Shitstorm im Internet. Sprachliche Phänomene und Strategien am Beispiel des Bachelors 2020


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

41 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist ein Shitstorm?
a. Definition
b. Gründe für einen Shitstorm
c. Shitstorms in Social Media

3. Sprachliche Phänomene von Shitstorms
a. Die Rolle von Emoticons
b. Syntax und Orthographie

4. Shitstorm am Beispiel des Bachelors
a. Instagram
b. Facebook

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

1. Einleitung

Das Wort „Shitstorm“ war der Anglizismus des Jahres 2011. Heutzutage taucht dieses Phänomen alle paar Minuten auf. Ein Prominenter, der echtes Tierfell als Mantel trägt. Ein Fußballspieler, der im großen Stil Steuern hinterzieht. Oder beispielsweise ein Politiker, der sich gegen das Asylrecht ausspricht. Besonders durch Social Media werden diese sogenannten Shitstorms schnell verbreitet und sind mittlerweile schon Alltag geworden. Ein Post, der nur positive Kritik erntet, ist quasi schon langweilig geworden. Doch was macht überhaupt einen Shitstorm aus und was ist ein solcher überhaupt? Diese Hausarbeit soll am Beispiel des diesjährigen Bachelors zeigen, was einen Shitstorm ausmacht und wie dieser auch sprachlich funktioniert.

Um die Hintergründe des ausgewählten Beispiels zu verstehen, sind einige Hintergrundinformationen notwendig. Sebastian Preuss versuchte Anfang des Jahres seine große Liebe im Fernsehen zu finden. Über Wochen flimmerte er als „Der Bachelor“ jeden Mittwochabend über Millionen von Bildschirmen der Deutschen. Schon am Anfang der Staffel sorgte er für Gesprächsstoff, da er bereits wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis saß und sein Bruder an einer Überdosis verstarb. Ohne auch nur die erste Folge gesehen zu haben, war das Publikum gespalten. Dennoch schaffte er zu überzeugen, da er sehr offen war und ehrlich vor der Kamera über seine Vergangenheit redete. Als Sebastian dann jedoch die Teilnehmerin Linda aus der Show warf, da sie ihm den Kuss verweigerte, brach eine wahre Hasstirade über ihn hinweg. Zusätzlich veröffentlichten in derselben Woche mehrere Internetseiten wie zum Beispiel Promiflash und Zeitungen, dass Sebastian Preuss auch in Untersuchungshaft gesessen haben soll, da er einen anderen Menschen mit einem Schwan verprügelte. Nur binnen weniger Stunden wurde aus dem neuen attraktiven Bachelor ein frauenfeindlicher Macho, der Tiere quält.

2. Was ist ein Shitstorm?

a. Definition

Wenn man das Wort „Shitstorm“ hört, ist die erste Assoziation, dass es sich um ein englisches Wort handelt, welches von der deutschen Sprache adaptiert wurde. Obwohl es 2011 zum „Anglizismus des Jahres“ gewählt wurde, entstammt der Begriff aus dem Deutschen. Verwendet wurde er zum ersten Mal 2006 im Kontext der Kritik in den Offline-Medien.1 Obwohl man die Bezeichnung des Shitstorms heute auch im englischsprachigen Raum kennt und benutzt, hat er dort eine andere Definition und wird in einem anderen Zusammenhang verwendet.2

Um die Grundzüge und Eigenschaften eines Shitstorms präzise zu erklären, gibt es unzählige Definitionsansätze. Einer davon lautet:

„Ein Shitstorm ist ein Online-Phänomen, das einen Sturm der Empörung beschreibt, der sich gegen eine Person, ein Unternehmen oder eine Institution richtet und der mit zunehmender Dauer mit beleidigenden Äußerungen einhergeht.“3

Um eine aussagekräftige Definition zu haben, ziehe ich zwei weitere Ansätze heran, um diese vergleichen zu können.

