Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Depression und Versorgungslücke
2. Online-Interventionen am Beispiel von deprexis®24
2.1. Einsatzbereiche
2.2. Indikation und Kontraindikation
2.3. Vorgehen
3. Studie zu deprexis®24
3.1. Methode
3.2. Ergebnisse
3.3. Diskussion
4. Resümee
5. Literaturverzeichnis
1. Depression und Versorgungslücke
Depression ist mit einer 12-Monatsprävalenz von 6-8% eine der häufigsten psychischen Störungen, unter denen Menschen in Deutschland leiden (vgl. Ezernieks und Kühne 2018, S. 308). Daraus folgt ein hoher Bedarf an Therapie- und Unterstützungsangeboten. Jedoch steht diesem Bedarf die aktuelle Versorgungslage in Deutschland entgegen. Auf einen Sprechstundentermin warten Menschen in Deutschland im Durchschnitt 5,7 Wochen, auf den Beginn einer Psychotherapie knapp fünf Monate (vgl. BPtK 2018, S. 3). Diese Wartezeit, in der die Depression unbehandelt bleibt, beeinflusst den Krankheitsverlauf negativ, das Risiko für eine Verschlechterung oder einen rezidivierenden Verlauf steigt (ebd. S.14). Parallel zu dieser Versorgungslücke findet eine weitere Entwicklung statt, denn seit fast 20 Jahren hält die Online-Beratung Einzug in den psychosozialen Bereich (vgl. Justen-Horsten und Paschen 2016, S.9). Das Internet bietet in diesem Zusammenhang die Chance für Betroffene einen schnellen und direkten Zugang zu Informationen zu erhalten (ebd. S. 10). Beraterische und therapeutische Online-Angebote könnten die Versorgungslücke schmälern. So gewinnt Digital Health eine immer größere Bedeutung in der Versorgungslandschaft in Deutschland (vgl. Ezernieks und Kühn 2018, S. 307). Dieser Entwicklung passt sich das deutsche Gesundheitssystem nur langsam an, wodurch das immer größer werdende Online Angebot schwer zu überblicken ist (ebd.). In dieser Arbeit soll das Online-Therapieprogramm und CE-gekennzeichnet Medizinprogramm deprexis®24 vorgestellt werden. Dieses basiert auf Grundlagen der kognitiven Verhaltenstherapie und zeichnet sich dadurch aus, dass es durch einen simulierten Dialog mit den Nutzern eine Therapiesituation wie in einer Psychotherapie zu erzeugen anstrebt (ebd. S. 315).
Seit März 2020 sorgt die Corona-Pandemie für eine weltweite Ausnahmesituation und bedeutet für jeden einzelnen Menschen unterschiedliche Herausforderungen und gegebenenfalls auch Überforderungen. Während dieses kritischen Lebensereignisses brechen für Menschen, die auch zuvor schon einen Unterstützungsbedarf hatten, gewohnte Hilfen weg, da soziale Einrichtungen und therapeutische Angebote nicht oder nicht in der gewohnten Form verfügbar sind. Online-Angebote können hier besonders wichtig werden. Auch deprexis®24 verspricht in dieser Situation Unterstützung:
„Ausgangsbeschränkungen, Einsamkeit, Angst vor der Zukunft und eventuell eingeschränkter Kontakt zu Ärzten und Therapeuten – in der derzeitigen Corona-Krise können sich Depressionen noch verstärken. Umso wichtiger ist es jetzt, sich Hilfe zu holen. Werden Sie aktiv und fragen Sie Ihren Arzt nach deprexis®.“ (Deprexis 2020).
In bislang acht randomisierten Studien wurde die Wirksamkeit des Programms festgestellt. In dieser Arbeit wird die Studie von Gräfe et al. aus dem Jahr 2020 hinzugezogen. Diese Studie befasst sich mit der Wirksamkeit des Programms und den damit verbundenen finanziellen Einsparungen für das Gesundheitssystem. Zunächst soll deprexis®24 näher vorgestellt werden. Seine Einsatzbereiche, die Indikation und Kontraindikation einer derartigen Intervention und der Ablauf des Programms werden beschrieben. Daraufhin wird die Studie von Gräfe et al. dargestellt. Die Fragestellung, das methodische Vorgehen und die Ergebnisse der Studie werden beschrieben und diskutiert. Abschließend erfolgt ein Resümee über deprexis®24 und den Chancen von Online-Interventionen im psychosozialen und therapeutischen Feld.
