Mario und der Zauberer - Inhalt und Deutung
In der Novelle„Mario und der Zauberer“ von Thomas Mann schildert ein Ich - Erzähler einen Teil seines Urlaubs, den er mit seiner Frau und seinen Kindern in der italienischen Kleinstadt Torre di Venere, die unmittelbar am Tyrrhenischen Meer liegt, verbringt. Man erfährt, dass sich der Erzähler und seine Familie zur Zeit der Hochsaison in der kleinen Küstenstadt befinden, in der sich Scharen von Touristen aus den verschiedensten Ländern tummeln. So erscheint dem Erzähler der völlig überlaufene Strand auch nicht besonders einladend. Weiterhin wird die ohnehin schon etwas getrübte Ferienlaune des Erzählers durch den mehr oder weniger erzwungenen Wechsel der Unterkunft beeinträchtigt, der vollzogen wird, da die Frau eines römischen Hochadligen den abklingenden Keuchhusten der Kinder des Erzählers als eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit ihrer Familie ansieht. Ein weiteres unliebsames Urlaubserlebnis wird dadurch hervorgerufen, dass die achtjährige Tochter des Erzählers nach dem Spiel am Strand ihren Badeanzug im Meerwasser auswäscht, wozu sie diesen natürlich ablegt. Die Nacktheit des kleinen Mädchens ruft eine sofortige und sehr heftige Empörung der Menschen am Strand hervor, die Behörden werden sogleich alarmiert, der Erzähler mit einer Geldstrafe wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses belegt. Aufgrund der durch die geschilderten Ereignisse anwachsenden Unbehaglichkeit überlegen der Erzähler und seine Frau mehrfach abzureisen, entscheiden sich dann aber zum weiteren Aufenthalt. Dieser soll nun durch den Besuch einer Vorführung des Zauberers mit Namen Cipolla, den besonders die Kinder gerne sehen möchten, aufgelockert werden. Doch wird die Vorstellung Cipollas für den Erzähler und seine Frau eher zu einem Schockerlebnis. Der Zauberer Cipolla, ein selbstgefälliger, stolzer und auch durchaus boshaft zu nennender älterer Mann, entpuppt sich als ein Hypnotiseur, der mit gekonnter Rhetorik und psychischer Brutalität Menschen gnadenlos beeinflusst, ihnen seinen Willen aufzwingt, sie im wahrsten Sinne des Wortes zu Marionetten werden lässt.
Im zweiten Teil der Vorstellung geht Cipolla schließlich so weit, dass er seine bis dahin nur spöttisch präsentierte Macht über die Menschen, anfängt auf übelste Weise zu missbrauchen. Dem Kellner Mario nimmt der Zauberer seine Menschenwürde und gibt ihn der Lächerlichkeit preis, indem er ihm suggeriert, er, Cipolla, sei seine heimliche Angebetete. Er zwingt Mario sogar dazu, ihn zu küssen. Nach dieser grotesken und beklemmenden Situation erweckt Cipolla Mario aus seinem tranceartigem Zustand, dieser stürmt von der Bühne in Richtung Ausgang. Dort zieht Mario plötzlich eine Waffe, zwei Schüsse fallen, woraufhin der Zauberer getroffen zu Boden sackt. In der allgemeinen Aufregung treten der Erzähler, den ein Gefühl der Bestürzung, aber auch der Befreiung überkommt, und seine Familie den Rückweg an.
Betrachtet man nun die Novelle „Mario und der Zauberer“ vor dem zeitlichen Hintergrund des Erscheinungsjahres 1930, so wird augenscheinlich, dass Thomas Mann ein aufmerksamer Beobachter seiner Zeit gewesen sein muss, der anscheinend ausgestattet mit einem sensiblen Gespür für die politischen Strömungen, Vorahnungen hegte, die in der Gestalt des dämonisch erscheinenden Hypnotiseurs Cipolla ihre Verkörperung finden.
Thomas Mann zeigt auf, wie ein diktatorischer Mensch mit den Mitteln der Rhetorik, der Massenhypnose und der psychischen Gewalt eine derartige Manipulation von Menschen durchführen kann, dass diese ihren eigenen Willen und ihre Individualität aufgeben, sich dagegen willenlos der Macht der Verführung fügen.
Diese Macht Cipollas über die Menschen wird in der Novelle selber in mehreren Situationen deutlich, von denen einige hier erwähnt werden sollten.