„Als Shitstorm soll hier der Prozess bezeichnet werden, wenn in einem kurzen Zeitraum eine subjektiv große Anzahl von kritischen Äußerungen getätigt wird, von denen sich zumindest ein Teil vom ursprünglichen Thema ablöst und stattdessen aggressiv, beleidigend, bedrohend oder anders attackierend geführt wird.“4

„[Shitstorms sind eine] Empörungswelle von Nutzern sozialer Netzwerke, die über die dialogisch aufgebauten Kommunikationskanäle von Privatpersonen diese öffentlich kritisieren und dabei oft aggressiv und beleidigend auftreten.“5

Was entscheidend für einen Shitstorm ist und daher in der zweiten Definition fehlt, ist die Tatsache, dass das Ganze online abläuft. Durch diesen Aspekt grenzt sich der Shitstorm von einem einfachen Skandal ab. Was alle drei Erklärungen gemeinsam haben, ist die Art und Weise, wie kritisiert ist. Besonders auffällig ist dies, da in jedem Ansatz das Wort „beleidigend“ oder „aggressiv“ vorkommt. Dabei stehen nämlich nicht nur die Reaktionen der breiten Masse im Vordergrund, sondern wahllose Beschimpfungen.6 Die Menschen werden von ihren Empörungen geleitet, wodurch sie zu Bedrohungen, Beleidigungen, Beschimpfungen und Hasstiraden greifen. Diese Art der Kommunikation hat dann jedoch nichts mehr mit Fakten oder begründeten Argumenten zu tuen.7 Daher kann man bei einem Shitstorm sagen, dass es weniger um eine gewollte Diskussion der Akteure geht, sondern einfach das Ziel hat, seinen Gefühlen Luft zu machen. Als Shitstorm bezeichnet man also eine Welle der Empörung, die von Online-Usern ausgelöst wird und noch schneller verbreitet wird. Hierbei wird die Schwelle der Kritik übertreten und es kommt zu einer aggressiven Stimmung.

b. Gründe für einen Shitstorm

Wodurch entsteht ein Shitstorm und wer sind seine Opfer? Zunächst einmal zu der Frage der Opfer, da diese schnell zu beantworten ist. Opfer sind meist Einzelpersonen oder Firmen. Durch die heutige Reichweite, die man durch Social Media hat, haben die Menschen ein Millionenpublikum, da man nicht automatisch jedem folgen muss, um Beiträge zu sehen. Doch so viel Beliebtheit ist nicht immer ein Vorteil. Durch diese enorme Reichweite macht man sich auch schneller angreifbar. Je mehr man Informationen von sich preisgibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man schneller aneckt. Bekannte Persönlichkeiten oder Marken gelten in der Online-Welt als Vorbild.8 Dadurch sind die Erwartungen gleichzeitig höher. Doch kann man jedem mit seinem Content gerecht werden? Genau dies soll die zweite Frage beantworten und zwar wodurch ein Shitstorm entsteht. Das Internet vereint die ganze Welt. Es gibt unterschiedliche Religionen, Meinungen und Weltanschauungen. Und all diese Gruppen treffen dort aufeinander. Jeder bringt auch ein Stück eigene Kultur mit und genau das ist das Problem. Wenn sich eine Person beispielsweise auf Facebook aufhält, schreibt sie oft mit denselben Menschen und liket ähnliche Themen. Diese beschriebene Person bewegt sich so gesehen in einer Blase. Es ist auch die Rede von einer Mikrokultur, da man nur mit Leuten aus seiner Kultur in Kontakt steht, die ähnliche Meinungen vertreten.9 Ohne es zu wissen, trägt jeder Mensch eine Art Brille, die andere Weltanschauungen verschleiert und seine eigene für die einzig Richtige hält. Und genau dieser Aspekt bietet Konfliktpotenzial. Denn diese vielen Kulturen treffen alle im Internet aufeinander. Online treffen so viele Meinungen aufeinander, die sonst an einem Tisch wahrscheinlich nicht zusammen gekommen wären.10 Zusammenfassend lässt sich folgendes Problem bei Shitstorms feststellen:

„Shitstorms beruhen auf Wertekonflikten, die für kulturelle Konflikte stehen. Begünstigt werden Shitstorms durch eine verzerrte Wahrnehmung der Haltung der anderen Menschen, weil man nur mit Ähnlichen zusammenkommt.“11

Daher sind Shitstorms Phänomene, die häufig auftreten, da es aufgrund unterschiedlicher Kulturen nicht möglich ist, dass im Internet nur Sachen positiv aufgefasst werden. Viele Meinungen verursachen Reibungen, der sich dann in Form einer Empörungswelle entsteht.

