1 Einleitung
In den letzten Jahren veränderte sich wohl kein anderer Industriesektor derart kraftvoll wie die Biotechnologie- und Pharmabranche. Insbesondere der Markteintritt junger dynamischer Firmen, die zunehmende Einbindung von Hochschulen und staatlichen Forschungseinrichtungen und das wachsende Engagement von eingesessenen Unternehmen der Pharma- und Chemiebranche lassen die Bio- technologie zum Wachstumsbereich Nummer eins werden. Allein die Anzahl kleiner und mittlerer Biotechnologieunternehmen wuchs in Deutschland zwischen 1997 und 1999 um 61% auf 279. Im gleichen Zeitraum wurde der Branchenumsatz von 565 Mio. DM auf 1.011 Mio. DM gesteigert.[1] Charakteristisch für dieses Segment ist eine Branchenstruktur aus unternehmensübergreifenden Allianzen und Netzwerken, die für einen permanenten Informationsfluß zwischen Wissenschaftlern, Entre- preneuren und etablierten Firmen sorgt. Um die beschriebenen Beobachtungen in ein theoretisches Rahmenkonzept einzubetten, wird zunächst die Wettbewerbssituation betrachtet. Im weiteren Verlauf werden allgemeine Aspekte der Koordination über Kooperation dargestellt. Schließlich wird ein Vergleich der theoretischen Befunde mit den Marktgegebenheiten durchgeführt.
2 Beschreibung der Wettbewerbssituation
Gemäß D’Aveni läßt sich der Wettbewerb innerhalb des Life-Science-Sektors als hyperkompetitiv beschreiben.[2] Entrepreneurial Life Science Companies (ELISCO’s) erweisen sich im Sinne Schumpeters als Unternehmen, die aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse entstehen und bestehende Kompetenzen der pharmazeutischen Industrie zerstören.[3] Gleichzeitig unterliegt die Biotechnologie einer stetigen technologischen Weiterentwicklung und überholt die von ihr selbst entwickelten Produkte innerhalb kürzester Zeit. Daher können Anbieter ihre Wettbewerbsvorteile nur aufrechterhalten, wenn sie sich der raschen Innovations- geschwindigkeit anschließen und neue wertschöpfende Leistungen erbringen. Diese kurzen Innovationszyklen erfordern eine flexible Unternehmensstrategie.[4] Es wird deutlich, daß die notwendige hohe Innovationsgeschwindigkeit, gepaart mit sich rapide verkürzenden Produktlebenszyklen, zu einer hohen temporären Spezifität der Transaktionen bezüglich der Innovationszeiträume führt.
2.1 Entwicklung der Biotechnologie-Branche
Der Ursprung der ELISCOs liegt meist in Hochschulen und Forschungsinstituten. Von hier aus legten vornehmlich Wissenschaftler und teilweise begabte Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, unterstützt von Financiers und Beratern, den Grundstein für das Entstehen sogenannter Start-ups. Powell beschreibt diesen Unternehmertypus als „scientist-entrepreneur“.[5]
Zu Beginn der Biotechnologie in den 80er Jahren bestand das Ziel für viele Start-ups darin, auf längere Sicht vollintegrierte Pharmafirmen zu werden. Mit einigen wenigen erfolgreichen Ausnahmen, wie zum Beispiel Amgen, Genentech oder Biogen, wurde dieses Ziel jedoch aufgegeben. Vielen Firmen wurde klar, daß ihnen auf dem Weg dahin die notwendigen finanziellen Mittel ausgehen würden. Diese waren jedoch für die immer kostspieligere und komplexere Forschungsarbeit un- abdingbar. Es zeigte sich ferner, daß den Start-ups Kompetenzen im Umgang mit Zulassungsbehörden und Marketing-Know-how fehlten. Infolgedessen wandelte sich das Unternehmenskonzept seit Beginn der 90er grundsätzlich: nunmehr steht die Entwicklung von Werkzeugen (Plattformen), die anderen Biotechnologie- oder Pharmafirmen bei der Produktgestaltung zu Wettbewerbsvorteilen verhelfen, im Vordergrund. Der Vorteil dieses Toolbox - oder Service-Models liegt darin, daß die Unternehmen verhältnismäßig schnell Umsätze durch Lizenzeinnahmen generieren können. Langfristiges Ziel ist jedoch die Beteiligung an den Erlösen von Produkten, die durch bereitgestelltes Wissen entwickelt werden konnten (Royalities). Um sich im Wettbewerb zu behaupten, wurde schnell klar, daß sich Biotechnologie Firmen öffnen mußten und sich externe Partner suchen.[6]
