Herrschaftskonflikte am Beispiel der "demokratischen Republik Kongo"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Herrschaftskonflikte am Beispiel der Demokratischen Republik Congo
II.I. Was ist Herrschaft?
II.I.I. Max Webers Definition von Macht und Herrschaft
II.I.II. Dahrendorf: Soziale Klassen und Klassenkonflikt
II.I.III. Hypothesenkatalog
II.II. Der Konflikt im Congo
II.II.I. Der Kernkonflikt: Kivu und die Banyamulenge
II.II.II. Ein Überblick
II.II.III. Versuch einer Beantwortung der aufgestellten Hypothesen

III. Fazit

IV. Quellen

V. Anhang

I. Einleitung

Die jüngsten Entwicklungen in der Demokratischen Republik Congo rückten das zentralafrikanische Land wieder ins internationale Interesse. Präsident Laurent-Désiré Kabila wurde am 17. Januar 2001 von einem Attentäter aus seiner eigenen Militärführung niedergestreckt. Offensichtlich ging es um einen Konflikt bezüglich der Fortführung des congolesischen Krieges, der seit 1998 Zentralafrika in Atem hält. Der Congo, der als eines der ärmsten Länder der Welt gilt, musste somit den zweiten gewaltsamen Wechsel an der Spitze des Staates innerhalb von vier Jahren erleben.

So sie denn je bestanden hat, ist staatliche Herrschaft im Congo heute kaum noch erkennbar. Das Land ist in vier militärisch besetzte Zonen geteilt, wovon die Zentralregierung in Kinshasa Anfang 2001 knapp 60% kontrollierte. Der Krieg im Congo steht symptomatisch für Kriege der dritten Art, die van Crefeld mit folgendem Zitat sehr treffend formulierte:

,,in wars of the ,third kind' there are no fronts, no campaigns, no bases, no uniforms, no publicly displayed honors, no points d'appui, and no respect for the territorial limit of states." (van Crefeld nach Holsti, 1996: S. 36)

Doch vor jedem Krieg steht ein Konflikt, ein antagonistischer Interessengegensatz zwischen Gruppen. Die Konfliktursachentheorie hat sich lange Jahre schwer getan, speziell die heute hauptsächlich stattfindenden Konflikte in Ländern der dritten Welt hinreichend zu thematisieren. Das Stichwort Staatszerfall, welches jüngst ein vielbenutztes und gleichzeitig selten analysiertes Wort ist, ist dabei ein dominantes Thema. Doch wie zerfallen Staaten? Was sind die Gründe für innergesellschaftliche Konflikte, die einen Staat so sehr in ihrer Grundfesten erschüttern, dass von seiner Kraft und seiner Macht nichts mehr übrig bleibt? Dieser Frage widmet sich diese Hausarbeit unter zentraler Berücksichtigung des theoretischen Feldes ,,Herrschaftskonflikt".

II. Herrschaftskonflikte am Beispiel der Demokratischen Republik Congo

II.I. Was ist Herrschaft?

In diesem Abschnitt werden die für diese Seminararbeit relevanten Begriffe anhand bestehender Definitionen und Theorien analysiert. Dieser Weg wird aufgrund der Annahme gewählt, dass Herrschaft eine notwendige Bedingung, nicht nur für ein funktionierendes Staatswesen ist, sondern für die Ausübung von Macht und somit für die Regulation von Konflikten zu sein scheint.

II.I.I. Max Webers Definition von Macht und Herrschaft

Als neuzeitliche Klassiker der Herrschaftstheorie gelten die theoretischen Werke von Max Weber (1864-1920). Seine Arbeiten bilden die Grundlage für weite Teile der modernen Soziologie und der modernen Politikwissenschaft.

Herrschaft sieht Weber als einen Unterfall von Macht. Macht wiederum sei ,,soziologisch amorph", weshalb er sich insbesondere auf die Ausformulierung der Begrifflichkeit Herrschaft und insbesondere den drei Typen legitimer Herrschaft konzentrierte.

,, Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." (Weber, 1972: S.28)

" Herrschaft soll hei ß en die Chance, f ü r einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden. (Ebenda) Herrschaft ("Autorit ä t") in diesem Sinn kann im Einzelfall auf den verschiedensten Motiven der F ü gsamkeit: von dumpfer Gew ö hnung angefangen bis zu rein zweckrationalen Erw ä gungen, beruhen. Ein bestimmtes Minimum an Gehorchenwollen, also Interesse ( ä u ß erem oder innerem) am Gehorchen, geh ö rt zu jedem echten Herrschaftsverh ä ltnis." (Ebd. S. 122)

Politik als Beruf: die drei Typen der Herrschaft:

In der Rede ,,Politik als Beruf" von 1919, nennt Max Weber drei sogenannte ,,Legitimitätsgründe einer Herrschaft", die in der weiteren Betrachtung von Max Webers Herrschaftsdefinition als die drei Typen von Herrschaft verstanden werden.

Max Webers Typen legitimer Herrschaft, definieren Motive, aus denen Beherrschte den Herrschenden Legitimation verleihen.: "traditionale Herrschaft" beruht "auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimit ä t der durch sie zur Autorit ä t Berufenen", legale Herrschaft beruht "auf dem Glauben an die Legalit ä t gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Aus ü bung der Herrschaft Berufenen", charismatische Herrschaft beruht "auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen" (vgl. Weber, 1972: S. 124). Webers Thesen bilden einen Ausgangspunkt von dem aus Herrschaftskonflikte untersuchbar werden. Im folgenden werden die neueren Ansätze von Dahrendorf vorgestellt, um sich mit diesem theoretischen Rüstzeug an eine Analyse von Herrschaftskonflikten am Beispiel des Congo zu nähern.

