Gilles Deleuze und der postmoderne Autorenfilm

Versuch einer Taxonomie der Bilder und Zeichen im postmodernen Kino


Bachelorarbeit, 2021

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
1. Der Durchbruch des postmodernen Kinos
2. Fragestellung und Zielsetzung
3. Vorgehensweise: ein scheiternder Versuch

II. Deleuze: der Film als denkendes Medium
1. Hintergrundgedanken: über Materie & Gedächtnis
2. Bild = Bewegung = Materie
2.1 Der innere Kinematograph
2.2 Das Universum als Anordnung von Bewegungsbildern
2.3 Die Dreiteilung des Bewegungsbildes
2.4 Bilder als Zeichen – Kino als Sprache
2.4.1 Sprache ohne Sprachsystem
2.4.2 Die Zeichen des Bewegungsbildes
2.4.3 Denkende Bilder: das Relationsbild
3. Die Krise des Aktionsbildes
3.1 Das sensomotorische Band
3.2 Der Italienische Neorealismus: Alltag in der Nachkriegszeit
4. Das Zeitbild: Auftakt des europäischen Autorenfilms
4.1 Ozus Vase
4.2 Von Gegenwartsspitzen und Vergangenheitsschichten
4.2.1 Erinnerung und Gedächtnis
4.2.2 Bergson – zum Zweiten
4.2.3 Das Kino denkt!
5. Zusammenfassung und Ausblick

III. Die Nouvelle Vague
1. Die politique des auteurs
1.1. Vorbilder
1.2. Die Kamera als Federhalter
2. Jean-Luc Godard als Inbegriff der politique des auteurs
2.1. Le Mépris: erster Archetypus für einen postmodernen Film
2.2. À bout de souffle: zweiter Archetypus für einen postmodernen Film
3. Die Nouvelle Vague und der postmoderne Film: eine Zwischenbilanz

IV. Das postmoderne Kino
1. Unterschiede zur Nouvelle Vague
1.1. Zeitgeschichtlicher Aspekt: Massenkultur und Fernsehen
1.2. Ideologischer Aspekt: Pluralismus in der Postmoderne
2. Was bedeutet postmodern überhaupt?
2.1. Der Postmoderne-Begriff nach Lyotard
2.2. Der Pluralismus siegt
3. Das Kino denkt in Filmen
4. Quentin Tarantino: der Idealtypus des postmodernen Kinos
4.1. Diskontinuitäten und fehlende Erzählstruktur
4.2. Intertextualität
4.3. Selbstreferentialität
4.4. Das Spiel mit dem Genre: eine Stilikone

V. Schlussbemerkung

VI. Quellen und Referenzen
1. Literaturverzeichnis
2. Filmographie
3. Weitere Referenzen

I. Einleitung

1. Der Durchbruch des postmodernen Kinos

Anfang der 1990er Jahre löste der Einzug einer neuen Generation von Filmschaffenden in das kommerzielle amerikanische Kino einen Bruch in der Filmgeschichte aus, der das Medium Film und dessen intermedialen Stellenwert innerhalb der Populärkultur nachhaltig verändern sollte. Man könnte es auch als den Durchbruch des postmodernen Kinos bezeichnen; jedoch ist eine solche Aussage insofern problematisch, als der Begriff Postmoderne ein umstrittener ist. Unumstritten bleibt, dass zu jener Zeit vermehrt Filme auf die Leinwand projiziert wurden, die sich stilistisch von den gängigen Hollywoodstreifen abgrenzten und dennoch ein vergleichbar breites Publikum erreichten. Dabei handelt es sich um vergleichsweise billige Produktionen, die auf filmästhetische und narrative Konventionen zugunsten von künstlerischem Anspruch verzichten und sich keinem spezifischen Genre zuordnen lassen. Sie weisen trotz ihrer Mannigfaltigkeit einige Merkmale auf, die ihnen allen gemeinsam sind, wie etwa Techniken, mithilfe derer die filmische Illusion aufgelöst wird (Selbstreferentialität), oder der auffällig häufige und meist ironisch bis parodisch gebrauchte Einsatz von Filmzitaten (Intertextualität).

Weitaus ironischer ist die Tatsache, dass sich dieselbe Beschreibung auf eine frühere Epoche in der Filmgeschichte anwenden lässt, die die Vorreiterrolle Hollywoods im internationalen filmischen Geschehen schon einmal ins Wanken gebracht hatte: die avantgardistische Bewegung der Nouvelle Vague im Frankreich der 1960er Jahre. Handelt es sich beim postmodernen Film also nicht um ein neuartiges Phänomen? Ist er über drei Jahrzehnte lang unentdeckt geblieben? Der entscheidende Unterschied zwischen dem postmodernen Kino und jenem der Nouvelle Vague ist, dass letzteres – so wie auch das Independent-Kino – nur ein kleines Publikum erreicht hatte, während ersteres sich, wie eingangs erwähnt, einer breiten und kommerziellen Beliebtheit erfreuen durfte. Berücksichtigt man weiters den Umstand der höheren Verfügbarkeit von Filmen in den 90ern, die der technischen Entwicklung von der Videokassette und dem Aufkommen der Videotheken, sowie dem immer umfangreicher werdenden TV-Angebot geschuldet war, leitet sich daraus eine wichtige – wenn auch zugleich paradoxe – Konsequenz ab: der postmoderne Film erreichte einen Mainstream-Status.

