Krautrock. Entwicklung einer eigenen Rockszene in der BRD

Vergleich zur angloamerikanischen Rockszene


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

45 Seiten


Leseprobe


INHALT

VORWORT

1.Vorgeschichte der angloamerikanischen Popmusik bis 1969
1.1. Rock'n Roll - Was geschah zunächst in England und den USA (und warum es so nicht in der Bundesrepublik geschehen konnte)
1.2. Die amerikanische Kulturform auf ihrem Weg zum alten Europa
1.3. Die Experimente der Beatles
1.4. Was kam nach der Beat-Ära? Ein kleiner Streifzug durch die sogenannte ProgressiveRockmusik
1.4.1. Harmonische und melodische Auffälligkeiten im Progressive Rock
1.4.2. Popmusik und Elektronik

2. Elektronische Musik - Neue Musik - und der Quantensprung der Elektronik in der Musik
2.1.Neue Musik und musique concrete - Europa in den Fünfziger und Sechziger Jahren
2.2. Der Synthesizer
2.3. Der Synthesizer in englischen Rockbands

3. Die deutschen Krautrockbands Ende der Sechziger Jahre
3.1. The Can
3.1.1. Geschichte
3.1.2. Die Songs
3.1.3. Auffälligkeiten in Arrangements und Instrumentierung bei Can
3.1.4. Im Spiegel der Kritik
3.2.Kraftwerk
3.2.1. Geschichte
3.2.2. Die Songs
3.2.3. Im Spiegel der Kritik
3.3. Tangerine Dream
3.3.1. Geschichte
3.1.2. Tangerine Dream - Soundvorstellungen, Kompositorisches, Arrangements und Equipment
3.1.2.1. Die Depersonalisierung des Instrumentalklangs: Der Weg weg vom Rock'n Roll hin zur zeitgenössischen Musik
3.3.2.2. Umgang mit der neuen Synthesizer- Elektronik
3.3.3. Tangerine Dream verglichen mit angloamerikanischen Bands
3.3.4. Tangerine Dream, Pink Floyd, Jimi Hendrix - Was heißt hier Elektronik?
3.3.5. Im Spiegel der Kritik

4. Zusammenfassung

Quellen

Schaubild

VORWORT

Mit "Krautrock" wird scherzhaft die Musikszene bezeichnet, die sich an der Wende zu den Siebziger Jahren im deutschen Sprachraum entwickelte.

Die Übernahme angloamerikanischer Popkultur in Deutschland war im Prinzip nichts Neues: Schon Peter Kraus hatte in den Fünfziger Jahren Rock' n Roll- Klänge in das Wirtschaftswunder- Deutschland eingeführt.

Allerdings war all diesen Versuchen, das englischsprachige Monopol zu brechen gemeinsam, daß sie allesamt lediglich passable Imitate bereits vorhandener Importe aus dem Mutterland des Rock' n Rolls liefern konnten.

Den sogenannten "progressiven" Bands der Endsechziger und Anfangssiebziger Jahre in der Bundesrepublik wurde jedoch zum ersten Mal internationale Anerkennung zuteil in dem Sinne, als daß diese Bands sich eigenständig entwickelten.

Ich werde mich dem eigentlichen Thema von außen nähern und zunächst die angloamerikanische Popmusik bis 1970 skizzieren.

Daran schließt sich ein kurzer Abriß über die Entwicklung der heutigen Konzertmusik, der Kunstmusik, der E-Musik an und versucht Parallelen zur Popmusik zu ziehen.

Da in der Popmusik die Elektronik sowohl beim Spielen, beim Aufnahmeverfahren als auch direkt bei der Klangerzeugung eine große Rolle spielt, wird auch hierüber ein Kapitel zu diesem Thema seinen Platz finden. Wichtige Entwicklungen Schließlich folgt eine Analyse einiger Krautrockstücke.

Im Mittelpunkt steht die Frage: Hat der Krautrock ein eigenes Profil, und wenn ja, worin liegt seine Besonderheit?

Diese Analyse soll in erster Linie eine Analyse der musikalischen Parameter sein, also fragen: Wie ist die Rhythmik des Stücks? Was fällt an der Melodik und Harmonik auf? Wie sind Formteile und Arrangement eines Songs aufgebaut?

Natürlich reicht das nicht aus, um die Bedeutung von Popmusik zu entschlüsseln.

Die Zeichensprache in der Popmusik ist etwas, was ein Musikwissentschaftler allein nicht lückenlos klären kann.

Es war die Soziologie, die zunächst die Popmusik aufgriff. Popmusik besteht aus vielen Dingen die außermusikalischer Natur sind:

Zum Einen sind es die Songtexte, zum Anderen Bereiche, die eng mit der Popkultur Zusammenhängen: Kleidung, Autos und weitere Konsumartikel, Einstellungen zu Sexualität, Politik und Religion und dergleichen.

Popmusik rein musikalisch zu analysieren ist insofern auch problematisch, da sie von Musikern gemacht wird, die selten klassisch geschult sind, kaum Notenkenntnisse haben und für ihre Musik keine akademischen Theorien benötigen.

Warum sie also an solchen Maßstäben messen? Ich will es trotzdem versuchen.

Dabei habe ich mich im Wesentlichen auf drei Gruppen beschränkt: Can, Tangerine Dream und Kraftwerk.

Ich halte alle drei Bands für gute Beispiele eigenständiger mitteleuropäischer Popmusik.

Anmerkung: Sich durch Literatur zu einer Hausaugabeüber Popmusik zu wühlen ist in belletristischer Hinsicht höchst amüsant (besonders unter Hinzunahme einer Flasche Rotwein, einem kleinen Snack und dem gleichzeitigen Hören eben solcher Musik). In wissenschaftlicher Hinsicht ist es oftmalsärgerlich: Selbst bei Literaturüber "Underground" - Formationen dominiert die Werbebroschüren - Funktion ("Diese Band ist geiiiiil"! selten die nötige kritische Distanz (mit Charles Shaar Murrays Hendrix - Biographie und Nicholas Schaffners "A Saucerful Of Secrets"über Pink Floyd seien lobenswerte Ausnahmen genannt)

1. Vorgeschichte der angloamerikanischen Popmusik bis 1969

1.1. Rock'n Roll - Was geschah zunächst in England und den USA (und warum es so nicht in der Bundesrepublik geschehen konnte)

Schon rein geographisch betrachtet ist Mitteleuropa abgetrennt von den angloamerikanischen Rock-Nationen England und USA - ersteres durch britische "splendid isolation" in Form von Insellage und zweites durch die Entfernung von 7000 km der Ostküste jener neuen Welt.

Selbst das beflügelte Wort vom "global village", das moderne Kommunikationstechniken und Verkehrsmittel angeblich ermöglichen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß soziale Kontakte, die zum Musik machen nun mal unerläßlich sind und die den Einzelnen nun mal in ein kulturelles Kontinuum einordnen (wie das einer Rockszene einer Nation), eben eher in der unmittelbaren räumlichen Umgebung entstehen als in der Entfernung.

Das war Ende der Fünfziger Jahre noch weniger selbstverständlich als heute. Denn die

amerikanische Popmusik war für Jugendliche damals kaum verfügbar. Allenfalls im Radio konnte man Rock'n Roll hören, Schallplatten von amerikanischen Interpreten waren damals schwer erhältlich oder eben für Jugendliche kaum erschwinglich.

Der kulturelle Austausch mit der Ausdrucksform Rock'n Roll war in also in England wenig möglich, in der Bundesrepublik Deutschland noch weniger.

1.2. Die amerikanische Kulturform auf ihrem Weg zum alten Europa

In den USA entstand der Rock'n Roll in den Fünfziger Jahren als weiße Antwort auf den Rhythm'n Blues der Schwarzen.

Letztere fanden ihre wahre Anerkennung erst, als sie über den Atlantik hin zu den englischen Musikclubs zogen.

Vaterfigur Muddy Waters mußte irritiert Anfang der Sechziger Jahre feststellen, daß ein weißes europäisches Publikum bestehend aus intellektuellen Mittelschichtkindern - was ihm als schwarzes Kind ohne höhere Schulbildung aus der Unterschicht nur so fremd sein mußte wie irgendetwas - sich mit Begeisterung seiner Musik zuwand.

Die muttersprachliche Barriere mag ein zweiter Grund gewesen sein, weshalb das europäische Festland - und Mitteleuropa damit eingeschlossen - bei diesem kulturellen Austausch ausgeschlossen blieb, während Englands berühmteste Imitatoren amerikanischen Rhythm'n Blues-Feelings sich nach einem Song ihres Idols Muddy Waters benannten: The Rolling Stones.

Die Welt des Rhythm'n Blues ist die Welt der Außenseiter, der Unterpriviligierten, der Abenteurer. Der Rhythm'n Blues erzählt vom Sex, von Geld, von dem Rassenhaß und von den kurzlebigen Sinnenfreuden, die die schwarze Bevölkerung in den urbanen Zentren der modernen Welt erlebt.

Während der Rhythm'n Blues die eine Tradition ist, auf die die Popmusik der Sechziger Jahre international baut, gab es in den USA noch die bravere Sparte der Schlage rmusik, der romantische Soul der Mädchengruppen und die Tradition der Tin Pan Alley.

Grob gesagt hat man mit dieser einen Tradition der "weichen" Schlagermusik auf der einen und mit dem Rhythm'n Blues auf der anderen Seite schon die Bestandteile der englischen wie amerikanischen Popmusik bis etwa 1966.

In England gab es die Abenteurer der Rhythm'n Blues-Welt, die "harten" Rolling Stones und als Gegenpart die "weichen" Beatles.

1.3. Die Experimente der Beatles

So weit - so gut, England kultivierte in den Sechziger Jahren ein Rhythm'n Blues-Boom, der jedoch anders als sein schwarzes amerikanisches Pendant zu nicht geringen Anteilen von gebildeten Mittelschichtkindern getragen wurde.

Ein wichtiger Bestandteil ihrer Sozialisation waren die Kunsthochschulen, in denen etliche englische Popbands zusammenfanden: The Beatles, The Rolling Stones, The Animals und The Kinks.

Der Einfluß halluzinogener Drogen wie Marihuana und besonders LSD beeinflußte den psychedelischen Rock der Beatles-LP "Revolver" im Sommer 1966.1 Die LP "Revolver" enthielt mit "Tomorrow Never Knows" einen psychedelischen Titel, der mit Bandschleifen, rückwärts abgespielten Instrumentalspuren, elektronisch verfremdeten Gesangsstimmen und Geräuschfragmenten in die Popmusik ähnliche Gestaltungsmöglichkeiten einführte, wie dies ein anderthalb Jahrzehnt davor in der Musique Concrete in der E-Musik vollzogen wurde.2 Eine weitere Band baute auf den Beatles-Experimenten auf und schuf damit ihren eigenen Stil. Sie wird als ein Beispiel einer englischen Band, die schon relativ vergleichbar mit den deutschen "Krautrock"- Bands ist, in dieser Arbeit noch eine wichtige Rolle spielen werden.

Diese Band heißt Pink Floyd, bestehend aus dem Maler Syd Barrett (Gesang/Gitarre) und den drei Architekten Roger Waters (Baß), Nick Mason (Schlagzeug) und Richard Wright(Orgel). Pink Floyd stammten ebenfalls aus dem Milieu der Kunsthochschulen. Ihre Musik galt als Kunst, sie hatten als gehobene Mittelschichtkinder einen Hintergrund, der sich völlig von dem traditioneller Rock'n Roller unterschied. Dementsprechend umschifften die Texte ihres frühen Gitarristen Syd Barrett (später ersetzt durch David Gilmour) die Liebe und Sex-Thematik hin zu einer Phantastik, die Ähnlichkeiten mit der Geisteshaltung der Romantik des neunzehnten Jahrhunderts hatte: Geschichten mit märchenhaftem Einschlag, Mystizismus und interplanetarische Schilderungen. Mit ihrem elitären Habitus weisen Pink Floyd schon sehr in die Richtung der deutsche n Rockbands der frühen Siebziger Jahre, auch was den Umgang mit der Elektronik anbelangt, ein Gebiet, was deutsche Bands allerdings noch wesentlich stärker als ihre Domäne ausbauten.

Hatten die Beatles und die Rolling Stones sich eindeutig an amerikanische Vorbilder angelehnt, so waren beide Bands wiederum englische Vorbilder für eine Band wie Pink Floyd. Sowohl sozial als auch musikalisch entfernten sich englische Bands im Stil von Pink Floyd von den Anfängen des Rock'n Rolls, wie er in den USA begann. Der Gegensatz zwischen den USA auf der einen, und Europa bzw. England auf der anderen Seite kommt auch in dem Erlebnisbericht eines kalifornischen Initiator der experimentiellen Psychedelic- Rock-Szene von Haight Ashbury/ San Francisco, Chet Helms, zutage. Anfang 1967 besuchte der Amerikaner London und sah sich dort die neue Musikergeneration in dem UFO-Club an: "...Die Pink Floyd waren ganz klar die Hausband, genau wie Big Brother and the Holding Company bei mir (Die Band mit der Sängerin Janis Joplin, Anm. des Verfassers). Ich weiß noch, dass mir unsere Musik viel melodischer vorkam, was wahrscheinlich an ihrer Verwurzelung im amerikanischen R&B lag. Sie (Pink Floyd, Anm. des Verfassers) waren mehr von avantgardtistisch-klassizistischen Komponisten wie Stockha usen beeinflußt. Ich fand die Floyd atonal und amelodisch - im großen und ganzen brachten sie nur Klangteppiche und auf Feedback basierende Spacemusik "3

Umgedreht verdeutlicht die Reaktion der englischen Band Pink Floyd auf amerikanische Bands ebenfalls die Kluft zwischen beiden Welten: "...Als Big Brother auftraten, konnte ich es nicht glauben. Ich erwartete etwas Ausgefallenes und es war bluesiger Country-Rock. Ich war erstaunt. Ich erwartete sie seien völlig anders "4

Ich will hiermit eine Tendenz der ,,Europäisierung" andeuten, die dann bei den Krautrockbands noch stärker zum Tragen kommen wird.

1.4. Was kam nach der Beat-Ära? Ein kleiner Streifzug durch die sogenannte Progressive -Rockmusik

,,... Man hört eine Note aus einer Bachsonate , und sie hängt da, glitzernd, pulsierend, eine endlose Zeitlang, während man sich langsam um sie dreht. Dann, Jahrhunderte später, kommt die zweite Note der Sonate , und wieder treibt man jahrhundertelang langsam die beiden Noten herum, beobachtet die Harmonie und Dissonanzen und meditiertüber die Musikgeschichte ... man hört nicht nur, man sieht die Musik aus dem Lautsprecher kommen - wie tanzende Teilchen. Man sieht wirklich den Klang in vielfarbigen Mustern, während man ihn hört. Zugleich ist man der Klang, ist man die Note, ist man die Geigen- oder Klaviersaite. Und jedes Organ pulsiert und hat Orgasmen im Rhythmus der Musik."

Timothy Leary5

LSD-Pabst Timothy Leary schneidet oben zwei Dinge an: Das erste ist eine veränderte Wahrnehmung von Musik durch einen veränderten Zeitbezug, das zweite ist der SynästhesieEffekt, der bei dem Einnehmen der Droge LSD eintritt.

An der Jahreswende 1966/67 verwirrte in den USA eine Psychedelic-Gruppe namens Vanilla Fudge mit einem Soul-Klassiker ihr Publikum: ,,You Keep Me Hanging On"6. Das Original wurde von einem flotten Popsong auf Zeitlupen-Tempo gedrosselt, der eigentliche Song mit bizarren, langgezogenen Instrumental-Improvisationen eingeleitet. Derweil startete in England ein sozusagen aus den USA ,,importierter" schwarzer Gitarrist namens Jimi Hendrix seine Karriere mit einem ebenfalls dermaßen verfremdeten Song-Klassiker: ,,Hey Joe" war ursprünglich ein schnelles Pop-Stück, das Hendrix nur als leere Vorlage für seine blues- erfahrene Solistik benutzte. Mit den schweren Riff- Bewegungen von Gitarre und Bass schuf er die Vorlage für den Heavy Rock. Hiermit festigte sich der Begriff des ,,Progressive Rock". Es klingt zwar kühn, aber was zeitgleich mit psychedelischen ,,Revolver"- LP der Beatles begann, war nicht weniger als eine ästhetische Revolutionierung der Popmusik. ,,Ästhetisch" dabei sehr im wörtlichen Sinne, nämlich die Wahrnehmung betreffend. Alle musikalischen Konstituenten des Popsongs der Mersey-Beat-Ära wurden durcheinandergewirbelt.

Ganz nach Timothy Learys Worten spielt beim Spielen wie beim Hören der Musik der Faktor Zeit eine Rolle (also auch das Tempo in der Musik) , damit verbunden das durch die veränderte Zeitwahrnehmung veränderte Verhältnis zu Harmonien/Disharmonien, vor allen Dingen das gesonderte und isolierte Erleben des einzelnen Klanges durch zeitliche Dehnung, wie wir es in den Stücken von Vanilla Fudge und Jimi Hendrix finden.

Während seriöse Komponisten vom ästhetischen Fortschritt reden würden, war das musikalische Neuland der Psychedelic- Kultur einfach eine hedonistisch- aufregende Erfahrung. Vermutlich war die Pop- Avantgarde in erster Linie Spielerei. Die freien Formen der progressiven Musik deren künstlerischer Ausdruck. Hippie sein hieß einfach aus kulturellen Tabus auszubrechen, die Tabus der etablierten Erwachsenenwelt, mitunter die Wiedergewinnung der Kindheit.

So sind Kindheitsbezüge in etlichen Psychedelicsongs auszumachen: John Lennon singt in ,,She Said She Said" ,einem Lied über Drogenerfahrungen, 1966 ,,When I was a boy, everything was right...". Dazu wechselt die Musik vom Viervierteltakt zum Dreivierteltakt. Auch Pink Floyd schrieben anfänglich verklärende Lieder über die Kindheit: ,,Remember A Day"7, ,,Matilda Mother"8 und ,,Julia Dream"9.

