Von Schwindel und Schwindlern in der Wissenschaft

Zweite erweiterte Auflage


Diskussionsbeitrag / Streitschrift, 2021

165 Seiten


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INHALT

Vorbemerkung zur Neuauflage

Doktorwürde, ein Namensschmuck oder mehr?

Verkehrsregeln
Wissenschaftlicher Formzwang
Fallstrick Publikationszwang
In neuem Format: die „Publikationspromotion“
Erwischt – so ein dummer Zufall
Schutz vor Datenmanipulation und Plagiat
Privates und öffentliches Interesse

Spiel ohne Grenzen
Wissenschaft und „Sachbuch“
Schwindel in der Endlosschleife
Schwindel als Systemkritik

Akademische Rechtsfindung
Das Recht der Selbstverwalter
Die zuständige Stelle
Meinungsbildung im Gremiengeflüster
Angelpunkt Täuschung
Wer wird getäuscht?
Verantwortung der Doktoreltern
Täuschung in „gutem Glauben“?
„Gründe“ und Hintergründe
Überfordertes Ermessen

Rechtsfolgen
Aberkennung oder Verzicht?
`Notenabzug
„Rüge“
Kratzspuren im Ordnungs- und Strafrecht
Titelschande und Berufsehre
K.o. im Hochschuldienst
Resozialisierung in der Lehre
Später unwürdig?
„Erlöschen“ mit dem Tod?

Auswege
Doktorhut unter Vorbehalt
„Rettungslösung“ im Vergleichsvertrag
Restwert – zu gut für die Tonne?
Rationales Desinteresse
Die zweite Chance
Demnächst : Historisierung, Verjährung?

Von Fall zu Fall

Margarita Mathiopoulos und der Wankelmut der Hochschulen
Im Wechselschritt von Wissenschaft und Wirtschaft
Doktorarbeit wie im Bilderbuch
Cover Girl in Fake-Verdacht
Startguthaben Bonn
Zwei Problemfälle auf einmal
Vertrackte Lage, dubiose Auswege
Aufstieg an der Leine
Hoffnungsträgerin an der Havel
Erbsenzählen fürs Letzte Gericht
Uni kaputt
Raus aus dem Professorentalar
Nachwort Gysi
Drinnen und draußen

Hans-Hermann Dickhuth und der medizinische Circus
Ein schwarzes Schaf unter Unschuldslämmern
Akademischer Lebenslauf
Der Zufallsfund
Ein fauler Kompromiss
Musterbeispiel oder Kopiervorlage?
Netzwerker statt „Einzeltäter”
Urheberschaft oder Autorschaft
Dickhuths Doppelgänger
Heckenschützen im Arztkittel?
„Fehlverhalten“ oder Systemfehler?
Verhalten nach ungeschriebenem Gesetz
Krähe und Unglücksrabe?

Annette Schavan im „Irrenhaus“
Karriere im Zeitraffer
„Ich“ und die Wissenschaft
Der Hinweisgeber
„In einem völlig durchschnittlichen Fall“
Abbiegung in die Politik
Milderungsgrund Lebensleistung?
Nachgedanken von Dekan Bleckmann
„Rüge“ verspielt
Lückenhaftes Ermessen
Sackgasse Hochschulrat
Honorarprofessorin per Fallschirm
Ehrendoktor als Rettungsmedaille

Marc Jan Eumann und sein verzwicktes Selbstplagiat
Aufsteigende Lebenskurve
Ein verstörender Archivfund
Selbstplagiat
Dammbruch zwischen Wissenschaft und Politik
Hauptdarsteller und Regie
Unklare Frage, missverstandene Antwort
Übergriffige Rektorin
„Freispruch“ mit und ohne Begründung

,,, und noch immer mehr Streitfälle ohne Ende

Dr. rer. agr. Till Backhaus, Minister im Anschein des quid pro quo

Dr. rer. pol. Wolfgang Dippel, Landespolitiker am akademischen Limit

Ein „Bessergestelltenbonus“?

Prof. Dr. med. Christian Drosten, Promotion spät geheilt

Dr. rer.pol. Franziska Giffey, die Ministerin und ihre Garderobiere

Im Auf- und Gegenwind - Umstrittene „Rüge“ - Abgestempelt statt aberkannt

Winddrehung im Karrieregewitter - „Verzicht“ auf den akademischen Vornamen

Dr. rer. pol. tech., Dr. h.c. (BGR) Klaus Göhrmann, Ex-Dr.-Ing., Honprof.?

Promoviert im Triumvirat – Doppelt bestraft ? –Ausfahrt verpasst

Dr.-Ing. Jochen Großmann, Ex-Honprof . wg. Korruption

Neustart in Polen

Dr. med. Winfried Stöcker, Honprof. trotz bösem Ruf

Dr.-Ing. ehrenhalber Binali Yildirim, Patenkind der Politik

Rück- und Ausblick
Normvertrauen statt „Hausrecht“
Störfall-Prüfung ohne Strafaktion
Prüfbehörde auf dem Prüfstand
Notwendiger Verbraucherschutz
Illusorische Doktorwürde

Appendix: Wendepunkte für DDR-Akademiker
„Friedliche Revolution“
Titelschutz für alte Eliten
Prof. Dr. h.c. mult. Kurt Hager, Ideologe
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Biermann, Kombinatschef
Ehrendoktor aus dem „Westen“
Prof. Dr. paed. Jan-Hendrik Olbertz, moralischer Erzieher

„Wiedergutmachung“ :
Honprof. Dr. phil. Günter Zehm, Journalist
Dr. phil. h.c. Roland Jahn, Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen
Dr. phil. Louis Gerhard Graf, Nazi-Verfolgter
Politik mit trügerischem Anschein

Namensregister

Vorbemerkung zur Neuauflage

Dies ist die überarbeitete und erweiterte Fassung des 2019 unter dem Titel „Zum Scheitern verurteilt“ erschienenen Berichts. Die Appendix über DDR-Titel im Gewitter der „Wende“ geht auf die Anregung eines Lesers der ersten Auflage zurück.

Wozu das Ganze? Ausgangspunkt waren Plagiatsverfahren gegen die Doktorarbeiten der Politologin Margarita Mathiopoulos (1989 - 2018), der Pädagogin Annette Schavan (2012 - 14), des Historikers Marc Jan Eumann (2013 - 14) sowie gegen Doktoranden der Medizin und ihren Betreuer Hans-Hermann Dickhuth (2011- 14). Diese Fälle erregten großes öffentliches Aufsehen. Inzwischen sind die Akten nach hochschulinternen Überprüfungen oder auch erst durch bestätigende Gerichtsurteile endgültig geschlossen.

Weitere namhafte Beispiele können das ganze Panorama des mutmaßlichen oder nachgewiesenen wissenschaftlichen Schwindels noch deutlicher illustrieren. Dabei bezeichnet Schwindel in einem Wort mancherlei Abweichung von Maßregeln für wissenschaftliche(s) Arbeiten, die die persönliche Eigenleistung von Autoren verlangen. Die ist das entscheidende Kriterium im akademischen Wettbewerb.

Die amtlichen Verdikte über Schwindler sollen vorgeblich die „Selbstreinigungskraft“ im Wissenschaftsbetrieb beweisen. Demgegenüber hat Stephan Rixen, der Sprecher des bundesweiten Beschwerde-Gremiums für die Wissenschaft, die üblichen Untersuchungsverfahren neuerdings als von vornherein unzureichend bezeichnet (www.faz.net/plagiate-selbstkontrolle-reicht-nicht). Tatsächlich kommen die Universitäten ohne spezielle Verfahrensvorschriften nach Gutdünken zu Urteilen über „Schwindler“, ohne dabei selber immer schwindelfrei zu sein. Grund ist die Selbstjustiz der jeweiligen Hochschule statt einer unbefangenen Außenkontrolle.

Die einzelnen Fallbeispiele sollen auf dem Hintergrund vorangestellter juristischer Prüfkriterien ein möglichst scharfes Profil gewinnen. Diese Kriterien eröffnen verschiedene Vorgehensweisen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.

Anmerkungen verweisen auf andere, insbesondere auch wissenschaftliche Arbeiten, denen die vorliegende Darstellung viel verdankt. Der Zugriff ist oft über Google bequem möglich.

Am Ende führt ein Namensregister zu prominenten Autoren, die in diesem Bericht beiläufig vorkommen.

1 Doktorwürde, ein Namensschmuck oder mehr ?

„ … die ungebrochene Beliebtheit der Titelführung spricht dafür, dass mit dem Doktortitel eine „ehrenvolle Kennzeichnung der Persönlichkeit seines Trägers“ (Thieme) oder jedenfalls eine die Person als akademisch gebildet und geprägt kennzeichnende Heraushebung verbunden wird.“(1)

Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes schlüpfen an deutschen Universitäten im Jahr rund 30 000 neue Doktoren. Natürlich kommt es den meisten lediglich auf den gesetzlich tolerierten Namenszusatz an. Immer schon schillert der Abschluss zwischen sozialem Status und wissenschaftlicher Qualifikation.(2) Mag die „Heraushebung“ oder „ehrenvolle Kennzeichnung“ heute nurmehr auf Einbildung beruhen, wie das Bundesverwaltungsgericht klarstellt(3), so zeigt sich ihre Überlebenskraft jedenfalls dann, wenn die sprichwörtliche akademische Weihe rückgängig gemacht, der Doktortitel aberkannt wird. Für ihren guten Ruf mit Hut ziehen die Titelträger dann oft vor Gericht. Denn, so die sprichwörtliche Befürchtung, was sollen sonst die Leute denken. Die aber sind, wie sich im Falle Guttenberg zeigte, gar nicht unbedingt so ehrpusselig. (4)

In der Arbeitswelt braucht den Doktor heute niemand, der nicht gerade an eine Hochschullaufbahn denkt. Anders als Diplom, Bachelor oder Master qualifiziert er für keinen Beruf, sondern in einem wissenschaftlichen Fach. (5) Aber wie eh und je mögen sich Berufstätige vom Doktorhut zusätzliches Prestige versprechen.

