Rassismuskritischer Unterricht

Ist die Schule ein Ort des rassismuskritischen Denkens und inwieweit ist rassismuskritischer Unterricht in der Praxis umsetzbar?


Bachelorarbeit, 2021

50 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Migration
1.1 Begriffsdefinition
1.2 Ursachen und Formen der Migration
1.2.1 Aus- und Übersiedlung
1.2.2 Arbeitsmigration
1.2.3 Flucht
1.3 Menschen mit Migrationshintergrund – Wer ist ein/e Migrant*in?
1.4 Auswirkungen der Migration auf Schulen: Folgen der Multikulturalität in Schulen

2. Pädagogische Theorien
2.1 Ausländerpädagogik
2.2 Interkulturelle Pädagogik
2.2.1 Von der interkulturellen Pädagogik zur Migrationspädagogik

3. Migrationspädagogik
3.1 Das Konzept der Migrationspädagogik
3.2 Differenzkonstruktionen
3.2.1 Der Migrationsandere
3.2.2 Der/die natio-ethno-kulturelle Andere

4. Rassismus
4.1 Definition
4.2 Institutioneller Rassismus/Diskriminierung
4.3 Institutionelle Diskriminierung und Rassismus im Kontext Schule

5. Migrationspädagogik im Kontext schulischer Praxis
5.1 Heterogenität in Schulen
5.2 Rassismuskritische Bildung
5.3 Pädagogische Professionalität
5.4 Pädagogische Maßnahmen in der Praxis

6. Fazit

7. Ausblick

Literaturverzeichnis:

Internetquellen:

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abb. Abbildung

ebd. ebenda

KMK Kultusministerkonferenz

EPIK Entwicklung von Professionalität im internationalen Kontext

o.Ä. oder Ähnliches

bzw. beziehungsweise

lt. laut

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: EPIK-Domänen-Konzept

Einleitung

Im Jahr 2019 lebten durchschnittlich rund 2,1 Millionen Einwohner*innen mit Migrationshintergrund (23,75 %) in Österreich. Etwa 1,5 Millionen davon sind selbst im Ausland geboren. Die übrigen 542.000 Personen sind in Österreich geboren und deren Eltern haben einen ausländischen Geburtsort. Diese Zahl der Personen mit Migrationshintergrund hat sich seit 2009 um rund 42 % (611.000 Personen) erhöht und stieg somit in diesen zehn Jahren von 17,70 % auf 23,75 % (Statistik Austria 2019 [Online]).

Anhand der Zahlen der Statistik Austria ist deutlich zu erkennen, dass die Zahl von Personen mit Migrationshintergrund kontinuierlich gestiegen ist. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert wurden Deutschland und auch Österreich zu wichtigen Einwanderungsländern in Europa. Hunderttausende Menschen immigrierten – und immigrieren noch – aufgrund von Aussiedlung, Arbeitsmigration und Flucht (vgl. Mecheril 2004, S. 22ff.). Das Thema um Migration, Integration und Bildung wird daher in Deutschland und Österreich seit vielen Jahren kritisch diskutiert.

Menschen wandern entweder für einen bestimmten Zeitraum oder auf Dauer in ein anderes Land aus. Dies liegt an ökologischen Veränderungen, Kriegen oder anderen Bedrohungen, die die Menschen dazu zwingen, ihr Heimatland zu verlassen. Die Migrationsprozesse führen zu einer wachsenden pluralistischen Gesellschaft. Diese Vielfalt erfordert vor allem in der Pädagogik veränderte oder speziell zugeschnittene pädagogische Maßnahmen. Die pädagogische Forschung arbeitet seit vielen Jahren an dieser Thematik und ist dadurch einerseits neuen Herausforderungen und andererseits auch neuen Problemen ausgesetzt. Insbesondere Rassismus und Diskriminierung sind Folgeerscheinungen beziehungsweise Probleme, die durch die kulturelle Vielfalt sichtbar werden.

