Zur Bedeutung des Pilgerns in Islam und Christentum


Seminararbeit, 2000

14 Seiten, Note: 1-2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen

3. Pilgern im Islam
3.1 Zur Geschichte
3.2 Der Hagg
- Der Ablauf

4. Pilgern im Christentum
4.1 Zur Geschichte
- Wallfahrten in vorchristlicher Zeit
- Die Entwicklung der Wallfahrt in der alten Kirche und im Mittelalter
- Die Blütezeit der Wallfahrt
- Die Entwicklung von der Aufklärung bis heute
4.2 Die Phasen der Wallfahrt
- Aufbruch
- Weg
- Ankunft
- Abschied
4.3 Formen der Fr ö mmigkeit bei der Wallfahrt

5. Die Wallfahrten der Religionen im Vergleich

6. Fazit

7. Literaturangabe

1. Einleitung

Heutzutage benutzen wir den Begriff des Pilgerns in unserem alltäglichen Wortschatz. Sätze, wie zum Beispiel: „Tausende pilgerten gestern zum Rockkonzert nach X.“ oder „Am ersten Mai werden wieder viele Wanderer durch die Natur pilgern,“ hören und sagen wir jeden Tag ohne uns etwas dabei zu denken. Doch stimmt diese Verwendung überhaupt mit der ursprünglichen Bedeutung des Wortes überein? Ist auch der Besuch eines Konzertes oder eines Prominenten- grabes eine Wallfahrt?

Um diese Fragen zu klären, muß man überprüfen, was die Menschen früher dazu brachte sich auf eine Pilgerreise zu begeben, was sie suchten und an ihrem Ziel zu finden hofften und ob sich diese Ziele bis heute verändert haben, ob neue dazugekommen sind oder ob es überhaupt noch welche gibt.

Der wirkliche Ursprung der Wallfahrt liegt im Dunkeln. Aber sie ist ein Bestandteil in zahlreichen Religionen. Früher und heute gibt es Orte, an denen sich Menschen einem göttlichen Wesen besonders nahe fühlen und den sie deshalb immer wieder aufsuchen.

2. Definitionen

Die deutsche Sprache kennt, anders als zum Beispiel die Englische („pilgrim“), Französische („pélerin“) oder Italienische („pellegrino“) zwei Wörter: „pilgern“ und „wallfahren“. In der Wissenschaftstradition gab es viele Auseinandersetzungen darüber, ob man diese beiden Begriffe voneinander abgrenzen muß oder soll. Man ist sich auch nicht einig darüber, ob es sich bei dem islamischen „hagg“ um eine Pilger- oder Wallfahrt handelt.

Das Wort „pilgern“ geht zurück auf das lateinische „peregrinus“, was soviel bedeutet, wie „jen- seits des eigenen Ackers in der Fremde sein“. In der vorchristlichen Antike bezeichnete der Beg- riff „Peregrinus“ auch „den Fremden, der keinem verbündeten Staat angehört“ oder später „der Untertan, der nicht das Bürgerrecht hat“. Der christliche Wortgebrauch übernimmt diese Andeu- tungen von Armut und Hilfsbedürftigkeit und ergänzt sie noch durch die Bedeutung „fern sein vom Herrn“. Unter anderem wurde auch Jesus als „peregrinus“ bezeichnet. Im 16. Jahrhundert wandelt sich das Verständnis etwas. Unter „Peregrinatio“ versteht man jetzt auch eine Bil- dungsreise.

Die „Wallfahrt“ wird auf den deutschen Begriff „wallen“ zurückgeführt, was soviel wie „ge- hen“, „wandern“ oder auch „reisen“ bedeutet (vgl. Tworuschka 1991, S. 80-82). Während „Wallfahrer“ einen heiligen Ort besuchten, dort beteten und dann wieder nach Hause zurückkehrten, blieben „Pilger“ nachdem sie ihr Ziel erreicht hatten dort bis zu ihrem Tod (vgl. Mielenbrink 1993, S.11).