Noch im 19. Jahrhundert konnten angehende Ärzte, Juristen, Lehrer oder Pfarrer gegen eine stattliche Prüfungsgebühr als Ergänzung des Professorengehaltes zu „Pseudodoktoren“ promoviert werden, wie der Historiker und Wissenschaftspolitiker Theodor Mommsen sie titulierte.(6) Dabei diente der Dr .med. etwa zur Abgrenzung gegenüber anderen Heilberufen von „Kurpfuschern“ oder „Quacksalbern“.(7) Erst um 1900 gelangte auch der Dr.-Ing., Schrittmacher der modernen Industriegesellschaft, auf die akademische Bühne, an Technischen Hochschulen gegen den standesbewussten Widerstand der Universitäten.

Seither sind die wissenschaftlichen Ansprüche in allen Fächern gewiss gestiegen, insbesondere durch nötige Vorqualifikationen wie Diplom oder Magistergrad, neuerdings Bachelor und Master.(8) Aber trotz eines bereits berufsqualifizierenden Abschlusses haben viele Doktoranden oft über Jahre ein weniger komfortables Auskommen, vielleicht ein Stipendium – am ehesten Ingenieure eine normal dotierte „Stelle mit Promotionsmöglichkeit“.(9) So spüren etwa manche Ärzte oder Politiker überhaupt erst im späteren Berufsleben den Reiz, nebenher den schmückenden Vornamen Dr. zu erwerben. Sie sind dann auffällig oft anfällig für unlautere Tricksereien.

Anmerkungen

1 Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 14.09.2011, Az.: VGH 9 S 2667/10, Randnr. 29, https://openjur.de/u/357400.html
2 www.forschungsinfo.de/working_paper_12_2012.pdf.; das entspricht der traditionellen Unterscheidung pro gradu / pro loco
3 www.bverwg.de/310713U6C9.12.0, Randnr. 21
4 Der BILD-Kolumnist F.J. Wagner, immer am Puls seines Millionenpublikums, empfahl dem Minister: „Scheiß auf den Doktor“ (www.bild.de/post-von-wagner-16015226)
5 So setzen Beruf und Berufsbezeichnung „Ingenieur“ gesetzlich den Abschluss eines mehrjährigen Fachstudiums und die Aufnahme in die Kammer voraus, der Dr.-Ing. höchstens ein viel kürzeres Promotionsstudium auf dem Hintergrund eines fachnahen anderen Erstabschlusses; www.spiegel.de/plagiate-in-der-doktorarbeit-ruege-statt-titelentzug
6 Ulrich Rasche, http://reichshofratsakten.de/wp-content/uploads/2018/03/PromWissPraxPrest.pdf, S. 295
7 Ebenda. Vor dem 19. Jahrhundert schrieben deshalb landesherrliche Medizinalordnungen einen Promotionszwang vor, woraufhin die Fakultäten die Promotionsansprüche „ auf ein Maß senkten, das jeder Student erfüllen konnte.“ Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus dem Zwang ein übliches Promotions(an)gebot. – Historische Beispiele von den nichtakademischen, trotzdem oft sehr geschäftstüchtigen Gestalten auf dem medizinischen Jahrmarkt in: Grete de Francesco, Die Macht des Charlatans (1937), Neuauflage Berlin 2021
8 S. http://uis.unesco.org/international-standard-classification-of-education-isced-2011-en.pdf; www.hrk.de/02-03-02-Qualifikationsrahmen/2017_Qualifikationsrahmen_HQR.pdf
9 Vgl. Verf., Wenig Lust auf Promotionen, VDI nachrichten , 9. August 2019, S. 30

Verkehrsregeln

Von Fall zu Fall ist alles einfach so wie es eben ist. Doch hätte es nicht immer unbedingt so kommen müssen, sondern auch anders laufen können. Das Ergebnis erklärt sich immer erst durch den Weg dorthin. Beides hängt weitgehend von verschiedenerlei Prüf- und Bewertungskriterien ab, die einer wissenschaft(srecht)lichen Beurteilung im Einzelfall zur Verfügung stehen, jedenfalls theoretisch.

2 Wissenschaftlicher Formzwang

Wissenschaftliche Veröffentlichungen, Prüfungsschriften zumal, sind eine eigene Literaturgattung. Sie sind inhaltlich sehr fachspezifisch festgelegt und richten sich an einen entsprechend engen Leserkreis. Dabei ist die äußere Form übergreifenden Regeln unterworfen. Die Hauptsache: Stets, auch bei „gemeinsamen Veröffentlichungen“, muss „der Eigenanteil“ des einzelnen Autors „eindeutig erkennbar“ sein, mahnt der Rechtsexperte Gärditz. (1) Mit Zitatnachweisen ist immer ist aufzuweisen, was andere auf dem Gebiet schon als „Forschungsstand“ herausgearbeitet haben. (2)

Der Literaturprofessor Carlos Spoerhase betont „die sprachlich trockene, unpersönlich formulierte und mit Bibliografien, Abkürzungslisten, Registern und Fußnoten beschwerte“ Fachpublikation – im Unterschied zum „literarisch ambitionierten, persönlich gefärbten Buch eines Intellektuellen oder Schriftstellers“.(3) Wolfgang Löwer, der langjährige Frontmann des offiziellen Ombudsgremiums für gute wissenschaftliche Praxis, hebt die „schöpferische Seite des Objektiven“ hervor, die in der „letzten Schärfe des Begriffs, Belegen für jedes Urteil, unerbittlicher Kritik, Selbstkritik“ zur Geltung kommt, alles in allem einer „tiefen Skepsis, die Stil schafft.“(4)

Solche Mahnungen richten sich vor allem auf textbasierte Arbeiten im Unterschied zu naturwissenschaftlich-technischen Untersuchungen, die auf Messungen und statistischer Auswertung von „Daten“ beruhen. Dafür gibt die Fachliteratur etablierte Verfahren vor, die der Autor – immer mit ausdrücklichem Hinweis darauf - anwenden, womöglich dann auch in Eigenleistung modifizieren kann. Daten-SAuswertung und Experimente sind immer so darzustellen, dass sie zwecks Nachprüfung von anderen wiederholt werden können. (5) Die Untersuchungsergebnisse müssen stets an den ursprünglichen Erhebungen kontrollierbar bleiben. Deshalb sind diese Original- oder Primärdaten hierzulande heute mindestens zehn Jahre vorzuhalten.

Viele Erkenntnisfortschritte, „Entwicklungen“ in Naturwissenschaften und Technik sind als Innovationen patentierbar. Das müssen aber nicht neue Entdeckungen, sondern können auch nützliche Produkt-Variationen von schon Bekanntem sein. Deshalb ist längst nicht jede Patentschrift auch promotionsreif. (6)

Die fachlichen Vorgaben leiten den wissenschaftlichen Autor an. Das beginnt oft schon bei der Themenstellung. Oft handelt es sich um eine besonders zugeschnittene Teilaufgabe in einem weitergespannten Forschungsvorhaben am Institut, je nachdem auch aus dem Arbeitsfeld eines Habilitanden. So entstehen nach den Worten der Guttenberg-Kommission projektgebundene Dissertationen in „arbeitsteilig angelegten Settings, die von einem Projektleiter auf der Basis eines umfänglicher angelegten Studiendesigns gesteuert werden.“(7) Wer unter solchen Umständen mitmacht, fügt sich allerlei zweckdienlichen Vorgaben, oft verbunden mit einer Fristsetzung für den Abgabetermin des persönlichen Beitrags.

Die fachlichen Zwänge und Erwartungen routinierter Prüfer können eine heilsames, aber auch bitter schmeckendes Kraut sein. So zog Walter Benjamin 1925 sein Habilitationsgesuch mit einer Untersuchung über den Ursprung des deutschen Trauerspiels wegen Missfallens in der Frankfurter Fakultät zurück. Was dem Nachruhm des Werkes überhaupt nicht schadete.

Aber keine Regel ohne Ausnahme, in diesem Fall nach einem informellen oder sogar förmlichen „Genieparagraphen“. So haben wissenschaftlichen Institutionen schon mal Einsehen mit Abbrechern: Der Philologe Roland Barthes (1915 - 1980) etwa wurde trotz nie abgeschlossener Dissertation Professor am berühmten Collège de France in Paris und betreute dort mehr als hundert Doktoranden. (8) Solch ein Sprung kann sogar in den Naturwissenschaften vorkommen, wie sich am Beispiel des wegweisenden Physikers Freeman Dyson zeigt: Auch er gab sein Promotionsvorhaben auf, wurde gleichwohl Professor und forschte seit 1952 jahrzehntelang am Institute for Advanced Study in Princeton.(9) Der große wissenschaftliche Wurf kann den etablierten Formzwang sprengen. (10)

Anmerkungen

1 Mailantwort vom 15.10.2020
2 „Verweise“ wie „siehe auch“ geben oft nur einen imposanten Überblick über Ungelesenes, zeigt J. Kaube, www.faz.net/wissensgesellschaft-die-drei-formen-der -ignoranz, mit Bezug auf Andrew Abbott, Varianten der Unwissenheit, www.diaphanes.de/titel/varianten-der-unwissenheit-725
3 www.sueddeutsche.de/die-dissertation-sollte-fertig-sein-bevor-man stirbt; im Anschluss an Charles Coustille: Antithèses, Paris 2018
4 Regeln guter wissenschaftlicher Praxis (… ), Baden-Baden 2017, S. 47; Löwer zitiert Studienerfahrungen des Arztes (und Dichters) Gottfried Benn anfangs des 20. Jahrhunderts.
5 Neuerdings dazu Stuart Ritchie, Science Fictions. The Epidemic of Fraud, Bias, Negligence and Hype in Science, New York: Penguin Random House 2020
6 Zur „incremental resaearch“ s. Oldamur Hollóczki, www.faz.net/debatten/patienten-und-patente-in-der-pharma-industrie
7 www.uni-bayreuth.de/presse/info/2011/Bericht_der_Kommission_m__Anlagen_10_5_2011_.pdf, S. 29
8 Spoerhase wie Anm. 3
9 www.faz.net/aktuell/wissen/tod-von-freeman-dyson.
10 Andreas Fisahn, Wahrheit und Fußnote, Neue Juristische Wochenschrift 11/2020, S. 743 ff. sucht für weniger Formzwang auch in Qualifikationsschriften, akademischen Handwerksstücken, zu erwärmen Dagegen Gerhard Dannemann, Myops 41, 2021, S. 62 ff., s. auch Patrick Bahners, Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.2.2021, S. N4

