Inhaltsverzeichnis
1 Die Geschichte des europäischen Staates
1.1 Ideengeschichtliche Grundlage des heutigen kontinentaleuropäischen Staatsverständnisses
2 Die Entstehung der nationalen Identität des Bürgers
2.1 Definition des Begriffs „Nation“
2.2 Die Entstehung der nationalen Identität bzw. Staatsbürgerschaft
3 Kennzeichen einer eigenen Identität
3.1 Kennzeichen der nationalen Identität
3.2 Kennzeichen der lokalen / regionalen Identität
4 Entstehung einer europäischen Identität und Legimität ?
4.1 Meinungsbild zur europäischen Identität in den EU-Mitgliedsländern
4.2 Entwicklung der „europäischen Staatsbürgerschaft“
4.3 Partizipation der EU-Bürger an Wahlen zum Europa-Parlament
4.4 Legitimation der Entscheidungen der EU
5 Ausblick
Anhang : Literaturverzeichnis
1. Die Geschichte des europäischen Staates
1.1 Ideengeschichtliche Grundlage des heutigen kontinentaleuropäischen Staatsverständnisses
Die ideengeschichtlichen Grundlagen des kontinentaleuropäischen Staatsver- ständnisses gehen auf das 16. Jahrhundert zurück mit den Prinzipien der Souveränität von Bodin sowie der Staatsräson von Botero.
Ein Schwerpunkt des modernen Staates wurde nach der Französischen Revolution die Staatsverfassung, in der die Rechte des Bürgers garantiert wurden und der eine zentrale Bedeutung bei der kontinentaleuropäischen Staatsentwicklung hin zum heutigen Nationalstaat zukommt, dem liberalen Wohlfahrtsstaat. (Blanke : 11/12)
Denn durch die Staatsverfassung hatte der Bürger zum ersten Mal die Möglich- keit sich gegen die Willkür seines Herren zur Wehr zu setzen.
Der Bürger konnte sich von nun an auf „vertraglich“ festgehaltene Rechte berufen, die nicht einfach von Fürsten oder Lehnsherren außer Kraft gesetzt werden konnten.
Diese Idee des „Nationalstaates“ war fast 200 Jahre lang das beherrschende Staatsmodell in ganz Europa.
Die Idee des Nationalstaates wurde erst nach dem 2. Weltkrieg verworfen zu Gunsten komplexer internationaler Systeme auf der Basis völkerrechtlicher Verträge und Abkommen, die die Staaten in bestimmten Bereichen auf multilateraler Form binden. (Blanke : 16)
Diese supranationalen Organisationen sollten nach dem 2. Weltkrieg vor allem dazu dienen, daß Deutschland zügig in das internationale System integriert wurde, nachdem es den 2. Weltkrieg verloren hatte, um zu verhindern, daß es ohne die Unterstützung der Alliierten wieder einen Rückfall zum Nationalsozia- lismus gab. Denn in der deutschen Verwaltung bzw. in politischen Parteien saßen teilweise noch genügend „Alt-Nazis“, die hofften im Verborgenen vor sich hin arbeiten zu können ohne das es jemandem auffallen würde.
Diese supranationalen Systeme boten den Staaten die Möglichkeit, daß ihre politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten sich nicht mehr nur auf das eigene Staatsgebiet erstrecken mußten, sondern das die Staaten die Möglichkeit erhielten (fast) in der ganzen Welt vor allem wirtschaftlich aktiv zu werden.
