Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Feminismus und seine Geschichte der 1960er und 1970er Jahre
3. Grundbegriffe des Feminismus
4. Die feministische Avantgarde: Kunst der 1960er und 1970er Jahre
4.1. Meinungen zu den kunstlerischen Arbeiten
5. Netzfeminismus 2.0
5.1. Meinungen zu den kunstlerischen Arbeiten
6. Vergleich der beiden feministischen Wellen
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Das Leben von Frauen hat sich uber die Jahrhunderte grundlegend verandert. So schuttelten Frauen die mannliche Dominanz ab, straubten sich gegen die gesellschaftlichen Zwange, die ihnen auferlegt wurden und wandelten sich schlieBlich zu selbstbewussten Wesen. Emanzipation ist das Wort, das den Feminismus pragte. Sie kampften fur die Gleichberechtigung der Frauen und Manner. Noch heute gibt es Frauen die sich dafur einsetzen und im Zeitalter des Internets und der sozialen Medien auf ihre Weise fur das Bild der Frau kampfen.
Auch auf die Kunstwelt hat der Feminismus einen groBen Einfluss. Inwieweit dieser aussieht wird in der folgenden Arbeit anhand der feministischen Bewegung der 1960er und 1970er Jahre und der FeministInnen des 21. Jahrhunderts erlautert. Wie der Feminismus, die Gesellschaft und die Kunst sich verandert haben und ob es Parallelen zwischen den beiden Jahrhunderten gab, soll nach einer Vorstellung der beiden Bewegungen und ihrer kunstlerischen Arbeiten erarbeitet werden. Besonders wird dabei der Fokus auf die FeministInnen der jungsten Generation gelegt, aufgrund der aktuellen Debatte um die sozialen Medien als kunstlerisches Medium und das Gewicht der feministischen Themen.
Soziale Medien sind fur die Millennials, die Kinder die nach 1990 geboren wurden, ganz alltaglich geworden. Von Morgens bis Abends sind sie auf den sozialen Plattformen unterwegs und teilen Bilder, Videos und Texte mit der ganzen Welt. Dabei geht es vor allem darum sich Selbst zu finden und darzustellen. Likes, Follower und die Anzahl der Beitrage ist fur viele wichtig und gehort zu den taglichen Themen der jungeren Generation. Welche Auswirkungen diese Einstellung auf den Wert der Arbeiten der KunstlerInnen 4.0 hat, soll im Folgenden analysiert werden.
2. Feminismus und seine Geschichte der 1960er und 1970er Jahre
Feminismus ist eine Ideologie und Lebenshaltung, die sich „aktiv gegen gesellschaftliche Strukturen [.], die fur Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres biologischen und sozialen Geschlechts ausschlaggebend sind“1, auflehnen. Mitte des 19. Jahrhunderts leisteten Frauen das erste Mal gegen die mannlichen Strukturen der Gesellschaft Widerstand. Sie kampften insbesondere fur das Frauenwahlrecht, Beendigung der Bevormundung durch den Ehemann oder Vater und fur gleiche Lohne. Die erste Welle des Feminismus dauerte bis in die 1920er Jahre an. Im Zuge der 68er Bewegung (die zweite Welle des Feminismus) setzten sich die FeministInnen gegen hausliche Gewalt und Missbrauch ein, sowie gegen das Verbot der Abtreibung. Die dritte Welle des Feminismus ist in den 1990er Jahren anzuordnen, in der sich viele verschiedene Richtungen des Feminismus entwickelten. Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts begann die vierte Welle, die bis heute anhalt. Sie ist gepragt von den Millennials und dem Internet und lehnt sich vor allem gegen das heutige Bild der Frau auf. Wenn man feministische Bewegungen betrachtet, wird sich in den meisten Fallen nur auf die westliche Welt bezogen, da bei vielen anderen Landern noch weitere entscheidende Faktoren berucksichtigt werden mussen.
