seiten

Abbildung 38: Zehnerzerlegung in 5 und 5

Abbildung 39: Zehnerzerlegung in 5er Reihen

Abkürzungsverzeichnis

bzgl. bezüglich

bzw. beziehungsweise

d.h. das heißt

et.al. et altera

ggf. gegebenenfalls

Hrsg. Herausgeber

i.d.R. in der Regel

J. Jahre

o.g. oben genannte(n)

o.J. ohne Jahresangabe

S. Seite(n)

sog. sogenannte(n)

SW Schulwoche

u. a. unter anderem

u.U. unter Umständen

z.B. zum Beispiel

1 Einleitung

Die häufigste Rückmeldung in Veranstaltungen zum Thema „Das Leere Blatt im Mathematikunterricht“, sowohl von Studierenden als auch von Lehrkräften mit langjähriger Berufserfahrung, ist: „Ich kannte das Leere Blatt als Methode noch nicht und bin erstaunt, wie viel man daraus lesen kann.“

Dabei ist die Methode keinesfalls neu und eignet sich durch ihren niedrigschwelligen Ansatz insbesondere für den Grundschulbereich. Zentral für eine effektive Unterrichtsplanung ist das Wissen der Lehrperson um die jeweiligen Lernausgangslagen ihrer Schüler*innen. Je genauer ich als Lehrperson weiß, was meine Schüler*innen an Vorstellungen zu einem mathematischen Bereich mitbringen, umso gezielter kann ich Expertenwissen, Klärungs- und Unterstützungsbedarf in meine Planungsüberlegungen einfließen lassen. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang die (Weiter-)Entwicklung fachdidaktischer Kompetenzen der Lehrpersonen, um …

- mathematische Kompetenzen erkennen und
- gezielte Förderung ermöglichen zu können (vgl. Ingenkamp/Lissmann, 2008).

Mit diesem Buch können Lehrpersonen, Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst und Lehramtsstudierende ihren kompetenzorientierten Blick an zahlreichen Beispielen trainieren und gleichzeitig ihr fachdidaktisches Wissen um bedeutsame Aspekte im mathematischen Lernprozess erweitern.

1.1 Woher kommt das Leere Blatt?

Der Ansatz des Leeren Blattes stammt aus den 1990er Jahren und ist im Rahmen eines Forschungsprojektes der Deutschdidaktik entstanden. Ein Modellversuch von Mechtild Dehn zur Schulanfangsbeobachtung in den 1990er Jahren hatte die schriftsprachlichen Lernvoraussetzungen von Schulanfänger*innen im Blick und wollte herausfinden, ob - und, wenn ja, in welchem Umfang - Kinder zum Schuleintritt bereits über Kenntnisse und Fertigkeiten des Schreibens verfügen (s. hierzu Dehn 1991 und 1994). Den Kindern wurde ein großformatiges Papier auf dem Fußboden zur Verfügung gestellt, an dem sie gemeinsam zeigen sollten, was sie schon schreiben können (ebd.). Besondere Bedeutung hat in dieser Phase die Beobachtungskompetenz der Lehrperson, die von der Stifthaltung bis hin zur Auswahl der Wörter und ihrer Schreibweise eine Vielzahl an Informationen aus den Handlungen der Kinder, in Bezug auf ihre Vorerfahrungen, ziehen kann (vgl. Beobachtungslandkarte, Dehn 2014, S.167ff.). Faszinierender Weise konnte eine Vielzahl an Schreibkompetenzen bereits festgestellt werden, obwohl die jungen Schulkinder das Schreiben doch noch gar nicht „gelernt“ hatten (vgl. Dehn 1994). Heute ist diese Methode ein weithin genutzter diagnostischer Zugang zur Einschätzung der Lernstände im Rahmen des Schriftspracherwerbs (Dehn 2014, S.172 – 181), während das Leere Blatt im Mathematikunterricht noch vergleichsweise wenig verbreitet ist.2

1.2 Das Leere Blatt im mathematischen Anfangsunterricht

Im Vergleich zum Einsatz des Leeren Blattes im Fach Deutsch, bietet es sich einmal an, strukturähnlich vorzugehen und die Kinder zum Schuleintritt zu bitten aufzuschreiben, welche Zahlen sie schon kennen und was sie schon rechnen können. Diese Möglichkeit bietet tatsächlich ähnlich differenzierte Beobachtungsansätze hinsichtlich Schreibrichtungen und Notationsformen, wie in der Deutschdidaktik. Allerdings hat es sich bewährt, jedes Kind für sich an einem Blatt (i.d.R. DIN A 4) arbeiten zu lassen, um gerade auch in größeren Lerngruppen später in Ruhe jedes Produkt einzeln betrachten zu können und ggf. gezielte Rückfragen an das jeweilige Kind zu ermöglichen. Andererseits gibt es eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten über den Schulanfang hinaus, die spezifische Bereiche des Mathematikunterrichts in der Grundschule betreffen (s. Band 2-4).3

1.3 Einsatzbereiche: Das Leere Blatt im …

Grundsätzlich bietet sich der Einsatz, neben der Verortung im Anfangsunterricht, in allen Inhaltsbereichen4 des Faches Mathematik, während der gesamten Grundschulzeit, an. Einsatzmöglichkeiten bestehen im …

- Anfangsunterricht zum Schulstart (1.Schuljahr) – Band 1
- Inhaltsfeld Zahlen und Operationen (1. - 4.Schuljahr) – Band 2
- Inhaltsfeld Größen und Messen (1. - 4.Schuljahr) – Band 2
- Inhaltsfeld Raum und Form (1. - 4.Schuljahr) – Band 3
- Inhaltsfeld Daten und Zufall (1. - 4.Schuljahr) – Band 4

Der Einsatz des Leeren Blattes kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen.

a. Zur Erhebung der Lernausgangslage zum Schulbeginn bzw. vor Beginn einer neuen Unterrichtseinheit. Auf Grundlage der Schüler*innenprodukte ergeben sich die zu behandelnden Schwerpunkte des Themas.
b. Zur Erhebung des Lernprozesses, während einer laufenden Unterrichtseinheit, unter der Prämisse: „Was weiß ich bis jetzt? Was möchte ich noch üben?“.
c. Zur Erhebung des Lernstandes am Ende einer Unterrichtseinheit, im Sinne einer Lernstandbestimmung, ergänzend zu Lernkontrollen oder Arbeiten. Zur Sammlung dieser Eigenproduktionen eignen sich Lerntagebücher bzw. Lernportfolios (s. hierzu Rathgeb-Schnierer 2011).
d. Zur Erhebung des Vorwissens im Sinne des Spiralcurriculums zur Wiederauffrischung von bereits bearbeiteten Themenfeldern in einem späteren Schul(halb)jahr.

Der Brief einer Referendarin kurz vor den Sommerferien bezieht sich auf die oben aufgeführten Einsatzmöglichkeiten:

Liebe Frau Höck,

gestern bekam ich noch die Gelegenheit, in einer 2. Klasse eine Leere-Blatt-Analyse durchzuführen. Die Fragestellung lautete: Was weißt du bereits über die Tausend? Es sind tolle Leere-Blatt-Produkte der Kinder dabei entstanden und ich werde dies in Zukunft gerne wieder vor Unterrichtseinheiten ausprobieren. Eine Frage, die ich mir noch gestellt habe ist, ob es auch Sinn machen würde eine Leere-Blatt-Analyse vor und nach einer Einheit durchzuführen, um den Wissenszuwachs analysieren zu können.