Bei genauerem Hinsehen ist das wenig überraschend, denn: „[e]in postmodernes Anliegen […] bestand darin, den Gegensatz zwischen elitärer und populärer Kultur zu überbrücken: » Cross the Border – Close the Gap « war bekanntlich Leslie Fiedlers Schlachtruf“ (Rost 1998, 25). Es ist diese besondere Eigenart des postmodernen Kinos, die ihm seine Reichweite und Beliebtheit verleiht. Keine andere Art des Films vermag es sowohl Cinephilen als auch dem das Blockbuster-Format gewohnten Publikum den gleichen Unterhaltungswert zu bieten. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass es sich bei der Postmoderne um einen bereits länger vorherrschenden Zeitgeist handelt, der mit seinen einschneidenden Veränderungen in Kultur, Wirtschaft und Sozialstruktur unsere Art der Wahrnehmung – auch jene des Films – verändert, die sich wiederum auf die Ästhetik, Form und Technik des Films auswirkt (vgl. Bordwell 1998, 33). Anders gesagt: vielleicht blieb der populäre Erfolg der Nouvelle Vague deshalb aus, weil das gemeine Publikum noch nicht für dessen Rezeption sensibilisiert war. David Bordwell negiert in weiterer Folge die soeben von ihm zitierte Aussage; uns soll sie aber als wichtiger Anhaltspunkt dienen, von dem aus wir einen Konnex zu Deleuze’ Untersuchungen in Bezug auf den Film und das Kino herstellen und so zu dem eigentlichen Anliegen dieser Arbeit kommen wollen.

2. Fragestellung und Zielsetzung

Mit seinen beiden Kino-Bänden (Kino 1. Das Bewegungs-Bild und Kino 2. Das Zeit-Bild) positioniert sich Gilles Deleuze einerseits als Philosoph und untersucht in dieser Rolle Bild, Bewegung und Zeit – jene Komponenten, die einen Film konstituieren – und andererseits als Semiotiker, der sich um eine Klassifizierung der Bilder und Zeichen im Film bemüht. Deleuze merkt zwar gleich zu Beginn selbst an, dass dies keine Abhandlung über die Geschichte des Films sei und das ist auch formal richtig; jedoch ist das besondere an seiner Arbeit, dass er die einzelnen Bildtypen aus bedeutenden filmischen Werken ableitet (vgl. Deleuze 2017, 11). Damit durchläuft er in seinen Büchern – gewollt oder nicht – die Filmgeschichte. Sie zeigt sich in der Korrespondenz zwischen Bildtypen und Zeitgeschehen und teilt sich in zwei grobe Epochen: jene des Bewegungsbildes und jene des Zeitbildes – nach denen auch die Bände benannt sind. Demnach können Filme des klassischen Kinos dem Bewegungs-Bild und Filme des modernen Kinos dem Zeit-Bild zugeordnet werden.

Für Deleuze ist der Film nicht bloß ein Medium der Repräsentation. Das komplexe Zeichensystem – insbesondere jenes der Zeit-Bilder – das er daraus ableitet legt nahe, dass es sich dabei um ein mentales, ein denkendes Medium handelt, das in dieser Hinsicht mit keinem anderen vergleichbar ist. Im Gegensatz zu Malern, Architekten und Musikern lassen sich die „großen Autoren des Films“ als Denker, als Philosophen bezeichnen (vgl. Deleuze 2017, 11). In diesem Zusammenhang thematisiert Deleuze auch das Verhältnis von Kino und Sprache; in seinem Wortlaut: „das schwierigste Problem“ (vgl. Deleuze 2020, 41).

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist ein grundsätzlicher Versuch über eine Fortsetzung von Deleuze’ Betrachtungen. Sein letzter Band ist 1985, also unmittelbar vor dem Auftreten der ersten Prototypen des postmodernen Films so wie er eingangs beschrieben wurde, erschienen. Wie ließe sich das postmoderne Kino in sein Werk einbinden? Anders gesagt: Was hätte Deleuze über die Filme von Ethan und Joel Coen, jenen von David Lynch oder Quentin Tarantino geschrieben? Dazu werden zunächst deren charakteristische Merkmale und Bilder beleuchtet. Lassen sich diese ohne weiteres nach der deleuzeschen Taxonomie klassifizieren, oder treffen wir hier auf neuartige Bildtypen, um die das System erweitert, oder gar von Grund auf adaptiert werden müsste? An dieser Stelle kommt die Nouvelle Vague ins Spiel, die stilistische Ähnlichkeiten zum postmodernen Kino aufweist. Wir erwarten damit Bildtypen mit denen Deleuze sich bereits auseinandergesetzt hat und finden diese auch tatsächlich vor. Die Herausforderung wird also in der Feststellung der Unterschiede liegen, die weniger inner-, als außerfilmisch konstatiert werden. Erinnern wir uns an dieser Stelle an das weiter oben angeführte Zitat über die von der Postmoderne ausgelösten kulturellen Veränderungen und dessen Rückkopplung auf unsere Wahrnehmung. Es ist diese kulturelle „Sinnzirkulation“ (vgl. Engell 2006, 48), der den Bildern des postmodernen Kinos ihre Kraft verleiht. Erst in seiner Verankerung innerhalb einer Populär- und Massenkultur erfährt der postmoderne Film seinen Sinn. Er ist nicht nur dessen Produkt, sondern auch eine Reaktion darauf (vgl. Engell 1992, 15 f.) und diese Erkenntnis möchte er zum Ausdruck bringen (Selbstreferentialität). Gleichzeitig versteht er sich nicht als eine in sich abgeschlossene Einheit, sondern vielmehr als ein transzendierendes Medium innerhalb eines intermedialen Geflechts, das sich der Evokation bedient um sich mitzuteilen (Intertextualität).