2.2 Entwicklung der pharmazeutischen Branche
Zu Beginn der Biotechnologie blieben die meisten großen pharmazeutischen Unternehmen in einer passiven und beobachtenden Position. In den 80er Jahren konnten sie die steigenden Aufwendungen für Forschung und Entwicklung durch höhere Erlöse ausgleichen. Erst mit zunehmendem Kostenbewußtsein der Öffent- lichkeit, einem weiteren Anstieg der Forschungs- und Entwicklungskosten, einer Vielzahl von auslaufenden Patenten, dem Verlust von talentierten Mitarbeitern und ersten Erfolgsmeldungen von Biotechnikunternehmen begann sich die Einstellung der großen Konzerne gegen Ende der 80er Jahre zu wandeln.[7]
Die Pharmabetriebe hatten fünf unterschiedliche Strategien, mit denen sie auch zukünftig Wachstum generieren konnten: (i) Wachstum durch Produktvarianten, (ii) Wachstum durch Generika, (iii) Wachstum durch OTC und Selbstmedikation, (iv) Wachstum durch Kundenorientierung und (v) Wachstum durch Innovation.[8] Im Rahmen dieser Arbeit wird ausschließlich auf letztgenannte Alternative eingegangen, da diese die Schnittstelle zur aufstrebenden Biotechnologie darstellt.
3 Kooperationen in Theorie und Praxis
Allgemein versteht man unter Kooperation eine Zusammenarbeit zweier oder mehrer rechtlich selbständiger Unternehmen, die darauf ausgerichtet ist, ein bestimmtes gemeinsames Ziel zu erreichen (Effektivität) und dadurch individuelle Bedürfnisse der Akteure zu befriedigen (Effizienz). Den Akteuren bieten sich grundsätzlich zwei Koalitionsalternativen an:
- Die Zusammenarbeit geschieht vertikal entlang der Wertschöpfungskette und dient der Ausnutzung von bestehenden Kernkompetenzen und der Konzentration auf bestimmte Wertschöpfungsaktivitäten.[9] Diese Koalitionsform beschreibt Meyer als strategische Netzwerke. Im Endmarkt konkurriert das Netzwerk mit anderen Koalitionen (fokale Netzwerke).
- Der Leistungsaustausch geschieht auf der gleichen, horizontalen Wert- schöpfungsstufe und beabsichtigt, die betreffenden Fähigkeiten zu stärken. Diese Form der Zusammenarbeit wird als strategische Allianz bezeichnet. Es handelt sich um ähnliche, aber nicht komplementäre Leistungen.[10]
3.1 Transaktionskostenansatz
Kooperationen stellen im Transaktionskostenansatz eine Mischform aus Markt- transaktionen und vertikaler Unternehmung dar. Die Absicherung der gewählten Koordinationsform geschieht bei marktlicher Koordination durch möglichst umfas- sende Verträge und bei Unternehmen durch gemeinsames Eigentum.[11] Ausgangspunkt der Betrachtung ist die einzelne Transaktion, also die Übertragung von Verfügungsrechten zwischen zwei oder mehreren Akteuren. Williamson geht davon aus, daß jede ökonomische Aktivität Kosten (Transaktionskosten) verursacht.[12] Diese entstehen sowohl vor Vertragsabschluß in Form von Anbahnungs- und Vereinbarungskosten als auch durch Abwicklungs-, Kontroll-, und Anpassungskosten danach. Kausale Ursache für ihr Entstehen ist jedoch das latente oder manifeste, opportunistische Verhalten der Akteure.
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[1] Vgl. DIB (2001).
[2] Vgl. D’Aveni (1995), S. 254 ff.
[3] Vgl. Powell (1996), S. 202.
