Lessing, G. E. - Emilia Galotti - Prinz. Verführer und Verführter


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

7 Seiten


Leseprobe


Mit seinem Werk „ Emilia Galotti “ greift Gottholm Ephraim Lessing (1729- 1781) das Motiv der Versuchung und Verführbarkeit auf und übt des weiteren Kritik am absolutistischen Herrschaftssystem der damaligen Zeit, im besonderen an der mangelnden Rechenschaftspflicht der Herrschenden gegenüber dem Bürgertum. Sein Trauerspiel basiert auf den sogenannten Virginaüberlieferungen von Titus Livius, in denen ein Vater seine Tochter durch ihre Ermordung vor den Nachstellungen eines mächtigen patrizischen Staatsmannes bewahrt und so ihre Unschuld rettet. Da Lessing die adelige Virginia durch die bürgerliche Emilia Galotti ersetzte und somit den Konflikt zwischen dem herrschenden Adel und dem Bürgertum aufzeigte, war er allerdings gezwungen, die Handlung nach Italien zu verlegen, da im damaligen Deutschland alle Werke genehmigungspflichtig waren. Inwieweit der Prinz als Individuum Schuld am dramatischen Ausgang des Werkes trägt und ob er somit tatsächlich nur als Verführer agiert, ist hingegen eine der am kontroversest diskutierten Fragen unter Literaturwissenschaftlern. Während beispielsweise Paul Rilla 1955 der Meinung war, „ in der Tat handelt es sich beim Prinzen um nichts als das politische Moment des widerwärtigen Machtmissbrauchs despotischer Gewalt “, gibt es immer wieder auch gegensätzliche Aussagen, die den Prinzen von jeder Schuld freisprechen und somit in die Opferrolle des Verführten interpretieren , so dass es nötig ist, „ Emilia Galotti “ genauer zu analisieren, um dieser Thematik gerecht zu werden.

Als der Prinz Hettore Gonzaga seiner Geliebten Orsina überdrüssig wird und sich in Emilia Galotti, eine Bürgerliche, verliebt, kommt es zum Konflikt. Nachdem er von seinem Kammerherrn Marinelli erfährt, dass sie noch am selben Tag verheiratet wird, vertraut er sich seinem Bediensteten an und dieser lässt nach einem missglückten Versuch, die Heirat durch einen Repräsentationsauftrag aufzuschieben, mit unausgesprochener Billigung des Prinzen einen Anschlag auf den Grafen Appiani, dem zukünftigen Bräutigam Emilias, verüben. Hierbei wird der Graf ermordet, während sich Emilia, der der Prinz bereits seine Liebe gestanden hat, mit ihrer Mutter Claudia wie geplant zum Prinzen auf dessen Lustschloss „ flüchten “ kann. Doch die beiden Intriganten sind nicht in der Lage, den Überfall als Tat Wegelagerer hinzustellen, und bald erkennen nicht nur Emilia und ihre Mutter, sondern auch Emilias Vater Odoardo, der von der zufällig auch anwesenden Orsina in Kenntnis gesetzt wird, dass es sich hierbei um eine Intrige handelt, an der der Prinz zumindest beteiligt ist. „ Sehen sie. So ist es doch keine gewaltsame Entführung, sondern bloß ein kleiner- kleiner Meuchelmord. “ (S.63,31ff) Da es dem Prinz mit Hilfe Marinellis unter dem fadenscheinigen Vorwand der kriminalistischen Notwendigkeit gelingt, die Anordnung, Emilia bis zur vollständigen Aufklärung des Überfalls dem Gewahrsam der Kanzlei Grimaldi anzuvertrauen, zu erlassen und sie Odoardo dadurch nicht ins Kloster und somit aus dem Einflussbereich des Prinzen schicken kann, befürchtet Emilia der Verführung des Prinzen doch noch erliegen zu können. Deshalb bittet sie ihren Vater, von dessen übertrieben moralischer Erziehung beeinflusst, ihr den Dolch zu überlassen, um sich durch Suizid vor der Lasterhaftigkeit des Prinzen zu bewahren. „Mir, mein Vater, mir geben Sie den Dolch.“ (S.77,11) Dieser jedoch ersticht Emilia selbst und behütet sie so vor der christlichen Sünde des Selbstmordes.