Schöne Ferien und herzliche Grüße

P. S.

Die Antwort lautet: unbedingt! Solange die Lernenden mit Stolz ihren Wissenszuwachs dokumentieren, ist es eine individualisierte Form der Standortbestimmung zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Lernprozesses, die viel Aufschluss über den Lernzuwachs, aber auch über im Unterricht neue und vertiefend zu berücksichtigende Lernangebote gibt.

In diesem ersten Band steht nun die besondere Phase des Schulanfangs im Zentrum und mit ihm die Frage nach dem Wissen und Können, das die jungen Lernenden bereits in das Klassenzimmer mitbringen, bevor der Mathematikunterricht Fahrt aufgenommen hat. Hierzu eignet sich die oben bereits vorgestellte Aufgabenstellung:

Welche Zahlen kennst du schon? Was kannst du schon rechnen?

Wer diese Form der Lernausgangslagenerhebung noch nicht umgesetzt hat, formuliert oftmals die Frage, ob die Schüler*innen bei dieser offenen Formulierung überhaupt etwas aufschreiben können. Es fällt schwer, sich vorzustellen, in welcher Weise Kinder etwas notieren, was sie sprachlich evtl. schon ausdrücken können (z.B. Zahlworte aufsagen), aber doch noch gar nicht unbedingt wissen, wie man dieses Sprachwissen schriftlich dokumentiert.

Mit welchen Produkten kann also in den ersten Schulwochen gerechnet werden? Wie sind die Leeren Blätter der Kinder zu lesen?

Und was sollte die Lehrperson wissen, um die Dokumentationen fachdidaktisch gewinnbringend einordnen zu können?

Anhand aussagekräftiger Produkte, werden in Kapitel 3 diese Fragen aufgegriffen und der Blick für klassische bis ausgefallene Phänomene im Schulanfang sensibilisiert. Im Anhang befinden sich weitere Beispiele, die anschließend im Selbstversuch bearbeitet werden und dann mit einem Analysevorschlag abgeglichen werden können.

Die in diesem Buch vorgestellten Leere-Blatt-Produkte stammen allesamt von Kindern, die die Schule erst seit zwei bzw. drei Wochen besuchen.5 In diesem Zeitraum des Kennenlernens der Schule und der Mitschüler*innen bietet es sich an, die Kinder über diesen Auftrag bereits einen kleinen Schritt an eine Unterrichtskultur heranzuführen, die sich in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren zu einem möglichst lernförderlichen Klassenklima weiterentwickelt. Dieses Ziel wird im Folgenden etwas genauer beleuchtet.

2 Hinweise zum Lernumfeld

Da sich das Buch sowohl an Berufsanfänger*innen als auch an erfahrene Lehrpersonen richtet, wird an dieser Stelle ein Blick auf das Lernumfeld in der Grundschule geworfen, das die Voraussetzungen für einen erfolgversprechenden Einsatz der Leeren-Blatt-Methode legt. Versierte Unterrichtende können diesen Teil gerne lesen und sich freuen, wenn es in ihrem Unterricht diese hier beschriebene Lernkultur bereits gibt. Andere Leser*innen werden hier vielleicht die ein oder andere Information und Anregung zur so bedeutsamen Entwicklung eines lernfreundlichen Klassenklimas finden.6

Nach Meyer zeichnet sich ein dem Lernen zuträgliches Klassenklima aus durch fünf Kategorien (vgl. 2014): a) ein respektvoller Umgang, b) verlässliche Regeln (und Rituale), c) Verantwortungsübernahme, d) Gerechtigkeit und e) Fürsorge. Diese führen in der Umsetzung zu einer Stärkung von Selbstvertrauen, Leistungsbereitschaft, positiven Einstellungen zu Unterricht und Schule, sozialkompetentem Verhalten und individueller Interessensbildung (ebd., S. 47ff.).

Es scheint nachvollziehbar, dass in einem Unterrichtsklima, dem es an respektvollem Umgang, Selbstvertrauen und Leistungsbereitschaft fehlt, wenig aussagekräftige Dokumente zum Vorwissen der Schüler*innen entstehen werden. Die Atmosphäre muss von Vertrauen und Zutrauen geprägt sein, damit die Lernenden bereit sind bzw. sich trauen, ihr Wissen offen zu legen.

Umso mehr ist es in Bezug auf den Einsatz der Leeren Blätter von Bedeutung, eine lernförderliche Kultur auch im Umgang mit den entstandenen Produkten zu entwickeln.

2.1 Das konstruktive Lernverständnis

Stellen wir uns vor, eine Lerngruppe von 25 Schulanfänger*innen hat sich motiviert auf den Auftrag eingelassen, alles zu notieren, was sie schon rechnen können. Es sind völlig unterschiedliche und kreative Produkte entstanden, die die Individualität einer*s jeden Lernenden betonen. Was legitimiert diesen Ansatz eines an der Unterschiedlichkeit der Lernenden orientierten Unterrichts? Und welche Bedingungen sind einem von Vertrauen geprägten, lernförderlichen Unterrichtsklima zuträglich? Werfen wir den Blick auf „Kulturen“, die im Lernumfeld Schule eine wichtige Stellung einnehmen.

a) Welche Lernkultur verspricht einen fördernden Einfluss?
b) Welche Gesprächskultur ermöglicht die Würdigung der Unterschiedlichkeit?
c) Welche Fehlerkultur stärkt die Schüler*innen auf ihrem Lernweg?

2.1.1 Die Lernkultur

Weinert befasst sich mit den Parametern, die eine unterrichtliche Lernkultur stützen, in der sich die Schüler*innen in ihrem Tun ernst genommen und verstanden fühlen (vgl. 1997 und 1999). Er sieht u.a. in der Selbstwirksamkeit und der Eigenaktivität wichtige Bestandteile eines gelingenden Unterrichts (ebd.).