Des weiteren sollten diese internationalen Systeme (EU, NATO) einen Zusammenhalt westlicher Staaten vor der Gefahr einer kommunistischen Expansion bieten. (Weidenfeld : 15)
Denn auf der anderen Seite gab es den ‚Warschauer Pakt“, der von der UdSSR initiiert wurde, um so die anderen kommunistischen Staaten besser unter Kon- trolle zu haben. Er diente der UdSSR als „Bollwerk“ gegen die „West-Mächte“. Die Kontrolle über die Aktivitäten der (westlichen) Staaten sollte durch interna- tionale Systeme gewährleistet werden (EU, NATO), die einen gewissen Grad an eigener Souveränität und Verantwortung erhalten sollten. (Kaldor : 19)
Diese internationalen Systeme (EU, NATO) führten dazu, daß staatliche Kompetenzen an diese supranationalen Organisationen abgegeben wurden, so daß es zu einer Einschränkung staatlicher Souveränität und Autonomie kam. (Blanke : 17, Reinhard : 525, Lehning : 182b)
Durch den Eintritt in eine internationale Organisation verloren die Staaten einen Teil ihrer Souveränität und Autonomie, weil sie in den jeweiligen Organisationen Kompromisse eingehen mußten, um mit den anderen Staaten einen gewissen Konsens zu erlangen (s. EU - Luxemburger Kompromiß). Es sollte allerdings nicht so weit kommen, daß die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer Souveränität zu Gunsten der EU-Entscheidungen abgeben mußten. (Höreth : 34)
Abschließend kann gesagt werden, daß zuwenig Staat in den ehemaligen Kolo- nien und zuviel Staat in Europa zur Auflösung des staatlichen Machtmonopols bzw. souveräner Handlungskompetenzen des Staates zu Gunsten interme- diärer Instanzen und substaatlicher Verbände (EU) führte. (Reinhard : 535, Weidenfeld : 52)
2. Die Entstehung der nationalen Identität des Bürgers
2.1 Definition des Begriffs „Nation“
Eine Gruppe von Menschen bezeichnet sich selbst als „Nation“, wenn sie Einwohner eines bestimmten Staates sind, wenn sie in einem Staat diskriminiert werden oder wenn sie daran interessiert sind einen eigenen Staat zu gründen. (Kaldor : 10)
Zu den Eigenschaften des „Nationalstaates“ gehörte die Ausweitung der Kompetenzen der Verwaltung, das klar abgegrenzte Staatsgebiet, die Souveränität gehörte nicht mehr dem König sondern den Bürgern und die Bürger waren Einwohner der Nation. (Kaldor : 10)
Verkürzt kann gesagt werden, daß eine „Nation“ oder „Staat“ aus dem sog. Staatsgebiet, dem Staatsvolk sowie der Staatsgewalt besteht. Diese 3 Kriterien müssen erfüllt sein, damit man ein Land, eine Gruppe von Personen oder eine Regierung als (National-)„Staat“ oder „Nation“ bezeichnen kann.
2.2 Die Entstehung der nationalen Identität bzw. Staatsbürgerschaft
Der Begriff der „nationalen Identität“ bzw. „Staatsbürgerschaft“ war im 18. Jahrhundert für viele Bürger mit 3 zentralen Elementen verbunden :
Dem zivilen, politischen und sozialen Element.
Das zivile Element war für viele Bürger das wichtigste Element, weil es mit dem Besitz der Menschenrechte zusammenhing z.B. Recht auf freie Meinungsäuße- rung.
Das politische Element wiederum sicherte einem das Wahlrecht zu während das soziale Element vor allem dazu dienen sollte gleiche Lebensstandards in der Bevölkerung zu schaffen z.B. ein allgemeines Bildungssystem. (Newman : 143)
Im Laufe der Jahre fand jedoch eine Verschiebung bzw. Umschichtung der Elemente statt.
War für den Bürger zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch das zivile Element eines der wichtigsten Elemente, so ist es am Ende des 20. Jahrhunderts das soziale Element.
Denn mit der Ausweitung der „Demokratie“ in der gesamten Welt wurde das zivile Element eine Art „Standardelement“, das gar nicht mehr vom Staat übersehen werden durfte.
Deshalb fand nach 1945 eine Besinnung auf das soziale Element statt.
Gerade nach dem 2. Weltkrieg war die soziale Lage für viele Menschen in Deutschland aber auch in Europa katastrophal.
Sie hatten durch den Krieg fast alles verloren, waren teilweise nicht mehr in der Lage zu arbeiten durch Kriegsverletzungen und lnvalidität und litten dadurch sehr großen Hunger.
Hier mußte der Staat regelnd eingreifen. Dies tat er, indem er das soziale Element stärkte im Verhältnis zu den anderen.
Das soziale Element sorgt beim Bürger nämlich für gleiche Lebensverhältnisse z.B. durch die Arbeitslosenversicherung, Sozialversicherung oder Renten- versicherung, deren Leistungen sich vor allem nach dem 2. Weltkrieg auf immer mehr Bürger erstreckten, weil es durch den Krieg viele Kriegsverletzte gab, die auf Grund ihrer körperlichen Verfassung nicht mehr arbeiten konnten und dadurch vom „sozialen Netz aufgefangen werden mußten“.