3. Vorgehensweise: ein scheiternder Versuch

Dass es sich bei diesem Vorhaben lediglich um einen Versuch handelt ist dem Umstand geschuldet, dass bisher keine Hinweise auf Literatur oder wissenschaftliche Artikel zu diesem konkreten Thema vorliegen, auf die Bezug genommen werden könnte und weil Deleuze selbst von seinen Bänden behauptete darin nur einen Klassifizierungs versuch zu unternehmen (vgl. Deleuze 2017, 11). Zudem ist diese Arbeit durch einen vorgegeben Rahmen begrenzt, was eine vollständige Behandlung des postmodernen Kinos unmöglich macht. Sie beschränkt sich bei den Untersuchungen hauptsächlich auf das Œuvre von Quentin Tarantino mit einer besonderen Gewichtung auf sein früheres Schaffen. Die Wahl ist einerseits damit begründet, dass Tarantinos (frühe) Filme stilistisch abgeschlossen sind, was die Untersuchungen wesentlich erleichtern wird. Andererseits gelten sie als idealtypisch für den postmodernen Autorenfilm.

Wenn hier also die Rede von einer Fortsetzung von Deleuze’ Werk ist, darf das nicht im Sinne eines dritten Kino-Bandes aufgefasst werden. Alleine schon der Umfang und die Begrenzung auf einige wenige Filme würden höchstens den Anspruch auf einen Unterabschnitt eines Kapitels darin stellen. Es darf aber auch nicht auf eine simple Anwendung der deleuzeschen Theorie auf eine eng getroffene Auswahl von Filmen reduziert werden. Der neuartige Charakter des postmodernen Films hebt das Vorhaben auf ein anspruchsvolleres an. Zwar steht die Klassifizierung der Bilder und Zeichen im Mittelpunkt aller Betrachtungen, jedoch wird sie nicht in aller Sorgfalt zu Ende geführt. Demnach müsste man den Untertitel der Arbeit umändern in: „ gescheiterter Versuch einer Taxonomie der Bilder und Zeichen im postmodernen Kino“. Ein gescheiterter Versuch der zu weiteren, wichtigen Erkenntnissen über den Stellenwert des postmodernen Kinos im intermedialen Geflecht der Populärkultur führen wird. Das wiederum wird eine Neubewertung des „schwierigsten Problems“, des Verhältnisses von Film und Sprache, nach sich ziehen.

Zunächst werden im zweiten Kapitel die Kino-Bände von Deleuze dargelegt, von denen auch der Begriffsapparat entlehnt wird. Diese Darlegung endet mit Deleuze’ Betrachtungen zur Nouvelle Vague und Jean-Luc Godard im speziellen, der im dritten Kapitel mit seinem Werk À bout de souffle einer detaillierteren Behandlung unterzogen wird. Von besonderem Interesse sind dabei stilistische Merkmale, die sich später im postmodernen Kino wiederfinden lassen. Im vierten Kapitel schließlich hat das postmoderne Kino seinen Auftritt. Dieses stellt zugleich den Höhepunkt der Arbeit dar.

II. Deleuze: der Film als denkendes Medium

1. Hintergrundgedanken: über Materie & Gedächtnis

Gilles Deleuze’ Kino-Bände räumen ihm sowohl in der philosophischen, als auch in der filmwissenschaftlichen Fachliteratur einen besonderen Stellenwert ein. Seiner Ansicht zu Folge handelt es sich dabei bloß um „eine Taxinomie, ein Klassifizierungsversuch der Bilder und Zeichen“ (Deleuze 2017, 11); ein Klassifizierungsversuch, der weitreichende Erkenntnisse zur Folge hat. Wenn bei Deleuze von einer Philosophie des Kinos die Rede ist, ist damit nicht eine Philosophie über das Kino gemeint, sondern tatsächlich ein Philosophieren des Filmmediums, das uns eine praktische Antwort auf die Problemstellung der Wahrnehmung von Zeit, Bild und Bewegung liefern möchte (vgl. Deleuze 2017, 14 ff.); was von ihm auch als „die historische Krise der Psychologie“ (Deleuze 2017, 84) bezeichnet wird.