„Die Menschheit ist mannlich, und der Mann definiert die Frau nicht an sich, sondern in Beziehung auf sich; sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen." - Simone de Beauvoir2 Auf sozialer, politischer und kultureller Ebene entsteht in den 1960er Jahren Widerstand gegen die antiquierte Lebensweise, sowie gegen Rassismus und prudes Verhalten. Daraus formieren sich schnell in den USA und in Europa Bewegungen wie die Anti-Kriegsbewegung, die Burgerrechtsbewegung, die StudentInnenbewegung und die Frauenbewegung. Die feministische Bewegung kampfte „fur Gleichberechtigung von Frauen und Mannern im privaten und sozialen Bereich, fur gleichen Lohn fur gleiche Arbeit, fur Selbstbestimmung uber den Korper der Frau (Fristenlosung) und gegen Gewalt an Frauen"3.
Bei einer Sitzung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Frankfurt im September 1968, warf die Sprecherin des Aktionsrates zur Befreiung der Frau dem SDS vor, in ihrer Gesellschaftskritik die Diskriminierung der Frau zu vernachlassigen. Als sie jedoch von den anderen Mitgliedern nicht angehort wurde schmiss sie aus Protest Tomaten auf die Buhne. Viele Frauen folgten ihrem Beispiel und der Tomatenwurf wurde zum Auftakt der deutschen feministischen Bewegung. Daraufhin bildeten sich in verschiedenen Stadten Frauengruppen, bzw. Weiberrate, die die Gesellschaft durch offentliche Aktionen auf „Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern"4 aufmerksam machen wollten.
Im Zuge der Kampagne „Mein Bauch gehort mir"5 1971 bekam die neue Frauenbewegung einen zweiten Mobilisierungsschub. Es formierten sich Aktionsgruppen, die zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbruchen aufriefen. Frauenfilme wurden gedreht und Frauenverlage gegrundet, um die Ideen und Forderungen der Frauen zu verbreiten. Zur selben Zeit wollte man die feministische Bewegung auch in politische Verbande und staatliche Institutionen integrieren.6 So zeigten immer mehr Parteien und soziale Institutionen Interesse an der Gleichstellung der Geschlechter, sodass Ende der 1980er Jahre die Proteste abflauten und die Frauenbewegung zusehends aus der Offentlichkeit verschwand.
3. Grundbegriffe des Feminismus
Der „ Male Gaze ist ein aktiv-mannlicher, kontrollierender und neugieriger Blick und ein ursprunglich aus der Filmtheorie stammender Begriff.“7 Frauen werden in Filmen, Werbung oder auch in der Kunst als Objekt gesehen, dass man anstarren muss und der Fokus drauf gelenkt wird. Dabei ist vor allem die Kamerafuhrung, bzw. die Blickfuhrung pragnant, die meist einen sexuelle Intention hat. Dieses Konzept des Male Gaze stammt von der Filmtheoretikerin Laura Mulvey, die 1975 damit erstmals versuchte dieses filmische Phanomen zu beschreiben. Fruher waren in der Filmbranche uberwiegend mannliche Schauspieler tatig, wodurch sich die Zielgruppe der Filme eher auf heterogene Manner bezog. Der Male Gaze oder auch ins Deutsche ubersetzt, das „mannliche Starren“, bzw. „die Lust am Starren“, gilt heute noch immer, auch wenn es nun viele Filme mit weiblichen Hauptrollen fur ein weibliches Publikum gibt.
Das Konzept des Starrens beschrankt sich jedoch nicht nur auf die mannliche Betrachtung einer Frau, sondern lasst sich auf alle Geschlechtergruppen ubertragen, dabei muss das Ziel des Starrens ebenfalls nicht unglucklich mit dem Ergebnis sein. Besonders in der Werbebranche wird der Male Gaze dazu benutzt nicht nur die Frau zu objektivieren, sondern auch als Hilfsmittel ein Produkt zu verkaufen mittels der Degradierung der Frau zu einem Gebrauchsartikel.8 Der Male Gaze wird wie oben schon angedeutet heute nicht nur mehr im Film verwendet, sondern auch in vielen Kunstwerken oder auch bei Fotografien auf sozialen Netzwerken. Selbst im alltaglichen Leben wird der Blick eines Betrachters durch den Male Gaze gelenkt.