„Moderne Lerntheorien betonen die selbstmotivierende, aktive und konstruktive Rolle des Lernenden. Demgemäß wird Lernen als ein eigenverantwortlicher, selbstregulierter, erfahrungsoffener und entdeckend-problemlösender Prozess verstanden.“ (Jürgens 2005, S.30)

Folgt man diesen Überlegungen, kommt man unweigerlich an den Punkt, an dem man als Lehrperson den Lernenden ein entsprechendes Zutrauen entgegenbringen muss. Wenn Lehrkräfte in ihren Klassen zum ersten Mal die Leere-Blatt-Methode einsetzen, sind sie oftmals sehr erstaunt, wie facettenreich und unterschiedlich die Dokumente ausfallen. Es ist eben nicht davon auszugehen, dass Kinder, weil man ein Thema noch nicht behandelt hat, dazu noch nichts wissen (vgl. Selter 1995)7. Im Gegenteil, sie bringen meist, wenn die Frage einen adäquaten Zugang ermöglicht, eine erstaunliche Bandbreite an Vorwissen und Ideen mit. Erleben die Schüler*nnen im Anschluss, dass sich die Lehrer*innen daran orientieren, was sie bereits können und ihre Fragen aufgreifen, erfahren sie eine hohe Wertschätzung. Sie erleben hierdurch nicht nur Selbstbestimmtheit, sondern auch Selbstwirksamkeit, denn ihr Wissen kann direkt in den Unterricht einfließen und gestaltet damit die Lerninhalte maßgeblich mit. Auch aus der Hirnforschung kommen ermutigende Ergebnisse, die den positiven Einfluss selbstgesteuerten Lernens belegen. Arnold plädiert für einen Unterricht, der jeder*m Einzelnen die Möglichkeit eröffnet, die individuelle Art des Denkens nutzen und ausbauen zu dürfen, denn jedes Gehirn ist anders (vgl. 2011, S. 189ff.). Individuelle Erfahrungen werden so mit den Lernangeboten verknüpft (vgl. ebd. S. 186). Intelligenz drückt sich auf sehr unterschiedliche Weise aus und es ist die Aufgabe der Lehrperson, das Kind in seiner (Lern-)Entwicklung durch eine motivierende Haltung zu unterstützen (vgl. ebd., S.194). Gerade bei jungen Lernenden ist es, Arnold zufolge, besonders ausschlaggebend, in welchem sozialen Klima gelernt wird (vgl. ebd., S.187).

„Erst in einer Atmosphäre, in der Kinder Freundschaften eingehen können, etwas erkunden und entdecken dürfen, eigene Fragen stellen, die eigenen Ideen ausdrücken, aufmerksam auf die Ideen anderer werden, selbst etwas ausprobieren, nach neuen Lösungen suchen können, … eigene Entscheidungen treffen und respektvoll miteinander umgehen …, entfaltet sich das gesamte Potenzial des Gehirns.“ (ebd., S.187)

Deutlich wird hier die enge Kopplung von sozialen, pädagogischen und kognitiven Aspekten, die zu einem tragfähigen Netz des unterrichtlichen Lernens gesponnen werden können. Die Methode des Leeren Blattes kann einen Teil zu diesem Netz beitragen, da sie insbesondere den Anspruch auf das Ausdrücken und Würdigen eigener Ideen bzw. Assoziationen erfüllt. Es kommt allerdings hierbei auf die Haltung der Lehrperson an, die später die Ergebnisse sichtet, ob das volle Potenzial in den Produkten erkannt oder durch den Blick auf Fehler verschleiert und abgewertet wird.

In zahlreichen Veranstaltungen zum Leeren Blatt im Mathematikunterricht kommt es zu einem Experiment. Es wird folgender Auftrag formuliert: „Betrachten Sie in Ruhe das Schüler*innenprodukt und notieren Sie zunächst alles, was das Kind bereits kann. Richten Sie Ihren Blick bewusst auf Kompetenzen des Kindes.“

Es ist tatsächlich noch nie vorgekommen, dass dies beim ersten Produkt vollständig gelingt. Zu stark ist das Bedürfnis der Teilnehmer*innen, auf entdeckte Fehler im Dokument hinzuweisen. Es braucht in der Folge die mehrfache Bekräftigung, dass es zunächst allein auf die Aspekte ankommt, die auf bereits vorhandenes Wissen und Können hinweisen, bevor mit jedem weiteren Schüler*innenbeispiel dieser kompetenzorientierte Blick mehrheitlich eingenommen wird.8 Erst im zweiten Schritt geht es darum, Fragen an den bzw. die Produzent*in des Leeren Blattes zu formulieren, die Aufschluss über die zur Zeit bestehende Vorstellung zu einem „als Fehler“ identifizierten Detail geben. Oftmals erstaunt die Antwort des Kindes dann die Lehrperson, da sie eine äußerst logische Begründung liefert, die von der Lehrperson nicht einmal im Ansatz erahnt wurde (s. hierzu Kap. 3.1, vgl. Götze/Selter/Zannetin 2019, S.11ff.).9

Augenscheinlich sind wir so sozialisiert, dass diese Perspektive ungewohnt ist und, obwohl vielfach eingefordert, erst an mehreren Beispielen im Selbstversuch die Sensibilität für eine kompetenzorientierte Sichtweise auf das jeweilige Schüler*innenprodukt wächst.10

2.1.2 Die Gesprächskultur

Im Zusammenhang mit den 2004 verbindlich eingeführten Bildungsstandards ist der Anteil der Kommunikation im Mathematikunterricht deutlich stärker ins Blickfeld geraten.11 Nicht nur die prozessbezogenen Kompetenzen des Kommunizierens und Argumentierens, auch das Problemlösen, Darstellen und Modellieren weisen zahlreiche Möglichkeiten der Versprachlichung auf. Da Kinder im Grundschulalter meist noch nicht über eine umfangreiche Fachsprache verfügen, dennoch aber häufig viele mathematische Ideen mitbringen, ist es umso aufschlussreicher über die Produkte der Schüler*innen einen Einblick in Vorstellungen und konstruktive Ideen zu einem mathematischen Bereich zu erlangen und hieraus Gesprächsanlässe abzuleiten, die entweder mit der ganzen Gruppe, in kleineren Runden oder auch im Einzelgespräch thematisiert und veranschaulicht werden können.

„Mathematiklernen ist ein Prozess, bei dem sich zunächst das Kind der Lehrerin verständlich macht - nicht umgekehrt.“ (Wielpütz, 1998, S.10)

Das Zitat bringt es auf den Punkt: Als Lehrperson kommt es darauf an, sich einen Eindruck über die mathematischen Vorstellungen des Kindes zu verschaffen, um daran anknüpfend passende Lernangebote anbieten zu können.12 Stellen Sie sich vor zwölf Kinder der 23 eingeschulten Schüler*innen kennen bereits alle Ziffern von 0 bis 9 und können auch schon Rechenaufgaben im Zahlenraum bis 10 oder sogar darüber hinaus lösen. Weiß die Lehrperson dies nicht, sondern geht gleichschrittig nach dem Lehrwerk für das erste Schuljahr vor, wäre es nicht verwunderlich, wenn sich diese Kinder von den Aufgaben wenig angesprochen fühlen und sich ihnen die Sinnhaftigkeit der Bearbeitung nicht erschließt. Wie schade aber ist es, wenn gleich in den ersten Wochen der Eindruck entsteht, dass die Schule gar nicht dazu da ist, Neues zu lernen, sondern bereits Bekanntes in wiederholenden Formaten abzufragen. Besonders motivierend erscheint diese Aussicht nicht. Beziehen sich die Aufgaben und Gespräche zwischen Lehrperson und den Schüler*innen dagegen auf konkrete, durch die Leeren Blätter aufgekommenen Fragen und Phänomene, steigt die Chance, dass sich die Kinder in ihrem Lernen ernst genommen fühlen und an eigenen und den Fragen anderer neue Lernschritte gehen können.