Ich will drei Stichworte auf den Weg geben, anhand derer sich die Musik fassen lässt, um die es in dieser Arbeit geht:

1. Gestaltung des Zeit -Faktors in der Musik
2. Veränderte Wahrnehmung von Harmonie/Disharmonien durch die Veränderung des Zeitfaktors.
3. Klangmanipulation durch die Möglichkeiten der Elektronik

Das zugegebenermaßen etwas hochtrabende Etikett "Progressive Rock" bezeichnet als Überbegriff die Stile jener Bands, die in der zweiten Hälfte der Sechziger Jahre die Popmusik veränderten und die Beat-Ära ablösten. Es waren Musiker meist mit formal höherem (musikalischen) Bildungsniveau, häufig höheren instrumentalen Fähigkeiten und auch vermehrt mit Kenntnissen anderer musikalischer Gefilde wie dem Jazz oder der E-Musik. Zwei Merkmale stechen bei den sogenannten progressiven Bands hervor:

1. Die Texte wenden sich ab von den traditionellen Popthemen wie Sex, Liebe, Autos und Großstadt.
2. Die Songs verlassen das gängige dreiminütige Singleformat und dehnen sich zu ganzen LPSeiten aus.

1966 entstanden weitere Popbands neuen Typus: The Cream mit dem Schlagzeuger Ginger Baker, dem Bassisten Jack Bruce und dem Gitarristen Eric Clapton streckten Blues-Klassiker zu langgezogenen Jamsessions, in denen die Instrumente oft freischwebende Linien in Form vom Free Jazz entlehnten Kollektivimprovisationen aufbauten. Noch weiter trieb diese musikalische Experimentierlust Jimi Hendrix, der in den USA unzufrieden als Sideman berühmter Stars agierte und sich in London ein eigenes Trio aufbaute, das Cream vergleichbare Soundvorstellungen umsetzen sollte: Die ,,Jimi Hendrix Experience". Die nächsten musikalisch verwandten Bands heißen Soft Machine und Colosseum. Auch bei ihnen spielten langgezogene Improvisationen mit Jazzbezügen eine große Rolle.

Die progressiven Bands der späten Sechziger Jahre heben sich auch in Bezug auf ihren Schlagzeugstil von den bisherigen Popbands ab. So realisierten Ginger Baker von Cream und Mitch Mitchell von der Jimi Hendrix Experience einen freien Schlagzeugstil, der eindeutig solistisch orientiert und jazzangelehnt war. Im Pop hatte das Schlagzeug bis dato einen metronomischen Aspekt einzunehmen. Im Vier-Vierteltakt hieß das: Die ungeraden Zählzeiten wurden auf die Basstrommel gelegt, die geraden auf die Snare Drum. Das High Hat hatte die Viertel oder Achtel auszuzählen. Beim Wechsel von einem Songpart zum anderen oder beim Intro erhielten Schlagzeuger immerhin die Freiheit, ein paar Fillings - meistens über die Toms - einzufügen.

In Jimi Hendrix ,,Third Stone From The Sun"10 hingegen lehnt sich Mitch Mitchells Spiel an John Coltranes Drummer Elvin Jones an: Nur die High-Hat hält das Metrum, die Snare wird frei eingesetzt.11

Bei den Krautrockbands haben wir dann mit Jaki Liebezeit ein Beispiel, wo ein Schlagzeuger spielerisch sich die Möglichkeit erarbeitet hat, solistisch frei zu spielen, sie jedoch häufig überhaupt nicht einsetzt, sondern provozierend sklavisch die von mir oben skizzierte Arbeitsteilung zwischen Snare, High hat und Bass durchhält OHNE Fillings zwischendurch zu spielen.

1.4.1. Harmonische und melodische Auffälligkeiten im Progressive Rock

Bei all diesen Bands werden gerne einfache ostinate Abläufe als Grundlage verwendet, also ständig wiederkehrende Muster, was sowohl Harmonien als auch Melodieriffs bzw. Bassriffs sein können.

Creams "Sunshine Of Your Love", Jimi Hendrix "Hey Joe" und die langgezogenen Jams von Pink Floyd und Hawk wind sind rein harmonisch gesehen völlig unergiebige Stücke - in nichts zu vergleichen mit dem kompositorischen Reichtum der Beatles-Musik. Das ist aber nicht wertend zu verstehen, sondern Jimi Hendrix und Cream setzen stattdessen die instrumentale Virtuosität als Gestaltungsmöglichkeit ein. Bob Dylans ,,All Along The Watchtower" erfährt in Hendrix` Bearbeitung durch gekonnte Variation von Lead- ,Slide- und Rhythmusgitarrenspiel Spannungsbögen, die man bei der schlichten Akkordfolge C moll, Bb, Ab, Bb nicht zutrauen würde.

Die Harmonik und die Gestaltung von Kadenzen im Songaufbau werden häufig bei den progressiven Bands sekundär.

Gestalterische (man kann auch sagen: kompositorische) Akzente setzen Cream und Jimi Hendrix in ihren Songs zum Einen durch die freien Instrumentalimprovisationen, zum Anderen durch den Einsatz der Elektronik, womit in diesem Fall die Gestaltung der Soundparameter ihres Instrumentariums gemeint ist, was durch die Bodeneffekte und die neue Verstärkertechnik erzielt wird.

Das führt uns unweigerlich zu der psychedelischen Inkarnation der Beatles von 1966/1967 zurück: ,,Tomorrow Never Knows" enthält einen einzigen durch gehenden Grundton, über den sich lediglich zwei Akkorde abwechseln. Stattdessen ist das kompositorisch gestaltende an diesem Song der Einsatz von Klangcollagen - also wieder Klang oder Sound im weitesten Sinne als kompositorisches Gestaltungsmittel.

Überspitzt gesagt kehrt sich langsam Mitte der Sechziger Jahre in der Popmusik die Hierarchie der musikalischen Komponenten um: Wo zu Beginn der Mersey Beat- Ära eine (eingängige!) Melodie das dominierende Element war, dem sich Harmonik, Arrangement und Sound unterordneten, beginnt im Progressive Rock sich diese Ordnung umzukehren: Das Spiel mit der Klangfarbe und dem Arrange ment eines Songs - im weitesten Sinne auch in Form von freien Improvisationen ist dominierend über die Gesangsmelodie, die entweder mitunter nur den Ambitus einer Quint hat (Jimi Hendrix ,,Purple Haze") oder nur die oktavierte Kopie der Bassläufe (oder anderer Instrumentalriffs) darstellt: Cream ,,Sunshine Of Your Love", Pink Floyd ,,Set The Controls For The Heart Of The Sun" und andere.

Die geschlossenen kompositorischen Formen der Popmusik der frühen Sechziger Jahre weichen offeneren Formen.

Schaut man sich die Kadenzen von verschiedenen Popsongs im Laufe der Sechziger Jahre an, so fällt auf, dass zum Ende der Sechziger Jahre in Moll-Kadenzen die Dur-Dominante - eine standardtisierte Errungenschaft in der abendländischen Musik seit Beginn der Neuzeit - häufig der Moll-Dominante weicht - also liegt ein Wandel vom harmonischen Moll zum natürlichen Moll vor. Die Dur-Dominante gibt durch die Leittönigkeit einem Kadenzablauf eine geschlossenere Form, die jedoch in der improvisationsbetonten Spielweise der neueren Popbands überhaupt nicht erwünscht ist.

Überhaupt ist das Spiel mit den Modi ein wichtiges Stilmerkmal in der Rockmusik beim Übergang von den späten Sechziger Jahren zu den frühen Siebziger Jahren.

Sehr beliebt ist die dorische Skala, sie ist vergleichbar mit der natürlichen Mollskala mit dem Unterschied der großen Sext anstelle der mollüblichen kleinen Sext.

(Vergleiche "Riders On The Storm"12 von den Doors, Pink Floyd "Any Colour You Like"13, Mittelteil Supertramp "School"14 )

Wegen ihres "östlichen" Charakters war bei einigen Musikern der Flower Power Generation die phrygische Skala sehr beliebt (Vergleiche Pink Floyd Orgelsolo "Matilda Mother"15 und "Set The Controls For The Heart Oft The Sun"16, Jefferson Airplane "White Rabbit"17 ).

Weniger verbreitet war hingegen die Möglichkeit funktionale Harmonik völlig in Richtung modaler Harmonik zu durchbrechen, also Klänge nebeneinanderzustellen, die funktional nicht aufeinander bezogen waren. Im Jazz gab es dafür Beispiele wie Herbie Hancocks ,,Maiden Voyage", das Vorhaltsharmonien ohne Auflösung verwendete: D7 sus 2, F7sus 4, Eb7 sus 2, C#7 sus 2.

Wenn überhaupt Ende der Sechziger Jahre in der Popmusik vorhanden so ist Pink Floyds ,,Cirrus Minor" ein Beispiel für den zaghaften Versuch, funktionale Harmonik zu durchbrechen: Em, G+, G, C#m7, C 7,Cm 7, H7,Em. (C#m 7 und Cm 7 sind nicht in die Tonart E- moll eingliederbar!)18

All diese musikalischen Parameter der Bands der Woodstockge neration spielen auch bei den Krautrockbands eine entscheidende Rolle.

1.4.2. Popmusik und Elektronik

Jimi Hendrix und Eric Clapton nutzten die Möglichkeiten der damals neuesten Elektronik: Leistungsstarke Marshall-Verstärker19 und eine Reihe von Boden-Effektgeräten. Als Wichtigste zu nennen sind das Fuzz-Box und das Cry Baby Wah Wah.Die Fuzz- Box ist ein Verzerrer, in dem das Gitarrensignal eine Transistorstufe künstlich übersteuert. Dadurch erhält man einen deutlich aggressiveren, schärferen Gitarrensound als er bei den Merseybeatbands üblich war. Das Cry-Baby Wah-Wah (kurz: "Wah-Wah") erhielt seinen Namen durch die lautmalerische Nachbildung seines Klangeffekts. Dieses Gerät besteht aus einem stufenlosen Pedal, das ein Potentiometer betätigt, das in Verbindung mit einem Kondensator die Obertöne des Instrumentalklangs manipuliert.Exemplarisch ist dies auf der Jimi Hendrix-LP "Electric Ladyland" zu Beginn des Songs "Voodoo Chile (Slight Return)" zu hören.20

Mit der neuen Verstärkertechnik und den Bodeneffekten ergaben sich eine Reihe gestalterischer Möglichkeiten, die die Pop-Gitarristen in der ersten Hälfte der Sechziger Jahre nicht nutzen konnten. So wurde der Gitarrenton nun länger.

Elektronik spielt bei den Bands Ende der Sechziger Jahre eine immer wichtigere Rolle:

1. In der live- musikalischen Realisation: Die Umsetzung der neuen Verstärker- und Effekttechnologien beim Spielen der Musik
2. In der Aufbereitung und beliebigen Manipulation der musikalischen Klangereignisse im Aufnahmestudio, wie sie bereits die Beatles erprobten
3. In der Realisierung vollelektronischer Klangerzeuger, insbesondere des 1964 von Robert A. Moog entwickelten spannungsgesteuerten Synthesizers Damit verlassen wir den Kontext der Popmusik.

2. Elektronische Musik - Neue Musik - und der Quantensprung der Elektronik in der Musik

2.1.Neue Musik und musique concrete - Europa in den Fünfziger und Sechziger Jahren

Während die USA und in zweiter Instanz England die angloamerikanische Welt der Popmusik, des Rock' n Rolls und letzten Endes des Rhythm'n Blues als Wurzel des Ganzen beherrschen, kommen aus dem europäischen Festland die Einflüsse aus der Neuen Musik. Hier fanden Entwicklungen statt, die für die experimentielleren Krautrockbands von Bedeutung waren. Diese Entwicklungen sollen hier kurz angeschnitten werden Nachdem Arnold Schoenberg in den Vierziger Jahren die Atonalität vollzogen hatte, schälte sich langsam in der modernen E-Musik als neue musikalische Gestaltungsmöglichkeit die Klangfarbe herraus.

Der ungarische Komponist Györgi Ligeti realisierte extreme Klangvorstellungen auf einem Cembalo.

Ligetis Kompositionen ,,Lux Aeterna" und ,,Atmospheres" fanden Eingang in Stantley Kubricks Science Fiction-Klassiker "2001 - A Space Odysse", ein Film, der fraglos eine Zeitgeisterscheinung der späten Sechziger Jahre war und in gewisser Weise auch zur Popkultur gerechnet werden kann. Ligetis Kompositionen in so einem Film, die zeitweise geäußerte Faszination von Popmusikern für die Neue Musik von John Cage und Karl Heinz Stockhausen - man kann hier einen Fall entdecken, wo sich Popmusik und E-Musik entgegen kamen. Stockhausen führte fast das Dasein eines Popmusikers ehrenhalber. Frank Zappa, The Soft Machine, die bereits erwähnten Pink Floyd - sie alle ließen sich von der sogenannten "Neuen Musik" inspirieren.

In Frankreich entstand die musique concrete, die Alltagsgeräusche in Tonbandmusik einbaute. Aus den USA kam die Minimal Music von Terry Riley und Steve Reich. Sie schufen Kompositionen, die größtenteils auf sich permanent wiederholenden Melodiefloskeln genannt Patterns basierten.

Es soll hier nicht gefragt werden, wie sorgfältig Popmusiker diese neuen Entwicklungen in der E-Musik studiert und in ihrer eigenen Musik umgesetzt haben, fest steht, daß all diese Einflüße seit den späten Sechziger Jahren in der Popmusik ihren Eingang gefunden haben. Wie seriöse Komponisten die Gestaltung der Klangfarbe als musikalisches Neuland entdeckten, so gewann eine die Klangfarbe gestaltende Elektronik bei den Popbands ebenfalls an Bedeutung.

Zu Beginn der Fünfziger Jahre gründete Herbert Eimert beim Westdeutschen Rundfunk in Köln ein Studio für elektronische Musik zeitgleich mit der Einrichtung des Columbia- Princeton Electronic Music Center in New York unter der Leitung Otto Luenings und Vladimir Ussachevskys. Eimert im Gefolge arbeitete Karl Heinz Stockhausen an seiner Vision Musik mit rein elektronisch erzeugten Klängen zu kreieren. An Gerätschaften standen diesen Komponisten fest im Studio installierte Sinusgeneratoren und Klangfilter zur Verfügung. Für den live-elektronischen Einsatz ungeeignet mussten diese Apparaturen auf ein handlicheres Format reduziert werden, damit sie Eingang in die Popularmusik finden konnten. Der Amerikaner Robert A. Moog konstruierte dann ein Gerät, das diesen Erwartungen entgegen kam.

2.2. Der Synthesizer

Der Amerikaner Robert A. Moog entwickelte 1964 den ersten spannungsgesteuerten Synthesizer.

Der Synthesizer ist das erste Instrument, das Klänge rein elektronisch erzeugt.

Während bei anderen Instrumenten der Ton durch das Anschlagen eines Klangkörpers erzeugt wird, entsteht er beim Synthesizer durch einen elektronischen Schaltkreis, dessen Signal verstärkt und über einen Lautsprecher erst hörbar gemacht wird.

Der Aufbau der meisten analogen Synthesizer der Siebziger Jahre ist sehr ähnlich. Die meisten Modelle sind in Modulbauweise konzipiert. Diese Module haben jeweils einen Ausgang, an dem eine Stromspannung anliegt und einen Eingang, der von einer Stromspannung angesteuert werden kann.

WICHTIG: Die Funktionen dieser Module sind den physikalischen Parametern jeglichen (Instrumental-)klangs nachgebildet!

Die Modulbauweise des Synthesizers entspricht dabei in etwa den physikalischen Parametern eines konventionellen Instrumentalklanges: Es gibt die Lautstärke (Amplitude), die Tonhöhe (Frequenz), die Obertoncharakteristik (u.a. durch Filter beeinflussbar) und die Hüllkurve, damit ist das Einschwing- und Ausklingverhaltens eines jeden Tons gemeint. Kernmodul ist der Voltage Controlled Oscillator - kurz VCO - zu deutsch:

Spannungsgesteuerter Oszillator. In diesem Modul werden Schwingungen produziert, die als Töne über einen Lautsprecher hörbar gemacht werden können. Die Tonhö he wird dabei von der am Eingang des VCOs anliegenden Spannung bestimmt. Um diese Töne interessant zu gestalten, sie ,,musikalischer" zu machen, wird der VCO mit weiteren Modulen kombiniert. Der Voltage Controlled Amplifier -kurz VCA (Spannungsgesteuerter Verstärker)- kann das Signal, das er vom VCO bekommt, in Bezug auf seine Amplitude gestalten; er kann die Lautstärke beeinflussen, aber auch als Ein/Ausschalter für das VCO-Signal fungieren.

Der Voltage Controlled Filter - kurz VCF (Spannungsgesteuerter Filter) - arbeitet ähnlich wie der bereits vorgestellte Wah Wah Effekt: Die Obertonstruktur des Signals wird verändert, ein Effekt, den wie gesagt die menschliche Stimme beim Erzeugen eines Vokals beim Verändern der Mundöffnung nachbilden kann.

Der Low Frequency Oscillator - kurz LFO (Niederfrequenzgenerator) - ist vom Prinzip mit dem VCO identisch - nur ist dieser Oszillator auf niedrige Frequenzen optimiert, die sich überwiegend in der Größenordnung von 0,5 bis etwa 5 Hertz bewegen. Der LFO arbeitet als Impulsgeber für die anderen drei bereits vorgestellten Module. Steuert er den VCO an, so produziert dieser einen pulsierend in seiner Frequenz auf- und abschwellenden Ton. Zu nennen wäre noch der Hüllkurvengenerator als wichtiges musikalisches Gestaltungsmodul. Der Hüllkurvengenerator bestimmt Attack (Einschwingen des Tones) , Decay (danach einsetzender Abfall der Amplitude auf den Durchschnittswert), Sustain (,,Ausklingen" , Dauer des Tones bestimmt durch den Tastendruck) und Release (Abfall der Amplitude auf Null nach Ende des Tastendrucks). Am Hüllkurvengenerator kann man am Ehesten verdeutlichen, dass die Module im Synthesizer eigentlich die einzelnen physikalischen Parameter jeglichen Instrumentalklangs sind. Diese Module sind untereinander vielfältig kombinierbar.