Neben dem Male Gaze macht seit geraumer Zeit auch der Female Gaze die Runde. Dabei handelt es sich aber im Gegensatz zum Male Gaze um etwas sehr Positives. Beim Male Gaze geht es darum, was Manner sehen, der Female Gaze beschaftigt sich damit, was Frauen sehen, fuhlen und erleben. „The female gaze is really about using the presence of a female perspective on screen to emphasize the story's emotions and characters“9, wie Jill Soloway es so treffend beschrieb. Aber auch hier wird der Female Gaze nicht nur im Film benutzt, sondern auch von vielen KunstlerInnen aufgegriffen. So besteht fur viele die groBte Aufgabe des Female Gaze darin, die weiblichen Erfahrungen aufzuzeigen, „in Ubereinstimmung mit dem Aphorismus, der das Zeitalter sozialer Medien definiert: ich werde gesehen, also bin ich“10. Andere KunstlerInnen beschaftigen sich unter dem Female Gaze mit Identitat, Sexualitat oder Weiblichkeit mit Hilfe des Korpers. Dabei spielen die KunstlerInnen meist in der Auseinandersetzung der Frau mit dem eigenen Korper. Die Kunstlerin Juno Calypso bezeichnet den Female Gaze lieber als Looped Gaze, um die Entfremdung und gleichzeitige Anziehung zu beschreiben, die man im Zeitalter sozialer Medien empfindet, wenn man sein eigenes Bild im Internet betrachtet. Eine genaue Definition des Female Gaze gibt es jedoch noch immer nicht und die Ziele mussen sich erst noch definieren. Jedoch kann man davon ausgehen, dass es um eine „feministische Ruckgewinnung"11 des Korpers geht oder eben um die Anerkennung des weiblichen Korpers als einen menschlichen Korper. Mit dem weiblichen Blick wird eine vom Patriarchat befreite Welt geschaffen, die Frauen zufolge, eine Vision der Welt zeigt.
Auch wenn sich der Female Gaze gerade erst versucht durchzusetzen ist es im Moment eine Zeit, in der Frauen das Wort ergreifen, ein Beispiel dafur ist die #MeToo Debatte. Im Oktober 2017 loste der Skandal um den Produzenten Harvey Weinstein eine weltweite Debatte aus. Die #MeToo-Kampagne forderte Frauen und Manner dazu auf, ihre Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch offentlich zu machen.
4. Die feministische Avantgarde: Kunst der 1960er und 1970er Jahre
Im Zuge der zweiten feministischen Bewegung der 1970er Jahre setzten sich viele KunstlerInnen mit dem Privaten und dem Kunstraum auseinander. Dabei spielten vor allem die Themen der Haus- und Ehefrau eine Rolle, sowie Ehe, Sexualitat, Gewalt gegenuber Frauen und das Gefuhl des eingesperrt seins. Die KunstlerInnen grundeten im Laufe der Frauenbewegung Aktionen, protestierten vor Museen, gestalteten Festivals und Ausstellungen, grundeten Verlage und Zeitschriften, sie verfassten Manifeste, Bucher und Broschuren, um sich in der Offentlichkeit Gehor zu verschaffen.12 Eines der Ziele der feministischen Kunstbewegung war „die Verbesserung der Situation der bildenden Kunstlerinnen auf sozialem und kunstlerischem Gebiet. Aktive Anteilnahme am aktuellen kulturpolitischen Geschehen. Aktives Engagement an existentiell wichtigen Problemen."13 Viele dieser Proteste formierten sich, weil Kunstlerinnen die Moglichkeit an Ausstellungen teilzunehmen verweigert wurde, oder nur eine geringe Zahl der Teilnehmer weiblich war.