2. Online-Interventionen am Beispiel von deprexis®24
Deprexis®24 ist ein dreimonatiges onlinebasiertes Programm, das allein oder als Ergänzung zu einer therapeutischen Behandlung genutzt werden kann (vgl. Ezernieks und Kühn 2018, S. 317). Das Programm kann auf eigene Initiative hin verwendet werden, es ersetzt jedoch keine psychotherapeutische Behandlung (ebd.). In therapeutisch begleiteter Verwendung können sich in einem virtuellen Raum, dem so genannten Cockpit, TherapeutIn und PatientIn austauschen und die Entwicklung durch ein Stimmungstagebuch und den PHQ-9-Fragebogen beobachten (ebd.). Es kann also sowohl auf eigene Initiative hin genutzt werden als auch auf Empfehlung einer pädagogischen Fachkraft oder durch Verschreibung im Rahmen einer Therapie. Im Folgenden wird näher auf die möglichen Einsatzbereiche eingegangen sowie darauf, wann eine derartige Intervention indiziert, beziehungsweise kontraindiziert sein kann. Anschließend wird näher beschrieben, wie das Programm funktioniert.
2.1. Einsatzbereiche
Das Programm kann auf vielfältige Weise in psychosozialen und therapeutischen Kontext eingebaut werden, jedoch auch auf eigene Initiative hin von Menschen mit unipolarer Depression oder depressiver Verstimmung genutzt werden. Bei der Nutzung ohne therapeutische Begleitung ist wichtig zu sagen, dass das Programm keine Psychotherapie ersetzt. Es ist also sinnvoll, zunächst mit dem Hausarzt über die psychische Verfassung zu sprechen, um abklären zu lassen, ob zusätzlich eine therapeutische Unterstützung notwendig ist oder das Programm zunächst ausreichen kann, um eine Verbesserung herbeizuführen. Ganz deutlich betonen die Entwickler des Programms auf ihrer Internetseite, dass dieses auf die therapeutische Versorgungslücke in Deutschland reagieren soll,
„so kann das Programm zur Überbrückung von Wartezeiten, zur Vorbereitung auf einen Psychotherapieplatz oder zur Ergänzung einer Psychotherapie genutzt werden. In unterversorgten oder ländlichen Gebieten kann deprexis®24 den grundsätzlichen Zugang zu einer Therapie ermöglichen.“ (deprexis 2020).
Zudem bietet es den Vorteil, dass die Anonymität der Nutzer gewahrt ist und es somit niederschwelliger und leicht zugänglich ist für Menschen, denen eine persönliche Kontaktaufnahme und Gespräche eher schwerfallen. (vgl. deprexis 2020). Auch Menschen, die zeitlich durch ihren Beruf wenig flexibel sind, könnten von diesem Online-Angebot profitieren, da die Zeiten, wann das Programm genutzt wird, frei gestaltbar sind und es damit eine „auf ihre Lebenssituation adaptierte Therapieoption“ (deprexis 2020) darstellen kann. Damit sollen „der Erhalt der Arbeitsfähigkeit und die Verringerung des Fortschreitens der Depression während einer Wartezeit“ (ebd.) erreicht werden. Das Programm kann also bei leichterer Symptomatik präventiv genutzt werden, sodass eine therapeutische Unterstützung nicht notwendig wird. Es kann außerdem eine psychotherapeutische Behandlung begleiten oder die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrückbar machen. Auch im Feld der psychosozialen Beratung ist es hilfreich, wenn Fachkräfte über solche Möglichkeiten Bescheid wissen, sodass sie nach ärztlicher Abklärung ihren Klienten und Klientinnen auch derartige Optionen aufzeigen können.
