Dürrenmatt beschreibt in "Die Physiker" eine brisante Situation. Der geniale Physiker Möbius hat die Weltformel entdeckt. Seiner Auffassung nach ist diese so gefährlich, dass er sich in eine Nervenheilanstalt einweisen lässt. Damit, so glaubt er, könne verhindert werden, dass die Informationen in falsche Hände gelangen. Doch wie in einer selbsterfüllenden Prophezeihung leitet er genau durch dieses Verhalten die schlimmstmögliche Wendung ein. Seine Forschung fällt in die Hände der irren Leiterin des Sanatoriums, die mit dieser Kenntnis einen weltweiten Konzern leitet.
Darauf aufbauend plädiert Dürrenmatt dahin gehend, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen. Er sagt, dass das, was alle angehe, auch nur gemeinsam gelöst werden könne.
Aufgabe: Analysiere die Textpassage von S. 58 (Zwei Polizisten heben die Leiche hoch...) bis S.61( ...Aus Zimmer Nr. 3 kommt Newton)!
Teilaufgaben:
1) Fertige eine Inhaltsangabe der Teilszene an!
2) In welcher Situation befinden sich die Personen am Anfang der T- Szene? Wie ist diese Situation entstanden? In welcher Beziehung stehen die Personen zueinander?
3) (Hauptaufgabe): Untersuche den Aufbau der Szene: Wie verhalten sich die Personen? Wie lässt sich ihr Verhalten erklären? Gibt es eine Entwicklung innerhalb des Gesprächs/ der Teilszene?- Belege deine Ergebnisse mit Textstellen!
4) (kurz): Hat diese Teilszene Auswirkungen auf den weiteren Handlungsverlauf?
Die Klausur:
1)
In dieser Teilszene treten Möbius, das Frl. Doktor und der Inspektor auf: Nach einem kurzen Gespräch zwischen Möbius und Dr. Zahnd, in dem sie Möbius Vorwürfe für den Mord an Monika macht, geht sie ab, und die beiden Männer führen eine kurze Konversation, in deren Verlauf Möbius den Inspektor bittet, ihn aufgrund seiner Tat zu verhaften. Der Inspektor aber bekundet seine Genugtuung darüber, geisteskranke Täter nicht im Namen der Gerechtigkeit verhaften zu müssen.
2)
Das Frl. Doktor und der Inspektor treffen nach dem dritten Mord in „Le Cerisiers“ wieder zusammen, um Bestandsaufnahme durchzuführen. Möbius hat nämlich gegen Ende des ersten Aktes seine Krankenpflegerin Monika erdrosselt( weil sie ihm ihre Liebe gestanden hat und die Maskerade des genialen Physikers erkannt hat).
Wie am Anfang des ersten Aktes, so treffen sie nun erneut im Salon zusammen, doch hat sich die Beziehung zwischen dem Inspektor und Frl. Zahnd geändert: War sie es anfangs noch( erster Akt), die fast seelenruhig auf die Ermordung der zweiten Krankenschwester durch Einstein( einen der anderen zwei Physiker) reagierte- während der Inspektor versucht war diese aufzuklären- so finden wir eine umgekehrte Situation am Anfang des zweiten Aktes vor:
Diesmal ist es das Fräulein Doktor, die emotional das Gespräch führt und der Inspektor die Situation gelassen betrachtet, was durch sein Zigarre Rauchen und Schnaps Trinken deutlich wird.
Möbius kommt aus seinem Zimmer und beendet durch sein Auftreten das Gespräch der Beiden.
Die Fronten zwischen der Ärztin und dem Patienten scheinen nach dem Mord verhärtet, denn sie macht ihm Vorwürfe, ihre beste Krankenschwester getötet zu haben.
Der Inspektor hingegen, im ersten Akt noch auf Frl. Zanhd wartend und den Patienten eher abgeneigt, spricht anschließend(nach dem Abgang Zahnds) entspannt und offen mit Möbius über dessen Tat.
3)
Fräulein Dr. h.c. Dr.med. Mathilde von Zahnd gibt sich bestürzt über Möbius Ermordung der Krankenschwester. Sie bezeichnet sich selbst als Philantropin und möchte dies durch die überzogene Beschreibung ihrer Gefühle zu Monika belegen( „Sie haben meine beste Krankenschwester getötet...“S.58). Die angesehene, adelige und hochgradige Psychologin( erkennbar an ihrem Namen und den Dr.- Titeln) errichtet jedoch eine Fassade, denn schließlich war sie es, die die Morde zu ihrem Vorteil eingefädelt hat.
Sie ist die wissende Person und versucht, den Inspektor unwissend zu lassen, indem sie sich ihm und seinem Vorgehen unterstellt( im Gegensatz zum ersten Akt):
Das wird durch die Entschuldigung für ihr Verhalten( S.58) deutlich, die an den Inspektor gerichtet ist.
Auch folgendes gehört zu ihrem Charakterbild: Sie versucht sich des Öfteren den Personen in ihrem Verhalten anzupassen, um ihr Vertrauen zu gewinnen, zum Beispiel als sie dem inspektor anfangs des zweiten Aktes eine Havanna und Schnaps anbietet, obwohl Rauchen und Trinken durch die Oberschwester verboten wurden.