Zwar ist der Plan des Überfalls auf den Grafen Appiani die Idee Marinellis, dennoch trägt auch der Prinz eine gewisse Teilschuld, da er seinen Kammerdiener durch sein kopfloses und billigendes Verhalten regelrecht zur Missachtung der Gesetze verführt. In einer der Schlüsselszenen fragt Marinelli ihn: „ Wollen sie mir freie Hand lassen, Prinz? Wollen sie mir alles genehmigen, was ich tue?“ (S.16,33f) Daraufhin legalisiert er ihm „(...) alles, Marinelli, alles was(...) “ (S.16,35) die Hochzeit Emilias verhindern kann. Er fordert Marinelli, auf dessen Handlungsfähigkeit er zunehmend vertraut, schließlich sogar dazu auf, ihn erst zu retten und danach erst um die Erlaubnis für seine Aktivitäten zu bitten, wodurch er ihm seine Handlungsmöglichkeiten aufzeigt, sich aber die Option der Unwissenheit offen hält.

Des weiteren versucht der Prinz Emilia Galotti zu einer Liebesbeziehung zu verführen. Hierzu wird er nicht nur indirekt über Marinelli aktiv, sondern ergreift auch selbst die Initiative, wobei er Nutzen aus der fürstlichen Autorität zieht. So hat Emilia nach dem ersten Anblick des Prinzen in der Kirche, wo er ihr seine Liebe gestand, „(...)nicht das Herz, einen zweiten (verachtenden Blick) auf ihn zu richten.“(S.26,36f) und flieht.

Außerdem verfährt der Prinz hier sehr geschickt in der Wahl der Örtlichkeit. Er trifft Emilia in der Andacht, wo eine „Szene“ beinahe unmöglich ist, da hier ein öffentliches Aufsehen entstanden wäre, das sie in den Mittelpunkt übler Nachrede gebracht hätte. Selbst in einer Halle wäre ihr es unangenehm, wenn Passanten auf die Annäherungsversuche des Prinzen aufmerksam werden würden. „Aus Scham musst’ ich ihm standhalten: mich von ihm loszuwinden würde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht haben.“(S.26,40ff) Ebenso hat sie so nicht die Möglichkeit, das Gespräch des Prinzen vorzeitig zu beenden und muss erst das Ende der Messe abwarten. „Endlich ward es Zeit, mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende.“(S.26,6ff)

Auch durch sein Charme versteht er die unerfahrenen Emilia zu verführen. Mit galantem Auftreten beeindruckt er sie, die „die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt“ (S.28,25f) sei. Er verstärkt vor allem nach Meinung Claudias dadurch seine Gefühle, was Emilia nicht richtig einschätzen kann und sich, da sie sich in Gefahr sieht, den Versuchungen des Prinzen zu erliegen, nur mit einer überhasteten Flucht zu helfen weis. (S.26,37ff)

Aber der Prinz ist nicht nur in der Rolle des Verführers, sondern auch als Verführter in Lessings Drama wiederzufinden. Zum einen erliegt er dem schönen und gepflegten Erscheinungsbild Emilias. Als der Maler Conti ihm deren Bild zeigt, ist er so begeistert, dass er ihm als Bezahlung „(...) soviel er will (...)“ (S.11,17) anbietet und die Augen nicht mehr von dem Abbild seiner Verehrten abwenden kann. Somit ist der Prinz ein Opfer der weiblich Reize Emilias und seiner Leidenschaft zu ihr. Des weiteren stellt sich die Frage, ob Emilias schlechtes Gewissen nach dem Liebesgeständnis des Prinzen und das anschließende hektische Gespräch mit ihrer Mutter, in dem sie über eine Informierung des zukünftigen Bräutigams über die Geschehnisse beraten, nicht darauf schließen lassen, dass auch sie sich schuldig für die Nachstellungen fühlt, da sie sich ihm gegenüber nicht abweisend genug verhalten hat oder ihr die Worte des Prinzen sogar gefielen. „Der Graf muss es wissen. Ihm muss ich es sagen.“ (S.27,24f)