1971 wurde die erste Ausstellung mit nur Kunstlerinnen von der Women's Liberation Art Group in der Woodstock Galerie in London veranstaltet. Dabei ging es vor allem darum, ein Gefuhl der Einheit zu bilden, andere Kunstlerinnen kennen zu lernen und um der Welt zu zeigen, dass Frauen nicht die Erlaubnis der mannlichen Bevolkerung brauchen. Die „Dekonstruktion weiblicher Genderidentitat"14 ist eine der wichtigsten Nachlasse der feministischen Kunstbewegung der 1970er Jahre in Europa und den Vereinigten Staaten. Viele KunstlerInnen erschufen Raume oder Verwandlungsstrategien, um die Weiblichkeit zu erforschen und geschlechtliche Rollenverteilungen kritisch zu betrachten. In diesem Kontext haben KunstlerInnen am Anfang der 1970er Jahre versucht die Einschrankungen und Hierarchien des Privatraumes in einem kunstlerischen Werk sichtbar zu machen.
So entstanden zwei kunstlerische Projekte in Westberlin und an der Westkuste der USA, die sich mit dem Privatraum auseinandersetzten und besonders auf die selbstverstandliche Degradierung der Frau im Privaten auf eine Hausfrau, die ihre Arbeit unbezahlt und ohne Widerstand zu leisten hatte. Inwieweit Frauen in der damaligen Zeit an den privaten Raum gebunden waren, zeigt die gesetzliche Bevormundung durch den Ehemann, wenn es um eine „auBerhausliche Arbeit“15 ging. Das Womanhouse wurde 1972 von den Kunstlerinnen Judy Chicago und Miriam Shapiro, welche einen Lehrstuhl am California Institute of the Arts innehatten, ins Leben gerufen. Mit diesem Projekt machten die beteiligten Kunstlerinnen „die historisch gewachsenen Raume des Privaten zum Ausgangspunkt kunstlerischer Interventionen.“16 Als Ausstellungsort diente den Studentinnen der beiden Kunstlerinnen eine alte leerstehende und schon fast verfallene Villa in Hollywood. Die Raumaufteilung der Villa in groBzugige Haushalts- und Kuchenraume, neben dem Salon und dem Wohnzimmer im Erdgeschoss, sowie den privaten Raumlichkeiten und Badern im Obergeschoss bildete die „geschlechtsspezifischen Strukturen des burgerlichen Interieurs“17 geradezu bildhaft ab und bildete eine hervorragende Vorlage fur viele kunstlerische Projekte.
Die Kunstlerinnen erschufen in den verschiedenen Raumen unterschiedliche Installationen, die die Arbeit einer Frau auf einer visuellen Ebene abbildeten. So kam man zu Anfang der Ausstellung direkt in die Kuche in der Vicki Hodgetts in einer Gemeinschaftsarbeit den ganzen Raum mit Mobiliar in pinke Farbe hullte und die Wande mit aus Schaumstoff geformten Bruste bestuckte, die sich an der Decke des Zimmers zu Spiegeleiern wandelten (Abb. 1; Abb. 2). Damit versinnbildlichte sie die Aufgabe des Versorgens und Kochens, die nur der Frau zu kam. Einerseits war diese Aufgabe fur die Frau lust- und freudvoll, andererseits fuhrte sie dazu, dass Frauen weiterhin auf den Privatbereich beschrankt wurden. Diesen Aspekt griff auch Susan Frazier in ihrer Arbeit Aprons in Kitchen (Abb. 3) auf, indem sie einige Kuchenschurzen aufgereiht an eine Wand hangte und mit Brusten und vollen Lippen versah. Damit spielte sie auf die Ausnutzung weiblicher Arbeitskraft im Privaten und die sexuelle Ausbeutung der Frau an.18
