Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Annäherung an die Figur des Pfarrers und geschichtliche Einordnung
2 Analyse und Bedeutung des Pfarrers
2.1 Erster Eindruck vom Pfarrer in Bezug auf die Farbwahlen
2.2 Definitionen von Fetischismus
2.3 Auftreten der weißen Wäsche
2.4 Bedeutungen der weißen Wäsche für den Pfarrer
2.5 Bedeutung des Pfarrers für den Text
3 Fazit
4 Literatur- und Quellenverzeichnis
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur
4.3 Internetquellen
1 Ann äherung an die Figur des Pfarrers und geschichtliche Einordnung
Der Pfarrer, dessen Name unbekannt ist, ist eine Figur aus der Novelle „Kalkstein“ von Adalbert Stifter aus dem Jahr 1853, welche in der Sammlung „Bunte Steine“ erschien.
Er ist die Hauptperson der Geschichte und scheint im ersten Augenblick nicht besonders spannend zu sein.
In der Novelle geht es um einen Landvermesser, welcher auf einem Kirchenfest auf den Pfarrer vom Kar aufmerksam wird, da er äußerlich sehr arm aussieht und immer wieder versucht, seine Handkrausen unter die Ärmel zu schieben. Nach 8 Jahren wird der Vermesser in die Gegend geschickt, wo auch der Pfarrer arbeitet und die beiden lernen sich besser kennen. Eines Tages gibt es ein starkes Gewitter und der Vermesser übernachtet beim Pfarrer, wobei er mitbekommt, dass er die feinste weiße Wäsche besitzt.
Am nächsten Tag beobachtet der Landvermesser, wie der Pfarrer den Schulkindern hilft, einen überschwemmten Fluss zu überqueren. Später wird der Pfarrer krank und als der Vermesser zu Besuch kommt, erzählt der Pfarrer ihm seine Lebensgeschichte. Angefangen bei der Kindheit über die Jugend und Begegnung mit Johanna bis hin zum Erwachsensein. Daraufhin erhält der Vermesser eines der drei Testamente des Pfarrers zur Aufbewahrung. Später verlässt der Vermesser das Steinkar, doch die beiden bleiben in Kontakt. Nach dem späteren Tod des Pfarrers aufgrund einer Krankheit kehrt der Vermesser zur Testamentseröffnung zurück. Da das angesparte Geld des Pfarrers nicht für seinen Wunsch (zum Bau einer eigenen Schule für die Kinder des Kar) reicht, spenden wohlhabende Menschen Geld, damit der letzte Wille des Pfarrers geschehe.
In dieser Arbeit soll die scheinbar durchsichtige und uninteressante Figur des Pfarrers in Hinblick auf seine Beziehung zur weißen Wäsche, welche ein durchgängig auftretendes Motiv ist, analysiert werden.
Dabei wird zunächst der erste Eindruck vom Pfarrer in Bezug auf die Farbwahlen analysiert. Weiterhin werden verschiedene Definitionen des Fetischismus folgen, um später die unterschiedlichen Bedeutungen der weißen Wäsche für den Pfarrer analysieren zu können.
Dies wird unter Einbindung verschiedener Sekundärliteratur erfolgen. Abschließend folgt die allgemeine Bedeutung des Pfarrers für die Novelle.
Es sei erwähnt, dass die Journalfassung („Der arme Wohlthäter“) der Erzählung „Kalkstein“ in einigen Aspekten von jener abweicht. Auf diese wird der Vollständigkeit halber kurz Bezug genommen.
2 Analyse und Bedeutung des Pfarrers
Nachfolgend soll gezeigt werden, dass der Pfarrer bei genauerer Betrachtung eine ambivalente und interessante Figur in Stifters „Kalkstein“ ist. Ferner soll gezeigt werden, dass nebenbei von Stifter versteckte Motive, wie der Schwarz-Weiß-Kontrast, die Farbe Rot, ein Pfirsich und letztlich das Wichtigste: die weiße Wäsche, eine wichtige Bedeutung für den Pfarrer und somit für die Novelle an sich haben.