Die Pädagogik befasst sich seit langer Zeit mit dem Thema der Migration und hat dazu mittlerweile unterschiedliche Ansätze entwickelt, die sich voneinander unterscheiden, jedoch das gleiche Ziel verfolgen. So soll damit erreicht werden, das Phänomen der Migration besser verstehen zu können und das Zusammenleben angenehmer zu gestalten.

Forschungsfrage:

Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, sich kritisch-reflexiv mit dem Thema der Migrationspädagogik und insbesondere mit der rassismuskritischen Pädagogik auseinanderzusetzen. Aus dem thematischen Kontext ergeben sich folgende Fragen, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden: Ist die Institution Schule ein Ort des rassismuskritischen Denkens und / oder inwieweit ist rassismuskritischer Unterricht in der Praxis umsetzbar?

Aufbau der Arbeit:

Um zu einem besseren Verständnis der Theorienvielfalt beizutragen, wird im ersten Kapitel der Arbeit eine Einführung in das Thema der Migration gegeben, die Ursachen dafür werden erläutert, und anschließend werden Menschen mit Migrationshintergrund näher betrachtet, wobei auch auf die Auswirkung der Migration in Bezug auf Schulen eingegangen wird.

Im zweiten Kapitel stehen sodann die unterschiedlichen migrationsspezifischen Theorien im Fokus. Insbesondere werden die Ansätze und Merkmale der Ausländerpädagogik, der interkulturellen Pädagogik und der Übergang zur Migrationspädagogik näher betrachtet.

Für eine detaillierte Darstellung der zentralen Ansätze der Migrationspädagogik dient das dritte Kapitel, indem auf das Konzept der Migrationspädagogik eingegangen wird und die Themen der Differenzkonstruktionen und ihre Herstellung dargestellt werden.

Anschließend stehen im vierten Kapitel die Themen Rassismus und institutionelle Diskriminierung im Mittelpunkt.

Darauf aufbauend wird im fünften Kapitel die Migrationspädagogik noch einmal zusammengefasst, indem auch die rassismuskritische Bildung näher behandelt wird und Vorschläge aufgezeigt werden, wie migrationspädagogische Konzepte vermehrt im Kontext Schule eingebaut werden können und welche Maßnahmen in der Praxis ergriffen werden können.

Im Fazit, dem sechsten und letzten Kapitel, werden alle wichtigen Erkenntnisse zusammengefasst. Ein kurzer Ausblick auf weitere aufschlussreiche Forschungsfragen soll diese Arbeit beschließen.

1. Migration

Die Migration ist ein fester Bestandteil in der menschlichen Kulturgeschichte (vgl. Han, 2016, S. 5). Wanderungsbewegungen existierten schon immer, denn Menschen immigrieren aus den unterschiedlichsten Gründen entweder innerhalb eines Landes, über die Landesgrenze hinaus oder transkontinental. Die Gründe für diese Auswanderungen sind unterschiedlich. Sie können anhand demographischer, kultureller, politischer, ökonomischer oder sozialer Faktoren begründet werden (vgl. Han, 2016, S. 5).

Demzufolge werden durch Migrationsbewegungen meist auch unterschiedliche Sprachen, Kulturen und neue beziehungsweise fremde Ethnizitäten „mitgenommen“. Die Differenzen, die aufgrund von Migration entstehen, sind von großer Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben und können sowohl Chancen als auch neue Herausforderungen mit sich bringen.

1.1 Begriffsdefinition

Eine einheitliche Definition des Begriffes Migration gibt es weder im Bereich der Politik noch in den Sozialwissenschaften (vgl. Birsl, 2003, S. 30f.). Diverse wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich mit dem Phänomen der Migration, dabei unterscheidet sich das Verständnis und die Definition dieses Begriffes innerhalb der diversen Wissenschaften. Dies liegt entweder am unterschiedlichen Zugang oder Interesse am Phänomen (vgl. ebd., S. 22).