3 Fallstrick Publikationszwang

Dass bei wissenschaftlichen Schriften oft Pfusch am Werk ist, ist altbekannt. (1) Um den „Pseudodoktoren“ und ihren schlampigen Prüfern Paroli zu bieten, setzte der einflussreiche Universitätsprofessor Mommsen in Preußen einen Druckzwang für Dissertationen durch. (2) Publizität soll vor Missetaten zumindest abschrecken. In den Notlagen der beiden Weltkriege wurde der Druckzwang allerdings zweimal aufgehoben. Die deutschen Fakultäten führten ihn hernach wieder ein. Erst in den 70er Jahren empfahl die Kultusministerkonferenz allgemein, der Doktor solle seine Arbeit „in angemessener Weise der wissenschaftlichen Öffentlichkeit durch Vervielfältigung und Verbreitung zugänglich machen“, mindestens mit ein paar Dutzend Druckexemplaren für den bibliothekarischen Leihverkehr. (3) Mittlerweile geht das auch online. Das steht heute in allen deutschen Promotionsordnungen – doch immer noch nicht in allen Habilitationsordnungen für angehende Uni-Professoren. (4)

Mit dem Publizitätszwang für Dissertationen ist Deutschland eine Ausnahme in der Welt. In den USA zum Beispiel oder auf den britischen Inseln ist er nicht vorgeschrieben. Auch im offiziell gemeinsamen „europäischen Hochschulraum“ bestehen unterschiedliche Regelungen, oft zur Abschirmung der Autoren. (5)

Ein Beispiel aus Polen: Auf Nachfrage eines Herkunftsforschers stellte die Uni Szczecin (vormals Stettin) die Arbeit erst mit Einzelerlaubnis des Rektors zur Verfügung. Ähnlich umständlich ist der Zugriff an Hochschulen in Tschechien oder Ungarn. Vor Ort oder in der Fernleihe darf nur eingeschränkt kopiert werden. Je nachdem braucht der Leser sogar die Einwilligung des Verfassers. (6) Da triumphiert das Urheberrecht über alle Ansprüche der wissenschaftlichen Community.

In Österreich beispielsweise ist die „hinreichende Publizität“ schon gewährleistet, wenn der Autor ein Exemplar seiner Uni und ein weiteres der Nationalbibliothek überlässt. Dabei hat er das Recht, „die Benützung der Exemplare für längstens fünf Jahre nach der Ablieferung auszuschließen.“ Doch wen interessiert die Arbeit dann noch?

Weshalb manch deutsche Doktoranden lieber im Partnerland promovieren. Der ausländische Grad kann je nachdem zum Vornamen „Dr.“ eingedeutscht werden. Selbst wer als Textdieb oder Datenfälscher auffliegt, muss um seinen akademischen Vornamen von anderswo nicht so fürchten wie um den aus Deutschland. In der Slowakei, wo Doktorarbeiten erst seit 2012 als e-books publiziert werden müssen, sehen die Unis überhaupt keine Rechtsgrundlage, den einmal verliehenen Doktor nachträglich zu entziehen. (7) Er bleibt dann aufgrund eines zwischenstaatlichen „Äquivalenzabkommens“ auch hierzulande gültig.

Deutschland selbst ist demgegenüber für Doktoranden ein Hochrisikoland.

Anmerkungen

1 Parodiert schon in Gustav Freytags Roman „Die verlorene Handschrift“ (1864); s. dazu u. 10
2 Ulrich Rasche, http://reichshofratsakten.de/wp-content/uploads/2018/03/PromWissPraxPrest.pdf, S.296
3 www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/1977/1977_04_29-Grundsaetze-Veroeffentlichungen-Dissertationen.pdf.
4 Kritisch dazu Gerrit Hellmuth Stumpf, Dissertationsdruckzwang, Wissenschaftsrecht 49, 2016, S. 271, 287. Ein Beispiel: Nach der Hessischen Immatrikulationsverordnung muss ein Exemplar der schriftliche Habilitationsleistung fünf Jahre bei den Prüfungsakten aufbewahrt und danach dem Staatsarchiv angeboten werden, das über die Archivwürdigkeit entscheidet. Bei negativer Entscheidung wird die Arbeit auf immer vernichtet. (Frdl. Auskunft des Justiziars der Uni Marburg vom 28.9.2020). Medizinprofessoren lassen ihr Werk gern vom Winde verwehen.
5 Die folgenden Beispiele nach www.lto.de/veroeffentlichungen-doktorarbeit-druckzwang
6 Die verweigert etwa ein deutscher Autor noch 2020 für seine Dissertation von 1999 in Bratislava /Slowakei: www.stuttgarter-zeitung.de/geheimnisvoller-doktortitel
7 www.lto.de/doktor-slowakei-plagiat-abkommen-vergleichbarkeit-bewertung-zeugnis/

4 In neuem Format: die „Publikationspromotion“

Die Doktorarbeit ist eine thematische Abhandlung, die herkömmlich als Einzelschrift (Monografie) erscheint, gedruckt oder online. Wenn überhaupt, wird das Werk in der breiteren Fachöffentlichkeit durch eine An z eige oder Besprechung in Zeitschriften bekannt.

In jüngerer Zeit werden die Erkenntnisse des Doktoranden auch schon vor dem Promotionsverfahren oder gleichzeitig damit in Zeitschriftenaufsätzen veröffentlicht. Das dient der schnellstmöglichen Breitenwirkung des Wissenszuwachses. Gerade in den Naturwissenschaften veraltet der ganz schnell.

Für die „publikationsbasierte“ Promotion, kurz „Publikationspromotion“, werden die Fachaufsätze kumulativ zusammengefasst, je nachdem noch mit einem überwölbenden Dachkapitel. Falls Aufsätze mehrere Verfasser haben, wie oft bei arbeitsteilig angelegten Projekten, dann muss der Eigenanteil des Doktoranden selbstverständlich klar erkennbar sein. (1)

Die „Publikationspromotion“ kann einer doppelten Qualitätssicherung dienen, da die Zeitschriftenbeiträge vorab von externen Fachleuten begutachtet werden und nicht wie die traditionelle Doktorarbeit bloß intern von der promovierenden Uni XY. Die dort eingereichte Dissertation mit vorliegenden Publikationen ist für die akademische Graduierung nötig - aber nicht mehr für die fachöffentliche Diskussion.

Dass eine Zeitschrift eine Doktorarbeit allerdings ganz abdruckt, ist generell unwahrscheinlich. Das Wesentliche (anstelle des vollen Umfangs) kann der Fachwelt schon genügen. Darüber entscheidet die Prüfbehörde nach Ermessen.

Anmerkung

1 Gärditz, Mailantwort vom 15.10.2020, so auch www.academics.de/ratgeber/kumulative-dissertation; ein konkreter Problemfall ist die Diss. DROSTEN (s.u. 41)

5 Erwischt - so ein dummer Zufall

Jedes Jahr verlieren Schwarze Schafe unter den Doktoren oder Hochschullehrern, manchmal lange beschwiegene Lämmer, ihren akademischen Abschluss nachträglich wegen Täuschung der Prüfer und Leser. Der Schwindel hat im Wesentlichen zwei Formen: Datenmanipulation (1), bei der Messungen verfälscht werden, und /oder Textklau, bei dem ein Autor von einem anderen heimlich abschreibt.

Der skeptische Philosophieprofessor Peter Sloterdijk nimmt zwar an, „dass inzwischen 98 bis 99 Prozent aller akademischen Textproduktionen in der Erwartung des partiellen oder völligen Nichtgelesenwerdens verfasst werden.“(2) Sie sind wegen der sprichwörtlichen „Halbwertszeit des Wissens“(3) oft schnell vergessen. In diesem System, so Sloterdijk, führt höchstens „die unerwartete Lektüre zur Katastrophe.“(4) Doch bleibt die Zahl der mit falschem Abschluss Erwischten im Vergleich mit den unangefochtenen Titelträgern ganz gering, im Promillebereich.

Oft wird der Wissenschaftsbetrug so zufällig entdeckt wie Amerika durch Kolumbus. Mal fällt einem belesenen Bibliothekar der Schwindel auf (5), mal einem Doktoranden (6) auf dem gleichen Gebiet, ab und an (wie in den Fällen Mathiopoulos und Eumann) auch bei einer Buchbesprechung für ein Fachorgan (7). Hin und wieder schnüffeln bezahlte Herkunftsforscher im Kundenauftrag. (8) Für andere ist Plagiatsjagd eine Freizeitbeschäftigung, so im Falle Schavan. Mitunter „verrät“ auch ein enttäuschter Mitarbeiter, wie Daten in einem Team gefälscht wurden. (9)

Unter dem Mantel des Informantenschutzes wenden sich Hinweisgeber aus unterschiedlichen Motiven gezielt an die sensationshungrige Presse oder andere publikumswirksame Medien. Dass eine Untersuchungskommission der Uni mal von sich aus auf Dubletten stößt, ist (wie im Fall Dickhuth) eher ein Zufallstreffer.

Da Hinweisgeber nicht selten von außerwissenschaftlichen Konfliktlagen ausgehen und wissenschaftsfremde Zwecke (bis zur persönlichen Rache) verfolgen, wollen die amtlichen Ansprechpartner in den Hochschulen den Kritiker möglichst unter seinem Klarnamen kennen oder wissen, weshalb er oder sie sich lieber in der Anonymität versteckt.(10) Das so gewonnene Vorverständnis kann je nachdem die Sachklärung überschatten.