Andere kunstlerische Inszenierungen im Womanhouse beschaftigten sich damit, inwieweit die weibliche Kreativitat auf das Private gebunden wurde, dort wo es gesellschaftlich erwunscht war, dass Frauen ihre gestalterischen Fahigkeiten zeigten. Oder stellten die hierarchische Geschlechterbeziehung dar. In den Badezimmern im Obergeschoss des Hauses beschaftigten sich die Studentinnen mit den „gesellschaftlichen Konventionen“19, die den Blick der Frau auf ihren eigenen Korper lenkten. Robbin Schiff schuf in ihrer Installation Nightmare Bathroom (Abb. 4) einen mit Angst konnotierten intimen Raum. Der langsame Zerfall der nackten Frauenfigur aus Sand, die Schiff in die Badewanne legte, sollte die Furcht vor der Bedeutungslosigkeit darstellen. Ein anderes Badezimmer verwandelte Judy Chicago in ein Abbild der „Entfremdung der Frauen von der biologischen Funktion ihres Korpers“20, indem sie mit einem Gazeschleier das klinisch weiBe Bad vor den Besuchern verschloss und hinter dem Vorhang blutige Tampons und Binden, Intimparfums und ein Absauggerat uber das Bad verteilt, farblich ins Auge stachen (Abb. 4).21
Neben den Arbeiten der Studentinnen in den Raumen fanden im Womanhouse auch verschiedene Performances von ganz unterschiedlicher Art statt. In der Performance von Judy Chicago, Cock and Cunt (Abb. 6) stritten Faith Wilding mit einem Plastikpenis als Cock und Janice Lester mit einer Plastikvagina als Cunt mit einander. In der Auseinandersetzung bewegten sich die beiden wie Marionetten und forderten ihr Bedurfnis nach sexueller Befriedigung und beidseitige Hilfe im Alltag ein. Der Cunt wurde jedoch beides vom Cock verwehrt, begrundet durch die „Uberlegenheit seines Penis.“22 Wilding spielte eine Frau, die darauf wartete, dass jemand anderes fur sie die Initiative ergriff und sie aus den Zwangen des Cocks befreite. Diese Performance spiegelte geradezu perfekt die Situation einer Ehefrau in den 1970er Jahren wider.
Die eigens gestalteten Raume und die Performances der Kunstlerinnen verdeutlichten, dass sich der personliche Raum und Freiraum einer Frau erst noch entfalten musste, sowohl im Kollektiv, als auch im Individuellen. Dieses kunstlerische Projekt war erst der Anfang, jedoch schockierte und bewegte es viele BesucherInnen.
„Die Themen „Hausfrau“ und „Ehe“ waren naturlich nicht nur im Womanhouse, sondern insgesamt in den Jahren der feministischen Avantgarde nach 1945 immer wiederkehrende Felder der kunstlerischen Auseinandersetzung.“23
Zur gleichen Zeit entstand die Ausstellung Zur Situation der Frau in Familie und Gesellschaft der Kunststudentinnen Brigitee Mauch, Evelyn Kuwertz und Antonia Wernery. Sie planten bereits seit 1971 an diesem Projekt und 1973 sollte es dann umgesetzt werden. Wie auch beim Womanhouse wurde hier die Thematik des Privatraumes der Frau aufgegriffen. Die Studentinnen legten jedoch in diesem Ausstellungsprojekt ihren Fokus auf die Stereotypen in Werbeplakaten von Frauen Ende der 1960er Jahre und setzen sich mit dem Sexismus der herrschenden Konsumwelt auseinander.24 Sie versuchten vor allem die Lebenssituation der Frau in der damaligen Zeit abzubilden.