Es gibt drei grundsätzliche Erklärungsmodelle für einen Shitstorm. Die erste Theorie ist die Echtzeit-Kommunikation. Eine kleine Kritik kann in der Gegenwart so schnell verbreitet werden, dass sie direkt einen Shitstorm auslöst.12 Facebook trägt einen großen Teil zu dem zweiten Modell bei: Der Entweder-Oder-Entscheidung. Durch die Like-Funktion kann man nur entscheiden, ob einem der Beitrag gefällt oder nicht. Demnach kann es nur zwei Positionen geben. Entweder man ist dafür oder dagegen.13 Die dritte Möglichkeit ist die Filterblase. Der Erklärungsansatz ist der gleiche wie mit den Kulturen, da jeder in seiner eigenen Wirklichkeit lebt.14 Die drei Ansätze müssen nicht getrennte voneinander betrachtet werden. Vielmehr bauen sie aufeinander auf und unterstützen sich gegenseitig.

c. Shitstorms in Social Media

Social Media ermöglichte erstmals den Jos eines sogenannten „Influencers“. Dabei handelt es sich nicht um ein Produkt, welches beworben wird, sondern um einen Menschen selbst, der sich beispielsweise auf Instagram vermarktet. Kurz: Der Job „Influener“ sieht vor sich selbst im Internet zu verkaufen.15 Jedoch bürgt dieser Job ein großes Risiko, da besonders die Plattformen Facebook, Twitter und Instagram von Shitstorms betroffen sind. Gerade hier können nur mit wenigen Klicks Sachen schnell verbreitet werden und es breitet sich innerhalb von Sekunden ein Lauffeuer aus.16 Die Vorteile von Social Media werden bei Shitstorms zum Nachteil. Da die Netzwerke nicht an Raum und Zeit gebunden sind17, können sie zu jeder Uhrzeit weltweit aufgerufen und weitergeleitet werden. Es besteht keine Chance die Sache aufzuhalten. Löscht man einen Beitrag, tauchen 20 neue auf. Des Weiteren steht oft eine breite Masse ohne Gesicht hinter dem Shitstorm. Besonders auf Instagram und Twitter kann man unter den kuriosesten Namen online gehen und auch ohne Profilbild.18 Username und Bild müssen nichts mit der Person zu tun haben, die zuhause vor dem Bildschirm schickt. Genau das macht die Nutzer stark und sie neigen häufiger dazu negative Kommentare zu posten, da sie sich hinter einer Maske verstecken. Obwohl Social Media eine nie dagewesene Nähe bietet, unterstützt es gleichzeitig auch die Anonymität, um sich wie ein Schatten im Netz zu bewegen. Ein falscher Satz oder ein falscher Post kann jahrelange Arbeit zerstören. Es ist schwierig heutzutage im Netz ohne Shitstorm zu überleben, da man der großen Masse mit ihren unterschiedlichen Meinungen kaum noch gerecht werden kann.

Jeder Shitstorm verläuft anders und ist unterschiedlich heftig. Extra dafür wurde die sogenannte „Shitstorm-Skala entwickelt. Sie ist in sechs Stufen unterteilt und die Skalierung wurde aus Wetterberichten entnommen. So wird beispielsweise ein mittelstarker Shitstorm als Skala vier eingestuft, der ähnlich wie ein starker Wind ist oder grobe Wellen auf dem Meer. In Social Media wird das Ganze als „Herausbildung einer vernetzten Protestgruppe [und als] wachsendes, aktives Follower-Publikum auf allen Kanälen“19 beschrieben. Ein Kriterium, wonach ein Shitstorm bewertet werden muss, ist das Medien-Echo. Im Falle der Stufe vier gibt es dort sowohl online als auch in den Print-Medien erste Berichte.20

Eine Lösung, wie man auf einen Shitstorm reagieren sollte, gibt es nicht. Was man aber auf keinen Fall machen sollte, ist direkt emotional zu reagieren und auf jede Kritik zu antworten. Außerdem sollte man den Post nicht löschen, da dies noch mehr Aufmerksamkeit erzeugen würde.21 Ein Shitstorm ist zeitlich begrenz. Wenn die Sache sich beruhigt hat, sollte man objektiv und sachbezogen zu dem Ganzen Stellung nehmen und sich im besten Fall entschuldigen.