Noch eindeutiger wird die Verführung des Prinzen in seinem Verhältnis zu Marinelli. Zwar trägt auch der Prinz durch sein billigendes Verhalten eine Teilschuld am Tod des Grafen und den Intrigen zur Verführung Emilias. Beides geht aber trotzdem mit Fortschreiten der Handlung mehr und mehr auf die Initiative Marinellis zurück. Deutlich wird dies in der Entwicklung der Dialoge der beiden. Nach anfänglicher Distanz, die ein Herr-Diener-Verhältnis, das beinahe schon einem Verhör ähnelt, erkennen lässt, welches am stärksten in der Szene, in welcher Marinelli dem Prinzen die baldige Heirat Emilias mit dem Grafen verkündet(S.14,9ff), festzustellen ist, ändert sich die Gesprächssituation anschließend zu der gleichberechtigter Partner und schließlich zieht Marinelli die Initiative an sich. Die Dialoge werden fliesender, stichomytisch und scheinen sich teilweise von selbst zu entwickeln, was daran liegt, dass Marinelli durch Eloquenz und sprachliche Mittel wie zum Beispiel rethorische Fragen die Dialoge steuert. Schließlich ergreift er, als die Gefahr droht, dass Emilia von ihrem Vater ins Kloster geschickt wird, sogar unaufgefordert das Wort für den Prinzen und es gelingt ihm, sie unter dem Vorwand, man müsse die „(...) schöne Unglückliche (..) (über den Tod des Prinzen) vernehmen“(S.72,32f), sie in der unmittelbaren Nähe und damit ihm Einflussbereich des Prinzen zu halten.

Damit handelt er nicht nur eigenmächtig, hier kann man auch schon erkennen, dass er immer wieder geschickt Tatsachen nicht nur, aber auch gegenüber dem Prinzen verschweigt oder verdreht und so die Situation immer wieder zu seinem Vorteil beeinflusst bzw. dem Prinzen ein zu positives Bild der Zusammenhänge wiedergibt. So verschweigt er beispielsweise den Mordanschlag auf den Grafen lange Zeit bzw. fragt nur indirekt um die Erlaubnis und stellt die Auseinandersetzung mit dem Bräutigam Emilias, als Versuch von sich, sich mit Appiani zu duellieren, dar. Der Graf hätte sich angeblich vor dem Kampf drücken wollen, da er „(...) auf heute doch etwas Wichtigeres zu tun habe, als sich mit ihm den Hals zu brechen.“(S.36,33ff) Damit stellt Marinelli, der das Duell im Bewusstsein des baldigen Überfalls auf den Grafen mit den Worten „Nur Geduld, Graf, nur Geduld!“(S.34,39f) verschiebt, den Sachverhalt verfälscht dar und vollzieht ein weiteres taktisches Manöver, um das Vertrauen des Prinzen zu gewinnen. Der Prinz ist nicht mehr Herr des Geschehens, wird, neben seinem naiven Vertrauen, durch diese Informationsmanipulation abhängig von den Plänen Marinellis, den er mittlerweile schon als Freund sieht, und lässt sich zur Gutheißung von dessen Schandtaten verleiten. „Nur, guter Freund, muss es ein kleines Verbrechen, ein kleines, stilles, heilsames Verbrechen sein.“ (S.51,20f)

Dadurch wird der Prinz in die von Marinelli geplanten Hinterlisten verwickelt und zur Teilnahme und Fortführung der begonnenen Intrigen nicht nur verführt, sondern sogar gezwungen. Ein Auffliegen des Ganzen würde, wie auch später geschehen, den Prinzen in Verdacht bringen und nicht nur seinem Ansehen stark schaden, sondern auch jegliche Chancen auf eine spätere Beziehung zu Emilia verbauen. Um diese Beziehung wirklich auf ewig als ein Ding der Unmöglichkeit zu machen, bittet Emilia am Ende sogar ihren Vater, sich erdolchen zu dürfen, da sie, wie sie sagt, nur „(...) eine Unschuld (habe, die zwar) (...) über alle Gewalt erhaben ist(...) (, aber) nicht über alle Verführung“ (S.77,19ff), was auch ein Anzeichen dafür ist, dass auch sie sich vom Prinzen angezogen füllt, und auch deswegen nicht ihm allein die Rolle des Verführers zugeschrieben werden kann. Außerdem bereut er seine Fehltritte, die er, wie das Liebesgeständnis in der Kirche, meist voreilig vollzog, oft im Nachhinein , und entschuldigt sich sogar bei Emilia dafür, was, nachdem Liebe bekanntlich blind macht, durchaus annehmbar ist. Trotzdem ist das Handeln des Prinzen unverantwortlich. Er ist es nicht gewohnt, etwas Begehrtes nicht zu bekommen, und setzt deshalb seine Macht als Prinz ein, um seinen Willen erfüllt zu sehen, auch wenn andere dabei zu Schaden kommen oder mit seinen Wünschen nicht einverstanden sind. Auch der Wunsch einer Beziehung an sich ist höchst unmoralisch, da auch der Prinz bereits einer anderen versprochen ist und er Emilia wahrscheinlich, wie die bisherigen Frauen in seinem Leben, nur als Geliebte auf Zeit will. Er ist also eher ein gemischter Charakter, sowohl Verführer als auch Verführter, Opfer und Täter zugleich. Die Schuld allein Marinelli zu geben, wie er es am Ende mit den Worten „Nun? Du bedenkst dich? - Elender!“ (S.79,18f) versucht, ist zwar für den Prinzen politisch notwendig, aber kann nicht als objektives Urteil übernommen werden.

