Drogen, Sucht und Hilfe. Neue Erkenntnisse der Suchtforschung und Perspektiven für Drogenpolitik und Suchthilfe


Diplomarbeit, 1998

146 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT:

Vorwort

Danksagung

1. Was sind Drogen?
1.1. Drogenbetrachtungen: Verherrlichung und Verdammung
1.2. Drogen, Drogennutzen und Rauschzustände
1.3. Das Belohnungssystem
1.4. Zusammenfassung

2. DER BEGRIFF DER SUCHT
2.1. Nebel um den Suchtbegriff
2.2. Klassische Ansätze zur Erklärung von Sucht
2.3. Gängige Suchtformen im Vergleich
2.4. Was also ist Sucht?
2.5. Zusammenfassung

3. GESELLSCHAFT UND SUCHT
3.1. Gesellschaftliche Suchtförderung
3.2. Gesellschaftliche Funktion der Sucht
3.3. Zusammenfassung

4. BAUSTEINE FÜR EINE NEUE DROGENPOLITIK
4.1. Drogenrecht und Drogenunrecht
4.2. Fernziele und Nahziele
4.3. Suchthilfe: Abstinenz oder Akzeptanz
4.3.1 Drogenarbeit im klassich-konservativen Stil
4.3.2 Progressive Formen der Drogenarbeit
4.4. Prävention: Dogma oder Ehrlichkeit?
4.5. Zusammenfassung und Ausblick

Schlußbemerkungen

ANHANG:

Abbildungsverzeichnis

Verwendete Abkürzungen

Sachwortverzeichnis

Literaturverzeichnis

Vorwort

Als ich im Spätsommer 97 begann, die vorliegende Diplomarbeit zu verfassen, arbeitete ich noch in einer Notschlafstelle, die als Teil der Basler Überlebenshilfe für junge Junkies einen renommierten Ruf genoß. Während meiner mehr als zweijährigen Tätigkeit dort, hörte ich hunderte von Lebens- und Leidensgeschichten, lernte die Basler Drogenszene und zahllose ihrer Protagonisten kennen und erfuhr viel von den Umständen, die zu ihrer Verelendung geführt hatten. In meinem Kopf entstand allmählich ein Bild von Sucht, das sich immer weniger mit dem gesellschaftlich vorherrschenden Bild deckte. Je mehr ich mich dann auch theoretisch mit dem Thema Sucht auseinandersetzte, desto deutlicher wurde die Diskrepanz zwischen Wissenschaftlichkeit und Realpolitik. In diesem Sinne könnte die vorliegende Arbeit als Versuch gewertet werden, die beiden Bereiche zusammenzuführen, wobei sich selbstverständlich die Politik der Wissenschaft unterordnen muß, da die Wissenschaft erkennt und der Politik die Pflicht der Umsetzung obliegt. So wurde denn aus der Arbeit zwangsläufig auch eine Streitschrift für eine pragmatische und auf Realitäten basierende Drogenpolitik.

Um einen geeigneten Zugang zu dem emotionslastigen Thema zu verschaffen, handelt das erste Kapitel von Drogen, legalen wie illegalisierten, von ihrer Geschichte, von ihren Wirkungen und Gefahren, von Rauschzuständen und damit zusammenhängenden Vorgängen im menschlichen Gehirn. Letztere sind denn auch zu einem zentralen Punkt im Verständnis von Sucht avanciert, womit sich eine plausible Überleitung zum zweiten Kapitel anbot, welches von Süchten, ihrer Entstehung und den verschiedenen Erscheinungsformen handeln sollte. Außer der Beschreibung des Bedeutungswandels des Suchtbegriffes werden hier die klassischen Erklärungsmuster für die Entstehung von Sucht aufgeführt und kritisch hinterfragt. Neben einer Beschreibung verschiedener Formen von Sucht finden hier gängige theoretische Modelle, Klassiker wie neuere Ansätze ihren Platz.

Nun ergeben sich zwar inzwischen plausible Erklärungszusammenhänge, ohne jedoch auch die gesellschaftlich-kulturellen Hintergründe mit einzubeziehen, muß ein Bild von Sucht zwangsläufig unvollständig bleiben. Um dieser Anforderung zu genügen, wird im dritten Kapitel der Bogen zu maßgeblichen Normen und Werten heutiger westlich-kapitalistisch geprägter Gesellschaftssysteme geschlagen. Hierbei erschien es mir auch wichtig, die Prozesse zu beschreiben, die zu Stigmatisierung und Ausgrenzung führen und – bezogen auf die Bildung von Drogenszenen als Legitimationsargument - die herrschende Strafverfolgungspolitik gegen DrogengebraucherInnen mitbestimmen.

Bezüglich juristischer Rahmenbedingungen und der damit zusammenhängenden Bindung der klassischen Drogen- und Suchthilfe an die wissenschaftlich längst überholten Mythen vom Abstinenzideal und der Utopie einer drogenfreien Gesellschaft war es im vierten Kapitel notwendig, noch deutlicher Stellung zu beziehen. So wird im ersten Abschnitt die herrschende Gesetzgebung analysiert und hinterfragt und danach die entsprechenden Wirkungen auf die Drogenhilfe beschrieben. Auch der sich allmählich, zumindest in Teilen des Drogenhilfesystems, abzeichnende Wechsel vom Abstinenz- zum Akzeptanzparadigma findet dort seine Beschreibung. Hierhin gehört auch die Diskussion darüber, warum die Maßnahmen klassischer Prävention nicht die erhofften Resultate erbringen (können), obwohl der Bedeutung präventiver Aspekte ein unumstritten hoher Rang zugestanden werden muß. Am Ende wird mit der Beschreibung einer realistischen Utopie der Blick in eine Zukunft gewagt, in der dem Konsum von Drogen jeder Art der notwendige Stellenwert zugewiesen wird; nämlich den Menschen zu Entspannung und Genuß zu dienen, eingefügt in eine aufgeklärte Gesellschaft und nicht schädlich sondern vielmehr der menschlichen Entwicklung förderlich...

Peter Engert, im Juni 1998

Danksagung:

Die Fertigstellung der vorliegenden Arbeit wäre so nicht möglich gewesen ohne tatkräftige Unterstützung durch viele FreundInnen und Bekannte, beruflich wie privat. Ihnen allen sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Folgenden Menschen möchte ich für ihre maßgebliche Unterstützung ein ganz besonders herzliches „Dankeschön“ übermitteln:

- Thomas, für stundenlange nächtliche Diskussionen mit und ohne Drogenkonsum,
- Doro, für die konstruktive und kritische Diskussion des Gesamtkonzepts und spezieller Textstellen, das Lektorat, ihre Fähigkeit meinen Streß in kreative Energie zu verwandeln, sowie ihre liebevolle Sorge um mein leibliches Wohl während intensiver Arbeitsphasen,
- Prof. Franz Hein, für die aktive Betreuung, viel Geduld und fachliches Vertrauen in meine Arbeit,
- der „Hexenhaus“–WG, für den umfassenden Erfahrungsaustausch über Drogenwirkungen und für viel Geduld mit einem zerstreuten, phasenweise unansprechbaren und hin und wieder völlig demoralisierten Mitbewohner,
- Vourneen von der Drug Task Force Cork, stellvertretend für alle irischen Freunde und Vortragsgäste wegen eines immensen Vertrauensvorschusses und dem Einbringen europäischer und irischer Aspekte,
- dem ehemaligen Team und natürlich den BenützerInnen der Notschlafstelle für Jugendliche in Basel für 2 prägende Jahre mit theoretischen Diskussionen über und praktischen Konfrontationen mit Heroinsucht, ...
- und viele, viele, viele andere...

1. Was sind Drogen?

1.1. Drogenbetrachtungen: Verherrlichung und Verdammung

(Kleine Kulturgeschichte des Drogengebrauchs und dessen Wirkungen)

Soweit sich die Geschichte der Menschheit zurückverfolgen läßt, waren Rauschzustände, Ekstase oder Trance Teil der menschlichen Kultur. Dennoch existieren nicht viele Begriffe, die geeignet sind, ähnlich ambivalente Assoziationen auszulösen, wie dies der Begriff DROGEN vermag. Die Palette der jeweils damit verbundenen Zusammenhänge reicht heute von den stark negativ besetzten Aspekten der Drogenproblematik (einhergehend mit Stichworten wie Rauschgiftmafia, Drogenhandel, Drogen- und Beschaffungskriminaltität, Rauschgifttote usw. und all den damit verbundenen Ängsten) über die - rein wissenschaftlich betrachtet - recht willkürliche Einteilung in legale und illegale Drogen mit den entsprechenden Gesetzgebungs- und Strafverfolgungstendenzen von HändlerInnen und KonsumentInnen bis hin zu den in der Drogenkultur eher positiv besetzten Aspekten, wie Euphorie, Bewußtseinserweiterung, Erschließung intensiver Gefühlswelten und des Unbewußten, spirituelle Erkenntnis, Schaffung geistiger Traumwelten, Entspannung, Überwindung von Ängsten und Hemmungen etc.