3. Sprachliche Phänomene von Shitstorms

a. Die Rolle von Emoticons

Emoticons sind kaum noch aus der Online-Kommunikation wegzudenken. Hier mal ein Herz, da mal ein Affe, der sich die Augen zu hält. Doch die Wirkung der kleinen Zeichen wird in der Kommunikation häufig unterschätzt. Der Mensch besinnt sich durch die Verwendung durch Zeichen zu seinen Anfangszeiten zurück. Schon vor tausenden von Jahren ersetzen Zeichen die Schrift wie zum Beispiel im alten Ägypten. Oder anders gesagt: Das Zeichen wurde zur Schrift. Wofür sind Emoticons dann heute gut, wenn hauptsächlich Wörter im Vordergrund stehen? Das Wort „communicare“ kommt aus dem Lateinischen und heißt übersetzt „sich verständigen“ oder „sich mitteilen“.22 Es geht also nicht um das bloße Sprechen. Zur Kommunikation gehören zusätzlich zur Sprache auch Gestik und Mimik.23 Dieser Aspekt fällt bei Online-Kommunikation weg. Man kann daher einzelne Aussagen manchmal schwierig deuten und es kommt zu Missverständnissen. Ein Beispiel dafür ist, wenn der Schreiber Ironie verwendet und dies aber anders interpretiert wird. Doch hier kommen Emojis ins Spiel. Sie sollen in diesem Kontext Gestik und Mimik ersetzten. In erster Linie dienen als „Wertung oder […] Bezugsausdruck“.24 Zusätzlich bieten sie eine schnelle Möglichkeit, um zu kommunizieren. Anstatt einen langen Text zu schreiben, um seine Gefühle darzulegen oder zu erklären, dass man gerade sauer ist, hat man die Möglichkeit einfach einen Wut-Emoji zu verschicken.25 Daher sind die Emoticons zu einem spezifischen Merkmal in der Online-Welt geworden. In Bezug auf Shitstorms haben Emojis meistens ein Ziel: Das Hervorheben von „textspezifische[n] Funktion[en] der Sprachauswahl“26. Sie sollen nur einmal die Aussage verdeutlichen. Häufig passiert dies in extremerer Weise als bei Chats, da ein Shitstorm von Empörung und negativen Gefühlen geleitet wird. Emojis werden hier mehrfach hintereinander benutzt und häufig in ironischer Weise, damit der Kommentar nicht direkt als Beschimpfung angesehen werden kann. Besondere Zeichen wie beispielsweise Kotzsmileys werden auch vom Algorithmus nicht als beleidigender Kommentar angesehen und daher nicht gelöscht.

Dass Emoticons besser die Gefühle ausdrücken, als ein einfacher Daumen hoch oder runter, erkannte auch Facebook. Sie ersetzten die Like-Funktion. Anstelle des Daumens nach oben, kann man jetzt durch verschiedene Emojis mitteilen, ob der Post einen wütend macht oder beispielsweise zum Lachen bringt. Durch diese Einführung versprach sich Facebook ein konkreteres Feedback, um direkt sehen zu können, wie die Nutzer auf bestimmte Beiträge reagieren. Dieser Aspekt der Bewertung durch Emojis wird noch im späteren Beispiel an Hand eines Posts über den Bachelor relevant sein.

b. Syntax und Orthographie

Durch Social Media entstand eine neue Kommunikationskultur. Mit Hilfe von Abkürzungen oder auch durch die Verwendung von Emoticons veränderte sich die Art der Kommunikation langfristig und qualitativ.27 Bevor jedoch über Kennzeichen eines neuen Sprachgebrauchs gesprochen werden kann, muss ein kurzes Anfangsfazit gezogen werden. Anders als bei Emoticons lässt sich das Phänomen der Onlinesprache nicht verallgemeinern. Bei der Orthographie spielt nämlich auch der Aspekt des sozialen Status eine Rolle sowie das Alter. Daher lassen sich bestimmte Regeln nicht pauschalisieren. Man kann zwar den Schluss ziehen, dass die breite Masse ähnlich handelt, jedoch nicht, dass sich aus den Beobachtungen Regularitäten ergeben.

Michael Hoyer äußerte sich zum Sprachstil im Netz und vertritt dabei die These, dass die Sprache mehr und mehr vereinfacht wird. Dabei wird nur in halben Sätzen geschrieben, die Groß- und Kleinschreibung wird missachtet und es existiert keine richtige Rechtschreibung mehr. Das Fazit seiner Untersuchungen lautet, dass man durch Social Media das „richtige“ Schreiben verlernt.28

Wie die Netzsprache heute aussieht, und ob sie bestimmte Merkmale vorweist, ist nach wie vor umstritten. Wo man sich jedoch einig ist, ist die Tatsache, dass es eine „starke Differenz zu normgerechten Schrifttexten“29 gibt. In Social Media regiert also eher die Einfachheit in Form der Alltagssprache. Dieses Modell lässt sich dann eher dem konzeptionell Mündlichen zuordnen.30