„Nationalismus“ muß aber nicht bedeuten, daß alle Leistungen des Staates auch auf nationaler Ebene erbracht werden müssen. Sie können sich vielmehr auch auf andere Staaten beziehen in denen Bürger des Staates leben. Die einzige Voraussetzung dafür ist, daß sie ihren Hauptstandort im „Mutterland“ haben z.B. die Arbeit der schottischen Klans. (Kaldor : 21/22)
3. Kennzeichen einer eigenen Identität
3.1 Kennzeichen der nationalen Identität
Der derzeitige Identitätsbegriff in der EU wird meist als außenpolitischen Selbstbehauptung bzw. Abgrenzung gegenüber anderen (europäischen) Staaten gesehen. (Pfetsch : 97, Münch : 16,20)
Diese Ansichtsweise hat ihre Wurzeln in der sog. „Kolonisationszeit“ Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts.
Staaten wie England oder Frankreich schufen sich ein riesiges „Reich“ in dem sie den ganzen afrikanischen Kontinent, Asien und Australien unter sich „aufteilten“, weil sie durch den Besitz von Kolonien große Mengen an Gold, Silber und Diamanten aber auch teure Gewürze aus den Kolonien gewinnen konnten.
Die „Aufteilung“ hatte gerade für den afrikanischen Kontinent katastrophale Folgen. Denn durch die Aufteilung Afrikas bzw. die „Gründung“ von Staaten mußten mit einem Mal 2 oder mehrere meist verfeindete Volksstämme in einem Staat zusammenleben. Sie wurden quasi in einen Staat „hineingepfercht“ ohne das die Kolonialmächte irgendwie Rücksicht nahmen auf Stammesfeind- schaften oder auf durch Jahrhunderte gewachsene Grenzen, die meist schon über Generationen existierten. Diese willkürliche Teilung Afrikas durch die Kolonialmächte, man kann auch teilweise sagen „Linial-Grenzen“, wenn man sich die Karte Afrikas ansieht, sind bis heute mit Hauptursache der Kriege und Revolutionen in Afrika ( s. Ruanda /Hutus - Tutsis ), außer den noch immer unterschwellig existierenden Interessen der ehemaligen Kolonialmächte ( jetzt Industrienationen ) an den Bodenschätzen Afrikas ( z.B. Diamanten, Uran usw.).
Eine noch genauere Analyse der nationalen Identität eines Individuums erhält man mit sog. „Identitätsmustern“, anhand denen dann die nationale Identität bestimmt werden kann. (Pfetsch : 100)
Die 5 Kriterien sind entweder ein historisches Territorium als Heimatland, gemeinsame geschichtliche Erinnerungen, eine Massenkultur, Rechte und Pflichten für alle Bürger und einen Wirtschaftsraum mit territorialer Mobilität. (Pfetsch : 100)
Oder man nimmt ein anderes „Identitätsmuster“, das den Schwerpunkt auf andere Punkte legt, nämlich einen sozialen Status, eine politische Identität, einen gewissen Grad an Loyalität, gewisse Grundrechte des Bürgers und ein bestimmtes soziales Verhalten der Mitglieder. (Newman : 139)
Wie man auf den ersten Blick erkennen kann gibt es bei diesen beiden „Identi- tätsmustern“ sowohl Gemeinsamkeiten als auch und Unterschiede.
Die Gemeinsamkeiten bestehen in den „Grundrechten“ bzw. „Rechten und Pflichten“ für den Bürger, die beide „Identitätsmuster“ anführen. Die Unterschiede werden deutlich, wenn man sich die restlichen Punkte der beiden „Identitätsmuster“ betrachtet.
Die „Identitätsmuster“ können allerdings nie gleich sein, weil sie von Menschen aufgestellt werden und jeder Mensch unterschiedliche Betrachtungsweisen hat. Deshalb müssen bei der Feststellung der nationalen Identität eines Individuums immer alle Punkte untersucht und Vergleiche mit anderen nationalen Identitäten von Personen durchgeführt werden, um sicher zu gehen, daß beide Personen die gleiche nationale Identität besitzen.
Nur wenn alle Punkte bei 2 Untersuchungspersonen übereinstimmen kann man davon ausgehen, daß sie beide die gleiche Identität haben d.h. aus ein und demselben Land kommen.