Die Kunstlerinnen wollten in einer Halle verschiedene Plakatwande aufhangen, die provokative Bilder von Frauen zeigen sollten, die man normalerweise so nicht in der Offentlichkeit sah. Auf einer der ersten Plakatwande war eine Strumpfhosenwerbung der Marke Elbeo zu sehen, die die allgegenwertige Wirkung von Werbetafeln zeigen sollte. Auf dem Werbebild waren nackte Schonheiten abgebildet und unterstrichen mit zwei Slogans die Bewegungsfreiheit von Frauen. Dieses Werbebild wurde durch ein Loch in der Mitte decollagiert und gab den Blick auf eine Frauengruppe, die dynamisch durch den Durchbruch schritt, frei. Diese Frauen bildet metaphorisch die Loslosung der Frau von ihren Stereotypen ab. Die Thematik des Aufbruchs steht auch fur die „sich entwickelnde und zunehmend breiter werdende Frauenoffentlichkeit, die sich als Gegenoffentlichkeit im offentlichen Raum etablierte."25 Eine andere Bildwand mit dem Titel Konkurrenz verdeutlicht den mannlichen Einfluss auf die MaBstabe von Schonheit und sexueller Attraktivitat. Dabei stellen die Frauen auf dem Plakat ihre erotischen Zonen zur Schau und unterstreichen sie mit ihren Handen, die sie an ihren Brusten, dem GesaB und den Huften entlang wandern lassen. An der linken Seite stehen zwei zugeknopfte Manner, die die nackten Frauen mit abschatzigem Blick von hinten betrachten und somit auf ihre „empfundene Uberlegenheit"26 verweisen. Viele weitere Arbeiten der Kunstlerinnen verweisen auf dieses fremdbestimmte Bild der Frau, wie eine lebensgroBe Figur einer am Boden putzenden Frau. Zusammen mit einer weitern Frauenfigur, die uberquellende Einkaufstaschen nach Hause schleppt, stellen sie das Bild der Hausfrau dar, die fur alle alltaglichen Aufgaben ganz allein verantwortlich ist.
Auf einer anderen Bildtafel werden die geschonten Bilder von Frauen und Paarbeziehungen im medialen Raum mit dem ungeschonten Bild der Ehe- und Hausfrau konfrontiert, die ihren Mann vorm Fernseher bedient. In einer weiteren Arbeit stellen die Kunstlerinnen die „vielseitigen und umfangreichen Aufgaben, die Frauen im Privathaushalt erfullen und unentgeltlich leisten"27 dar. Neben dieser unschonen und ungewohnten Abbildung der Menge der Aufgaben einer Frau, wurde die Thematik der Suppression weiblicher sexueller Bedurfnisse illustriert und verweist auf die Beeintrachtigung der wirtschaftlichen Verhaltnisse auf das Liebesleben der Frau. Auch in anderen Werken ist der Bezug zur weiblichen Sexualitat und ihre Einschrankungen zu finden.
Auf einer der letzten Werbetafeln wird eine hausliche Vergewaltigungsszene gezeigt, die die abhangige sexuelle Position der Frau darstellen soll. Dabei wird noch einmal das Bild der knienden putzenden Frau aufgegriffen, die von ihrem Mann sexuell bedrangt und schlieBlich vergewaltigt wird. In den ersten Bildsequenzen ist noch ein leichter Anflug von Protest in ihrem Blick zu sehen, wahrend sie zum Ende hin den Akt resigniert geschehen lasst. Gewalt gegen Frauen und hausliche sexuelle Ausnutzung war in den 1970er Jahren eine Norm, die man in der Offentlichkeit totschwieg und die zu der Zeit noch nicht strafbar war.
Die Darstellung solcher gewalttagigen Szenen war nicht nur provokativ, sondern verhinderte auch die Prasentation des Projekts im offentlichen Raum. Der Grund sei, dass die Werke nicht jugendfrei gewesen seien und man verhindern wollte, dass die Ausnutzung von Frauen allen Frauen bewusst gemacht wird.28 Mit der geplanten Ausstellung wollten die Kunstlerinnen eigentlich die „gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhaltnisse [...], die zur Hervorbringung eines medialen Frauenstereotyps beigetragen hatten"29 benennen. Letztendlich konnte die Ausstellung durch die Zensur nicht offentlich gezeigt werden, was bei vielen anderen feministischen Arbeiten ebenfalls der Fall war.