Die erste Position, der auch Michael Hoyer angehört, vertritt die Meinung, dass die Websprache oft falsch ist und grammatikalisch leidet. Durch den Zeitdruck, den man meist beim Schreiben hat, kommt es vermehrt zu Fehlern. Dabei handelt es sich jedoch meistens nicht um Rechtschreibfehler, da man in einer Zeit von Autokorrektur lebt. Vielmehr geht es um Groß- und Kleinschreibung und die Interpunktion. Die Kommasetzung wird zum größten Teil vernachlässigt. Kausalsätze sind hier die häufigste Ursache. Ein besonders beliebter Fehler ist auch die Verbzweitstellung in Nebensätzen.31 Bei Usern, die vermehrt am Laptop kommentieren, könne man dies zum Teil erkennen, da Buchstaben ausgelassen werden oder zu viele verwendet werden. Dies ist ein Phänomen, da viele Laptops oder Computer ohne Autokorrektur laufen.32 Doch stört es wirklich im Netz, wenn die Texte fehlerhaft sind? Auch diese Frage wird wohl von Mensch zu Mensch unterschiedlich beantwortet. In „Innovative Schriftlichkeit“ heißt es: „Fehler gehören in die Internetsprache, da sie schnell und einfach vorangeht.“33 Man versucht mit möglichst wenig Text und Aufwand so viel wie möglich auszudrücken. Um vermehrt seine Gefühle zu äußern, tritt auch das Phänomen auf, dass beispielsweise Ausrufezeichen in rauen Mengen hintereinander gesetzt werden.

Die zweite Position sagt nicht, dass die Internetsprache einwandfrei von Fehlern ist. Jedoch sagt sie auch nicht, dass Grammatik und Rechtschreibung vernachlässigt wird. Zuerst wird hier beim Alter unterschieden. Beispielsweise würde man erkennen, wenn ein Jugendlicher den Kommentar verfasst hätte. Er zeichnet sich aus durch knappe Erzählungen, groteske Aussagen, Tabubrüche, Hyperbolik und Nonstandard.34 Demnach hätte jede Gruppe eine andere Art zu schreiben, die durch Analyse der Kommentare bestimmen könne. Jedoch ist der viel entscheidendere Faktor der soziale Status, was bestimmt, dass „der Trend [] wieder hin zu einer korrekten Sprache [geht], da gute Rechtschreibung und Interpunktion ein wichtiges Zeichen für Bildung und Niveau sind. Besonders bei älteren Altersgruppen.35 Sprache vermittelt also im Web einen sozialen Status, da User dies als erstes von dir sehen. Noch bevor man das Profil sehen kann, sieht man die Aussage des Nutzers und macht sich dadurch ein erstes Bild. Schlechte Rechtschreibung vermittelt Inkompetenz. Daher ist der erste Eindruck schlecht und man vermutet, dass der Schreiber ein niedriges Bildungsniveau hat. Im Gegensatz zum ersten Modell spielen Fehler hier eine Rolle, da die Verwendung von richtiger Sprache eine Überlegenheit zeigen soll.

Insgesamt kann man zur Sprache im Netz sagen, dass es zwar bestimmte Fehler gibt, die häufiger auftreten. Jedoch sind die meisten Texte sprachlich korrekt und besitzen nur minimale Fehler. Eine viel wichtigere Rolle als der Text selbst nehmen heutzutage die Emoticons ein.

4. Shitstorm am Beispiel des Bachelors

Um die Kommentare auswerten zu können, wurde eine Art Checkliste erstellt. Diese beinhaltet alle Kriterien, die entscheidend für einen Shitstorm sind. Der größte Teil ist sprachlich, wozu Rechtschreibfehler, Interpunktion, Groß- und Kleinschreibung, Abkürzungen und Kommasetzung gehören. Ebenfalls ist hier ein weiterer Aspekt die Grammatik. Sie wurde zu einem großen Punkt zusammengefasst. Zu ihr gehören Kasus-, Numerus- und Genusfehler. Außerhalb der Sprachebne liegen die Kriterien: Beschimpfungen, Ironie, Emoticons, Hyperbeln, Anonymität der Nutzer und Ausrufe. Pro Aufkommen gibt es einen gezählten Stich. Das heißt, es wird nicht pro Kommentar gezählt, sondern die gesamte Anzahl. Treten beispielsweise in einem Post fünf Rechtschreibfehler auf, so zählt dies als Zahl fünf in der Gesamtwertung.36

a. Instagram

Die erhobenen Daten, die für dieses Beispiel erhoben worden, stammen ausschließlich aus einem veröffentlichen Post aus Instagram. Es geht hierbei um das Foto vom 9. Februar 2020. Da der Shitstorm durch die Kandidatin Linda ausgelöst wurde, handelt es sich bei der Auswahl des Fotos um das erste Bild, welches von Sebastian Preuss nach Lindas Rauswurf gepostet wurde. Die Kommentare wurden rein zufällig nach chronologischer Sichtung ausgewählt. Wichtig zu erwähnen ist, dass die schlimmsten Beschimpfungen sowie Hasstiraden, die von Instagram erkannt worden sind, durch den natürlichen Algorithmus gelöscht wurden.