3.2 Kennzeichen der lokalen / regionalen Id entität
Durch die immer komplexer werdenden internationalen Institutionen bzw.
Systeme hat der EU-Bürger jedoch das Gefühl, daß er sich nicht mehr mit der EU und seinen Ideen identifizieren kann, weil sie eine zu große Reichweite haben.
Auf Grund dieser Tatsache kommt es durch die Ausweitung der europäischen Institutionen bzw. der EU (s. EU-Osterweiterung) zu einer Stärkung der natio- nalen, regionalen oder lokalen Identität bzw. Loyalität. (Pfetsch : 111)
Denn Städte, Regionen und Nationen sind kleinere „soziale Verbände“ in denen Individuen freiwillig miteinander leben und in denen es leichter ist eine „lokale / regionale Identität“ zu formen als wenn man versuchen würde eine allgemeine europäische Identität unter 400 Mio. EU-Bürgern zu installieren.
Regionalisten sowie Nationalisten haben versucht ihre Interessen konsequent bei jenen EU-Entscheidungen durchzusetzen, die die Regionen betrafen. (Meehan : 81)
Denn nur dadurch hatten sie eine Chance sich Gehör zu verschaffen in den Medien.
Der Trend zur zunehmenden Regionalisierung in den einzelnen Ländern läßt sich am besten am Beispiel Spaniens erkennen. Denn hier kämpft die baskische Untergrundorganisation „ETA“ seit Jahren mit Terroranschlägen und gezielten Morden für einen eigenen Staat der Basken.
Ein ähnliches Beispiel wäre die irische Untergrundarmee „IRA“, die für ein Nordirland kämpft, das frei von Protestanten ist. Politisch unterstützt wird die IRA noch durch die Partei „Sinn Fein“ mit ihrem Vorsitzenden Tony Adams, die auf politischer Ebene für die Belange der IRA kämpft.
4. Entstehung einer europäischen Identität und Legitimität ?
4.1 Meinungsbild zur europäischen Identität in den EU-Mitgliedsländern
Die Unterstützung der europäischen Integration von seiten der Bevölkerung in den EU-Staaten blieb in den letzten zwei Jahrzehnten auf hohem Level konstant, wobei die Zahl der Befürworter einer EU unter den 6 Gründungsstaaten der EU (D, F, I, B, NL, Lux) höher ist als unter den Staaten der ersten „Erweiterungsphase“ der EU (GB, IRL, DK). (Inglehart : 2)
Es muß festgehalten werden, daß die Bevölkerungen der 6 Gründungsstaaten positiver der EU gegenüber eingestellt sind als die Staaten der ersten „Erweiterungsphase“ und hier vor allem England. (Pinder : 105)
Denn gerade die Engländer stehen der „Europäischen Idee“ immer noch skeptisch gegenüber (s. „Nicht-Beitritt“ zum Euro 1999), was aber auch durch ihre Insellage gefördert wird.
Die anfängliche Europaeuphorie und der Gedanke einer einzigen „europäischen Identität“ verflog sehr schnell, was dazu führte, daß den Bürgern der EU der jeweilige Nationalstaat bzw. die nationale Identität lieber war als ein „Europäischer Staat“ inkl. Identität. (Reinhart : 533)
Der Nationalismus gilt vor allem in den ehemaligen „Ostblock-Staaten“ nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ als Emanzipierung gegenüber den anderen Staaten (Einhorn : 3) und als Selbstidentifikation.
Der Nationalismus diente der Legitimierung starker Eliten und der Diskriminierung von sog. „anderen“. (Einhorn : 4)
Wenn man sich mit der europäischen Integration auseinandersetzt darf man aber bei der anschließenden Debatte nicht die kulturelle Entwicklung in dem betreffenden Land außer acht lassen, weil man nur durch sie die Identität bzw. politische Ansicht eines Individuums verstehen kann. (Lehning : 7a)
Die Identität eines Individuums muß sich nicht nur auf ein Land (das „Heimat- land“) beziehen, sondern es kann sich auf Grund der verschiedenen interna- tionalen Systeme z.B. EU, NATO usw. auf mehrere Bereiche beziehen d.h. daß man sowohl Deutscher als auch EU-Staatsbürger sein könnte. (Nida-Rümelin : 47)
Die politische Identität könnte sich auch danach richten in welchen Politik- bereichen der betreffende Bürger tätig ist z.B. Schutz der Ausbildungsplätze, Kindergartenplätze = Jugendpolitik. (Lehning : 10a)
4.2 Entwicklung der „europäischen Staatsbürgerschaft“
Bereits jetzt kann gesagt werden, daß es auch bei der EU-Staatsbürgerschaft unterschiedliche Gruppen von Staatsbürgern geben wird, sog. „Erste-Klasse-“ und „Zweite-Klasse-Staatsbürger“ oder „Nicht-EU-Bürger“.(Newman : 159)
Zur Gruppe der „Erste-Klasse-Staatsbürger“ gehören alle Personen, die die EU- Staatsbürgerschaft besitzen und in der Lage sind von einem Mitgliedsland in das andere zu reisen.