Als klangerzeugendes Modul haben die meisten Synthesizer noch den Rauschgenerator (Noise Generator), der verschiedene Formen von Rauschen erzeugen kann, was man z.B. zum elektronischen Erzeugen von Windgeräuschen einsetzen kann.

VCO VCA VCF

Anliegende Spannung Anliegende Spannung Anliegende Spannung beeinflusst Frequenz beeinflusst Amplitude beeinflußt (Tonhöhe) des Signals (Lautstärke des Signals) Obertoncharakteristik des Signals

Steuert VCO, VCA, VCF an Steuert VCO, VCA, VCF an LFO ADSR NOISE GENERATOR

Die ersten handlichen Synthesizer- Modelle waren der Mini Moog und der V.C.S.3 der englischen Firma EMS, die maßgeblich von Peter Zinovieff geführt wurde. Die ersten Synthesizer waren ausschließlich monophon bespielbar.

2.3. Der Synthe sizer in englischen Rockbands

Um 1970 waren die ersten Modelle der spannungsgesteuerten Synthesizer erhältlich. Die ersten Gruppen in England, die Synthesizer einsetzten, waren Emerson, Lake & Palmer, Quatermass, Gentle Giant und Yes. Alle vier Bands sind dem vagen Etikett "Kulturrock" oder "Classic Rock" zuzurechnen, womit im Allgemeinen Bands gemeint waren, die Anregungen aus der Kunstmusik - meistens aus dem Barock - in den Rockkontext zu integrieren versuchten. Die Keyboarder dieser Bands bekamen mit den Soundmöglichkeiten, die der Synthesizer bot, die Möglichkeit sich solistisch stärker in den Vordergrund zu spielen. So können Synthesizer bei der Erzeugung von Rechtecksignalen eine Klangcharakteristik erzeugen, die dem auffallenden stechenden Ton einer verzerrten E-Gitarre sehr nahe kommt.

Durch die Anwahl verschiedener Wellenformen, den Einsatz von Filtern und Hüllkurvengeneratoren kann ein Synthesizer eine Vielfalt von Klängen erzeugen, wie sie es sonst nur ein großes Orchester liefern kann.Deshalb waren es wohl in erster Linie die Classic Rock - Bands, die den Synthesizer in das Rockinstrumentarium einführten.

Diese Bands waren von der Basis her noch im Format einer Rockband aufgezogen. Neben traditionellen Popinstrumenten wie E-Gitarre, E-Bass und Schlagzeug wurde der Synthesizer sozusagen in den gängigen Rockkontext "hineinassimiliert". Wie konventionell das englische Bands taten, sieht man beispielsweise an Richard Wrights Mini Moog- Soli in dem Pink Floyd-Klassiker "Shine On You Crazy Diamond"21: Der Mini Moog imitiert ganz einfach nur den Sound einer Trompete. Vor allen Dingen improvisiert Wright eindeutig herkömmliche Blues-Gitarrenlinien auf seinem Instrument. Barry Graves und Siegfred Schmidt-Joos kritisieren deshalb, ,,dass ihnen (Pink Floyd, Anmerkung des Verfassers) mit der Bewältigung der Elektronik keine zeitgemäße Ästhetik gelungen ist. Aufs Ganze gesehen klingt die Pink Floyd- Musik kaum anders, als wenn man eine Violinsonate aus dem 19.Jahrhundert auf der Hammondorgel spielt."22 In die gleiche Bresche schlagen Günther Batel und Dieter Salbert, wenn sie in bezug auf die obengenannten Kulturrockbands feststellen, ,,dass die bei ihnen anzutreffenden elektronischen Klangfigurationen, Montage-, Collagen- und Zitattechniken ,avantgardtistisch' im eigentlichen Sinne des Wortes nicht mehr sind."23 Letztere Autoren führen allerdings dabei nicht aus, was sie unter ,,avantgardtistisch" verstehen.

Bei den deutschen Bands, die mit Synthesizern experimentierten, gab es diese Rock-Tradition nicht: Sie bauten um das neue Instrument ein ganz anderes Bandkonzept.

Mit der Ausprägung dieser Entwicklungsstränge landen wir 1969/1970 am Ausgangspunkt der deutschen Rockmusik, auf die ich hier eingehen möchte.

3. Die deutschen Krautrockbands Ende der Sechziger Jahre

Das, was unter dem Begriff Krautrock subsummiert wird, findet seinen Anfang in den Jahren 1968 und 1969.

Bis dahin coverten Deutsche Bands nur englischen Rock24 bzw. bewegten sich zu sehr im Fahrwasser englischer Bands, um international wahrgenommen zu werden.

Das änderte sich schlagartig in den frühen Siebziger Jahren: Die Berliner Tangerine Dream wurden bald mit ihrem Elektronik Rock vo n dem englischen BBC- Moderator John Peel in höchsten Tönen gelobt und fanden allgemein in England viel größeren Anklang als in Deutschland, was ihnen 1973 als erste deutsche Band einen Plattenvertrag bei Richard Bransons Label Virgin einbrachte, das neuartige Rockklänge besonders förderte. Den Düsseldorfer Elektronikern von Kraftwerk gelang ein Jahr später in den USA mit ,,Autobahn" ein Hit - das gleichnamige Album wurde vergoldet.

Bei den deutschen Progressive-Rock-Bands ist das intellektuelle Image, das sich bei den englischen Bands gegenüber den amerikanischen Rock' n Roll- Interpreten der Fünfziger Jahre anbahnte, noch weiter ausgeprägt.

Die gebildete obere Mittelschicht ist eindeutig der Träger dieser Szene. So erklärt denn auch Hermann Haring in seinem Buch "Rock aus Deutschland" über die "kopflastige Krauts": "VORSICHT KULTUR"!25 Es herrsche, so Haring, bei all diesen Bands der Musikertypus vor, der durch hohe Schul- bzw. universitäre Bildung geprägt ist.

Tendenziell lässt sich schon eine eigenständige Linie bei den deutschen Bands herrausdistillieren. Kaum zu finden sind ab 1970 noch Bands, die internationale Standards zu kopieren versuchen. Mit der Hamburger Formation "Frumpy" mit der Sängerin Inga Rumpf ist ein rares Beispiel zu nennen, wo eine deutsche Band sich in "schwarzen" Rhythm'n Blues und Soulgefilden bewegen wollte, was für andere Krautrockbands kein erstrebenswertes Terrain war.

Auch melodischer Poprock, wie er in den Siebziger Jahren in England von Supertramp und in den USA von Steely Dan angestrebt wurde, fand erst ein vergleichbares Pendant 1977 in der Hamburger Formation "Lake", die den Sound der amerikanischen Mainstreambands so perfekt nachahmte, dass sie in den USA mittlere Hitparadennotierungen erreichte.26

Wenn Christian Kneisel die Krautrockszene beschreibt, macht er Beobachtungen, die zunächst genauso gut auf meine Beschreibungen der angloamerikanischen Bands in den späten Sechziger Jahren passen:

,,Die Auflösung herkömmlicher Songstrukturen und - formen zugunsten ausschweifender Improvisationen erprobten die 1970 noch einflußreichen, in diesem Jahr sicher wichtigsten Gruppen: ..."(Es folgt eine Aufzählung von Bands, zu denen neben Amon Düül auch die noch vorzustellenden Tangerine Dream gehören.)27

Cream und Jimi Hendrix improvisierten ebenfalls. Doch sie fühlten sic h einer Tradition verpflichtet, die Blues und Rhythm'n Blues heißt. Clapton und Hendrix studierten die Gitarrentechnik von B.B. King und Buddy Guy (zwei schwarze Bluesgitarristen) , Clapton lernte grundsoliden Rock'n Roll zu Beginn, spielte bei John Mayalls Bluesbreakers. Jimi Hendrix lernte als solider Begleiter von Little Richard und The Isley Brothers sich in konventionellen Songstrukturen zu bewegen.

Diesen Background hatte kaum eine deutsche Band zu Beginn der Siebziger Jahre. So faßt Christian Kneisel zusammen: ,,Eine häufig zu beobachtende ungenügende Beherrschung traditioneller Instrumentaltechniken konnte durch ungewöhnliche Instrumenthandhabung kompensiert werden."

Die Tradition, die fehlt, ist der Blues. Die Hinwendung zu anderen Kulturen (wie sorgsam studiert, ist eine andere Frage) füllt dieses Vakuum. Am Ehesten war der Kontakt zur zeitgenössischen Musik vorhanden.

In Berlin war dieser Kontakt durch den moderne Komponist Thomas Kessler und sein ,,Electronic Beat Studio" gewährleistet. Kessler führte Rockbands an die Avantgardemusik heran.28 Also genau das europäische Gegenteil der amerikanischen Blues-Musik. Hier sind wieder Parallelen zu Pink Floyd zu finden, die ebenfalls einen ,,nicht-amerikanischen" Musikstil hatten und in der Konfrontation mit den Übersee-Bands nur Verwirrung hinterließen (Siehe Kapitel ,,Die Experimente der Beatles"). Ferner hatten viele deutschen Bands eine Affinität zu afrikanischen und asiatischen (hauptsächlich indischen) Kulturen eine Affinität (etwa die Band Embryo).29 Der Unterschied zwischen deutschen Rockbands und vergleichbaren Vorbildern liegt mitunter weniger in einzelnen musikalischen Details - es liegt daran, dass Can, Tangerine Dream und Kraftwerk besser die Apparatur der Vermittlung ihrer Musik im Griff hatten. Vergleichbar mit englischen oder amerikanischen Bands hatten die deutschen Bands viel mehr Kontrolle über produktionstechnische Angelegenheiten: Kraftwerk gründeten ihr eigenes Aufnahmestudio ,,Kling Klang", Holger Czukay und Can hatten das Glück, einen Gönner kennengelernt zu haben, der ihnen Räumlichkeiten in einem Schloß zur Verfügung stellte. Czukay kümmerte sich kurzerhand selber um die Technik, ließ unorthodoxe Methoden bei den Aufnahmeverfahren walten. So ersetzte ein Klavier die Hallspirale.

Die Beatles hingegen wurden von einem professionellen Orchesterchef George Martin produziert, der unterschwellig immer - auch bei den Arrangements ! - traditionelle ästhetische Kriterien in ihre Musik einbrachte.

Pink Floyd mussten ebenfalls mit Norman Smith mit einem ,,Professional" vorlieb nehmen, der bezeichnenderweise zudem unter dem Beatles- Produzent George Martin als Toningeneur gearbeitet hatte.

Der Hintergrund der gehobenen Mittelschicht brachte den deutschen Bands sowohl wirtschaftlich wie auch kulturell einen reichhaltigen Hintergrund: Sie mussten keine kommerzielle Musik machen und hatten Kontakt zur Hochkultur (unter anderem zu dem Musiklehrer Thomas Kessler). Die deutschen Musiker waren zu Beginn ihrer Bandkarrieren eine halbe Generation älter als ihre englischen Kollegen, die oft als schon als Teenager sich zusammengefunden hatten.

In Kneisels Artikel wird auch die Domäne des Elektronik- Rocks, die deutsche Bands bald besetzten, erwähnt: ,,Im Ausland verbindet sich mit der deutschen Elektronikszene oft deutsche Rockmusik schlechthin."30

Drei Jahrzehnte später erkennt auch die Techno- Generation deutsche Bands als ihre Urväter an: Marcel Feige rechnet die deutschen Bands zur ,,Speerspitze" der Elektronik- Bewegung. Ironischerweise erwähnt er jedoch Johannes Schmoeling, Paul Hasslinger und Christoph Franke fälschlicherweise als Gründungsmitglieder von Tangerine Dream, was auf höchst unbeabsichtigte (und amüsante...) Weise die zeitliche und geistige Distanz des Autors zu den frühen Siebzigern deutlich macht.31 So dürfte die körperbetonte Technophilosophie in gewissem Gegensatz zu den ,,Head"- Kreationen Tangerine Dreams stehen, die in einer utopiereichen Zeit der (Post)-Achtundsechziger-Generation entstanden... Der Begriff ,,Head" ist im ungefähr wörtlichen Sinne zu verstehen. Er wird im Zusammenhang von Rockmusik verwendet, die das Zerebrale, im engeren Sinne die Phantasie aktivieren soll und im starken Zusammenhang mit der Einnahme von Drogen steht, die diesen Prozeß beschleunigen. Die Krautrockbands haben aus ihrem Mangel an Poptradition - es gab in Deutschland nie einen Rhythm'n Blues- und kaum einen Beatboom - eine Tugend gemacht und stattdessen das Experiment gesucht.

Ich beschränke mich hier auf die deutschen Bands, die an den progressiven angloamerikanischen Bands der späten Sechziger Jahre anknüpfen.

Der Rahmen einer Musikarbeit legt mir außerdem nahe, mich ausschließlich auf den musikalischen Aspekt zu beschränken. Deutsche Bands, die der Polit - Rock Szene zuzurechnen sind wie Floh de Cologne oder Ton Steine Scherben, bei denen Textaspekt überwiegt, finden hier keine Berücksichtigung.

Der Richtung, die ich hier porträtieren möchte, wurde von einer Vielzahl von Bands vorantgetrieben, bei denen ich mich schlussendlich auf drei Bands konzentriert habe. Es gibt viele Namen: Faust, Amon Düül, Neu und dergleichen.

Aber um eine grobe musikalische Tendenz von Progressiv Rock made in germany zu verdeutlichen reichen meine Beispiele - denke ich - aus.

Drei verschiedene Bands möchte ich hier porträtieren: Can, Tangerine Dream und Kraftwerk.

3.1. The Can

,,Wissen Sie, Can funktioniert nach einer geometrischen Figur, nur dass sie aus Menschen besteht. Es kann ein Dreieck sein, ein Rechteck oder ein Fünfzehneck, aber da ist niemand, der sich zum Führer der anderen aufschwingt. Niemals." 32

Michael Karoli, Gitarrist von Can

3.1.1. Geschichte

Die Kölner Formation Can kam 1968 aus Musikern vö llig verschiedener Bereiche zusammen: Bassist Holger Czukay und Keyboarder Irmin Schmidt hatten ihren Hintergrund in der E- Musik, Gitarrist Michael Karoli kam aus einer Tanzkapelle und war Popmusikenthusiast und Schlagzeuger Jaki Liebezeit war im Jazzbereich beheimatet. Vervollständigt wurde die Band durch den schwarzen Amerikaner Malcolm Mooney, für den Musik nur eine Kunstform von vielen war, mit denen er sich beschäftigt hatte. Er wurde 1970 gegen den Japaner Kenji `Damo' Suzuki, einem Straßenmusiker, eingetauscht.

Keyboarder Irmin Schmidt ist klassisch ausgebildeter Musiker. Er arbeitete zu Beginn der Sechziger Jahre in Essen als Dirigent. Er ist in der Tat 1966 in New York mit modernen Komponisten zusammengekommen wie mit Steve Reich und Terry Riley.33

Can schufen ein Bandkonzept, das auf Kollektivimprovisation der einzelnen Instrumentalisten aufbaute.

Ihre erste LP veröffentlichten Can 1969. `Monster Movie' transportierte einfache harmonische Ostinatostrukturen, monotone Rhythmen und frei improvisierte Gesangslinien.

Die Band wurde schlechthin zum Inbegriff des intellektuellen deutschen Undergrounds und pflegte einen regen Austausch mit Filmleuten und Theaterregisseuren.

Vergleichbar mit den amerikanischen Velvet Underground bestanden ihre ersten Auftritte aus bizarren Happenings.34

Das zweite Album, das Soundtrack-Aufgaben zu den Filmen ,,Mädchen mit Gewalt", ,,Deadlock", ,,Bottom", ,,Deep End", ,,Cream" und ,,Deep End" zusammenfaßte, führte die eigenwillige Musik mit akzenturiertem Schlagzeug-Beat, unorthodox eingesetzten Instrumenten und schrägem Gesang weiter.

Auf der Bühne wirkten sie mit aggressiver Präsenz und aberwitzigem Entertainment.

Mit dem Doppelalbum ,,Tago Mago" öffneten Can ihre Konzeption weg vom Rockschema hin zu frei assozierten Klangbildern, erstellt von Echo - Schleifen, Geräuschbändern und in extremen Registern gespielten herkömmlichen Instrumenten.

In ,,Ege Bamyasi" von 1972 lösten sie sich dann von festgefahrener Rock-Metrik, während federleichte Rhythmik gepaart mit sphärischen Klängen den Tenor von ,,Future Days" ein Jahr später ausmachten.

Mit letzterer LP trennten sie sich mit Damo Suzuki von der Frontmannfigur eines festen Sängers.

Besonders Bassist Holger Czukay tat sich nun hervor mit der Einbeziehung von ,,fremdem" Material in Form von Tonbandcollagen und schlußendlich mit dem Einsatz von Radiogeräten sowohl in den Studioaufnahmen wie in Konzerten, was Czukay auf späteren Solo - Projekten weiter trieb.

Cans Alben werden sowohl von Toncollagen (,,Unfinished")35 als auch von stark ethnischen Anklängen bestimmt, die häufig ihren ironischen Niederschlag in dem Zusatz ihrer Songtitel ,,E.F.S." (,,Ethnological Forgery Series" - ,,Ethnologische Fälschungsserie") findet.

3.1.2. Die Songs

Da ich konventionelle Partituren für meine Zwecke zum Einen für zu aufwend ig, zum Anderen zu unergiebig halte, konzentriere ich mich darauf, den Aufbau der Songs in tabellarisch-skizzenhafter Form festzuhalten.

Der erste Song, den ich so vorstellen möchte, heißt ,,Mother Sky" aus dem Jahr 1970. Mother Sky36

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

*) Da Akkorde bei Can häufig geschlechtslos sind, gebe ich nur den Akkord - Buchstaben an, was nichts darüber aussagt, ob es sich um moll oder dur handelt.

Das harmonische Geschehen bewegt sich hauptsächlich auf einer Stufe, was in diesem Fall wieder vom Baß getragen wird.

Der Baß spielt den Grundton im Wechsel mit der Oktave, womit er eine Art Bordunwirkung erzeugt.