Dieses atypische Verhalten könnte eine psychische Störung sein, die in ihrer Einsamkeit begründet liegen könnte, worauf auch ihre bucklige, introvertierte Körperhaltung hindeuten würde. Ein gewichtiger Hinweis darauf findet sich ebenfalls in ihrer Aussage „Seine Majestät ordnete den Mord an( S. 58), denn sie impliziert durch die Wortwahl ihr Verhältnis zu Salomon( Majestät). Diese ungewollte Wortentgleisung zeichnet jedoch ihr wahres Charakterbild: Die Irren- Ärztin Frl. von Zanhd ist eine irre Ärztin!
Möbius tritt in dieser Szene wieder als nervenkranker Physiker auf, der den Mord an Monika auf den Befehl des König Salomons zurückführt( „Da schwebte der König[...] an mich heran und flüsterte mir[...]den Befehl zu/ Seite 58).
Es fällt das abgeschwächte Wort König im Gegensatz zu der Wortwahl Majestät auf, was Rückschlüsse auf die Intensität der persönlichen Bindung zum Gesagten zulassen könnte. Demnach würde Mathilde in einem stärkeren Verhältnis zu Salomon stehen als der als verrückt erklärte Möbius.
Möbius versucht im Gespräch sein wahres Anliegen zu verbergen und schiebt Salomon als Vorwand voran, als Mathilde noch anwesend ist. Doch wenig später bittet er den Inspektor, ihn zu verhaften( S.60 oben): Vielleicht ist es sein Gewissen, das „Gerechtigkeit“ für die Ermordung Monikas fordert. Oder Möbius Moral, die sich zu Wort meldet. Denn eigentlich wäre es stimmiger gewesen, dass Möbius, de so nach moralischer Integrität strebt, eher an Suizid( Selbstmord) hätte denken müssen, anstatt eine junge Frau im Namen der Wissenschaft& Forschung zu töten.
Normalerweise würde der Inspektor jeden Geständigen festnehmen, doch durch die paradoxe Kliniksituation ist es ihm möglich, von der Gerechtigkeit Urlaub zu nehmen, denn einen scheinbar Geisteskranken kann man nicht für sein Handeln verantwortlich machen.
Als einen kranken Menschen sieht der Inspektor Möbius letztendlich auch, denn er nimmt ihn nicht fest:
Im Laufe seiner Dienstzeit hat der Inspektor viele Mörder und des Mordes Beschuldigte festgenommen und nach dem Gesetz als Mörder verhaftet- wie er glaubt einige zurecht, doch bei anderen Verhaftungen überwog seine Zweifel an dem Vorsatz der Mordtat die Gesetzeslast und die gesetzliche Schuldigkeit der beklagten Person.
Jetzt aber, in der Realität des Sanatoriums, die als paradox bezeichnet werden kann, braucht er das Gesetz nicht nach „normalen“ Umständen auszulegen, ergo Möbius nicht verhaften. Er genießt diese Situation förmlich, in dem er genüsslich Schnaps trinkt und Zigarre raucht( S.59 ff.)
Für Möbius bedeutet diese Entwicklung die Entscheidung über seine Zukunft. Er wird die Strafe für den Mord mit lebenslanger Haft in „Le Cerrisiers“ abbüßen, denn nun obliegt seine Zukunft der Willkür der wirklich verrückten Ärztin.
Zusammengefasst ändert sich die Situation wie folgt:
Durch das Gespräch mit Mathilde Zanhd und Möbius wird der Inspektor sich seiner Handlungsunfähigkeit bewusst und findet sich damit ab. Möbius Schicksal der Gefangenschaft in der Klinik ist besiegelt.
4)
Die Auswirkungen sind immens:
Möbius ist in den Augen der Welt nun ein verrückter Mörder, der nur im Sanatorium ein „freies Leben“ führen kann. Ein Leben, in dem er sich seinem Forscherdrang hingeben kann, ohne Gefahr zu laufen, unter die geistige Führung irgendwelcher Parteien mit irgendeiner Ideologie zu gelangen. Denn im Irrenhaus wird er von den meisten Menschen als Irrer gesehen, was natürlich dann auch für seine Forschung gilt. Diese Abgeschiedenheit von der Menschheit ist für ihn die Grundvoraussetzung seiner Arbeit, die wohl aufgrund der Verantwortung für die potentiellen Folgen seiner Ergebnisse entstand.
Er steht nun entgültig unter der Kontrolle von Frl. Zanhd, die ihn aufgrund seines Wissens kontrollieren will, um sie bei ihrem Plan, einen Trust zu bilden, nicht zu gefährden.
Letztendlich war diese Teilszene die Einleitung der „Physikerszene“, dem letzten retardierenden Moment der Komödie Dürrematts.
- Arbeit zitieren
- Jan Kersting (Autor:in), 2001, Dürrenmatt, Friedrich - Die Physiker, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101990