Diese Krise, oder genauer gesagt die Rolle eines Denkers darin, stellt zugleich den Ausgangspunkt der Betrachtungen dar. So soll Henri Bergson in seinem Werk Materie und Gedächtnis im Jahre 1896, noch vor der offiziellen Entstehung des Films, mit der Entdeckung des Bewegungsbildes einen essentiellen Kerngedanken vorweggenommen haben, der die Differenz zwischen Bewegung in der materiellen Außenwelt und dem von ihr evozierten mentalen Bild im Betrachter aufheben will. (vgl. Deleuze 2017, 14 ff.) Deleuze möchte das Kino so für eine semiologische Klassifizierung nach der Theorie von Charles S. Peirce zugänglich machen. Damit bietet er aber zugleich eine sensible Angriffsfläche für Kritiker. Diese könnten einwenden, dass es sich dabei lediglich um eine für diesen Zweck zugeschnittene Theorie Bergsons handelt. Deleuze führt aber ein entscheidendes Argument an: das des inneren Kinematographen, welches im folgenden Abschnitt genauer dargelegt werden wird.

2. Bild = Bewegung = Materie

2.1 Der innere Kinematograph

„Die psychologische Krise“ bestand laut Deleuze darin, Bilder und Bewegung als voneinander getrennt zu betrachten. Bilder wären demnach reine Elemente des Bewusstseins und Bewegung nur im materiellen Raum zu verorten. Dabei stellt sich die Frage wie sich diese gegenseitig beeinflussen könnten, wie aus wahrgenommener Bewegung ein Bild wird und wie ein Bild zu einer Handlung bewegen könnte. Henri Bergson widmete sich der Auflösung dieses (dualistischen) Problems. Zunächst gilt es zu klären was Bergson unter einem Bild versteht, nämlich „eine Art der Existenz, die mehr ist als was der Idealist ‚Vorstellungen‘ nennt, aber weniger als was der Realist ‚Ding‘ nennt“ (Bergson 1991, I). Anschließend konkretisiert er: „Ich verstehe die Art des Einflusses, den die äußeren Bilder auf das Bild, welches ich meinen Leib nenne, ausüben: sie übertragen Bewegung auf ihn. Ebenso verstehe ich den Einfluß meines Leibes auf die äußeren Bilder: er gibt ihnen Bewegung zurück“ (Bergson 2018, 12). Um seine Sätze auch zu verstehen, muss eine implizit darin enthaltene Botschaft verdeutlicht werden: Henri Bergson setzt Materie, also die Realität der Außenwelt, in der auch der Leib des Betrachters inbegriffen ist, mit einer Gesamtheit von Bildern gleich: „ Materie nenne ich die Gesamtheit der Bilder, und Wahrnehmung der Materie diese selben Bilder bezogen auf die mögliche Wirkung eines bestimmten Bildes, meines Leibes “ (Bergson 2018, 13).

Der zweite Teilsatz stellt die gedankliche Grundlage für Deleuze Argument des inneren Kinematographen dar. Ursprünglich stammt der Begriff von Bergson selbst, der ihn in seinem zehn Jahre später erschienen Werk L’Évolution créatrice dazu verwendete um den Film als eine Illusion, eine Darstellung falscher Bewegung abzuwerten. Zwar stimmt Deleuze in diesem Punkt mit ihm überein, denn die Reduktion von Bewegung auf eine sequentielle Aneinanderreihung von unbewegten Bildern widerspricht Bergsons ursprünglicher These von der Bewegung und es würde sich dabei tatsächlich nur um eine (kinematographische) Illusion handeln; aber: „[w]enn der Film mit unbeweglichen Schnitten die Bewegung rekonstruiert, geht er nach Bergson in der Tat nicht anders vor als das älteste Denken […] oder die natürliche Wahrnehmung“ (Deleuze 2017, 14). Belegt wird das mit einem Zitat aus L’Évolution créatrice:

»Von der vorübergleitenden Realität nehmen wir sozusagen Momentbilder auf, und weil diese Realität charakteristisch zum Ausdruck bringen, genügt es uns, sie längs eines abstrakten, gleichförmigen, unsichtbaren, auf dem Grunde des Erkenntnisapparats liegenden Werdens aufzureihen… Wahrnehmung, intellektuelle Auffassung, Sprache, sie alle verfahren so. Ob es sich nun darum handle, das Werden zu denken, oder auszudrücken, ja, es wahrzunehmen – wir tun nichts weiter, als einen inneren Kinematographen in Tätigkeit zu setzen.« (Bergson zit. nach Deleuze 2017, 14)

Handelt es sich also beim Film bloß um eine Illusion von Bewegung, die sich in Form eines Durchschnittsbildes einer Sequenz äußert, so ist diese Illusion weitaus näher an der natürlichen Wahrnehmung, als die der Illusion zugrundeliegende reale Bewegung. Die filmische Reproduktion der Illusion führt sozusagen zu dessen Korrektur. Der Film gibt uns nicht ein Bild oder eine Bewegung als Durchschnittsbild, aus dem ein Bild der Bewegung zu abstrahieren wäre, sondern unmittelbar ein Bewegungsbild. (Vgl. Deleuze 2017, 14 f.)