Ein Bordun bezeichnet einen Dauerton - zumeist im Bass - Register - auf dem sich die anderen Stimmen aufbauen können. Bordun ist in der Volksmusik (schottische Dudelsackspieler), besonders in asiatischen Kulturen geläufig. In unserer abendländischen Kunstmusik ist hierfür eher der Begriff Orgelpunkt geläufig.

Schlagzeuger Jaki Liebezeit bevorzugte stets wie auch in `Mother Sky' die ständige Wiederholung von durchgehenden Rhythmus-Patterns.

Monotonie ist ein immer wiederkehrendes Stilmittel bei den Krautrockbands und bei Can im Besonderen.

Das dürre, kaum angedeutete harmonische Gerüst vo n Gitarre und Orgel läßt im Zwischenteil dem Schlagzeug Raum, sich solistisch zu entfalten.

Den Spannungsbogen bezieht dieser Song nicht aus der Gestaltung der Harmonik, sondern aus der Dynamik. Das Stück beginnt ähnlich wie bei Cream und Jimi Hendrix im Stil einer Kollektivimprovisation mit dem Unterschied von Jaki Liebezeits steadyness am Schlagzeug. Dann folgt die erste Gesangsstrophe, die Instrumentierung wird auf das notwendigste zurückgeschraubt. Holger Czukays Bass und Liebezeits Schlagzeug sind die alleinige Basis der Musik. Michael Karoli spielt nicht etwa Akkorde, sondern übernimmt unisono Damo Suzukis Gesangsmelodie - teilweise on-beat, teilweise off-beat, um eine Achtel verschoben. Pink Floyd- Gitarrist David Gilmour sagte über sein ,,Careful With That Axe, Eugene"37 von 1968, es bestünde ,,im grunde aus einem Akkord, auf dem wir strukturell (!) und atmosphärisch aufgebaut haben. Hauptsächlich war es eine Frage der Dynamik."38

Was Pink Floyd vorexerziert haben, übernehmen Can in ihre Konzeption: Harmonische Gestaltungsmöglichkeiten treten in den Hintergrund, Dynamik (auch erzeugt durch Aussetzen und Wiedereinsetzen einzelnen Instrumente sowie durch das aggressive ,,heiße" Feeling bei Kollektivimprovisation) und Klangfarbenveränderung übernehmen den Hauptanteil an kompositorischen Möglichkeiten.

Bei den folgenden Stücken Verzichte ich auf die detailliert tabellarische Aufzeichnung der musikalischen Strukturen.

You Doo Right39

Das Stück beginnt zunächst als Popsong mit Blueskadenz. Dann schließlich verharren die harmonieführenden Instrume nte endlos auf der Tonika, das Schlagzeug baut Spannungsmomente mit steigend bewegteren Figuren auf (Double Time Feeling: aus den Sechzehntelfiguren werden Zweiundreißigstelfiguren), während die restlichen Instrumente auffallend unkonventionell eingesetzt werden: Der Baß spielt mehrstimmige - also akkordische - Linien, die Gitarre - ansonsten dominierendes Rockinstrument und hier sehr zurückhaltend eingesetzt - erzeugt streckenweise eher sphärische Klanggebilde40 und die Orgel ist auf den frühen Can - Aufnahmen meistens nur sehr leise zu hören und liefert fast unbewußt einen Hintergrundklangteppich.

Die Instrumente spielen repititive Figuren, die unfreiwillig an die Minimal Music von Terry Riley und Steve Reich erinnern. Durch die deutliche Betonung des Schlagzeugs und dem frei improvisierten Gesang ist der Höreindruck vergleichbar mit ethnischen Musikformen.

She Brings The Rain41

Die Einleitung gibt der Bass, der konsequent im Walking -Bass -Feeling mit gleichbleibenden Vierteln gehalten ist. Nach den ersten zwei Takten hält er konsequent eine einfache, zweitaktige pentatonische Figur bei:

G - Bb - C - D - alle Töne je zwei Viertelnoten - (Tonart g- moll)

Schlagzeug und Orgel werden in diesem Song nicht eingesetzt.

Der Gitarrist spielt darüber jazzige Fills im Oktavenstil des Jazz -Gitarristen Wes Montgomery .

Akkordisch gestaltet er die Bass- Töne mal als I - V - Verbindung (Auf dem Bass- Ton D baut er einen D7 # 9 oder D7 b9-Akkord ein) aus oder wechselt taktweise im Modus G-dorisch von G-moll auf C-Dur.

Der Sänger singt darüber im Bass -Bariton und wiederholt häufig Textpassagen.

So sehr der Song atmosphärisch als bluesige Swing- Ballade aus dem Rahmen der Band fällt, so verrät er formal dennoch die Handschrift der Band: Der Bass spielt wieder ein konsequent beibehaltenes Ostinato, die Harmonik ist nahezu archaisch einfach, der Text wirkt fast skizzenhaft. Nur Malcom Mooneys warme Baritonstimme klingt ausnahmsweise ,,schön".

Mushroom42

Wie bei vielen Can- Stücken ist das Schlagzeug hier sehr präsent. Auffallend sind die Ghostschläge auf der Snare -Drum.

Das dürre harmonische Gerüst wird nur vage vom Bass angedeutet, der von der Grundtonart Em Grundton, kleine Septime und Quinte spielt. Dabei sind die rhythmischen Werte entscheidend: Es werden zunächst nur ganze Noten, dann als Steigerung halbe Noten verwendet . Der Sänger repitiert minimale Textskizzen. Orgel und E-Gitarre setzen in periodischen Abtsänden ein und verstummen wieder. Die Gitarre spielt nur ganztaktige Töne mit starken Fingervibrato wie bei einem Solo, die Orgel spielt ganztaktige Akkorde. Zwischen Gitarre und Gesang scheint keine hierarchische Ordnung zu bestehen.

3.1.3. Auffälligkeiten in Arrangements und Instrumentierung bei Can

,,Als wir mit Can anfingen fragte mich Jaki oft, weshalb ich soviel spielen würde. Dann sagte er mir ich sollte nur einen Ton spielen, das wäre genug. Für mich war das neu, ich dachte: Ist ein einziger Ton wirklich genug? Einfach zu sein war eine ganz neue Vorstellung für mich, und diese Einfachheit war schwer zu erreichen."

Holger Czukay, Bassist von Can43

Can haben sich nie für den harmonischen Reichtum der Beatles-Musik interessiert. Ihr Musik enthält häufig keine vollständigen Kadenzen:

Die Instrumente breiten ihre Melodien polyphon aus ohne Rücksicht auf nachvollziehbare harmonische Strukturen.

Auffallend ist bei Can die Tendenz zur harmonischen Reduktion: Häufig wird ein einziger Akkord endlos durchgehalten, oder sogar nur durch einen Bass-Ton angedeutet. Gitarre und Orgel spielen häufig nur Fillings oder setzen für längere Zeit völlig aus. Diese Art von Reduktion in den Instrumentalstimmen ist eigentlich eher typisch für die Symphonik, wo bestimmte Instrumente mitunter lange Pausen haben, was in der Popmusik eher selten ist, bei Can vermutlich unbewußt jedoch von Irmin Schmidts klassischer Ausbildung herrührt. Sowohl im Rhythm'n Blues wie in der englischen Popmusik wird das Harmoniegerüst stets hierarchisch aufgebaut: Die Gitarre - seltener das Piano - gibt in der einfacheren Form die Harmonie vor, dies häufig als vollen Dreiklang. Der Baß ordnet sich dem unter. Er liefert häufig nur den Grundton. Spätere Varianten - besonders gern im Hardrock gesehen - sind bei den Gitarristen die Quint-Oktaven-Griffe, die die Terz des Akkordes wegläßt. Bei Can kultivierte Gitarrist Michael Karoli gerne die Single Notes, keine Akkorde, nur noch einzelne Noten, oder auch sogenannte ,,Double Stop Licks", zweistimmige Figuren, wie sie beispielsweise in dem Song ,,Future Days" zu hören sind und die stark ein afrikanisches Feeling haben. Karolis Solo- Sound klingt oft dünn, höhenlastig und gewollt ,,hässlich". Ein Kommentar von Duncan Farowell beschrieb Karolis Gitarrenspiel: ,,Michael spielt auf eine ganz merkwürdige spinnenartige und abgehackte Weise Gitarre, völlig anders als alle anderen."44

Karolis ,,Hässlichkeitsideal" in bezug auf seinen Gitarrensound entspricht der Gesang bei Can. Sowohl Damo Suzuki als auch Malcolm Mooney intonieren häufig falsch, singen absichtlich schräg45 und übernehmen nicht die melodieführende Aufgabe, die einem Sänger für gewöhnlich zufällt. Das passt auch ganz zudem, was Christian Kneisel zu dem Gesang der Krautrockbands sagt: ,,Das Ausdrucksregister der menschlichen Stimme reichte vom aufgeregten Flüstern über lustvolles Stöhnen bis zum hysterischen Schrei. Dieses Klangmaterial unterstrich eher rhythmische als melodisch- harmonische Vorgänge".46 Zu Cans Textphilosophie ebenso passend: ,,Texte waren kaum noch gefragt.47... Wortfetzen, Einzelvokale und Satzfragmente waren improvisiert."48 Man kann so etwas genialen Dilettantismus charakterisieren, der sich bewusst von internationalen professionalen Standards distanziert. Es hat einen Anflug von kindlicher Verspieltheit, der Can insgesamt auch charakterisiert und was dennoch wieder zu den Beatles von 1966 zurückführt: ,,When I was a boy, everything was right."49

Da Can nicht in die angloamerikanische Poptradition einbezogen sind, machten sie sich auch gerne andere Stile der U-Musik als Einflüsse zu Nutze als die Stile, die den angloamerikanischen Bands den Weg wiesen. So ist der Song "Tango Whiskeyman" zunächst im Tango-Rhythmus gehalten. Dann leitet Schlagzeuger Jaki Liebezeit in einen raffinierten 4/4-Takt über, der rhythmisch sehr stark von den präzisen Ghost-Schlägen auf der Snare Drum lebt.

Wenn Paul Alessandri Can attestiert, dass sie sich ,,allen Konzepten des bürgerlichen Mittelstands, die den Rock prägen"50 widersetzt, klingt das für meine Ohren zwar etwas üppig, da ich den Möglichkeiten einer Revolutionierung der Gesellschaft durch Rockmusik eher skeptisch gegenüber stehe51.

Fraglos jedoch trifft Alessandris Charakterisierung insofern zu, als dass die Can- Musik weitestgehend außerhalb der etablierten Apparatur der kommerziellen Unterhaltungsindustrie entstanden ist. Besonders der Bereich des Aufnahmevorgangs im Studio, des Ausformen ihrer musikalischen Ideen war nicht einflussreiche n ,,Professionals" ausgesetzt.

Über das Verhältnis der deutschen Rockmusiker zur Studiotechnik schreibt Pascal Bussy: ,,...Dadurch entstand ein Musikertypus der sehr technisch orientiert dachte und bewusst die Kluft zwischen dem Musiker und dem Studio überbrückte. Das führte zwangsläufig dazu, dass sich Bands ihre eigenen Aufnahmestudios einrichteten oder zumindest die Grundlagen schufen, die davon abgesehen auch als eigene kreative Werkzeuge eingesetzt werden konnten. Für britische und amerikanische Gruppen war eine Plattenproduktion ein Vorgang, bei dem man zuerst eine Menge Songs zu schreiben und danach für etliche Tage oder Wochen ein kommerzielles Studio zu buchen hatte, um sie dort aufzunehmen. Can jedoch konnten inzwischen durch das eigene Plattenstudio die Kontrolle über ihren Arbeitsprozeß in vollen Zügen genießen, was fast so viele Vorteile bot wie eine eigene Werkstatt oder kleine Fabrik, in der man ständig an neuen Ideen arbeiten und diese weiterentwickeln konnte."52

Was den Gesang oder den Gitarrensound anbelangt vertreten Can sozusagen eine Art Anti- Schönheitsideal. In bezug auf Formvollendung versus Vitalität entschieden sich Can für die Vitalität, was schließlich Ende der Siebziger Jahre von den Punk- und New Wavegruppen als Phliosophie aufgegriffen wurde.

Darüber hinaus wiedersetzen sich Can einem linearen Leistungsprinzip der Musikbranche: Wo Rock- und insbesondere Jazzinterpreten in den Siebziger Jahren sich stets gegenseitig in puncto instrumentaler Virtuosität zu übertreffen suchten, führen Can das Gegenteil vor. Hier scheint Alessandris Bemerkung ebenfalls zuzutreffen: Dieses Leistungsprinzip in der Musik entspricht dem Leistungsdenken unserer Gesellschaft; Can kehren es ins Gegenteil um. Bassist Holger Czukay betont zum Beispiel gerne seine technische Begrenztheit. So ist er in "Mushroom" teilweise nur mit ganztaktigen Liegetönen zu hören. Im Gegensatz dazu züchteten viele andere Bassisten in den Siebziger Jahren im Fusion-Jazz-Bereich, aber auch im Rock Jack Bruce, Hugh Hopper von den Psychedelic-Jazzern Soft Machine, Rick Laird von John McLaughlin/ Mahavishnu Orchestra, Eberhard Weber und erst recht Percy Jones, Stanley Clarke und ganz besonders der 1987 verstorbene Jaco Pastorius eine virtuoses Schnelligkeitsideal, das bei Can überhaupt nicht angestrebt wird.

Die Monotonie der frühen Can-Aufnahmen pflegt eine Ästhetik des Maschinenhaften, die besonders Bassist Holger Czukay später auch auf seinen Soloprojekten weiterführte.

Cans respektive Czukays Motto: "Wenn du dich in das `Leben' einer Maschine einfühlen kannst, dann bist du definitiv ein Meister."53 Im nächsten Abschnitt über Kraftwerk mehr über die Variation Mensch-Maschine...

3.1.4. Im Spiegel der Kritik

Interessanterweise fielen Can im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen der sogenannten progressiven Popfraktion nicht in Ungnade der Punk/ New Wave- Ausrichtung ab 1976. Die Punks verstanden sich als Kritiker des Rockestablishments, zu denen eben gerade auch die artifiziellerer ausgerichteten Progressive Rocker gehörten, deren Musik den Punks zu gekünstelt war. Cans Vitalität und die karge Einfachheit ihrer Musik in Bezug auf Technikaufwand und Harmonieführung/ Arrangements, die bewußt eingesetzte Häßlichkeit (in Bezug auf Gesang und Instrumentalsounds), der Undergroundstatus einer Insiderband waren gerade im Kreis der New Wave- Bands ein Vorbild. So erwähnt Pascal Bussy die Stranglers, Cabaret Voltaire und die Talking Heads (mit denen Can das ethnisch angehauchte Feeling verbindet) als Beispiele für Bands, die von den Kölnern beeinflußt wurden.

Interessant ist auch, dass Can durch den Verzicht auf aufgesetzte Anspielungen auf die Bildungsmusik - wie sie viele englische Bands häufig praktizierten - sich die Sympathie von Musikjournalisten stets erhielten, die sowohl national als auch international allgemein das Schaffen Cans mit größter Neugierde verfolgten.

Davon zeugt auch der Lexikon- Artikel bei Barry Graves/ Siegfred Schmidt- Joos. Hier wird die Originalität Cans unterstrichen: ,,...Irmin Schmidt wirkte als Theaterkapellmeister ... und entwickelte aus dieser formalen Schulung ökonomische Rockstrukturen."54 Womit ich wieder bei der absichtlich inszenierten Kargheit ihrer Arrangements bin, z. B. dem Verzicht auf ein durchgehendes Harmonieinstrument und der polyphonen Denkweise, die eher für die Symphonik als für eine Popband typisch ist. Der Melody Maker wird hier zitiert, Can seien ,,jedem britischen Ensemble weit vorraus".55

3.2. Kraftwerk

3.2.1. Geschichte

Die Düsseldorfer Formation Kraftwerk formierte sich 1970 zunächst unter dem Namen "Organisation", die von den beiden Hauptakteuren Kraftwerks - Ralf Hütter und Florian Schneider-Ersleben - betrieben wurde.

Zunächst im Stile einer psychedelischen Rockband aufgezogen konzentrierte sich das Kernduo Hütter/Schneider im Laufe Zeit auf ein ausschließlich auf elektronischem Instrumentarium basierendem Bandkonzept, das den Moog Synthesizer und die noch sehr jungen elektronischen Rhythmusmaschinen in den Mittelpunkt rückten.

Anfänglich noch mit akustischem Schlagzeug, elektronisch verfremdeten Flötenklängen und Farfisa Orgel (dieses kleinere Gegenstück zur Hammond Orgel war in dem psychedelisch Endsechziger-Rock ein Klassiker) experimentierend arbeiten Kraftwerk mit kinderliedhaften Melodien und Kanonsetzweisen.

Ihren Stil fand die Band, als sie das Schlagzeug durch elektronische Sequenzen ersetzten. Repititive Tonfolgen und minimalistische, schlagwortartige Textfetzen sind eindeutige Merkmale ihrer Songs wie bei ihrer ersten erfolgreichen Single "Autobahn", die zu den wenigen Beispielen eines Chart-Erfolgs einer deutschsprachigen Band in den USA gehört. Zeitgleich mit Tangerine Dream entdeckten Kraftwerk die Möglichkeiten des Synthesizers. Ebenso wie Tangerine Dream waren sie eine der ersten Bands, die elektronische Sequenzen einsetzten. Hierbei wiederholte der Synthesizer endlos eine programmierte Melodiefloskel, die als rhytmische Grundlage für die Musik genommen wurde.