Mystifizierung und Faszination auf der einen Seite, Dämonisierung und irrationale Ängste auf der anderen Seite begleiten die Verwendung von Drogen durch die Jahrtausende menschlichen Daseins. Selten jedoch waren die Menschen im Lauf der Zeiten in der Lage, das Thema sachlich zu behandeln und darzustellen; - und dies gilt, je nach Zeitalter und kulturellem Hintergrund, für alle Drogen. Ziel dieses ersten Kapitels ist es deshalb, anhand der Kulturgeschichte der gebräuchlichsten Drogen aufzuzeigen, wie sich die Art und Weise der Betrachtung und Verwendung von Drogen und Rauschmitteln aller Art je nach zeitlichem Kontext und entsprechendem Kulturzusammenhang bis zum heutigen Tag verändert hat. Außerdem sollen auch deren Wirkungen und Gefahren dargestellt werden.

Vielleicht haben Sie, werter Leser, es sich gerade mit einer Tasse frisch aufgebrühten Kaffees in Ihrem Sessel bequem gemacht, während Sie diese Zeilen lesen. Deshalb will ich zunächst beschreiben, was ein Angehöriger der medizinischen Fakultät der Universität in Marseille im Jahre 1679 von diesem Getränk hielt:

„Die verbrannten Partikelchen, die er im Überfluß mit sich führt, besitzen eine so stürmische Kraft, daß sie, wenn sie ins Blut dringen, die ganze Lymphe mit sich reißen und die Nieren austrocknen. Ferner bedrohen sie das Gehirn: nachdem sie seine Flüssigkeit, seine Windungen ausgedörrt haben, halten sie sämtliche Körperporen offen und verhindern so, daß die schlafbringenden, tierischen Kräfte zum Gehirn emporsteigen. Die im Kaffee enthaltene Asche verursacht durch diese Eigenschaften so hartnäckige Wachzustände, daß der Nervensaft eintrocknet, wo es unmöglich ist, ihn zu ersetzen, tritt allgemeine Erschlaffung ein, Paralyse und Impotenz. Und durch das Sauerwerden des Blutes, das bereits so schwach wurde wie ein Flußbett im Hochsommer, werden sämtliche Körperteile saft-entblößt und der ganze Körper verfällt der schrecklichsten Magerkeit.

Darob besorgte Regenten ließen, beispielsweise in Istanbul, die Kaffeetrinker verprügeln, ihnen die Zunge herausreißen oder sie gar in Kaffeesäcke einnähen und ins Meer werfen.“

(Schmidbauer/vom Scheidt 1995, 149)

Schon anhand dieses Zitats wird deutlich, daß Drogen, - und das im Kaffee enthaltene Koffein ist unbestritten eine Droge -, nur so wahrgenommen werden, wie man sie vor dem Hintergrund der jeweiligen kulturellen Gegebenheiten definiert; - und solche Definitionen sind variabel! Doch nun zur Kulturgeschichte des Koffeingebrauchs...

Ursprünglich stammt der Kaffee aller Vermutung nach aus dem abessinischen Hochland, von wo er ab dem 15. Jahrhundert zunächst in den arabischen Ländern seine Verbreitung fand. Über moslemische Pilger wurde er in der ganzen islamischen Welt bekannt und beliebt als ein Getränk, welches nicht alkoholisch ist, nicht berauscht, sondern gar ernüchtert und den Intellekt stimuliert (wer jedoch einmal größere Mengen dieses Getränkes innerhalb kurzer Zeit genossen hat, wird an dieser Aussage seine berechtigten Zweifel anbringen). So spricht man in der Literatur auch vom „Wein des Islam“ (Schivelbusch 1980, 26) Während die Koffeindroge noch um 1650 in Europa relativ unbekannt war (sie wurde allenfalls als Medikament eingesetzt) war sie hundert Jahre später in Form des Kaffees schon fest etabliert. Mit dem Zeitalter des Rationalismus begann auch der Siegeszug des Koffeins, das gerade im Bürgertum den bis dahin als Rauschdroge vorherrschenden Alkohol verdrängte. Als die medizinische Fachwelt noch eindringlich vor der Koffeindroge warnte (siehe oben zitiertes Statement aus der medizinischen Fakultät der Marseiller Universität), setzte sich der Höhenflug des Kaffees in Europa fort und gipfelte in der Eröffnung der ersten Kaffeehäuser (das erste seiner Art wurde um 1685 in Wien eröffnet) und der damit verbundenen Entstehung der „Kaffeehauskultur“. Der Grund für die Legalisierung der Kaffeedroge liegt - wie bei den meisten anderen Drogen auch - einerseits an der Anpassung bestehender Gesetzesbestimmungen an die gesellschaftliche Realität und andererseits auch an der Entdeckung von Drogen als zusätzliche Steuereinnahmequelle für die Staatshaushalte (so betrugen beispielsweise die Steuereinnahmen der Bundesregierung für Kaffee im Jahr 1987 stolze 1,6 Milliarden DM!!!).

Die (Neben-)Wirkungen des Koffeins sind in etwa mit denen von Weckaminen (Amphetamine, siehe unten) vergleichbar: Die psychischen Wirkungen reichen von der milden Anregung mit einer Steigerung der Konzentrationsfähigkeit bis hin zum regelrechten Aufputschen, wobei „das Denken fahrig und zusammenhanglos wird“ (Schmidbauer / vom Scheidt 1995, 150). Physisch wirkt Kaffee auf das Zentralnervensystem, reizt das vasomotorische Zentrum, steigert den Blutdruck und wirkt in Mengen über einem Gramm als Krampfgift; in Mengen über zehn Gramm soll es sogar tödlich sein (Kaffee enthält zwischen 1% und 2,4 % Koffein, Tee ca. 3% bis 5%, Cola bis 3% - nach Hesse 1971, 165 zitiert nach Schmidbauer / vom Scheidt 1995, 156).

Wie das Koffein, so ist auch der Alkohol in unseren Breiten zur Volksdroge avanciert. Seine geschichtlichen Wurzeln führen zurück bis in prähistorische Zeiten. Aus Mesopotamien stammen die ältesten geschichtlichen Hinweise auf alkoholhaltige Getränke. Durch die Sumerer, welche nach der Überlieferung schon vor ca. 4000 Jahren Bier gebraut haben, lernten die Ägypter die Wirkungen dieses durch Gärung entstandenen Getreidesaftes kennen. Dasselbe gilt für den Wein, dessen Verwendung gleichwohl schon in der hebräischen und in der griechischen Mythologie erscheint. Schilderungen von Zechgelagen finden sich bei Homer gleich mehrfach (in der „Ilias“ sowie in der „Odyssee“ tauchen derlei Beschreibungen auf). Die Araber entdeckten mit der Destillation ein Verfahren zur Konzentration von Alkohol - die ersten Spirituosen waren somit verfügbar. Hierher stammt auch der Name Alkohol (was soviel bedeutet wie „das Feinste von etwas“).