Aber auch die bleibt Selbstzweck, wenn das Lesepublikum davon nichts erfährt. (11) Rolf Schwartmann, Professor für Medienrecht, sagt: „Will die Hochschule die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft sichern, so kann dies nur im Wege der Information über das Fehlverhalten erfolgen.“ (12) Den Entzug der Qualifikation im Bibliothekskatalog zu vermerken, sei datenschutzrechtlich möglich. Indes erklärt Klaus-Rainer Brintzinger, Direktor der Unibibliothek München und führend im Deutschen Bibliotheksverband: „Es besteht kein Anspruch darauf, dass das, was in den Katalogen steht, wissenschaftlich gesichert oder strafrechtlich unbedenklich ist. Bibliothekskataloge sind Findmittel und kein Instrument zur Überprüfung wissenschaftlicher Validität oder Dignität.“ (13)

Tatsächlich vermerkt der DNB-Katalog die Aberkennung des Doktorgrades nur, wenn die Uni ihr das mitteilt, erklärt die Rechtsabteilung auf Nachfrage. (14) Das passiert in manchen, aber nicht allen Fällen – so nicht bei der Doktorarbeit von Margarita Mathiopoulos oder der Habilitationsschrift von Hans Hermann Dickhuth, wohl aber mit der Dissertation von Annette Schavan. Es ist Zeit, dass sich was ändert.

Anmerkungen

1 www.zeit.de/datenfaelschung-forschungsbetrug-plagiat-naturwissenschaft
2 Doktor Wenn und Doktor Aber, www.spiegel.de/ d-82612703. Das klingt auch beim Plagiatsexperten Volker Rieble an: „Aber wir produzieren Texte nicht, damit sie gelesen werden, sondern damit sie nicht gelesen werden. Darauf beruht das ganze System“; www.tagesspiegel.de/plagiatsexperte-im-interview
3 www.welt.de/Mythos-Halbwertszeit-des-Wissens
4 wie Anm. 2
5 www.spiegel.de/prinz-von-preussen-zu-plagiatsaffaere-entschuldigen-kann-man-so-etwas-nicht
6 www.spiegel.de/plagiator-mit-doktorwuerde-wie-wird-man-einen-spitzenbeamten-los
7 www.sueddeutsche.de/guttenbergs-doktorarbeit-summa-cum-laude-mehr-als-schmeichelhaft
8 S. etwa www.zeit.de/hochschule/2011-09/portraet-weber
9 Beispielsweise im Falle Herrmann / Brach, www.tagesspiegel.de/themen/gesundheit/freispruch-zweiter-klasse/
10 www.dfg.de/pdf/gute-wissenschaftliche-praxis/Kodex_gwp.pdf, S. 18
11 www.tagesspiegel.de/wissen/beanstandete-dissertationen-in-bibliotheken-plagiate-mit-zukunft/
12 Spuren des Betrugs, Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.1.2021
13 Ebenda
14 Dabei unterscheidet der Katalog leider nicht zwischen Hochschulschriften, die von Anfang an nichtig waren, und dem Titelentzug wegen späterer „Unwürdigkeit“.

6 Schutz vor Datenmanipulation und Plagiat

Fälschen und Plagiieren sind unterschiedliche Risiken. Datenmanipulationen lassen sich oft nur durch experimentelle Nachprüfungen feststellen, also viel schwerer als Textdiebstahl. Hinzukommt, dass Autoren aufgrund (angeblicher) „Wiederholungsexperimente“ frühere „Irrtümer“ öffentlich korrigieren (corrections) oder mit einem Rückzieher (rectractions) den drohenden Skandal aus der Welt schaffen. (1)

Bei bloßen Abschreibereien ist ein gelehrtes Drumherum-Reden nicht so leicht möglich. Indes hat das Plagiat, nach seiner lateinischen Wortwurzel ein Raub, unterschiedliche Erscheinungsformen von der verheimlichten Volltext- bis zur umformulierten Inhalts-Übernahme. (2) Im rechtlichen Umgang damit sind wenigstens drei Bedeutungen zu unterscheiden:

Das deutsche Urhebergesetz garantiert „geistiges Eigentum“, das Recht auf wirtschaftlich verwertbares Eigentum. (3) Es schützt den Autor vor geistigem Diebstahl. Er kann vom Betrüger Schadenersatz für finanzielle Einbußen verlangen. Das Original muss sich allerdings durch eine besondere sprachliche „Schöpfungshöhe“ auszeichnen. Die hat ungekünstelte wissenschaftliche Prosa aber üblicherweise nicht, insoweit auch nicht den gesetzlichen Schutz.

Das Urheberrecht bleibt der Wissenschaft überhaupt fremd: Denn als Wirtschaftsgut ist es auf andere übertragbar, verkäuflich – im Unterschied zur Autorschaft bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die immer höchstpersönlich und nicht übertragbar ist. Das hat seinen triftigen Grund darin, dass die – heute meist dank Steuergroschen, Staatsknete - gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse folglich öffentlich zugänglich sein sollen und niemandem vorenthalten werden. (4) Vordergründig geht es dabei auch um die Chancengleichheit im akademischen Wettbewerb. Das verkannte etwa ein Wirtschaftsprüfer und Frankfurter Honorarprofessor, der unter eigenem Namen einen Fachaufsatz von einem Ghostwriter veröffentlichte. Auf Verlangen des Uni-Präsidenten musste er den Beitrag in seinem Schriftenverzeichnis tilgen. (5)

Dank des Grundrechts auf freie „Meinungsäußerung“ darf jeder, außer dem Urheber auch jeder unbeteiligte Dritte, seiner Empörung über das Abschreiben, Abkupfern oder Plagiieren Luft machen. Dafür muss es im angegriffenen Text nicht mehr und nicht weniger als „Anknüpfungspunkte“ geben, zum Beispiel Wortumstellungen oder Paraphrasen. Ein rechtskräftiges Gerichtsurteil hielt jüngst sogar fest: Es gibt keine allgemeingültige Definition, mit deren Hilfe die Aussage, ein Werk sei ein Plagiat, mit wahr und unwahr beantwortet werden könnte.“(6) Das Allerweltswort sei „für sich genommen zu substanzarm, als dass ihm auch nur teilweise der Charakter einer Tatsachenbehauptung zukäme“. Mit einem entsprechenden Plagiatsvorwurf bekommt die Empörung über die klammheimliche Fremdverwertung doch ihr Recht. (7) Aber Vorsicht: „Schmähkritik“, die sich nicht auf die sachliche Auseinandersetzung um Texte bezieht, sondern im Wesentlichen einen Abschreiber als Person zu diffamieren sucht, ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.

Speziell über gefälschte Doktorarbeiten, Habilitations- oder andere Prüfungsschriften können sich betroffene Unis mit Autoren vor den Verwaltungsgerichten streiten. Bei der amtlichen Klärung des Vorwurfs geht es, wie Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz klarstellt, dann nicht um eine bloße „Meinungsäußerung“ wie von einem empörten Kritiker, sondern um eine „Tatsachenbehauptung“, die nach Wissenschaftsrecht „wahr oder unwahr sein kann.“(8)

Anmerkungen

1 S. etwa www.nature.com/ncomms/submit/matters-arising. Das Office of Research Integrity (https://ori.hhs.gov/) in den USA geht dem Verdacht von Forschungsbetrug mit Steuergeldern nach und veröffentlicht Namen der Betrüger.
2 Volker Rieble, Erscheinungsformen des Plagiats, in: Th. Dreyer, A, Ohly (Hgg.), Plagiate, Tübingen 2013, S. 32-50. – Das ist der Unterschied zwischen „Räubereien“ für Gedankengebäude und physische Gebäude: An diesen sind „Spolien“ (lat.: Erbeutetes), oft demonstrativ wiederverwendete Materialien oder Bauteile, direkt als etwas Eigenes, anderes erkennbar.
3 www.gesetze-im-internet,de/urhg/_97.html
4 Darauf pocht neuerdings Katharina Pistor; Rechtsprofessorin an der Columbia Universität / USA, in ihrem Buch: Der Code des Kapitals, Berlin 2020, bes. Kap. 5.
5 www.faz.net/akademischer-schwindel-ghostwriter-in-der-wissenschaft; generell dazu www.dfg.de/rechtliche_rahmenbedingungen/gute_wissenschaftliche_praxis/kodex_gwp.pdf , S. 19
6 Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 29.1. 2019, Az.: 7 U 192/16; www.lto.de/Meinungssache
7 Doch wer will sich schon sagen lassen, sich „substanzarm“ empört zu haben? Wenn dabei „wahr“ und „unwahr“ verschwimmen, gewinnt die „subjektive Totalverblendung“ die Oberhand, die der Literaturwissenschaftler Roland Reuß als ein maßgebliches ,Wahrheits´-Kriterium unserer Zeit kritisiert (Ende der Hypnose, Frankfurt a.M. und Basel 2012, S. 10).
8 Mailantwort vom 15.2.2019

7 Privates und öffentliches Interesse

Die Internetplattform Vroniplag Wiki dokumentiert in ein paar hundert Fällen plagiatsverdächtige Arbeiten, auch wenn die amtliche Überprüfung der Dissertation oder Habilitationsschrift noch längst nicht abgeschlossen ist. Wie Wiki-Mitarbeiter Gerhard Dannemann sagt, hat noch niemand die öffentliche Bloßstellung vor Gericht unterbunden. (1)

Rechtsprofessor Volker Rieble schreibt schon in seinem Klassiker „Das Wissenschaftplagiat“(2): „Wie sich eine wissenschaftliche Arbeit als mögliches Plagiat zu einem potentiellem Original verhält, auch das ist wissenschaftliche Kritik und steht unter dem Schutz von Art. 5 Grundgesetz“, also der Wissenschaftsfreiheit. Das „Wissenschaftlerpersönlichkeitsrecht“, also persönliche Empfindlichkeiten ums Ansehen und Amt, seien demgegenüber nachrangig.

