Probleme der Fernsehkritik


Hausarbeit, 2000

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

1. Definition und Aufgaben der Fernsehkritik

2. Instanzen der Fernsehkritik
2.1 Staatliche Institutionen
2.2 Die Zuschauer
2.3 Kritik innerhalb des Mediensystems

3 Probleme der Fernsehkritik
3.1 Generelle Probleme der Fernsehkritik
3.1.1 Nachrufcharakter
3.1.2 Objektivität
3.1.3 Ausbildung und Selbstbewusstsein der Kritiker
3.2 Aktuelle Probleme der Fernsehkritik
3.2.1 Ausdifferenzierung und Unübersichtlichkeit der Medienangebote
3.2.2 Ökonomische Abhängigkeiten innerhalb des Mediensystems
3.2.3 Kampf gegen die Wirkungslosigkeit und Legitimierungsfrage

4 Ausblick: Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Medienkritik

Literaturverzeichnis

Vorwort

Medien gehören für uns zum Alltag, Mediennutzung ist eine kulturelle Selbst- verständlichkeit geworden. Eine besonders große Rolle spielt dabei das Fern- sehen. Es prägt nicht nur unser Bild von der Welt, sondern hat auch Einfluss auf die interaktive Kommunikation zwischen den Rezipienten. Dabei ist jeder schnell mit einem Urteil zur Hand, wenn es um die Einschätzung von Pro- grammen, Sendern oder dem Fernsehen an sich geht. Jeder betreibt hier Me- dienkritik im kleinen.

Doch welche Chancen hat eine öffentliche Medienkritik, wenn eigentlich jeder schon eine Meinung gebildet hat? Im Gegensatz zur Literatur- oder Theaterkri- tik wird sie nicht sonderlich ernst genommen. „...dass die Medienkritik in einer Krise steckt, ist ihrem Wesen eigen“, fasst Dietrich Lederer die Situation zu- sammen (Lederer 1988: 26) Am deutlichsten wird diese Krise bei einem Blick auf eine bestimmte Sparte der Medienkritik, eben der Kritik am Fernsehen und seinem Programm, kurz Fernsehkritik.

Welche strukturellen, aber auch welche aktuellen Probleme für die Krise der Fernsehkritik zumindest mitverantwortlich sind, will ich in dieser Hausarbeit darstellen. Als Einstieg will ich Fernsehkritik und ihre Aufgaben kurz definieren und die bisher existierenden Instanzen der Kritik ansprechen. Nach der Erläuterung der Probleme will ich auf eine Möglichkeit der Weiterentwicklung der Medienkritik verweisen und diese kurz beurteilen.

Sicherlich könnte man sich mit diesem Thema viel eingehender auseinander- setzen, wahrscheinlich sogar ein Buch darüber schreiben. Deswegen kann die Darstellung hier nicht vollständig sein und nur einen Einblick in das Problem- feld bieten.

1. Definition und Aufgaben der Fernsehkritik

Fernsehkritik ist, wie gesagt, eine Sparte der Medienkritik, diese lässt sich nach dem Schema der Handlungsrollen von Siegfried J. Schmidt in den Bereich der Verarbeitung von Medienangeboten einordnen: „Aktanten handeln im Fernsehsystem in Verbeiterrollen, wenn sie zu einem Fernsehmedienangebot in irgendeiner Art kommunikativ Stellung beziehen.“ (Schmidt 1994: 23)

Kritisch nach wissenschaftlichen Kriterien kann so eine kommunikative Stellungnahme laut Dietrich Lederer genau dann genannt werden, wenn sie ihren Untersuchungsgegenstand erstens beschreibt, zweitens historisch ein- ordnet und drittens nach explizierbaren Kriterien beurteilt (vgl. Lederer 1988: 18). Doch teilweise ist es schwierig, die Grenze zwischen Berichter- stattung einerseits und Kritik andererseits klar zu ziehen (vgl. Waldmann 1988: 51).

Oft wird die Bedeutung des Wortes „Fernsehkritik“ auf die multiplizierte, meist gedruckte, öffentliche Kritik am Fernsehen beschränkt (vgl. Hymmen 1988: 21). Sie gilt heute als die wichtigste Sparte der Kulturkritik, da das, was sie beurteilt, mehr Menschen erreicht als die Gegenstände der Literatur- oder Filmkritik.

Im Fernsehbereich sind vier Ansatzpunkte möglich: Kritik am Fernsehen im Allgemeinen, an Sendern oder Sendergruppen, an Programmsparten oder an einzelnen Sendungen. Auch kann unterschieden werden, zwischen Kritik, die an ästhetischen oder ideologischen Gesichtspunkten ansetzt und solcher, die den Sinn und die Leistungen des Angebots beurteilt.