2.1.3 Die Fehlerkultur

Selbstverständlich enthalten die Produkte der Schüler*innen nicht nur fachlich korrekte Ausführungen und Ergebnisse, denn sie befinden sich mitten im Erforschen und Erkunden mathematischer Zusammenhänge und stellen Bezüge aufgrund ihrer aktuell verfügbaren Lernausgangslage her. Es besteht jedoch die Frage, ob an dieser Stelle überhaupt der „Fehler“ als solcher betont werden sollte. Wie oben bereits beschrieben, ist der „Fehlerblick“ bei Erwachsenen oftmals ohnehin ausgeprägter, als der Blick auf bereits vorhandene Kompetenzen. Andererseits ist die Analyse der Produkte auch darauf ausgerichtet, bestimmte (Fehler-)Muster zu erkennen, die evtl. auf eine Vorstellung hindeuten, die im Unterricht durch geeignete Förderung in eine anschlussfähige Vorstellung übertragen werden kann. In der Forschung sprechen viele Studien dafür, dass der konstruktive Umgang mit Fehlern zu erhöhten Lernchancen führt. Fehler werden somit nicht mehr als „Störfaktor“ oder „Leistungsversagen“ wahrgenommen, sondern als Fenster, das zum einen der Lehrperson Informationen über den aktuellen Lernstand, zum anderen dem Kind über entsprechende Angebote den nächsten Lernschritt eröffnen kann (vgl. Eichelmann und Narciss13 ). Heinze betont in diesem Kontext die Bedeutung des Lehrerhandelns : „[Das] Lehrerverhalten in Fehlersituationen ist ausschlaggebend für Lernfortschritt.“ und beruft sich hierbei auf eine Schweizer Studie von Oser und Hascher (1997), die die unterrichtliche Fehlerkultur aus Schüler*innensicht untersucht.14 Ausschlaggebend ist wohl in diesem Kontext das „Warten-Können“ der Lehrperson. Einen Fehler sofort korrigieren zu wollen, enthebt das lernende Kind, eigene Erfahrungen machen zu können. Es beschneidet den kindgemäßen konstruktiven Zugang durch einen aus Erwachsenenperspektive vorgegebenen Ansatz oder Hinweis, zumal die vorschnelle Interpretation der Lehrkraft oftmals nicht den oftmals logischen Ansatz des Kindes berücksichtigt (s. Kap. 3, vgl. Spiegel/Selter 2006 und Götze/Selter/Zannetin 2019).

Werden dagegen die Schüler*innenprodukte gesichtet und hieraus bedeutsame Fragen abgeleitet, die für das Plenum oder das Gespräch mit Einzelnen zum Unterrichtsgegenstand werden, um hieran neue mathematische Erkenntnisse zugänglich zu machen, ändert sich der Umgang mit Fehlern enorm. Dafür spricht auch, dass die konstruktive Auseinandersetzung gerade mit Fehlern, die andere gemacht haben, lernförderlich sein kann (Vgl. Joung et al.2006, Eichelmann et al. 2012). Es können Besonderheiten aus den Produkten im Plenum gemeinsam betrachtet und untersucht werden, ohne den bzw. die Urheber*in konkret zu benennen bzw. auf seinen oder ihren Fehler hinzuweisen. So hat sich z.B. der Einsatz eines Klassenmaskottchens, das sich immer wieder mathematische Fragen stellt, die es mit Hilfe der Kinder erkunden und klären möchte, in der Primarstufe bewährt. Das Maskottchen nimmt eine Stellvertreterstellung ein und zeigt, dass es ganz normal ist, sich über einen mathematischen Sachverhalt Gedanken zu machen und nicht alles schon zu wissen. Kollektiv kann somit an einer gemeinsamen Antwort gearbeitet werden. In diesem Fall ist es für die Lehrperson ebenfalls sehr hilfreich, einen Überblick darüber zu haben, wer schon über Kenntnisse verfügt, die zu einer mathematisch haltbaren Antwort des Problems beitragen können. Auch darüber können die Leeren Blätter Aufschluss geben.

3 Die Leeren Blätter von Schulanfänger*innen

Die Schule hat begonnen! Eine spannende Zeit für alle Beteiligten. Vieles ist neu und aufregend, die Motivation oft sehr hoch, zu zeigen, was man kann, wie an zahlreichen Ergebnissen aus Leere-Blatt-Abfragen abzulesen ist. Im Folgenden wird zunächst jeweils ein Schüler*innenprodukt in Gänze vorgestellt. Betrachten Sie es in Ruhe und notieren Sie sich erste Assoziationen sowie Fragen, die sich allein aus dem Produkt heraus nicht beantworten lassen. Lesen Sie im Nachgang die Hintergrundinformationen, die jeweils einzelne Teile aus dem Produkt genauer unter die Lupe nehmen, fachdidaktisch einordnen und die ein oder andere Antwort enthüllen.

3.1 Die Leeren Blätter von Haja und Cora

Das erste Beispiel stammt aus einer Lerngruppe, die, zum Zeitpunkt der Erhebung, vor gut einer Woche Einschulung gefeiert hat. Die Lehrerin richtete die folgende Frage an die jungen Schüler*innen: „ Welche Zahlen kannst du schon schreiben?“

Die Kinder beginnen auf weißen Blättern, frei von weiteren Vorgaben, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln das aufzuschreiben, was ihnen an Zahlen einfällt. Haja (6 J.) arbeitet 20 min. an ihrem Leeren Blatt und es entsteht folgendes Produkt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Haja_6j.

Beginnen wir mit einer wichtigen Information, die sich als Beobachtungsaspekt auf alle Produkte aus dem Anfangsunterricht übertragen lässt: die Schreibrichtung.

Haja (6 Jahre, 2.Schulwoche) beginnt mit der Verschriftlichung ihrer Ideen von links nach rechts in korrekter Schreibrichtung. Ob sie hierbei tatsächlich in der oberen linken Ecke oder eher mittig auf der linken Seite beginnt, ist nicht abzulesen, dieser Aspekt müsste im Unterricht in der Ausführung beobachtet werden. Jedoch ist klar, dass sie die Zahlenreihe von links nach rechts aufsteigend aufbauen kann. Das ist nicht selbstverständlich, denn im Unterricht kam es noch nicht zu entsprechenden Übungen. Zum Teil ist in den Produkten junger Lernender die Schreibrichtung noch nicht so klar angelegt, wie bei Haja (s Übungen im Anhang). Das Mädchen kennt zudem bereits alle Ziffern von 0 bis 9 und schreibt diese mehrfach korrekt der Zahlwortreihe folgend auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Haja_1 bis 10

Spannenderweise verwendet sie an mehreren Stellen das Zeichen < bzw. >. Was dieses Zeichen allerdings für sie bedeutet, erschließt sich allein aus dem Produkt nicht. Vielleicht hat sie ältere Geschwister, die bereits mit dem mathematischen Zeichen für „größer als“ bzw. „kleiner als“ umgehen und es ihr gezeigt haben. Es kann jedoch auch sein, dass sie selbst auf die Idee gekommen ist, die Zählrichtung anzuzeigen oder die Zahlenreihe als eine Einheit mit einem Start- und Endpunkt zu kennzeichnen. Um hier Gewissheit zu erlangen, müsste die Lehrperson nachfragen, was diese Zeichen aus Hajas Sicht bedeuten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Haja_11 bis 20