2.2. Indikation und Kontraindikation
Das Programm ist für Patienten mit unipolarer Depression oder depressiver Verstimmung gedacht (vgl. deprexis 2020). Eine Diagnose muss jedoch nicht angegeben werden, deprexis®24 ist nutzbar für jeden, der die Zugangskosten bezahlt beziehungsweise, dessen Krankenkasse die Kosten übernimmt. So kann es sinnvoll sein, bei einer leichteren depressiven Symptomatik, bei der nach ärztlicher Absprache zunächst keine therapeutische Unterstützung induziert ist, das Programm zu nutzen, um Techniken zu erlernen, wie besser mit Stress umgegangen werden kann, wie die Gedanken positiv umstrukturiert werden können und wie aktiv Entspannung herbeigeführt werden kann. Gerade in der Corona-Situation, in der viele Menschen unter Einsamkeit leiden oder durch Sorgen betrübt sind, kann ein derartiges Programm etwas Struktur geben, das Gefühl von positiven Rückmeldungen durch den dialogischen Aufbau und bei der Bewältigung dieser Zeit unterstützen. Auf der Internetseite von deprexis®24 wird immer wieder betont, dass das Programm keine Psychotherapie ersetzt. Grundsätzlich ist eine ärztliche Absprache also unverzichtbar. Bei schwerer Symptomatik oder gar Suizidgedanken kann ein derartiges Programm nicht die notwendige Unterstützung bieten. Auch bei Konzentrationsschwierigkeiten ist der persönliche Kontakt möglicherweise wertvoller als ein Online-Programm, bei dem simulierte Antworten gelesen werden müssen. Der Antriebsminderung, die mit einer Depression einhergeht, möchte das Programm entgegenwirken, indem es Kontakt zu den Nutzern durch E-Mail oder SMS hält, die an die Teilnahme erinnern und Tipps zur Alltagserleichterung bieten (ebd.). Dennoch ist gut vorstellbar, dass bei unterbegleiteter Nutzung gerade Menschen mit depressiver Symptomatik die konsequente Teilnahme schwerfallen mag. Insgesamt hat das Programm keine bekannten Nebenwirkungen. Es wird darauf hingewiesen, dass es möglicherweise nicht für jeden passend sein könnte, was zu Enttäuschung führen könne. Sollten belastende Themen aufkommen, sollte das Programm pausiert werden und ärztliche/psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden (ebd.). Grundsätzlich ist es also wichtig, die Symptomatik ärztlich abklären zu lassen, um dann entscheiden zu können, ob das Programm allein ausreichen kann oder zusätzlich eine Psychotherapie angestrebt werden sollte.
2.3. Vorgehen
Das Programm ist für Patienten mit unipolarer Depression oder depressiver Verstimmung gedacht (deprexis 2020). Es basiert auf den Grundlagen der kognitiven Verhaltenstherapie und behandelt zehn Themenbereiche, wie beispielsweise Verhaltensaktivierung, soziale Kompetenz oder Problemlösung. Es bildet einen dynamischen, individuellen Dialog zwischen Patienten und virtuellem Behandelndem ab. Auf der Internetseite von deprexis®24 besteht die Möglichkeit durch einen kostenlosen Testzugang einen Eindruck von der Gestaltung des Programms zu erhalten:
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Abb: Screenshot von Deprexis-Go.
Über einen Zeitraum von drei Monaten sollte es ein- bis zweimal in der Woche für mindestens 30 Minuten bearbeitet werden und kann auf allen mobilen Endgeräten genutzt werden (vgl. deprexis 2020). Im Rahmen des Programms werden Übungen und Techniken vermittelt, die die Nutzer dazu befähigen sollen, selbst eine Verbesserung herbeizuführen.
Einen Vorteil bietet also der schnelle Zugriff auf die Unterstützungsmöglichkeit. Ohne eine Wartezeit kann das Programm jederzeit begonnen werden. Jedoch handelt es sich um eine Selbstzahlerleistung, die mit 290 Euro nicht für jeden bezahlbar ist. Einige Krankenkassen, die auf der Internetseite aufgeführt sind, übernehmen die Kosten, bei anderen Krankenkassen kann versucht werden, die Kosten erstattet zu bekommen, hierfür gibt es auf der Internetseite in Antragformular. Direkt nach der Bezahlung erhalten die Nutzer einen Zugangscode per E-Mail und können das Programm starten.
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