II.I.II. Dahrendorf: Soziale Klassen und Klassenkonflikt

,,Herrschaft kann zentralisiert oder dezentralisiert, absolut oder eingeschr ä nkt sein - als solche ist sie ein funktionaler Imperativ sozialer Organisationen." (Dahrendorf, 1957: S. 181)

Mit seinem Werk ,,Soziale Klassen und Klassenkonflikt" legte der Soziologe Ralf Dahrendorf 1957 den weitreichenden Versuch vor, soziale Klassen und sozialen Konflikt zu theoretisieren. Dahrendorf widmet sich vor allem dem Verhältnis zwischen industriellen Beziehungen einerseits und dem Klassenkonflikt andererseits: ,,Aufgel ö st wird der scheinbare Widerspruch zwischen ihnen in der Kategorie des Herrschaftskonfliktes als allgemeinstem und zentralstem Strukturkonflikt der Gesellschaft."

(Widmaier, 1977: S.79)

Interesse und soziale Gruppen:

In der Untersuchung von Machtstrukturen formuliert Dahrendorf, dass jeder Herrschaftsverband ,,zwei mehr oder minder gro ß e Aggregate von Positionen (Rollen) kennt" (Dahrendorf, 1957: S.162). Die eine Position ist im Besitz legitimer Macht, während die andere die Gegensatzbeziehung, nämlich die von legitimer Macht ausgeschlossene Position inne hat. (vgl. Dahrendorf, 1957: S.162)

Diese Aufteilung von Herrschaftssystemen bewirkt fast automatisch einen ,,strukturellen Gegensatz von Positionen auf Grund ihres Anteils an oder Ausschlusses von legitimer Macht. Dieser Gegensatz stellt sich dar als ein Gegensatz zwischen Werten und Interessen bzw. Herrschaft und Unterordnung." (Dahrendorf, 1957: S. 163) Interessen definiert er als objektive Interessen, welche die Beibehaltung oder Modifizierung bzw. Überwindung eines status quo zum Ziel haben. Hierbei unterscheidet Dahrendorf latente Interessen und manifeste Interessen. Unter latenten Interessen versteht der Autor unterbewusste ,,Unterstr ö mungen seines [des Interessentr ä gers] Verhaltens", was Werten, Weltanschauungen oder Perspektiven entspricht. Unter bestimmten Bedingungen könnten aus latenten Interessen manifeste Interessen werden, die sich ersteren gegenüber durch eine bewusste Zielsetzung abgrenzen. Die Form des Interesses ist eine notwendige Ausgangsvoraussetzung für die Analyse von Gruppen. Dahrendorf typologisiert dabei zwei verschiedene Formen von Gruppen:

Das Hauptmerkmal der Form von ,, Quasi-Gruppen mit der wir es hier zu tun haben, ist die Gemeinsamkeit gewisser latenter Interessen." (Dahrendorf, 1957: S.171)

Dieser Gemeinschaft stellt er die ,,Interessengruppe" gegenüber: ,,Interessengruppen sind Gruppen im strengen Sinn des soziologischen Begriffs. Sie haben eine Struktur, eine angebbare Organisationsform, ein Programm oder Ziel und ein ,Personal' von Mitgliedern." (Dahrendorf, 1957: S.172)

Gruppen sind integraler Bestandteil von Herrschaftssystemen, wobei nach Dahrendorf mindestens zwei Quasi-Gruppen in einem Herrschaftssystem in Konkurrenz stehen. Sie seien Rekrutierungsfelder für Interessengruppen, die sich, einem Strukturgesetz folgend, Quasigruppen bedienen.

Intensität des Klassenkonfliktes:

Daraus folgt für Dahrendorf ein permanenter innergesellschaftlicher Klassenkonflikt:

,,Man k ö nnte die ganze Geschichte der Kulturmenschheit auf den Konflikt zwischen dem Bestreben der Herrschenden nach Monopolisierung und Vererbung der politischen Macht und dem Bestreben neuer Kr ä fte nach einer Ä nderung der Machtverh ä ltnisse erkl ä ren." (Mosca nach Dahrendorf, 1957: S.195)

Dabei variiert die Intensität des Klassenkonfliktes nach verschiedenen Bedingungen. Hierzu zählen Faktoren wie soziale Mobilit ä t (Zugriffsmöglichkeiten des Volkes auf Herrschaftsposten) und pers ö nliches Gerechtigkeitsempfinden (vgl. Widmaier, 1977: S.80 und Dahrendorf, 1957: S.200). Die Intensität dieses Klassenkonflikts kann soweit variieren, dass ein innergesellschaftlicher Krieg ausbrechen kann.

Im letzten Teil seiner theoretischen Abhandlung, geht Dahrendorf auf die Faktoren ,offener' und ,geschlossener' Klassen, sozialer Institution und dem Zusammenhang zwischen Systemwandel und Konfliktintensität ein. Dahrendorf sieht in ,sozialer Mobilität' einen der beiden entscheidenden Faktoren für die Intensität von Klassenkonflikten: ,,Je st ä rker die relevanten Auf- und Abstiegsbewegungen in einer Gesellschaft sind, desto weniger grunds ä tzlich und umfassend ist der Konflikt zwischen den Klassen." (Dahrendorf, 1957: S. 185) Weiterhin geht er davon aus, ,,da ß die Intensit ä t des Klassenkonfliktes bei abgeschlossener Klassenbildung in einem direkten Verh ä ltnis zur Reichweite und Effektivit ä t der gesellschaftlichen Regelung seiner Ausdrucksformen steht. In einer Gesellschaft (bzw. einem Herrschaftsverband), die keinerlei Versuch unternimmt, die Auseinandersetzung zwischen Interessengruppen durch feste Routinen zu regulieren, nehmen diese Auseinandersetzungen b ü rgerkriegsartige Formen an." (Dahrendorf, 1957: S.199/200) Reguliert wird der Klassenkonflikt in Form eines systemaren Strukturwandels, der zur Folge hat, dass a) eine vollständige Veränderung des Personals in Herrschaftspositionen, b) eine partielle Veränderung des Personals oder c) keine Veränderung in sozialen Strukturen von statten geht. Im Falle von c) ist dies allerdings verbunden mit einer Veränderung der Akzidentien im staatlich-sozialen Prozess. (vgl. Dahrendorf, 1957: S. 200)

II.I.III. Hypothesenkatalog

Die herrschaftstheoretischen Ansätze von Max Weber und Ralf Dahrendorf standen im Kontext des europäischen Nationalstaates. Diese Herrschaftstheorien sollen nun am Beispiel der Republik Congo operationalisiert werden. Die Frage nach ,,Herrschaft in zerfallenen oder gar nicht existenten staatlichen Konstrukten" soll anhand von Hypothesen untersucht werden.

