Friedrich Schiller: „Kabale und Liebe“
Interpretation Akt II, Szene VI - „Halten zu Gnaden“
Friedrich Schillers bürgerliches Trauerspiel „Kabale und Liebe“ spielt in der Zeit um 1770. Das Werk hieß ursprünglich „Luise Millerin“. Es ist in Prosa geschrieben und besteht aus fünf Akten mit jeweils mehreren Auftritten. Man bezeichnet es auch als „das erste deutsche politische Tendenzdrama“, weil aktuelle politische Ereignisse den Hintergrund bilden.
Im I. und II. Akt ist eine steigende Handlung zu erkennen. Zu einer entscheidenden Schicksalswende und damit zum Höhepunkt des Dramas kommt es im Akt III, Szene IV, als Luise Ferdinand entsagt. Die „Halten zu Gnaden“ - Szene bildet den Mittelpunkt des Dramas, in dem ein zentraler Konflikt ausgetragen wird. Dieser Konflikt spielt im bürgerlichen Haus der Familie Miller; er wird als Wechselgespräch, also als Dialoge, zwischen dem Präsidenten, Ferdinand, Herrn und Frau Miller und Luise dargestellt.
In der vorangegangen Szene befindet sich Ferdinand bereits bei den Millers und hat der Familie klargemacht, daß die Liebe beider niemand zerstören könne und will sie vor seinem Vater warnen. Er will zu seinem Vater, aber dieser erscheint gerade in der Tür. Der Präsident will sich über das Verhältnis seines Sohnes Ferdinand zu Luise erkundigen. Da aber die Vorstellungen des Präsidenten über diese Beziehung ganz anders als die der Familie Miller sind, kommt es zu Auseinandersetzungen. Als Struktur der Szene kann man drei Teile erkennen. Im ersten Teil versucht der Präsident, Luise über ihre Beziehung zu Ferdinand auszufragen, im zweiten Teil kommt Miller zu Wort und setzt sich mit dem Präsidenten auseinander und im dritten Teil äußert der Präsident daraufhin seine Rache.
Der Präsident hat zu keinem seiner Gesprächspartner ein gutes Verhältnis, weder zur bürgerlichen Schicht, also hier den Millers, noch zu seinem Sohn, da dieser sich ihm ständig widersetzt. Ferdinands Vater sieht die Beziehung seines Sohnes zu dem bürgerlichen Mädchen Luise, aus der Sicht des Adels, als Mätressenbeziehung an. Damals war es durchaus normal, wenn die Männer der oberen Schicht neben ihrer Ehefrau noch eine zweite Frau als „Geliebte“ hatten, die bezahlt wurde. Deshalb erschien der Präsident bei den Millers, um unter anderem nach der Bezahlung zu fragen, die Luise erhalten haben sollte: „Erhielt sie Versicherungen?“ (S. 36, Z. 16). Er tritt mit einer kalten, berechnenden Art auf, die ihn seine Interessen durch seine Macht und Befehle durchzusetzen versucht: „Muß ich befehlen, dass du schweigst -...?“ (S. 36, Z. 24), „Ich werde das Echo hinauswerfen lassen.“ (S. 36, Z. 28). Luise wird von ihm gezwungen, Aussagen über ihre Beziehung zu machen. Ferdinand versucht, seinen Vater von der eingeschüchterten Luise abzulenken, oder zumindest, daß dieser Rücksicht auf sie nehmen soll: „Vater, bring Er die Tochter weg - Sie droht eine Ohnmacht.“ (S. 36, Z. 9/10), „Betet sie an.“ (S. 36, Z. 15), „Und wird sie halten.“ (S. 36, Z. 23). Als der Präsident Luise mit einem „Handwerk“ (S. 36, Z. 32) vergleicht, versucht Ferdinand auch, der Rücksichtslosigkeit seines Vaters Einhalt zu gebieten: „Vater! Ehrfurcht befiehlt die Tugend auch im Bettlerkleid.“ (S. 36, Z. 39/40). Dieser jedoch macht sich nur darüber lustig: „Eine lustige Zumutung! Der Vater soll die Hure des Sohnes respektieren.“ (S. 36, Z. 41/42). Miller, der bis jetzt still und ängstlich an der Seite stand, faßt sich Mut und tritt vor. Er verteidigt höflich, aber bestimmt die Ehre seiner Familie und seine Tochter, an der ihm sehr viel liegt: „Euer Exzellenz - Das Kind ist des Vaters Arbeit - Halten zu Gnaden - Wer das Kind eine Mähre schilt, schlägt den Vater ans Ohr, ...“ (S. 37, Z. 8 ff). Ferdinand wird das ebenfalls zu viel und versucht seinem Vater klarzumachen, daß er erwachsen sei, somit über sich selber entscheiden kann, wen er liebt. Er zieht kurz den Degen, um zu zeigen, wie ernst er es meint: „Vater! Sie halten einmal ein Leben an, mich zu fordern - Es ist bezahlt. Der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt zerrissen da -“ (S. 37, Z. 3-5). Miller, der seine Furcht fast verloren hat, dafür wütend auf den Präsidenten geworden ist, setzt sich nun wieder mit ihm auseinander, als er von diesem als „Kuppler“ (S. 37, Z. 14/15) bezeichnet wird: „Halten zu Gnaden. Ich heiße Miller, ...“ (S. 37, Z. 16). Seine Frau ist besorgt um die Familie und hat Angst vor dem Zorn des Präsidenten, der sie durch Millers Rechtfertigungen gegenüber ihm treffen könnte. Sie hält es für leichtsinnig, die Familie dadurch zu gefährden: „Um Himmels Willen, Mann! Du bringst Weib und Kind um.