Da nicht alle Definitionen aus den unterschiedlichen Disziplinen aufgeführt werden können, wird die direkte Definition des Wortes verwendet. Der Begriff „Migration“ stammt vom lateinischen migrare bzw. migratio ab und lautet übersetzt wandern, wegziehen bzw. Wanderung (vgl. Han 2000, S. 7). Damit ist die allgemeine Ortsveränderung von Personen oder Gruppen in andere Regionen oder Gesellschaften gemeint, die aus den unterschiedlichsten Gründen erfolgen kann, wie etwa Zwang, freiwillige Entscheidung und individuelle Motivation für einen zeitlich begrenzten oder dauerhaften Zeitraum (vgl. Han 2000, S. 209). Wobei vor allem auch zwischen internationaler und intranationaler Migration unterschieden wird (vgl. Geis 2005, S. 8). Die intranationale Migration bedeutet eine Ortsveränderung innerhalb der Landesgrenzen und die internationale Migration stellt einen Ortswechsel über die Landesgrenzen hinaus dar. Bei der internationalen Migration werden Personen oftmals mit einem neuen Kulturkreis konfrontiert und in diesem Fall muss zumeist eine neue Sprache erlernt werden.

1.2 Ursachen und Formen der Migration

Die Gründe und Formen der Migrationsbewegungen können vielfältig sein. Dabei wird zwischen Binnenmigration, internationale Migration, temporärer und dauerhafter Migration unterschieden.

Die Binnenmigration stellt die Wanderung innerhalb staatlicher Grenzen dar, die internationale Migration hingegen zeichnet sich durch das Auswandern außerhalb der Staatsgrenzen aus. Migrationsbewegungen können sich auch zeitlich unterscheiden, da sie temporär oder dauerhaft sein können. Dabei kann zudem zwischen freiwilliger Migration und Zwangsmigration unterschieden werden (vgl. Han, 2016, S. 5)

In Bezug auf Deutschland und Österreich werden insbesondere folgende wichtige Migrationsformen unterschieden: Aus- und Übersiedlung, Arbeitsmigration, Flucht (vgl. Castro Varela/Mecheril 2011, S. 156). Im Folgenden werden die wichtigen Migrationsformen für die deutsche Migrationsgesellschaft kurz vorgestellt.

1.2.1 Aus- und Übersiedlung

Die Aussiedler*innen gelten als die größte Zuwanderungsgruppe seit dem 18. Jahrhundert. Sie sind Nachkommen (weiß-) deutscher Siedler*innen, für die deutsche Bundesrepublik sind sie deutsche Volkszugehörige.

Über 4 Millionen Aussiedler*innen kehrten im Jahre 1950 aus Osteuropa nach Deutschland zurück (vgl. Castro Varela/Mecheril 2011, S. 159). Sie stellten eine Minderheit in gewissen Siedlungsgebieten in Osteuropa dar und waren angesichts eingeschränkter Freiheiten und wirtschaftlicher Zwängen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen (vgl. Mecheril 2004, S. 28f .). Durch den Zusammenbruch des Staatssozialismus und die Aufhebung der Reisebeschränkung ist die Zahl der Auswander*innen aus Osteuropa Ende der 1980-er Jahre stark angestiegen. Im Jahr 1988 bis 1998 sind rund 2,5 Millionen Aussiedler*innen nach Deutschland zurückgekehrt (ebd., S. 30f.) .

Da es sich bei den Aussiedler*innen hauptsächlich um Deutsche mit deutscher Muttersprache handelte, waren keine sprachlichen Hindernisse vorhanden, somit erhielten sie auch einen gehobeneren Status im Gegensatz zu anderen Migrant*innen bzw. Einwanderer ohne deutscher Muttersprache und sie konnten sich meist problemlos in die deutsche Gesellschaft eingliedern (vgl. Seitz 2006, S. 13)