2.1 Erster Eindruck vom Pfarrer in Bezug auf die Farbwahlen
Zu Beginn der Novelle beschreibt der Landvermesser den Pfarrer hinsichtlich seiner äußeren Erscheinung: Er sitze freundlich und lächelnd da, höre aufmerksam den Gesprächen zu, doch sage selbst nichts. Er ist nicht allzu groß und die Kleidung die er trägt, sowohl seine Beinbekleidung und Weste, als auch die Strümpfe und Schuhe, schlichtweg alles, scheint sichtlich abgetragen zu sein.1
„Er hatte ein längliches sanftes fast eingeschüchtertes Angesicht mit sehr schönen blauen Augen. Die braunen Haare gingen schlicht gegen hinten zusammen, es zogen sich schon weiße Fäden durch sie, die anzeigten, daß er sich bereits den fünfzig Jahren nähere, oder daß er Sorge und Kummer gehabt haben müsse.“2 Dies sind die ersten Eindrücke des Vermessers in Bezug auf den Pfarrer. Interessant an den Beschreibungen des Vermessers sind allerdings die, auf den ersten Blick unscheinbaren, Schwarz-Weiß-Kontraste. So sagt er über den Pfarrer bereits zu Anfang: „… seine schwarze Gestalt ragte über das weiße Linnengedeke der Tafel empor…“3. Weiterhin finden sich Beschreibungen wie: „ Die schwarze Weste war sehr lang,[…]. Die winzigen kleinen Läppchen von weißer Farbe- das einzige Weiße, das er an sich hatte- die über sein schwarzes Halstuch herabgingen, bezeugten seine Würde.“4 Dabei ist der Kontrast zwischen Schwarz und Weiß und ebenso von schwarzer Kleidung und weißer Wäsche deutlich zu sehen. Auf letzteres wird später nochmal eingegangen. Wenn man die Geschichte, mit dem Schwarz-Weiß-Kontrast im Hinterkopf, liest, dann fallen noch ein paar mehr Stellen im Text auf, wo dieser Anklang findet. So beispielsweise beim Gewitter oder im täglichen Abendmahl, welches der Pfarrer zu sich nimmt. Bestehend aus schwarzem Brot und Milch.5 Diese Schwarz-Weiß-Kontraste lassen „ihn selbst als Verkörperung eines elementaren Gegensatzes erscheinen…“ wie Doerte Bischoff schreibt.6
Neben dem Schwarz-Weiß-Kontrast ist auch die Farbe Rot sehr präsent. Sie zieht sich beispielsweise durch die Beschreibung der Kleidung des Pfarrers (rötlicher Schimmer), des Gewitters (rötlicher Schein), des Abendmahls (Erdbeeren), Johannas´ Gesichts (rote Wangen und Lippen), des Pfirsichs (rote Wangen) und der Bänder, mit welcher die zusammengehörige Wäsche gebunden wurde (rotseidene Bänder).7 Die Farbe Rot wird später noch eine wichtige Bedeutung haben, bei der Analyse einer Bedeutung der weißen Wäsche für den Pfarrer.
2.2 Definitionen von Fetischismus
Fetischismus ist in der heutigen Zeit sehr negativ konnotiert, doch wird dabei meist nur an den Fetisch in sexueller Hinsicht gedacht.
Das Wort „Fetisch" an sich kann aus mehreren Sprachen hergeleitet werden, so beispielsweise aus dem portugiesischen Wort feitiço, welches so viel bedeutet wie „unecht, künstlich, nachgemacht; Hexerei, Zauberei“ oder aus dem französischen fétiche ‚Zauber(mittel). Weiterhin von dem lateinischen Wort facticius („nachgemacht, durch Kunst gemacht“), zu lateinisch facere („tun, machen“). Bei Naturvölkern bedeutet ein Fetisch, dass einem Gegenstand magische Kraft zugesprochen wird.8
Neben der Wortherkunft gibt es noch die Definition des Fetischismus nach Marx, den Warenfetischismus. Dabei beschreibt Marx, dass beispielsweise Holz durch Menschen zu einem Tisch verarbeitet wird. Der Tisch bleibt aber Holz, nur eben verarbeitet. Sobald der Tisch zu einer Ware wird und eine zusätzliche Eigenschaft, welche sie von Natur aus nicht besitzt, wie zum Beispiel einen Tauschwert, bekommt, spricht man vom Warenfetischismus.9
Ferner gibt es noch den Fetisch in sexueller Hinsicht, dabei wird auf Gegenstände oder bestimmte Körperteile der Sexualtrieb gerichtet. Erwähnt wird dieser hier aufgrund der Annahme, dass jener auch in „Kalkstein“ eine nicht zu verachtende Rolle spielt.10
2.3 Auftreten der weißen Wäsche
Das Motiv der weißen Wäsche zieht sich durch die gesamte Erzählung hindurch. Gleich zu Beginn der Erzählung fällt dem Vermesser bei der Beschreibung des Pfarrers auf, dass seine „… zwei winzig(en) kleinen Läppchen von weißer Farbe […] über sein schwarzes Halstuch herabgingen, bezeugten […] . Bei den Ärmeln gingen, wie er so saß, manchmal ein ganz klein wenig eine Art Handkrausen hervor, die er immer bemüht war wieder heimlich zurück zu schieben“11. Der Vermesser nahm an, dass sie in ebenso schlechtem Zustand seien, wie seine sichtbare Bekleidung.12
Bei späteren Besuchen fiel dem Landvermesser dann auf, dass die weiße Wäsche keinesfalls in schlechtem Zustand ist und sich der Pfarrer demzufolge nicht hätte für das Hervorschauen der Handkrausen schämen müssen.13 Der Vermesser beschreibt die Wäsche als „feinste und schönste Wäsche, welche ich jemals auf Erden gesehen hatte. Diese Wäsche war auch immer in der untadelhaftesten Weiße und Reinheit, wie man es nach dem Zustande seiner Kleider nie vermutet hätte.“14 Auch in der Gewitternacht wird die Wäsche erneut aufgegriffen: „Dann öffnete er einen der gelben Schreine, nahm ein Leintuch von außerordentlicher Schönheit, Feinheit und Weiße heraus, tat es auseinander, und breitete es über mein Lager.“15 Auffällig an den beiden zuvor genannten Textstellen ist, dass die Wäsche mit an nahezu grenzender Übertreibung beschrieben wird. Bemerkbar macht sich dies an der Verwendung der Adjektive: feinste, schönste und außerordentlich.