1. Staatlichkeit wird von Weber als ein auf das Mittel der legitimen Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftssystem von Menschen über Menschen definiert. Zusätzlich legen Dahrendorfs Ausführungen bezüglich Gruppeninteresse und Klassenkonflikt nahe, dass unterschiedliche Interessen in den congolesischen Gruppen bezüglich der Vorstellung von Gemeinwesen und Herrschaft vorherrschen. Dementsprechend lautet die erste Hypothese:

Interessengruppen im Congo vertreten unterschiedliche Vorstellungen bezüglich des Herrschaftssystems, die so stark divergieren, dass dem Staat Legitimität entzogen wird und ein dissoziativer Prozess in Gang gesetzt wird.

2. Dahrendorf sieht in der Existenz von konfliktregulierenden Institutionen einerseits und der Zugriffsmöglichkeit auf Herrschaftspositionen andererseits, einen entscheidenden Faktor für die Intensität eines Herrschaftskonfliktes. Dementsprechend lautet die zweite Hypothese:

Aufgrund eines Mangels an zivilen Institutionen zur friedlichen Konfliktregulierung einerseits und eines mangelnden Zugriffsvermögens auf Herrschaftspositionen andererseits, schlug der permanente Gruppenkonflikt in Gewalt um.

II.II. Der Konflikt im Congo

II.II.I. Der Kernkonflikt: Kivu und die Banyamulenge

,,Der Hutu-Tutsi-Antagonismus ist der Kernkonflikt in der Region, der nicht nur Ruanda und Burundi, sondern auch die beiden Kivu-Provinzen im Osten des Kongo - sie grenzen an Uganda, Ruanda und Burundi - dem B ü rgerkrieg preisgibt. Er hat seine Wurzeln in der Kolonialzeit und entwickelte sich auf den ersten Blick in Ruanda und Burundi zu einem starren Minderheiten(=Tutsi)-Mehrheiten(=Hutu)-Konflikt ethnischer Pr ä gung, der als ethnischer auch in der Region wahrgenommen wird, aber ein politischer um die Herrschaft ist." (Stroux, 1998: S.832)

Dieser ethnische Antagonismus manifestierte sich in verschiedenen Gewaltwellen seit der Unabhängigkeit Ruandas und Burundis und erreichte einen Höhepunkt nach dem ruandischen Genozid 1994, als sich riesige Flüchtlingsströme von Ruanda aus, in die Kivu-Regionen aufmachten. Unter dem Eindruck dieses ethnisch geprägten Herrschaftskonfliktes muss eine Entwicklung betrachtet werden, die sich nach jahrzehntelangem Wechsel von Unterdrückung und Pfründezuteilung in zwei gewalttätigen Massenkonflikten entlud.

Zentraler innercongolesischer Akteur in den congolesischen Rebellionen von 1996 und 1998 war die Volksgruppe der Banyamulenge, eine in Kivu ansässige Gruppe von Tutsi, die seit Mitte des des 19. Jahrhunderts nach und nach aus Ruanda in den Osten Zaires eingewandert waren. Dieser wurde von der politischen Elite in Kinshasa seit Beginn der Demokratisierungsphase Anfang der 90er Jahre aus wahltaktischen Interessen eine nationale Zugehörigkeit verweigert. (vgl. Wegemund, 1998: S.382).

Bis zur Grenzziehung durch Kolonialmächte hatten den Banyamulenge Demarkationslinien nicht viel bedeutet. Während der Kolonialzeit flüchteten viele Ruander vor der belgischen Zwangsarbeit in das östliche Zaire. Nach der Revolution von 1959 kamen weitere Ruander in die beiden Kivu Provinzen und vereinigten sich mit den dort ansässigen Banyamulenge zu einer ruandophonen Großgruppe. Doch erst in den frühen 1990ern nahmen fast alle ruandophonen Gruppen in Ostzaire den Namen Banyamulenge an, nachdem ihre zairische Nationalität in Frage gestellt und sie Opfer einer wahltaktischen Verfolgungspolitik von Präsident Mobutu wurden (vgl. Schürings, 1998: S.78).

II.II.II. Ein Überblick

Der Kalte Krieg und die Folgen

In Folge der afrikanischen Dekolonialisierung steckten die Supermächte USA und Sowjetunion die Grenzen ihrer Einflussgebiete auch in Afrika ab. Auch Zaire war hiervon betroffen, galt es doch als ein Land mit ausserordentlich hohem Rohstoffvorkommen. Oberst Mobutu Sese Seko stürzte 1965 die demokratisch gewählte Regierung Zaires, und paktierte mit dem Westen. Bis 1990 war ihm so die Gunst der westeuropäischen und US-amerikanischen Mächte sicher. Dies änderte sich jedoch mit einer Neuausrichtung der französischen Afrikapolitik, die 1990 auf der Konferenz von La Baule verkündet wurde. Frankreichs damaliger Präsident Mitterrand wollte zukünftige Entwicklungshilfezahlungen an den Demokratisierungsstand der betreffenden Länder koppeln. Zugleich befand sich Zaire in einer extrem präkeren Situation (Wachstumsraten 1990-93: -2,0%; -7,3%; -10,0%; -15,2%), die durch Mobutus Regime maßgeblich durch Korruption und Vetternwirtschaft mitverursacht wurde. Nun wurde nach 32 Jahren Alleinherrschaft der Druck auf sein System zu stark. Ein Demokratisierungsprozess musste zumindest vorgetäuscht werden.