3. Pilgern im Islam

3.1 Zur Geschichte

Im Unterschied zu den ersten vier Säulen des Islam liegt der Ursprung der Wallfahrt (hagg) nicht in den biblischen Religionen, sondern im vorislamischen arabischen Heidentum. In Ara- bien und im Nahen Osten waren regelmäßige Pilgerfahrten üblich. Nomadenstämme feierten in Heiligtümern, bei denen sie auf ihrem Weg zu den Sommerweiden vorbeikamen, den Frühlings- beginn durch Opfergaben. Völker, in denen Ackerbau betrieben wurde, veranstalteten Pilger- fahrten zu nahe gelegenen Heiligtümern um die Frühernte und die große Herbsternte zu feiern. Schon damals hatte die Ka’ba in Mekka einen großen Stellenwert. Ursprünglich wurde wohl auch dorthin zweimal jährlich gepilgert. Die sogenannte kleine Wallfahrt (’umra) fand im Früh- jahr statt und wurde eher von den näher wohnenden Stämmen besucht. Im Herbst fand dann der hagg statt. Hierbei feierten auch ferner gelegene Stämme das Ende der heißen Sommerzeit und den Abschluss der Dattelernte. Verbunden mit einem Besuch der Heiligtümer um Mekka war ein Lauf zwischen Safa und Marwa (vgl. Kellerhals 1956, S. 251).

Muhammad nahm diese alten arabischen Bräuche wieder auf. Er verband die Frühlings- und die Herbstwallfahrt und bestimmte als Zeitpunkt den elften Monat des islamischen Jahres. Ein wich- tiger Grund für die Aufnahme dieses altarabischen Brauchs in die Pflichtgebote des Islams ist die in Medina vollzogene Abwendung vom Judentum und Jerusalem und der Zuwendung zu den alten Überlieferungen. Die Suche nach einer neuen geistlichen Heimat fiel zusammen mit der Zeit, in der Muhammad damit begann, Abraham als den gemeinsamen Stammvater zu preisen (vgl. Kellerhals 1956, S. 252).

„... gleichzeitig verlegte er die Geschichte Abrahams nach Mekka und führte die altmekkani- schen Riten auf göttliche Gebote zurück, die Abraham empfangen habe (Sure 2, ...)“ (Kellerhals 1956, S. 252).

Muhammad betont, dass Abraham von Allah den Befehl erhielt, die heilige Stätte wieder aufzu- bauen. Dadurch gibt er den Moslems die Sicherheit einer schöpfungsgemäßen Religion anzugehören, die dem entspricht, was Gott von den Menschen wollte und er betont, dass diese Glaubensweise keine Erfindung von ihm ist (vgl. Leuze 1994, S. 356).

Im Jahre 632 leitete Muhammad seine letzte Wallfahrt nach Mekka. Die Gebräuche, die er dabei befolgte, gelten für alle Zeiten als Vorbild für die Durchführung der Pilgerfahrt. Da Muhammad anlässlich dieser Wallfahrt auch das reine Mondjahr einführte, wandert seitdem der Wallfahrtsmonat durch den ganzen Jahreslauf.

3.2 Der Hagg

Das ganze Sein eines Muslims ist nach Mekka in Saudi-Arabien hin orientiert. Seine rituellen Pflichtgebete führt er in diese Richtung aus und die Toten begräbt man in Richtung Mekka.

„ Die Pilgerfahrt muß von jedem erwachsenen, freien, gesunden Moslem, Mann oder Frau, einmal im Leben vollzogen werden, wenn er wirtschaftlich in der Lage ist. Ausgenommen von dieser Verpflichtung sind nur die Irrsinnigen, die Sklaven, die Frauen, die von keinem verwandten Mann begleitet werden können; auch der Mangel an einem Reittier oder die Un- sicherheit der Reisewege gelten als Befreiungsgründe. Doch ist es möglich, die Reise bis nach dem Tode hinauszuschieben, wenn aus dem Nachlaß ein Stellvertreter gemietet wird, der für den Verstorbenen die Wallfahrt ausführt.“ (Kellerhals 1956, S. 253)

Es gibt drei verschiedene Arten von Riten, die bei der Wallfahrt durchgeführt werden. Die Pflichtmäßigen und die Notwendigen, die auf dem göttlichen Befehl beruhen und die Empfeh- lenswerten, die auf das Vorbild des Propheten zurückgehen. Pflicht ist es, das Pilgergewand zu tragen, sich in ’Arafa aufzuhalten und die Ka’ba siebenmal zu umrunden. Diese Rituale müssen durchgeführt werden, damit die Wallfahrt für gültig erklärt werden kann. Notwendig ist es, sich in Muzdalifa aufzuhalten, zwischen den Bergen Safa und Marwa zu laufen, Kiesel auf die Steinhaufen in Mina zu werfen, einen Umlauf um die Ka’ba zu machen und sich nach der Wall- fahrt das Haupt zu scheren. Alle übrigen Rituale sind nur empfohlen aber natürlich lobenswert (vgl. Kellerhals 1956, S. 253).