Doch auch im frühen Christentum war man nicht zimperlich im Umgang mit der Droge Alkohol, - zumeist in Form von Wein (in dieser Religionsgemeinschaft hat man ihn sogar in den Rang eines Sakramentes erhoben!). Angefangen bei den schon fast sprichwörtlichen Trinkorgien der Römer über die exzessiven Zechgelage der Germanen (bei Schivelbusch 1980, 38 f., findet sich die Beschreibung eines germanischen Gelages durch den spätrömischen Autors Venantius Fortunatus, welcher sich den Hinweis nicht verkneifen konnte, daß sich die trinkenden Germanen so sehr um die Wette Gesundheiten zutranken, daß sie sich glücklich preisen mußten, wenn sie mit dem Leben davon kamen...) bis hin zum aufkommenden Rationalismus im 17. und 18. Jahrhundert. Während der Alkoholrausch im Mittelalter noch ein selbstverständlicher Bewußtseinszustand war, wurde der Alkohol fortan vermehrt durch Koffein ersetzt, - allerdings nur im Bürgertum-, während er innerhalb der unteren Schichten der Bevölkerung weiterhin einen großen Raum einnahm. Mit der beginnenden Industrialisierung und der damit verbundenen Verschärfung von Klassenkonflikten im 19. Jahrhundert nahm die Alkoholproblematik allerdings bis anhin ungekannte Dimensionen an. Einerseits wurde in vielen Fabriken kostenlos Branntwein an die Arbeiter ausgeschenkt, damit sie täglich zwölf bis fünfzehn Stunden härtester körperlicher Arbeit bei minimaler Entlohnung durchhalten konnten, andererseits wurden allmählich auch Stimmen laut, die diese Entwicklung wegen des physischen Suchtpotentials des Alkohols äußerst kritisch beurteilten. In den USA führte dieser Umstand zum Aufkommen sogenannter „Mäßigkeitsbewegungen“ und gipfelte schließlich in der Alkoholprohibition im Jahre 1917 (Ladewig 1996, 16). Allerdings kehrte sich der Effekt des Totalverbots alsbald in sein Gegenteil um: massenhaft entstanden Schwarzbrennereien, wohlorganisierte Schmuggler- und Dealerbanden etablierten sich und damit die sogenannte „organisierte Kriminalität“ in Amerika. So mußte das Verbot von Alkohol im Jahr 1933 wieder aufgehoben werden. Auch in Finnland, wo die Prohibition der Droge 1919 eingeführt wurde, mußte man das entsprechende Gesetz 1931 wieder streichen, nachdem es sich als totaler Fehlschlag erwiesen hatte (Schmidbauer/vom Scheidt 1995, 49). Seitdem setzt man mit mehr oder weniger mäßigem Erfolg wie beim Koffein auf die Besteuerung des Alkohols...

Zu den Wirkungen und Nebenwirkungen des Alkohols wäre vieles zu sagen; ich will es jedoch bei einer kurzen Aufzählung der körperlichen und psychischen Hauptfolgen (in dieser Reihenfolge) belassen. Erwiesenermaßen schädigt anhaltender Mißbrauch von Alkohol das gesamte Nervensystem (wozu auch das Gehirn zu rechnen ist), den Magen-Darm-Trakt, die Leber, das Herz, die Bauchspeicheldrüse, die Speiseröhre, das ungeborene Kind im Mutterleib (Alkoholembryopathie) und führt zu Impotenz. Die schlimmsten psychischen Erkrankungen sind das Delirium tremens (Desorientierung, Stimmenhören, Halluzinationen und daraus entstehende Ängste, u. U. tödlicher Verlauf), die Korsakowsche Krankheit (Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, völlige Desorientierung, Vergessenes wird durch Erfundenes ersetzt, schwierige und langwierige Therapie), der Alkoholwahn (Paranoia, krankhaftes Mißtrauen und grundlos übertriebene Eifersucht i. Verb. m. Wutausbrüchen etc.) und die Alkoholhalluzinose (durch Wahnvorstellungen gekennzeichnete Geisteskrankheit) (Schmidbauer/vom Scheidt 1995, 45-48). Eine Überdosis Alkohol kann tödlich sein!

Cannabis sativa ist der lateinische Name der Hanfpflanze. Die getrockneten und geschnittenen Blüten und Blätter werden „Marihuana“ oder „Gras“ genannt, das Harz der Pflanze wird in gepreßter Form als „Haschisch“ bezeichnet. Cannabis kann entweder mit Zigarettentabak vermischt und geraucht werden („Joint“) oder in vielfältigster Form gegessen (z. B. als „SpaceCakes“) oder als Tee aufgebrüht und getrunken werden. Als hauptsächlich wirksame Substanz der Pflanze gilt das THC (genauer: Delta-9-Tetrahydrocannabinol), das in unterschiedlichen Mengen in Marihuana und Haschisch vorkommt. Die Geschichte des Hanfes als Droge reicht ähnlich der des Alkohols schon in Urzeiten zurück. Cannabis ist somit nicht nur eine der gebräuchlichsten sondern auch eine der ältesten bekannten Drogen der Menschheit. Hinweise auf den Gebrauch der (zunächst gleichsam als Nebenprodukt der Hanfproduktion für die Herstellung von Seilen anfallenden) Pflanzenteile als Medizin finden sich schon vor knapp 5000 Jahren im Arzneimittelbuch des chinesischen Kaisers Shen-Nung (Schmidbauer/vom Scheidt 1995, 84). Erste Hinweise auf die Verwendung als Droge tauchen bei den Skythen (asiatisches Reitervolk) und Thrakern auf (ca. 800 bis 1000 Jahre vor unserer Zeitrechnung) und ziehen sich quer durch Geschichte und Erdteile (belegt bspw. in Nepal, Marokko, Afrika, Haiti, Iran z. Zt. der Assassinen, medizinisch und kultisch in Indien, bei den Rastafari in Jamaica, zu religiösen Zwecken in Süd- und Mittelamerika, als Genußdroge in West- und Mitteleuropa etc.). Bei dem noch als Redensart erhaltenen „starken Tobak“ handelte es sich offenbar ebenfalls um eine Mischung aus Tabak und Cannabis, was zeigt, daß die Droge im deutschsprachigen Kulturraum schon seit langem verwendet wird und somit ihre Etikettierung als „kulturfremde Droge“ - auch in Anbetracht der heutigen Verbreitung - nicht haltbar ist. Die Verfolgungsgeschichte der Cannabisdroge beginnt in unseren Breiten im Jahr 1912 in Den Haag (möglicherweise infolge eines Irrtums! - siehe dazu Behr 1982, 191). In den USA entstand während der dreißiger Jahre ebenfalls im Rahmen der „Mäßigkeitsbewegungen“ (siehe oben unter Alkohol) aufgrund herausgegriffener Einzelfälle eine Hetzkampagne gegen Cannabis, wobei die Droge als besonders aggressiv und mörderisch charakterisiert wurde („Reefer madness“). Inzwischen ist aber erwiesen, daß diese Behauptung einer statistischen Überprüfung in keinster Weise standzuhalten vermag (Schwendter 1992, 161). Ähnlicher Verfolgung waren Drogenbenutzende in den USA während der McCarthy-Ära ausgesetzt. Dieser Trend der Verteufelung des Hanfes wurde 1961 in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation im Rahmen des „Single Conventions Treaty“ festgeschrieben. Demnach sollten alle Hanfpflanzen der Welt ausgerottet werden. Die Aufbruchsstimmung der Jugendlichen der sechziger Jahre haben jedoch trotz der Illegalisierung und Kriminalisierung zu einem erneuten Boom der Droge geführt, der bis heute anhält. Die aktuelle Legalisierungsdiskussion in Europa trägt neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen über die vergleichsweise Harmlosigkeit der Droge und ihren vielfältigen medizinisch-therapeutischen und genußbringenden Einsatzmöglichkeiten Rechnung. Aus der gesellschaftlichen Realität West- und Mitteleuropas ist die Droge trotz Kriminalisierung und Verfolgung ohnehin nicht mehr wegzudenken...

Auch wenn die Folgen eines Dauerkonsums von Cannabis im Vergleich zu denen des Dauerkonsums von Alkohol als relativ harmlos eingestuft werden können, so möchte ich dennoch kurz auf die körperlichen und psychischen Wirkungen eingehen (berücksichtigt werden soll jedoch ausschließlich, was als erwiesen gilt, da gerade im Zusammenhang mit der Legalisierungsdebatte von deren Gegnern und Befürwortern mehr Dichtung als Wahrheit ins Feld geführt wurde und wird). An körperlichen Nebenwirkungen sind, - wie dies bei allen anderen Drogen auch der Fall ist - Stoffwechselveränderungen feststellbar (Neurotransmitter, Limbisches System). Weiterhin erhöhen sich beim Cannabisrausch Pulsschlag und Herzfrequenz, was für herz- und kreislaufkranke Menschen in Einzelfällen riskant werden könnte. Im übrigen gilt inzwischen als erwiesen, daß trotz des hohen Teergehalts der Hanfpflanze (deutlich höher als Tabak!) bei durchschnittlichem Konsum (ca. 3 Joints pro Tag) die Lunge offenbar nicht geschädigt wird und sich auch das Krebsrisiko nicht meßbar erhöht, - wenn Cannabis pur, also nicht mit Tabak versetzt, geraucht wird (NEW SCIENTIST 2122/1998, 27 f.). Die psychischen Wirkungen beschränken sich auf die Dauer des Rausches an sich (ca. 2 - 4 Stunden), in denen Raum- und Zeitgefühl verloren geht, alle Sinneseindrücke intensiver und vielfältiger werden, die Gedanken unkoordiniert verlaufen und deren Richtung oft nicht mehr gesteuert werden kann. Oft kommt es während des Rausches zu Heisshungerattacken und zu einem gesteigerten Durstgefühl. Andere in der Literatur erwähnte Auswirkungen konnten bislang trotz intensiver Forschung wissenschaftlich nicht bestätigt werden. Hierzu gehören vor allem das sogenannte amotivationale Syndrom (AMS) , das immer wieder gern aus der Mottenkiste gezogen wird (die erwiesene Leistungsfähigkeit von allerlei bekennenden CannabiskonsumentInnen belegt das Gegenteil; siehe Behr 1995) und welches genauso ins Land der Dichtung verwiesen werden muß, wie das gerne und wiederholt von Legalisierungsgegnern ins Feld geführte Hirngespinst des Flashback , das gerade im Zusammenhang mit dem Führerscheinentzug von CannabisgebraucherInnen in Deutschland wieder traurige Bedeutung zu gewinnen scheint .. ..