Demokratisierungsbemühungen ab 1990

Am 24.4.1990 errichtete Präsident Mobutu Sese Seko das Mehrparteien- System, was zur Wahl einer Nationalkonferenz im Jahr 1992 führte. Zum ersten Mal in 32 Jahren Herrschaft sah sich das Regime in Kinshasa mit einem, von dieser Nationalkonferenz gewählten, Premierminister konfrontiert, der ein starker Oppositioneller war. Der für das Volk äußerst blutige Machtkampf zwischen Mobutu und Premierminister Etienne Tshisekedi resultierte in der Auflösung der Nationalkonferenz und der Konstituierung einer Nachfolgeinstitution, die allerdings sofort durch die Elitetruppen Mobutus drangsaliert wurden. Gleichzeitig setzte Mobutu diesem neugegründeten Haut Consil de la R é publiqe (HCR) die sog. ,,Konklave", ein Gegenparlament, entgegen. Der Demokratisierungsprozess konnte damit im Januar 1994 als gescheitert angesehen werden. (vgl. Ansprenger, 1999: S.165/166)

Die Eskalation des Hutu-Tutsi Konflikts 1994

Eine Zäsur in der zentralafrikanischen Geschichte bildet der Völkermord in Ruanda 1994. Dieser Genozid sollte von herausragender Bedeutung für die politische Entwicklung in Zentralfrika sein, da sich hier ein ethnischer Konflikt entlud, der auch maßgeblich für das weitere Schicksal Zaires sein sollte. Nach dem Abschuss des ruandischen Präsidentenflugzeugs propagierten ruandische Hutus, dass ruandische Tutsi für den Anschlag verantwortlich seien. Dieser propagandistischen Aufrüstung folgte ein Blutbad unbekannten Ausmaßes. Innerhalb weniger Wochen masakrierten Hutu-Milizen in Waffenbrüderschaft mit der ruandischen Armee knapp 750.000 Tutsi und gemäßigte Hutu. Gestoppt wurde dieser Genozid nur durch den Sieg der ruandischen Rebellenorganisation FPR, die primär deshalb den Sieg davontrug, weil die Hutu-dominierte Armee im Blutrausch regelrecht die Kriegsführung ,,vergaß".

Flüchtlingselend und der Transfer des ruandischen Konflikts

Der Aufstand der ostzairischen Bevölkerungsgruppen 1996 erfolgte in der Absicht, sich der Benachteiligung durch die zairische Zentralregierung zu entledigen. Der eigentliche Ausbruch von Gewalt hing aber primär mit den zentrifugalen Kräften zusammen, die in Folge des ruandischen Genozids im Siedlungsgebiet der Banyamulenge in Zaire ausgelöst wurde: Geflohene Hutu -Milizen griffen nicht nur auf ruandisches Staatsgebiet über (Grund für Ruanda, die Rebellion der Banyamulenge zu unterstützen) sondern Hutu-Elemente gingen auch gezielt gegen Tutsi und Banyamulenge in Kivu vor. Der Hutu-Tutsi Konflikt sollte ein weiteres Mal eskalieren.

Die Rebellion von 1996 wurde am 17.5.1997 durch die Machtergreifung von Kabila, dem Sprecher der Banyamulenge, beendet. Dementsprechend große Hoffnungen richteten sich auf ihn als Gründer eines neuen Demokratisierungsprozesses. Diese sollten sich allerdings nicht erfüllen. Binnen Tagen war die Verfassung ausser Kraft gesetzt und jegliche politische Betätigung ausserhalb Kabilas AFDL verboten. Lediglich der Name Zaires wurde demokratisch (,,Demokratische Republik Congo"), gleichzeitig ging aber die maßlose Korruption, die eines der potenziell reichsten Länder Afrikas ausgeblutet hatte, weiter als wäre nie etwas geschehen.

Die zweite Rebellion 1998

War Mobutu noch ein Vertreter des zairischen Nordens, der im Zuge der ,,Demokratisierung" einen ethnischen Propagandafeldzug gegen die Bewohner Kivus führte, sah sich Kabila als Vertreter des Ostens mit starken Vorurteilen konfrontiert. Die AFDL wurde als eine von Banyamulenge und Tutsi bzw. Ruanda gestützte Marionettenregierung des Auslands betrachtet. Die plötzliche Dominanz der ehedem verhassten Banyamulenge zwang Kabila zur Sicherung seiner Legitimität zum Osten auf Distanz zu gehen (vgl. Wegemund, 1998: S. 382).

Als weiterer Faktor im Zerwürfnis zwischen Kabila und den Banyamulenge können die Fehler bei der Integration von AFDL-Einheiten in die neue congolesische Armee gewertet werden. Die Unsicherheit in Kivu provozierte Rebellionen innerhalb der neugegründeten congolesischen Armee. Banyamulenge -Einheiten fürchteten im Falle einer heimatfernen Stationierung um die Sicherheit ihrer Angehörigen, da mittlerweile Teile der früheren Mobutu -Armee, in Waffenbrüderschaft mit den immer noch aktiven ruandischen Hutus, die Banyamulenge in Kivu und die Tutsi in Ruanda verfolgten (vgl. Wegemund, 1998: S.382). Trotzdem wurde ein Rotationsverfahren eingeführt, was zu Rebellionen innerhalb der neuen Armee führte und Kabilas ehemalige Organisation AFDL, auf Abstand zum Präsidenten gehen ließ. Die Banyamulenge mussten sich eingestehen, dass sich auch unter Kabila ihre Situation nicht verbessert hatte und ihre Gruppierung unter diesem nur ein Vehikel auf dem Weg zur Macht war.

