Zur Interaktion zwischen freien Dativen im Deutschen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

32 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einführung

1. Forschungsstand

2. Syntaktische und semantische Merkmale von freien Dativen
2.1 Syntaktische Merkmale von freien Dativen
2.2 Semantische Merkmale von freien Dativen

3. Implizite Interaktion zwischen freien Dativen: Semantische Ebene
3.1 Implizite Interaktionen zwischen Dativ-Nominalphrasen gleichen Typs: Ambiguitätsfälle
3.2 Implizite Interaktion zwischen unterschiedlichen Dativtypen
3.3 Zusammenfassung

4. Explizite Interaktion zwischen freien Dativen : Syntaktische Ebene
4.1 Kombinationsproben bei einfachen Sätzen
4.2 Kombinationsprobe bei komplexen Sätzen: Am Beispiel der Relativsätze

5. Anwendungsübungen und Musterlösungen
5.1. Anwendungsübungen
5.2 Musterlösungen

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

0. Einführung

Im Hinblick auf die Kasus im Deutschen wurde viel über den Dativ geforscht. Letzterer ist neben dem Nominativ, Akkusativ und Genitiv insofern einer der komplexesten Kasus des Deutschen, als es außer des Dativobjekts viele andere umstrittene Dativtypen gibt, die in einem einzelnen Satz auftauchen und demzufolge zu Unsicherheiten über ihre genaueren Status und Funktionen führen können. Diese sind in der Regel keine Objekte, da sie vom Verb nicht regiert bzw. verbunabhängig sind, weshalb sie freie Dative genannt werden. In Bezug auf die Einheitlichkeit dieser sogenannten freien Dative gibt es aber mehrere Diskrepanzen. Trotz der Tatsache, dass sie keine Objekte sind, gibt es in den Grammatiken mehrere voneinander abweichende Auffassungen über ihren Status. Einige Autoren behaupten, freie Dative seien Angaben, da sie nicht verbspezifisch und demzufolge nicht valenzrelevant sind. Die anderen sind der Auffassung, dass freie Dative als Ergänzungen gelten können. Dies hat zur Folge, dass immer nur versucht wird, ihren Status zu identifizieren, ohne die Art und Weise in Betracht zu ziehen, wie sie im Satz implizit interagieren, weshalb es manchmal einem schwer fällt, den Typ des freien Dativs in einem einfachen Satz zu bestimmen und in einem komplexen Satz zwischen verschiedenen Dativtypen zu differenzieren. Daraus ergibt sich folgende Frage: Wie und auf welchen Ebenen interagieren freie Dative? Aus dieser Frage ergibt sich eine weitere, die spezifischer ist: Welche Auswirkungen hat diese Interaktion auf die Grammatikalität des Satzes? Die vorliegende im Rahmen des Hauptseminars „Thematische Rollen und Kasus“ verfasste Arbeit, deren Thema “Die Interaktion zwischen freien Dativen“ lautet, besteht darin, diese Fragen anhand der vorhandenen semantischen und syntaktischen Kriterien zur Differenzierung zwischen freien Dativen zu beantworten. Dabei soll versucht werden, zu zeigen, dass eine gegenseitige implizite Beeinflussung von freien Dativen verwirrend sein kann und andererseits anhand von ihren verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten, dass sie nicht nur anhand von den bisher vorgeschlagenen Kriterien bzw. Tests isoliert unterschieden, sondern auch in Kombinationen miteinander in einem einzelnen Satz leichter bestimmt werden können. Um dieses Ziel zu erreichen gehe ich theoretisch vor, indem ich auf die verschiedenen theoretischen Voraussagen des grammatischen Phänomens um freie Dative eingehe, um anschließend zu beobachten, inwiefern sie sich ausschließen, inwiefern sie kompatibel sind und in welchem Ausmaß sie dem Gleichgewicht zur Lösung der Problematik dienen. Dazu soll im ersten Kapitel der Forschungstand des Themas dargestellt werden, indem auf relevante und wichtigste linguistische Literatur eingegangen werden wird, um die theoretischen Voraussagen zu ermitteln und die dabei bestehenden möglichen Lücken zu kompensieren. Das zweite Kapitel ist der knappen und präzisen Darstellung der am häufigsten in den deutschen Grammatiken erwähnten freien Dative und ihrer relevantesten Merkmale gewidmet. Im dritten Kapitel wird zunächst anhand vorhandener Literatur untersucht, wie diese Dative auf semantischer Ebene implizit interagieren und das vierte Kapitel, das der expliziten Interaktion zwischen freien Dativen auf syntaktischer Ebene gewidmet ist, behandelt die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten von freien Dativen. Dabei soll sowohl bei einfachen als auch bei komplexen Sätzen anhand von bestimmten im zweiten Kapitel dargestellten Tests ermittelt werden, welche Kombinationen grammatisch korrekt sind und welche nicht. Im fünften und letzten Kapitel wird eine Reihe von kurzen Anwendungsübungen vorgeschlagen, damit nachgeprüft werden kann, ob die Problematik geklärt wurde.