Hier scheidet sich Deleuze von klassischen philosophischen Positionen über den Film, wie der phänomenologischen. Das Kino erscheint dadurch unter einem neuen Gesichtspunkt. Im nächsten Schritt wird die Identität von Bild, Bewegung und Materie konstatiert und somit die Grundlage für eine semiotische Klassifizierung des Films – genauer: seiner Elemente – geschaffen.

2.2 Das Universum als Anordnung von Bewegungsbildern

Ein Bild ist immer von den Aktionen, denen es unterliegt und den Reaktionen, die es bewirkt, begleitet und von diesen ununterscheidbar. „Alle Dinge, das heißt alle Bilder fallen mit ihren Aktionen und Reaktionen zusammen […] ein Ensemble aus Aktionen und Reaktionen“ (Deleuze 2017, 86f.). Die Menge aller Bilder bezeichnet Deleuze als Ebene der Immanenz. Diese Ebene enthalte das An-sich der Bilder, die ihnen zugehörige Materie. Daraus folgt die absolute Identität von Bild und Bewegung und demnach jene von Bewegungsbild und Materie. (Vgl. Deleuze 2017, 87)

Zusammengefasst: Deleuze liest in Bergsons Theorie eine Auffassung von der Welt als Film. „Das materielle Universum, die Ebene der Immanenz, ist die automatische Anordnung der Bewegungsbilder“ (Deleuze 2017, 88). Nun stellt er sich vor die Frage, wie diese Bilder von einem erkennenden Subjekt wahrgenommen werden, bzw. wie sie als Zeichen gedeutet werden.

Diese Argumentationsstruktur stellt nicht nur das Fundament für die Kinotheorie von Deleuze dar, sondern auch jenes dieser Arbeit. Daher war auch eine Rekapitulation in aller Ausführlichkeit notwendig. Im weiteren Verlauf wird auf eine ausführliche Darlegung der Zeichentheorie von Peirce verzichtet. Das mag hinsichtlich des eigentlichen Vorhabens dieser Arbeit, nämlich einer Taxonomie überraschend wirken. Retrospektiv wird sich jedoch dieser Verzicht zugunsten einer Übersichtlichkeit als schlüssig erweisen. Im Anschluss wird zwar kurz in Bezug auf das Bewegungsbild darauf eingegangen, dies dient aber nur einem exemplarischen Zweck, um das Vorgehen von Deleuze zu verdeutlichen. Viel wichtiger und notwendig ist es den Begriffsapparat von Deleuze offenzulegen, der später bei der Deutung der Bilder im postmodernen Kino zum Einsatz kommen wird. Ebenso wird hier auf das Rezitieren der zahlreichen Filmbeispiele, die Deleuze in seinen Büchern anführt, verzichtet.

2.3 Die Dreiteilung des Bewegungsbildes

Nachdem nun gezeigt wurde, dass Bewegungsbilder für einen Betrachter die gleichen Qualitäten aufweisen, wie die Bewegungen in der materiellen Außenwelt, oder wie Deleuze es zum Schluss formuliert hat: wenn sich alles, was der Wahrnehmung des Betrachters zugänglich ist, auf einer Ebene der Immanenz in Form von Bildern manifestiert; nachdem das konstatiert wurde stellt sich die Frage: Wie werden diese Bilder dann vom Betrachter gedeutet? Wie lassen sich diese Bilder Zeichen gegenüberstellen?

Dazu ist der Begriff des Intervalls von zentraler Bedeutung. Bergson meint damit die Verzögerung zwischen zwei Bewegungen, der einwirkenden Aktion, dem wahrgenommenen Reiz und der darauffolgenden Reaktion eines sensomotorischen Lebewesens. Wobei es sich bei komplexen Lebensformen um unvorhersehbare Reaktionen handelt. Diese werden dementsprechend als „Zentren der Indeterminiertheit“ bezeichnet. In ebendieser indeterminierten Verzögerung liegt die Deutung eines von außen wahrgenommen Reizes oder Bildes, die drei Ausprägungen, haben kann, was auf die „drei Momente der Subjektivität“ zurückgeführt wird. (Vgl. Deleuze 2017 92 ff.)

Das erste Moment ist eine Reduktion des ursprünglichen Bildes auf das, was daran interessiert. Eine solche Reduktion des Bewegungsbildes heißt Wahrnehmungsbild. Diese Wahrnehmung hat eine verzögerte Reaktion, die, da sie indeterminiert ist, richtigerweise Aktion genannt werden sollte, zur Folge. Dem Indeterminationszentrum – also dem erkennenden Subjekt – bieten sich auf Grundlage des Wahrgenommenen mehrere Möglichkeiten darauf zu reagieren, bzw. zu handeln. Bergson spricht von einer Krümmung der Welt. „Durch die Krümmung bieten mir Dinge ihre nützliche Seite dar, während meine verzögerte, Aktion gewordene Reaktion ihre Verwendung erlernt.“ (Deleuze 2017, 95). In dieser Abwägung von Handlungsmöglichkeiten liegt das zweite Moment der Subjektivität und nennt sich Aktionsbild. Das dritte und letzte Moment ist völlig losgelöst von den äußeren Bewegungen. Die Rede ist vom Affekt, der sich im Subjekt regt und dem dazu entsprechenden Affektbild. „Er setzt die Bewegung zu einer »Eigenschaft« (Adjektiv) in Beziehung, die als Zustand erlebt wird.“ (Deleuze 2017, 96). Interessant ist, wie Deleuze diese drei „Spielarten“ des Bewegungsbildes in den klassischen Kameraeinstellungen wiederfindet: „die Totale wäre vor allem ein Wahrnehmungsbild, die Halbnahaufnahme ein Aktionsbild und die Großaufnahme ein Affektbild.“ (Deleuze 2017, 102)