Man unterscheidet die „Umra“, eine kleine Walfahrt, die an keine bestimmte Zeit gebunden ist, und den „Hagg“, der am siebten Tag des Monats Shawwal offiziell ausgerufen wird und am ach- ten Tag beginnt. Die Gebräuche der beiden Wallfahrten kann man auch miteinander verknüpfen.

Der Ablauf

An einer bestimmten Stelle vor Mekka vollzieht der Pilger die vorgeschriebenen Waschungen, tritt damit in einen Weihezustand ein und zieht das Pilgergewand an. Dann betritt er die Heilige Stadt. Zuerst sollte er den schwarzen Stein küssen und die Ka’ba siebenmal umrunden. Dies geschieht gegen den Uhrzeigersinn. Die Umrundung bringt zum Ausdruck, dass Gott als Zent- rum der Welt gesehen wird, um ihn dreht sich alles. Die Zahl Sieben hat nicht nur an dieser Stel- le während der Wallfahrt eine besondere Bedeutung. „ Sie fungiert auch als magische Zahl zur Abwehr des Bösen.“ (Tworuschka 1991, S. 94) Die dritte Handlung ist der Lauf zwischen den Bergen Safa und Marwa. Auch dies tut man siebenmal. Hierbei handelt es sich um eine Nach- ahmung der Wanderung Hagars auf der Suche nach Wasser für ihren Sohn Ismael. Danach kehrt man nach Mekka zurück, wo man am siebten Tag eine Predigt hört. Anschließend zieht man hinauf zur Ebene ’Arafa, bleibt dort einen Tag und macht sich in der Nacht auf nach Mina. Dort wirft man auf einen Steinhaufen sieben Kiesel als Erinnerung an die Steine mit denen Abraham an dieser Stelle den Teufel verscheucht haben soll. Anschließend erinnert ein Schlachtopfer an die vorislamischen Riten des Hagg. Nun lässt man sich das Haar scheren und kann auch das Pil- gergewand wieder ablegen, denn der eigentliche Hagg ist zu Ende. In Mekka kann man jetzt noch siebenmal um die Ka’ba laufen und aus dem heiligen Brunnen Zamzam trinken. Man kann ein Bad nehmen und sich waschen. Die folgenden Tage verbringt man in Mina mit einem Fest- gelage und vor der Heimkehr besucht man das Grab des Propheten in Medina (vgl. Kellerhals 1956, S. 253.255). Wer nach Mekka gepilgert ist, darf sich al-hadjj nennen.

In verschiedenen Quellen werden noch weitere wichtige Rituale genannt, die Kellerhals gar nicht erwähnt. Auch weicht die Reihenfolge der Durchführung voneinander ab.

Am wichtigsten erscheint mir das Verweilen auf der Ebene ’Arafa, die bei Kellerhals fast als eine Pause oder als ein kleines Fest mit Jahrmarktbetrieb geschildert wird. Die Autoren Mont- gomery, Welch und Tworuschka sehen in diesem Ritual jedoch das zentrale Ereignis des Hagg. Von Mittag bis zum Sonnenuntergang sollten die Pilger stehen. Sie verrichten dabei verschiede- ne rituelle Gebete und hören der Predigt zu, die ein Imam in Anlehnung an die Abschiedrede des Propheten hält. Allerdings stehen dabei wohl die wenigsten Pilger die ganze Zeit und es werden gleichzeitig Geschäfte bei Kaufleuten getätigt (vgl. Watt, Welch 1980, S.336/337).

Die weiteren Unterschiede möchte ich hier jetzt nicht erwähnen, da es sich nur um Änderungen im Ablauf oder verschiedene Wiederholungen von bestimmten Ritualen handelt. Die Bedeutun- gen ändern sich jedoch dabei nicht.

4. Pilgern im Christentum

4.1 Zur Geschichte

Auf die Geschichte der christlichen Wallfahrt möchte ich hier etwas genauer eingehen, da das Pilgern im Laufe der Zeit einige Bedeutungswechsel erfahren hat.