1. Forschungsstand

Zu freien Dativen im Deutschen gibt es bezüglich deren Status in der sprachwissenschaftlichen Debatte unterschiedliche Auffassungen. In der bisherigen Forschung wurde viel über die Kriterien zur Differenzierung von freien Dativen diskutiert. Die dazu angeführten Kriterien sind immer von einem Autor zu einem anderen partiell unterschiedlich gewesen, weswegen auch die Zahl der freien Dative umstritten geblieben ist.

Helbig (1981) geht von den in der früheren Forschung angeführten drei Typen von freien Dativen aus, nämlich dem dativus (in)commodi, (Typ 1), dem dativus possessivus (dativus sympatheticus oder Dativ des Zubehörs) (Typ 2) und dativus ethicus (Dativ der gefühlsmäßigen Anteilnahme), der als Typ 3 gilt, um weitere freie Dative (Trägerdativ, Dativ des Zustandsträgers, Dativ des Maßstabs) anhand syntaktischer Kriterien bzw. operationeller Tests und semantischer Merkmale differenzierend zu untersuchen. In seiner ganzen Untersuchung verwendet er folgende operationelle Tests: Erstellenfähigkeit, pronominale und/ oder nominale Verwendung, Eliminierungstest, Possessivtest, Doppelmarkierung, Paraphrase und Zurückführung auf einen selbständigen Satz. Was die semantischen Kriterien anbelangt, so benutzt er folgende: Possessivrelation, Zugehörigkeitsrelation, Teil-von-Relation und Träger-Relation. Doch einige dieser Kriterien erweisen sich als ungenügend und werden in späteren Forschungen ergänzt.