Im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen bemerken viele Teilnehmer*innen zuerst die Zahlen 30, 40, 50, … und schließen hieraus, dass Haja nicht nur die Zahlen 1 bis 10 kennt, sondern auch schon in Zehnerschritten bis 90 zählen kann. Erst durch den Hinweis, welche Zahl diese Reihe abschließt, rückt ein anderer Interpretationsansatz in den Fokus. Haja beginnt die Zahlenreihe mit 11 und 12 (auch wenn diese hier etwas dicht liegen und eine 1 doppelt notiert worden zu sein scheint, s. Abb.3), dann schließt sich die 30 an. Beendet wir die Reihe mit der Zahl 20. Was ist, wenn Haja hier einfach ein passendes Schriftbild für die Zahlworte „dreizehn, vierzehn, fünfzehn,…“ sucht? Die Zahl, die sie schreibt, besteht aus einer Drei und einer Null. Die Drei hört sie im Zahlwort „ drei zehn“ als erstes und da die Zehn eine Null aufweist, im Gegensatz zu den Zahlen zuvor, hängt sie die Null an die Drei an. Tatsächlich erläutert Haja der Lehrerin auf Nachfrage genau diesen Denkweg: „Das ist elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn,… und zwanzig.“

Interessant ist hierbei, dass ihr die Schreibweise von elf und zwölf bereits gelingt. Woher sie diese weiß, ist unklar. Es könnte jedoch sein, dass sie aufgrund der Eigennamen „elf“ und „zwölf“ von selbst auf eine Kombination von 10 und 1 und 10 und 2 kommt. Vielfach erweisen sich gerade diese spezifischen Zahlwörter als Hürde für die Lernenden, doch Haja verfügt hier bereits über ein tragfähiges Konzept. Die Lehrerin könnte sie somit als Expertin für die Frage „Wie geht es nach der 10 weiter?“ in ihrer weiteren Planung berücksichtigen. Denn wie andere Schüler*innenprodukte aufzeigen (s. Abb. 4ff.), herrscht in diesem Punkt keinesfalls Konsens unter den Schulanfänger*innen.

An einer Stelle des Blattes ändert Haja ihre Schreibrichtung: sie beginnt mit der 1 oben und schreibt die folgenden Ziffern dann in einer Reihe untereinander. Es wäre spannend zu erfragen, warum sie dies tut. Eine mögliche Antwort wäre, dass sie versucht „rückwärts“ zu zählen. Hierfür spricht, dass sie neben der vollständigen Reihe bis zur Ziffer 9 eine zweite beginnt, die mit der 9 startet. Da es für Schulanfänger*innen oftmals noch deutlich schwieriger ist, rückwärts als vorwärts zu zählen (vgl. Hasemann et al. 2014, S.8f.), kann es sein, dass sie ihren Versuch abgebrochen und lieber durchgestrichen hat.15

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Haja_Rückwärtszählen

Es fällt auf, dass hier die Ziffer 6, im Gegensatz zu allen anderen Verschriftlichungen auf diesem Blatt, spiegelverkehrt notiert wurde. Dies liegt evtl. an der geänderten Schreibrichtung von oben nach unten. Es ist davon auszugehen, dass die korrekte Schreibweise bei Haja sonst bereits recht weit gefestigt ist.16 Falls Haja hier tatsächlich die Zahlenfolge von der Zehn an absteigend notieren wollte, könnte man ihr anbieten, das Rückwärtszählen gemeinsam zu üben und Ziffernkarten sowohl auf- als auch absteigend zu sortieren. Dies wäre auch im Plenum gut umsetzbar, z.B. als temporäres Einstiegsritual in den Mathematikunterricht.

Ein weiteres Puzzleteil aus Hajas Dokument soll im Folgenden betrachtet werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Haja_Zahlenfolgen

Haja macht sich hier augenscheinlich Gedanken über die Fortsetzbarkeit von Zahlenfolgen. Beginnend bei eins, hängt sie in vier Schritten jeweils eine weitere Zahl an die Zahlenreihe an und dokumentiert hiermit eines der wichtigsten Grundprinzipien der Natürlichen Zahlen: jede natürliche Zahl hat genau einen Nachfolger (n+1).17

Sie verbindet die jeweils durch Kreise gekennzeichneten Zähleinheiten mit Strichen, hierdurch wird die logische Reihenfolge des Aufbaus hervorgehoben. Es ist erstaunlich, dass ein Kind in dem Alter auf diese Idee kommt und sie in dieser Weise kreativ umsetzt. Um zu erfahren, was genau sich Haja bei ihren Zahlenfolgen gedacht hat, müsste man nachfragen.

Eine Zahlenfolge hebt sich von den anderen deutlich ab: 10802009

Es handelt sich hierbei um das Datum, welches, für alle sichtbar im Klassenraum, an der Tafel bereits im Morgenkreis gemeinsam notiert wurde. Die Schulanfänger*innen haben i.d.R. noch wenig Erfahrung mit der Notation des Datums. Es ist nicht davon auszugehen, dass Haja das Datum in seiner komplexen Bedeutung bereits versteht. Allerdings steht es durch die prominente Position an der Tafel zur Verfügung und Haja nutzt das Angebot, indem sie die Ziffern des Datums (mit einem Dreher der Null und der Acht) abschreibt. Sie zeigt damit, dass sie Zahlenbilder auch im Klassenraum wahrnimmt und sie in ihr Produkt integrieren kann.

Hajas, zumindest temporär bestehendes, Interesse an mathematischen Zusammenhängen offenbart sich in ihren Darstellungen und kann im weiteren Unterricht gezielt bestärkt und in Sprachanlässe eingebunden werden.

Bei dem 2. Beispiel handelt es sich um das Produkt einer Schülerin aus der 3.Schulwoche. Es wurden die folgenden Fragen gestellt:

„Welche Zahlen kennst du schon? Was kannst du schon rechnen?“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Cora_5J.

Auch Cora (5 Jahre) hat sich große Mühe mit ihrer Leeren-Blatt-Dokumentation gegeben und konzentriert hieran gearbeitet. In ihrem Produkt erkennen wir, wie oben bei Haja, einen klaren Aufbau von links nach rechts. Auffällig ist die großformatige und bereits recht sicher wirkende Schreibweise der Ziffern, die alle korrekt ausgerichtet sind. Zudem verwendet sie, an passender Stelle, die Rechenzeichen + und =. Augenscheinlich möchte Cora zeigen, dass sie bereits rechnen kann. Häufig nennen Teilnehmer*innen, während der Analyse, den Zahlenraum, in dem dieses Mädchen bereits „richtig“ rechnet. Meist wird dann folgendes formuliert: „Sie kann bereits bis zehn rechnen und mit glatten Zehnerzahlen, allerdings hat sie noch Schwierigkeiten mit dem Zehnerübergang.“

Zwei Dinge werden hieran sehr nachdrücklich deutlich:

1. Es wird der Blick zwar auf Kompetenzen gerichtet, diese aber gleich wieder relativiert, durch die Einschätzung dessen, was Cora (anscheinend) noch nicht kann.
2. Ist es sicher, dass sie die Aufgaben 5+6 und 6+6 nicht rechnen kann?