Zur Gruppe der „Zweite-Klasse-Staatsbürger“ gehören alle Personen, die nicht in der Lage sind ohne Hindernisse von einem Mitgliedsland in ein anderes zu reisen z.B. ältere Leute sowie Personen mit körperlichen Einschränkungen.
Zur Gruppe der „Nicht-EU-Bürger“ gehören alle die Menschen, die nicht aus Europa kommen, aber in Europa Zuflucht suchen auf Grund schlechter politischer Verhältnisse in ihrem Land z.B. Afrikaner, Asiaten u.a. (Newman : 161, Münch : 95)
Um den Strom der Einwanderer nach Europa zu stoppen und dadurch das Zusammenwachsen Europas nicht zu behindern, versucht die EU „Dämme“ gegen den Einwanderungsstrom aus „Nicht-EU-Ländern“ zu errichten. (Münch : 95)
Die „EU-Staatsbürgerschaft“ kann sowohl positive als auch negative Effekte haben.
Zu den positiven Effekten gehört die Definition von Rechten sowie neue Partizipationsmöglichkeiten der EU-Bürger.
Zu den negativen Effekten gehört die teilweise oder totale Ausgrenzung von „Nicht-EU-Bürgern“ aus der Gesellschaft. (Newman : 172, Lehning : 14a, Lehning : 184b, Münch : 95)
Diese Ausgrenzung könnte dadurch gefördert werden, daß die Mitgliedstaaten der EU Gesetze erlassen, die es „Nicht-EU-Staaten“ noch schwieriger machen in die EU einzutreten, weil es innerhalb der EU hohe Standards gibt (Meehan : 77) z.B. bestimmtes Mindesteinkommen der Bürger, bestimmtes Wirtschaftswachstum oder -größe u.a.
Eigentlich wird die „EU-Staatsbürgerschaft“ nicht gebraucht, weil die historische Aufgabe der EU darin bestand eine gemeinsame wirtschaftliche Union zu gründen. (Lehning : 195b)
Es war jedoch nie davon die Rede, daß die Europäische Union auch eine Art eigenständiger Staat werden sollte mit eigenem Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Bei der Gründung der EU bzw. EGKS war man nur daran interes- siert bessere wirtschaftliche Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten zu erhalten, sozusagen eine Art „wirtschaftlicher Pakt“ in Europa. (s. Gründung der ersten europäischen Institution 1952 EGKS = Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl = reine „Wirtschaftsunion“, Ziel : Abschaffung der Zölle zwi- schen den Mitgliedstaaten der EGKS = D, F, I, B, NL, LUX)
4.3 Partizipation der EU-Bürger an Wahlen zum Europa-Parlament
Das große politische Interesse in der Bevölkerung von Industrienationen kann sowohl als Meßwert für die Intensität der Eingriffe der Regierung in die Gesellschaft gesehen werden als auch als Folge des Politisierungsprozesses in diesen Gesellschaften. (Deth : 203)
Die Unterschiede beim politischen Interesse in der Bevölkerung resultieren hauptsächlich aus den verschiedenen Bildungssystemen der Länder bzw. im unterschiedlichen Wertewandel in diesen Ländern. (Deth : 208)
Weil das Angebot an Kandidaten aber sehr groß ist und die Unterschiede in den Programmen der Parteien meist nur den gebildeteren Bevölkerungsschichten in der Gesellschaft in allen Einzelheiten bekannt sind, ist die Wahl eines Kandidaten für den Bürger fast genau das gleiche wie wenn er ein Produkt auswählt, das er kaufen will. (Kaldor : 13)
Die Mehrheit der Bevölkerung der Mitgliedstaaten der EU sieht sich eher als Bürger des eigenen Heimatlandes denn als „EU-Staatsbürger“. (Newman : 151) Diese Verbundenheit mit dem Heimatland führt dann dazu, daß Wahlen im Heimat-land wichtiger erachtet werden als Wahlen zum EU-Parlament. (Newman : 155)
Denn die Arbeit des EU-Parlaments wird von den Bürgern nicht so beachtet wie die Arbeit des eigenen Parlaments, weil die Entscheidungen im eigenen Land schneller zu spüren sind als Entscheidungen der EU.