Im Anschluss an Helbig beschäftigt sich Wegener (1985) hauptsächlich mit der Beschreibung des Dativs im heutigen Deutschen, indem er nicht nur syntaktische und semantische, sondern auch morphologische und distributionelle Herangehensweisen anwendet. Bei der Morphologie untersucht er die Kasusmarkierung, um festzustellen, wie die Markierung einer Nominalphrase als Dativ-NP erfolgt. Was die Syntax angeht, so vergleicht er die Dativ-NP mit anderen Nominalphrasen, um das syntaktische Verhalten und die syntaktischen Funktionen der Dativ-NP zu bestimmen. Dabei stellt er fest, dass die als „frei“ geltenden Dative (freie Dative) mit den als „echt“ geltenden miteinander verglichen werden können. Weiter vergleicht er den dativus commodi mit freien Genitiven und Akkusativen, den Pertinenzdativ mit dem Genitivattribut. Bei all diesen Vergleichen wendet er bestimmte nicht Kriterien bzw. Tests als Analyseinstrumente wie die Weglassprobe, die Ersatzprobe, die Umstellprobe und die Hinzufügungsprobe, an. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass er durch diese vier syntaktischen Kriterien zu fast gleichen Ergebnissen kommt wie Helbig. Was die Semantik anbelangt geht er einen Schritt weiter, indem er bei der Untersuchung von semantischen Funktionen des Dativs nicht nur die semantischen Merkmale der Dativ-NP und der mit ihr kompatiblen Wortklassen, sondern auch die im Dativ kodierten semantischen Rollen und die Bedeutung der eine Dativ-NP enthaltenen Sätze, skizziert. Die semantischen Kriterien, die er anführt, sind: Intentionalität des Handelns, Bewusstheit, persönliche Beteiligung des Dativ-Referenten, Verantwortlichkeit des Dativ-Referenten für das Geschehen, Abgeschlossenheit der Handlung, Umfang der Handlung und spezifische Kontexte bzw. Involviertheit des Dativ-/Akkusativ-Referenten ins Geschehen. Im Hinblick auf die freien Dative soll erwähnt werden, dass Wegener sich inhaltlich mit den Kontexten, der Valenz des Dativs, sowie mit dem Dativ im Wechsel mit anderen Konstituenten befasst. Was die Kontexte des Dativs anbelangt, so stellt er die verschiedenen Umgebungen, in denen eine Dativ-NP vorkommt und erläutert diese. Dabei weist er darauf hin, dass eine Dativ-NP bei Prä- und Postpositionen, bei Appositionen, bei Adjektiv/Substantiv + Kopula, beim Nomen, beim Satz und beim Verb, stehen kann (ebd., 47f). Am relevantesten sind die zwei letzteren Umgebungen, da sie diejenigen sind, in denen freie Dative vorkommen. Was die syntaktische Ebene anbelangt, so grenzt er zwei Dativtypen von denen ab, die nur bei bestimmten Verben oder Verbkomplexen auftreten können, nämlich den ethischen Dativ (Dativus ethicus) und den Dativ des Maßstabs (Dativus iudicantis). Er behauptet, diese seien mit allen Verben kompatibel und können nicht als Verbkomplemente gelten (ebd., 50). Zwar nimmt Wegener so wie Helbig an, dass der ethische Dativ nicht erstellenfähig und dementsprechend nicht betonbar ist und dass er durch ein Pronomen (der 1. und der 2. Person) repräsentiert werden kann, aber er geht einen Schritt weiter und stipuliert, dass auch ein Name oder Substantiv als ethischer Dativ auftreten kann, was mit Helbigs Auffassung nicht kompatibel ist. Weiter unterscheidet Wegener zwischen zwei Subtypen des ethischen Dativs, nämlich dem nur durch „mir“ realisierbare in Aufforderungssätzen, die in Imperativ- oder Nebensatzform vorliegen können, auftretenden Typ (Typ 1) und dem sowohl durch „mir“ als auch durch „dir“ realisierbaren Typ, der in Aussagesätzen auftritt, die Hauptsätze sein müssen (ebd. S. 51). Dies führt dazu, dass er stipuliert, dass der ethische Dativ in Ausgangssätzen (Typ 2) teilweise mit dem Dativ iudicantis korrespondiert. Was eben den dativus iudicantis betrifft, so sagt er radikal aus, dass dieser nur in Sätzen auftauche, die durch eine Gradpartikel (zu/ (nicht) genug) graduiert seien und dass er nicht verbspezifisch sein könne (ebd., 53). Weiter bezeichnet er den ethischen Dativ und den Dativ des Maßstabs als Satz-Dative, deren Referenten nicht als am Sachverhalt Beteiligte gelten können, als Mitspieler, als die von einem Geschehen Betroffenen, sondern als die von der Äußerung Betroffenen. Des Weiteren grenzt er sich insofern von Helbig ab, als er noch zwischen verschiedenen so genannten adverbalen Dativen unterscheidet. Es handelt sich um den obligatorischen Dativ, den Pertinenzdativ, den fakultativen Dativ, den Dativus commodi, den Dativus incommodi, den nur-reflexiven Dativ, den reflexiv gebrauchten Dativ und den Trägerdativ. Außer Acht lässt er aber den von Helbig untersuchten Dativ des Zustandsträgers. Was den Trägerdativ anbelangt, so wirft Wegener (ebd, 105) Helbig vor, dass er im Verfahren bei Kleidungsstücklexemen mit Verben des An- und Ausziehens, also des Besitzwechselverben i.w.S, bei Körperteillexemen aber mit Verben der bloßen Veränderung operiere. Dabei zieht er als Schlussfolgerung, dass der Trägerdativ als eine Variante des Pertinenzdativs gelten könne, was bei Helbig unberücksichtigt geblieben ist.