Vor Gericht kann das im konkreten Einzelfall anders aussehen. Über die Aberkennung des Doktortitels mit Namen zu berichten, ist presserechtlich fragwürdig, auch wenn der Betroffene sich über Andeutungen schnell identifizieren lässt. Sind Namen für die Darstellung des Sachverhalts nicht nötig, kann das Persönlichkeitsinteresse im Hinblick auf die berufliche Zukunft der Erwischten Vorrang haben. (3)

Demgegenüber müssen sich Promis öffentliche Neugier weitgehend gefallen lassen. Die Frage ist nur, wer wirklich „Person der Zeitgeschichte“ ist. Vor allem Politiker müssen mit dieser (un)schmeichelhaften Einstufung rechnen. Wie im Falle Dickhuth kann sie auch Professoren treffen – oder auch nicht, wie Ansgar Ohly, selbst Rechtsprofessor, als Vorsitzender einer Münchner Untersuchungskommission ohne nähere Begründung feststellte.(4) Je nachdem hätten die „Persönlichkeitsinteressen“ des Beschuldigten Vorrang vor dem „Informationsinteresse der Öffentlichkeit“. Im Schutz der „Privatsphäre“ kann sich der fragwürdige Autor vor der Öffentlichkeit verbarrikadieren und die Uni ihre zweifelhafte Entscheidung verstecken.

Dagegen könnten etwa Medienvertreter im öffentlichen Interesse klagen. Aber wer will das bezahlen, wer hat dafür Geld. Angelehnt an Ohly gilt: „In der Praxis gibt dann doch meist der Schwächere nach.“ (5)

Anders in den USA: Beim Office of Research Integrity überwiegt das öffentliche Interesse jedes private. (6)

Anmerkungen

1 Versuche, die Dokumentation über eine Takedown Order nach US-amerikanischem Digital Millenium Copyright Act (DMCA) zu unterdrücken, seien erfolglos geblieben; Mailantwort vom 31.8.2019
2 Frankfurt a.M. 2010, S. 107
3 www.zeit.de/studium/hochschule/2013-05/plagiat-professor-beteiligt (nachträglich Namenskürzel)
4 www.lto.de/plagiat-wissenschaft-lmu-aufklaerung-umgang-entschuldbare-uebereinstimmungen
5 www.spiegel.de/wissenschaftler-als-autoren-der-schwaechere-gibt-meist-nach
6 https://ori.hhs.gov/

Spiel ohne Grenzen

Die Regeln für wissenschaftliche Veröffentlichungen gelten für andere Literaturgattungen naturgemäß nicht genauso. Im „Sachbuch“ für ein Laienpublikum verschwimmen die Grenzen wissenschaftlicher Abhängigkeiten ziemlich leicht. Heutige Publikationswege konservieren Wissenschaftsbetrug je nachdem in einer grenzenlosen Endlosschleife Frustrierte Akademiker können den Schwindel sogar zu ihrem Geschäft machen und am Extrembeispiel verdeutlichen, wie löchrig das Grenzregime ist.

8 Wissenschaft und „Sachbuch“

Die wissenschaftliche Veröffentlichung für den jeweiligen Fachkreis unterscheidet sich vom Sachbuch schon rein äußerlich durch einen üppigen Fußnoten-Apparat mit Zitatnachweisen und weiterführenden bibliographischen Hinweisen. Solchen rein fachlichen Zubehör halten Publikum und Verlag beim Sachbuch für Leser, die (noch) keine Wissenschaftler sind, weitgehend für entbehrlich.

„Weglassen“ mag man im Wortsinne auch abstauben nennen, wenn es hauptsächlich dazu dient, den Grundgedanken des Themas klar und deutlich freizulegen. Im übertragenen, weniger wohlmeinenden Sinne heißt abstauben aber auch, hilfreiche Vorarbeiten einfach zu unterschlagen. Die goldene Mitte ist der Kniff des Sachbuchautors.

Rechtsprofessor Rieble wirft die Frage auf, welche „Anforderungen“ an Quellennachweise bei unterschiedlichen Literaturgattungen zu stellen sind. „ Höchste gelten der wissenschaftlichen Monographie und dem Fachaufsatz in einer renommierten Fachzeitschrift.“(1) Demgegenüber habe etwa ein „Kurzlehrbuch“ für Studierende und Berufspraktiker außerhalb der Uni üblicherweise „referierenden Charakter“ mit „sparsamen“ Herkunftsangaben. So sagt auch der Münsteraner Rechtsprofessor Holznagel, dass ein „Studienbuch nicht den Anspruch einer originären wissenschaftlichen Publikation erheben kann und soll.“(2)

Geringere Ansprüche verführen freilich leicht zu allzu laxem Umgang mit Arbeiten anderer. So hat Holznagels Leitfaden „Juristische Arbeitstechniken und Methoden“ mit unausgewiesenen Textkopien die rote Linie überschritten. Der Verlag nahm das Buch aus dem Handel. So erging es auch Hans-Peter Schwintowskis „Juristischer Methodenlehre“ für Anfänger. Der Präsident der Berliner Humboldt-Universität Christoph Markschies warf dem Professor wegen hemmungsloser Indienstnahme von Fremdautoren in einer öffentlichen Erklärung „wissenschaftliches Fehlverhalten“ vor – entgegen der Empfehlung seiner Kommission für Redlichkeit.(3) Insbesondere für einführende Werke, die Studierende mit Wissenschaft vertraut machen sollen, müssten laut Markschies „die höchsten methodischen wie inhaltlichen Standards“ gelten. Aber das beherzigen auch Mathematiker nicht immer. (4)

Anders sieht es aus, wenn ein Fachfremder sich eines wissenschaftlichen Themas annimmt, etwa ein Mechanik-Professor der „Macht der Sprache in der Wissenschaft“. (5) Der Autor stützt sich naturgemäß auf einschlägige philologische Untersuchungen. Wenn er bei seinen „Anlehnungen“ die Quelle „umformuliert“ und „exzerpierend abkupfert“, ohne sie immer sorgsam zu zitieren, ist das urheberrechtlich nicht zu beanstanden: denn das Gesetz schützt ja keine Inhalte, sondern allein die sprachliche Einkleidung. Der Erstautor mag sich folglich über die anonyme Zweitverwertung ärgern. Doch kann der laienhafte Aufguss, über den die Fachleute ohnehin hinwegsehen, dem gestandenen Wissenschaftler ernsthaft schaden? (6) Im Übrigen bleibt es jedermann unbenommen, von einem „Plagiat“ zu sprechen. Das heißt allerdings, mit Platzpatronen auf einen Spatz zu schießen. Denn das Schlagwort ist an sich zu substanzarm, um mehr als eine unverbindliche Meinungsäußerung zu sein. (7)

Mitunter wenden sich Wissenschaftler mit eigenen Fachthemen auch an ein breiteres Publikum. Bestseller hängen dann in erster Linie von der Themenbreite ab, etwa dem „Kapital im 21. Jahrhundert“ (Thomas Piketty) oder der „Kultur der Freiheit“ (Udo di Fabio). Dabei zeigt sich, Allgemeinverständlichkeit ist keineswegs nur um den Preis inhaltlicher Verflachung zu erreichen. Dass angesichts der thematischen Weite höchstens ein Bruchteil der Fachdiskussion mitberücksichtigt werden kann, ist klar: was man davon wirklich verwendet und nicht was es dazu sonst noch gibt. (8)

Bei abfällig so genannten „populärwissenschaftlichen“ Beiträgen mag den Durchschnittsleser die Abhängigkeit vom literarischen „Stammbaum“ tatsächlich wenig interessieren. Doch ist und bleibt es ein Gebot der Autorenwahrheit und –klarheit, wörtliche und inhaltliche Übernahmen anzuzeigen – zumal wenn hier und da mit Anmerkungen und einem Literaturverzeichnis schon mal bewusst ein wissenschaftlicher Eindruck erweckt wird. Der falsche Anschein wurde etwa der Soziologie-Professorin Cornelia Koppetsch, bekannt auch durch Funk und Fernsehen, zum Verhängnis. (9)

Unter dem Titel „Die Gesellschaft des Zorns“ hatte Koppetsch einen Bestseller über den Rechtspopulismus geschrieben, der schon für den Bayerischen Buchpreis nominiert war. Da fielen plötzlich Plagiate von anderen namhaften Autoren (wie Andreas Reckwitz) auf, die das Werk preisunwürdig machten. Es handelte sich um mehrere Dutzend Stellen, jeweils in wenigen Sätzen. Der Verlag forderte die Händler „zur Makulatur der Bände“ auf, also zur Altpapierverwertung.(10) Nachträglich stellte sich auch noch heraus, dass Koppetsch nach dem gleichen Strickmuster schon früher in ihrem Buch über die „Wiederkehr der Konformität“ vorgegangen war. Der Campus Verlag meldet das Buch als „vergriffen“.

Gleichwohl empfiehlt der Bielefelder Rechtsprofessor Andreas Fisahn „Juristen und Wissenschaftlern“, generell zwischen dem „Erkenntnisgewinn einer Arbeit“ und ihrem „Fußnotenapparat“ abzuwägen, namentlich auch im Falle Koppetsch. (11)

Seit August 2020 prüft die Uni den Fall Koppetsch disziplinarrechtlich, nach der Empfehlung einer Untersuchungskommission.(12) Die ging davon aus, dass die Autorin bei den Büchern einen fachwissenschaftlichen Anschein erweckt, indem sie als „Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt“ firmiert. Deshalb sei sie auch bei der „Textgattung ,Sachbuch`“ an die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis gebunden.

Gleichwohl hielt die Kommission ihre Kritik in engen Grenzen. Bei Übernahmen ließ sie Angaben von Autor und Werk auch ohne Seitenangabe gelten. Auch „ungekennzeichnete Mehrfachnutzung eigener Textpassagen“, also Selbstplagiate, ließ sie noch durchgehen.