“ (S. 37, Z. 20/21). Sie wird jedoch ignoriert, da sie im Hause nicht viel zu sagen hat und so zu ihrem Mann auch kein besonderes Verhältnis hat. Sie sagt auch nichts weiter. Miller akzeptiert das herrschende Verhalten des Präsidenten in seinem Haus nicht und weist ihn darauf hin, daß dieser nur Gast bei ihm sei und sich auch so zu benehmen habe: „... Halten zu Gnaden. Euer Exzellenz schalten und walten im Land. Das ist meine Stube. [...], aber den ungehobelten Gast werf ich zur Tür hinaus - Halten zu Gnaden.“ (S. 37, Z. 25 ff). Durch diese Äußerung Millers verliert der Präsident die Fassung. In seinem Wutausbruch, den Frau Miller bereits befürchtete, droht er, Miller den Kerker, Frau und Kind den Pranger an. Diese Wut wird durch viele kurze, negative Ausrufe und teilweise unvollständige Sätze gekennzeichnet, die diesem Zorn des aufgebrachten Präsidenten Nachdruck geben sollen: „Ha, Spitzbube! [...] - Fort! [...] Vater ins Zuchthaus - an den Pranger Mutter und Metze von Tochter! [...] Ha, Verfluchte! ...“ (S. 37, Z. 33 ff). Hier wird wieder die Macht des Präsidenten deutlich, der in dieser Szene die dominierende Gesprächsrolle einnimmt. Aufgrund dessen kommen die Anderen im Raum kaum richtig zu Wort, wenn, dann nur kurz und unterwürfig dem Präsidenten gegenüber. Ferdinand hat nach ihm auch einen gewissen Anteil an der Auseinandersetzung, da er fast zu allem, was sein Vater sagt, etwas hinzu setzt bzw. ihm widerspricht. Außerdem versucht er, Familie Miller zu beruhigen: „O nicht doch! Seid außer Furcht! Ich bin zugegen. Keine Übereilung mein Vater! Wenn Sie sich selbst lieben, keine Gewalttaten - Es gibt eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Vater noch nie gehört worden ist - ...“ (S. 38, Z. 1-6). Das zeigt auch, daß Ferdinand offen und ungezwungen auf seinen Vater einredet, um ihn von seiner geplanten Rache umzustimmen. Er bleibt dabei standhaft und auch gelassen, ebenfalls ohne Furcht vor den Drohungen seines Vaters, gegen den er versucht, sich aufzulehnen. Schiller baute auch rhetorische Fragen ein, die nicht beantwortet werden: „Hölle! was war das?“ (S. 36, Z. 36), „Was? - Was ist das?“ (S. 37, Z. 39). Sie drücken Verwirrung aus.
Der Dialog endet in der VI. Szene damit, daß der Präsident Miller in den Kerker sperren lassen will. Erst in der nächsten Szene kommen Gerichtsdiener, um Frau und Herr Miller zu verhaften. Ein endgültiges Ergebnis ist hier in bezug auf Luise und Ferdinand nicht zu erkennen. Der Präsident unternimmt alles, die beiden auseinanderzubringen, um sein Interesse, Ferdinand mit der Adligen Lady Milford zu verheiraten, durchzusetzen. Als Luises Eltern festgenommen wurden, erscheint Wurm beim Präsidenten, um ihn den Vorschlag für einen Brief an den Hofmarschall zu unterbreiten, den Luise gezwungen wird zu schreiben. Das ist die erste Intrige gegen Ferdinand und Luise.
„Kabale und Liebe“ gehört in die literarische Epoche des Sturm und Drang. Dieses Werk übt eine starke Gesellschaftskritik aus. Schiller beschreibt und kritisiert den Absolutismus der Zeit des 18. Jahrhunderts, die Verschwendungssucht und den Machtmißbrauch des Adels. Er stellt die Konflikte zwischen Bürgertum und Adel an dem Liebesschicksal des adligen Sohnes eines Präsidenten, Ferdinand, sowie der Tochter der bürgerlichen Familie Miller, Luise, dar. Dabei wird vergeblich versucht, die hindernden Standesschranken zu durchbrechen. Es herrschen jedoch auch unterschiedliche Denkweisen der Stände. Am Beispiel Millers durch seine Behauptung vor dem Präsidenten wird deutlich, daß sich das Bürgertum zunehmend versucht, sich vor dem Adel zu behaupten und ihm mit Mut entgegen- bzw. gegenüberzutreten. Miller erreicht damit aber nur das Gegenteil.
Eigenschaften der Personen in diesem Drama sind sehr anschaulich dargestellt und dadurch gut vorstellbar. Ferdinand hatte jedoch leicht naive Vorstellungen von dem Halt der Liebe zu Luise. So einfach, wie er sich das mit dem Durchbrechen der Standesschranken vorgestellt hat, war es bei weitem nicht. Es war schwer für ihn, die Konsequenzen daraus zu tragen, was zum Selbstmord führte. Hätte er verstanden bzw. akzeptiert, daß die Liebe zwischen beiden für längere Zeit unter gegebenen Umständen der Stände nicht halten würde, wäre es nicht zu diesem tragischen Ende gekommen.
Heute ist es in vielen Ländern nicht mehr üblich, daß die Eltern bestimmen, wen ihr Sohn oder ihre Tochter zu heiraten habe. Standesschranken sind nicht mehr vorhanden. Es gibt höchstens ärmere und reichere „sinnbildliche Schichten“, wo es heute normal ist, untereinander zu heiraten. Daß Ämter unrechtmäßig erworben werden, wie hier das Amt des Präsidenten, kommt heute durchaus auch noch vor, wenn auch sehr selten.
„ by Tobias Helm
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