Geht man der These von Michael Hoyer nach, so lässt sich vermuten, dass sich in den einzelnen Kommentaren einige Fehler eingeschlichen haben, die das Lesen aber jedoch nicht erschweren. Zunächst ist eine große Überraschung, dass von 20 Usern nur ein einziger anonym einen Kommentar verfasst hat. Der Rest machte kein Geheimnis um seine Identitäten. Obwohl auch Nutzer dabei waren, die einen Nicknamen hatten, war immer ein Profilbild vorhanden, was die Person selbst zeigte. Wenn man dann auf das Profil klickte, waren meist sogar Vor- und Nachname angegeben.

Bei der Auswertung waren die Fehler bei der Interpunktion häufig vertreten. Oft fehlten die Punkte aber nicht im Text sondern erst an Ende. Was sehr gut zu beobachten war, war die Tatsache, dass oft kein Punkt folgte, wenn ein Emoticon am Satzende zu finden war. Heißt also, dass die meisten keinen Punkt am Ende des Satzes setzen, sondern ein Emoticon als dieser fungiert. Der Emoticon sollte noch einmal präzise die Aussage zusammenfassen. So wurde beispielsweise nach einer kritischen Äußerung zu dem Verhalten des Bachelors ein Daumen nach unten gesetzt. Ohne dass man den Kommentar las, konnte man schon aufgrund der Emojis auf den ersten Blick erkennen, in welche Richtung die Aussage gehen sollte. Beim durchscrollen war es also ein sehr prägnantes Merkmal, um negative Kommentare direkt zu erkennen.

Was bei Instagram schockierend war, war die Anzahl der Beschimpfungen, da die Dunkelziffer noch viel höher gewesen sein muss, da der Algorithmus die schlimmsten schon gelöscht hatte. In nur zwanzig Kommentaren wurde der Bachelor über 22 beschimpft. Unter anderem fielen Begriffe wie „widerwärtig“, „dumm“, „ekliger Typ“, „Idiot“ und „Tierquäler“. Das sind nur ein paar der Worte, die unter dem Bild gefallen sind. Besonders Instagram zeigt, dass hier die Ebene des Sachlichen verlassen wird. Kritik allein fand oft nicht statt, sondern nur in Verbindung mit Beleidigungen. Unterstützen sollte diese harte Linie Ausrufezeichen, die vielfach verwendet wurden. Für den Leser hat dies den Effekt, dass der Satz beim Lesen lauter und energischer wirkt, obwohl man keine Stimme dazu hört. Sind die Buchstaben auch noch alle groß geschrieben, bekommt man fast den Eindruck, als ob der Nutzer seinen Kommentar schreiend und in einem wütenden Ton verfasst hat.

Bei so viel Empörung werden die vielen Kommafehler fast zur Nebensache. Dennoch muss man sagen, dass gar nicht auf Komma geachtet worden ist. Einfache Kausalsätze oder Relativsätze wurden einfach missachtet. Was auch auffiel war, dass entweder auf der einen Seite akribisch Komma gesetzt wurden, oder auf der anderen Seite das komplette Gegenteil geschah, nämlich das man so tat, als würden Komma überhaupt nicht existieren. Zum Schluss waren es trotzdem stolze sechzehn Fehler bei zwanzig Kommentaren.

Vereinzelt tauchten Grammatik- und Rechtschreibfehler auf. Diese waren wirklich minimal und eher ein Zeichen von Flüchtigkeitsfehlern. Man merkt beim Lesen, dass sich die meisten ihre Kommentare nach dem Schreiben wohl eher nicht mehr durchgelesen worden sind. Aber das ein Buchstabe zu viel oder zu wenig war, war eine Ausnahme. Auch Genus- und Kasusfehler lassen sich auf Flüchtigkeitsfehler zurückführen, da der restliche Text nicht auf Unwissenheit über Grammatikregeln hinweist. Noch weniger davon ist die Groß- und Kleinschreibung betroffen. Gerade einmal drei Fehler waren in den Kommentaren vorhanden.