Für nicht hinnehmbar hielt die Kommission das gänzliche Fehlen von Quellenangaben oder auch den stellenweisen Verzicht auf Nachweise einer Fremdautorschaft sowie die Verschleierung wörtlicher Übernahmen etwa in Form vermeintlicher Paraphrasen, im Grunde auch die heimliche Aneignung „fremder Gedanken“ und „Schlüsselbegriffe“.

Da solche Mängel charakteristisch für die fraglichen Veröffentlichungen seien, erscheinen sie der Uni-Präsidentin als Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen der Autorin. Ihr Lehrstuhl wird einstweilen durch jemand anderen vertreten.

Anmerkungen

1 wie o. 6 Anm. 2, S. 7
2 Stellungnahme vom 25. Juni 2012 (nicht mehr im Internet)
3 www.tagesspiegel.de/wissen/plagiatsstreit-hu-professor-erklaert -seine-zitierpraxis/990940.html
4 www.zeit.de/studium/hochschule/2010-05/mathematik-plagiate
5 Karl O. Edel, Paderborn 2010, 2. korrigierte Aufl. 2012
6 Rieble (wie o. Anm.1, S. 41) spricht dramatisierend von einer urheberrechtlichen „Schutzlosigkeit wissenschaftlicher Publikation“.
7 S.o. 6, Anm. 6
8 Umgekehrt: Je enger das Thema, desto verlockender ein Fußnotenapparat, um die Bedeutung der Angelegenheit herauszustellen.
9 Zum Folgenden s. www.faz.net/plagiatsvorwurf-gegen-die-gesellschaft-des-zorns; www.faz.net/analyse-der-plagiate-in-die-gesellschaft-des-zorns; www.boersenblatt.net/2019-11-25-artikel-neues_ungemach_fuer_cornelia_koppetsch; ältere Aufsätze seien trotz Überarbeitung nicht plagiatsfrei, moniert Jochen Zenthöfer, Frankfurter Allgemeinen Zeitung 10.2.2021, S. 32; die Autorin lässt den Vorwurf nicht gelten.
10 Mailantwort vom 16.3.2020
11 Wahrheit und Fußnote, Neue Juristische Wochenschrift 11/2020, S. 747
12 www.tu-darmstadt.de/news_1/2020_2/46-2020-Koppetsch.pdf

9 Schwindel in der Endlosschleif e

Nehmen wir zum Beispiel das vorstehend erwähnte Sachbuch über die „Wiederkehr der Konformität“: Der Verlag hat es wegen Plagiats als „vergriffen“ deklariert. Außerdem gab es aber eine Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, eine Servicestelle zumal für Lehrer und Schüler. Die wurde vom Verlag über den Plagiatsvorwurf nicht informiert. Erst aufgrund unseres Hinweises sah sich die Bundeszentrale veranlasst, die Sonderausgabe „aus dem Programm zu nehmen“. (1)

Entschiedener reagierte der Verlag auf die „Gesellschaft im Zorn“. Er stoppte den Verkauf und entgeht er dem Risiko einer Mitverantwortung für Urheberrechtsverletzungen („Störerhaftung“). Zudem sichert der Verlag sich so ein Rücktrittsrecht vom Autorenvertrag nebst Schadensersatzansprüchen an die Plagiatorin.

Öffentliche Bibliotheken halten die vergifteten Werke nach wie vor bereit. Selbst vor amtlich „gerügten“ oder gar annullierten Doktorarbeiten wird höchstens ausnahmsweise gewarnt: wenn die Prüfbehörde das etwa der Deutschen Nationalbibliothek zufällig meldet. (2)

Manchmal erscheint das Fake sogar mehrfach, gedruckt und (re)digitalisiert, je nachdem auch nur ausschnitthaft online. (3) Hier kommt das Telemediengesetz ins Spiel. (4) Zu unterscheiden ist zwischen herkömmlichen Inhaltsanbietern (wie Buchverlagen) und digitalen Dienstleistern, die Informationen für andere speichern und bis zum Endabnehmer weiterleiten. Die Tele-Mittler müssen Inhalte löschen oder sperren, sobald sie von deren Rechtswidrigkeit wissen. Sonst sind sie für die Verbreitung von Plagiaten und Verfälschungen auf ihren Kanälen nicht verantwortlich. (5) Der Erstverstoß des Inhaltsanbieters wird so durch seine IT-Helfer quasi in einer Endlosschleife publikumswirksam verstärkt. Erforderlich sind amtliche Regularien.

Anmerkungen

1 Mailantwort vom 13.3.2020
2 www.tagesspiegel.de/beanstandete-dissertationen-in-bibliotheken
3 Kritisch dazu Rieble, Das Wissenschaftsplagiat, Frankfurt a.M. 2010, S. 12 und 95 ff.
4 www.gesetze-im-internet.de/tmg/ , besonders §10
5 www.online-und-recht.de/urteile/Zur-Haftung-des-Anschlussinhabers-fuer-Urheberrechtsverletzungen-ueber-ungesichertes-WLAN

10 Schwindel als Systemkritik

Begeisterung für die Wissenschaft kann bei fehlender Anerkennung zu tiefer persönlicher Enttäuschung führen und zum Gegenschlag aus akademischem Frust. Davor warnt Wolfgang Löwer, lange Chef des Kummerkastens oder „Ombuds-Gremiums“ für die Wissenschaft, mit einer schon mehr als hundertfünfzig Jahre alten Geschichte von Gustav Freytag. Der war Romanautor, zugleich aber Privatdozent mit Einblick ins real existierende Unileben. Darauf beruht sein 1864 immer wieder erschienener Schmöker „Die verlorene Handschrift“. (1)

Darin geht es um einen Magister Knips, der auf Honorarbasis Professoren hin und wieder zuarbeitete Dabei legte er Prof. Struvelius einen angeblich noch unbekannten Text des römischen Historikers Tacitus vor. Ziemlich arglos publizierte Struvelius die altertümlich erscheinende Handschrift als willkommene Anreicherung der antiken Überlieferung. Der kritischere Fachkollege Werner wunderte sich – und entlarvte das vermeintliche „Original“ als Fälschung aus Knips´ Feder. Der rechtfertigte sich vor Werner dann so: „ich habe die Qual gefühlt, mehr zu wissen als ich bedeute. (…) Zuerst kam der Einfall, auch über solche zu lachen, die mich (…) verachten, ich dachte, wenn ich will, kann ich euch in meiner Hand haben, ihr Herren Gelehrten. ( …) es wurde mir ein Stolz, die Kunst (des Wissenschaftsbetrugs) zu gewinnen. Als ich sie endlich hatte, machte mir´s Spaß, sie zu gebrauchen“(2), sogar noch als bezahlter Fälscher in Serie.

Doch war das besagte Geständnis von Knips das absolute Ende seiner Qual in der akademischen Arena. Mit seinem Abgang schien auch das von ihm aufgeworfene Problem erledigt.

Knips redivivus: Ein gescheiterter Jurastudent legte seit den neunziger Jahren bis ins vorige Jahrzehnt die ganze Fachwelt herein, mit plagiierten Aufsätzen unter eigenem Namen oder dem eines Hamburger Fachhochschul-Professors. (3) Dem diente er auch als Ghostwriter einer Habilitationsschrift, was jedoch aufflog und dem Prof. die Stelle kostete. Für seinen willigen Helfer kam´s schlimmer. Das Landgericht Bonn steckte ihn in „Sicherungsverwahrung“, zum Schutz der Allgemeinheit vor ihm. Es sei doch nicht hinnehmbar, „Institutionen des Wissenschaftsbetriebs durch Plagiate vorzuführen`“, meinten die Richter 2004. (4) Dass ihm das gleichwohl gelang, macht ihn zum akademischen Hauptmann von Köpenick.

Anmerkungen

1 Regeln guter wissenschaftlicher Praxis (… ), Baden-Baden 2017, S. 11 ff.
2 www.projekt-gutenberg.org/freytag/verloren/chap38.htm l ; https://books.google.de/ es+wurde+mir+ein+stolz+die+kunst+zu+gewinnen. Mit solch „neckendem Triumphton gegen Wissenschaft“ disqualifizierte man sich schon 1789 zum bloßen Scharlatan, in den Augen von Dr. Dietrich Ludwig Gustav Karsten, Universitätsprofessor für Mineralogie ( Magnetische Sprechmaschine, in: Berlinische Monatsschrift Bd. 14, S. 182 ff.), hier zitiert nach de Francesco wie o. 1, S. 27, Anm. 7 u. ö.
3 S. dazu u. 25 mit Anm. 9
4 https://openjur.de/u/654720.html, a.E.

Akademische Rechtsfindung

Verleihung und Entzug akademischer Grade oder Titel sind behördliche Verwaltungsakte. Sie beruhen auf gesetzlichen Regelungen wie etwa dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Genaueres wird im weitgespannten Satzungsrecht der akademischen Selbstverwaltung geregelt (1), speziell in Promotions- oder Habilitationsordnungen. Indes sind die Hochschulen grundsätzlich nicht gezwungen, jedem Verdacht von Fehlverhalten überhaupt nachzugehen. Das hängt zunächst vom Dafürhalten der Fachkollegen ab. Tatsächlich geht das Einschreiten oft nur auf medialen Druck zurück.

Für die Klärung sind dann hochschulinterne Stellen zuständig, äußerstenfalls Gerichte. Was dabei herauskommt, ist immer eine juristische Entscheidung oder Erkenntnis, die sich nicht unbedingt mit der „Wahrheitsfindung“ auf anderen Wegen, etwa im fachwissenschaftlichen Diskurs, decken muss.