Für den Jahrestag seiner Machtergreifung, am 17.5.1998, hatte Laurent- Désiré Kabila die Staats- und Regierungschefs der Nachbarländer zu einer Konferenz über die Sicherheitslage Zentralafrikas geladen. Doch dazu sollte es nie kommen. Es erschienen nur zwei Staatschefs, während Kabilas ehemalige Verbündete, Uganda und Ruanda, auf einem Gegengipfel tagten. Zu schwer wogen die enttäuschten Hoffnungen der ehemaligen Unterstützer und zu heftig waren die Menschenrechtsverletzungen gegenüber ruandischen Flüchtlingen als dass Ruanda und Uganda den schönen Schein der Freundschaft weiter aufrechterhalten wollten. Dieser Affront war entscheidend. Wenige Tage später begann heftige politische Agitation zwischen der ruandisch/ugandischen und der congolesischen Regierung. Die Achse Uganda-Ruanda-Congo existierte offensichtlich nicht mehr (vgl. Stroux, 1998: S. 831). Mit einem breitangelegten militärischen Vorstoß von Rebellen, unterstützt von Ruanda, Burundi und Uganda, begann am 2. August 1998 ein Krieg, der die "Demokratische Republik Congo" bis heute im Griff hat. Bis zu acht afrikanische Staaten und Dutzende von congolesischen Gruppen waren oder sind daran beteiligt. Auf Seiten Kabilas kämpfen Angola, Namibia, Simbabwe, Sudan, auf Seiten der oppositionellen RCD1 (spaltet sich später in zwei Lager auf) und MLC2 kämpfen Burundi, Tschad, Ruanda und Uganda. Insgesamt acht afrikanische Staaten bekämpfen sich, ihre Rebellenorganisationen oder lokale Volksgruppen in einem ,,Krieg der dritten Art", der aus dem potenziell reichsten Land Afrikas ein Armenhaus gemacht hat, dass weder zu kontrollieren noch zu befrieden scheint.

II.II.III. Versuch einer Beantwortung der aufgestellten Hypothesen

Hypothese 1: Interessengruppen im Congo vertreten unterschiedliche Vorstellungen bezüglich des Herrschaftssystem, die so stark divergieren, dass dem Staat Legitimität entzogen wird und ein dissoziativer Prozess in Gang gesetzt wird.

Ein Ansatz zur Beantwortung dieser Frage, scheint in dem ,,Demokratisierungsprozess" zu liegen, den Mobutu Sese Seko, in den frühen 1990er Jahren ausrief. Im Zuge der Wahl der Nationalkonferenz wurde den Angehörigen der Banyamulenge das Wahlrecht verweigert, was für den Konflikt, der folgen sollte, identitätsstiftend war. Einen zweiten Faktor bildeten die Folgen des Genozids in Ruanda, in dem die interethnische Gewalt ihren Einzug in das ohnehin instabile Kivu hielt. Seit jeher war das Gebiet des Congo (Zaire) zu groß, um es unter den gegebenen Voraussetzungen durch die Staatsmacht kontrollieren zu können. Die alte Führung unter Mobutu musste sich innerhalb des Landes Alliierte schaffen, und versuchte dies durch gezielte Unterstützung lokaler ,,Warlords" und lokaler Interessengruppen zu erreichen. Gezielte Vernachlässigung der Infrastruktur (Transport- und Kommunikationswege) sowie Verteilung von Pfründen sicherten Mobutus Macht dauerhafter als jede Armee. Allerdings führte letzten Endes die Diskriminierung der Banyamulenge im Osten Congos zu seinem Sturz.

Seit der Nationalkonferenz 1994 verschlimmerte sich die Situation der Banyamulenge: Der seit Jahrhunderten in Kivu lebenden ruandisch- stämmigen Volksgruppe wurde aufgrund wahltaktischer Erwägungen das ,,Label" Ruander aufgedrückt. Ein populistischer Schachzug, der Wirkung zeigte. Seit dem Völkermord in Ruanda kampierten ca. 1,5 Mio. ruandische Flüchtlinge, die vornehmlich Tutsi waren, in Kivu. (vgl. Schürings, 1998: S.833) Mobutus Propaganda verbreitete zudem den Mythos von der hamitischen Rasse, die von weißen Aggressoren gesteuert, Zaire in den Untergang treiben wolle.

Die Diskriminierung der Banyamulenge mobilisierte allerdings auch die Opfer. Im Zuge von Verfolgung und Diskriminierung verschwammen die Grenzen zwischen alteingesessenen (Banyamulenge) und neueingewanderten (TutsI) Ruandern. Die Interessen aller ruandisch- stämmigen Gruppierungen in Kivu wurden nun unter dem Dach der Banyamulenge formuliert. (vgl. Schürings, 1998: S.78). Die Unterstützung geflohener Hutu-Milizen durch Mobutus Regierung und die Folgen des ruandischen Völkermordes ließen den gewalttätigen Konflikt zu einem Bürgerkrieg werden. 1996 vertrieben geflohene Hutu - Milizen und zairische Bahutu 15.000 Banyamulenge von ihrem Besitz nach Ruanda, ihre angebliche Heimat. (vgl. Schürings, 1998: S.79). Der Griff zu den Waffen war in dieser Zeit für die Banyamulenge ein Akt des Selbstschutzes gegen staatliche Willkür und Menschenrechtsverletzungen. Doch worauf beruhte die anti-Tutsi Stimmung in Zaire? Noch 1994 wurden die ruandischen Hutu in der öffentlichen Meinung Zaires als die für den Völkermord Hauptverantwortlichen angesehen. Dies änderte sich jedoch sehr schnell in Folge der repressiven Politik, die die neue ruandische Regierung gegenüber den Hutu verfolgte. Schnell wurden die ehemaligen Täter als Opfer wahrgenommen. Des weiteren bekräftigte die Unterstützung Ruandas für die Banyamulenge die zairische Meinung, dass im Gebiet der ,,großen Seen", eine Tutsi -Hegemonie angestrebt werde. In Folge der ersten Kampfhandlungen unter der AFDL kam es deshalb in Zaire zu Treibjagden auf Tutsi (vgl. Schürings, 1998: S. 80).