Wallfahrten in vorchristlicher Zeit

Die Christen nahmen bei der Wallfahrt ältere Formen der griechischen Antike und des Juden- tums wieder auf. Die Griechen besaßen vielerlei Kultorte, an denen sie sich einem göttlichen Wesen besonders nahe glauben. Diese Orte wurden aufgesucht, um die Götter durch Opfergaben günstig zu stimmen oder um sie um ihren Beistand in Kriegen, bei Seuchen oder bei persönli- chen Anliegen zu bitten. Die drei Wallfahrtsstätten Epidaurus, Delphi und Ephesus hatten hier- bei große internationale Bedeutung. Den größeren Einfluss auf die christliche Wallfahrt hatte aber das Judentum. Hier bildete sich Jerusalem als einziger Ort heraus, an dem, besonders zum Paschafest, Opfer dargebracht wurden.

Diese alten Pilgerorte spielten in den ersten Jahrhunderten nach Christus für die christliche Wallfahrt eine beachtliche Rolle. Gerade Ephesus wurde zu einem christlichen Wallfahrtsort umgestaltet, Jerusalem hatte natürlich eine ganz besondere Bedeutung für christliche Pilger und bis heute werden die alttestamentlichen Wallfahrtspsalmen bei Pilgerreisen gebetet (vgl. Mie- lenbrink 1993, S. 18-23).

Die Entwicklung der Wallfahrt in der alten Kirche und im Mittelalter

In den ersten beiden Jahrhunderten der christlichen Kirche gab es noch keine Wallfahrten. Diese setzten erst zum Beginn des 4. Jahrhunderts ein, als einzelne Personen damit begannen Orte aus dem Leben Jesu zu besuchen. Man suchte auch Orte auf, die im Alten Testament von Bedeutung waren, wie zum Beispiel den Berg Sinai. An diesen Plätzen, die voller Erinnerung waren, fühlte man sich Gott besonders nahe und betete. Man begann auch damit, die Gräber der Apostel und Märtyrer zu verehren. Rom wurde durch die Gräber der Apostel Petrus und Paulus zum Ziel vieler Pilger und entwickelte sich allmählich zum Hauptwallfahrtsort des christlichen Abend- landes. Dies wurde durch die wachsende Bedeutung des Papsttums im Mittelalter besonders ge- fördert. Bonifaz VIII. rief 1300 das erste „Jubiläumsjahr“ aus. Wer in diesem Jahr nach Rom pilgert und in einer Anzahl von Kirchen betete, dem wurde der vollkommene Nachlass von allen Sündenstrafen gewährt. Die wesentliche Bedeutung der Wallfahrt lag also in dieser Zeit im Bußcharakter.

Ein weiterer wichtiger Wallfahrtsort war das Grab des heiligen Jakobs in Santiago de Composte- la, in unserer Zeit zieht gerade dieser Ort wieder viele Menschen an.

Doch nicht nur besondere Orte spielten bei Wallfahrten eine große Rolle. Man begann auch da- mit, Reliquien, wie zum Beispiel Splitter vom heiligen Kreuz oder Knochen von Heiligen, zu verehren. Bei vielen dieser Reliquien ist die Echtheit bis heute nicht geklärt, doch viele Christen, die eine Wallfahrt zu diesen Überresten unternehmen, sind nicht so sehr an der Echtheit der Dinge interessiert, sondern sie sehen sie einfach als ein Zeichen göttlichen Wirkens oder als Symbol der Liebe Christi. Weiter Beispiele für die Entstehung eines Wallfahrtortes waren beo- bachtete Erscheinungen oder blutende Hostien (vgl. Mielenbrink 1993, S. 26-32).

Die Blütezeit der Wallfahrt

Mit der Zeit erbaten sich viele Wallfahrtsorte von Rom einen Ablass für ihre Pilger. Diesen Missbrauch des Ablasses, die übertriebene Reliquienverehrung und das damit verbundene Wall- fahrtswesen waren Anlässe des Thesenanschlags von Martin Luther am 31.10.1517. Am nächs- ten Tag wurden viele Wallfahrer in der Stadt erwartet, die die dortigen Reliquien verehren woll- ten. M. Luther und die anderen Reformatoren sahen in den „Heiligen“ nur Vorbilder des Glau- bens und lehnten aus diesem Grunde die Reliquienverehrung ab. So kam die Wallfahrt im pro- testantischen Raum völlig zum Erliegen und es gibt bis heute in den Reformationskirchen keine Wallfahrtsorte.