Bleibt die Lehrperson bei ihrer Interpretation des 1. Punktes wird sie vermutlich der Schülerin Aufgaben zunächst im Zahlenraum bis 10 geben, um dann anknüpfend die Vorstellung des Zehnerübergangs materialgestützt zu fördern, weil sie Cora noch nicht zutraut, dass sie den Zehnerübergang bewältigt. Verneint man allerdings Punkt 2, da das Produkt zwar eine unübliche Notation des Ergebnisses darstellt, aber noch nichts über den Denkweg, der zu dieser Schreibweise geführt hat, aussagt, müssen wir bei Cora nachfragen.

Und Cora antwortet Folgendes: „Fünf plus sechs ergibt elf und sechs plus sechs ergibt zwölf, aber ich weiß nicht wie das aussieht.“

Sie nutzt aus diesem Dilemma heraus die Verbindung von 1 und 0 sowie 2 und 0, um zu dokumentieren, dass es eine zweistellige Zahl sein muss. Da beide Eigennamen „elf“ und „zwölf“ jedoch kaum Hinweise darauf geben, wie die Zahl geschrieben wird, bleibt der Versuch vage.18 Cora ist sich indessen darüber bewusst, dass ihre Schreibweise wahrscheinlich nicht korrekt ist, in Ermangelung einer passenderen Idee, greift sie aber dennoch zu dieser Lösung und hängt eine Rechnung an, bei der sie sich wieder sicher ist, das Ergebnis richtig notieren zu können (4+4=8). Das zeugt von einem recht guten Selbstkonzept. Ein anderes Kind hätte aus Unsicherheit vielleicht diese Aufgaben durchgestrichen oder wegradiert. Eine Chance für die Lehrerin, sie für ihren Mut zu loben. Denn gerade das Offenlegen von Fragen und das Vertrauen darin, eben solche im Nachgang gemeinsam klären zu können, ohne dass der Fehler den Schüler*innen einen Nachteil bringt, trägt eine Menge zum erwünschten Klassenklima bei. Entsprechend benötigt Cora hier nur den Hinweis, wie die Zahlen elf und zwölf in Ziffern dargestellt werden, denn die Rechnung an sich führt sie auf der Sprachebene korrekt aus. Nichtsdestotrotz ist die materialgestützte Darstellung zur Verknüpfung verschiedener Repräsentationsebenen sinnvoll. Die Lehrerin könnte sich z.B. an Material von Cora zeigen lassen, warum sie sicher sein kann, dass „Fünf plus sechs elf“ ergeben. Das Heranziehen von Material als Beweismittel, um Zahlbeziehungen darstellen zu können und so zu veranschaulichen, was sonst nur im Kopf verbleibt, ist ein tragendes Element im gesamten Grundschulunterricht. Cora könnte anhand dieser Aufgabe auch auf das Fingerbild zurückgreifen und wie folgt argumentieren : „Fünf plus fünf ist ja zehn [zeigt beide Hände], dann muss es mit sechs einer mehr sein, also elf“

Den fehlenden Finger könnte die Lehrperson bereitstellen bzw. „ausleihen“, um so das vollständige Ergebnis als 5 + 5 + 1 darzustellen.

Wer seinen Unterricht darauf anlegt, frühzeitig vom Material, und gerade auch von den Fingerbildern, weg zu führen, erschwert den Austausch über mathematische Zusammenhänge enorm.19 Nicht nur Schüler*innen, die das Material noch benötigen, um z.B. Zahlbeziehungen zu verinnerlichen, werden so benachteiligt, auch Schüler*innen mit bereits weit entwickelten mathematischen Kompetenzen werden so um die Chance gebracht, ihre Vorstellungen finger- oder materialgestützt zu versprachlichen und mit anderen zu teilen. Vor diesem Hintergrund ist es ein großer Unterschied, ob das Material, das im Mathematikunterricht eingesetzt wird, den Stempel einer Hilfestellung oder eines Beweises bekommt.20 In zahlreichen Unterrichtsbesuchen zeigt sich dieser Unterschied schon bei der Erläuterung des Arbeitsauftrages.

Betont die Lehrperson, dass auf dem „Hilfetisch“ noch Material bereitsteht, für die Kinder, „ die es noch brauchen“, kommt es vielfach vor, dass wenige bis keine der Schüler*innen auf das Materialangebot zurückgreifen. Gerade vor Besuch im Unterricht möchte man sich als Lernende*r nicht die Blöße geben, auf das Material noch angewiesen zu sein. In Lerngruppen dagegen, in denen das Materialangebot von der Lehrperson als Beweismittel eingeführt wurde, an dem man zeigen kann, was man sich bei einer Aufgabe gedacht hat, bekommt es eine völlig andere Bedeutung und wird entsprechend, insbesondere für Argumentationen, genutzt.

Bezogen auf das Leere Blatt von Cora geht es demnach vorrangig um die Einstellung der Lehrperson zum Können des Kindes, denn es macht einen Unterschied, ob erkannt wird, dass Cora bereits über den Zehner hinaus rechnen kann oder ob ihr genau dies nicht zugetraut wird.

3.1.1 Fachdidaktischer Exkurs: Zahlworte lernen

Es zeigt sich hier ein Phänomen, dass sich, durch die Eigennamen der beiden Nachfolger der Zehn, häufig in kreativen Ideen der Kinder spiegelt.21 In Veranstaltungen kommt immer wieder die Frage auf, warum es denn diese besonderen Zahlwörter überhaupt gibt. Entstanden sind sie kulturhistorisch aus dem althochdeutschen Wort „einlif“ und „zwelif“. Diese bezeichnen, was nach 10 noch übrig bleibt, wenn man zehn Schritte herunter gezählt hat. Im Englischen ist dieser Wortbestandteil noch deutlicher erhalten gelieben: „ele ven “ und „tw elve “, zeigen eine verkürzte Form des Wortes „leave“ im Sinne von „übrig bleiben“ am Wortende an.22 Zudem hat die Zahl zwölf im Handel lange Zeit eine große Bedeutung erfahren. Das Dutzend beschreibt bis heute die Einheit 12, z.B. beim Kauf von Eiern. Wie es nach der Zahl 12 weitergeht, ist eine weitere Besonderheit im europäischen Sprachraum. Insbesondere in der deutschen Sprache ist die Sprechweise mehrstelliger Zahlen eine Hürde, die Erwachsene oft vergessen haben, die aber für Lernende eine wichtige und alles andere als selbsterklärende Klippe im Lernprozess darstellt.