Anmerkung

(1) Kritisch dazu Gerrit Hellmuth Stumpf, Ungeschriebener Parlamentsvorbehalt und akademische Selbstverwaltungsgarantie, Tübingen 2017

11 Das Recht der Selbstverwalter

Das Satzungsrecht ist maßgeblich ein Recht der Hochschullehrer, durch das sie den Lehr- und Forschungsbetrieb gestalten. Bei der Ausgestaltung der Promotions-, Habilitations- und anderen Prüfungsordnungen kommt unweigerlich ihr Vorverständnis ins Spiel: Was wäre, wenn das Fehlverhalten des Prüflings mich selbst beträfe? Die Frage zielt auf Selbstschutz. (1)

Von Rechts wegen kommt der Selbstschutz der Hochschullehrer darin zum Ausdruck, dass sie grundsätzlich als Opfer gelten. So ist für die Aberkennung des Doktorgrades die „Täuschung“ der Prüfer durch den Prüfling entscheidend. „Die Täuschung ist juristisch gesehen der relevante Ansatzpunkt“, sagt Rechtsprofessor Hans-Heinrich Trute, langjähriger Sprecher des bundesweiten Beschwerdegremiums für die Wissenschaft. Dabei spiele das Plagiat oder die Datenmanipulation nur „implizit eine Rolle“, als Mittel zum Zweck der Täuschung. (2) Auch aus Enttäuschung über sonstwie „unwürdiges“ Verhalten ihrer Schüler können sich die Prüfer mit Entzug des Doktorhutes von den Halunken demonstrativ distanzieren. (3)

Bezeichnend für die bestehenden Machtverhältnisse ist etwa, wenn Professoren die Verantwortung für Doktorarbeiten auf eine „Mitverantwortung“ herunterspielen (4), andererseits mit der Prüfung von „Unwürdigkeit“ aber ihr Satzungsrecht womöglich überdehnen (5).

Die satzungsgemäße Einkleidung der Spielregeln obliegt Verwaltungsjuristen in der Professorenschaft, näherhin ihren Experten für Hochschulrecht. Zahlen geben eine ungefähre Vorstellung: Der „Verein für deutsches und internationales Wissenschaftsrecht“, also auch für wissenschaftliche Einrichtungen außerhalb der Hochschulen, zählt laut Geschäftsstelle rund hundert persönliche Mitglieder, darunter nicht zuletzt Verwaltungspersonal. Um die führender Lehrstuhlinhaber aufzuzählen, die traditionelle Regelungen verwalten und neue miteinander kritisch aushandeln, reichen zehn Finger. Volker Rieble, von Hause aus Arbeitsrechtler, ist in dem Kreis der sprichwörtliche schwarze Schwan oder weiße Rabe (6).

Die kleine Elite kann auch anwaltlich auftreten – und vertritt dabei meist Hochschulen, also die eigene Klientel, selten mal Prüflinge. Dass ein Münsteraner Professor vor Gericht für Annette Schavan eintrat, ist die große Ausnahme, die sich mit dem gesellschaftlichen Status der Mandantin erklärt. Ansonsten ist eine gewisse Asymmetrie oder Unfairness zwischen Angriff und Verteidigung nicht zu verkennen, in der rechtswissenschaftlichen Zurüstung wie ihrer Anwendung.

Für die Klärung des Täuschungsverdachts sind im konkreten Fall hochschulinterne Stellen zuständig. Gerichte können höchstens Verfahrensfehler korrigieren. Dementsprechend werden im Folgenden zuerst die bürokratischen Zuständigkeiten beleuchtet, sodann die juristischen „Bestecke“, mit denen der Täuschungsvorwurf angepackt und geklärt wird.

Anmerkungen

1 Zu den „Interessenverflechtungen“ generell www.hof.uni-halle.de/journal/texte/11_2/Gross.pdf
2 www.uni-hamburg.de/newsletter/archiv/Maeerz-2013-Nr.-48/bdquo; zugespitzt formuliert: Ausschlaggebend ist nicht die Verletzung der Wissenschaft, sondern die persönliche Verletzung (oder versuchte Entthronung) ihrer amtlichen Sachwalter.
3 S. u . 27
4 S. u . 16
5 wie o. Anm. 3
6 Seit seinem Klassiker: Das Wissenschaftsplagiat, Frankfurt 2010; Juvenal, Satiren VI 161, VII 202

12 Die zuständige Stelle

Bei der Feststellung der Täuschung geht es um das rechtswidrige Handeln des Autors, nicht um seine (unzureichende) wissenschaftliche Leistung. Während die inhaltlichen Fragen nach wie vor der fachwissenschaftlichen Diskussion überlassen bleiben, hängt der Entzug der akademischen Qualifikation von der bürokratischen Zuständigkeit ab. So besagt etwa das Berliner Hochschulgesetz (1): „Über die Entziehung eines akademischen Grades entscheidet der Leiter oder die Leiterin der Hochschule auf Vorschlag des Gremiums, das für die zu Grunde liegenden Prüfungsleistungen zuständig ist“, meist der Fakultät. In den Fällen Mathiopoulos, Dickhuth und Schavan etwa hatte sie das letzte Wort, im Falle Eumann erst nach Einlenken der widerspenstigen Rektorin. (2)

„Ohne mit der Wissenschaftsfreiheit der Fakultät in Konflikt zu geraten“, so Rechtslehrer Gärditz, könne die Entscheidung auch „anderen Organen anvertraut werden“, etwa dem Dekanat, das „sich dann entsprechenden Sachverstandes bedient“. (3) Wolfgang Löwer spricht dabei von der „Vollzugskompetenz“ der Leitung und dem Vorschlag der Hochschullehrer. (4) Die Uni Hamburg gibt ein markantes Beispiel. (5)

Anmerkungen

1 § 34.8
2 Mehr dazu u. S. 115
3 Mailantwort vom 24.7.2019
4 www.tagesspiegel.de/ wissenschaftliches-fehlverhalten-seltsames-vorgehen-beim-plagiats-check/
5 Ebenda

13 Meinungsbildung im Gremiengeflüster

Jura-Professor Gärditz stellt klar: Auch „ohne etwas von Augenheilkunde verstehen zu müssen“, lässt sich beispielsweise „feststellen, ob in einer medizinischen Dissertation plagiiert wurde.“ (1) Davon gehen etwa die Nachweise auf der Internetplattform Vroniplag Wiki oder von gewerblichen Herkunftsforscher aus. Oft schon genügen vier Augen. In der akademischen Selbstverwaltung allerdings kommt die Einsicht naturgemäß erst mit bürokratischem Verfahren zustande.

Die zum Schluss entscheidenden Organe wie etwa der Rektor / Präsident oder Dekan richten sich üblicherweise nach hochschulinternen Untersuchungskommissionen, naheliegend dem Promotions- oder Habilitationsausschuss. Diese erarbeiten Empfehlungen gewissermaßen im „Vorraum“ der Letztverantwortlichen. Die Berater können, anders als Gerichte, bei der Beweiserhebung keine Zeugenaussagen erzwingen; Falschaussagen bleiben straffrei. Inwieweit die Beauftragten im Nahverhältnis zu den Doktoreltern und / oder Doktoranden befangen sind, sei dahingestellt.

Die Empfehlungen stützen die Gremien ihrerseits auf einen oder mehrere Gutachter oder Berichterstatter, die die fraglichen Veröffentlichungen überprüfen. Diese Experten sind vom jeweiligen Fach oder fachnah. Die Verfachlichung hat aber einen Haken: wenn nicht gerade Fachjuristen über fachjuristische Arbeiten zu entscheiden haben, dann urteilen Laien nach Gewohnheiten und Vorverständnis ihrer jeweiligen Fachkultur. Dadurch droht die anstehende Rechtsfrage überspielt zu werden. (2) Hinzugezogene Rechtsbeistände können ein Lied davon singen, wie oft sie als bloße Garderobiere für eine gerichtsfeste Einkleidung vorgefasster Meinungen betrachtet werden.

Die Berichterstatter können sich auf die Darstellung von Regelverstößen (nach den wissenschaftlichen Kriterien richtig /falsch, wahr/unwahr) beschränken, damit aber auch eine Bewertung des Befundes (nach Kriterien wie Schwere der Täuschungshandlung (3) und Außenwirkung der Entscheidung (4) verbinden. Im Falle Schavan etwa wurde ein solches Präjudiz als Bevormundung der Fakultät strittig. Indes hält Rechtsprofessor Gärditz „eine personelle Trennung von Untersuchung und Entscheidungsvorschlag“ für rechtlich nicht zwingend, weder für ge- noch für verboten. (5)

Die Gremienarbeit zur Klärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist gegenüber der Außenwelt nichtöffentlich - wiewohl Wissenschaft an sich eine öffentliche Angelegenheit ist. Indem die Alma Mater Studiorum, an sich die „ nährende Mutter der Wissenschaften“, das Licht der Öffentlichkeit scheut, zieht sie das Medieninteresse nur umso mehr auf sich.

Nach Gesetz sind die internen Verfahren „einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen.“ (6) Je nachdem ziehen sie sich aber als Ausnahmefall in der Selbstverwaltung über Jahre hin. Solange die Uni auf Zeit spielt, die Entscheidung schwebend hält, droht ihr auch keine gerichtliche Auseinandersetzung.