Viele nationale Politiker haben auch Angst, daß die Demokratisierung der EU einen gemeinsamen politischen Willen der Europäer schaffen könnte, was wiederum dazu führen würde, daß die nationalen Staatsgewalten durch eine europäische Staatsgewalt abgelöst wird, wodurch die nationale überflüssig wird. (Reinhard : 535)
Man muß sich in diesem Zusammenhang aber Fragen, warum es nicht möglich ist, daß ein europäischer Staatsbürger seine politische Identität zum einen dadurch bestimmt, wo er lebt (regional) und zum anderen auf einer (oder mehreren) nationalen Ebenen (je nachdem in welchen Ländern er/sie lebt z.B. mehrere Wohnsitze in unterschiedlichen Ländern auf Grund steuerlicher Vergünstigungen), die im Gegenzug regelt, wo der Betreffende seine Steuern zahlen oder Wählen gehen muß. (Kaldor : 22)
Die politische Partizipation der Bürger kann aber auch dazu führen, daß die Effektivität des sog. politischen Willensbildungsprozesses gegen null tendiert, weil es viel schwieriger wird die Einwohner aller EU-Mitgliedstaaten zu Wahlen aufzurufen als wenn man es nur in einem einzelnen Mitgliedstaat versucht oder auf lokaler oder regionaler Ebene (Bundes-, Landes-, Regionalwahlen). (Lehning : 8a)
Des weiteren wäre es so gut wie unmöglich einen allgemeinen politischen Meinungsbildungsprozeß zu initiieren auf Grund der vielen verschiedenen Sprachen in den einzelnen Mitgliedstaaten. (Lehning : 8a)
4.4 Legitimation der Entscheidungen der EU
Die EU legitimierte sich selbst in den 60er Jahren kraft Aufgabe (Höreth : 35) in dem sie ihre Ziele, die sie umsetzen wollte in die einzelnen Verträge schrieb. „Die Legitimation und Kontrolle der öffentlichen Gemeinschaftsgewalt wurde durch Kontrollbefugnisse auf der Ebene der Mitgliedstaaten sowie deren Rolle im europäischen Willensbildungsprozeß gewährleistet.“ (Höreth : 37)
Das Regieren auf EU-Ebene glich dennoch eher einem „Government for the people“ statt einem „Government by the people“. (Höreth : 44)
Denn die Bürger haben im direkten EU-Entscheidungsprozeß nicht die Möglichkeit an diesem Prozeß teilzunehmen, denn der eigentliche EU-Entschei- dungsprozeß findet ohne die Beteiligung der Bürger und deren nationalen Parlamenten in den Gremien bzw. im EU-Parlament statt. (Höreth : 46)
Im europäischen politischen Willensbildungsprozeß fehlen auch die Medien, die über allgemeine Ereignisse wie Wahlen zum Europa-Parlament oder Entscheidungen bzw. Debatten des Europaparlaments berichten. (Höreth : 59, 326) Denn nur durch die Medien wäre der EU-Bürger in der Lage die politischen Prozesse nachvollziehbar wahrzunehmen, daraus eine eigene Meinung zu bilden und u.U. die Ansichten der Politiker kritisch zu hinterfragen.