1.2.2 Arbeitsmigration

Eine weitere Migrationsform ist die Arbeitsmigration. Bei dieser Migrationsform geht es um eine Einwanderung mit dem Ziel einer Arbeitsaufnahme. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Bedarf an Arbeitskräften nicht aus eigener Kraft und durch heimische Arbeitskräfte gedeckt werden, weshalb der Bedarf mittels ausländischer Arbeitskräfte aus verschiedenen Ländern gedeckt wurde (vgl. Han 2005, S. 86). Die Arbeitsmigration stellt eine wichtige Migrationsbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar. Ein wesentlicher Grund für die Arbeitsmigration in Deutschland war die gewinnbringende Exportorientierung („Made in Germany“) ab Mitte der 50er Jahre, wodurch Deutschland zu einem „Wirtschaftswunderland“ aufstieg. Durch das rapide Wirtschaftswachstum wurden dringend Arbeitskräfte benötigt. Der stark wachsende Mehrbedarf konnte weder durch Aussiedler*innen noch durch DDR-Flüchtlinge allein gedeckt werden. Dadurch wurden ab 1955 im Zuge von Anwerbeabkommen mit Ländern wie Italien, Spanien, Marokko, Türkei, Tunesien und Exjugoslawien Gastarbeiter*innen in die Bundesrepublik geholt, die aber nach einer bestimmten Zeit wieder zurückkehren sollten. Die Mehrheit der ausländischen Arbeitskräfte erhielt eine einjährige Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis („Rotationspolitik“). Aufgrund einer beginnenden wirtschaftlichen Stagnation wurde die Anwerbepolitik im Jahre 1973 beendet (vgl. Mecheril 2004, S. 32ff. ). Viele der Gastarbeiter*innen, die durch das Abkommen angeworben wurden, beschlossen jedoch in Deutschland zu bleiben und damit sie ihr Aufenthaltsrecht nicht verloren, holten sie ihre Familien auch nach Deutschland. Die Migrationsform „ Familienzusammenführung “ ist mit der Arbeitsmigration verbunden, denn durch die Familienzusammenführung, die durch die angeworbenen Arbeitsmigrant*innen stattfand, stieg die Zahl der ausländischen Bevölkerung in Deutschland weiter an (vgl. Marburger 1991, S. 22). Die geringe Zahl der schulpflichtigen Kinder, die während der „Gastarbeiter*innen-Migration“ noch wesentlich geringer war, wuchs somit in kurzer Zeit beträchtlich (vgl. Auernheimer 2003, S. 35).

1.2.3 Flucht

Eine der ältesten Formen der Migration ist die Flucht. Unter Flüchtlinge sind Menschen gemeint, die infolge verschiedener Bedrohungen ihren eigentlichen Wohnsitz entweder für eine bestimmte Zeit oder dauerhaft verlassen müssen und somit einen neuen Zufluchtsort finden müssen. (vgl. Han 2005, S. 101). Die wichtigsten Voraussetzungen für Fluchtbewegungen sind unter anderem koloniale Hinterlassenschaften, Kriege, ethnisierte und religiöse Konflikte, Verfolgungen spezifischer Minderheiten, Armut und Folgen der Umweltzerstörungen (vgl. Castro Varela/Mecheril 2011, S. 163). Aus der damaligen DDR sind viele Menschen nach Deutschland geflüchtet (Mecheril/Varela 2010, S. 32). Insbesondere in den 1980er Jahren wurden die Flüchtlinge besonders akzeptiert und aufgenommen, jedoch wurden aufgrund des Anstieges der Flüchtlingszahlen im Laufe der Zeit Maßnahmen getroffen. Um die Zahlen der Flüchtlingszuwanderer*innen einzugrenzen, wurde am 1.Juli 1993 der Grundgesetzartikel 16 verändert, wodurch die Flüchtlinge einen Asylantrag im Ankunftsland stellen mussten (ebd., S. 33).