Warum nenne ich zuerst den Einer der zweistelligen Zahl und dann erst den Zehner, obwohl es auf dem Papier doch andersherum steht? Und wenn ich das verstanden habe, warum setzt sich dieses Prinzip im höheren Zahlenraum nicht genauso fort, sondern wechselt abermals die Richtung, indem z.B. die Zahl 124 nach dem Grundsatz „vorne – hinten – mittig“ gesprochen wird?23 In anderen Sprachen, z.B. dem Türkischen, aber auch im asiatischen Raum, wird dagegen das Zahlwort entsprechend der Schreibweise aufgebaut: on bir benennt in der türkischen Sprache die Zahlen 10 und 1. Das entspricht einem logischen Aufbau nach dem Stellenwertprinzip, erst die Zehner, dann die Einer. Es ist demnach kein Eigenname, wie elf, zu erlernen, sondern die der Zehn folgenden Zahlworte bestehen aus den bereits bekannten Wörtern der Zahlen eins bis zehn, sie werden einfach nur aneinandergehängt. Sogar die Besonderheiten der Zahlen 16 und 17 fallen hier weg: aus dem deutschen Wort sechzehn wird on altı (zehn sechs) und aus siebzehn das Zahlwort on vedi (zehn sieben). Viele Schüler*innen, die die deutschen Zahlwörter noch nicht sicher beherrschen, sprechen gerade diese Zahlen oftmals „sech s zehn“ und „sieb en zehn“ aus. Sie haben bereits verstanden, dass die Zahlworte in anderer Reihenfolge auszusprechen sind, dass jedoch zudem Wortbestandteile wegfallen, ist eine Feinheit, die erst bewusst wahrgenommen und verinnerlicht werden muss.24 Im dreistelligen Zahlenraum bleibt das Grundprinzip im Türkischen erhalten, es wird erst die Hunderterstelle genannt, dann die Zehnerstelle und zum Schluss die Einer: 124 heißt somit „yüz yirmi dört“ (hundert zwanzig vier). Wie ausschlaggebend die Fortsetzung der Zahlwortreihe nach der Zehn sprachlich ist, wird in einer Vergleichsstudie zum Zählenlernen in asiatischen und europäischen Sprachen deutlich (s. Favol 2006). So können zwar Dreijährige in allen Sprachen etwa gleich gut bis 10 zählen, nur ein Jahr später kommen asiatische Kinder jedoch bereits bis 50, während europäische Kinder durchschnittlich bis 15 zählen können (vgl. ebd., S.64). Dieser gravierende Unterschied liegt, laut Favol, tatsächlich am logischen Wortaufbau, der asiatischen Sprache, die es den Lernenden deutlich erleichtert, nach 10 die Zahlworte fortzusetzen, während im europäischen Sprachraum und insbesondere im Deutschen, die o.g. Hürden zu überwinden sind, bis sich die besondere Sprechweise der Zahlen über 10 eingeprägt hat (ebd.).25

Über diese Hürden im Zähllernprozess sollten die Lehrpersonen im Fach Mathematik gut informiert sein, da sich gerade für Schüler*innen, die in ihrer Muttersprache bereits im Hunderterraum sicher zählen können, der Unterschied der Sprechweise nicht selbsterklärend erschließt. Ebenso bleibt es auch für deutschsprachige Kinder eine kognitive Herausforderung, die jedoch durch Veranschaulichung des Zahlaufbaus und Übungen zur damit verbundene Sprechweise zu meistern ist. Es hat sich in diesem Kontext bewährt, den Aufbau der zweistelligen Zahl mit farbigen Karten zu demonstrieren:26

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Farbige Karten zum Zahlenaufbau

Indem die Zahlenkarten aus einzelnen Bestandteilen zusammengelegt werden, wird der Aufbau nachvollziehbar: Aus zehn und drei wird drei zehn. Die präzise Aussprache ist hier bedeutsam, da manche Kinder die Wortendung z.T. nicht genau heraushören und aus der Zehn ein „–zig“ machen. Dann heißt die Zahl plötzlich „drei(ß)-zig“, was zu weiterer Verwirrung führen kann. Als fortgeschrittene Übung kann später das Spiel: „Höre den Zehner“ angeboten werden. Hierbei werden zusammengesetzte Zehnerzahlern genannt, z.B. die „Vierund fünfzig “. Nun soll der*die Partner*in zunächst die Zehnerzahl nennen („fünfzig“) und erst im Anschluss die ganze Zahl bauen, z.B. indem aus der richtigen Zehnerkarte und der Einerkarte die vollständige Zahl zusammengesetzt wird. Wenn dies gesichert ist, kann die Zahl auch im Zahlendiktat aufgeschrieben oder in den Taschenrechner eingetippt werden.

Letzteres hat den Vorteil, dass mit dem Taschenrechner sogleich die stellenwertgerechte Schreibweise geübt wird, was auf dem Papier nicht zwangsläufig passiert, denn viele Kinder helfen sich, indem sie zuerst den Einer und dann links davon den Zehner notieren.27

[...]


1 Die Bände 2-4 werden voraussichtlich 2022/23 erscheinen.

2 Eigenproduktionen von Schüler*innen aus dem Mathematikunterricht der Grundschule spielen in zahlreichen Publikationen schon seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle (vgl. Selter 1995, S. 138f., Spiegel/Selter 1997, Sundermann/Selter 2005, s.a. https://primakom.dzlm.de/grundlagen/kinder-denken-anders/eigenproduktionen). Mit dem Ziel, die individuellen mathematischen Zugänge der Lernenden zu erkennen und oftmals im Gespräch miteinander zu verhandeln, haben sie im Mathematikunterricht einen wichtigen Platz eingenommen (vgl. u.a. Gallin/Ruf 1999). Als Erhebungsmöglichkeit der Lernausgangslage im Vorfeld einer auf die Heterogenität der Lerngruppe ausgerichteten Unterrichtsplanung, ist das Leere Blatt allerdings im Vergleich zur Deutschdidaktik, im Fach Mathematik noch wenig untersucht.

3 Hier kommt es in besonderer Weise auf die Auswahl der Fragestellung an, die den Schüler*innen einerseits genügend Spielraum eröffnet, um eigene Assoziationen notieren zu können, andererseits möglichst verständlich formuliert ist, so dass Fragen oder Irritationen möglichst nicht erst entstehen. Beispiele und Erläuterungen s. Band 2 – 4.

4 Die o.g. Inhaltsfelder wurden mit den KMK Standards 2004 bundesweit für den Primarbereich festgelegt (vgl. KMK 2005). Die weitere Ausgestaltung ist auf den jeweiligen Bildungsservern der Bundesländer als Kerncurriculum abrufbar. Weitere Spezifizierungen können auf Schulebene in den schulinternen Curricula ausformuliert sein.

5 In einigen Fällen werden, zur Verdeutlichung möglicher Entwicklungsperspektiven, auch Schüler*innenprodukte, die zu einem späteren Zeitpunkt entstanden sind, der Analyse angeschlossen.

6 Eine große Informationsdichte zur Lernförderlichkeit in der Grundschule stellt „Das Gehirngerechte Klassenzimmer“ zur Verfügung (s. Gödde 2007).

7 Selter beschreibt in dem Text „Zur Fiktivität der „Stunde Null“ im arithmetischen Anfangsunterricht“ aus dem Jahr 1995 eindrücklich, dass Schulanfänger*innen bereits ein umfangreiches mathematisches Vorwissen mitbringen und die Lehrperson diese Schätze (er-)kennen sollte, um sie im Unterricht nutzen zu können (s. Selter 1995).