Ähnlich wie Can ist der Gesang bei Kraftwerk auffallend kunstlos sowohl in Bezug auf stimmlichen Umfang wie auf modulatorische Möglichkeiten. Kraftwerk sind insofern ein Phänomen, als daß sie anders als die angloamerikanisch ausgelegten Tangerine Dream und Can in puncto Bandnamen, Songtitel und größtenteils Songtexten selbst ihre deutsche Identität betonen. In ihren Songtiteln spiegeln sich Gegenstände aus dem Alltag moderner westlicher Ind ustrienationen wie eben der Bundesrepublik selber wieder: Der Technologie- Aspekt ist allgegenwärtig bei "Autobahn", "Radioaktivität" oder "Roboter". Ganz im Gegensatz zu den englischen Kollegen von Pink Floyd, die in ihrem Song "Welcome To The Machine" von 1975 eine pathetische sozialkritische Botschaft transportieren, die musikalisch von einem pulsgebenden VCS 3- Synthesizer ganz vergleichbar mit Kraftwerk umgesetzt wird, bleiben Kraftwerk in ihren Beschreibungen eines technologischen Industriealltags im Schwebezustand einer süffisanten Ironie, die zunächst neutral die Erscheinungen der modernen Alltagswelt einfach nur beschreibt, aber immerhin thematisiert, zugleich aber zunächst nicht bewertet. In der Tat wußte das Publikum nie, wie sie Kraftwerk - Songs interpretieren sollte.

Kraftwerk schafften einfach zunächst nur das Bewußtsein in einer Industriewelt zu leben. In Bezug auf ihren ,,subkulturellen" Habitus fällt bei Kraftwerk ins Gewicht, dass sie eindeutig die Abkehr vom Hippie- Image vollzogen: Die Band präsentierte sich seriös in addretten Anzügen und Kurzhaarschnitten.

Ähnlich wie bei den Beatles mit ihren Anklängen an die musique concrete erzeugen Kraftwerk ebenfalls eine Art Deja Vu- Effekt gegenüber schon länger zurückliegenden Entwicklungen in der E- Musik. Kraftwerks Idee, Maschinenklänge in Musik umzuwandeln findet seinen Vorläufer bereits bei dem italienischen Komponisten Luigi Russolo und seinem Bruitismus, der Geräuschmusik, die dieser schon 1913. Ebenso dachte sein Landsmann Francesco Balilla Pratella, dessen künstlerisches Anliegen von Günther Batel und Dieter Salbert folgendermaßen skizziert wird: ,,Die von den Maschinen ausgehenden Geräusche verkörperten für Russolo einen musikalisch- ästhetischen Wert , der ihm bedeutsam genug erschien, um den Fortbestand der gesamten Tonkunst zu gewährleisten."56 Dieser Satz könnte so lückenlos für Kraftwerk als musikalisches Manifest übertragbar sein.

Das neue Rocklexikon von Graves/ Schmidt- Joos zitiert die Band bei der Beschreibung ihrer Musik als würden sie physikalische Parameter oder maschinelle Anweisungen für Synthesizermodule aufzählen: ,,...strukturiert ist unsere Musik folgendermaßen: rauf/ runter, vor/ zurück, schnell/ langsam, laut/ leise, linear/ vertikal, weich/ hart, verdichtet/ geöffnet, schön/ häßlich, dunkel/ hell."57

Selbiger Artikel stellt Kraftwerk eher in eine Tradition der Bildenden Künste als der Popmusik: ,,Kraftwerk bezog seine Inspiration von den Konstruktivisten der Bauhaus- Ära (Maschinen- Künstler Lissitzky)..."

3.2.2. Die Songs

Von meinen drei vorgestellten Bands liefern eigentlich nur Kraftwerk « Songs » im eigentlichen Sinne des Wortes: Wir finden hier alles, was ein Popsong braucht : Text, Strophe, Refrain und ein durchgehender Beat. Tangerine Dream und Can hingegen produzieren eher Klangbilder, endlose Improvisationen, der Text hat nur marginale Bedeutung, dient nur zur Lautreproduktion beim Sänger (Can) oder fehlt ganz (Tangerine Dream).

Wenn ich bei Jimi Hendrix' Klassiker ,,Hey Joe" und Cream ,,Sunshine Of Your Love" schon für Songaufbau und Harmonik den Begriff des harmonischen Ostinatos eingeführt habe, so ist diese Form bei fast allen Kraftwerksongs anzutreffen.

Erstes Beispiel für einen Kraftwerksong soll ,,Radioaktivität" aus dem Jahr 1975 sein.

Radioaktivität58

Form: Intro - A'- A- B - A - B -A/Coda fade out

Intro: pulsierendes Signal vom Rauschgenerator, das schrittweise in pulsierende Basstöne vom Moog Synthesizer übergeht, paralleles Einsetzen eines Mellotronchores und Morsesignalen

Überleitung zur ersten Strophe (A'): Synthesizer spielt ständig wiederkehrendes Melodiemotiv im Wechsel mit Rauschgeneratorsignalen

Harmoniefolge: Am F Am F

Erste Strophe (A):

Gesungener Teil wie Überleitung zur Strophe: Wiederkehrendes Melodiemotiv Rauschgeneratorsignal jedoch durch Gesang ersetzt (englischer Text) Harmoniefolge Am F Am F Am F

Instrumentales Zwischenspiel (B):

Verschiedene Oszillatorgeräusche/Morsesignale Harmoniefolge C G

Zweite Strophe (A):

Wie erste Strophe, diesmal jedoch deutscher Text

Instrumentales Zwischenspiel (B):

Verschiedene Oszillatorgeräusche/Morsesignale Harmoniefolge C G

Dritte Strophe (zugleich Coda!) (A):

Wiederholung der ersten Strophe - englischer Text Fade Out

Wenn man Formteil A und Formteil B zu einer Gesamtabfolge zusammenfasst, erhalten wir wieder ein harmonisches Ostinato:

Am F Am F Am F C G

Eines ihrer bekanntesten Singles ist « Roboter » aus der LP « Mensch Maschine » aus dem Jahr 1978.

Roboter59

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wenn man Roboter als einen typischen Kraftwerksong ansehen möchte, dann gibt es zur progressiven Musik der Sechziger Jahre starke Parallelen: Die Harmonieabläufe sind einfach: In der Strophe Dm, Bbm, Gm, in der Bridge (nicht vergleichbar mit der einmalig erscheinenden Bridge in den Beatlessongs) Am, so das wir wieder überwiegend ostinate Abläufe erhalten. Die Harmoniefiguren auf den Synthesizern werden mit einem auf- und abschwellendem Filter behandelt. Vergleichbar dem Wah- Wah- Pedal der Gitarristen. Also wieder eine Ausgestaltung des musikalischen Materials durch die Klangfarbe.

Jedoch haben sie hier einen regelmäßigen maschinenhaften Charakter.

Wenn ich im Kapitel über die Harmonik der progressiven angloamerikanischen Bands vonder Möglichkeit modaler Harmonik geredet habe, so finden wir hier skurilerweise ein Beispiel dafür: Dm, Bbm und Gm haben keinen funktionalen Zusammenhang. Die Akkorde stehen da wie monolitische Blöcke, starr und unbeweglich. Oder man kann es auch so sehen: Jede einzelne Harmonie steht als einzelner Klang da, ohne einem funktionalen Zusammenhang untergeordnet zu werden, ganz im Sinne des englischen Progressiverock von 1967.

Das dabei so etwas rundes wie eine Dur-Dominante in der D-moll-Tonart fehlt versteht sich von selbst. Es soll eben das Maschinelle am Roboter dargestellt werden.

3.2.3. Im Spiegel der Kritik

Ähnlich wie die noch zu besprechenden Tangerine Dream wurde Kraftwerk im Ausland mehr Interesse entgegengebracht als in der Bundesrepublik.

Der Spiegel sah in ihrer Musik ,,Futuristenkitsch"60 und die Frankfurter Allgemeine Zeitung reagierte auf eine Bemerkung von Kraftwerks, Gitarren seien Instrumente aus dem Mittelalter, mit der Bemerkung ,,Geschichtslos", eine Art kulturkonservative Haltung, die alles Neue verdammt, könnte man gegenhalten. Der ,,New Musical Express" hingegen attestierte Kraftwerk: ,,Sie haben die Seele der modernen Maschinen gefunden und mit einer Humanität ausgestattet, die den meisten ihrer Imitatoren verborgen geblieben ist eine der außergewöhnlichs ten Gruppen, die je zu Popruhm gelangte."61

Letzten Endes sind es aber auch internationale Musikerkollegen, die Kraftwerk ihren Respekt erwiesen wie David Bowie und ganz besonders die englische Elektropband Human League.Besonders die Sample- Freaks der Achtziger und Neunziger Jahre imitierten Kraftwerk gerne, im Falle Afrika Bambataas mit ihrem ,,Planet Rock" allerdings soweit, dass es zu einem urheberrechtlichen Gerichtsverfahren kam.62

3.3. Tangerine Dream

3.3.1. Geschichte

Tangerine Dream wären als dritte Formation der Krautrockära von internationaler Relevanz zu nennen.

1968 in Berlin gegründet trieben Tangerine Dream zusammen mit Kraftwerk die deutsche Domäne der populären elektronischen Musik voran. Im Gegensatz zu Kraftwerk und ihrem dadaistischen Wortwitz verfolgten Tangerine Dream ein fast ausschließlich instrumentales Konzept.

Tangerine Dream wollten mit ihren frei assozierten Klangbildern ihre Zuhörer zu unbestimmten Phantasiereisen anregen.

Sie entstanden in einer Szene, die Ende der Sechziger Jahre in Deutschland die englischen Psychedelic Events kopierten, wie sie im Londoner Roundhouse oder dem UFO von Pink Floyd, Soft Machine und Tomorrow initiiert wurden.

Edgar Froese - einziges konstantes Bandmitglied - tat sich mit Musikern zusammen, die für Rock so ungewöhnliche Instrumente wie Cello, Geige und Flöte einbrachten.

Die Band gehörte zum Dunstkreis des Avantgardekomponisten Thomas Kessler, der junge deutsche Rockmusiker in die Techniken der Neuen Musik einführte.

Rolf Ulrich Kaiser - ein wichtiger Impresario des Krautrocks - wurde aufmerksam auf die Band und verschaffte ihr einen Plattenvertrag bei seinem neu initiierten ,,Ohr"- Label. 1970 erschien ihr erstes Album, das Edgar Froese mit dem Schlagzeuger und späteren Elektroniktüftler Klaus Schulze und dem Geiger und Cellist Konrad Schnitzler zusammen realisierte: ,,Electronic Meditation"63 enthielt bizarren Free-Rock64, bei dem Ähnlichkeiten mit dem kosmischen Free Jazz von Sun Ra auszumachen waren.65 Die Band experimentierte mit den Klängen von Haushaltsgegenständen, die aufnahmetechnisch manipuliert wurden, und frei improvisierter Instrumentalmusik.

Das, was der Albumtitel versprach, wurde jedoch erst auf künftigen Alben realisiert: Die Band begann schrittweise sich mit den Möglichkeiten des Synthesizers zu beschäftigen und etablierte sich als Cosmic Rock Act.

Noch im selben Jahr initierte die Band eine Performance, bei der sie Einflüsse des Avantgarde-Komponisten John Cage und ihrer Rock-Idole The Who verarbeiteten: Angelehnt an die Rock-Oper ,,Tommy" installierten sie sechs Flippermaschinen, die über Kontaktmikrophone über die Verstärkeranlagen verfremdet wurden und den Musikern als Improvisationsgrundlage lieferten, was vom Österreichischen Fernsehen aufgezeichnet wurde. Der kosmische, quasi-religiöse Aspekt fand auf dem kommenden Album ,,Alpha Centauri" seinen Niederschlag. Inzwischen hatten der Keyboarder und Perkussionist Christoph Franke und der zusätzliche Organist Steve Schroyder die ausgeschiedenen Schnitzler und Schulze ersetzt. Die sich aneinanderreibenden Instrumentalstimmen auf dem Debütalbum und die Präsenz des Schlagzeugs wichen fortan ausgeglichenen Klangflächen.

Zunächst vergleichbar mit den Pink Floyd der Ära "A Saucerful Of Secrets", "More" und "Ummagumma" entwarfen die Berliner auf den folgenden drei LPs sphärische, sich ganz langsam wandelnde Klanggebilde ohne jeglichen Anflug von traditionellen Rock'n Roll- Grooves.

1973 - nach der LP ,,Atem" - wechselte das Ensemble zum neu eröffneten englischen Label Virgin, das Tangerine Dream in Zukunft auch in England ein besseres Forum verschaffte als in der eigenen Heimat. So zeigte sich der englische DJ John Peel begeistert von ,,Atem" und das erste Album beim neuen Label wurde prompt in den englischen Charts auf Platz zwölf notiert.

,,Phaedra" - ihr Virgin Debüt - demonstrierte den avancierten Umgang mit ihrem wachsenden Synthesizer - Arsenal.

Diese Sequenzen, über die die restlichen Instrumente frei ihr Stimmengewebe oder geräuschhafte Klangereignisse aufb auen konnten, wurden Tangerine Dreams Markenzeichen. Gemeinsame Auftritte mit der ehemaligen Velvet Underground - Chanteuse Nico und Kontakte mit David Bowie verdeutlichten die Anerkennung in der angloamerikanischen Rockwelt.

Wegen ihrer Fähigkeit musikalische Stimmungsbilder zu bauen, bekamen Tangerine Dream häufig Aufträge für Filmmusiken, so etwa 1977 für den William Friedkin Film "The Sorcerer".

Zu Beginn der Achtziger Jahre begannen Tangerine Dream ihren experimentiellen Stil stärker in Richtung Mainstream Pop zu entwickeln. Der esoterische Reiz ihrer früheren Aufnahmen verflachte damit etwas.

Die wohl wichtigste Besetzung in ihrer wohl einflussreichsten Zeit von 1972 bis 1977 war:

Edgar Froese - Gitarre, Mellotron, Orgel, Synthesizer, Piano;

Christoph Franke - Synthesizer, Sequencer, Perkussion;

Peter Baumann - Synthesizer, Sequencer, Piano

Angetrieben von der anarchaischen künstlerischen Vision Salvador Dalis strebte der ehemalige Kunststudent Edgar Froese ein Bandkonzept an, das sich von herkömmlichen Konzepten unterscheiden sollte.

Mit dem vorher schon banderfahrenen Froese hatten Tangerine Dream das psychedelische Rockelement der späten Sechziger Jahre in der Band, was schon alleine in Froeses Instrumentenkombination deutlich wurde: E-Gitarre und Mellotron. Das Mellotron ist eine Art Vorläufer der modernen Samplingtechnologie.66 Dieses Tasteninstrument, das besonders bei den Beatles der "Magical Mystery Tour" -Ära um 1967 zu Berühmtheit gelangte, konnte auf Tonbandschlaufen gespeicherte orchestrale Klänge erzeugen, die gerade durch die aufnahmetechnischen Mängel des Geräts eine beliebte charakteristische Färbung erhielten. Christoph Franke hingegen hatte eher einen klassischen Hintergrund und erwies sich als äußerst kompetent im Umgang mit Elektronik.

Peter Baumann galt als der Experimentator in dem Trio.

3.3.2. Tangerine Dream - Soundvorstellungen, Kompositorisches, Arrangements und Equipment

3.3.2.1. Die Depersonalisierung des Instrumentalklangs: Der Weg weg vom Rock'n Roll hin zur zeitgenössischen Musik

Tangerine Dream führten etwas weiter, was Pink Floyd von Anfang an charakterisierte. Als die Engländer 1965/1966 zum ersten Mal live auftraten, verblüfften sie das Publikum damit, dass sie nicht Songs, sondern Klänge spielten. Die Zuhörer hörten Sounds, die sie nicht eindeutig einem Instrument zuordnen konnten.67

Pink Floyd nutzten dabei nur die elektronischen Möglichkeiten, die sich ihnen Mitte der

Sechziger Jahre boten. Mit Verstärkertechnik - und dem Experiment mit Feedback - und den Bodeneffekten erzeugten sie etwas, was man als Verfremdung von Instrumentalklängen bezeichnet. Ich möchte es bildhaft gesprochen als Depersonalisierung der Instrumentalklänge bezeichnen.

Bei Tangerine Dream war diese Art von Depersonalisierung der Instrumentalklänge ein Prozeß, der sich zwischen dem ersten Album Electronic Meditation und seinem Nachfolger Alpha Centauri vollzog. Sind auf dem Debütalbum noch viele akustische Instrumente wie Cello, Geige und Flöte zu hören nebst den klassischen Rock'n Roll-Instrumenten wie E- Gitarre und Schlagzeug, so weichen diese präsenten Instrumentalklänge auf Alpha Centauri sphärischen Klangflächen, ein Klangideal, in das alle Instrumente einbezogen werden. So werden Schlaginstrumente nicht etwa rhythmisch - perkussiv, sondern als Klangeffekt eingesetzt. So zum Beispiel die stark durch Echo und Hall - Effekte verfremdeten Paukenklänge in ,,Fly And Collision Of Comas Sola"68 oder das wirkungsvolle Intro der Beckenklänge - mit weichen Filzschlegeln gespielt - im Titelstück der ,,Alpha Centauri"- LP. Dasselbe geschieht mit elektrischen Gitarren: Chorartige, sphärische Klänge werden erzielt durch Benutzung eines Bottlenecks, das hierbei nicht mit der Greifhand, sondern der Schlaghand gespielt wird, womit der Ton nicht durch Anschlagen, sondern durch rotierende Bewegungen des Bottlenecks auf den Saiten erzielt werden .69

Diese ,,Depersonalisierung" des Instrumentalklanges führt uns wieder in die Neue Musik: Zu dem Film Stanley Kubricks ,,Space Odyssee 2001" wurde Musik des ungarischen Komponisten Györgi Ligetis verwendet. Besonders die Komposition ,,Atmosphéres" stach dabei hervor: Ligeti ließ ein Symphonieorchester geräuschhafte Klangbilder von sphärischem Charakter entwerfen , die dem Klangideal der psychedelischen Rockmusik sehr nahe kamen. Ein ungeübter Hörer kann durchaus bei ,,Atmosphéres" fälschlicherweise auf eine rein elektronisch erzeugte Musik schließen.70

Der klassisch vorgebildete Christoph Franke, der auf ,,Alpha Centauri" neu zur Band gestoßen war, ist nach Paul Stumps Biographie die Schlüsselfigur von Tangerine Dreams Entwicklung hin zur ,,seriösen" elektronischen Musik.