Hanf macht weder aggressiv noch körperlich abhängig. Todesfälle durch eine Überdosierung Cannabis sind ebenfalls nicht bekannt! (Eine eigens von der WHO angefertigte Studie belegt die relative Harmlosigkeit des Cannabiskonsums im Vergleich zu Alkohol oder Nikotin eindrücklich; deren Veröffentlichung wurde jedoch aus politischen Gründen auf Druck der Amerikaner zunächst blockiert; die Ergebnisse sickerten dennoch durch und wurden im englischen Wissenschaftsmagazin NEW SCIENTIST Nr. 2122 vom 21. 02. 98 veröffentlicht; siehe da 3 f., 24 – 31).

Das aus der südamerikanischen Coca-Pflanze gewonnene Alkaloid Kokain taucht in unseren Breiten in drei Formen auf dem illegalen Markt auf: als Kokainhydrochlorid (durchscheinendes, kristallines Pulver), als free-base und als Crack (von Hydrochlorid und Verschnittmitteln gereinigte, hochaktive Formen). Kokain wird zumeist geschnupft oder intravenös injiziert, free-base und Crack dagegen vor allem geraucht. Während die Coca-Pflanze von den Indios in Südamerika schon seit Jahrtausenden wegen ihrer angenehm anregenden Wirkungen und ihrer äußerst nahrhaften Zusammensetzung verwendet wurde (bislang älteste Hinweise deuten auf ca. 3000 v. u. Z.), beginnt die Geschichte des Kokainkonsums in der westlichen Welt erst mit der Isolierung des Hauptalkaloids der Coca-Pflanze durch ALBERT NIEMANN im Jahr 1860 in Göttingen. Die Wirkungen des Kokain wurden zunächst von allerlei bekannten Persönlichkeiten, insbesondere aus der medizinischen Fachwelt als Heilmittel und Stimulans hochgelobt und gepriesen. In diesem Zusammenhang begann sich auch SIGMUND FREUD erstmals einen Namen zu machen, mit der Veröffentlichung seiner umfassenden Publikation „Über Coca“ (1884), in welcher er die vielfachen therapeutischen und psychiatrischen Anwendungsmöglichkeiten von Kokain lobt. Sein Freund und Kollege CARL KOLLER entdeckte die Nutzbarkeit des Kokain als örtliches Betäubungsmittel und ermöglichte so dessen „beispiellosen Siegeszug durch die gesamte Heilkunde“ – und zwar als Lokalanaesthetikum allgemein, bei Wehenschmerzen, bei Keuchhusten, Syphilis, Schnupfen, Heiserkeit, Asthma, Zahnextraktionen, bei Kindern (!) zur Behebung von Magen- und Darmkrankheiten, Erschöpfungszuständen aller Art, bei nervösen Beschwerden, Menstruationsschmerzen, Seekrankheit, Schwangerschaftserbrechen und immer wieder zur Behandlung der Morphin- und Alkoholsucht (SCHEERER/VOGT 1989, 360).

Zu dieser Zeit begann auch die kommerzielle Nutzung von Kokain: Eine breite Palette kokainhaltiger Produkte, von Tonika und Softdrinks über Nasensprays, Zäpfchen und Pastillen bis hin zu Wein und Zigaretten eroberte nun den Markt. Der Import von Cocablättern in den Hamburger Hafen erhöhte sich zwischen 1883 und 1886 von 5 000 kg auf 86 600 kg. Diese erste Blütezeit dauerte jedoch nur kurz. Nachdem 1885/86 erstmals Warnungen vor Kokainismus (Kokainabhängigkeit) bekannt wurden, verschwand Kokain recht schnell wieder aus der Öffentlichkeit. Erst nach dem ersten Weltkrieg tauchte es als Modedroge der zwanziger Jahre vor allem in den Kreisen der Bohême, aber auch in der Halb- und Unterwelt, sowie in den höheren Gesellschaftsschichten wieder auf. Die Umbewertung des Kokains zu einer besonders gefährlichen Droge begann mit der Einführung der Opiumgesetzgebung und damit, daß sich vor allem Ärzte als „Moralunternehmer“ hervortaten und den Kokainkonsum und somit die KonsumentInnen öffentlich attackierten und entsprechende polizeiliche und juristische Maßnahmen erwirkten. Interessant dabei erscheint, daß sich auch im Fall von Kokain in den zwanziger und dreißiger Jahren die „...Drogenbekämpfung als der Kampf der dominanten Kultur gegen eine Subkultur verstehen (läßt), die althergebrachte Wertvorstellungen in Frage stellt und deshalb als Bedrohung empfunden wird.“ (SCHEERER / VOGT 1989, 362 – 366). Kokain tauchte erst in den siebziger Jahren wieder in Deutschland auf und wurde in den achtziger und neunziger Jahren zunächst zu einer (geschnupften) Modedroge in der sogenannten Yuppie-Szene und später – bedingt durch fallende Preise auf dem Schwarzmarkt - dann auch und bis heute mit steigender Tendenz in der Heroinszene, wo es vor allem intravenös oder mit Ammoniak zu free-base aufgekocht und geraucht wird.

Kokain wird vor allem wegen seiner euphorisierenden, leistungssteigernden und geselligkeitsfördernden, aber auch wegen aphrodisierender Effekte verwendet. In der Medizin wird es auch heute noch als Lokalanästhetikum eingesetzt; es ist das älteste und einzige natürlich vorkommende örtliche Betäubungsmittel der Medizingeschichte und diente als Vorbild für die inzwischen zahlreich entwickelten synthetischen örtlichen Betäubungsmittel. An unerwünschten Nebenwirkungen können bei Überdosierung Erbrechen und Übelkeit, Kopfschmerzen, Fieber, Koordinationsstörungen, Tremor und schwere Krämpfe bis hin zu epileptischen Anfällen und Ohnmacht auftreten. Auch von Atemstillstand, Herzstillstand, zerebralen Krämpfen oder gar Hirnblutungen als Folge eines übermäßig hohen Blutdrucks wird berichtet. Die Wirkungen einer Kokaindosis halten nur kurz an (zwischen wenigen Minuten beim Rauchen und Spritzen bis zu 20 – 40 Minuten beim Schnupfen). Die körperlichen Folgen chronischen Gebrauchs variieren je nach Implikationsform von Lungenschädigungen beim Rauchen bis zu chronischen Entzündungen der Nasenschleimhäute und sogar Geschwürbildungen und Perforationen der Nasenscheidewand beim Schnupfen. Unabhängig von der Aufnahmeform wurden Appetitverlust, Abmagerung, allgemeine Erschöpfungszustände, Schlaflosigkeit und Impotenz beobachtet. Psychische Folgen eines hochdosierten Dauergebrauchs von Kokain reichen von leichten depressiven Verstimmungen über akute Angstzustände zu paranoiden und halluzinatorischen Zuständen bis hin zu sogenannten „Kokainpsychosen“. Hinweise auf Entzugserscheinungen, die auf eine physische Abhängigkeit hindeuten könnten, tauchen in der Literatur nur ganz vereinzelt und ungenau auf, so daß man beim heutigen Erkenntnisstand nicht von einer kokaininduzierten körperlichen Abhängigkeit sprechen kann. Überdosierungen können allerdings tödlich sein! (SCHEERER / VOGT 1989, 354 –359)

Nikotin ist wie Alkohol und Koffein eine weitere Massendroge der modernen westlichen Welt. Einst wurde der Tabak von Christoph Kolumbus und seinen Mitstreitern nach Europa gebracht. Allerdings war er zu dieser Zeit im Karibischen Raum schon gebräuchlich. Noch früher wurde er von den Azteken, den Tolteken und den Mayas verwendet, - dort allerdings zu rituellen Zwecken. Tabak gehört zu den Nachtschattengewächsen und gedeiht vorrangig in den subtropischen Gebieten Ostasiens und des westlichen Amerika. Das Nikotin entsteht während des Wachstums der Pflanzen. Nachdem die Blätter getrocknet und fermentiert sind, verarbeitet man sie zu Zigaretten-, Zigarren- oder Pfeifentabak oder aber zu Schnupf- oder Kautabak, - was die heute gebräuchlichen Verwendungsarten beschreibt. Interessant ist der Aspekt, daß Nikotin in anderen kulturellen Kontexten ihre KonsumentInnen in Trance zu versetzen vermag und sogar Halluzinationen auslöst; so bspw. bei Angehörigen der brasilianischen Sekten Macumba und Candomblé (Schmidbauer/vom Scheidt 1995, 159).