Die erste Hypothese kann unter den gegebenen Informationen als bestätigt angesehen werden. Die Gruppe der Banyamulenge konnte sich in beiden Rebellionen auf patrimoniale Netzwerke stützen, die sie seit Jahrhunderten zu Gruppen in Ruanda und Uganda unterhielt. Die Rückbesinnung auf ethnische Wurzeln, auf den ruandischen Ursprung und die Vereinigung verschiedener ethnischer Gruppierungen unter dem Dach der Banyamulenge war ein entscheidender Grund für das Ende staatlicher Herrschaft in den östlichen Regionen Zaires. Das Regime hatte sich mit der Diskriminierung eines großen Teils der Bevölkerung in Kivu selbst in ein Dilemma gebracht, was kurz darauf ihr Ende bedeuten sollte. Die Ausübung von staatlicher Herrschaft war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon geschwächt:

,,Geh ä lter werden schon lange nicht mehr gezahlt, oder sie sind so niedrig, da ß ein Monatsgehalt f ü r den Lebensunterhalt von zwei bis drei Tagen reicht. So holte sich die zairische Armee ihren Sold bei der Bev ö lkerung ab. ,Aussch ü tteln' wird dies genannt: Es ist so, als w ü rdest Du auf den Kopf gestellt und alles, was sich in der Tasche befindet, f ä llt heraus." (Sch ü rings, 1998: S.77)

In dieser Situation muss die Umorientierung von Bevölkerungsteilen auf patrimoniale Netzwerke als Symptom und nicht nur als Auslöser eines Staatszerfalls gesehen werden, oder wie es Tetzlaff formulierte: ,, Traumatisiert durch Genozid, B ü rgerkrieg, Kriegsherrentum (,war lordism'), Bandenterror, Vertreibung und Fl ü chtlingselend, zerf ä llt die Quasi-Gesellschaft in ethnisch-kulturelle Bestandteile, in Banden und andere Netzwerke des Ü berlebens, und die staatliche Machtsph ä re schrumpft." (Tetzlaff, 2000: S.12)

Hypothese 2: Aufgrund eines Mangels an zivilen Institutionen zur friedlichen Konfliktregulierung einerseits und eines mangelnden Zugriffsvermögens auf Herrschaftspositionen andererseits, schlug der permanente Gruppenkonflikt in Gewalt um.

Kaum ein Begriff passt besser auf den Regierungsstil des Diktators Mobutu Sese Seko, als der Begriff der ,,Kleptokratie". Mehr als dreißig Jahre war Korruption und Vetternwirtschaft erklärtes Regierungsprinzip und gleichzeitig eine Versicherung zum Machterhalt. Staatseinnahmen wanderten oft direkt in Mobutus Privatschatulle oder in seine Prestigeprojekte. Zur Sicherung seiner Herrschaft züchtete sich Mobutu eine herrschende Kaste, die er mit Geschenken und Zuwendungen bei Laune hielt. Ein Posten in Mobutus - und später auch Kabilas - Regime war ein Freibrief für uneingeschränkte Korruption. Die Enteignung sämtlichen ausländischen Besitzes 1973, und dessen partielle Verteilung an die Eliten, bewirkte zwar einen Loyalitätszuwachs für den Präsidenten, gleichzeitig nahm er aber damit eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Kauf, wofür die zairische Bevölkerung zahlen durfte (vgl. Stroux, 1999: S.49).

Fast selbstverständlich erscheint hier, dass die Frage bezüglich des Zugriffs auf Herrschaftsposten in Zaire nicht gestellt werden brauchte. Mobutu und Kabila regierten mit ihren Günstlingen. Mobutus Elite- Präsidentengarde, Hauptinstrument seines Unterdrückungssystems, ,,bestand fast ausschlie ß lich aus Ngabandi, der Ethnie des Pr ä sidenten." (Stroux, 1999: S.49) Die vom Westen erzwungene Demokratisierung, die durch die Einberufung der Nationalversammlung vorgeblich erreicht werden sollte, war nichts als ein schlecht eingeprobtes Marionettentheater des Autokraten. Die Ablehnung der Banyamulenge als zairische Bürger spielte als identitätsstiftendes Moment eine für den Ausbruch der Rebellion entscheidende Rolle. Der Staat wurde von den Banyamulenge nicht nur als etwas Fremdes sondern viel mehr als repressives und korruptes Unrechtsregime wahrgenommen, auf dass man in keinem Fall Einfluss nehmen konnte.

Das heutige Congo ist daher ein Paradebeispiel von Klassenkonflikten, wie sie Dahrendorf beschrieben hat. Während sich eine herrschende Klasse, aller legalen und illegalen Vorzüge bediente, welche sich ihnen boten, mussten große Teile der Bevölkerung mit weniger Mitbestimmung, weniger Geld und weniger Sicherheit auskommen. Ein Nullsummenspiel, dass nicht nur im ethnischen Moment dieses Konfliktes seinen Niederschlag findet sondern vielmehr den Klassenkonflikt in seiner reinsten Form erkennbar macht.