Ironie spielte in den Kommentaren fast keine Rolle, vor allem was das Sprachliche betrifft. Nur mit Hilfe von Emoticons wurde dem Text im Nachhinein eine ironische Note beigefügt. Nach einem bös gemeinten Kommentar, folgte dann beispielsweise ein Kusssmiley. Der Trend geht jedoch klar in die Richtung seine Meinung direkt zu verfassen und nicht diese ironisch zu verpacken.

Was man bei Instagram schön sehen konnte, war, wie schnell sich Sachen im Netz verbreiten. Nutzer, die sich nicht kennen, agieren unter ihren Kommentaren und fühlen sich als eine Gruppe zugehörig, da sie alle denselben „Feind“ haben. Kommentare, in denen man nur Namen markiert, und dazu noch „guck mal“ scheibt, sind auch beliebt, um auf besonders böse oder „lustige“ Kommentare aufmerksam zu machen.

Im vorherigen Text wurde der Algorithmus von Instagram schon einmal angesprochen. Wie im Falle vom Bachelor, kann dieser einem aber auch schnell zum Verhängnis werden. In einem Kommentar heißt es: „Du warst nur für Aufmerksamkeit da und hör auf Kommentare zu löschen[,] die dir nicht passen[,] obwohl sie einfach nur ehrlich sind[.]“ Ganzen 665 Personen gefällt dieser Kommentar. Obwohl Instagram mit dem Löschen den Personen Hate ersparen will, wird im diesem Fall der Shitstorm noch größer, da sie die Leute mundtot gemacht fühlen.

b. Facebook

Bei den vorliegenden Kommentaren handelt es sich um einen Beitrag von Facebook vom 4.März 2020. Wichtig ist hierbei, dass der Beitrag nicht direkt von Sebastian Preuss selbst stammt, sondern auf der offiziellen Facebookseite „Der Bachelor“ veröffentlich wurde. Anders als bei dem Instagrambeitrag geht es um ein Video, welches jedoch dasselbe Maß an Reaktionen und Kommentaren zulässt. Genau wie bei dem vorherigen Beispiel wurden die ausgewählten Kommentare zufällig und in einer chronologischen Reihenfolge erhoben.

Schon auf den ersten Blick, bevor man das Video überhaupt gesehen hat, schleicht sich die Vermutung ein, dass der Bachelor in den Kommentaren nicht gut wegkommen wird. Als die Mutter von Sebastian in der letzten Folge zu sehen war, erfreute sie sich großer Beliebtheit im Netz durch ihre ehrliche und offene Art. In dem Video „Sebastians Mama redet Klartext“ geht es darum, dass Sebastians Mutter ihrem Sohn verdeutlicht, dass er zu oberflächlich an die Sache rangeht und er sich an Kleinigkeiten hochzieht, um ein Argument gegen die Kandidatinnen zu finden. Das Video besitzt drei Reaktionen. Zum einen den Daumen hoch, die Herzfunktion und den wütenden Emoji. Wenn man die Kommentare durchgeht, kann man daraus schließen, dass die Herzen der Mutter gelten. Der wütenden Emoticon richtet sich jedoch gegen Sebastian, da er bei der Szene sehr unsympathisch beim Publikum ankam, da er sich am liebsten die perfekte Frau backen würde. Genau dies verdeutlichten daraufhin auch die Nutzer in ihren Kommentaren. So beschreiben sie den Bachelor meist als unsympathisch und oberflächlich. Ein Mann, der unfähig zu Kritik ist. Gerade diese Kommentare stoßen auf große Beliebtheit. Wie beispielsweise der Kommentar einer Nutzerin: „[…] Ich fand Sebastian bis heute sympathisch [.] Aber jetzt wirkt er gerade nur oberflächlich. Schade Schade…“ Über 259 anderen gefällt dieser Kommentar. Die Resonanz bei solchen Videos ist riesig, sobald ein moralischer Konflikt entsteht. So gibt es zu diesem Video über 1200 Kommentare. Insgesamt fielen die Beschimpfungen jedoch deutlich geringer aus als auf Instagram und wurden meist nur durch die Blume hinweg geäußert. Die schlimmste Beschimpfung hier war das Wort „niveaulos“. Die häufigste Sache, die aufgetreten ist, waren Interpunktionsfehler. In nur 21 Kommentaren gab es achtzehn Stück davon. Nach Emoticons wurde nie ein Punkt gesetzt. Dies war jedoch nicht ausschlaggebend für die hohe Anzahl an Fehlern. Oft wurden die Texte einfach ohne Punkt und Komma runtergeschrieben, was auch zu knapp zehn Kommafehlern führte. Noch lieber als Emoticons wurden Ausrufezeichen verwendet. Um seinen Aussagen Wichtigkeit zu verleihen und gleichzeitig die Gefühle zu verdeutlichen, wurden größten Teils nicht nur einzelne Ausrufezeichen gesetzt, sondern meist hintereinander weg in größeren Mengen. Vergleicht man die Zahlen mit Instagram, so sieht man, dass sich die Zahlen stark ähneln. Der einzige Punkt, der etwas stärker abweicht, ist hier Groß-und Kleinschreibung. Jedoch war auf Facebook ein Kommentar dabei, der darauf schließen lässt, dass Deutsch nicht die Muttersprache des Nutzers ist und er noch im Prozess des Lernens ist.