Doch selbst wenn Tabak heute nicht mehr benutzt wird, um Trancezustände und Halluzinationen auszulösen, so lassen sich doch auch bei heutigen Tabakkonsumenten leichte Rauschzustände bei der Inhalation von Tabakrauch feststellen (Schmidbauer/vom Scheidt sprechen in diesem Zusammenhang von „Mini-Räuschen“; siehe da). Insofern ist Tabak mit Fug’ und Recht als Droge einzustufen, die nicht nur Rauschzustände bewirkt, sondern auch in hohem Grade körperliche Abhängigkeit verursacht (Nikotin hat ein mit Opiaten vergleichbares Abhängigkeitspotential!). Außerdem finden sich im Tabakrauch neben Nikotin und Kondensat (=Teer) auch Kohlenmonoxide in nicht unerheblichen Mengen. Nikotin ist der eigentliche Suchtfaktor und bewirkt die Bildung von Fettsäuren im Blut, Gefäßverengungen, Trombenbildung, Koronar- und Arteriosklerose, Raucherbeine, Embolien und Herzinfarkte. Teer wirkt vor allem in den Atemwegen und der Lunge und ist verantwortlich für die allmähliche Zerstörung des Flimmerepithels, der Lungenbläschen und verklebt und verschleimt die Atemwege. Das Kondensat bewirkt also letztendlich Raucherhusten und Krebs. Kohlenmonoxide besetzen das Hämoglobil und führen so zu Sauerstoffmangel, einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit und Leistungsabfall (Scheerer/Vogt 1989, 132 f.). Berücksichtigt man nun, daß Zigarettenrauch noch einige Tausend (ca. 4700!) andere chemische Substanzen enthält, so wird deutlich, daß es sich beim Tabak nicht nur um eine der verbreitetsten, sondern auch um eine der gefährlichsten Drogen handelt, die die Menschheit kennt. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß -neben den schwerwiegenden Langzeitfolgen mit oft tödlichem Ausgang- auch akute Überdosierungen des Nervengifts Nikotin tödlich sein können! Tabak ist eine legale Droge, die dem Deutschen Staat im Jahr 1996 bspw. Steuereinnahmen in Höhe von über 20 Milliarden DM einbrachte...

Im Zusammenhang mit dem, was landläufig unter Drogenabhängigkeit verstanden wird, spielen die Opiate und unter Ihnen das Heroin die größte Rolle. Opium wird aus dem Milchsaft des Schlafmohn gewonnen. In oxidierter Form dunkelbraun bis schwarz gefärbt stellt der Saft schon das Rohopium dar, das ohne weitergehende Verarbeitung konsumiert werden kann. Morphium (Morphin) ist eines der vielen im Opium enthaltenen Alkaloide und wurde erstmals zu Beginn des 19. Jh. von Friedrich Wilhelm Sertürner extrahiert. Heroin (Diacethylmorphin) wurde von Heinrich Dreser 1898 entwickelt und wird ebenfalls den Opiaten zugeordnet. Alle anderen narkotischen Analgetika, wie bspw. Morphium, Polamidon oder Methadon sind den Opiaten zwar nahe verwandt, werden aber wegen ihrer vollsynthetischen Herstellung als Opioide bezeichnet (Scheerer/Vogt 1989, 276).

Opium war für Jahrtausende das stärkste und gleichzeitig vielseitigste Arzneimittel der Menschen. Von den Sumerern wurde es schon im vierten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung als schmerzstillendes und stimmungshebendes Arzneimittel geschätzt. Von Mesopotamien aus verbreitete sich das Opium in nördlicher Richtung über Ägypten in das antike Griechenland, von dort durch die Römer weiter nach Westen und war gegen Ende des Mittelalters bis zu den Alpen vorgedrungen. Über Persien kam es in östlicher Richtung nach China und Indien, wo es unter dem Einfluß des Islam (Alkoholverbot!) schnell Verbreitung erlangte (Scheerer/Vogt 1989, 278 f.).

Um 1000 v. u. Z. genoß das Opium im ganzen islamischen Raum allgemeine Wertschätzung, - nicht nur als Heilmittel, sondern auch als Rauschmittel, welches bei allen archaischen Mysterienkulturen, Religionen und Ritualen, von den Sumerern, über die Perser, Inder und Chinesen bis zu den alten Griechen und Römern Anklang fand. Gegen Ende des Mittelalters fand das Opium auch im süd- und westeuropäischen Raum Anhänger. Der englische Pionierwissenschaftler Thomas Sydenham stellte 1665 eine Tinktur gegen Durchfall, Erbrechen und Schmerzen her, die hauptsächlich aus Opium und Portwein bestand, genannt „Laudanum“ (Scheerer/Vogt 1989, 277; von Schmidbauer/vom Scheidt wird die Erfindung der „Wunderarznei Laudanum“ allerdings Paracelsus zugeschrieben; Schmidbauer/vom Scheidt 1995, 299). Der Laudanum-Saft spielte im englischen Industrieproletariat zur Zeit des Frühkapitalismus, seiner gegenüber Alkohol preisgünstigen Erhältlichkeit wegen, eine bedeutende Rolle. Scheerer/Vogt führen die starke Verbreitung gerade in England auf dessen überseeische Besitzungen zurück (Scheerer/Vogt 1989, 280). In diesem Zusammenhang sind auch die „Opium-Kriege“ (1. Opiumkrieg: 1840-1842; 2. Opiumkrieg: 1856-1858) zu nennen, die England gegen China führte, um Opium gegen den Willen der chinesischen Regierung weiterhin ins Reich der Mitte einführen zu können und damit die Kosten der britischen Verwaltung in Indien zu bestreiten (Scheerer/Vogt 1989, 278 f.).

Bemerkenswerterweise ist das erste Drogenstrafgesetz „westlicher Prägung“ mehr auf einen klassischen Kulturkonflikt als auf die etwaige Sorge um die „Volksgesundheit“ zurückzuführen. 1878 wurde in Kalifornien mit einer Reihe von Gesetzesvorschriften, die sich ausschließlich gegen chinesische Einwanderer richteten, auch das Betreiben und der Besuch von „Rauchhäusern“ (Orte in denen die chinesischen Immigranten ihre Opiumpfeife genossen) unter Strafandrohung verboten (Scheerer/Vogt 1989, 282). Die ersten internationalen Konferenzen zur „Erörterung der Drogenfrage“ auf Betreiben des amerikanischen Präsidenten Roosevelt 1909 in Schanghai und 1912 in Den Haag sollten die „alten Opiumstaaten“ Europas von der Notwendigkeit des Erlasses von Gesetzen gegen Opium überzeugen, insbesondere weil sich die Amerikaner dadurch erhofften, im fernöstlichen Markt Fuß zu fassen und die Vormachtstellung der Europäer zu brechen. Damit wollten die Amerikaner ihre Solidarität mit dem chinesischen Kampf gegen das Opium beweisen, um Zugang zum profitträchtigen Markt des „Reiches der Mitte“ zu finden. Der Beginn der Drogenprohibition war also weniger auf die Idee des Schutzes der Bürger, denn vielmehr auf handfeste globalökonomische Beweggründe zurückzuführen. 1914 erließen die Amerikaner im direkten Zusammenhang mit den in Schanghai und Den Haag getroffenen Abkommen den Harrison-Act, ein Steuergesetz, das „von interessierter Seite innerhalb von knapp 10 Jahren zum repressiven Kampfinstrument gegen Opiatkonsumenten umgeschmiedet und zur Entstehungsbedingung der ‘ Drogenszene ’ mit all ihren negativen Begleiterscheinungen wurde“ (Scheerer/Vogt 1989, 284).