Weiter befasst sich Wegener mit dem Dativ als Attribut (vgl. ebd, S. 120-130). Dabei beschränkt er sich aber auf den Pertinenzdativ, der manchmal auch mit anderen Typen des Dativs etwa wie dem Dativus (in)commodi verwechselt wird. Zuerst führt er Kriterien an, die die Gleichartigkeit des Pertinenzdativs mit dem Dativobjekt und zugleich dessen Unterschied zu adnominalem Attribut darlegen. Indem er den attributiven Charakter des Pertinenzdativs nachzuweisen versucht, lässt er aber andere Dativtypen außer Acht. Bei seiner Auseinandersetzung mit den Objekteigenschaften des Pertinenzdativs zeigt er, dass dieser Dativtyp sich wie ein Dativobjekt, nur der adnominale Dativ wie ein Attribut verhält. Dazu führt er folgende Kriterien: Erfragberkeit, Anaphorisierbarkeit, Erstellenfähigkeit, Subjektivierbarkeit, Stellung zu einer Präpositionalphrase, Bindung von Adverbialen, Infinitivkontrolle und Semantische Rolle. Weiter führt er Kriterien an, die deutlich zeigen, dass der Pertinenzdativ nicht als Attribut auftreten kann. Solche Kriterien sind die Annahme einer Dativstransformation und die Possessivstransformation. Er kommt zu dem Schluss, dass der Dativus Commodi und Pertinenzdativ keine Angaben sind und als Adverbal und Verbkomplemente zu gelten haben, da sie sich nicht als Adverbialbestimmungen verhalten. Überdies stipuliert er, dass der ethische Dativ und der Dativus iudicantis insofern als Satzkomplemente, also als Angaben gelten, als sie sich in syntaktischer und semantischer Hinsicht nicht oder nur zum Teil wie Dativobjekte verhalten, nicht verbspezifisch sind und aus einem höheren Prädikat, das von der lokutiven auf die illokutiven Ebene führe, abgeleitet werden können. Die Tatsache, dass die freien Dative mit Ausnahme des ethischen Dativs und des Dativus iudicantis keine Angaben, sondern verbspezifisch sind, rechtfertig also Wegeners Einteilung von Dativen in „Dativ beim Verb“ und „Dativ beim Satz“. Schließlich untersucht er den Dativ im Wechsel mit anderen Konstituenten. Entscheidend für die freien Dative ist dabei, dass er besonders zeigt, wie vom ethischen Dativ in den Nominativ gewechselt werden kann. Nach ihm führt die Tatsache, dass der ethische Dativ außerhalb des präpositionalen Kerns steht, dazu, dass er nicht das Subjekt eines Passivsatzes sein kann, auch wenn ein „bekommen-Passiv“ beim Wechsel in die Konstruktion im Nominativ möglich ist.

In seiner Auseinandersetzung mit gradueller Ditransitivität im Deutschen setzt Rauth (2016) Wegeners Überlegungen fort, indem er dabei zeigt, dass es keinen so großen Unterschied zwischen den den Dativ enthaltenen Konstruktionen mit ditransitiven Verben (geben, zeigen, nehmen, erzählen…) und denen mit monotransitiven (waschen, zerkrazen…) gibt, da der einzige Unterschied zwischen ihnen daran liegt, dass in letzterer die Dativgröße nicht im Valenzrahmen des Verbs als Aktant vorgesehen ist. Damit schließt er sich eben nicht nur Wegener, sondern auch Helbig, an, deren Auffassungen nahe legen, dass manche freie Dative nicht valenzspezifisch seien. Einen Zusammenhang zwischen monotransitivem Verb und freiem Dativ stellt er, indem er untersucht, wie sich die Realisierungsnotwendigkeit des (In)Commodi in einer Äußerung graduell unterscheidet (ebd., 192f). In der Tat ist er der Auffassung, dass die Unterschiede in ihrer Rollenzuweisung darauf hinweisen, inwieweit die Dativgröße durch die Verbalhandlung impliziert werde. Dies führt dazu, dass er den Status des Dativs anhand dessen thematische Rolle definiert, indem er stipuliert, dass ein Dativ als freier Dativ und somit ein nicht von der Verbvalenz geforderte Angabe zu gelten habe, wenn durch die Verbalhandluch ausschließlich ein Nutznießer oder Malefizient impliziert werde. So gesehen ordnet er den reinen Nutznießer-Dativ in die gleiche Kategorie wie den Dativus iudicantis und ethicus ein, nämlich die der freien Angaben (ebd. 193).Diese Auffassung ist zwar mit der von Helbig kompatibel, aber nicht mit der von Wegener, denn dieser behauptet, der Dativus commodi könne nicht als Angabe, sondern als fakultative Ergänzug gelten.