Die nachreformatorischen Zeit kann man als die Sternstunde der Wallfahrt bezeichnen. Denn in den Augen des Volkes war besonders die Marienverehrung einer der wichtigsten Unterschiede zur Lehre des Protestantismus. Hier steht jetzt nicht mehr allein der Bußcharakter der Wallfahrt im Vordergrund, man möchte auch in der Tradition verhaftet bleiben um die Besonderheiten der Religion zu unterstreichen. Man zog jetzt auch nicht mehr alleine los, sondern schloss sich zu großen Prozessionen zusammen. Ganze Gemeinden pilgerten zusammen zu den umliegenden Wallfahrtsorten. Jeder Bischof wollte mindesten einen Wallfahrtsort in seinem Bistum vorwei- sen können. Gebete und Lieder wurden zusammengefasst und die ersten Wallfahrtsbücher he- rausgegeben. Zwischen dem Ende des 17. Jahrhunderts und der Mitte des 18. Jahrhunderts war der Höhepunkt dieser Entwicklung. Viele neue Kirchen und Kapellen wurden gebaut, in denen meist ein Marienbild verehrt wurde (vgl. Mielenbrink 1993, S. 34-36).

Die Entwicklung von der Aufklärung bis heute

Die nun folgende Zeit brachte das genaue Gegenteil für die Wallfahrt. Die bis dahin geförderten Pilgerreisen in andere Länder wurden von vielen Landesherren, vor allem von Kaiser Josef II. verboten. Das Geld sollte im eigenen Land bleiben. Der Aufklärungsgedanke war, dass man mit Arbeit Gott besser dienen könnte als mit wallfahren. Außerdem sahen die Bischöfe in den Wallfahrten die Gefahr, dass zu viel Aberglauben und „Wundersucht“ geweckt wurden. Da in dieser Zeit auch viele Orden zurückgedrängt wurden, die sich früher um den guten Ablauf gekümmert hatten, schlief die Wallfahrt langsam ein.

Doch gegen Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich diese Einstellung abermals. In der Romantik wurden das Mittelalter und auch der katholische Glaube wiederentdeckt und wieder gepflegt. Zwei Ereignisse förderten das Ganze zusätzlich. 1854 wurde die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Marias durch Papst Pius IX. dogmatisiert und 1858 offenbarte sich Maria als die Unbefleckte Empfängnis dem Mädchen Bernadette Soubirous. Als diese Erscheinung von der Kirche als echt anerkannt war, wurde Lourdes zum wichtigsten Wallfahrtsort in Europa.

Diese Entwicklung hielt über beide Weltkriege hinweg an. Auch als Nationalsozialisten die Wallfahrt verboten trafen sich viele Leute zu bestimmten Terminen heimlich am Wallfahrtsort.

1954 wurde das von Papst Pius XII. ausgerufene Marianische Jahr überall in der Welt begangen. Nach dem zweiten vatikanischen Konzil wurden viele Traditionen, wie das Rosenkranzgebet oder eben auch die Prozessionen stark vernachlässigt (vgl. Mielenbrink 1993, S. 36-40).

„Die Liturgiekonstitution befasste sich mit der Sinngebung und Neugestaltung der Sakramente, vorab der Eucharistiefeier, der Wortgottesdienste und der Feier des Stundengebetes. Dadurch traten die vielfältigen Formen der Volksfrömmigkeit zurück. Manches wurde deshalb bekämpft, weil es angeblich ein Zeichen des „Triumphalismus“ der Kirche darstellte und unökumenisch sei.“ (Mielenbrink 1993, S. 40). Viele Wallfahrten verschwanden in den darauffolgenden Jahren ganz.

Heutzutage ist die Wallfahrt wieder am Kommen. Vor allem viele Jugendliche beteiligen sich an den verschiedensten Formen, wie zum Beispiel der Nachtwallfahrten, Fußwallfahrten und ähnlichem (vgl. Mielenbrink 1993, S. 40-43).

4.2 Die Phasen der Wallfahrt

U. Tworuschka (1991, S. 84) unterteilt die Wallfahrt in zehn Phasen. Für ihn besteht sie aus:

1. Alltag, 2. Entschluss, 3. Abreise, 4. Reise, 5. Ankunft, 6. Verweilen, 7. Abreise, 8. Rückkehr, 9. Ankunft zuhause, 10. Rückkehr in den Alltag.

Dadurch, dass er selbst den Alltag zu dem Gesamtprozess dazurechet macht er besonders deutlich, dass nicht nur der besuchte Ort und das dortige Verweilen für die christliche Wallfahrt bedeutsam sind. Vielmehr ist gerade auch hier der Weg das Ziel. Auf die besondere Bedeutung von vier dieser Phasen werde ich jetzt eingehen.