Der Kritik fallen unterschiedliche Aufgaben zu, die von den Menschen, die sich damit befassen, unterschiedlich gewichtet werden. Während Uwe Kammann das Schärfen des Urteilsvermögens der Zuschauer in den Vorder- grund stellt (vgl. Kammann 1997: 90) und Imme de Haen in ihr die Grund- lage der Medienpädagogik sieht (vgl. Eisenhauer 1988: 199), erachtet Karl- Otto Saur die Rückmeldung an die Produzenten und Engagement für Pro- grammverbesserungen als besonders wichtig (vgl. Saur 1988: 137). Ob die Fernsehkritik diese Aufgaben erfüllen kann, ist umstritten. Die Einschätzung von Brigitte Knott-Wolf, dass sie als Kommunikationsangebot in einem öf- fentlichen Dialog gedacht ist, ist vielleicht realistischer (vgl. Knott-Wolf 1999: 90).

2. Instanzen der Fernsehkritik

2.1 Staatliche Institutionen

Staatliche Institutionen haben vor allem Wirkung auf den auf den öffentlich- rechtlichen Rundfunk. Insbesondere in der Anfangszeit des Fernsehens fiel den politischen Parteien die Umstellung auf eine gesellschaftliche Aufsichtspraxis schwer. Um 1960 herum war das erste Programm als „Adenauer-Fernsehen“ verschrien. Bis heute wird bei der öffentlich-rechtlichen Rundfunkkontrolle auf staatsnahe und hochgradig organisierte Interessengruppen zurückgegriffen, die stellvertretend für die Gesellschaft Aufsichts- und Kontrollfunktionen über- nehmen sollen. (Vgl. Jarren 1997: 312)

Auch die privaten Sender werden von staatlicher Seite durch die Landesme- dienanstalten überwacht. Diese sind Ländereigen, es gibt also 15, die in der „Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der BRD“ (ALM) koope- rieren. Auf das Gesamtprogramm wirken sie insofern ein, dass nur sie Sender überhaupt lizenzieren können. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist die Überwa- chung des Verbots von Sendungen mit pornographischem, gewaltverherrli- chenden oder die Menschenwürde verletzendem Inhalt. Hier stehen ihnen ab- gestufte Sanktionen zur Verfügung. Eine allgemeine, öffentliche Fernsehkritik können sie allerdings nicht betreiben. (Vgl. www.alm.de)

Eigentlich sollte auch die Wissenschaft ein wichtiger medienkritischer Akteur sein, aber aufgrund von Finanzierungsproblemen mangelt es an größeren Forschungsprojekten. (Vgl. Jarren 1997: 323f)

2.2 Die Zuschauer

Besonders die privaten Sender sind von Werbeeinnahmen abhängig und diese hängen wieder davon ab, wie viele Zuschauer eine Sendung erreicht. Bestimmt wird diese Quote gewöhnlich aus den Ergebnissen, die die „Gesellschaft für Konsumforschung“ (GfK) aus ihren Messungen in einem Panel von 5200 Haushalten errechnet hat. (Vgl. www.gfk.de) Indem die Zuschauer über den kommerziellen Erfolg einer Sendung entscheiden, werden auch sie mit zu Fernsehkritikern.

Das Problem liegt allerdings darin, dass der kommerzielle Erfolg einer Sen- dung nichts über deren qualitativen Inhalt oder Ästhetik aussagt, im Gegenteil,eine hohe Quote wurde von den Kritikern teilweise eher als Indikator für ein schlechtes Programm gesehen (vgl. Hasenbrink 1997: 201). Die privaten Sen- der neigen dazu, die Qualität eines Programms für irrelevant zu erachten. In den Worten von Helmut Thoma: „Wir lassen den Öffentlich-Rechtlichen die Gebühren und damit die Querelen um Qualität. Wir verlassen uns auf die Quo- te“ (Gugel 1994: 36)

2.3 Kritik innerhalb des Mediensystems

Dass Medien über andere Medien und deren Angebote reden, ist die häufigs- te Form der Kritik. Dies trifft besonders für den Fernsehbereich zu. Seine Angebote werden nicht nur in den „normalen“ Tages- und Wochenzeitungen besprochen, es gibt darüber hinaus Programmzeitschriften, deren einziger Inhalt das Fernsehen ist. Während in den anderen Printmedien meist Nach- kritiken zu lesen sind, wollen sie im vorab orientieren. Allerdings beschränkt sich ihre Kritik fast auf Spielfilme. Eine unabhängige Beurteilung wird nicht gewährleistet. (Vgl. Hickthier 1994: 253) Darüber hinaus gibt es Fachzeit- schriften, in denen größere Kritiken, die auf den Programm- oder Rezepti- onszusammenhang abzielen, veröffentlicht werden, wie z. B. „medium“ oder „epd Kirche und Rundfunk“ (vgl. Lederer 1988: 23). Diese erreichen aller- dings nur eine relativ kleine, interne Öffentlichkeit.

Auch innerhalb des Fernsehsystems gab es vor allem in den 70er Jahren Versuche, sich mit dem eigenen Programm kritisch auseinander zu setzen. Große Reihen wie „Glashaus“ oder „betrifft: fernsehen“ wurden produziert, aber in den 80er Jahren wieder eingestellt. Heute finden solchen Auseinan- dersetzungen mit dem eigenen Medium fast nur noch satirisch statt. (Vgl. Waldmann 1988: 54-68) Das Genre „Talk Show“ wurde z. B. von „TV Kai- ser“ ironisiert und damit auch kritisiert.