Alle in den oben skizzierten Forschungsansätzen festgestellten unterschiedlichen Auffassungen zeigen, dass die Problematik des Status und der Zahl der freien Dative bisher noch nicht geklärt worden ist. Vielmehr bleibt die Frage offen, wie diese freien Dative im Satz sowohl implizit als auch explizit, auf syntaktischer als auch auf semantischer Ebene interagieren, ob die dabei geschehende Interaktion durch die bisher in der Forschung angeführten Analyseinstrumente zur Bestimmung von Dativtypen stark angegangen ist und ob diese Dativtypen überhaupt ohne Gefahr für die Grammatikalität des Satzes miteinander kombiniert werden können. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Interaktion zwischen den am häufigsten auftretenden und Probleme hervorrufenden Dativtypen. Es handelt sich besonders um den Dativus commodi und incommodi, den possessiven Dativ/Pertinenzdativ, den Trägerdativ, den Dativ des Zustandsträgers, den Dativ des Maßstabs und den ethischen Dativ. Selbstverständlich soll das Dativobjekt nicht ausgeschlossen werden, da es zweifellos eine entscheidende Rolle in der betreffenden Interaktion und daher in der Kombination zwischen anderen sogenannten „freien“ Dativen spielen kann.

2. Syntaktische und semantische Merkmale von freien Dativen

In diesem Kapitel werden sowohl die syntaktischen als auch die semantischen Kriterien zur Unterscheidung von freien Dativen untersucht. Ziel ist es, einerseits zu untersuchen, welche Kriterien welchen freien Dativen gemein sind, andererseits zu beobachten, wie sich jeder einzelne freie Dativ in einem einfachen Satz verhält. Dabei beschränke ich mich auf die sieben häufig vorkommenden freien Dative, nämlich den possessiven Dativ (dativus possessivus) bzw. Pertinenzdativ, den Trägerdativ, den dativus commodi und incommodi, den Dativ des Zustandsträgers, den Dativ des Maßstabs (dativus iudicantis) und den ethischen Dativ (dativus ethicus). Überdies soll im Folgenden nur auf die für die Untersuchung entscheidenden syntaktische und semantischen und Kriterien bzw. Merkamale eingegangen werden.

2.1 Syntaktische Merkmale von freien Dativen

In den meisten Grammatiken, wie in Helbig (1981) oder Wegener (1985)werdenhäufig folgende relevante syntaktische Merkmale bzw.Kriterien, die auch als operationelle Tests gelten, genannt: Erstellenfähigkeit (Vorfeldfähigkeit), Pronominale und/ oder nominale Verwendung, Eliminierungstest (Weglassprobe), Possessivtest, Doppelmarkierung und Paraphrase, Zurückführung auf einen selbständigen Satz/ Hinzufügbarkeit. (vgl. Helbig 1981, 323ff; Wegener 1985, 30ff)

2.1.1 Erstellenfähigkeit

Bei diesem operationellen Test wird beobachtet, ob Dative im Vorfeld vor dem finiten Verb im deutschen Aussagesatz allein auftreten können, in diesem Falle betonbar sind oder nicht. Freie Dative sind in der Regel erstellenfähig bzw. vorfeldfähig und damit auch betonbar. Es handelt sich um den possessiven Dativ oder Pertinenzdativ (1), den Trägerdativ (2), den Dativus commodi (3), den Dativus incommodi (4), den Dativ des Zustandsträgers (5), den Dativivus iudicantis oder Dativ des Maßstabs (6). Darunter gilt aber der ethische Dativ (7) als Ausnahme. Dieser kann nicht im Vorfeld stehen und ist daher auch nicht betonbar. .