Um 1968, also vier Jahre vor den zwei zuvor genannten feministischen Arbeiten entwickelte VALIE EXPORT ihr Tapp- und Tastkino (Abb. 7). Dabei handelte es sich um eine Performance im offentlichen Raum. EXPORT schnallte sich einen Kasten mit zwei runden Offnungen um ihren nackten Oberkorper. Damit lief sie in einer belebten Gegend herum und ein weiterer Darsteller forderte die Passanten auf, das Tapp- und Tastkino auszuprobieren. Wahrend der Performance lieferte EXPORT sich einer „korperlichen Grenzerfahrung“30 aus, da sie sich die Tastenden, die ihre Bruste anfassten und ihr dabei direkt ins Gesicht sahen, nicht selbst aussuchte. Die Tastenden sahen sich mit EXPORTs Blick und der der umstehenden Passanten konfrontiert. VALIE EXPORT setzte geschickt den vorherrschenden Voyeurismus auBer Kraft und das Aussehen der nackten Haut war nur in der Vorstellung des Betrachters real.31
Ein weiteres Beispiel fur eine korperliche Erfahrung als ein Akt der feministischen Befreiung und Aufgreifung des Themas Gewalt gegen Frauen, ist die Performance Rhythm 0 von Marina Abramovic. In dieser stellte sie sich regungslos in einen Raum und hinterlieB auf einem Tisch eine schriftliche Aufforderung an die Besucher, die auf dem Tisch liegenden Objekte an ihrem Korper auszuprobieren. Unter den 72 Dingen befanden sich Federn, eine Rose, Parfum, Ketten, Rasierklingen, Messer und eine geladene Schusswaffe. Die Frage, die sich Abramovic stellte, war wie weit ein Mensch gehen wurde, wenn er die freie Befugnis dafur hatte.32
Aber nicht alle kunstlerischen Arbeiten im Sinne der feministischen Bewegung waren eigene Erfahrungen der KunstlerInnen. Viele arbeiteten auch mit neuen Medien wie Fotografie, Film oder Video, wodurch sich die Kunstlerinnen im Gegensatz zu ihren mannlichen Kollegen in der Kunstszene endlich Gehor verschaffen konnten.33 So auch VALIE EXPORT mit ihrem Ausstellungsprojekt Magna Feminismus, mit der sie nicht nur die Frauenkunst neu definieren wollte, sondern auch um einen „Uberblick uber die weibliche Sensibilitat, Imagination, Projektion und Problematik, suggeriert durch Tableau von Bildern, Objekten, Fotos, Vortragen, Diskussionen, Lesungen, Filmen, Videobander und Aktionen“34 zu vermitteln. Sie betrachtete die mediale Kunst als eine Moglichkeit die Gesellschaft neu gestalten zu konnen und die mannliche Dominanz mit weiblichen Ideen zu unterbinden.
„wir frauen mussen, um zu einem von uns selbst bestimmten bild der frau kommen zu konnen [...], an der konstruktion von wirklichkeit via medialen bausteinen teilhaben. [...] die frau muB sich also aller medien als mittel des sozialen kampfes und als mittel des gesellschaftlichen fortschritt bedienen, um die kultur von den mannlichen werten zu befreien.“35
4.1. Meinungen zu den kunstlerischen Arbeiten
Die feministische Bewegung und die kunstlerische Frauenbewegung in den 1960er und 1970er Jahren waren eng miteinander verbunden und so hatten viele Arbeiten der Kunstlerinnen groBen Einfluss auf das Bild der Frau. Einfach hatten sie es dabei jedoch nicht. So wurden einige Arbeiten und Performances von hohen mannlichen Personen unterbunden und zensiert. Oftmals, wie auch bei der zuvor erwahnten Ausstellung Zur Situation der Frau in Familie und Gesellschaft wurden die Arbeiten als „jugendgefahrdend“36 bezeichnet, dabei ging es vielen Mannern darum ihre Vormachtstellung zu behalten und dass die soziale Ausbeutung der Frau nicht allen Frauen sichtbar gemacht wird. Im Gegensatz dazu wurden andere Arbeiten sogar durch Politiker und andere Institutionen unterstutzt oder hatten einen bleibenden Effekt auf ihre Besucher. Wie das Womanhouse und VALIE EXPORTs Werke.