Das hat im Nachhinein zur Folge, daß es keinen europaweiten öffentlichen politischen Diskurs gibt, der für einen europäischen Willensbildungsprozeß von großer Bedeutung wäre, weil es keine gemeinsame europäische Öffentlichkeit bzw. einen europäischen „demos“ gibt. (Höreth : 61)
5. Ausblick
Die derzeitige EU kann noch nicht als „Staat“ gesehen werden. Vielmehr ist die EU nach wie vor nur ein „Wirtschaftsriese (s. Gründung EGKS 1951) ohne ausreichende politische Handlungsfähigkeit, innere Solidarität und kollektive Identität“. (Münch : 103)
Manche sehen in der EU eine Art „Völkergemeinschaft“, in der es eine Vielzahl von Ansichten, Meinungen und Interessen gibt, die zwar nicht zu einer „EUMeinung“ zusammengefaßt werden können, die aber den politischen Willensbildungsprozeß fördern würden (v. Tassin). (Meehan : 82)
Um einen besseren Zugang zu den Gemeinsamkeiten der EU-Bürger zu finden sollte man sich nochmals mit der europäischen Vergangenheit beschäftigen, damit man frühere Konflikte und Bündnisse zwischen den Staaten ausmacht und anhand dieses Materials die Bündnisse zwischen den Ländern neu bestimmt, z.B. Deutschland / Frankreich. (Morin : 170)
Literatur :
1. Kaufmann, F. „Zur historischen und aktuellen Entwicklung des europäischen Staates“ im „Handbuch zur Verwaltungsreform“, Bandemer, S.v., Blanke, B, Nullmeier, F., Wewer, G., Verlag Leske + Budrich, Opladen, 1998, S. 11-18
2. Pfetsch, Frank R. „Die Europäische Union - Eine Einführung“, München : Fink, ´97
3. Newman, M. „Democracy, Sovereignity and the European Union“, S. 138-
4. Inglehart, R., Reif, K. „Analyzing Trends in West European Opinion : the Role of the Eurobarometer Surveys“ in „Eurobarometer : The dynamics of European Public Opinion“, Macmillan Academic and Professional Ltd., 1991, S. 2-26
5. Pinder, J. „Public Opinion and European Union : Thatcher versus the People of Europe“ in „Eurobarometer : The dynamics of European Public Opinion“, Macmillan Academic and Professional Ltd., 1991, S. 101-121
6. Deth, J. W. van, „Politicization and Political Interest“ in „Eurobarometer : The dynamics of European Public Opinion“, Macmillan Academic and Professional Ltd., 1991, S. 201-213
7. Einhorn, B.,Kaldor, M.,Kavan, Z. „Introduction“ in Einhorn, B.,Kaldor, M.,Kavan, Z. „Citizenship and Democratic Control in Contemporary Europe", Edward Elgar Publishing Ltd., S.1-6
8. Kaldor, M. „Nation-States, European Institutions and Citizenship“ in Einhorn, B.,Kaldor, M.,Kavan, Z. „Citizenship and Democratic Control in Contemporary Europe", Edward Elgar Publishing Ltd., S.9-22
9. Lehning, P.B., Weale, A. „Citizenship, democracy and justice in the new Europe“ (Kapitel 1) in Lehning, P.B., Weale, A. „Citizenship, democracy and justice in the new Europe“,Routledge, 1997, S.1-14
10. Nida-Rümelin, J. „Structural rationality, democratic citizenship and the new Europe“ (Kapitel 3) in Lehning, P.B., Weale, A. „Citizenship, democracy and justice in the new Europe“,Routledge, 1997, S. 34-47
11. Meehan, E. „Political pluralism and European citizenship“ (Kapitel 5) in Lehning, P.B., Weale, A. „Citizenship, democracy and justice in the new Europe“, Routledge, 1997, S. 69-82
12. Reinhard, W. „Krise und Transformation des Staates in Europa“ (Kapitel 6), „Krise oder Transformation des Staates in Europa“,
13. Lehning, P.B. „European citizenship : A mirage ?“ (Kapitel 11) in Lehning, P.B., Weale, A. „Citizenship, democracy and justice in the new Europe“, Routledge, 1997, S. 175-195
14. Münch, R. „Das Projekt Europa : zwischen Nationalstaat, regionaler Autonomie und Weltgesellschaft“, Suhrkamp Verlag, 1993
15. Weidenfeld, W. „Europäische Einigung im historischen Überblick“ (Kapitel 1) in Weidenfeld, W., Wessels, W. (Hrsg.) „Europa von A-Z - Taschenbuch der europäischen Integration“, Bundeszentrale für politische Bildung, 1995, S. 11-63
16. Morin, E. „Europa denken“, Campus Verlag, Frankfurt, 1991, S. 138-170
17. Höreth, M. „Die Europäische Union im Legitimationstrilemma - Zur Rechtfertigung des Regierens jenseits der Staatlichkeit“, Nomos Verlag, 1999
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