(1) Ihm schmerzt der Rücken.
(2) Dir rutscht die Hose.
(3) Ihm öffne ich die Tür.
(4) Ihr ist die Schüssel zerbrochen.
(5) Mir ist (es)sehr kalt.
(6) Mir ist die Suppe zu heiß.
(7) *Mir bist du ein Schwindler! / Du bist mir ein Schwindler! (Helbig 1981, 330) 330)

2.1.2 Pronominale und/ oder nominale Verwendung

Während die in Sätzen (1), (2), (3), (4), (5) und (6) erwähnten Dative sowohl durch ein Pronomen als auch durch ein Nomen bzw. Substantiv repräsentiert werden können, kann (7) nicht durch ein Substantiv, sondern nur durch ein Pronomen der 1. und 2. Person repräsentiert werden.

(1a) Dem Onkel schmerzt der Rücken
(2a) Dem Jungen rutscht die Hose.
(3a) Dem Lehrer öffne ich die Tür.
(4a) Der Kellnerin ist die Schüssel zerbrochen.
(5a) Dem Patienten ist (es) sehr kalt.
(6a) Dem Kind ist die Suppe zu heiß.
(7a) *Dem Polizisten bist du nur ein Schwindler!

2.1.3. Eliminierungstest

Bei dem Eliminierungstest, auch Weglassbarkeitstest genannt, wird festgestellt, ob bei der Eliminierung des Dativs die Grammatikalität des Satzes erhalten bleibt und in dem Falle, dass sie erhalten bleibt, ob die Eliminierung einen semantischen Effekt hat, d.h., ob sie die Bedeutung verändert, und in dem Falle, dass sich die Bedeutung verändert, ob diese Bedeutungsveränderung denotativer oder konnotativer Art ist, und schließlich, welcher Art diese Bedeutungsveränderung ist.

In aller Regel sind alle freien Dative tilgbar. In der Tat können sie insofern weggelassen werden, ohne dass die Grammatikalität des Satzes bzw. die syntaktische Wohlgeformtheit verloren geht, als sie frei sind. Allerdings tritt bei manchen ein Informationsverlust, der nicht nur konnotative, sondern auch denotative Bedeutungskomponente betreffen kann. Die Eliminierung hat also unter Umständen semantische Effekte, wie es in den unten stehenden Beispielen festzustellen ist:

(1b) Der Rücken schmerzt. (Verlust des Satzpertinenz)
(2b) Die Hose rutscht. (Bedeutungsveränderung denotativer Art)
(3b) Ich öffne die Tür. (denotative und konnotative Bedeutungsveränderung)
(4b) Die Schüssel ist zerbrochen. (denotative und konnotative Bedeutungsveränderung)
(5b) Es ist sehr kalt. (denotative Bedeutungsveränderung)
(6b) Die Suppe ist zu heiß.
(7b) Du bist nur ein Schwindler! (Informationsverlust konnotativer Art)

2.1.4 Possessivtest

Bei diesem Test wird die Möglichkeit einer Transformation des Dativs in eine Konstruktion mit Genitivattribut oder Possessivpronomen untersucht. Dabei wird beobachtet, ob die Bedeutung erhalten bleibt und falls sie nicht erhalten bleibt, in welcher Weise sich die Bedeutung verändert. In den unten stehenden Beispielen wird darauf hingewiesen, dass die Transformation des possessiven Dativs (1c) sowohl in ein Possessivpronomen als auch in ein Genitivattribut zu keiner Veränderung der Bedeutung des Satzes führt, während sie beim Trägerdativ (2c), Dativus commodi (3c), Dativus incommodi (4c) und Dativ des Maßstabs (6c) die Semantik des ganzen Satzes tangiert.

(1c) Sein Rücken schmerzt. /Der Rücken des Onkels schmerzt.
(2c) Deine Hose rutscht.
(3c) Ich öffne seine Tür. / Ich öffne die Tür des Lehrers.
(4c) Ihre Schüssel ist zerbrochen./ Die Schüssel der Kellnerin ist zerbrochen.
(5c) *Es ist dein kalt.
(6c) Seine Suppe ist zu heiß. Die Suppe des Kindes ist zu heiß.
(7c) ?Du bist nur mein Schwindler!