Die in der Erzählung erste und für den Pfarrer prägendste Begegnung mit der weißen Wäsche ist zugleich die Begegnung mit seiner Jugendliebe Johanna.
Als er dem Vermesser von seiner Kindheit erzählte, sagte er auch, dass im Garten neben dem Haus seines Bruders und ihm eine Frau eine Waschanstalt errichtete und ihre Tochter ihr dabei geholfen habe. Als er das Mädchen erblickte, beschrieb er sie als wunderschön und da er wusste, zu welcher Zeit sie in dem Garten war, ging er ebenfalls herunter, um sie zu beobachten. Eines Tages sprachen sie auch miteinander und der spätere Pfarrer bat Johanna, das Mädchen, ihm zu zeigen, was sie in ihrem Korb habe. Dies tat sie und er erblickte feine weiße Wäsche einer alten Gräfin. Beide unterhielten sich noch darüber, wobei Johanna weiße Wäsche mit Silber verglich. Nach dieser Begegnung fing der Pfarrer an, sich selbst mit weißer Wäsche einzudecken und sich silberne Haushaltswaren zu kaufen. Er ließ sogar Kästen zur Aufbewahrung der Wäsche und des Silbers in sein Zimmer stellen. Eines Tages ertappte die Mutter von Johanna die beiden am Gitter, welches die beiden Gärten voneinander trennte und daraufhin haben sie sich nicht mehr gesehen. Später verließ Johanna die Stadt, heiratete einen anderen Mann und der junge Pfarrer war darüber sehr traurig.16
Diese Textstelle ist eine Schlüsselstelle zur Analyse der Bedeutung der Wäsche für den Pfarrer und der Geburt des Fetischs.
Nach dem Tod des Pfarrers hieß es: „Man legte ihm das Schönste seiner Wäsche an. Dann zog man ihm sein fadenscheiniges Kleid an, und über das Kleid den Priesterchorrock.“17 Demzufolge begleitete ihn die weiße Wäsche von Anbeginn seiner Jugend bis zum Dahinscheiden. Der Vermesser erwarb nach des Pfarrers Tod die Wäsche, als Andenken an ihn.
2.4 Bedeutung der weißen Wäsche für den Pfarrer
Wie man an vorherigen Ausführungen zweifellos erkennen kann, hat die weiße Wäsche eine große Bedeutung für den Pfarrer.
Zu diesem Thema gibt es in der Literatur verschiedene Auffassungen darüber, welche Bedeutung sie für ihn hat. Heißt es bei den einen, dass sie reine Erinnerung verkörpert, so ist sie für die anderen ein sexueller Fetisch des Pfarrers.
Nachfolgend werde ich verschiedene Standpunkte erläutern und aufzeigen, dass die weiße Wäsche vermutlich nicht nur eine Bedeutung für den Pfarrer hat, sondern diverse Bedeutungen für ihn trägt.
„Mit seiner absonderlichen Liebe zur weißen Wäsche ist der Pfarrer wohl die am offenkundigsten fetischistische Figur Stifters.“18, schreibt Doerte Bischoff in ihrem Buch „Poetischer Fetischismus. Der Kult der Dinge im 19. Jahrhundert“. Dieser Fetischismus lässt sich unterschiedlich betrachten, da es eine Doppelvalenz der Wäsche gibt und jene als ambivalentes Zeichen gilt, denn „ihre makellose Reinheit verweist paradoxerweise immer zugleich auf die trübe Sphäre des Körperlich-Erotischen.“19
Zum einen ist ganz offensichtlich zu erkennen, dass die Wäsche für den Pfarrer zeitlebens Reinheit verkörpert. Schon bei der ersten bewussten Begegnung mit der Wäsche im Garten einer Waschanstalt fasziniert ihn die Weiße und Reinheit.20
Die Wäsche hängt hoch, sowohl auf einer Leine, als auch im übertragenen Sinn, denn es geht nicht nur um die materielle Existenz der Wäsche21, sondern darum „den Stoffen und Materialien ihre eigene Würde und Qualität …“22 zuzuschreiben meint Elsbeth Dangel-Pelloquin.