1.3 Menschen mit Migrationshintergrund – Wer ist ein/e Migrant*in?

Als „Migrant*in“ oder als „Menschen mit Migrationshintergrund“ werden nicht nur Personen bezeichnet, die selbst eine Einwanderungserfahrung erlebt haben, sondern es werden auch Menschen als Migrant*in definiert, die selbst nie ein- oder ausgewandert sind. Auch wenn Personen in Österreich oder Deutschland geboren sind, werden sie dennoch als Personen mit Migrationshintergrund bezeichnet oder von der Gesellschaft als solche anerkannt. Es gibt bestimmte Eigenschaften, die zu einer Feststellung der „echten“ Herkunft dienen, wie zum Beispiel die Staatsbürgerschaft oder der Geburtsort der Eltern, der Großeltern und gar der Urgroßeltern. Weitere wichtige Merkmale sind zum Beispiel Familiensprache bzw. Muttersprache der Eltern, körperliche bzw. äußerliche Merkmale, Bekleidungsstil oder fremd klingende Namen.

Der Begriff Migrant zeichnet also nicht unbedingt eine Person mit Wanderungserfahrung oder einer ausländischen Staatsbürgerschaft aus, sondern damit sind Personen gemeint, die bestimmte „natio-ethno-kulturelle Andere“ darstellen (vgl. Mecheril 2004, S. 80). Durch diese Differenzierung entstehen auch diverse Pauschalisierungen und Festschreibungen (ebd.).

Dadurch, dass in der Gesellschaft zwischen einem „Wir“ und „Andere“ unterschieden wird, kann dies auch rassismusrelevant betrachtet werden.

1.4 Auswirkungen der Migration auf Schulen: Folgen der Multikulturalität in Schulen

Die Debatte der Migration in Bezug auf Schulen ist durch die Globalisierung und aufgrund der migrationsbedingten kulturellen Vielfalt auch weiterhin evident.

Mit der Zuwanderung der ausländischen Arbeitskräfte Ende der 60er Jahre wurden die ersten Folgen der Multikulturalität auf deutschen Schulen sichtbar. Trotz der erwarteten planmäßigen Rückkehr der Arbeitsmigrant*innen in ihre Heimat, wurde von der Kultusministerkonferenz (KMK) von 1964 eine Doppelstrategie angewendet. Mit dieser Strategie wurde beschlossen, die ausländischen schulpflichtigen Kinder im deutschen Unterricht aufzunehmen, indem ihnen eine zusätzliche, spezielle Unterstützung in Förderklassen angeboten wird, damit die sprachlichen Defizite der ausländischen Kinder aufgehoben werden können. Jedoch bekamen sie auch zusätzlichen Unterricht in der eigenen Muttersprache, damit die damals geplante Rückkehr in die eigene Heimat problemlos stattfinden konnte. Dies war die Strategie der Ausländerpädagogik, jedoch entstand daraus eine Absonderung der ausländischen Kinder, die eigentlich nicht beabsichtigt war (vgl. Mecheril 2004, S. 83f.).

Viele der Arbeitsmigrant*innen kehrten jedoch nicht wie geplant in ihre Heimat zurück, sondern beschlossen, dauerhaft zu bleiben und verlegten somit ihren Lebensort nach Deutschland bzw. Österreich. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre wuchs die Anzahl der ausländischen Kinder in Deutschland und an den Schulen, aufgrund der dauerhaften Migration von Arbeitsmigrant*innen, stark (vgl. Mecheril 2004, S. 84) .

Die Arbeitsmigrant*innen, die damals erworben wurden, gründeten selbst Familien in Deutschland oder holten ihre Familien nach Deutschland .

Die damalige Situation wurde vom Schriftsteller Max Frisch mit einer sehr prägnanten Aussage zusammengefasst:

„Wir haben Arbeitskräfte gerufen, aber es kamen Menschen“ (Max FRISCH) (Griese 2004, S. 6) .

Denn diese Situation führte zu einer Überforderung, insbesondere Lehrpersonen waren mit diesem Zustand überfordert, auch deutsche Eltern sahen den Schulerfolg der eigenen Kinder durch die hohe Anzahl der ausländischen Kinder gefährdet. Die Pädagogik reagierte auf dieses „Problem“ und somit wurden pädagogische Ansätze, Konzepte und Strategien entwickelt. Mittlerweile sind sie bekannt als Ausländerpädagogik und schulpädagogische Sonderpädagogik (Mecheril 2004, S. 83f.) .