Hier wird beobachtet, ob der Dativ durch eine Konstruktion mit für, mit statt oder gegebenenfalls durch eine andere Konstruktion paraphrasiert werden kann.

(1e) *Der Rücken schmerzt für ihn.
(2e) *Die Hose rutscht für dich
(3e) Ich öffne die Tür für/statt dich
(4e) *Die Schüssel ist für sie zerbrochen
(5e) Es ist kalt für dich.
(6e) Die Suppe ist zu heiß für mich.
(7e) ?Du bist für mich nur ein Schwindler

2.1.6 Zurückführung auf einen selbständigen Satz

Hier wird anhand von Beispielen beobachtet, ob sich der freie Dativ auf einen selbständigen Satz zurückführen lässt und ob er sich auf diese Weise als eigene Prädikation (in einer zugrundeliegenden Struktur) erweist.

(1f) Der Rücken schmerzt. Der Rücken gehört ihm.
(2f) Die Hose rutscht. Das hast du an.
(3f) Ich öffne die Tür. Das geschieht zugunsten von ihm.
(4f) Die Schüssel ist zerbrochen. Das ist ihr passiert/geschehen.
(5f) Es ist kalt. Das Kind fühlt die Kälte./ Das Kind ist erkältet.
(6f) Die Suppe ist zu warm. Das betrifft mich.
(7f) Du bist ein Schwindler! ? Das bist du mir.

Es lässt sich feststellen, dass alle freien Dative außer des ethischen Dativs einfach auf einen selbständigen Satz zurückführbar sind.

2.2 Semantische Merkmale von freien Dativen

Bestimmte relevante semantische Merkmale dienen als semantische Relationen dazu, die verschiedenen freien Dative zu unterscheiden. Diese sind:die Teil-von-Relation (PARS-REL) und das Merkmal „+Anim“ – „KÖRP“, die Träger– und Possessivrelation (TR-POSS-REL) und das Merkmal „KEID“ die, „ZUGUNSTEN“ und „UNZUGUNSTEN“-Relation, das Merkmal „+stat“, Merkmal „+Hum“ „ - Agens“ und WERT-REL, das Merkmal „EMOT“.

2.2.1 Teil-von-Relation undMerkmal „Anim“, „KÖRP“ : Possessiver Dativ

Dieses semantische Kriterium ist für den possessiven Dativsehr spezifisch. In der Tat drückt dieser Typ des freien Dativs immer eine PARS-REL aus, d.h., enthält die Beziehung eines Körperteils zu einem Körperteilbesitzer. Im Dativ steht immer die Person als Ganzes, der der Körperteil gehört, in einem anderen Substantiv im Satz (entweder Nominativ, Akkusativ oder Präpositionalgruppe, in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Satztypen) ein Körperteil. Mit anderen Worten: Der Dativ muss „+Anim“ sein, das substantivische Lexem, dasin PARS-REL zu ihm steht, muss das Merkmal „KÖRP“ haben und dies ist genau die semantische Bedingung dafür, dass ein possessiver Dativ vorliegt.

Semantisch wird eine TR-REL ausschließlich vom Trägerdativ ausgedrückt. Dadurch unterscheidet sich dieser Typ des freien Dativs von possessiven Dativ und von allen anderen Typen des freien Dativs. Dies setzt im Dativ „+Hum“ als Träger des Kleidungsstückes und in einem anderen Substantiv des Satzes (Nominativ, Akkusativ oder Präpositionalgruppe – je nach dem unterschiedlichen Satztyp) das Merkmal „KLEID“ voraus. Umgekehrt impliziert jedoch das Vorkommen eines Substantivs mit dem Merkmal „KLEID“ zusammen mit einem Substantiv im Satz noch nicht notwendig eine TR-REL, denn wir haben nebeneinander:

(8) Ich ziehe ihm den Anzug an. (TR-REL)

Ich wasche ihm den Anzug. (keine TR-REL), da er den Anzug nicht anhat; ( dativus commodi)

Ich bürste ihm den Anzug ab. (im Sinne von TR-REL oder im Sinne eines dativus commodi interpretierbar)

2.2.3. „ZUGUNSTEN“- und „ZUUNGUNSTEN“-Relation, HABERE-Relation : Dativus (In)Commodi

Wenn man von der den „ZUGUNSTEN“ und „ZUUNGUNSTEN“-Relation“ spricht, dann denkt man direkt entsprechend an den Dativus commodi (Dativ des Nutznießers) und incommodi (Dativ des Geschädigten).