[...]


1 Vgl. Kleineberg, Christoph: Shitstorm-Attacken. Digitaler Orkan oder Sturm im Wasserglas. In: Dittler, Ulrich/ Hoyer, Michael: Social Network-Die Revolution der Kommunikation. Kundenkommunikation, Facebook-Freundschaften, digitale Demokratie und virtuelle Shitstorms unter medienpsychologischer und mediensoziologischer Perspektive. München 2014. S.62.

2 Vgl. Pfeffer, Jürgen/ Zorbach, Thomas: Shitstorms: Social Media und die Veränderungen der digitalen Diskussionskultur. In: Breitenbach, Patrick/ Stiegler, Christian/ Zorbach, Thomas: New Media Culture: Mediale Phänomene der Netzkultur. Bielefeld 2015. S.128.

3 Ebd. S.128.

4 Haarkötter, Hektor: Shitstorms und andere Nettigkeiten: über die Grenzen der Kommunikation in Social Media. Bade-Baden 2016. S.109.

5 Ebd. S.110.

6 Vgl. Stegbauer, Christian: Shitstorms: Der Zusammenprall digitaler Kulturen. Wiesbaden 2018. S.1.

7 Ebd. Vgl. S. 27

8 Ebd. Vgl. S.44.

9 Ebd. Vgl. S.26.

10 Vgl. Stegbauer S.23.

11 Ebd. S.27.

12 Vgl. Pfeffer, Jürgen/ Zorbach, Thomas: Shitstorms: Social Media und die Veränderungen der digitalen Diskussionskultur. In: Breitenbach, Patrick/ Stiegler, Christian/ Zorbach, Thomas: New Media Culture: Mediale Phänomene der Netzkultur. Bielefeld 2015. S.129.

13 Ebd. Vgl. S.130.

14 Ebd. Vgl. S.131.

15 Vgl. Hoyer, Michael: Soziale Netzwerke verändern die Kommunikation. In: Dittler, Ulrich/ Hoyer, Michael: Social Network-Die Revolution der Kommunikation. Kundenkommunikation, Facebook-Freundschaften, digitale Demokratie und virtuelle Shitstorms unter medienpsychologischer und mediensoziologischer Perspektive. München 2014. S.16

16 Vgl. Kleineberg S.61.

17 Vgl. Hoyer S.17.

18 Ebd. Vgl. S.17.

19 Kleineberg S.62.

20 Ebd. Vgl. S.62.

21 Ebd. Vgl. S.67.

22 Vgl. Hoyer S.13.

23 Ebd. S.13.

24 Georg, Albert: Innovative Schriftlichkeit in digitalen Texten. Syntaktische Variation und stilistische Differenzierung in Chat und Forum. 2013. S.148.

25 Ebd. Vgl. S. 148.

26 Ebd. S. 143.

27 Vgl. Hoyer S.13.

28 Ebd. Vgl. S.18.

29 Georg S.153.

30 Ebd. Vgl. S.136.

31 Vgl. Georg S.154.

32 Ebd. vgl. S.157.

33 Ebd. S.154.

34 Ebd. Vgl. S.142.

35 Ebd. S.160.

36 Tabelle mit allen Zahlen befindet sich im Anhang

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Shitstorm im Internet. Sprachliche Phänomene und Strategien am Beispiel des Bachelors 2020
Hochschule
Universität Siegen
Note
2,0
Jahr
2020
Seiten
41
Katalognummer
V1024788
ISBN (eBook)
9783346425065
ISBN (Buch)
9783346425072
Sprache
Deutsch
Schlagworte
shitstorm, internet, sprachliche, phänomene, strategien, beispiel, bachelors
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Shitstorm im Internet. Sprachliche Phänomene und Strategien am Beispiel des Bachelors 2020, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1024788

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