Eng verbunden mit der Frage nach politischer Beteiligung von Volksgruppen ist die Suche nach konfliktregulierenden zivilen Institutionen im Congo. Die Betätigung nichtstaatlicher politischer Institutionen war von jeher einem strengen Reglement unterworfen. Gewerkschaften, Parteien und gesellschaftliche Gruppen, die im Einflussgebiet der Zentralregierung agieren, wurden entweder gleichgeschaltet oder agierten im Untergrund. Selbst der einzige, halbwegs ernstzunehmende, institutionell agierende Gegenpol, die christlichen Kirchen, wurde seit der Machtübernahme Kabilas in ihre Grenzen verwiesen. Generell ist zu sagen, dass Institutionen, die konfliktregulierend wirken könnten, in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt wurden. Statt dessen wirken die meisten Institutionen auf dem Gebiet der ,,Demokratischen Republik Congo", eher konfliktverschärfend. Sowohl unter Mobutu Sese Seko, wie auch unter Laurent-Désiré Kabila, waren die institutionellen Schlüsselstellungen mit Günstlingen besetzt worden, welche den Willen der totalitären Zentralregierung so gut wie möglich umzusetzen versuchten.

Dementsprechend kann auch die zweite Hypothese als bestätigt angesehen werden. Ein Mangel an zivilen Institutionen, die konfliktregulierend in die Innenpolitik eingriffen und der Mangel an sozialer Mobilität wirkte im Congo konfliktverschärfend, was letztlich zur Eskalation geführt hatte

III. Fazit

Der hier vorgeschlagene analytische Weg schien sinnvoll unter der Betrachtung des immer relevanter werdenden Themas Staatszerfall. Als Erkenntnisinteresse wurde die Frage formuliert, wie innergesellschaftliche Konflikte, zum Auseinanderbrechen des Staates führen können. Am Fallbeispiel der demokratischen Republik Congo wurde ermittelt, dass hierfür eine stark fragmentierte Gesellschaft mitverantwortlich ist, deren partielle Vorstellungen eines Herrschaftssystems im Sinne eines Nullsummenspiels aufeinanderprallen. Der Sieg Mobutus und den verbündeten Hutu-Milizen, hätte für die Banyamulenge einen intolerablen Sieg der ,,Völkermörder" bedeutet, wohingegen der zweite Krieg im Congo 1998 maßgeblich unter ethnischen Vorurteilen bezüglich einer möglichen Tutsi-Dominanz in der Region zu beurteilen ist. Spielt sich ein solcher Konflikt zwischen verschiedenen Gruppen in einem armen und sehr schwachen Staatsgebilde mit heterogener Gesellschaftsstruktur ab, ist der Niedergang der Institution Staat denkbar, da hier unter bestimmten Umständen zentrifugale Kräfte auftreten, die sich auf den Staat verheerend auswirken Wie weiterhin aufgezeigt wurde, scheint die Absenz jeglicher Form demokratischer Beteiligung oder demokratischer Konfliktregulierung eine Verschärfung des Konflikts zu bewirken. Webers Typologie von ,,Typen legitimer Herrschaft" legt nahe, dass keines der vorgestellten Typen legitimer Herrschaft, zu dem staatlich-congolesischen Herrschaftssystem zu passen scheint. Stattdessen sind die patrimonialen Netzwerke, die im Congo in Konkurrenz zum Staat stehen, klar als Herrschaftssysteme traditionaler Art identifizierbar. Zusammengefasst wird in dieser Arbeit der Zusammenbruch des congolesischen Staates als Folge eines nichtlegitimierten staatlichen Überbaus gesehen, der in Konkurrenz zu legitimierten patrimonialen Netzwerken stand und steht. Die Mobilisierungskraft auf latente Gruppen und Interessengruppen wurde von der Zentralregierung in Kinshasa unterschätzt. Der Ausbruch von Gewalt ist jedoch nicht systemimmanent. Die Eskalation kann als Symptom staatlicher Schwäche in der Hinsicht gewertet werden, dass die Feindschaft patrimonialer Netzwerke innerhalb des Staates nicht durch Staatsmacht eingedämmt werden sollte und konnte. Der Staat entlegitimierte sich weiter durch die einseitige Unterstützung eines dieser Netzwerke, was vor Augen führte, dass Kinshasa nicht mehr in der Lage war, staatliche Funktionen zu erfüllen.

Die Zukunft der Region liegt im Dunkeln. Die Logik der Gewalt, die in der Region herrscht, rückt auch nach der Ermordung des Diktators Kabila jeden Form friedlicher Konfliktregulierung in weite Ferne. Es liegt an dem jetzigen Staatschef, seinem Sohn Joseph Kabila, zu beweisen, dass der Imperativ von Gewalt aufzuhalten ist. Bislang wurde und wird jede Gruppe oder jedes Individuum bekämpft, das eine friedliche Regulierung des Konflikts anvisiert. Demgegenüber steht die eindeutige Dominanz der Gruppen, die eine Endlösung der jeweils gegnerischen Seite als wünschenswerte Form der Konfliktbewältigung betrachten. (vgl. Schürings, 1998: S.81)

Die vereinzelten Vorschläge, eine US-Intervention in den Krieg im Congobecken könnte der Region ein friedliches Miteinander bescheren ist unter der neuen Bush-Administration noch unrealistischer geworden als vorher. Tatsächlich ist eine endgültige Lösung des Konflikts nur in eine gesamtafrikanische Friedenskonferenz einbindbar. Das Wiedererstarken der angolanischen UNITA hatte zum Beispiel verherende Folgen für die ohnehin schwierige Lage in Angola. Ähnlich sieht es im Sudan aus. Da acht afrikanische Staaten, ihre Bürgerkriege auf dem Territorium Congos ausfechten, ist eine Friedensordnung im Congo nur mit einer Friedensordnung für fast alle beteiligten Staaten denkbar (vgl. Strizek, 1998: S.62). Dieses schwarzafrikanische Friedenskonzept liegt allerdings in weiter Ferne. Der Krieg im Congo steht in seiner ganzen Grausamkeit stellvertretend für viele Konflikte und Kriege, die sich in Afrika abspielen. Am naheliegendsten scheint demnach der Sieg einer Seite, die für das Land ein glaubwürdiges Konzept bereithält, um einen der heftigsten und ausdauerndsten Konflikte der jüngeren Geschichte zu beenden.