2.2.4. Das Merkmal „+stat“ : Dativ des Zustandsträgers

Dieses Merkmal ist in aller Regel spezifisch dem beim Dativ des Zustandsträgers enthaltenen Prädikat zuzuschreiben, denn mit diesem Dativ wird kein Geschehen, sondern ein Zustand, der auf einen Dativ als Zustandsträger „ZuTr“ bezogen ist. Und die Tatsache, dass das Prädikat das Merkmal „+stat“ haben muss, legt nahe, dass die thematische Rolle des Nominativs niemals „+Agens“ sein kann.

2.2.5. Die WERT-REL und das Merkmal „+Hum“ „ - Agens“ : Dativ des Maßstabs

Eine WERT-REL wird im Falle des dativus iudicantis ausgedrückt. Handelt es sich um den Dativus respectivus, dann wird aber eine RESP-REL ausgedrückt. Ob das Verb das Merkmal „+stat“ oder „-stat“ hat, ist für diesen Typ des Dativs unwesentlich.

2.2.6 das Merkmal „EMOT“ : Ethischer Dativ

Dieses Merkmal ist charakteristisch für den ethischen Dativ. Dieser besitzt auch das Merkmal „+Hum“ „ - Agens“.

2.2.7 Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass viele freie Dative gemeinsame syntaktische Merkmale haben. In der Tat sind alle freien Dative tilgbar, auch wenn dies bei einigen semantische Effekte hat. Der einzige freie Dativ, der kategorial restringiert, nicht vorfeldfähig und nicht auf einen selbständigen Satz zurückführbar ist, ist der ethische Dativ. Überdies lassen der possessive Dativ, der Trägerdativ und der dativus commodi den Rezipientenpassiv zu, die anderen aber nicht. Darüber hinaus ist eine Transformation des Dativs des Zustandsträgers und des ethischen Dativs in ein Genitivattribut oder Possessivpronomen nicht möglich, bei den anderen doch, aber mit Bedeutungsveränderung (Ausnahme ist der possessive Dativ). Während eine Paraphrase mit für bei dem dativus commodi, bei dem Dativ des Zustandsträgers und bei dem Dativ des Maßstabs zugelassen ist, ist sie bei den anderen freien Dativen unmöglich. Was die semantischen Merkmale angeht, so wurde festgestellt, dass jeder freie Dativ ein für sich selbst typisches semantische Merkmal hat, was zu der Annahme führt, dass diese semantische Merkmale relevanter für die Differenzierung von freien Dativen sind als die syntaktischen, denn je unterschiedlicher die Merkmale der freien Dative, desto klarer die Bestimmung ihrer Status. Doch diese Annahme scheint nicht so einfach zu verdauen, wenn man näher untersucht, wie diese freien Dative implizit interagieren. Diese Untersuchung soll im nachfolgenden Kapitel durchgeführt werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Zur Interaktion zwischen freien Dativen im Deutschen
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Philosophische Fakultät - Fachrichtung für Germanistk)
Veranstaltung
Hauptseminar: Thematische Rollen und Kasus
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
32
Katalognummer
V1025569
ISBN (eBook)
9783346426482
ISBN (Buch)
9783346426499
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thematische Rollen, Kasus, freie Dative, syntaktische Strukturen, Ambiguitäten, operationelle Tests, Ditransitivität im Deutschen, Dativus commodi, Dativus incommodi, Pertinenzdativ, Possessiver Dativ, Dativ des Zustandsträger, Dativus iudicantis, Trägerdativ, ethischer Dati
Arbeit zitieren
Bellenis Fotso (Autor:in), 2020, Zur Interaktion zwischen freien Dativen im Deutschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1025569

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