Franke führte den rockorientierten Froese an den ungarischen Komponisten heran. Dieser ,,europäische" Aspekt revolutionierte im Folgenden ihre Musik von den Free Rock- orientierten Stücken ihres Debütalbums hin zu streng geplanten Strukturen.

Ligeti gehört zu den Komponisten, die in den Fünfziger Jahre in der Wechselwirkung mit der elektronischen Musik standen. Versuchte Karl Heinz Stockhausen im Experiment mit Sinusgeneratoren und unter Einbeziehung moderner Studiotechnik eine nur als Tonbandaufnahme vorhandene Musik zu schaffen, hatte Ligeti den Ehrgeiz extreme Klangvorstellungen mit dem herkömmlichen Orchester-Instrumentarium zu realisieren.71 Etwas, was der livemusikalischen Praxis einer Rockband fraglos eher entgegen kam. Franke gab Ligeti den Vorzug gegenüber Stockhausen, den er als ,,kalt" und ,,mechanisch" kritisierte.72

In Ligetis Kompositionen verbindet sich Atonalität mit der freien Gestaltung von dem Ordnungsfaktor Metrum und Rhythmus in Bezug auf die einzelnen Instrumentalstimmen. Die Instrumente scheinen willkürlich und zufällig ihre Melodien zu entfalten. Ligetis Klangbilder erinnern dabei an akustische Zufallsereignisse, wie sie in der Natur vorkommen. Dabei ist der metrische Ordnungsfaktor häufig dennoch praesent - der Eindruck seiner freien Ausgestaltung entsteht durch unterschiedliche Tempoangaben für die einzelnen Stimmen.

Seit ,,Alpha Centauri" kreierten Tangerine Dream Musik, in der der Ordnungsfaktor Rhythmus eliminiert zu sein scheint. Auch die Tonalität ist sehr schwebend bei ,,Alpha Centauri": Ein Bordun wird zu Beginn eines Stücks zumeist von der Orgel gelegt. Darüber bauen sich Töne auf, deren harmonischer Zusammenklang mit dem Bordun keine klaren funktionalen Zusammenhänge erkennen lässt: Ein Tritonus ist zu hören, eine Dur-Terz, aber auch eine Moll- Terz.

In Ligetis ,,Lux Aeterna" baut eine Frauenstimme zu Beginn auch etwas vergleichbares wie ein Bordun auf, eine zweite Stimme bewegt sich dazu in der Wechselwirkung von Konsonanz und Dissonanz.

Bloß ist es nicht Ligetis Absicht, die erste Frauenstimme als Bordun liegen zu lassen. Tangerine Dream hingegen behalten in ihrem ,,Circulation Of Events" den Bordun für die Dauer des gesamten Stücks bei.

Selbiges gilt für die langen Titel-Suiten der LPs ,,Atem" und das bereits besprochene ,,Alpha Centauri".

Die Alben auf dem ,,Ohr" -Label haben ähnlich wie die frühen Pink Floyd -Platten einen gewissen Reiz in Bezug auf die deutliche Beschränkung des elektronischen Instrumentariums und dem daraus folgenden Zwang für die Band eigene kreativen Wege zu beschreiten. Bis zum Übertritt Tangerine Dreams zum englischen Virgin-Label gehörte nur der V.C.S.3 Synthesizer zum festen Bestandteil der Band - und seine Einsatzmöglichkeiten waren noch sehr beschränkt. In so einem Konzept steht die elektronische Manipulation bereits vorhandener (Instrumental-)Klänge im Vordergrund. Eine Band muß sich Gedanken machen, wie sie Wah-Wah-, Phasing-, Hall- und Echoeffekte, Verzerrer und Klangfilter einsetzt, um aus dem akustischen Rohmaterial wie E-Gitarre, Orgel oder Geräuschbänder interessante Klänge zu erzeugen. Wie vie l weniger kreative Energie erfordert es, mit hochentwickelten elektronischen Keyboards und Synthesizern bereits fertige Klangresultate abzurufen. Der Depersonalisierungs- Effekt führt uns wieder zum Synthesizerkapitel zurück

Im Folgenden ein Versuch von mir, ein Stück von Tangerine Dream skizzenhaft festzuhalten, bei dem der Ordnungsfaktor Metrum nicht erkennbar ist.

Alpha Centauri73

Im Gegensatz zu vergleichbaren Stücken von den frühen Pink Floyd hatten Tangerine Dream häufig bessere Aufnahmebedingungen im Studio. So haben sie die Möglichkeit mit der räumlichen Perspektive von Klängen zu spielen.

Verfremdete Gitarrenklänge scheinen häufig aus dem Hintergrund zu kommen.

Soloinstrumente wie die Flöte werden dadurch zu Hintergrundinstrumenten. Beides paßt wieder in das Bild der Depersonalisierung von Instrumentalklängen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Alpha Centauri ist für die Musik Tangerine Dreams von 1971 bis Anfang 1973 ein relativ typisches Stück: Das klassische rhythmische Rückgrat wie Bass und Schlagzeug fehlt und ist in ihrer Musik langsam sich wandelnden Klangflächen gewichen, bei denen kein Metrum zu erkennen ist.

Als gelungen würde ich das Intro bezeichnen: Das Stück wird eingeleitet von Becken, die mit weichen Filzschlä geln geschlagen wird. Aus dem Hintergrund sind sehr leise Flöten- und E- Gitarrenklänge zu hören, die sich so in den Klang der Becken einfügen, dass man sie versehentlich mit Obertönen aus dem Beckenklang verwechseln könnte. Als wieder ein Phänomem der Wahr nehmung zwischen Illusion und Halluzination. Eine Orgel gibt ein Bordun vor, über das die Flöte in G-mixolydisch improvisiert. Eine weitere Orgel scheint wechselweise einzelne der natürlichen Obertöne über diesem Bordun aufzunehmen. Dadurch entsteht ein sphärischer Charakter.

Das Stück wird zu einer surrealen Klangreise, bei dem der Hörer durch sich langsam entwickelnde akustische Ereignisse geführt wird, bei dem die Grenze zwischen Naturgeräuschen und Musikinstrumenten, zwischen tonal willkürlichem und tonal geordnetem Klangmaterial verschwimmt.

Die englische Gruppe Jade Warrior realisierte Mitte der Siebziger Jahre sehr ähnliche Konzepte. Allerdings füllten sie die abstrakten Strukturen Tangerine Dreams wieder deutlich stärker mit lebendiger Instrumentalmusik zwischen Rock, Jazz und Folk.

Erst zum Ende von ,,Alpha Centauri" gewinnt akkordische Ordnung durch die Orgel Oberhand.

Das Album Atem führt diesen Prozess weiter.

Fauni-Gena74

Das Stück ,,Fauni -Gena" beginnt mit einer Klangcollage von Vogelstimmen. Edgar Froese spielt hier zum ersten Mal ein Mellotron. Er spielt darauf eine Flötenstimme, zu der sich im Verlauf eine zweite Flötenstimme gesellt.

Die Naturgeräusche beginnen mit der Instrumentalmusik zu verschwimmen. Surreale Effekte entstehen dadurch , dass die Tierstimmen elektronisch bearbeitet werden. Dabei wird die Hüllkurve des Signals förmlich ,,abgerissen". Das akustisch Signal endet dadurch, bevor es natürlich ausklingen kann, abrupt und verschwindet in ein akustisches Nichts. Darüber hinaus sind die Tierstimmen durch Änderung der Bandgeschwindigkeit so in der Tonhöhe verändert, dass sie sich tonal in die Mellotronharmonien einfügen. Darin erinnert ,,Fauni- Gena" an ,,Cirrus Minor" von Pink Floyd75, dessen Coda ähnlich Naturgeräusche und Orgelklänge verschmilzt.

Edgar Froese verwendet interessanterweise das Mellotron hier mehr als Melodieinstrument: Die imitierten Flötenklänge sind meistens nur ein- oder zweistimmig. Englische Kollegen der 1967er Psychedelic- Ära wußten das Mellotron meist nur als Harmonieinstrument einzusetzen.

Es fällt hier einmal mehr auf, dass die Musik Tangerine Dreams weniger akkordisch als polyphon gestaltet ist.

Die englische Psychedelic- Musik schimmert bei diesen frühen Alben durch. Und außerdem Learys psychedelisch gefärbte Wahrnehmung, denn die Tonbewegungen bei Tangerine Dream sind auf diesen frühen Alben zeitlupenhaft: Insbesondere in dem Stück ,,Circulation Of Events" legen sich über ein permanentes Orgel- Bordun wechselweise konsonante und dissonante Intervalle, die uns noch einmal Learys Zitat lebendig werden lassen: ,,Dann, Jahrhunderte später, kommt die zweite Note der Sonate , und wieder treibt man jahrhundertelang langsam die beiden Noten herum, beobachtet die Harmonie und Dissonanzen und meditiert über die Musikgeschichte".

Interessanterweise verließ die Band diese surrealen Album- Konzepte fast zeitgleich mit dem Wechsel von dem deutschen ,,Ohr" - Label zu dem englischen Label Virgin. Die Band hatte nun mehr Möglichkeiten in besser ausgestatteten Studios und konnte sich finanziell nun auch einen vertieften Einstieg in die moderne Synthesizertechnologie erlauben.

3.3.2.2. Umgang mit der neuen Synthesizer- Elektronik

Ihren eigenen Stil schufen sie zusehends mit dem Anwachsen ihres Synthesizer-Equipments und ihrem eigenständigen Umgang mit der Elektronik, der so nicht vergleichbar mit den englischen Vorbildern war.

Zeitgleich Anfang 1972 erwarben Tangerine Dream und Pink Floyd einer der ersten erschwinglichen Synthesizer, den V.C.S. 376 der englischen Firma EMS. Dieses Gerät lieferte futuristische Sounds, wurde aber im Laufe der Jahre eindeutig von den Modellen der beiden amerikanischen Hersteller Moog und ARP verdrängt, da diese Synthesizer melodisch mehr Möglichkeiten boten und im Falle der ARP-Modelle über eine deutlich größere Stimmstabilität verfügten.77

Tangerine Dream nutzten die Möglichkeiten dieses Synthesizers herkömmliche Klänge, insbesondere Naturgeräusche, elektronisch zu manipulieren.78

Auf Pink Floyds "The Dark Side Of The Moon" wird eine Variante des V.C.S. 3 - dem Synthie AKS mit eingebautem Sequencer79 - in dem Stück "On The Run" eingesetzt. Er produziert hier maschinenhaft sequenzierende Arpeggio-Läufe. Die Urversion von diesem Effekt ist 1971 auf der LP ,,Who's Next"80 von The Who zu hören, wo der V.C.S. 3 konventionelle Hammond Orgel -Klänge mit einem rhythmischen Impuls ansteuert.81 Von Pink Floyd eher als Gimmick angesehen blieb mit Ausnahme von "Welcome To The Machine" der folgenden LP "Wish You Were Here" diese Art von Sequencing ein Ausnahmefall auf ihren Alben.

Tangerine Dream jedoch entdeckten darin ein Stilmittel für ihre Musik.

Christoph Franke konnte in Berlin in den Hansa Studios erste Übungen mit einem Moog Modular System machen und entdeckte dabei die Möglichkeiten des Sequencing, die Fähigkeit des Synthesizers bei entsprechender Verdrahtung seiner Module, einen ständig weiterlaufenden Rhythmus, ein permanentes Metrum zu produzieren - in Form von kurzen, sich stets wiederholenden Melodiefloskeln.82

Franke erwarb bald darauf selber ein Moog Modular System Typ 5583, als die Band beim Übertritt zum englischen Label Virgin sich besseres Equipment finanziell leisten konnte.

Als erste Band überhaupt entdeckten Ta ngerine Dream die Verwendung des bereits erwähnten Sequencings - in einer frühen Form - als musikalisches Gestaltungsmittel. Dieser in den Achtziger Jahren erst gängige Einsatzbereich der Synthesizertechnologie ermöglicht das Abspeichern kurzer Melodiepatterns, die dann beim Wiederabrufen automatisch ausgeführt werden.

Tangerine Dream betrieben einen kreativen Umgang mit diesen Sequenzen. Ein elektronischer Puls gab das Metrum dieser Sequenzen vor. Der klangerzeugende Synthesizer las eine Matrixkarte, auf der die Tonfolge vorgegeben war. Während dieser Vorgang umgesetzt wurde, konnten die Musiker variierend in diese Tonfolgen eingreifen oder von vornherein die Variationen in den Sequenzen vorprogrammieren.84

Diese Patterns gaben Strukturen vor, über die die Musiker mit E-Gitarre, Synthesizer und Perkussion vielschichtige Improvisationen aufbauten.

Ein gutes Beispiel für Patterns in der Musik Tangerine Dreams ist das Album "Riccochet", dessen gleichnamige Komposition sich über beide LP-Seiten erstreckt:

Riccochet Part 1

Ein Synthesizer spielt zunächst ein kurzes Bassintro, das zugleich das tonale Zentrum des Stücks "Riccochet" umkreist, indem es markante Stufen der Tonalität (C moll) einsetzt: I-VII- I-VII-IV-V

Dann setzt ein LFO ein, der zunächst einen Noisegenerator, dann jedoch einen sequenzierenden Synthesizer ansteuert.

Dieser Synthesizer spielt folgendes, sich stets wiederholendes Bassmotiv:

Darüber baut die E-Gitarre ein Thema auf, das ganz in der Art von der Minimal Music im Laufe der Wiederholungen leicht abgewandelt wird.

Dabei fällt erneut die Verwendung verschiedener Modi als musikalisches Stilmittel auf. In diesem Fall ist es der Wechsel von C äolisch zu C phrygisch.

Gegen Ende des ersten Teils wechselt das Tempo. Nun kommen schnellere Sequenzen zum Einsatz: Über das elektronisch produzierte Metrum legen sich teilweise monophone Melodiesequenzen, aber auch homo- wie polyphone Setzweisen. Jede einzelne Stimme wirkt dabei souverän und ordnet sich nicht einer akkordischen Setzweise unter. Die Melodiesequenzen werden manchmal varriert, abgeschnitten und mit legato gespielten Bögen überlagert. Letzteres wird wohl von manuell gespielten Synthesizern übernommen.

Riccochet Part 2

Das Stück beginnt mit einem Klavierintro, das leicht an die Musik von Erik Satie erinnert.85 Die Überleitung zu den elektronischen Sequenzen liefert ein Mellotron mit Flötenklängen. Darüber legen sich teilweise psychedelischee Gitarrentöne, die mit Pink Floyd vergleichbar sind. Im Mittelteil breiten sich über das Metrum nur geräuschhafte Klänge aus, die vergleichbar mit Kraftwerk einen maschinenhaften Charakter haben und in erster Linie von Rauschgeneratoren erzeugt werden.

Zum Schluß werden exakt die Sequenzen aus dem ersten Drittel des Zweiten Teils übernommen.

In der Coda ist ein Mellotron zu hören mit Aufnahmen von einem Männerchor.

In Günther Batel/ Dieter Salberts Buch ,,Synthesizermusik und Live- Elektronik" werden bei Tangerine Dreams Sequenzen Parallelen zur Minimal Music gezogen.86 Vergleichbar etwa mit Terry Rileys Minimal- Music-Komposition "In C"87 kreist dieses Stück - wie auch viele andere Stücke Tangerine Dreams eng um ein tonales Zentrum. Bei Terry Rileys "In C" ist dieses tonale Zentrum schon im Titel angesprochen. Im Gegensatz zu Rileys ,,In C" sind die Melodiebögen bei ,,Riccochet" weiter und leichter erkennbar. Die Patterns in ,,In C" hingegen haben höchstenfalls motivischen Charakter und ve rschwimmen durch ständige Überlagerung. Tangerine Dream klingen populärer und eingängiger.

Terry Riley gehört zur Hippie-Generation und verarbeitet Einflüsse aus der indischen Musik, womit sich der Kreis wieder schließt in bezug Christian Kneisels Bemerkung über die Affinität der Krautrockbands zu indischen Kulturen.

,,Riccochet" kann in bezug auf den Einsatz von Sequenzern und Synthesizern beim Produzieren von Klangmustern der Minimal Music als eine Pioniertat angesehen werden. Der Höreindruck ist dennoch frappierend ähnlich mit dem Intro und der Coda von ,,Outbloody Rageous" von dem dritten Album Soft Machines aus dem Jahr 1970. Hier sind ähnliche Patterns zu hören die eng um ein tonales Zentrum kreisen, jedoch nicht erzeugt von Sequenzern, sondern von sogenannten Tape Loops:

Hierbei wird auf ein Tonband ein Stück Musik aufgenommen, das ausgeschnitten und zu einer Rolle zusammengefügt wird. Diese Rolle kann nun endlos um den Tonkopf kreisen.

Steve Reich setzte schon in den Sechziger Jahren diesen Effekt bei seinem Stück ,,Come Out To Show Them" ein.

,,Riccochet" ist also als musikalisches Resultat betrachtet keine Neuheit, wohl jedoch in bezug auf den Weg, den dieses musikalische Resultat ging, nämlich in Form von elektronisch erzeugten Sequenzen.

Rub ycon (Part 1 und 2)

Das gleichnamige Album ist vielleicht ein Höhepunkt in Bezug auf die Vielfalt von Klängen in der Musik Tangerine Dreams.

Das Album beginnt mit glockenartigen Synthesizertönen, die durch Glissando tonal zunächst nicht einzuordnen sind, dann aber sich zu Akkorden der Streicherkeyboards verdichten, über die ein Synthesizer eine Legato- Melodie aufbaut. Die Melodie wird weitergeführt, die Harmonien weichen elektronischen Naturgeräuschimitationen. Dann setzen Bassmelodiesequenzen ein, die das rhythmische Rückgrat für die zweite Hälfte des ersten Teils legen. Dabei varieren die Sequenzen häufiger im Metrum zwischen Dreiviertel- und Viervierteltakt, was in Verbund mit der klanglichen Ausgestaltung der Sequenzen durch Veränderung der Klangfarbe und Beimischung von Rauschgeneratorsignalen fast den Eindruck einer afrikanischen Trommelmeditation erzeugt. Ferner legen Tangerine Dream interessante elektronische und verfremdete elektrische Klänge über die Sequenzen, wie ein rückwärts eingespieltes Kla vier und eine E-Gitarre, die durch einen Leslieverstärker manipuliert wird.