Aufbruch

„Jeder ist, vom ersten Augenblick seines Daseins an, gerufen, einen Weg zu gehen Abraham wird von Gott angerufen: „Zieh weg aus deinem Land, ... in das Land, das ich dir zeigen werde“ (Gen 12,1)“ (Mielenbrink 1993, S. 49/50).

Um etwas Neues zu erreichen in seinem Leben, um voran zu kommen, muss man Aufbrechen. Schon das Wort „Aufbruch“ macht es deutlich, man „bricht“ etwas und zwar unter“bricht“ man das Alltägliche, das Gewohnte und auch oft das Sichere. Was kommt ist neu und unbekannt. Für die Durchführung einer Wallfahrt gilt das genauso. Man lässt sein sicheres Zuhause hinter sich und macht sich auf in unbekannte Regionen. Dabei wird man oft auf die Gastfreundschaft ande- rer angewiesen sein. Wir Menschen heute mögen das als nicht so schlimm erachten, da wir durch den schon fast alltäglich gewordenen Tourismus und durch die Medien schon von klein auf mit anderen Kulturen und Menschen konfrontiert worden sind. Wenn wir eine Pilgerreise planen können wir uns detailliert über alles was auf dem Weg liegen wird informieren. Über das Wetter, die Gegend, die Sitten und Gebräuche und so weiter. Doch für die Menschen zu frühern Zeiten, die kaum einmal aus ihrem Dorf herausgekommen sind, muss eine Wallfahrt ein echtes Wagnis gewesen sein. Außer Berichte hatte man ja keinerlei Informationen, die Wege waren unsicher und Krankheiten schwerer zu bekämpfen. Da erkennt man deutlich, warum dieser Schritt schon zu der Bedeutung der Wallfahrt dazuzählen muss. Wer es sich traute zu einer län- geren Wallfahrt aufzubrechen musste ein großes Vertauen in Gott, in die Menschen die einen begleiteten und in die Menschen die einen beherbergten, setzten.

Weg

Für diese Phase gilt das Gleiche. Auf dem Weg ist jeder auf den anderen angewiesen. Sich ge- genseitig Mut zusprechen und zu helfen verbindet. Jeder zeigt etwas von sich selbst und dadurch bildet sich eine Gemeinschaft. Manchmal wird der Weg wohl so beschwerlich, dass man am liebsten umkehren möchte. So ist schon der Weg das Ziel, denn aus dieser Verbindung, dem gemeinsam Erlebten und dem Willen alles durchzustehen kann man Mut und Kraft schöpfen für den Alltag.

Ankunft

Je beschwerlicher der Weg war, desto glücklicher wird das Ziel empfunden. Deshalb erlebt ein Fußpilger die Freude über das Erreichen des Wallfahrtsortes natürlich viel intensiver als einer, der mit dem Auto gekommen ist. Hier kann man sich erholen und neue Kräfte aufbauen. Doch gleichzeitig ist einem bewusst, dass das erreichte Ziel eigentlich wiederum nur eine Station auf dem gesamten Lebensweg ist.

Abschied

Früher blieben die Pilger oft an ihren Zielpunkt und bauten sich dort ein neues Leben auf. Doch heute verlassen die Wallfahrer den heiligen Ort um in ihr altes Leben zurückzukehren. Einerseits kann der Abschied vom Wallfahrtsort sehr schmerzhaft sein. Man hat hier etwas ge- funden um muss einen Teil davon gleich wieder aufgeben. Nur die Erinnerung bleibt einem. Auch muss man gewonnene Freunde bald wieder verlassen. Andererseits kann man gestärkt wieder zurück in den Alltag gehen und hat vielleicht viele wichtige Erfahrungen gewonnen, die man in seinem weiteren Leben einsetzen kann. „Jedes Wallfahrtsziel ist nichts anderes als eine Station auf dem Pilgerweg des Lebens zum himmlischen Jerusalem, ...“ (Mielenbrink 1993, S. 59). Man muss seinen Weg weitergehen, die „Pilgerreise des Lebens weiter beschreiten“ doch hat man jetzt vielleicht etwas gewonnen, was einen leichter voranbringt.