Lessings Kritik an absolutistischen Herrschaftsansprüchen ist keineswegs unbegründet. Ein negatives Beispiel finden wir in der Diktatur Hitlers im Dritten Reich. Die Naziherrschaft war insofern ein absolutistisches System, dass auch hier ein Einzelner die gesamte Macht innehatte, der dem Volk gegenüber keine Rechenschaft ablegen musste. Im übrigen fällt auf, dass auch Adolf Hitler ein ähnliches Verhältnis zu Frauen hatte wie der Prinz Hettore Gonzaga. Mehrere Geliebte, eine davon seine Nichte, und eine betrogene und lange Zeit wegen ihrem Willen nach Heirat und öffentlicher Bekanntmachung ihrer Beziehung vertröstete Ehefrau lassen die Frage aufkommen, ob es sich beim Prinzen wirklich um einen teilweise charakterlich schwachen Menschen handelt, oder ob seine Verfehlungen eventuell auf seine übermäßige Herrschaftsgewalt zurückzuführen sind. Verführt nicht etwa Macht dazu, Macht zu nutzen und ein Mangel an Einschränkungen dazu, (moralische) Einschränkungen zu missachten?

Verwendete Literatur:

- G. E. Lessing, Emilia Galotti, ( Stuttgart, 1994)
- Jan-Dirk Müller, Erläuterungen und Dokumente- G. E. Lessing ,Emilia Galotti, Philipp Reclam jun., ( Stuttgart 1993)
- http://www.hausarbeiten.de
- http://www.studentshelp.de

Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Lessing, G. E. - Emilia Galotti - Prinz. Verführer und Verführter
Autor
Jahr
2001
Seiten
7
Katalognummer
V102100
ISBN (eBook)
9783640004898
Dateigröße
337 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lessing, Emilia, Galotti, Prinz, Verführer, Verführter
Arbeit zitieren
Benjamin Söll (Autor:in), 2001, Lessing, G. E. - Emilia Galotti - Prinz. Verführer und Verführter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102100

Kommentare

  • Gast am 18.12.2002

    Emilia als verführerin?.

    hey benjamin,
    pass mal auf, ich finde deine arbeit nicht schlecht, relativ gut strukturiert und fundiert, einiges hätte knapper formuliert sein können.

    Aber was mich wirklich geärgert hat ( und Du kannst froh sein, dass ich kein mädchen oder womöglich noch feministin bin) ist, dass du versuchst dar zu stellen, Emilia würde in gewisserweise den prinzen mit ihren reizen zum opfer machen ( bzw. selbst zur täterin werden).
    die argumentation die dieser behauptung zu grunde liegt entspricht dem immer noch gängigen schema, mit welchem übergriffe auf frauen gerechtfertigt werden.
    Du deutest an, dass Emilias schlechtes gewissen nach dem übergriff des prinzen( verbale belästigung, und das in der kirche- sie ist ein zutiefst religiöser mensch)ein hinweis darauf sei, dass er opfer ihrer reize, bzw. sie täterin sei.
    - vergewaltigte frauen haben in den meisten fällen ein furchtbar schlechtes gewissen und ein tiefes gefühl der scham. sind sie deshalb schuldig? oder ist deshalb in jenem fall der mann das opfer?
    -nein. ich gehe davon aus, dass du mir da zustimmst, oder?
    du zeigst nämlich nebenbei auch noch einen anderen gedanken auf, dem ich schon eher zustimmen könnte:
    der prinz wird opfer seiner selbst, indem er der leidenschaft, die er für emilia empfindet zum opfer fällt.

    so viel dazu. vielleicht solltest du dir überlegen, den genannten kritikpunkt noch einmal zu überarbeiten,
    denn dieser kleine makel beschreibt doch leider immernoch einen grossen in unserer gesellschaft.

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Titel: Lessing, G. E. - Emilia Galotti - Prinz. Verführer und Verführter



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