2.4 Bilder als Zeichen – Kino als Sprache

Peirce baute seine Semiotik auf allgemeine, von der Sprache losgelöste Bilder und Zeichen auf. Für Deleuze ist das von entscheidender Bedeutung, wenn man sich vor Augen führt wie er das Verhältnis von Kino und Sprache betrachtet. Bevor nun genauer auf das Verhältnis von Bildern zu Zeichen eingegangen wird, muss zunächst dieses erstere, weitaus schwierigere Verhältnis geklärt werden.

2.4.1 Sprache ohne Sprachsystem

Gängige – meist strukturalistische – Ansätze, die sich hierzu finden lassen, lehnt er vehement ab. Die meisten Versuche scheitern deshalb, weil sie von der Linguistik, einer auf das System der gesprochenen Sprache fußenden Zeichentheorie, ausgehen würden und im Umkehrschluss verkennen, dass die Linguistik selber nur eine Subdisziplin innerhalb einer allgemeineren Wissenschaft der Zeichen sein kann: „Das Prinzip, dem zufolge die Linguistik nur ein Teil der Semiologie ist1, erfüllt sich also in der Definition von Sprachen [ langages ] ohne Sprachsystem [ langue ] (Semien), unter die das Kino ebenso fällt wie die gestische, vestimentäre und musikalische Sprache“ (Deleuze 2020, 42). Christian Metz ist ein Strukturalist unter vielen, der hier eine Ausnahme darstellt. Er hat Deleuze zufolge richtig erkannt, dass es sich bei der filmischen um eine abstrakte Sprache (langage), ohne einem zugrundeliegenden Sprachsystem, einer langue handeln muss (vgl. Deleuze 2020, 41 f.) Es stellt sich die Frage, wie die einzelnen Elemente, bzw. Zeichen einer solchen abstrakten Sprache semiologisch einzuordnen sind.

In seiner Semiologie des Films geht Metz von der Linguistik als semiologischem Modell der verbalen Sprache aus und versucht dieses für den Film zu adaptieren. Ihr wird damit – wie auch von Saussure – gegenüber der Semiologie eine untergeordnete Rolle zugewiesen:

Denn folgender Irrtum liegt nahe: aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet besitzt das Kino alle Kennzeichen dessen, was es nicht ist. Es ist augenscheinlich eine Art von Sprache [langage]; man hat in ihm eine Sprache [langue] gesehen. […] Die Semiologie kann und muss sich stark auf die Linguistik stützen, aber sie verschmilzt nicht mit ihr. (Metz 1972, 63)

Wie nun erfolgt diese Adaption? Metz sieht im Film grundsätzlich eine erzählende Instanz und versucht zwischen seinen Grundelementen (Bild, Montage, Kamerabewegung) und den Elementen einer gesprochenen Sprache eine Analogie herzustellen. Jedoch scheiden sich hier die Wege von Deleuze und Metz wieder. Deleuze kritisiert ihn in mehreren Punkten. Einerseits führt die Analogie des Bildes mit einer gesprochenen Aussage zu einem Zirkelschluss: „Es entsteht somit ein typischer kantischer ciculus vitiosus: die Syntagmatik kommt zur Anwendung, weil das Bild eine Aussage ist; und eine Aussage ist das Bild eben, weil es der Syntagmatik unterworfen ist.“ (Deleuze 2020, 42). Mit anderen Worten lassen sich die Regeln der Sprache an den Bildern anwenden, weil diese Sätze sind, oder sind Bilder Sätze, weil sich darauf die Regeln der Sprache anwenden lassen? Außerdem wäre das unvereinbar mit Deleuze’ Bemühungen einer Peirce’schen Klassifizierung von Bildern. Die eigentliche Schwierigkeit liegt aber in der Verletzung der Identität von Bild und Materie, wie sie weiter oben konstatiert wurde. Das Bild hat nicht die Funktion eines Signifikanten; es ist vielmehr ident mit dem Objekt, das es abbildet. „Das BewegungsBild ist der Gegenstand, es ist die Sache selbst, die in der Bewegung als kontinuierliche Funktion erfasst wird.“ (Deleuze 2020, 44). Und ferner: „Die Erzählhandlung ist niemals eine sichtbare Gegebenheit der Bilder oder die Wirkung einer ihnen zugrunde liegenden Struktur; vielmehr ist sie eine Konsequenz der selbst sichtbaren und von sich aus wahrnehmbaren Bilder“ (Deleuze 2020, 43).