4.3 Formen der Frömmigkeit bei der Wallfahrt

Nicht nur die Motive für eine Wallfahrt, auch die Rituale ändern sich. Heute spielt der früher so wichtige Ablasshandel und die Reliquienverehrung bei der Wallfahrt keine Rolle mehr. Ein un- verzichtbarer Bestandteil bei vielen Wallfahrten ist jedoch immer noch die Feier der heiligen Eucharistie, der Empfang des Bußsakramentes. Auch der Kreuzweg, das Rosenkranzgebet und andere traditionelle Gebete und Lieder gehören einfach dazu (vgl. Mielenbrink 1993, S. 68).

5. Die Wallfahrten der Religionen im Vergleich

„Der Hagg unterscheidet sich schon dadurch von anderen Pilgerreisen, dass weder Hin- noch Rückreise zu seinen konstituierenden Bestandteilen gehören.“ (Tworuschka 1991, S. 90). Religiös sind sie nämlich bedeutungslos. Nur die Riten sind Bestandteil des Hagg. Dies macht den wesentlichen Unterschied in der Bedeutung der Wallfahrt beim Islam und im Christentum besonders deutlich. Wie schon vorher erläutert, ist bei den christlichen Pilgerreisen der Weg an sich schon voller Bedeutung.

Das Unterwegssein spielt im Neuen Testament eine große Rolle. Jesus wird am Ende einer lan- gen Reise geboren, die drei Könige kommen aus dem Orient, Jesu lebt und wirkt als Wander- prediger und als Auferstandener ist er mit seinen Jüngern auch auf dem Weg. So scheint es ganz natürlich, dass die Kirche als „der neue Weg“ bezeichnet wird und die Christen sich auf „den Weg der Nachfolge“ Jesu begeben. Das Ziel liegt immer bei Gott.

Jesus spricht auch von sich selbst als Weg: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; ...“ (Joh 14,6). Christus ist der Weg, denn er ist seinen Weg als Mensch gegangen und ist nun am Ziel. Wenn wir seinem Weg nachfolgen, dann werden auch wir das Ziel erreichen (Mielenbrink 1993, S. 24/25).

Die „Hidschra“ Muhammads 622 n. Chr. von seiner Heimatstadt Mekka in das ca. 400 km entfernte Medina wird von den Muslimen, im Gegensatz zur westlichen Seite, nicht als Flucht, sondern als eine vorbereitete Auswanderung gesehen. Dieses zentrale Ereignis, mit dem sogar die islamische Zeitrechnung beginnt, dauerte nur einige Wochen. Das mag der Grund dafür sein, dass in de Zeitdauer dieser Auswanderung keine solche Symbolkraft liegt, wie zum Beispiel in der 40jährigen Wanderschaft der Israeliten oder des fast lebenslangen Pilgerns Abrahams. So deuten Muslime das menschliche Leben nicht als „Reise“, „Weg“ oder „Hidschra“, wie die Christen es tun (vgl. Tworuschka 1991, S. 55).

Ein weiterer Unterschied ist das freiwillige Pilgern bei den Christen einerseits und die auferlegte Grundpflicht bei den Moslems andererseits. Nur in den Jahren des Ablasshandels hat die christ- liche Wallfahrt auch fast etwas Verpflichtendes an sich. Aber ansonsten gibt es bei den christli- chen Konfessionen kein Gebot, dass mit dieser Grundpflicht zu vergleichen wäre. R. Leuze be- gründet dies folgendermaßen: „Diese Diskrepanz scheint mir nicht zufällig zu sein: Weil Jesus von Nazareth teil hat an der Präsenz Gottes, weil er selbst als Gott bekannt wird, ist er nicht mehr in der Weise mit biographischen Orten seiner Wirksamkeit verbunden wie Mohammed, der trotz aller Auszeichnung ausschließlich als Mensch gesehen wird.“ (Leuze 1994, S.356)

Bei beiden Religionen spielt die Durchführung von bestimmten Ritualen während der Wallfahrt eine große Rolle. Hierbei gibt es auch im Islam Bräuche, die durchaus freiwillig sind und nicht zu der festen Grundregel gehören. Doch die meisten Pilger führen diese Rituale trotzdem durch, denn sie gehören einfach schon immer dazu. So ist es auch im Christentum. Manche Rituale werden seit vielen Generationen weitergegeben und deshalb hält man sich daran. Damit ehrt man nicht nur Gott, sondern auch alle Menschen die sich seit jeher auf den Weg gemacht haben und unter vielen Anstrengungen das Ziel erreicht haben.