Eine erste „Heroinszene“ bildete sich in Deutschland recht spät. Noch 1968 wurde in der kritischen Jugendbewegung (Studentenbewegung, Hippies etc.) eher mit Rohopium und -morphium experimentiert als mit Heroin. Die Polizei stellte im Jahr 1968 gerade mal 1 Gramm der Substanz sicher! Allerdings bildete sich in den Folgejahren allmählich eine „weiche Szene“, bestehend vor allem aus Jugendlichen der mittleren sozialen Schichten, deren bevorzugte Drogen noch Cannabis und LSD waren. Diese Szene spaltete sich in den Jahren 1970-73 auf Grund zweier Entwicklungen auf: Einerseits vollzog sich innerhalb der Protestbewegung ein Einstellungswandel, in dessen Verlauf die Dogmatiker vermehrt „die untheoretische Suche der Cannabis- und LSD-Konsumenten nach ‘erfüllter Gegenwart’“ als entpolitisierend kritisierte; andererseits wurde die Verfolgung und Stigmatisierung von KonsumentInnen illegaler Drogen von seiten der Medien und des politischen „Establishments“ drastisch verschärft, was letztendlich dazu führte, daß diejenigen, welche sich entschlossen hatten, weiterhin illegale Drogen zu konsumieren, sich zum eigenen Schutz vor der Polizei enger zusammenschließen mußten. Diese Entwicklung führte zwangsläufig zu einer „Professionalisierung des Handels“, in dem Heroin wegen der hohen Gewinnspanne allmählich zur zentralen Ware avancierte (Scheerer/Vogt 1989, 288). Der weitere Verlauf der Entwicklung gipfelte in der extremen Ausgrenzung und Stigmatisierung, mit all´ ihren Folgen, wie wir sie am Hamburger Hauptbahnhof genauso vorfinden können, wie um den Kölner Dom oder auf der Zeil in Frankfurt und analog dazu in allen Großstädten Europas; die Jagd wurde damals eröffnet und sie hat bis heute kein Ende gefunden...

Entgegen der landläufigen Meinung sind die physischen und psychischen Auswirkungen des Opiatkonsums bei weitem nicht so fatal, wie die Folgen der Prohibition und des Schwarzmarktes: Die beiden wichtigsten erwünschten Effekte auf den Körper sind die analgetische (schmerzlindernde) und die euphorisierende Wirkung von Opiaten, insbesondere des Heroin. Zwar werden Schmerzen weiterhin wahrgenommen, jedoch in stark verminderter Intensität und außerdem subjektiv als wesentlich weniger unangenehm. Somit gehören sie zu den stärksten Schmerzmitteln der Menschheit. Die durch Opiate ausgelöste Euphorie, unter HeroingebraucherInnen oft als „Kick“ oder „Flash“ bezeichnet, scheint in ihrer Intensität von keiner anderen Droge erreicht zu werden. In der Szene wird der Kick auch als „full-body-orgasm“ beschrieben. Die genannten Akut-Effekte führen gleichzeitig zur starken körperlichen (®Analgetik) und seelischen Abhängigkeit (®Euphorie). Weitere Bedeutung haben die Opiate durch ihre deutliche antidepressive Wirkung. Setzt man diese Wirkung in Zusammenhang mit der Wirkung von Endorphinen (=endogene, also körpereigene Morphine, die Lust- und Unlustgefühle erzeugen und auf die gleichen Rezeptoren im Belohnungssystem wirken, wie Opiate; siehe hierzu insb. „Das Belohnungssystem “, in Kap. 1.3) so könnte darin ein Hinweis auf einen sog. prädisponierenden Faktor für die Opiatsucht liegen (der Heroinkonsum wäre dann „Selbstmedikation“ unter dem Aspekt möglicher Störungen der Endorphin-Produktion). Als unerwünschte Nebeneffekte können vor allem im Zusammenhang mit akuten Überdosierungen und bei erstmaligem Konsum die folgenden Störungen auftreten: Übelkeit, Erbrechen, Schwindelgefühl, Trägheit, Obstipation und als schwerste, lebensbedrohliche Folge die Atemdepression, die infolge von Überdosierungen zu einer völligen Lähmung des Atemsystems und damit zum Tod führen kann. Unter diesem Aspekt betrachtet, führt gerade die Illegalisierung der Substanz, die Schwarzmarkt und Handel mit gestrecktem Heroin in unberechenbaren Konzentrationen erst ermöglicht, zu den Tausenden von Drogenopfern, die wir Jahr für Jahr zu beklagen haben (Scheerer/Vogt 1989, 299-309).

Der chronische hochdosierte Gebrauch von Opiaten führt selbst nach Jahrzehnten nicht zu irreversiblen Schädigungen des Organismus und ist somit weit weniger gefährlich als bspw. chronischer Alkohol- oder Nikotinkonsum (Scheerer/Vogt 1989, 305). Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, daß es sich um reine Dosierungen handelt. Da jedoch auf der Straße erhältliches Heroin aus den obengenannten Gründen der Prohibition und des Schwarzmarktes lediglich einen Reinheitsgrad von ca. 5 – 10 % aufweist und sich die meisten KonsumentInnen daher mit jedem Schuß ca. 90 – 95 % Dreck in Form von für sich genommen teilweise schon hochgiftigen Streckmitteln in die Venen jagen, sind sie für allerlei Infektionen höchst gefährdet. Andere Bedingungen, welche auch nicht direkte Folge des Opiatkonsums sondern der justitiellen Verfolgung sind, belasten den sozialen und gesundheitlichen Zustand der KonsumentInnen ebenfalls schwerwiegender als der Konsum an sich: Da ist zunächst der Umstand, daß Heroin auf der Straße, unbeachtet des ohnehin geringen Reinheitsgrades, für das Vielfache seines eigentlichen Wertes gehandelt wird. Dies zwingt Abhängige dazu, ihren Lebensunterhalt und die Beschaffung der Droge durch Kleinkriminalität, Drogenhandel, Prostitution etc. zu decken. Durch Unterernährung, Anämie, Vitaminmangel etc. körperlich oft schon stark geschwächt, ist die Anfälligkeit gegenüber einer ganzen Reihe Erkrankungen deutlich erhöht. Viele von ihnen leiden deshalb unter Lungenentzündungen, TBC, venerischen Infektionen oder Endokarditis. Dazu treten noch die besonderen Komplikationen, die auf mangelhafte Hygienebedingungen während der Injektionen zurückzuführen sind. Dazu gehören neben Hepatitis und AIDS, allerlei Hautinfektionen und Abszesse mit zum Teil langwierigen Folgekrankheiten (Scheerer/Vogt 1989, 305). In jedem Jahr sterben allein in Deutschland weit über tausend Menschen an den Folgen der Illegalisierung von Heroin und der Kriminalisierung und Verfolgung der KonsumentInnen, - ein tödliches Ergebnis repressiver Drogenpolitiken (Die traurige Bilanz in Deutschland: 1990: 1.491 Tote; - 1991: 2.125 Tote; - 1992: 2.099Tote; - 1993: 1.738 Tote; - 1994: 1.624 Tote; - 1995: 1.565 Tote; - 1996: 1.712 Tote;...und in Europa: 1994: 4.858 Tote; - 1995: 4.566 Tote; Quellen: BKA in DHS 1996, 67; BKA 1996; BKA 1997). Hinzu kommt das alltägliche Leid von weiteren Zehntausenden von Menschen...