Obwohl die Kunstlerinnen die neuen Medien fur sich entdeckten und damit viel erreichten, gab es fur viele Schwierigkeiten, dass man ihre Fotografien als Kunst ansah. Die Diskussion, ob Fotografie uberhaupt Kunst sein konnte, aufgrund ihrer Multiplizierbarkeit, erschwerte es den Kunstlerinnen ihre Kunst der Offentlichkeit zuganglich zu machen. Gleichzeitig ermoglichte das Medium der Fotografie oder der Film es den Frauen ihre eigenen Korper als Werkzeuge zu benutzen, um die Sicht der Frau zu erzahlen.37
Die feministische Bewegung der 1960er und 1970er Jahre hat nicht nur fur viele folgende feministische Stromungen einen Grundstein gelegt, sondern auch neue Medien in der Kunst etabliert, die noch heute viel von KunstlerInnen genutzt werden. Auch die Body und Konzept Kunst haben die FeministInnen mit ihren Arbeiten positiv verandert.38 Noch heute dienen die Arbeiten der Kunstlerinnen der 1960er und 1970er Jahre als Vorbild fur viele Werke von zeitgenossischen KunstlerInnen, wie der Kunstkritiker Holland Cotter so treffend feststellte.
„Kuratoren und Kritiker haben zunehmend erkannt, dass vom Feminismus die einflussreichsten Impulse in der Kunst des spaten 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts ausgegangen sind. Es gibt fast keine neuen Arbeiten, die dadurch nicht beeinflusst worden waren. [...] Eines steht fest: Feministische Kunst [...] ist die richtungsweisende Kunst der vergangenen vier Jahrzehnte. Vieles von dem, was wir als postmoderne Kunst bezeichnen, hat seinen Ursprung in der feministischen Kunst“39
[...]
1 Zybok, Oliver, Die vierte Welle!?: Feminismus heute, 2018, S.46
2 Schor, Gabriele, Feministische Avantgarde: Kunst der 1970er-Jahre: Sammlung Verbund, Wien, 2016, S.22
3 ebenda, S.23
4 Hertrampf, Susanne, bpb, Bundeszentrale fur politische Bildung, Dossier: Frauenbewegung, 2008; [16.03.2019]
5 Bubrowski, Helene, Frankfurter Allgemeine (FAZ), Feminismus der Sechziger Jahre: sie wollten ihre eigene Sprache finden, 2018; [16.03.2019]
6 Hertrampf, Susanne, bpb, a.a.O.
7 Feminismus101.de, Male Gaze, 2012; [15.03.2019]
8 ebenda
9 Forster, Stefanie, Medium, Yes, there‘s such a thing as a „female gaze“. But it's not what you think, 2018; [16.03.2019]
10 Brown, Nakeya/Weidinger, Alfred (Hrsg.)/Meier, Anika (Hrsg.), Virtual Normality: The Female Gaze in the Age of the Internet, 2018, S.188
11 ebenda, S.188
12 Schor, Gabriele, a.a.O., S.27
13 Schor, Gabriele, a.a.O., S.28
14 Zybok, Oliver, a.a.O., S.58
15 Kaiser, Monika, Neubesetzung des Kunst-Raumes: feministische Kunstausstellungen und ihre Raume, 19721987, 2013, S.29
16 ebenda, S.30
17 ebenda, S.32
18 ebenda, S.33f
19 ebenda, S.38
20 ebenda, S.38
21 Zybok, Oliver, a.a.O., S.62
22 Kaiser, Monika, a.a.O., S.41
23 Zybok, Oliver, a.a.O., S.63
24 Kaiser, Monika, a.a.O., S.50
25 ebenda, S.53
26 ebenda, S.54
27 ebenda, S.56
28 Kaiser, Monika, a.a.O., S.56ff
29 ebenda, S.51
30 Zybok, Oliver, a.a.O., S.64
31 ebenda, S.63f
32 ebenda, S.64
33 Schor, Gabriele, a.a.O., S.31
34 Kaiser, Monika, a.a.O., S.87
35 Neues Forum, Woman's Art, Manifest zur Ausstellung Magna, 1973, S.47; [20.03.2019]
36 Kaiser, Monika, a.a.O., S.57
37 Schor, Gabriele, a.a.O., S.31
38 Parker, Rozsika/Pollock, Griselda, Framing Feminism, 1987, S. 80
39 Schor, Gabriele, a.a.O., S.19