[4] Vgl. Liebeskind et al. (1995), S. 3.
[5] Vgl. Powell (1996), S. 200.
[6] Vgl. Powell (1996), S. 199 ff.; Deeds/ Hill (1999), S. 142; Ernst & Young (2000a), S. 96-99.
[7] Vgl. Powell (1996), S. 203 ff.; Grabowski/ Vernon (1994), S. 439.
[8] Vgl. Schiuma-Tiefenbacher/ Müller (2001).
[9] Vgl. Porter (1996), S. 85-87.
[10] Vgl. Meyer (1995), S. 157 ff.
[11] Vgl. Meyer (1995), S. 92.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in diesem Text über Biotechnologie und Pharma?
Der Text behandelt die Veränderungen in der Biotechnologie- und Pharmabranche, insbesondere den Markteintritt neuer Unternehmen, die Rolle von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, und das Engagement etablierter Unternehmen. Er analysiert die Branche als Wachstumsbereich mit einer Struktur aus Allianzen und Netzwerken.
Wie wird die Wettbewerbssituation beschrieben?
Der Wettbewerb im Life-Science-Sektor wird als hyperkompetitiv beschrieben. Entrepreneurial Life Science Companies (ELISCOs) entstehen durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse und konkurrieren mit bestehenden Kompetenzen der Pharmaindustrie. Die kurzen Innovationszyklen erfordern flexible Unternehmensstrategien.
Was sind ELISCOs und woher kommen sie typischerweise?
ELISCOs (Entrepreneurial Life Science Companies) sind Unternehmen, die aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse entstehen. Ihr Ursprung liegt meist in Hochschulen und Forschungsinstituten, gegründet von Wissenschaftlern und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen.
Welche Entwicklung haben Biotechnologie-Start-ups durchgemacht?
Anfangs hatten viele Start-ups das Ziel, vollintegrierte Pharmafirmen zu werden. Dieses Ziel wurde jedoch größtenteils aufgegeben, da die notwendigen finanziellen Mittel und Kompetenzen (z.B. im Umgang mit Zulassungsbehörden und Marketing) fehlten. Stattdessen konzentrieren sie sich nun auf die Entwicklung von Werkzeugen (Plattformen) für andere Firmen.
Wie haben sich die großen Pharmaunternehmen verhalten?
Zu Beginn der Biotechnologie blieben die meisten großen Pharmaunternehmen beobachtend. Erst mit steigendem Kostendruck, auslaufenden Patenten und ersten Erfolgen von Biotechnikunternehmen änderten sie ihre Strategie.
Welche Wachstumsstrategien hatten Pharmaunternehmen?
Die Pharmabetriebe hatten verschiedene Strategien, darunter Wachstum durch Produktvarianten, Generika, OTC und Selbstmedikation, Kundenorientierung und Innovation. Der Text konzentriert sich auf Wachstum durch Innovation, was die Schnittstelle zur Biotechnologie darstellt.
Was versteht man unter Kooperation im Kontext des Textes?
Kooperation wird als Zusammenarbeit zweier oder mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen definiert, die darauf ausgerichtet ist, ein gemeinsames Ziel zu erreichen (Effektivität) und dadurch individuelle Bedürfnisse zu befriedigen (Effizienz).
Welche Koalitionsalternativen gibt es?
Es gibt zwei grundlegende Koalitionsalternativen: vertikale Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette zur Ausnutzung bestehender Kernkompetenzen (strategische Netzwerke) und horizontale Zusammenarbeit auf der gleichen Wertschöpfungsstufe zur Stärkung der betreffenden Fähigkeiten (strategische Allianz).
Wie wird Kooperation im Transaktionskostenansatz betrachtet?
Im Transaktionskostenansatz wird Kooperation als eine Mischform aus Markttransaktionen und vertikaler Unternehmung betrachtet. Die Absicherung der gewählten Koordinationsform geschieht bei marktlicher Koordination durch Verträge und bei Unternehmen durch gemeinsames Eigentum. Transaktionskosten entstehen durch opportunistisches Verhalten.
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- Thomas Knoop (Author), 2001, Governance Structures in der Biotechnologie: Netzwerke vs. Markt und Hierarchie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102538