In den letzten Jahren sind im Zusammenhang mit dem Boom der „Techno- und Rave“- Szene vermehrt Drogen in Tablettenform, sogenannte „Party-Drogen“ ins Licht der Öffentlichkeit getreten. Ganz besonders häufig genannt wird dabei vor allem MDMA (Methylendioxyamphetamin), besser bekannt als „Ecstasy“. MDMA wurde schon im Jahre 1898 erstmals synthetisiert und kann so auf eine hundertjährige Geschichte zurückblicken. Kurz vor dem ersten Weltkrieg wurde die Substanz von der Chemiefirma Merck zum Patent angemeldet, - kommerziell verwertet wurde sie damals aber noch nicht. Nachdem die US-Army in den Fünfzigern MDMA auch nicht als „Wahrheitsdroge für Verhöre“ gebrauchen konnte, verschwand die Rezeptur abermals von der Bildfläche. Gegen Ende der sechziger Jahre wurde MDMA dann durch den kalifornischen Chemiker Alexander Shulgin wiederentdeckt und hielt wegen seiner vergleichsweise sanften und kontrollierbaren Wirkungen in der kalifornischen Psychotherapeutenszene Einzug, wo bis dahin vor allem mit der therapeutischen Verwendung von Lysergsäurediethylamid (LSD) experimentiert worden war. Ab den siebziger Jahren verbreitete sich MDMA dann allmählich als Straßen- und Freizeitdroge, - zunächst in der experimentierfreudigen Hippie-Bewegung und unter New Age - AnhängerInnen, um dann etwa ab Mitte der achtziger Jahre in der entstehenden Rave- und Technoszene ihren Siegeszug als Tanzdroge anzutreten. Das 1985 zunächst in den USA und auf deren Druck ein Jahr später von der WHO international erlassene Verbot der Substanz konnte, - wie in anderen Fällen auch -, ihre massenhafte Verbreitung in keinster Weise bremsen (Walder/Amendt 1997, 37 - 42). Im Gegenteil, so läßt sich zumindest vermuten, stieg durch das Verbot das Interesse auf seiten von Medien und potentiellen KonsumentInnen. Seitdem wird „Ecstasy“ vor allem in illegalen Labors zumeist von Chemiestudenten und anderen Amateurchemikern, was dem Reinheitsgrad und der Qualität auf dem Schwarzmarkt angebotener Pillen nicht gerade förderlich ist und entsprechende Gefahren für die KonsumentInnen birgt. Vom Techno-Szene Verein „Eve&Rave“ wurden in einem guten Jahr 142 verschiedene „Ecstasy“-Pillen analysiert: Es enthielten nur 57% tatsächlich MDMA. Allerdings enthielten weitere 31% „Ecstasy“-ähnliche Wirkstoffe wie MDEA (Methylendioxy-N-Ethylamphetamin), MBDB (Methylbenzodioxol-butanamine) und MDA (Methylendioxyamphetamin), und zwar in Dosierungen von 50 bis 250 mg pro Pille (Walder/Amendt 1997, 53).

Bei derartigen Dosisunterschieden je Konsumeinheit kann es leicht zu akuten Überdosierungen kommen, einhergehend mit Zittern, Herzklopfen, Schweißausbrüchen, Muskelkrämpfen, Erbrechen und Übelkeit, Panik, Halluzinationen, erhöhtem Blutdruck und Körpertemperatur bis hin zum Ausfall von Nierenfunktionen und Herzproblemen, die in Einzelfällen (zumeist bei entsprechender Prädisposition) sogar tödlich enden können (Walder/Amendt 1997, 65 f.). Todesursache Nummer 1 im Zusammenhang mit „Ecstasy“ ist jedoch noch immer die Überhitzung infolge stundenlangen Tanzens mit unzureichender Flüssigkeitszufuhr zusammen mit der Beeinträchtigung des entsprechenden körpereigenen Alarmsystems (Dehydration, Überhitzung, Hitzschlag). Permanenter und hochdosierter Langzeitgebrauch von „Ecstasy“ senkt den Serotonin -Spiegel im Gehirn und kann so zu psychischen Problemen wie Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen führen (Serotonin ist ein Transmitterstoff, der an der Übertragung von Nervenimpulsen beteiligt ist). Allerdings halten sich die Gefahren im Vergleich zu den meisten legal erhältlichen Psychopharmaka noch in Grenzen; ein physisches Abhängigkeitspotential wurde bislang nicht konstatiert (Walder/Amendt 1997, 61).

In diesem Zusammenhang sollten die u. a. als „Speed“ bekannten Amphetamine und Methamphetamine nicht unerwähnt bleiben, da sie gegenwärtig wieder vermehrt konsumiert werden. Es handelt sich dabei um eine Gruppe nicht halluzinogener, sondern lediglich aufputschender Drogen, die aufgrund gerade dieser Charakteristika besonders gut in die heutige Leistungsgesellschaft zu passen scheinen. Die bekanntesten unter ihnen wurden und werden unter den Handelsnamen „Benzedrin“, „Pervitin“ und „Captagon“ vermarktet. „Speed“, ein weisses Pulver, wird im allgemeinen geschnupft oder in Form von Kapseln oral eingenommen, kann aber auch geraucht, inhaliert oder gar „gefixt“ werden. Synthetisiert wurde Amphetamin erstmals 1887. Von seiner chemischen Struktur her ähnelt es dem Streß-Hormon Adrenalin und erzeugt auch ähnliche Wirkungen im menschlichen Körper. So galt es in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts als eine Art Wundermittel, das Ärzte gegen allerlei Beschwerden verschrieben, als Stimmungsaufheller gegen Depressionen, bei Alkoholismus, Epilepsie, Fettleibigkeit und nicht zuletzt als Ersatzdroge für das Ende der Zwanziger verbotene Kokain. Aber auch im Krieg wurde es von Nazis und Alliierten gleichermaßen ihren Soldaten verabreicht, um sie mutig und aggressiv zu machen. Obwohl Gefährlichkeit und Suchtpotential der Substanz schon längst bekannt waren (sie wurde 1941 dem Opiumgesetz unterstellt), setzten es die Amerikaner noch in den sechziger Jahren bei ihren Truppen ein.

So wurde „Speed“ durch die Jahrzehnte unseres Jahrhunderts mal unfreiwillig, mal freiwillig jedoch permanent konsumiert, - während der Fünfziger zur Zeit des Rock’n’Roll als Tanzdroge, während der Sechziger und Siebziger von „schlankheitswilligen“ Damen als Appetithemmer, in den Siebzigern und Achtzigern als Dopingmittel von SportlerInnen und tanzwütigen DiscobesucherInnen und auch in den Neunzigern unter anderem wieder als Partydroge in der Rave-Szene. Walder und Amendt halten Speed deshalb für die „am meisten unterschätzte“ Droge schlechthin (Walder/Amendt 1997, 103 - 105). Leicht unterschätzt wird die Droge auch im Hinblick auf ihre gesundheitsbedrohenden Eigenschaften: Bei hohen Dosen kommt es neben Appetitlosigkeit und erhöhter Herzrhythmus- und Atemfrequenz, oft zu Kopfschmerzen und Übelkeit. Akute Überdosierung führt zu Kreislaufversagen und tiefer Bewußtlosigkeit, die möglicherweise sogar tödlich enden können. Dauergebrauch hingegen putscht zwar einerseits subjektiv auf, laugt aber den Körper allmählich völlig aus. Depressionen, permanente Unruhe, Schlaflosigkeit und der völlige Appetitverlust führen schnurstracks auf den Zusammenbruch der geistigen und körperlichen Funktionen zu. Hinzu kommt die Toleranzbildung, die die Betroffenen zu immer höheren Dosen greifen läßt, und die sich schnell entwickelnde psychische und aller Wahrscheinlichkeit auch physische Abhängigkeit. Der regelmäßige Gebrauch setzt Körper und Geist unter Dauerstreß und führt letztendlich zwangsläufig zum Kollaps (Walder/Amendt 1997, 106 - 108).

1.2. Drogen, Drogennutzen und Rauschzustände

Im vorangegangenen Abschnitt dürfte deutlich geworden sein, daß der Konsum einer Droge immer Risiken in sich birgt, - egal ob die Droge nun legal ist oder verboten wurde. Zwangsläufig schließt sich die Frage an, warum die Menschen seit jeher Drogen zu sich nehmen, um sich zu berauschen, obwohl das doch bekanntermaßen gefährlich sein kann. Zur Klärung dieser Frage gibt es verschiedenste Ansätze aus allerlei Wissenschaftsgebieten. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werde ich mich auf zwei wesentliche Punkte beschränken: Die Betrachtung angenehmer Effekte des Rausch zustandes und - im darauffolgenden Abschnitt - damit zusammenhängende neurobiologischen Aspekte.

Doch zunächst sollte geklärt werden, was denn überhaupt unter dem Begriff „Drogen“, wie er hier Verwendung findet, zu verstehen ist. Während die pharmazeutische Industrie unter Drogen „sowohl die (pflanzlichen, seltener: tierischen, mineralischen oder künstlichen) Grundstoffe für Arzneimittel als auch die bereits aus einem Rohstoff zubereiteten bzw. aus mehreren zusammengesetzten Medikamente, und zwar unabhängig von Fragen der psychoaktiven Wirkung und juristischen oder moralischen Bewertung“ auffaßt, werden in der Alltagssprache unter Drogen oft nur die verbotenen Rauschmittel (Cannabis, Heroin, Kokain etc.) verstanden. Für die legalisierten Substanzen Alkohol, Nikotin und Koffein führte man - nicht zuletzt auf eifriges Drängen der Alkoholindustrie - die irreführende Bezeichnung „Genußmittel“ ein. Auch die eher kläglichen Versuche der WHO in den sechziger Jahren, den Begriff immer allgemeiner zu fassen, können uns in diesem Zusammenhang nicht weiterhelfen, denn als Droge galt demnach „jede Substanz, deren Einverleibung zur Reizung biologischer Substrate führt“, - womit auch Trinkwasser oder die Atemluft gemeint sein könnten! Die WHO unternahm infolgedessen weitere Versuche, Drogen zu definieren und gelangte zu einer Einteilung des Begriffes auf drei verschiedenen Ebenen. Für die vorliegende Arbeit wurde die dritte Ebene dieses Definitionsvorschlages als sinnvoll und brauchbar erachtet (analog zu u. zit. n. Scheerer/Vogt 1989, 5 f.):

Drogen

sind demnach

alle Stoffe, Mittel, Substanzen, die aufgrund ihrer chemischen Natur Strukturen oder Funktionen im lebenden Organismus verändern, wobei sich diese Veränderungen insbesondere in den Sinnesempfindungen, in der Stimmungslage, im Bewußtsein oder in anderen psychischen Bereichen oder im Verhalten bemerkbar machen.