Ein weiterer gemeinsamer Punkt ist die große Gemeinschaftserfahrung, die Pilger beider Religi- onen bei ihrer Wallfahrt machen. Im Islam wird diese Erfahrung durch die Gleichheit der Pil- gergewänder noch verstärkt. Viele Menschen brechen gemeinsam auf oder treffen am Wall- fahrtsort aufeinander. Dieser Punkt steht gerade heute bei der christlichen Wallfahrt oft im Vor- dergrund. Wenn man so viele Menschen mit einem zusammen beten und sich Zeit für ihren Glauben nehmen sieht, dann muss dass den eigenen Glauben stärken. Denn hinter all diesen Menschen steckt eine ungeheuere Kraft und von dieser Kraft wird man angesteckt und kann sie mit in den Alltag nehmen.

6. Fazit

Aber hat nun das Wort „pilgern“ in unserem Alltagswortschatz die gleiche Bedeutung, wie eine religiöse Wallfahrt? Ich denke so leicht lässt sich das nicht sagen. Es kommt dabei immer auf die Beweggründe jedes Einzelnen an und es ist wichtig, wohin die Pilgerreise geht. Den Besuch eines Konzertes kann man meiner Ansicht nach nicht als pilgern bezeichnen. Betrachtet man nämlich dabei die Wichtigkeit, die der Weg allein bei der christlichen Wallfahrt einnimmt, dann ist davon bei dem Weg in ein Konzert nicht mehr viel übrig. Nur das Ziel und das Konzert an sich sind wichtig. Man selbst und vor allem die Selbsterfahrung spielen dabei doch meistens keine Rolle.

Bei beiden Arten des Pilgerns lassen sich Rituale finden. Bei der Wallfahrt sind das die ver- schiedensten Formen der Frömmigkeit, wie das Beten oder das Tragen der Jakobsmuschel beim Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Bei einer Wandergruppe, die sich zum Beispiel jedes Jahr am ersten Mai trifft gibt es genauso Rituale die sich jedes Jahr wiederholen. Vielleicht geht man immer danach Essen oder es werden immer bestimmte Lieder gesungen.

Auch gemeinsam ist beiden, der religiösen Wallfahrt und dem „Alltags“pilgern, das Verlassen des Alltags und die generelle Suche nach etwas. Während der Wallfahrer sich auf der Suche nach Gott, sich selbst und einem eigenen Ziel auf den Weg macht und dabei oft viele Entbeh- rungen auf sich nimmt, sucht der Andere häufig nur etwas Oberflächliches, nämlich Ablenkung und Vergnügen. Er flüchtet sozusagen aus dem Alltagstrott. Doch auch er kann, egal ob er nun durch die Natur oder zu einem Prominentengrab pilgert, Gleichgesinnte treffen und aus dem Erlebnis neue Energie für den Alltag schöpfen.

7. Literaturverzeichnis

Kellerhals, Emanuel: Der Islam (Seine Geschichte - Seine Lehre - Sein Wesen). Basel: Basler Missionsbuchhandlung G.m.b.H., 1956.

Khoury, Adel Theodor (Hrsg.): Lexikon religi ö ser Grundbegriffe. Graz, Wien, Köln: Styria, 1987.

Leuze, Reinhard: Christentum und Islam. Tübingen: Mohr Verlag, 1994.

Mielenbrink, Egon: Beten mit den F ü ssen: ü ber Geschichte, Fr ö mmigkeit und Praxis von Wallfahrten. Kevelaer: Verlag Butzon & Bercker und Düsseldorf: Klens-Verlag, 1993.

Tworuschka, Udo: Sucher, Pilger, Himmelsst ü rmer: Reisen im Diesseits und Jenseits. Stuttgart: Kreuz Verlag, 1991.

Watt, W. Montgomery und Welch, Alford T.: Der Islam. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: W. Kohlhammer Verlag, 1980.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Zur Bedeutung des Pilgerns in Islam und Christentum
Hochschule
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Veranstaltung
Vorlesung: "Interreligiöses Lernen"
Note
1-2
Autor
Jahr
2000
Seiten
14
Katalognummer
V101801
ISBN (eBook)
9783640002146
Dateigröße
361 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bedeutung, Pilgerns, Islam, Christentum, Vorlesung, Interreligiöses, Lernen
Arbeit zitieren
Vanessa Janke (Autor:in), 2000, Zur Bedeutung des Pilgerns in Islam und Christentum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101801

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