Für Deleuze ist die Sprache des Films, eine der Gegenstände der Realität und im Grunde keine Sprache im Sinne einer gesprochenen Sprache, sondern eben jenes Zeichensystem, das er in seinen Untersuchungen aufzubauen versucht. Aus ebendiesem Grund erachtet Deleuze die peircesche Klassifizierung als geeignetes Modell für den Film.

2.4.2 Die Zeichen des Bewegungsbildes

Peirce zufolge kann ein Bild in eine von drei Kategorien fallen, die hierarchisch aufgestellt sind. Das heißt gehört das Bild einer höheren Kategorie an, so sind die darunterliegenden Kategorien ebenfalls in ihm enthalten. Eine für sich alleinstehende Qualität entspricht der Erstheit – beispielsweise eine Farbe. Das durch ein anderes bedingte entspricht der Zweitheit – beispielsweise Rauch, der Feuer signalisiert. Besteht etwas in der Beziehung zweier Dinge zueinander, so spricht man von der Drittheit - hierbei handelt es sich um Bedeutungskonventionen, Regeln und Relationen. Das Zeichen gliedert sich bei Peirce auch in drei Aspekte: dem Zeichen selbst (Repräsentant), dem Objekt, auf das es sich bezieht und dem interpretierenden Subjekt (Interpretant). Daraus erhält man insgesamt neun verschiedene Zeichenelemente und zehn korrespondierende Zeichen. (Vgl. Deleuze 2020, 47 f.)

Wendet man dieses Modell am Bewegungsbild an, so entspricht das Affektbild der Erstheit, das Aktionsbild der Zweitheit und das Relationsbild der Drittheit. Das Wahrnehmungsbild erhält einen besonderen Stellenwert, da er allen anderen Bildtypen vorausgeht und diese bedingt. Deleuze nennt das die „Nullheit“. Bei dieser Modifikation ist es fragwürdig, ob die Integrität von Peirce’ Theorie dabei unangetastet bleibt.

Nach dieser Aufschlüsselung, die eher einem exemplarischen, als einem inhaltlichen Zweck dienen sollte, liegt das Interesse bei einem bisher noch unerwähnt gebliebenem Begriff: das Relationsbild, welches der dritten, der mentalen Kategorie nach Peirce zugeordnet wurde. Was ist das Mentale an einem Bild? Und können Bilder demzufolge denken?

2.4.3 Denkende Bilder: das Relationsbild

In der Aktion sind zweifellos mentale Komponenten enthalten, da sie kausalen Gesetzmäßigkeiten gehorchen muss. Sie deshalb als Drittheit zu identifizieren wäre aber ein Irrtum, denn: „Eine Aktion setzt zwei Terme in Beziehung, aber dieses raumzeitliche Verhältnis […] darf nicht mit einer logischen Relation verwechselt werden“ (Deleuze 2017, 264). Folgerichtig handelt es sich beim Aktionsbild um eine Zweitheit. Die Drittheit veranlasst ebenso „nicht zu Wahrnehmungen, sondern zu Deutungen […]; nicht Affekte, sondern intellektuelle Gefühle von Relationen, etwa die Gefühle, die mit der Verwendung logischer Konjunktionen […] einhergehen“ (Deleuze 2017, 264).

Das Bild, das einer Drittheit entspricht, das sogenannte mentale Bild, muss in Analogie zu den anderen Bildern auch auf ein Äußeres, Reales und Materielles verweisen. „ Es ist ein Bild, das sich Relationen zum Gegenstand nimmt, symbolische Akte, intellektuelle Gefühle.“ Jener Unterschied, der diesem Bild sein mentales Charakteristikum verleiht liegt in seinem direkten Verhältnis zum Denken. (Vgl. Deleuze 2017, 266)

Um zu verdeutlichen wie dieses mentale Bild zu verstehen ist, zieht Deleuze Hitchcock heran, der es schaffte „dem mentalen Bild einen solchen Platz im Film zu verschaffen, daß darin alle anderen Bildtypen zum Abschluß und zur Vollendung gelangten“ (Deleuze 2017, 267). So sind alle Bildtypen durch das Mentale miteinander verwoben und bilden eine kausale Kette, die umso deutlicher wird, je weiter die Handlung voranschreitet:

Das Wesentliche ist auf jeden Fall, daß die Handlung ebenso wie die Wahrnehmung und Affekt in ein Gewebe von Beziehungen eingefügt werden. Eben diese Beziehungskette konstituiert das mentale Bild, im Gegensatz zu dem aus Handlungen, Wahrnehmungen und Affekten gebildeten Einschuß. (Deleuze 2017, 268 f.)