John Reddick hingegen ist der Meinung, dass die Wäsche weder für Reinheit, noch für Erinnerung steht und dass solche Annahmen fehlerhaft seien.23 Er schreibt: „Der Grundfehler an solchen vereinfachenden und verschönernden Beteuerungen ist, daß sie das ungeheure Spannungsmoment übersehen, welches der Novelle innewohnt und sich vornehmlich in einem anhaltenden schroffen Mißverständnis zwischen äußerem Anschein und innerer Wirklichkeit ausdrückt.“24
Zwischen der Urfassung von „Kalkstein“ ( „Der arme Wohlthäter“) und der Buchfassung, welche von Stifter nochmals überarbeitet wurde, bestehen an manchen Stellen Unterschiede, erläutert Reddick. So heißt es in der Buchfassung : „Ich ging jedes Mal in den Garten, wenn sie vorüber kam, aber ich blieb in dem Gebüsche, daß sie mich nicht sehen konnte. Sie ging mit geröteten Wangen und mit niedergeschlagenen Augen vorüber.“25 und in der Urfassung heißt es, dass er begierig auf sie warte. Dies verweist mit Eindeutigkeit darauf, dass der Pfarrer mit Johanna eine erotische Vorstellung verknüpft.26 Zur Untermauerung dessen ist auch das Motiv des Pfirsichs, welcher der junge Pfarrer dem Mädchen durch das Gitter auf den Weg legte, von großer Bedeutung. Erinnert die gesamte Szene schon allein durch deren Aufmachung an den Garten von Eden, wo Eva Adam verführte, von der verbotenen Frucht zu essen. So ist es hier der junge Pfarrer, welcher dem Mädchen den Pfirsich reicht.
Der Pfirsich gilt für die beiden als etwas Unerlaubtes, was dadurch belegbar ist, dass beide bei der Ermahnung von Johannas Mutter schambewusst rot anliefen.27 „Was den Pfarrer zum Fetischisten macht, ist damit genau jene Ambivalenz, einerseits am paradiesischen Zustand festzuhalten und jene Vertreibung zu leugnen, andererseits aber genau um die Unmöglichkeit einer Verwirklichung des Paradieses ‚auf Erden’ zu wissen.“28 erläutert Bischoff in Bezug auf den Pfirsich, die Nachahmung der Szene im Garten von Eden und den unglücklichen Ausgang der Romanze durch die Ermahnung von Johannas Mutter.
[...]
1 Vgl. Stifter, Adalbert: Kalkstein, S. 65f.
2 Stifter S. 66.
3 Stifter S. 65.
4 Stifter S. 65.
5 Vgl. Bischoff, Doerte: Poetischer Fetischismus S. 341.
6 Bischoff S. 341.
7 Vgl. Bugeling, Marie-Christin / Warmuth, Melanie Viktoria:“Stille Gewagtheit“ S. 35.
8 Vgl. https://www.wissen.de/wortherkunft/fetisch , 26.08.2019.
9 Vgl. http://www.philosophie.uni-mainz.de/Dateien/Karl_Marx_Fetischcharakter_der_Ware.pdf , 26.08.2019.
10 Vgl. https://www.wortbedeutung.info/Fetisch/ , 26.08.2019.
11 Stifter, S. 65.
12 Vgl. Stifter S. 65.
13 Vgl. Stifter S. 72.
14 Stifter S. 72.
15 Stifter S. 80.
16 Vgl. Stifter S.112ff.
17 Stifter S. 126.
18 Bischoff S. 329.
19 Dangel-Pelloquin, Elsbeth: Weiße Wäsche. Zur Synthese von Reinheit und Erotik bei Keller und Stifter S. 147.
20 Vgl. Stifter S. 114f.
21 Vgl. Dangel-Pelloquin S. 144.
22 Dangel-Pelloquin S. 144.
23 Vgl. Reddick, John: Tiger und Tugend in Stifters ‚Kalkstein' S. 241.
24 Reddick S. 241.
25 Stifter S. 115.
26 Vgl. Reddick S. 243.
27 Vgl. Reddick S. 248f.
28 Bischoff S. 339.