Aufgrund der steigenden Zahl ausländischer Schüler*innen kam es im Jahre 1971 zu einer neuen KMK-Empfehlung. Hierbei ging es hauptsächlich um die Integration der ausländischen Schüler*innen. Da die Verweildauer der Arbeitsmigrant*innen verlängert wurde, fand im Jahre 1976 erneut eine KMK-Empfehlung statt. Dabei ging es darum, dass die ausländischen Schüler*innen ihre eigene Muttersprache weiterhin bewahren beziehungsweise ausbauen und zusätzlich sollten sie die Möglichkeit für deutsche Schulabschlüsse bekommen und sich auch gleichzeitig die deutsche Sprache aneignen. Somit sollte die Rückkehrfähigkeit und die Integration ermöglicht werden (vgl. Boos-Nünning 1987, S. 278ff.) .

1980 wurde die Perspektive der Ausländerpädagogik beziehungsweise Sonderpädagogik für Ausländer*innen beanstandet, da mittlerweile die ausländischen Schüler*innen als ein Bestandteil des deutschen Schulsystems anerkannt wurden. Somit begannen die Überlegungen zu interkultureller Erziehung und Bildung, konnten jedoch seitens des Lehrpersonals nicht in die Realität umgesetzt und als Aufgabe definiert werden.

Durch die politische Wende 1989 wanderten noch mehr Migrant*innen nach Deutschland aus. Aufgrund der sprachlichen und kulturellen Heterogenität war eine neuerliche und stärkere Reaktion seitens der Schulen und Bildungseinrichtungen notwendig. Somit wurde im Jahre 1996 von der KMK angewiesen, dass die interkulturelle Erziehung ein Teil der schulischen Bildung wird. Somit wurde die interkulturelle Bildung als Aufgabe aller Bildungseinrichtungen definiert.

Die vergangenen pädagogischen Institutionen und Handlungsweisen wurden kritisch überprüft. Durch die neuen Erkenntnisse konnte sich die interkulturelle Pädagogik als selbständiges, erziehungswissenschaftliches Fachgebiet entwickeln (vgl. Mecheril 2004, S. 84ff.) .

Laut Anne Unterwurzacher unterscheidet sich die Bildungsqualifikation von in Österreich lebenden Jugendlichen mit Migrationshintergrund weiterhin eindeutig zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (vgl. Unterwurzacher 2003, S. 71). In Sonderschulen wurde hingegen festgestellt, dass Kinder/Jugendliche – die keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen – überrepräsentiert sind, dementgegen in höheren Schulen deutlich unterrepräsentiert sind (vgl. Unterwurzacher 2007, S. 71). Überdies spielen weitere Kriterien eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel: Herkunftsland der Personen mit Migrationshintergrund, Bildung des Vaters, elterliche Bildungsaspirationen, Deutschkenntnisse der Jugendlichen (vgl. Unterwurzacher 2007, S. 93)

Wie dieses Kapitel gezeigt hat, haben die Migration und die damit entstandene Multikulturalität diverse Herausforderungen im Kontext Schule mit sich gebracht. Lehrpersonen, deutsche Eltern von schulpflichtigen Kindern, ausländische Schüler*innen und insbesondere die Pädagogik waren überfordert. Um die „Probleme“ und die plötzliche Heterogenität, die durch die Migration entstanden sind, zu bewältigen, mussten schnellstmöglich angemessene pädagogische Ansätze und neue Strategien entwickelt werden.

2. Pädagogische Theorien

Das vorherige Kapitel hat sich damit beschäftigt, wie und aus welchen Gründen es zu den verschiedenen Migrationsprozessen kam und wie sich diese Multikulturalität auf die Schulen ausgewirkt hat. In diesem Kapitel sollen nun die pädagogischen Ansätze und Theorien näher betrachtet werden, die im Laufe der Zeit durch die Vielfältigkeit entstanden sind. Um zu verstehen, wie die Pädagogik auf die Diversität in Schulen reagiert hat, werden im Folgenden die Merkmale der jeweiligen Ansätze zusammengefasst.