Hitchcock brachte den Film in gewisser Weise auf die Spitze der Perfektion, in der jedes einzelne Bild mit mathematischer Präzision platziert zu sein scheint. Seine Filme weisen eine Struktur auf, wie eine abgeschlossene, konsistente Beweisführung. Darin liegt die Kraft der mentalen Bilder, die alle anderen Bildtypen umrahmt, transformiert und durchdringt. Deshalb könnte man sagen, dass durch Hitchcock der Film – als Bewegungsbild wohlgemerkt – überhaupt zu seinem Abschluss, zu seiner Vollendung gelangt. (Vgl. Deleuze 2017, 274)

3. Die Krise des Aktionsbildes

Bisher wurde gezeigt wie sich Bewegungsbilder semiotisch klassifizieren lassen, ohne von (gesprochener) Sprache bedingt zu sein. Filme weisen so, innerhalb eines Intervalls, ausgehend von der Wahrnehmung bis hin zur Relation, eine geschlossene logische Struktur auf. Dadurch konnte dem Kino eine eigene, eine filmische Sprache, die in eigenen Bildern und Zeichen denkt, eingeräumt werden. Weiters wurde gezeigt, wie das Bewegungsbild bei Hitchcock zu seiner Vollendung gelangte. Was danach folgte, sollte das Ende der Ära des klassischen Films bedeuten: die Krise des Aktionsbildes.

3.1 Das sensomotorische Band

Das Bewegungsbild ist von Handlung (Aktion) bestimmt. Es unterliegt einer Narration, einer linearen und kausalen Verkettung von Ereignissen, die es in einer Aneinanderreihung von Bildern zu rekonstruieren gilt. Eine geeignete Wahl von Montagetechniken und Kadrierung sollte dabei als Hilfe dienen. Das sogenannte continuity-editing – zu Deutsch der unsichtbare Schnitt, der dem Zuseher die Illusion von kontinuierlichen Übergängen zwischen den Bildern vortäuschen, oder im besten Fall diesen Übergang gar nicht erst wahrnehmen lassen möchte, galt im klassischen Hollywood als eine Tugend. Wahrnehmung geht immerzu in Handlung über und Handlung in Wahrnehmung, ohne eine Lücke dazwischen zuzulassen. Dieses sensomotorische Band stellt einen unverzichtbaren Umstand des Bewegungsbildes dar. Darauf gründet sich die filmische Illusion, die eine abgebildete Realität suggeriert und den Zuseher vermittels mentaler Bilder – Relationsbilder – in den Film einzubeziehen vermag.

Denkt man hingegen an moderne Filme, lassen sich darin häufig Situationen feststellen, die dieses Prinzip des sensomotorischen Bandes verletzen. Das kann Bildern von einer bestimmten Art, aber auch der Erzählstruktur oder Montage geschuldet sein. Im Laufe der Geschichte des klassischen Kinos finden sich zahlreiche Beispiele dafür. Es stellt sich die Frage: „[w]äre denn eine Krise des Aktionsbildes überhaupt etwas Neues?“ (Deleuze 2017, 275) Immer wieder lassen sich Episoden finden, die außerhalb der Handlung stehen: tote Zeiten, eingeschobene Aktionen, ungeschickte Ortswechsel oder Montagen (vgl. Deleuze 2017, 275).

Der Unterschied liegt darin, ob es sich dabei um gewollte oder ungewollte Umstände handelt. Es gibt auch Ausnahmen auf die weder das eine noch das andere zutreffen sollte. Der Grund dafür könnten konzeptionelle Neuerfindungen und Weiterentwicklungen sein. Als Beispiel sei hier Citizen Kane () genannt. Die Verfilmung einer non-linearen Erzählstruktur, wie sie von Herman Mankiewicz vorgelegt wurde, konnte gar nicht anders als mit dem sensomotorischen Band zu reißen. Ein anderer Grund kann auf besondere politische Situationen zurückgeführt werden. Die darauf zurückzuführenden Veränderungen in der Sozialstruktur würden rückwirkend einen Einfluss auf den Film nehmen (vgl. Deleuze 2017, 276).

Gewollt, nicht gewollt, oder weder noch, durch die Auflösung der sensomotorischen Verbindung zwischen den Bildern, muss eine andere Art von Bildtypus an die Stelle treten, wo früher das Relationsbild die einzelnen Spielarten der Bewegung – die Wahrnehmung, die Aktion und den Affekt – in Beziehung setzte und so eine Abgeschlossenheit suggerierte. Sonst droht der Film in einer willkürlichen Aneinanderreihung von nichtssagenden Bildern – Deleuze nennt sie Klischees (vgl. Deleuze 2017, 279) – zerfließen. Neue Zeichen, die hier als sinnstiftende Vermittlungsinstanz fungieren sollen, werden benötigt. Dieser neue Bildtypus entsteht außerhalb der illusorischen Blase des Hollywoodkinos, in Asien und vor der Kulisse der europäischen Nachkriegszeit (vgl. Deleuze 2017 276 f.)

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Details

Titel
Gilles Deleuze und der postmoderne Autorenfilm
Untertitel
Versuch einer Taxonomie der Bilder und Zeichen im postmodernen Kino
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Deleuze/Perice/Bergson: Bewegungs-Bild und Zeit-Bild
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
29
Katalognummer
V1026157
ISBN (eBook)
9783346427953
ISBN (Buch)
9783346427960
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gilles Deleuze, Kino, Postmoderne, Quentin Tarantino, Film, postmodern, Nouvelle Vague, Jean-Luc Godard, Popkultur, Massenkultur, Massenmedien, Populärkultur
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Aleksandar Nikucic (Autor:in), 2021, Gilles Deleuze und der postmoderne Autorenfilm, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1026157

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Titel: Gilles Deleuze und der postmoderne Autorenfilm



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