Stratospheres

In diesem Stück - wie auch auf der gleichnamigen LP- kommen wieder verstärkt konventionelle Instrumente zum Einsatz.

Eine E-Gitarre und akustische Gitarre spielen arpeggierte Läufe.

Dann aber dominieren wieder arpeggierte Läufe der Synthesizer. Ein Synthesizer baut über die Grundharmonie eine Melodie auf, die im Verlauf die Funktion eines Cantus Firmus übernimmt, zu dem ein weiterer Synthesizer eine homophone Melodie spielt. Edgar Froese soliert daraufhin mit seiner E-Gitarre und geht dann auf Akkordgitarre über. Er setzt zu der E-moll -Tonart auch die Dursubdominante (H-Dur) ein, was der Musik für Tangerine Dream-Verhältnisse ein runderen liedhaften, folkloristischen Charme gibt, was durch die tänzelnde Rhythmik noch verstärkt wird.

3.3.3. Tangerine Dream verglichen mit angloamerikanischen Bands

Bei dem Versuch Tangerine Dream der angloamerikanischen Popwelt gegenüberzustellen, sticht als Vergleichsmöglichkeit am ehesten Pink Floyd hervor.

Betrachtet man isoliert einzelne Stücke der beiden Bands - unberücksichtigt ihres jeweiligen Gesamtrepertoires - so fallen frappierende Parallelen auf:

Das Arrangement von "Sunrise In The Third System" von der zweiten LP "Alpha Centauri" hat Anklänge an das Titelstück der zweiten Pink Floyd - LP "A Saucerful Of Secrets" besonders in bezug auf die sakralen Orgelakkorde und die geräuschhaft eingesetzte Gitarre. Die elektronisch bearbeiteten Schlagzeugpassagen plus Flötenklänge auf dem Stück "Fly And Collision Soma" von dem gleichen Tangerine Dream- Album finden ihre Entsprechung auf Pink Floyds "Ummagumma" - LP in dem Stück "Grand Vizier's Garden Party".

Die harmonisch nur vage definierbaren Orgelklänge mit zugeschalteten elektronischen Klangmixturen in "Circulation Of Events" malen ähnlich schwebende Stimmungsbilder wie Pink Floyd in dem Soundtrack "More" bei dem Stück "Quicksilver" oder in Live- Improvisationen zu ihrem Stück "Set The Controls For The Heart Of The Sun" (erste Hälfte "Ummagumma", aber auch in dem Film "Pink Floyd At Pompeji").

Pink Floyds "Time" von der 1973 erschienenen LP "The Dark Side Of The Moon" schimmert 1975 auf der ersten Hälfte von Tangerine Dreams Live-Album "Riccochet" durch, wo langgezogene E-Gitarrenphrasen, Keyboards und Chris Frankes Soli auf den Roto-Toms aus dem Vorbild entnommen zu sein scheinen (So setzt Pink Floyd-Drummer Nick Mason für seine Soli im Intro von "Time" ebenfalls Roto- Toms ein) .

Pink Floyds Einsatz von elektronischen Sequenzen auf ,,On The Run" fand kurz darauf auf "Phaedra" von 1974 bei Tangerine Dream eine Weiterführung, die jedoch auch alle weiteren LPs prägte. .

Peter Baumann gestand im selben Jahr, dass Tangerine Dream "ohne Debussy, Elvis Presley, Pink Floyd und den Beatles Tangerine Dream unmöglich" gewesen wären88.

Im Vergleich der beiden Bands lässt sich aber zugleich auch sehr gut der Unterschied von englischer und deutscher Popgeschichte erläutern:

Pink Floyd kommen aus dem angloamerikanischen Kulturkontinuum. Die Band erwarb sich ihre Spieltechniken aus dem Rhythm'n Blues und dem Rock'n Roll, aber auch aus englischen und amerikanischen Folksongs, weshalb die Outer Space Klangbilder eigentlich nur einen Teil ihrer Musik ausmachen.

Tangerine Dream hingegen beriefen sich auf die bildenden Künste und die europäische Hochkultur.

Pink Floyd kommen aus den Sechziger Jahren - Tangerine Dream etablierten sich hingegen in den Siebziger Jahren.

Im Unterschied zu Pink Floyd fanden traditionelle Popstrukturen bei Tangerine Dream nicht mal im Anklang Eingang in ihre Musik: Während Pink Floyd ihre Elektronik-Spielereien um richtige Songs aufbauten, war die Komposition abstrakter Klangphänomene der alleinige Inhalt der Musik Tangerine Dreams.

Was Tangerine Dream interessierte, war nicht die Spielpraxis des Rhythm'n Blues und des Rock'n Rolls, die für Jimi Hendrix die musikalische Basis schlechthin war, sondern allein der Umgang der Sechziger Jahre-Idole mit der Elektronik, womit in diesem Fall auch der Umgang mit Verstärkertechnik, Bodeneffekten und Feedbacks zählte, wovon Froese exzessiv in dem Stück "Genises" auf der ersten LP "Electronic Meditation" Gebrauch macht.

Pink Floyd hatten zumindest von der Instrumentierung her das Format einer Rockband: Gesang, E-Gitarre, E-Bass und Schlagzeug. Die erste Besetzung von Tangerine Dream hingegen integrierte Cello und Geige sowie einen rockunüblich frei improvisierenden Schlagzeuger, der zudem in zukünftigen Besetzungen ersatzlos gestrichen wurde. Eine traditionelle Rockband zu sein schwebte Tangerine Dream nie vor.

Nicholas Schaffner attestiert Pink Floyd, dass ihre Musik ,,...wenig bis gar keine Ähnlichkeit mit dem hatte, was man dreißig Jahre früher mit dem Begriff Rock'n Roll verband, ursprünglich eine elektrisierende Verschmelzung von weißer Country- Musik mit schwarzem Blues. Keine andere große Rocklegende ha t sich je soweit von der vielgepriesenen ,,Straße" entfernt...".89 Was Pink Floyd vom ,,klassischen" Rock'n Roll trennt, das ist das Fehlen der rhythmischen Vitalität, die das afrikanische Erbe in die Popmusik hineingetragen hat. In bezug auf Melodik, Harmonik und Gitarrentechnik sind Pink Floyd hingegen eine Band , die sich nie wirklich vom formalen Vokabular der Popmusik und dem Rhythm'n Blues- Erbe trennen konnte oder wollte, wenn auch in Ansätzen dies auf den Alben ,,A Saucerful Of Secrets" und ,,Ummagumma" versucht wurde. Tangerine Dream gehen nun noch einen Schritt weiter: Von Pink Floyd überne hmen sie nicht mehr das melodische Erbe der englischen Popmusik, sondern lediglich das elektronische Gerüst. Wenn Peter Baumanns Verweis auf Elvis Presley als Einfluß von Tangerine Dream zunächst ironisch wirkt, so ist zwischen Elvis Presley und Tangerine Dream jedoch sehr wohl die gemeinsame Klammer das Kulturkontinuum Popmusik, eine Musik, die im Kern wesensmäßig von dem Gebrauch moderner elektronischer Medien in bezug auf Herstellung und Distribution bestimmt wird und in der westlichen säkularisierten Industriegesellschaft bei Teens und Twens eine lebensstilformende Funktion bis hin zum Religionsersatz übernommen hat.

Was Tangerine Dream taten, war im Grunde genommen die Isolierung der Soundmerkmale der progressiven angloamerikanischen Bands zur Konstituierung ihres eigenen Stils.

3.3.4. Tangerine Dream, Pink Floyd, Jimi Hendrix - Was heißt hier Elektronik?

Noch einmal möchte ich auf den Begriff der Elektronik eingehen.

Der Begriff der Elektronik wird in der Popmusik in verwirrender Breite verwendet.

Im weitesten Sinne ist er schon auf die Elektrifizierung des Instrumentariums anwendbar, in erster Linie natürlich in bezug auf die elektrischen Gitarren, die schon bei Muddy Waters zum Rhythm'n Blues gehörten, praktisch schon vor der ,,richtigen" Popmusikenstehung.

Im engeren Sinne hat der Begriff der Elektronik eine Konkretisierung in der Entwicklung des Synthesizers erfahren. Erst ab 1970 wird der Synthesizer in der Popmusik gebraucht, psychedelische Bands von 1967 hingegen werden auch schon mit dem Attribut ,,elektronisch" versehen. Eine Klärung des Elektronikbegriffs kann helfen, die Popmusik in der von mir gesetzten Zeitspanne zu differenzieren. Inwieweit der Krautrock ästhetischen Fortschritt in der Musik brachte, lasse ich hier außen vor.

Wichtig aber ist zu folgende Entwicklung beobachten: Die Beatles machten erste Berührungen mit Elektronik und - wenn man so will - mit Momenten aus der Neuen Musik und damit eingeschlossen der musique concrete. Sie setzten die Experimente hiermit ausschließlich in Studio- Aufnahmen um. Pink Floyd gingen einen Schritt weiter und führten das, was die Beatles begonnen hatten, in Form von einer live- elektronischen Spielweise90 weiter mit traditionellem elektrischen Rock- Instrumentarium, das allerdings schon durch die Bodeneffektgeräte und den Umgang mit der Verstärkertechnik eine erhebliche klangliche Verfremdung erfuhr.

Bei Tangerine Dream und Kraftwerk ist nun auch diese Klangerzeugung rein elektronisch in Form des spannungsgesteuerten Synthesizers.

Vom Resultat sind die Übergänge fließend: Die einzelnen Module im Synthesizer erfüllen Funktionen, die auch mit den Bodeneffekten schon erreichbar waren. So ist der spannungsgesteuerte Filter (VCF) mit dem Wah- Wah- Pedal der Gitarristen vergleichbar. Die Hüllkurve - beim Synthesizer der Envelope Generator - ist auch beispielsweise bei Gitarristen beeinflussbar. So kann man durch ein Volumepedal , das wie ein Lautstärkenregler arbeitet, das mit einem Fußpedal betätigt wird, den Verlauf des Gitarrenklanges vom Einschwingen bis zum Ausklingen manipulieren - so kann das perkussive Anschlagsmoment des Gitarrenklangs durch ein Runterregeln des Potentiometers negiert werden - , so dass ganz im Sinne Paul Stumps über seine Beobachtungen bei einem frühen Pink Floyd- Konzert der Instrumentalklang bis zur Unkenntlichkeit verändert wird.

Ich fasse die drei Entwicklungsstränge zusammen:

1.Erste Annäherungen der Popmusik an mit der Neuen Musik und musique concrete vergleichbare Formen; musikalisches Resultat nur als Studioaufnahme vorhanden ohne Möglichkeit der Reproduzierbarkeit im Konzert:

- The Beatles (etwa ,,Tomorrow Never Knows"91 und ,,Revolution Number Nine"92 )

(aber auch: Pink Floyd "Several Species Of Small Furry Animals"93 )

2. Elektronische Manipulation elektrisch erzeugter Instrumentalklänge in der liveelektronischen Musizierweise:

- Jimi Hendrix
- Pink Floyd
- Soft Machine
- Can
- aber auch: Tangerine Dream ("Electronic Meditation" und alle weiteren Platten der ,,Ohr"-Label- Ära, ferner die ersten beiden Alben von Kraftwerk)

3. (Voll-) elektronisch erzeugte Instrumentalklänge (Synthesizer):

- Kraftwerk
- Tangerine Dream

3.3.5. Im Spiegel der Kritik

Innerhalb der Rockszene provozierten Tangerine Dream gemischte Reaktionen. In Barry Graves/ Siegfried Schmidt Joos Rocklexikon wird ihnen ,,Langeweile als Stil-Prinzip" vorgehalten, wobei immerhin dort der Rolling Stone mit einem lobenden Artikel über die LP ,,Phaedra" zitiert wird, der die ,,bislang effektvollste Paarung von Mellotron und Synthesizer" hervorhebt.94

Fasst man den Tenor dieses Lexikon-Artikels zusammen, so räumt man der Band schon interessante Ansätze bei der Gestaltung von Klangbilder ein, die allerdings ihrer Meinung nach zu langatmig ausfallen.

Eine sehr giftige Attacke gegen Tangerine Dream zog dagegen Lester Bangs in dem Rowohlt- Lesebuch der Rockmusik auf. Will man seine Spitzen in neutrale Sätze übertragen, so spricht er ihnen gegenüber vergleichbaren angloamerikanischen Musikern keine innovativen Qualitäten zu (,,Fripp und Eno für arme Leute")95, spricht die allgemeine religiöse Verklärung von Popidolen an, die bei dem metaphysischen Charakter von Tangerine Dreams Musik noch eine besondere Qualität erlangt (,,Ich habe Gott gesehen...")96, wirft der Band Langeweile vor (,,Ich ... hatte mir ... überlegt, einem Wermutsbruder ein Ticket zu schenken, damit er mal in einem bequemen Sessel einen wegknacken kann.")97 und zieht ironisch gegen ihren Hang zum technologischen Overkill zu Feld (,,Lasst diese armen Hunde sich doch durch den Abfall einer besseren Welt schaufeln, das Blubbern und Blitzen und Zischen erleben, ihre stumpfen Augen mit Testbildern und Sendersalat erfreuen und damit beweisen, dass unsere großen Kommunikations-Trusts dafür überhaupt keine bessere Verwendung finden können.")98.

In der Summe betrachtet haben Tangerine Dream durchaus schon interessante neuartige Klangbilder entworfen. Die Formation hat aber nicht immer ein glückliches Händchen für Spannungsbögen. Zudem muss ihnen der Vorwurf eines technischen Überaufwands gemacht werden, der dabei zugleich keine künstlerisch neuartigen Akzente setzte. Im Gegenteil:

Kreativ waren sie in den ,,Ohr"- Labeljahren, als sie ihre ausgefallenen Klangbilder noch mit sehr beschränkten Aufwand umsetzen mussten. Höhepunkte sind bei ,,Phaedra" und ,,Rubycon" erkenbar in Bezug auf die Vielfalt der Klänge zu erkennen. Darauf legten sie sich die ersten polyphonen Synthesizer zu, was musikalisch aber kaum Neuerungen brachte. Der Autor Lester Bangs legt also seine Hände zu Recht in offene Wunden.

Im Vergleich mit englischen Kollegen fällt ihr Materialaufwand frappierend auf. Die untenstehende Liste berücksichtigt dabei nur die analogen Synthesizer der Siebziger Jahre:99

Tangerine Dream Keith Emerson Pink Floyd

ARP: -Odyssey CRUMA: Stringman EDP:-Wasp

ELKA: -Rhapsody 610 string KORG: -Lambda EMS:-Synthi AKS Synthesizer -PS 3100 poly synth. -VCS 3

EMS: -Synthi - A MOOG: -Modular System 3 C MOOG: -Mini Moog MOOG: -Modular System 55 -Mini Moog OBERHEIM:- Four Voice

-Mini Moog -Polymoog SCI : - Prophet V

OBERHEIM:- Four Voice

- Eight Voice

PPG: - 300 Modular System

ROLAND : - Jupiter 4 (JP 4)

SCI : - Prophet V

PROJEKT ELEKTRONIK

Letztere deutsche Firma stellt sozusagen den Gipfel der Technophilie der Tangerine Dream dar: Projekt Elektronik sind eine Firma, die in erster Linie Instrumente für Chris Franke und Peter Baumann entwickeln.

Jedenfalls geht aus dieser Auflistung klar hervor, welche Band auf dem höchsten technischen Standard ihrer Zeit war. Die Dunkelziffer aus Peter Forrests Synthesizer-Lexikon wird vermutlich eher einen noch höheren Aufwand bei Tangerine Dream vermuten lassen. Der metaphysische, quasi- religiöse Aspekt ihrer Musik spielte in den Subkulturen der Siebziger Jahre eine wichtige Rolle.

Ist bei Kraftwerk sozusagen Form und Inhalt identisch - elektronische Klänge referrieren auf eine technisierte Welt, sollen die elektronischen Klänge Tangerine eine Transzendenz bewirken. Der meditative Aspekt und das Hippie- Image von Tangerine Dream stehen in deutlicher Korelation.

3. Zusammenfassung

Bei den deutschen Bands der Siebziger Jahre ist schon eine eigenständige Tendenz zu beobachten, die allerdings nie ganz losgelöst von den angloamerikanischen Gruppen der späten Sechziger Jahre zu sehen ist.

Fünf Merkmale kennzeichnen die deutsch Rockbands der frühen Siebziger Jahre im Vergleich zu ihren angloamerikanischen Kollegen:

1.Das Fehlen einer Tradition und ihrer ästhetischen Standards:

So sehr Parallelen der deutschen Bands im Vergleich zu den sogenannten progressiven englischsprachigen Bands nachweisbar sind, fehlen den deutschen Bands die Ursprünge des Rock'n Rolls in ihrer Musik. Praktizieren die englischen Bands schon erheblich andersartige Klangvorstellungen, so verbleiben sie dabei immer noch im formalen musikalischen Vokabular der Popmusik. So fehlt den ,Head`- Kreationen von Pink Floyd zwar schon die ,,afrikanische" rhythmische Vitalität des Rock'n Rolls, jedoch harmonisch- melodisch verbleiben sie in

Bluesstrukturen.

Diese ,Head`-music wird bei Tangerine Dream und Kraftwerk vollends zur elektronischen Abstraktion, während sie bei Can von einer ,neuen` Vitalität abgelöst wird, die nicht von der Tradition des Rock'n Rolls überliefert wurde.

2. Häufige Verwendung repititiver Strukturen:

Die Bands erzeugen häufig ständige Wiederholungen von rhythmischen oder melodischen Patterns. Das kann entweder auf manuellem Wege geschehen wie bei Can oder durch die Verwendung elektronisch erzeugter Sequenzen wie bei Kraftwerk oder Tangerine Dream. Diese Repititionen haben entweder eine Industrieästhetik wie bei Kraftwerk oder lehnen sich an den Minimalismus ethnischer Musikformen an, insbesondere an die Minimal Music von Terry Riley und Steve Reich wie bei TangerineDream oder sie nehmen schlichtweg beides in sich auf wie bei Can.