IV. Quellen

Ansprenger, Franz: Politische Geschichte Afrikas im 20. Jahrhundert, München 1999

Dahrendorf, Ralf: Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, Stuttgart 1957.

Holsti, Kalevi: The state, war, and the state of war. Cambridge 1996

Schürings, Hildegard: Verdeckte Fronten. Hintergründe des Konflikts in Ostzaire, in: Blätter für deutsche und internationale Politik (1997), Jg. 42, S. 74-82

Stroux, Daniel : Neue Fronten in Zentralafrika, in: Blätter für deutsche und internationale Politik (1998), Jg. 43, S. 831-40

Stroux, Daniel: Kriegerische Auseinandersetzungen in Kongo-Zaire, in: Informationen zur politischen Bildung (1999), Nr. 264, S.48-50

Tetzlaff, Rainer: "Failing states" in Afrika. Kunstprodukte aus der Kolonialzeit und europäische Verantwortung, in: Internationale Politik (2000), Jg. 55, S.8-17Max

Tshyembe, Mwayila:2000: Der Traum vom Ende der afrikanischen Bürgerkriege. Vom postkolonialen Staat zum Multinationenstaat, in: Le Monde diplomatique (deutsche Ausgabe), September 2000, S.14

Weber, Max: Politik als Beruf, in: Studienausgabe der Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 1/17 (1919), Tübingen 1994, S.35-87

Weber, Max: Soziologische Grundbegriffe, in: Wirtschaft und Gesellschaft (1921/22), Tübingen 1972, S. 28 f.

Weber, Max: Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, S. 475-488

Wegemund, Regina: Demokratische Republik Kongo: Ein gescheiterter Neuanfang?, in: Internationales Afrikaforum (1998), Jg. 34, S. 381-93

Widmaier, Ulrich: Politische Gewaltanwendung als Problem der Organisation von Interessen. Eine Querschnittsstudie der soziopolitischen Ursachen gewaltsamer Konfliktaustragung innerhalb von Nationalstaaten. Mannheim 1977

V. Anhang

Informationen zur Demokratischen Republik Congo:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://home.t-online.de/home/gertrud.kanu/congo/

Zeitleiste

10/1996 Die AFDL (Alliance des Forces Démocratiques pour la Liberation du Congo) unter Laurent Kabila beginnt ihren Vormarsch im Osten Zaires mit Unterstützung Ugandas, Ruandas und der USA.

5/1997 Fast alle Städte werden von regierungstreuen zairischen Truppen kampflos übergeben. Zusammenstöße bei Kenge zwischen AFDL und zairischer Präsidentengarde/angolanischen UNITA Einheiten. Flucht des langjährigen Diktators Mobutu Sese Seko ins marokkanische Exil.

17.5.1997 AFDL rückt in der zairischen Hauptstadt Kinshasa ein. Laurent Désiré Kabila wird neuer Präsident. Zaire wird in Congo umbenannt. Gleichzeitig wird eine neue Staatsflagge eingeführt und die Verfassung ausser Kraft gesetzt. Einführung einer neuen Währung. Alle politischen Aktivitäten ausserhalb der AFDL werden verboten.

17.5.1998 Die von Kabila als Prestigeveranstaltung geplante ,,Konferenz zur Sicherheitslage Zentralafrikas" am Jahrestag seines Einmarsches in Kinshasa wird abgesagt. Nur zwei aller zentralafrikanischen Staatschefs sagen zu. Das Fehlen der engsten Verbündeten Kabilas, Uganda und Ruanda, offenbart den Bruch der Achse Kongo-Ruanda-Uganda.

8/1998 Beginn der Feindseligkeiten im Osten Congos. Streitkräfte von acht Staaten bekämpfen sich auf dem Territorium Kongos. Auf seiten Kabilas: Angola, Namibia, Simbabwe, Sudan. Auf seiten der oppositionellen RCD (spaltet sich später in zwei Lager auf) und MLC: Burundi, Tschad, Ruanda und Uganda.

4/1999 Unter Federführung Libyens wird ein Friedensabkommen unterzeichnet. Der Tschad zieht seine Truppen ab, zwei weitere Vertragspartner halten sich nicht an das Abkommen.

Status seitdem: Immer noch Kampfhandlungen mit schwersten Menschenrechtsverletzungen. Osten, Norden und das Innere Congos unter oppositioneller Kontrolle. Hungersnot in weiten Teilen des Congo. Auflösung staatlicher Organe und ,,Selbstfinanzierung" fast aller Streitkräfte über die Bevölkerung.

Die Provinzen der Demokratischen Republik Congo

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://home.t-online.de/home/gertrud.kanu/congo/

Derzeitiger Stand der Rebellion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

- von der Regierung in Kinshasa kontrolliert
- MLC: Kongolesische Befreiungsbewegung (J.-P. Bemba)
- RCD-B: Kongolesische Sammlung für die Demokratie/Bunia (Wamba dia Wamba)
- RCD-G: Kongolesische Sammlung für die Demokratie/Goma (E. Ilunga)

Quelle: http://home.t-online.de/home/gertrud.kanu/congo/

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Herrschaftskonflikte am Beispiel der "demokratischen Republik Kongo"
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Hauptseminar "Konflikte in Afrika"
Note
2,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V101781
ISBN (eBook)
9783640001941
Dateigröße
410 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Herrschaftskonflikte, Beispiel, Republik, Kongo, Hauptseminar, Konflikte, Afrika
Arbeit zitieren
Gerald Hensel (Autor:in), 2001, Herrschaftskonflikte am Beispiel der "demokratischen Republik Kongo", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101781

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