8 In dem Text „Mathematik mit den Augen der Kinder“ wird die Bedeutung einer kompetenzorientierten Perspektive mit anschaulichen Beispielen erläutert (s. https://kira.dzlm.de/kirafiles/uploads/doc/Haus9_Mathe_mitdenAugen_der%20Kinder.pdf ).

9 Besonders eindrücklich sind die Erklärungen von Schüler*innen zu sog. „Kapitänsaufgaben“, die Spiegel und Selter zusammengetragen haben (vgl. 2006, S.8ff.). Es zeigt sich hieran, wie Kinder ihre individuellen und konstruktiven Denkwege, auch zu mathematisch unlösbaren Aufgaben, beschreiben können (ebd.)

10 Der Kompetenzbegriff wird in der Fachliteratur durchaus kontrovers diskutiert (s. hierzu Höck 2015, S.66ff.). Für das vorliegende Buch gilt unter dem kompetenzorientierten Blick auf Produkte von Grundschüler*innen die Prämisse, dass die Lernenden sich in ihrem Tun als kompetent erleben dürfen: “The need for competence is satisfied when individuals feel like they are developing skills and mastering the activities they are performing.” (Levesque/Copeland/Pattie 2010, S.15).

11 Die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz von 2004 bilden die Grundlagen für die jeweils gültigen Kerncurricula der Bundesländer sowie der Schulen (2005, https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_10_15-Bildungsstandards-Mathe-Primar.pdf).

12 Zahlreiche Anregungen zu Gesprächssituationen mit Kindern im Mathematikunterricht der Grundschule bieten Götze (2015), Brandt und Nührenbörger (2009) sowie Ruwisch u.a. (2016).

13 „ Fehler werden dabei als Lerngelegenheiten betrachtet, sofern sie als solche erkannt werden, ihr Entstehen verstanden wird und der Fehler korrigiert werden kann. (Vgl. Oser, Hascher & Spychiger, 1999, Wittmann, 2007) “ (In: Eichelmann und Narciss, s. https://tu-dresden.de/mn/psychologie/ipep/lehrlern/forschung/forschungsschwerpunkte/lernen-aus-fehlern)

14 Heinze 2010: https://sinus-sh.lernnetz.de/sinus/materialien/sinus_herbsttagung2010/ heinze_ fehler.pdf.

15 Kann ein Kind bereits von einer höheren Startzahl aus rückwärts zählen, deutet das auf eine weiterentwickelte Stufe des Zähllernprozesses hin (s. hierzu umfassende Informationen unter https://kira.dzlm.de/zahlen-und-operationen/zahl-und-operationsvorstellungen/vorkenntnisse-von-schulanfängern-zum-zählen )

16 Falls sich im Unterricht zeigt, dass hier doch noch Unsicherheiten bestehen, hilft der Blick auf eine laminierte Karte, auf der alle Zahlen als Ziffern mind. bis zur Zahl 10 gut zu erkennen sind und die zur Orientierung an der korrekten Schreibrichtung jederzeit auf dem Tisch zugänglich ist. Häufig steht entsprechendes Material in Form von Zahlenstreifen als Beigabe von Schulbüchern und Arbeitsheften des 1.Schuljahres zur Verfügung.

17 Dieses mathematische Gesetz beruht auf den Axiomen nach Peano (italienischer Mathematiker 1858 – 1932).

18 Wahrscheinlich setzt Cora die 2 an die erste Stelle der Zahl, da sie im Wort „ zw ölf“ aus den ersten beiden Buchstaben die „ Zw ei“ heraushört.

19 Die Bedeutung von Fingerbildern, die die „Kraft der 5“ als wichtige Bündelungseinheit veranschaulichen, wird in dem Arbeitsheft „Rechnen lernen mit dem 20er-Rechenrahmen“ von Schmitt und Klaus 2019 in 5 Minuten-Partnerübungen aufgegriffen. Auch Gaidoschik plädiert für den Einsatz von Fingerbildern im Anfangsunterricht und zeigt Möglichkeiten der argumentativen Stützung von Rechenwegen durch diese auf (s. Gaidoschik 2007 und 2016).

20 S. hierzu auch https://pikas.dzlm.de/pikasfiles/uploads/upload/Material/Haus_1_-_Entdecken_Beschreiben_Begruenden/IM/Informationstexte/H1_Infotext_Forschermittel.pdf, S.2.

21 S. hierzu auch Spiegel/Selter 2006, S.12.

22 Vgl. Duden, s. https://www.duden.de/rechtschreibung/elf .

23 Hundert – vier – und – zwanzig (zusätzlich wird noch das Wort und eingefügt). Manche Kinder übertragen das Prinzip des Zahlwortaufbaus zweistelliger Zahlen auf den dreistelligen und folgern dann aus ihrer Sicht logisch, die Zahl heißt: „vierundzwanzighundert“ (vgl. Spiegel/Selter 2006, S. 12).

24 Ein spannendes Zähl-Experiment und weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in Spiegel/Selter 2006, S.27.

25 Vergleichbar mit dem Türkischen setzt sich das Zahlwort 23 z.B. im Chinesischen zusammen aus „er shi san“, was so viel bedeutet, wie „zwei zehn drei“ und damit die Position der Stellenwerte einhält: zwei Zehner und drei Einer. Im Deutschen heißt es dagegen „dreiundzwanzig“, dies ist einmal durch die Wortlänge, den Eigennamen „Zwanzig“ (nicht „Zweizig“ oder „Zweizehn“), aber auch durch die vertauschte Position von Einern und Zehnern deutlich komplexer und schwieriger zu erlernen (vgl. Favon 2006, S.66f.).

26 Die Grundidee der farblichen Kennzeichnung von Stellenwerten geht zurück auf Maria Montessori (1870-1952) und sieht für die Einerstelle grün, für die Zehner blau und für die Hunderter rot vor. Diese Folge wird in der Zahlraumerweiterung als Dreischritt beibehalten. Unterrichtsmaterial in diesen Farben findet sich unter: https://mathemonsterchen.de/Vorlagen/Zahlenkaertchen/ zuletzt abgerufen am 15.04.2020.

27 Man spricht dann von einer inversen Schreibweise zusammengesetzter Zahlen (Schulz 2016). Im Mathematikunterricht sollte die stellenwertgerechte Schreibweise gefördert werden, da es sonst im höheren Zahlenräumen zu mehrfachen Richtungswechseln kommt und die Fehleranfälligkeit steigt. Zur Übung eignet sich hervorragend der Taschenrechner.

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Das Leere Blatt im Mathematikunterricht der Grundschule
Untertitel
Ein informelles Instrument zur Einschätzung heterogener Lernausgangslagen. Band 1: Das Leere Blatt im mathematischen Anfangsunterricht
Autor
Jahr
2021
Seiten
98
Katalognummer
V1014373
ISBN (eBook)
9783346392800
ISBN (Buch)
9783346392817
Sprache
Deutsch
Schlagworte
heterogene Lernausgangslage, Mathematikunterricht Grundschule, Analyse Lernausgangslage im Anfangsunterricht, Informelle Lernstandserhebung, Leere Blatt Analyse
Arbeit zitieren
Gyde Höck (Autor:in), 2021, Das Leere Blatt im Mathematikunterricht der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1014373

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