3. Verstärkter Einsatz der Elektronik:

Die Elektronik ist bei den Krautrockbands nicht mehr nur ein Medium zum Musikmachen, sondern es ist primäre Komponente in ihrer Musik. Sei es in Form von elektronischen Klangmanipulationen wie bei Can oder in der ausschließlichen Verwendung rein elektronischer Klangerzeuger wie dem Synthesizer bei Tangerine Dream und Kraftwerk.

4. Unterschiede in der ,,Orchestrierung":

Tendenzielle Abkehr von akkordischen hinzu polyphonen Strukturen, sei es durch die überwiegend monophone oder rein geräuschhafte Verwendung von traditionellen Harmonieinstrumenten wie Gitarre und Orgel bei Can oder durch die Verwendung rein monophon bespielbarer Synthesizer vorherrschende ,,souveräne" Führung einzelner Stimmen wie bei Kraftwerk und Tangerine Dream.

5. Verstärkter Bezug auf die E- Musik:

Der Einfluß der E- Musik ist nicht nur stärker bei den deutschen Bands, er rückt auch andere Schwerpunkte der abendländischen Kunstmusik in den Blickpunkt als etwa die englischen Klassikrockbands. So ist die Neue Musik stärker vertreten etwa der Bruitismus bei Kraftwerk oder die Minimal Music, Györgi Ligeti und Thomas Kessler bei Tangerine Dream oder ein insgesamt starker moderner Kunstmusik- Background bei Can.

6. Souveräne Kontrolle über die Produktionsapparatur:

Can, Tangerine Dream und Kraftwerk hatten stets die Kontrolle über die Enstehung ihrer Musik bis hin zum aufnahmetechnischen Prozeß.Da sie größtenteils über eigene Studios verfügten, war ihre Musik nicht dem Einfluß professioneller Produzenten ausgesetzt. Sie konnten von der Komposition, dem Arrrangement bis hin zum fertigen Schallplattenprodukt ihre eigenen ästhetischen Maßstäbe durchsetzen.

Im Bereich der Elektronik muss Kraftwerk und Tangerine Dream eine Pionierleistung zuerkannt werden, für die es bis Ende der Siebziger Jahre im angloamerikanischen Raum keinen Vergleich gab.

Allenfalls Brian Eno wäre in England als Beispiel eines Musikers zu nennen, der schon 1974 vereinzelt mit Synthesizer und Rhythmusmaschinen experimentierte, obwohl er noch ganz im Kontinuum englischer Popkultur steht. So gehörte er zunächst zu der Band Roxy Music, die noch sehr jenes Format einer traditionellen Rockband besaß.

Tangerine Dream und Kraftwerk haben ein rein elektronisches Bandkonzept kreiert, das in England erst ab 1980 von vergleichbare Gruppen wie Depeche Mode, Heaven 17 und Human League aufgegriffen wurde.

So erwähnt Marcel Feige in seinem Buch ,,Deep In Techno" noch im Jahr 2000 Kraftwerk als Vorläufer der englischen Synthie Pop-Bands um 1980 - und damit indirekt als Großväter von den 1990er Stilen wie House, Trip Hop etc.100

Weiterhin spricht die internationale Anerkennung, die Tangerine Dream und Kraftwerk entgegengebracht wurde, für den Stellenwert und die Eigenständigkeit ihrer Musik.

Diese Eigenständigkeit liegt in ihrer Emanzipation vo n dem Rhythm'n Blues und Mersey Beat der Sechziger Jahre.

Dabei gibt es bei den deutschen Rockbands keine einheitliche Szene - die einzelnen Bands scheinen sich unabhängig voneinander entwickelt zu haben und scheinen bei oberflächlicher Betrachtung völlig unterschiedlich zu sein. Während Can und Tangerine Dream sich dem Hippie- Klischee zuordnen lassen, passen Kraftwerk in diesen Kontext überhaupt nicht hinein, sondern verweisen überdeutlich auf die englische elektronische Popmusik der frühen Achtziger Jahre etwa Human League, Heaven 17 und Depeche Mode. Genauso verfolgen Tangerine Dream mit ihrem metaphysischem, quasireligiösen Konzept, das in seiner Ernsthaftigkeit mitunter einer ungewollten Komik nicht entgehen kann, während bei Can und Kraftwerk der Aspekt der ironischen Brechung immer eine Rolle spielt. Marcel Feiges Nennung der drei Bands in seinem Buch ,,Deep In Techno" ist ein Verweis dadrauf, dass diese drei Bands maßgeblich die internationale Popmusik der Achtziger und Neunziger Jahre in einer Weise beeinflußt haben wie dies keiner deutschen Band vor den Siebziger Jahren möglich war.

Quellen

Literaturliste

Günther Batel/ Dieter Salbert: Synthesizermusik und Live-Elektronik, Wolfenbüttel 1985

Bernhard Binkowski (Hrsg.): Musik Um Uns, Stuttgart 1982

Jonathan Buckley/ Mark Ellingham: Rock Rough Guide, London 1996

Pascal Bussy: Das Can-Buch, Augsburg 1992

Pascal Bussy: Kraftwerk, München 1995

Günther Ehnert: Rock in Deutschland, Hamburg 1979

Marcel Feige: Deep In Techno, Berlin 2000

Peter Forrest:The A - Z of Analogue Synthesizers Band I&I , Exeter 1994

Barry Graves/ Siegred Schmidt- Joos: Das neue Rock- Lexikon, Hamburg 1990, Band I und II Hermann Haring: Rock aus Deutschland, Hamburg 1984

Eberhard Höhn: Elektronische Musik, München 1983

Klaus Humann (Hrsg.): Das Rowohlt Lesebuch der Rockmusik, Hamburg 1984

Tibor Kneif: Rock in den 70ern, Hamburg 1980

Barry Miles: Pink Floyd - A Visual Documentary by Miles, London 1988

Charles Shaar Murray, Jimi Hendrix - Purple Haze, Wien 1990

Nicholas Schaffner: A Saucerful Of Secrets - Pink Floyd - Vom Underground zur Supergruppe - eine Odyssee, St. Andrä- Wördern 1992

Paul Stump: Digital Gothic - A critical discography of Tangerine Dream, Trowbridge 1997

...und die Tonkonserven...

The Beatles: Revolver (1966)

Magical Mysterie Tour (1967)

The Beatles (,,das weiße Album") (1968)

Can: Monster Movie (1969)

Soundtracks (1970)

Tago Mago (1971)

Ege Bamyasi (1972)

Future Days (1973)

Landed (1975)

The Doors: L.A. Woman (1971)

Jimi Hendrix: Are You Experienced (1967)

Smash Hits (1968)

Electric Ladyland (1968)

Jefferson Airplane: Surrealistic Pillow (1967)

Kraftwerk: Autobahn (1974)

Radio Activity (1975)

Die Mensch- Maschine (1978)

Györgi Ligeti: Kammermusik für dreizehn Instrumentalisten ( enthält außerdem ,,Atmospheres" und ,,Lux

Aeterna")

Pink Floyd: The Piper At The Gates Of Dawn (1967)

A Saucerful Of Secrets (1968)

Soundtrack ,,More" (1969)

Ummagumma (1969)

The Dark Side Of The Moon (1973)

Wish You Were Here (1975)

Sun Ra& His Solar Arkestra: The Sun Myth

Steve Reich:

Terry Riley: In C (1971)

Soft Machine: Third (1970)

Supertramp: Crime of The Century (1974)

Tangerine Dream: Electronic Meditation (1970)

Alpha Centauri (1971)

Atem (1973)

Phaedra (1974)

Rubycon (1975)

Riccochet (1975)

Stratospheres (1976)

The Who: Who's Next (1971)

Wer könnte diese drei großen(sic!) Bands des Krautrocks beeinflusst haben?

The Beatles Luigi Russolo

Velvet Underground Jimi Hendrix Francesco Balilla Pratella Can Kraftwerk Terry Riley

Pink Floyd Gyö rgi Ligeti Tangerine Dream

[...]


1 The Beatles: Revolver, LP (1966)

2 Günther Batel/ Dieter Salbert: Synthesizermusik und Live-Elektronik, Wolfenbüttel 1985, S.9

3 Nicholas Schaffner: A Saucerful Of Secrets - Pink Floyd - Vom Underground zur Supergruppe - eine Odyssee, St. Andrä- Wördern 1992, S.57

4 Barry Miles: Pink Floyd - A Visual Documentary by Miles, London 1988, unnummerierte Seiten

5 Ulrich Prinz: Aktuelle Musik, S.74 in:Bernhard Binkowski(Hrsg): Musik um uns,Stuttgart 1982,

6 Vanilla Fudge: Vanilla Fudge, 1967

7 Pink Floyd: A Saucerful Of Secrets, 1968

8 Pink Floyd: The Piper At The Gates of Dawn, 1967

9 Pink Floyd: Relics, 1971

10 Jimi Hendrix Experience: Are You Experienced?, 1967

11 Charles Shaar Murray, Jimi Hendrix - Purple Haze, Wien 1990, S.234

12 The Doors: L..A.Woman, 1971

13 Pink Floyd: The Dark Side Of The Moon, 1973

14 Supertramp: Crime Of The Century, 1974

15 Pink Floyd: The Piper At The Gates Of Dawn, 1967

16 Pink Floyd: A Saucerful Of Secrets, 1968

17 Jefferson Airplane: Surrealistic Pillow, 1967

18 Pink Floyd:Soundtrack ,,More" ,1969

19 Charles Shaar Murray, S.256

20 Jimi Hendrix: Electric Ladyland, 1968

21 Besonders frappierend bluesig durch die Verwendung der blue note, was durch das Pitch Wheel - ein Rad am Mini Moog, mit dem man den Ton wie auf einer Gitarre ,,benden" kann - klingt das Solo am Beginn von ,,Shine On You Crazy Diamond Part 6": Pink Floyd: Wish You Were Here, 1975

22 Barry Graves/ Siegfred Schmidt- Joos, Band II, S.616

23 Günther Batel/ Dieter Salbert, S.30

24 Pascal Bussy, Kraftwerk, München 1995, S.17

25 Hermann Haring: Rock aus Deutschland, Hamburg 1984 S.52 f

26 Günther Ehnert: Rock in Deutschland, Hamburg 1979, S.144ff

27 Christian Kneisel: Wo das Kraut wächst, S.197, in: Tibor Kneif: Rock in den 70ern, Hamburg 1980

28 Christian Kneisel, S.200

29 Christian Kneisel, S.198

30 Christian Kneisel, S.200

31 Marcel Feige: Deep In Techno, Berlin,2000, S.19

32 Pascal Bussy: Das Can- Buch, Augsburg 1992, S.98/99

33 Pascal Bussy: Das Can- Buch, S.49

34 Pascal Bussy: Das Can-Buch, S.9

35 Can: Landed (LP), 1974

36 Can: Soundtracks(LP), 1970

37 Pink Floyd: Relics(LP), 1971

38 Nicholas Schaffner, S.130

39 Can: Monster Movie (LP), 1969

40 So wird die Gitarre teilweise mit einer Akupunkturnadel gespielt; Pascal Bussy: Das CanBuch, S.19

41 Can: Soundtracks (LP), 1970

42 Can: Tago Mago (LP), 1971

43 Pascal Bussy: Das Can Buch, S.16

44 Pascal Bussy: Das Can- Buch, S.34

45 Can natten eine andere Vorstellung vom gesanglichen Schönheitsideal, so auch bei der Suche nach Ersatz für ihren ersten Sänger Malcolm Mooney: ,,...Nachdem man über ein Dutzend Sänger ausprobiert hatte (, Ihr Fehler war, dass sie richtig singen konnten' - Schmidt), engagierte man im Mai 1970 den Japaner Kenji ,,Damo" Suzuki. Der ehemalige Straßensänger Suzuki zeichnete sich dann auch dadurch aus, dass er ,weniger singt als Worte ins Mikrofon atmet' (MELODY MAKER)." Günther Ehnert, S.44

46 Christian Kneisel, S.199

47 Christian Kneisel, S.198

48 Christian Kneisel, S.199

49 The Beatles: Revolver(LP), 1966

50 Pascal Bussy: Das Can Buch, S.71

51 Hiermit möchte ich auf Reinhard Flenders und Hermann Rauhes Buch ,,Popmusik - Aspekte ihrer Geschichte, Funktionen, Wirkung und Ästhetik" verweisen , wo unter dem Kapitel ,,Sozialpsychologische Funktion der Popularmusik" Subkulturen - wie einer alternativen Rockszene - eher eine Ventilfunktion für revolutionäre Bestrebungen in der Gesellschaft zugesprochen wird (im Gegensatz etwa zu einer Vorhutfunktion von solchen Subkulturen in bezug auf revolutionäre Aktionen) Reinhard Flender und Hermann Rauhe: Popmusik - Aspekte ihrer Geschichte, Funktionen und Ästhetik, Darmstadt 1989, S.32/33

52 Pascal Bussy: Kraftwerk - Synthesizer, Sounds und Samples - die ungewöhnliche Karriere einer deutschen Band, S.33

53 Pascal Bussy: Das Can-Buch, S.64

54 Barry Graves/ Siegfred Schmidt- Joos, Band I S.135

55 Barry Graves/ Siegfred Schmidt Joos, Band I S.135

56 Günther Batel / Dieter Salbert, S.8

57 Barry Graves Siegfred Schmidt-Joos, Band I S.440

58 Kraftwerk: Radio Activity (LP), 1975

59 Kraftwerk: Mensch- Maschine(LP), 1978

60 Jonathan Buckley/ Mark Ellingham: Rock Rough Guide, London 1996, S.414

61 Barry Graves/ Siegfred Schmidt-Joos: : Das neue Rock- Lexikon, Hamburg 1990, Band I, S.441

62 Jonathan Buckley/ Mark Ellingham, S.414

63 Tangerine Dream: Electronic Meditation (LP), 1970

64 Paul Stump: Digital Gothic - A critical discography of Tangerine Dream, Trowbridge 1997,S.35

65 Sun Ra and his Solar Orchestra: The Sun Myth (LP)

66 Paul Stump: S.39

67 Paul Stump, S.43/44

68 Tangerine Dream: Alpha Centauri (LP) 1971

69 Paul Stump, S.44

70 So bezeichnet Nicholas Schaffner in Anspielung auf seine - und meine - Lieblingsband die entsprechende Sequenz in ,,Space Odyssee 2001" als ,,bemerkenswert floydianisch". Nicholas Schaffner, S.131

71 Eberha rd Höhn: Elektronische Musik, München 1983,S.23

72 Paul Stump, S.38

73 Tangerine Dream: Alpha Centauri (LP), 1971

74 Tangerine Dream: Atem (LP), 1973

75 Pink Floyd: Soundtrack "More", 1969

76 Peter Forrest:The A - Z of Analogue Synthesizers, Exeter 1994,Ba nd I, S.86

77 Peter Forrest, Band I, S.17

78 Paul Stump, S.37, S.44/45

79 Peter Forrest, S.83

80 The Who: Who's Next

81 Peter Forrest,Band I, S.86

82 Paul Stump, S.47

83 Peter Forrest,Band I, S.206

84 Paul Stump, S.66

85 Paul Stump, S.70

86 Günther Batel/ Dieter Salbert, S.29

87 Terry Riley: In C, 1971

88 Paul Stump, S.3

89 Nicholas Schaffner, S.15

90 Der Begriff der ,,live- elektronischen" Spielweise oder der ,,Live Elektronik" ist allgemein gebräuchlich. So wird er bei Günther Batel/ Dieter Salbert im Zusammenhang mit der Beschreibung von den Konzerten Jimi Hendrix' und seiner Spielweise verwendet: ,,Andere Rockmusiker haben das live- elektronische Musizieren dagegen zum eigentlichen Inbegriff ihrer Vortragsweise gemacht. So wird beispielsweise von Jimi Hendrix zu Recht behauptet, er habe ,,auf" der Elektronik gespielt, als sei sie selbst das Instrument, nicht nur auf einem lediglich elektronisch verstärktem Instrument..." Günther Batel/ Dieter Salbert, S.27

91 The Beatles: Revolver (LP)

92 The Beatles: The Beatles (Do -LP, "das weiße Album")

93 Pink Floyd: Ummagumma (LP)

94 Barry Graves/Siegfred Schmidt Joos, S.790/791

95 Hiermit ist der King Crimson- Gitarrist Robert Fripp und der Synthesizerspieler Brian Eno gemeint. Fripp hat einen sehr ge räuschhaft orientierten Gitarrenstil, Brian Eno ist Mitbegründer des Elektronik- Stils Ambient, wozu auch Tangerine Dream gezählt werden können. Lester Bangs: Ich sah Gott und/oder Tangerine Dream, in: Klaus Humann (Hrsg.): Das Rowohlt Lesebuch der Rockmus ik, Hamburg 1984,S.45

96 Lester Bangs, S.46

97 Lester Bangs, S.47

98 Lester Bangs, S.47

99 Peter Forrest

100 Marcel Feige, S.23

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Krautrock. Entwicklung einer eigenen Rockszene in der BRD
Untertitel
Vergleich zur angloamerikanischen Rockszene
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Veranstaltung
Unterhaltungsmusik im zwanzigsten Jahrhundert
Autor
Jahr
1998
Seiten
45
Katalognummer
V102422
ISBN (eBook)
9783640008056
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Krautrock, Unterhaltungsmusik, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Andreas Heinz Schneider (Autor:in), 1998, Krautrock. Entwicklung einer eigenen Rockszene in der BRD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102422

Kommentare

  • Gast am 9.12.2004

    krautrock.

    Ich glaube ich muss hier mal zur Selbstkritik greifen: Mir wurde von meinem Prof (übrigens sein einziger Kritikpunkt) gesagt, meine Arbeit sei etwas zu geschwätzig und zu schwafelnd.
    Besonders der eine Punkt, wo ich darauf hinweise, dass englische Rockmusiker nur über Seeleute, die von den USA rüberkamen, an Platten von schwarzen Bluesern herankommen konnten, ist vermutlich falsch. Bluesplatten gab es wohl schon im Handel.

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Titel: Krautrock. Entwicklung einer eigenen Rockszene in der BRD



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