Anmerkungen

1 Mail vom 24.7.2018
2 Vgl. dazu die umsichtige Beobachtung des Historikers und Juristen Jonathan Sumption: „Experience counts for a great deal in human affairs; more than rationality. Ultimately, the habits, traditions and attitudes of human communities are more powerful than the law“; http://downloads.bbc.co.uk/radio4/reith2019/Reith_2019_Sumption_lecture_5.pdf
3 Näheres dazu u. 14
4 Näheres dazu o . 7 und u. 22
5 www.uni-duesseldorf.de/Gutachten.pdf, S. 11
6 Verwaltungsverfahrensgesetz § 10

14 Angelpunkt Täuschung

Wie gesagt (1), ist die Täuschung das A und O für die Aberkennung der Prüfungsleistung. Was aber ist eine Täuschung? Eine „Handreichung“ der Uni Hamburg erläutert die „Täuschung in der Prüfung“ genauer so: „Eine Täuschungshandlung setzt voraus, dass ein Prüfling eine selbständige und reguläre Prüfungsleistung vorspiegelt, obwohl er sich bei deren Erbringung in Wahrheit unerlaubter Hilfsmittel, unzulässiger Methoden oder der Hilfe Dritter bedient hat.“ (2) Das lässt sich an den Veröffentlichungen meist objektiv nachweisen. Eine unzulässige Zitierweise kann beispielsweise schon darin bestehen, eine Original- oder Primärquelle anzugeben, den Text aber aus der darauf beruhenden Sekundärliteratur zu übernehmen. (3)

Wo aber genau die Toleranzgrenze zwischen der Regelwidrigkeit oder objektiven Täuschung und der rechtswidrigen Täuschung verläuft, hängt vom „subjektiven Tatbestand wissenschaftlichen Fehlverhaltens“(4) ab, der persönlichen Schuld für den Täuschungserfolg. Der Subjektbezug bleibt aber immer fraglich, weil es dabei um „innere Tatsachen“ im Kopf des Prüflings geht, die in Wirklichkeit aber vom Kopf des Betrachters abhängen. (5) Wenn er nicht seinen eigenen Ansichten erliegen will, kann er die inneren Tatsachen immer nur an objektiven, indiziell erkennen. Was eine methodisch anspruchsvolle Beweisführung erfordert, etwa über „Strickmuster“ in plagiatsverdächtigen Texten.

Was herauskommt, sind im Verwaltungsverfahren Entscheidungen nach „Ermessen“. Diese müssen nie richtig, sondern immer nur „vertretbar“ sein. Juristen stellen unterschiedliche Bewertungsmöglichkeiten zur Verfügung, Fachbegriffe, um die Angelegenheit kunstgerecht über den einen oder anderen Leisten zu schlagen.

Wer mit voller Absicht, „vorsätzlich“ gegen die bekannten Spielregeln verstößt und Text- oder Datenklau begeht, kann nicht auf Nachsicht hoffen. Dabei betont Stefan Rohrbacher, der Berichterstatter im Falle Schavan, den Unterschied zwischen wissenschaftlicher und moralischer Bewertung: „Im Fall der vorsätzlichen Täuschung werden gegebenenfalls ein paar Befundstellen den Entzug des Doktorgrades zur Folge haben. Dieselben Stellen, nur unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Unzulänglichkeit betrachtet, werden kaum diese Folge haben, weil die Arbeit ja ansonsten wissenschaftlich brauchbar ist.“ (6) Aber die Prüfer überlisten zu wollen, ist offenbar verwerflich.

Je nachdem erscheint auch schon der „bedingte Vorsatz“ nicht hinnehmbar. (7) Der ist möglicherweise anzunehmen, wenn der Doktorand beim Schreiben die genauen Zitatnachweise auf später verschiebt und damit „billigend in Kauf nimmt“, dass ihm die erforderlichen Angaben nachher nolens volens gar nicht mehr ordentlich gelingen.

Andere Juroren ziehen die rote Linie bei so genannter „grober Fahrlässigkeit“. (8) Die liegt etwa vor, wenn der Prüfling seine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt , aber das Fehlverhalten nicht wie beim Vorsatz beabsichtigt oder als Möglichkeit einkalkuliert hat.

Objektiv regelwidriges Fehlverhalten mit der Frage nach dem Verschulden des Autors zu verknüpfen, verkompliziert jede Urteilsfindung. Am Ende hängt beim Täuschungsvorwurf offenbar viel von Empörung oder „diskretionärer Milde“ (9) ad personam ab.

Anmerkungen

1 o. 11 mit Anm. 2
2 Referat 31, Handreichung Nr. 15 (Juli 2017), 3.2
3 Das wurde etwa Annette Schavan zum Verhängnis, s. u. S. 99
4 S. etwa „Zusammenfassung-Gutachten.doc25K“ im Fall Althusmann, www.uni-potsdam.de/2011/12/2011-246.pdf ; u. 17
5 Mehr dazu bei Klaus Lüderssen, www.faz.net/wissenschaft-und-praxis-was-dachte-pistorius-als-er-schoss
6 Mailantwort vom 18.9.2015
7 https://ombudsman-fuer-die-wissenschaft.de/wp-content/uploads/2019/01/Gaerditz_Wissenschaftsplagiate.pdf, S. 21
8 Gemäß Verwaltungsverfahrensgesetz 48
9 So Löwer, Mailantwort vom 11.1.2018; Stefan Rohrbacher spricht von „freischwebender Mildsichtigkeit“, Mailantwort vom 22.3.2018

15 Wer wird getäuscht?

Klare Antwort: bei einer Prüfungsschrift natürlich die Prüfer. Wer die aber sind, ist beispielsweise bei der Promotion eine Frage der Zeitumstände. Noch vor rund dreißig Jahren sah das etwa die Uni Bonn im Fall Ströker einfach so: Wenn sich die maßgeblichen Doktoreltern, Gutachter und Prüfer nicht getäuscht sahen, liege auch keine böse Täuschung vor – egal, was die übrigen Mitglieder der titelverleihenden Fakultät über die Qualifikationsschrift wussten oder nicht wussten. (1)

So etwas geht aber heute nicht mehr durch. 2018 konnte Dr. Dippel seinen akademischen Grad vor Gericht nur deshalb erfolgreich verteidigen, weil die methodischen und inhaltlichen Mängel seiner Dissertation von 1994 bereits dank der damaligen Gutachten aktenkundig und damit an und für sich allen Hochschullehrern der promovierenden Fakultät bekannt waren.(2) Bleibt denen aber wie im gleichzeitigen Fall Göhrmann ein klammheimliches Zusammenspiel zwischen Betreuer und Doktorand verborgen, kann die Promotion widerrufen werden. (3)

Weitergehend hatte die Kasseler Hochschule im Gerichtsstreit mit Dippel behauptet: „Der Adressatenkreis einer Dissertation umfasse neben den Prüfern auch die wissenschaftliche Öffentlichkeit.“ (4) Rechtsprofessor K.-F. Gärditz erklärt diese Sicht näher so: Wenn man eine Promotion als „Beitrag zum Diskurs der Scientific Community“ sehe, sei es konsequent, bei der erneuten Überprüfung auf einen ursprünglich nicht beteiligten, sozusagen neutralen Dritten zu hören, der die Wissenschaftlergemeinschaft repräsentiere (5); oder anders gesagt, mit Worten von Gärditz´ Kollegen Rieble: nötig sei jemand, der einen „normativen Standard“ vertrete, „der aus der Verkehrserwartung über Textherkunft und Textverantwortung gespeist wird.“ Das sei erforderlich für die „Täterabwehr im Allgemeininteresse an einer sauberen Wissenschaft“. (6) Dahinter steht ein Misstrauen gegen die Selbstreinigungskraft der einzelnen Hochschule, wie es Stephan Rixen als Sprecher des bundesweiten Kummerkastens „Ombudsman für die Wissenschaft“ formulierte. (7)

Demgegenüber hält der Hessische Verwaltungsgerichtshof restriktiv fest: „Ob eine Täuschung vorliegt, ist nicht aus der Sicht eines am Promotionsverfahren nicht beteiligten Lesers der Arbeit zu beurteilen, sondern aus Sicht der die Dissertation beurteilenden Bediensteten“ der Hochschule. Eine Täuschungshandlung müsse „kausal“, also ursächlich für den Erwerb des Doktorgrades im Promotionsverfahren sein. Eine Täuschung des „nicht durch eigene prüfende Tätigkeit unmittelbar in das Promotionsverfahren eingebundenen Personenkreis(es)“ bleibe hingegen „spekulativ“. (8)

Für den „Diskurs der Scientific Community“ ist diese selber zuständig, aber kein Gericht. Es bleibt der Wissenschaftlergemeinschaft unbenommen, auf immer und ewig auf ihren Foren über die Qualität von Veröffentlichungen zu streiten, auch über „Standards“ von Promotionsverfahren.

Anmerkungen

1 Mehr dazu u. S. 78 mit Anm. 9
2 Näheres u. 40 mit Anm. 6
3 Näheres u. 43 mit Anm. 9
4 Lt. Beschluss VGH Kassel vom 17. Dezember 2019, 10 A.1651/18.Z , S. 2
5 Mail vom 7.2.2020
6 Das Wissenschaftsplagiat, Frankfurt 2010, S.85 bzw. 79
7 www.faz.net/plagiate-selbstkontrolle-reicht-nicht
8 wie o. Anm. 4, S. 3 - Einer Täuschung dieses Lesepublikums, der potentiellen Verbraucher, könnten die Fakultäten durch eine Produktwarnung über die Deutsche Nationalbibliothek vorbeugen; s. o. S. 17 und u. S. 140

[...]

Ende der Leseprobe aus 165 Seiten

Details

Titel
Von Schwindel und Schwindlern in der Wissenschaft
Untertitel
Zweite erweiterte Auflage
Autor
Jahr
2021
Seiten
165
Katalognummer
V1024388
ISBN (eBook)
9783346398352
ISBN (Buch)
9783346398369
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wissenschaftsplagiat, wissenschaftliches Fehlverhalten, Doktortitel
Arbeit zitieren
Dr. Hermann Horstkotte (Autor:in), 2021, Von Schwindel und Schwindlern in der Wissenschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1024388

Kommentare

  • Gast am 20.5.2021

    Dieser ausgezeichnete Bericht und Diskussionsbeitrag sollte Pflichtlektüre sein für alle Verantwortlichen in Wissenschaft und Politik. Viele Erkenntnisse und Nachweise in dieser Schrift decken sich mit meinen eigenen Recherchen sowie aufgedeckten und gemeldeten Fällen: Die angeblich klaren Regeln und Sanktionen, auf die von offizieller Seite gebetsmühlenartig verwiesen wird, existieren in der Praxis nicht – weder klar noch einheitlich. Zu allem Überfluss wird die Öffentlichkeit, von deren Steuergeldern Wissenschaft lebt, durch Intransparenz und Verschleppung seit Jahren bekannter Fälle geradezu verhöhnt.

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