Wie konnte es geschehen, dass zwei so unterschiedliche Geister wie der romantische Dichter Joseph von Eichendorff und der revolutionäre Philosoph Friedrich Nietzsche im ideologischen Sumpf des Nationalsozialismus instrumentalisiert wurden? Diese brisante Frage steht im Zentrum dieser Untersuchung, die aufzeigt, wie Eichendorffs vermeintliche „deutsche Welt“ und Nietzsches radikale Umwertung der Werte für die Zwecke der NS-Propaganda missbraucht wurden. Entgegen der landläufigen Meinung, Nietzsche sei ein Vordenker des Nationalsozialismus gewesen, enthüllt diese Analyse die perfiden Mechanismen der Vereinnahmung, insbesondere die Rolle von Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, die durch Fälschungen und Manipulationen des Nachlasses das Bild des Philosophen verzerrte. Der Leser erfährt, wie Schlüsselbegriffe wie der „Übermensch“ eine fatale Umdeutung erfuhren und zur Legitimierung der NS-Ideologie herangezogen wurden. Dabei wird auch Hitlers ambivalente Beziehung zu Nietzsche beleuchtet, der dessen Werk kaum kannte, aber dessen Schlagworte für seine Zwecke instrumentalisierte. Das Buch analysiert fundiert die Rezeption Eichendorffs und Nietzsches im Dritten Reich, von Rainer Schlössers pathetischer Vereinnahmung Eichendorffs bis hin zu Alfred Rosenbergs Erklärung Nietzsches zum „Ahnherrn des Nationalsozialismus“. Es zeigt, wie sich selbst nach dem Krieg hartnäckige Vorurteile gegenüber Nietzsche hielten und er fälschlicherweise als Wegbereiter des autoritären Staates gebrandmarkt wurde. Diese tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Rezeptionsgeschichte zweier bedeutender Denker wirft ein beklemmendes Licht auf die ideologischen Verirrungen einer Epoche und mahnt zur kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, um ähnliche Fehlentwicklungen in der Zukunft zu verhindern. Eine unerlässliche Lektüre für alle, die sich für deutsche Literaturgeschichte, Philosophiegeschichte und die Mechanismen politischer Propaganda interessieren. Die Analyse der Vereinnahmung von Eichendorff und Nietzsche im Nationalsozialismus bietet neue Perspektiven auf die Wechselwirkung zwischen Kunst, Philosophie und politischer Ideologie.
Eichendorff und Nietzsche im Nationalsozialism us
Joseph von Eichendorff (1788-1857) Leben:
- Sohn eines preußischen Adeligen
- Jurastudium in Halle und Heidelberg, dann Studienabbruch
- Reisen (Erfahrungen, die er in seinen Werken verarbeitete)
- Vollendung seines Studiums in Wien
- Nach den Befreiungskriegen: Eintritt in den preußischen Staatsdienst
Werk: (Wanderlieder, Aus dem Leben eines Taugenichts)
- Orientierung am Volkslied
- Hauptmotive: die Reise, der geheimnisvolle Wald, die Sehnsucht nach dem Verlorenen
Die Romantik (1800-1830)
- Schlagworte: Irrationalität, Phantasie, Gefühl, Gläubigkeit, Innerlichkeit
- Gegensatz zur Aufklärung
- Im 19. Jahrhundert Wiederentdeckung
- Im Nationalsozialismus:
- Romantische Schlagworte als Beschreibung Deutschlands/ der Deutschen
- Die Romantik wird gegen die französische Vernunftkultur ausgespielt
Text von Rainer Schlösser (Aurora 1935):
- Eichendorff symbolisiert die deutsche Welt, die bewahrt werden muss
- Eichendorff bedeutet Heimat für deutsche Soldaten
- Eichendorff glaubt an den ehrlichen Kampf (=Legitimation zum Krieg)
- Eichendorff kann nur von Deutschen verstanden werden
- Die Nationalsozialisten haben Eichendorff vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt
- Die selben Argumente können auch auf viele andere Dichter/ Schriftsteller angewendet werden
Friedrich Nietzsche (1844-1900): Leben:
- Pastorensohn – früher Tod des Vaters
- Besuch Schulpfortas, dann Studium der Theologie und der klassischen Philologie in Bonn
- Professur in Basel, immer wieder unterbrochen durch:
- Gesundheitlichen Problemen
- Teilnahme am Deutsch- Französischen Krieg
- Aufgabe des Lehramts
- Geistiger Dämmerzustand – Pflegefall bis zum Tod
Anfängliche Interpretation seines Werks:
- Beginnender Ruhm in den letzten Jahren seines Lebens
- Mehrere Interpretationen seiner Philosophie von allen politischen Richtungen
- Hauptthesen: Umwertung der Werte, Kritik an/am: System, Moralvorstellungen, Religiosität, abendländischer Kultur
- Argumente für Nietzsche als „linken“ Philosophen:
- Nietzsche war kein Antisemit
- Nietzsche empfand sich nicht als Deutscher sondern als Europäer/ Weltbürger
Gründe für den Weg in den Nationalsozialismus:
- Freundschaft zum antisemitischen Komponisten Richard Wagner
- Nietzsche kam trotz Zerbrechen der Freundschaft in Verruf
- Elisabeth Förster- Nietzsche:
- Bekennende Antisemitin, die mit führenden Parteigrößen verkehrte
- Verwalterin des Nietzsche Archivs:
Fälschung, Ergänzung und Kürzung von Nietzsches Nachlass, um ihn der NS_ Ideologie anzupassen