2.1 Ausländerpädagogik

Durch die steigenden Zahlen der Arbeitsmigrant*innen in den 1970er Jahren wurde die Ausländerpädagogik bzw. Assimilationspädagogik eingeführt (vgl. Nohl 2010, S. 22).

Aufgrund der steigenden Zahlen beschloss die KMK im Jahre 1964 die allgemeine Schulpflicht für ausländische Kinder. Durch diesen Beschluss wurde aus dem bisherigen Prinzip der Homogenität in Schulen eine nicht übersehbare Heterogenität (ebd., S. 23). Das Hauptproblem bei den ausländischen Kindern waren die Sprachdefizite. Aus diesem Grund wurden jüngere Schüler*innen (aufgrund der Vermutung eines schnelleren Erlernens der Sprache) in den Regelunterricht und ältere Schüler*innen in die Vorbereitungsklassen integriert, um so die fehlenden Deutschkenntnisse erwerben zu können. Dies stellte einen Lösungsansatz dar, um die Homogenisierung in den Schulen aufrechterhalten zu können (vgl. Nohl 2010, S. 24). Zudem wurden sodann im Laufe der Zeit Nationalklassen und Ausländerklassen aufgrund der Besorgnis deutscher Eltern wegen eines zu hohen Ausländer*innenanteils am Unterricht für ausländische Schulkinder eröffnet. Deshalb folgte ein neuer Beschluss der KMK, der einen maximalen Anteil von 1/5 ausländischer Schüler*innen am Unterricht festlegte (ebd. S. 24).

In der Hoffnung, dass die ausländischen Schüler*innen in ihre Heimat zurückkehren würden, wurde in der Zeit für die Rückkehrfähigkeit gesorgt, indem die Schüler*innen weiterhin muttersprachlichen Ergänzungsunterricht erhielten (vgl. Geier 2011, S. 18f.).

Einerseits herrscht ein „Assimilierungsdruck“, da eine Anpassung der Kinder stattfinden soll, und andererseits findet eine „Segregationspraxis“ statt, indem Schüler*innen in verschiedene Klassen separiert und distanziert werden (vgl. Nohl 2010, S. 25).

Durch die damals vorherrschende Homogenisierung in den Schulen rückten die Defizite der ausländischen Schüler*innen immer weiter in den Vordergrund. Die Bildungsstandards wurden damals nicht hinterfragt und sie konnten deshalb auch nicht geändert werden. Dies hatte zur Folge, dass die ausländischen Kinder im schulischen Kontext assimiliert und angepasst wurden (ebd. S. 25).

Zusammenfassend kann herausgestellt werden, dass die Ausländerpädagogik den Fokus auf die Defizite der Migrant*innen, „Ausländerkinder“ und Menschen mit Migrationshintergrund, zu denen auch die der zweiten und dritten Generation zählen, legt (vgl. Mecheril 2004, S. 83f.).

Der Ansatz der Ausländerpädagogik erkennt die Differenzen zwischen den Einheimischen und den Migrant*innen als einen Mangel an und versucht diesem Mangel durch geeignete pädagogische Maßnahmen entgegenzuwirken oder diesen zu mildern (vgl. Mecheril 2004, S. 92).

[...]

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Rassismuskritischer Unterricht
Untertitel
Ist die Schule ein Ort des rassismuskritischen Denkens und inwieweit ist rassismuskritischer Unterricht in der Praxis umsetzbar?
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Note
1
Autor
Jahr
2021
Seiten
50
Katalognummer
V1019639
ISBN (eBook)
9783346412454
ISBN (Buch)
9783346412461
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pädagogik, Erziehungswissenschaft, Migration, Rassismus, Unterrich, Esma Benli, Schule, Bildung, Migrationspädagogik
Arbeit zitieren
Esma Benli-Genc (Autor:in), 2021, Rassismuskritischer Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1019639

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