So lässt der Zauberer zu Beginn der Vorführung einen jungen Mann dem Publikum seine Zunge herausstrecken, bringt einen anderen dazu, sich vor Schmerzen auf dem Boden zu wälzen, was allerdings erst der Anfang seiner Massenhypnose darstellt. Erschreckend und beklemmend ist das Ausmaß der Manipulation Cipollas dann aber anzusehen, als er Signora Angiolieri mit seiner Willenskraft derart in seinen Bann zieht, dass sie völlig taub wird für die Stimme ihres Mannes, taub für die Stimme von Tugend, Liebe und Vernunft, die Macht der Verführung des Zauberers ist stärker, die Signora Angiolieri hätte in diesem Moment wohl jeden Befehl des Zauberes ausgeführt.
Zu erwähnen ist noch, dass der Zauberer seine Macht zunächst ausschließlich an Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten Torre di Veneres demonstriert. Als Cipolla aber merkt, dass er jeglichen Widerstand dieser Menschen gebrochen hat, sie wie Marionetten auf der Bühne ihre Gliedmaßen in wildem Tanz von sich werfen, sich völlig dem Willen Cipollas untergeordnet haben, macht er sich daran, eine wahre „Willensfeste“ im Publikum zu brechen, die sich ihm in Gestalt eines Mannes aus Rom entgegenstellt, der wohl aus gesellschaftlich höheren Kreisen stammt, der sich mit aller Gewalt der Manipulation durch den Zauberer widersetzen will. Doch nach einiger Zeit einer zu bewundernden Hartnäckigkeit des Herrn aus Rom, war auch dessen Willen gebrochen und Cipollas Triumph auf dem Höhepunkt angelangt.
Der dämonische Zauberer scheint nun völlige Macht über sein Publikum zu besitzen, dies gelang ihm unter Zuhilfenahme der Machtinstrumente des Diktators, einem Erscheinungsbild, das doch recht deutliche Parallelen zu der Person des Zauberers Cipolla aufweist. Als ein eloquenter Redner weiß Cipolla die Menschen für sich einzunehmen, die Masse zu begeistern, mit psychischer Manipulation zwingt er den Menschen seinen Willen auf, macht sie sich mit seelischer Gewalt gefügig, wobei hier wohl auch als Symbol der Gewaltausübung seiner Reitpeitsche mit Klauengriff eine entscheidende Bedeutung zukommt, mit deren Knall die Menschen in den Zustand der Willenlosigkeit versetzt werden. Auch der für Cipolla charakteristische Nationalstolz, der sich immer wieder in seinen Äußerungen widerspiegelt, komplettiert das Bild des diktatorähnlichen Menschen, den uns Thomas Mann präsentiert. Zum Schluss möchte ich nun noch einmal auf den zeitlichen und politischen Bezug der Novelle Thomas Manns zurückkommen.
Wie schon am Anfang erwähnt, schrieb Mann „Mario und der Zauberer“ im Jahr 1930, also zu einem Zeitpunkt, als in Italien die Faschisten unter Führung des Diktators Mussolini die Macht inne hatten und ein Herrschaftssystem bestand, das auf Terror und Gewalt basierte, welches aber eben auch von der Person Mussolinis lebte, der es verstand, Menschen in seinen Bann zu ziehen, sie sozusagen zu hypnotisieren.
Diese innenpolitischen Verhältnisse in Italien dürften Thomas Mann mit größter Wahrscheinlichkeit in literarischer Hinsicht beeinflusst haben. Dies zeigt sich, wie ich meine, auch in der Novelle selbst, wobei natürlich die Darstellung Cipollas als ein diktatorähnlicher, machtbesessener und manipulierender Mensch ein recht deutliches Anzeichen dafür ist, das Mann Parallelen zur politischen Situation Italiens zieht.
Auf das Terrain der Spekulation begibt man sich allerdings, wenn man sich fragt, inwieweit Thomas Manns Novelle sich auf mögliche politische Entwicklungen in Deutschland bezieht, inwieweit der Autor das bevorstehende Unheil erahnen konnte, das in Gestalt einer Person hereinbrach, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem dämonischen Hypnotiseur Cipolla aufweist.
Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass Thomas Mann die Gefährlichkeit und die Macht von Verführung und Massenhypnose darlegt, die erschreckende Erkenntnis aufzeigt, dass ein Einzelner eine Vielzahl von Menschen zu nicht mehr selbstständig denkenden Sklaven seines Willens machen kann und dass die Menschen nur in dem Moment die Freiheit ihres Geistes wiedererlangen können, in dem sie selber den Tod des Hypnotiseurs herbeiführen.
- Arbeit zitieren
- Dirk Petter (Autor:in), 2001, Mann, Thomas - Mario und der Zauberer - Inhalt und Deutung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102485
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