„Der Wille zur Macht“: angeblich ein posthum veröffentlichtes Werk Nietzsches, tatsächlich: von seiner Schwester aus Randbemerkungen, Notizen und Briefen zusammengebastelt und ergänzt
- Nietzsches wichtigstes Werk für die Nationalsozialisten war eine Fälschung
- Der Begriff Übermensch: neuer Menschentypus, der sich von alten Werten abwendet und neue Ideen vertritt
- Für die Nationalsozialisten war Hitler der perfekte Übermensch
Hitler und Nietzsche:
- Narzissmus (psych. Erkrankung): Merkmale: Größenwahn Allmachtsphantasien
- Hitler hat Nietzsche nie oder nur wenig gelesen
- Nietzsche nahm keinerlei Einfluss auf Hitler, Hitler verwendete nur einige Schlagworte
Nietzsche und andere Nationalsozialisten:
- Alfred Rosenberg (Mythus des 20. Jahrhunderts): Nietzsche als „Ahnherr des Nationalsozialismus“
- Carl Schmitt: Vorbild Nietzsche im Bezug auf die Verstaatlichung des Privatlebens
- Goebbels, Göring und Himmler verwenden oft seinen Namen, ohne auf seine Philosophie einzugehen
- Positive Einstellung Nietzsches gegenüber dem Darwinismus:
- Begeisterung der (besonders der für Rassenhygiene zuständigen) Nationalsozialisten
Nietzsche nach dem Krieg:
- Francois Menthon: Nietzsche als „Ahnherr des Nationalsozialismus“ (s. Rosenberg)
Häufig gestellte Fragen zu Eichendorff und Nietzsche im Nationalsozialismus
Wer war Joseph von Eichendorff?
Joseph von Eichendorff (1788-1857) war ein deutscher Dichter der Romantik. Er war der Sohn eines preußischen Adeligen, studierte Jura, brach das Studium ab, reiste viel und trat nach den Befreiungskriegen in den preußischen Staatsdienst ein. Seine Werke orientierten sich am Volkslied und behandelten Motive wie Reisen, geheimnisvolle Wälder und die Sehnsucht nach dem Verlorenen.
Wie wurde Eichendorff im Nationalsozialismus instrumentalisiert?
Die Nationalsozialisten sahen in Eichendorff ein Symbol für die deutsche Welt, die es zu bewahren galt. Sie interpretierten seine Werke als Heimat für deutsche Soldaten und legitimierten damit den Krieg. Sie behaupteten, dass Eichendorff nur von Deutschen verstanden werden könne und dass sie ihn vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt hätten.
Wer war Friedrich Nietzsche?
Friedrich Nietzsche (1844-1900) war ein deutscher Philosoph, der für seine Kritik an traditionellen Werten, Moralvorstellungen, Religiosität und abendländischer Kultur bekannt ist. Er lehrte in Basel, litt unter gesundheitlichen Problemen und verbrachte seine letzten Lebensjahre in geistigem Dämmerzustand.
Wie wurde Nietzsches Werk anfangs interpretiert?
Nietzsches Philosophie wurde von verschiedenen politischen Richtungen interpretiert. Seine Hauptthesen umfassten die Umwertung der Werte und die Kritik an bestehenden Systemen. Es gab Argumente dafür, ihn als "linken" Philosophen zu betrachten, da er kein Antisemit war und sich als Europäer/Weltbürger sah.
Warum wurde Nietzsche mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht?
Trotz seiner ursprünglichen Ablehnung von Antisemitismus und Nationalismus wurde Nietzsche aufgrund seiner Freundschaft mit Richard Wagner und insbesondere durch die Aktivitäten seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Sie war eine bekennende Antisemitin und verfälschte Nietzsches Nachlass, um ihn der NS-Ideologie anzupassen, insbesondere durch die Zusammenstellung und Ergänzung des Werkes "Der Wille zur Macht".
Welche Rolle spielte der Begriff "Übermensch" in der nationalsozialistischen Ideologie?
Die Nationalsozialisten interpretierten Nietzsches Begriff des "Übermenschen" als einen neuen Menschentypus, der sich von alten Werten abwendet und neue Ideen vertritt. Sie sahen in Hitler den perfekten Übermenschen.
Inwieweit hatte Nietzsche Einfluss auf Hitler?
Es gibt wenig Beweise dafür, dass Hitler Nietzsches Werk umfassend gelesen oder verstanden hat. Hitler verwendete jedoch einige Schlagworte aus Nietzsches Philosophie, um seine eigenen Ideen zu untermauern.
Wie wurde Nietzsche von anderen Nationalsozialisten rezipiert?
Alfred Rosenberg sah in Nietzsche einen "Ahnherrn des Nationalsozialismus". Andere Nationalsozialisten wie Carl Schmitt, Goebbels, Göring und Himmler verwendeten seinen Namen oft, ohne jedoch seine Philosophie eingehend zu behandeln. Nietzsches positive Einstellung zum Darwinismus wurde von den Nationalsozialisten, insbesondere den für Rassenhygiene zuständigen, begeistert aufgenommen.
Wie wurde Nietzsche nach dem Krieg betrachtet?
Nach dem Krieg wurde Nietzsche weiterhin als "Ahnherr des Nationalsozialismus" kritisiert und als Prophet des autoritären Staates angesehen.
- Citar trabajo
- Katrin Reil (Autor), 2000, Nietzsche und Eichendorff im Nationalsozialismus, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102194