Der - zumeist drogeninduzierte - Rausch hingegen ist ein universelles Grundbedürfnis menschlicher Existenz. Seine Beziehung zur Sucht ist allerdings nicht so eng wie vielfach angenommen (wie wir später noch sehen werden, enthält das Verhältnis Rausch - Sucht sogar viele Gegensätze). Oft werden dem Rausch sehr zu Unrecht negative Konnotationen verliehen. Er wird im allgemeinen mit Mißbrauch gleichgesetzt und vorhandene positive Wirkungen des Rausches werden entweder verdrängt und totgeschwiegen oder aber gänzlich negiert, - und zwar in völliger Ignoranz gegenüber dem Umstand, daß der Rausch in allen Gesellschaften permanent und untrennbar zum menschlichen Dasein gehörte und vermutlich sogar maßgeblich zu deren kultureller Entwicklung beitrug.

Der Rausch selbst ist ein Phänomen das sich nur schwer abgrenzen läßt gegenüber seinem Gegenpol, der Nüchternheit im Sinne völliger Bewußtseinsklarheit. Die Grenzen sind fließend und Verliebtsein oder eine bestandene Prüfung vermögen ebenso Rauschzustände auszulösen, wie der Konsum einer Droge. Insofern gebührt dem Rausch eigentlich eine würdigere Position, als es die simplifizierende Gleichsetzung mit dem Mißbrauch einer Droge zuläßt. Selbst ein sonst so nüchterner Kriminologe wie Scheerer weist zu Recht darauf hin, daß der Rausch „...Teil existentieller psychischer Bedürfnisse nach Selbsterkenntnis durch Grenzerfahrungen...“ ist und im Rausch zudem „...ein Moment ekstatischer Glückseligkeit (liegt), das die Trennung zwischen Ich und Du, zwischen Subjekt und Objekt eine Zeit lang aufzuheben vermag. Sogar die Zeiterfahrung selbst löst sich, wie die Raumerfahrung, im Rausch letztlich auf“. Scheerer spricht in diesem Zusammenhang von „Gipfel-Erlebnissen“, die „...eine Offenbarungs-Empfindung von der ‘Soheit’ und der ‘Einheit’ der Welt (vermitteln), die an das ‘tathata’ des Zen-Buddhismus ebenso erinnert wie an die ‘unio-mystica’ der christlichen Mystiker...“ (Scheerer 1995, 36).

Abgesehen von derlei Grenzerfahrungen haben drogeninduzierte Räusche noch weitere, wenn auch nicht ganz so spektakuläre, so aber dennoch positive Aspekte. So nutzen viele Menschen den drogeninduzierten Rausch bspw. zur schnellen und tiefen Entspannung und Erholung nach einem langen und ereignisreichen Arbeitstag. In unserer heutigen von permanenter Leistungsanforderung geprägten Arbeitswelt, wo ständige Präsenz und Aufmerksamkeit gefordert werden, wird zum schnelleren Abschalten oft auf die eine oder andere Droge zurückgegriffen. Was dem Fabrikarbeiter sein „Feierabend-Bier“ ist, ist für die Hausfrau ihre Tasse Kaffee am Nachmittag und für den Studierenden vielleicht ein „Entspannungs-Joint“ am Abend. Aus der Streßforschung ist bekannt, wie wichtig es ist, daß einer Phase der Anspannung eine ebenso lange Phase der Entspannung folgen sollte, um auf Dauer die Entwicklung pathologischer Streß-Symptome vermeiden zu können. Um nun möglichst schnell nach Feierabend Entspannung und Lockerung erreichen zu können und so die Entspannungsphase optimal auszudehnen, kann der Genuß einer Droge hilfreich sein...und die Antwort auf die Frage, welche Droge einem Menschen am besten zur Entspannung verhelfen kann, ist so unterschiedlich, wie die Menschen selbst.

Weit darüber hinaus reicht der Aspekt der Bewußtseinserweiterung und des Erkenntnisgewinns, so „abgedroschen“ das auch zunächst klingen mag. „Reisen bildet“ lautet eine gerne und häufig zitierte Binsenweisheit. Durch den Gebrauch bestimmter (halluzinogener) Drogen, wie Cannabis, LSD, Mescalin oder bestimmter Pilze („Magic Mushrooms“) läßt sich Vergleichbares erreichen: Die künstlich veränderte Wahrnehmung der Umgebung ist ähnlich einer Veränderung der räumlichen Umgebung durch Ortswechsel. Gerade psychedelische Drogen (Anm.: der Begriff psychedelisch bedeutet bewußtseinserweiternd) erlauben eine drastische Wandlung der Wahrnehmung. Akustische und visuelle Eindrücke verändern und intensivieren sich in kaum beschreibbaren Dimensionen.

Wenn es den KonsumentInnen gelingt, die Erlebniswelt des Rausches durch Erinnerung in die Realität hinüberzuretten und zu verarbeiten, dann können daraus Erfahrungen resultieren, die durchaus mit „Reisen“ vergleichbar sind; nicht umsonst sprechen LSD-GebraucherInnen vom „trip“, dem englischen Wort für „Reise“. Derjenige, der sich in einen veränderten Bewußtseinszustand begibt, ist in der Lage, Dinge zu entdecken, die er im nüchternen Zustand aufgrund unseres Reizfiltersystems nie bewußt hätte ausmachen können. KonsumentInnen können bestimmte Situationen unter völlig verändertem Blickwinkel wahrnehmen. So gewonnene Erfahrungen erweitern zweifellos das Bewußtsein der GebraucherInnen und vermitteln Erlebnisse, Gefühlsintensitäten und bisweilen auch Erkenntnisse, die ansonsten verborgen geblieben wären.

Wenn der eine oder andere solche Eindrücke mit künstlerischen Mitteln beschreibt, - sei dies nun durch Malerei, Musik, Bildhauerei, in Form von Skulpturen oder auch literarisch -, so resultiert aus einer Anregung der Inspiration durch Drogengebrauch eine Förderung der Phantasie und Kreativität als deren Umsetzung:

„Seit jeher lockt deshalb Maler oder Musiker die schöpferische Kraft der Droge“ schreibt hierzu Wolfgang Nagel (GEO – WISSEN 1990, 167). Wie viele der Kunstwerke und wissenschaftlichen Errungenschaften, die wir heute mit Recht bewundern, im Rausch oder unter Drogeneinfluß im unmittelbaren und mittelbaren Sinne (unmittelbar = direkt unter dem Einfluß einer Droge; mittelbar = als Verarbeitung der Eindrücke nach dem Abklingen des Rausches) geschaffen wurden, läßt sich heute nur schwer abschätzen. Ein paar Beispiele bekannter und berühmter DrogenkonsumentInnen der Menschheitsgeschichte seien auf der folgenden Seite – kurz und kommentarlos – genannt (wobei der Aufrichtigkeit halber bemerkt werden muß, daß einige der Nachgenannten ihren Drogenkonsum soweit übertrieben haben, daß sie selbst daran zu Grunde gingen).

[...]

Ende der Leseprobe aus 146 Seiten

Details

Titel
Drogen, Sucht und Hilfe. Neue Erkenntnisse der Suchtforschung und Perspektiven für Drogenpolitik und Suchthilfe
Hochschule
Hochschule Mannheim  (Hochschule für Sozialwesen)
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
146
Katalognummer
V10250
ISBN (eBook)
9783638167338
ISBN (Buch)
9783638697934
Dateigröße
1270 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Drogen, Sucht, Suchthilfe, Drogenberatung, Suchtmodell, Therapie
Arbeit zitieren
Peter Engert (Autor:in), 1998, Drogen, Sucht und Hilfe. Neue Erkenntnisse der Suchtforschung und Perspektiven für Drogenpolitik und Suchthilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10250

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden