Eine Lesart über das Buch:
„Andreas oder die sieben untern Achtel des Eisbergs“ von Christine Nöstlinger ( Familienstruktur)
Andreas Schubert, eine Geschichte über einen Jungen in der Pubertät, glaubt man auf den ersten Blick. Doch, wie man es nicht anders von Christine Nöstlinger gewohnt ist, steckt mehr hinter dieser Geschichte.
Schon als ich das Buch in der Hand hielt, kam bei mir die Frage auf. Was sagt der Titel über das Buch aus, was soll der Titel dem Leser erklären? Was erwartet mich als Leser beim Lesen dieses Buches?
Nun, Andreas, dass ist wohl jedem klar, ist die Hauptperson, um die sich die Handlung drehen soll. Doch stimmt das wirklich, habe ich mich ständig gefragt. Schließlich ist das Buch in Kapitel unterteilt, die als Betitelung unterschiedliche Namen aufweisen. Und als Andreas sind nur eine geringe Anzahl an Kapitel bezeichnet worden. Da aber trotzdem nicht immer direkt von Andreas die rede ist, spielt doch jedes Schicksal der anderen Personen eine entscheidende Rolle für Andreas‘ Entwicklungsprozess. Die „untern sieben Achtel des Eisbergs“ wurden dem Leser dann im achten Abschnitt des Buches erläutert. Seitdem Susanna, die Mutter von Andreas, das Schlafzimmer ganz weißhat einrichten lassen, wurde es von Andreas‘ Vater so bezeichnet. Wieso allerdings ausgerechnet das Schlafzimmer im Titel erwähnt wird, ist mir bis jetzt unklar geblieben. Erwähnt wird der Untertitel eigentlich nur im achten Abschnitt und spielt im Handlungsverlauf keine weitere Rolle. Dieser Titel soll also noch auf etwas anderes hinweisen. Ich glaube, damit sind die sieben achtel gemeint, die unterhalb der Wasseroberfläche liegen. Verbildlicht bedeutet das also, dass es sich hier um Dinge handelt, die nicht sichtbar sind. Mir ist klar geworden, dass für die Gesellschaft in diesem Buch nur die oberen achtel sichtbar sind. Dem Leser aber, werden die überwiegenden sieben achtel gezeigt. Es sind die sieben achtel der Familie, die Andreas zum Schluss dazu veranlassen, dass er seinen Eltern die Entscheidung über sein Leben und Tod in die Hand legt.
Also lässt sich schon anhand des Titels erkennen, dass es in diesem Buch nicht nur um einen Jungen mit seinen Problemen in der Pubertät geht.
Die Einteilung des Buches, wie schon kurz erwähnt, ließmich schon zu Beginn stutzen. Das Buch ist in Abschnitte oder Kapitel unterteilt, die nicht chronologisch angeordnet sind und auch keine Betitelung besitzen, die man erwartet. Nöstlinger beginnt also mit der Beschreibung des Hauses der Schuberts und in den weiteren sechs Kapiteln werden kurz die Verhältnisse von Susanna und ihrer Familie dargestellt. Dies geschieht in der Vergangenheit. Ab dem achten Kapitel dann, beginnt die Gegenwart. Jedes weitere Kapitel handelt jeweils von der Person, die im Titel erwähnt wird. Dadurch bekommt der Leser Zugriff zu den Gefühlen und Problemen jeder einzelnen Person, die in diesem Buch eine Rolle spielen. Fritzi, Andreas’ Vater und Susannas Mann, kommt regelmäßig spät am Abend nach Hause oder bleibt gar ganz weg. Dies wird so beiläufig erwähnt, als wäre es ein Normalzustand. Als Begründung wird immer wieder ein Arbeitstreff genannt. Der Rest der Familie zeigt darauf so selten Reaktionen, dass man annimmt, sie scheren sich nicht darum, für sie ist das normal. Abgesehen davon trinkt Fritzi oft zu viel. Susanna scheint das alles gar nicht zu interessieren. Sie ist zu sehr mit sich beschäftig oder hat sich mit der Situation abgefunden, so scheint es. Selbst kommt sie oft spät nach Hause, da sie sich mit ihrem Chef trifft. Für Fritzi, der schon mehrere Liebhaberinnen hatte, ist das wohl ein Hobby. Wie er selbst einmal beschrieben wird, hat er nur zwei mal geliebt und zwar jeweils Susanna. Als Leser geht man also davon aus, dass er Susanna jedoch nicht mehr liebt. Seine Beziehung zu Andreas wird am besten mit diesem Auszug des Textes beschrieben: “... Warum ging er nicht einfach zu Andreas hinein, ein bisschen mit dem Knaben reden? War doch Unsinn, dass er noch lernen wollte. War doch blöd, dass der jetzt da allein drinnen hockte. Worüber reden? So einfach war das nicht mehr. Früher, da hätte er sagen können,... Spielen wir Vater-Mutter- Kind?“ Hier wird deutlich, dass er nicht weiß, wie er mit dem Jungen umzugehen hat und reden soll.
Susanna ist Sekretärin, die sich, obwohl sie gut verdient und Fritzi auch kein schlechtes Gehalt hat, immer wieder verschuldet. Dies liegt daran, dass sie permanent Ausgaben für neue, teure Einrichtungen für ihre Wohnung hat. Ihre Beziehung zu Andreas verhält sich in etwa so, dass sie täglich von der Arbeit anruft, um zu erfahren, ob Andreas schon zu Hause ist. Diese Anrufe tätigt sie allerdings nicht, weil sie sich dafür interessiert, wie es ihrem Sohn geht, sondern eher aus Kontrolle. Sie hat panische Angst davor, dass ihr Sohn die Klasse wiederholen muss. Warum Andreas so schlecht in der Schule ist, hinterfragt sie gar nicht erst. Für sie steht fest: Er ist zu faul. Sie sieht es nur schwer ein, für seine Faulheit noch mehr Geld auszugeben und sich um eine bessere Nachhilfe zu kümmern . Da sie die ganze Zeit damit beschäftigt ist, neue Ausgaben zu tätigen, um ihren Lebensstandard zu heben und somit auch ihren Stand in der Gesellschaft, weißsie nichts von den eigentlichen Problemen ihres Sohnes. Die einzige erwachsene Person, die sich noch ernsthafte Gedanken über Andreas macht, ist der Großvater. Der verwendet allerdings fast all seine Kraft, um mit seinen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und ist daher sichtlich überfordert damit, seinem Enkel eine tatkräftige Unterstützung zu bieten. Da er sich sonst allerdings fast den ganzen Tag um das Wohlergehen des Jungen kümmert, ihn also mit den elementaren Dingen, wie Essen, versorgt und sonst keinerlei andere Betätigung hat, hat der Großvater wahrscheinlich den größten Kontakt zu Andreas und bekommt so auch den größten Einblick in Andreas‘ Gedankenwelt. Andreas‘ Großvater ist daher für ihn der einzige Halt.
Da Andreas von keiner Person aus seiner engeren Familie die Zuneigung, Anerkennung und Liebe erfährt, die er sich erhofft und braucht, stürzt er sich in eine verzwickte, eher körperliche Beziehung zu der Haushälterin seiner Familie. Sie ist selbst verheiratet und hat Kinder und gerät durch ihr unmoralisches Verhältnis zu dem noch minderjährigen Andreas in ernste Schwierigkeiten. Andreas sucht bei ihr die Liebe, die er bei seinen Eltern nicht findet. Seine Situation wird immer komplizierter und er muss mit immer mehr Problemen zurecht kommen, die er alleine nicht bewältigen kann. Daher baut er seine eigene Welt um sich selbst, die keiner zerstören kann. Er versteckt sich in seiner Traumwelt.
Nachdem der Kontakt zu Milena, der von vorne herein schon zum Scheitern verurteilt ist, zerbricht und der Großvater einen Herzinfarkt bekommt, ist Andreas mit seiner Lage und mit seinen Problemen völlig auf sich gestellt. Er weißnicht weiter und es bleibt ihm nur noch eine Lösung, Selbstmord: „Der Großvater ist weg, Milena ist weg, der seidene Faden ist abgeschnitten, aber Andreas stürzt nicht ab, weil er fliegen kann; ...“.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in der Analyse von "Andreas oder die sieben untern Achtel des Eisbergs"?
Die Analyse befasst sich mit Christine Nöstlingers Roman "Andreas oder die sieben untern Achtel des Eisbergs" und untersucht insbesondere die Familienstruktur, die Rolle der Pubertät und die tieferliegenden Probleme der Charaktere, die im Titel durch die "sieben untern Achtel des Eisbergs" symbolisiert werden.
Was bedeutet der Titel "Andreas oder die sieben untern Achtel des Eisbergs"?
Der Titel verweist auf die Hauptfigur Andreas, aber auch auf die verborgenen, nicht offensichtlichen Probleme und Konflikte innerhalb der Familie Schubert. Die "sieben untern Achtel des Eisbergs" symbolisieren die Dinge, die unter der Oberfläche liegen und für die Gesellschaft unsichtbar sind, aber Andreas' Leben und Entscheidungen maßgeblich beeinflussen.
Wie ist das Buch strukturiert?
Das Buch ist in Abschnitte unterteilt, die nicht chronologisch geordnet sind. Die ersten Kapitel beschreiben die Vergangenheit und die Verhältnisse von Susannas Familie, während die späteren Kapitel sich jeweils auf eine bestimmte Person konzentrieren und deren Perspektive beleuchten. Diese Struktur ermöglicht dem Leser einen Einblick in die Gefühle und Probleme jeder einzelnen Figur.
Welche Rolle spielen Andreas' Eltern in seinem Leben?
Andreas' Eltern, Susanna und Fritzi, sind stark mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und vernachlässigen dadurch ihre Rolle als Eltern. Fritzi ist oft abwesend und trinkt zu viel, während Susanna sich auf materielle Besitztümer und ihre Karriere konzentriert. Beide sind nicht in der Lage, Andreas die nötige Zuneigung und Unterstützung zu geben.
Wer ist der Großvater und welche Rolle spielt er?
Der Großvater ist die einzige Person in Andreas' Familie, die sich ernsthaft um ihn sorgt. Er kümmert sich um Andreas' grundlegende Bedürfnisse und hat den größten Einblick in seine Gedankenwelt. Er ist für Andreas der einzige Halt, aber auch er ist aufgrund seiner eigenen gesundheitlichen Probleme überfordert.
Warum sucht Andreas eine Beziehung zur Haushälterin Milena?
Andreas sucht bei Milena die Liebe und Anerkennung, die er bei seinen Eltern vermisst. Die Beziehung ist jedoch zum Scheitern verurteilt und führt zu weiteren Problemen für Andreas.
Wie erklärt die Analyse Andreas' Selbstmordversuch?
Nachdem die Beziehung zu Milena zerbricht und der Großvater einen Herzinfarkt erleidet, fühlt sich Andreas völlig allein und überfordert. Da er von seinen Eltern keine Unterstützung erhält, sieht er keinen anderen Ausweg als den Selbstmord. Die Analyse argumentiert, dass die Vernachlässigung der Eltern maßgeblich zu Andreas' Entscheidung beigetragen hat.
Was ist die Hauptaussage der Analyse?
Die Analyse betont, dass "Andreas oder die sieben untern Achtel des Eisbergs" nicht nur eine Geschichte über einen Jungen in der Pubertät ist, sondern eine Auseinandersetzung mit dysfunktionalen Familienstrukturen, emotionaler Vernachlässigung und den Folgen fehlender elterlicher Unterstützung. Der Titel deutet auf die verborgenen Probleme hin, die unter der Oberfläche liegen und das Leben der Charaktere maßgeblich beeinflussen.
- Arbeit zitieren
- Ina Zimmermann (Autor:in), 2001, Leseart über Nöstlinger "Andreas oder die sieben untern Achtel des Eisbergs", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102731