Auch wenn die Kritik innerhalb des Mediensystems die häufigste Form ist, ist sie nicht unproblematisch.

„Als Beobachter zweiter Ordnung mögen sich die Medien zwar wechselseitig als Objekte kritischer Wahrnehmung zumindest von Fall zu Fall ins Blickfeld nehmen, aber es gelingt ihnen keine hinreichende Selbstbeobachtung entlang ihrer eigenen Produktionsbedingungen.“ (Jarren 1997: 323)

Dies lässt sich auch als Autologieproblem bezeichnen.

Eine andere Form der medieninternen Kritik ist die Freiwillige Selbstkon- trolle. Sie ist allerdings recht lückenhaft organisiert, im Fernsehbereich beo- bachtet sie z.B. ausschließlich Filme und Serien Eine kontinuierliche Pro- grammbeobachtung ist weder ihre Aufgaben, noch könnte sie sie leisten. (Vgl. Jarren 1997: 320)

3. Probleme der Fernsehkritik

3.1 Generelle Probleme der Fernsehkritik

3.1.1 Nachrufcharakter

Ein Theaterstück wird meist nach der Premiere kritisiert und ist dann noch einige Wochen zu sehen. Dasselbe gilt für Kinofilme. Doch wenn eine Fernsehsendung gelaufen ist, ist es vorbei, und wenn sie am nächsten Tag in der Zeitung kritisiert wird, kann das den Leser weder warnen noch einladen. Trotzdem ist die Nachkritik seit der Entstehung des Fernsehens weit häufiger als fundierte Vorschauen. (Vgl. Hymmen 1988: 21) Auch die Landesmedienanstalten können auf ein Programm oft erst im nachhinein reagieren.

Dies hat mehrere Gründe. Zum einen ist es bei Live-Sendungen, nicht möglich, sie im vorab zu sehen und zu beurteilen.

Auch werden Previews von Sendungen durch Kritiker von den Fernsehanstal- ten nicht gefördert. Lange Zeit waren sie verpönt, bei manchen Sendern sogar durch die Aufsichtsgremien verboten. Auch heute bleiben sie selten und für die mittlere und kleine Tagespresse bleibt der Zugang schwierig. (Vgl. Hymmen 1988: 25) Die Programmzeitschriften, die Filme vorab besprechen, sind meist konzernintern mit Sendern verknüpft und von daher privilegiert, aber nicht immer objektiv.

Von Kritikerseite aus gesehen ist es viel ökonomischer, ein ausgestrahltes Programm zu beurteilen, als selbst die Sichtung einer kommenden Fernsehsendung zu organisieren, gerade da die Bezahlung für Fernsehkritiken nicht besonders gut ist. Dieser Aufwand rechnet sich nur durch den Verkauf dieser Vorschauen an mehrere Zeitung. (Vgl. Lederer 1988: 23)

Problematisch ist auch, dass dieses nachträglich Hervorheben einer Sendung nicht dem Nutzungsverhalten der Rezipienten entspricht, für die ein Fernseh- abend aus einer Abfolge verschiedener Programme besteht, die er mit unter-schiedlicher Intensität nutzt. (Vgl. Conrad 1988: 195) Gerechtfertigt wird diese Art der Kritik meist, in dem man den Erziehungsauftrag in den Vordergrund stellt. Der Zuschauer kann sein eigenes Urteil mit dem eines „echten“ Kritikers vergleichen, es noch mal überdenken und im Laufe der Zeit lernen, ein gutes von einem schlechten Programm zu unterscheiden.

3.1.2 Objektivität

Das Dilemma um Objektivität beginnt schon bei der Auswahl der Sendungen, die kritisiert werden. Schon an dieser Stelle ist es möglich, den Blick auf das Programm zu verzerren.

„Kritik als eine elitäre Bewusstseinshaltung verfehlt das Massenmedium Fernsehen permanent, indem sie permanent auf der Suche nach dem besonders Wertvollen ist und dabei an dem eigentlich Massenhaften des Mediums unentwegt vorbeisieht.“ (Hall 1988: 165)

Bis heute finden die publikumsträchtigen Unterhaltungssendungen in der Kritik kaum Beachtung, um so mehr dafür kulturelle Medienangebote.

Doch woraus können sich für das Medium Fernsehen überhaupt objektive Be- urteilungskriterien ergeben? Kritik ist vom Prinzip her immer schon etwas Sub- jektives.

„Der Kritiker kann nie umfassend argumentieren und sich nicht hinter scheinbar objektiven Kriterien verstecken, sondern er muss den Mut zu einer Argumentation am exe mplarischen Beispiel und zu einer unter diesen Umständen wenig abgesicherten eigenen Meinung haben. Ohne explizite Subjektivität des Kritikers keine Kritik, aber diese subjektive Meinung muss von anderen nachvollziehbar sein.“ (Knott-Wolf 1999: 97)

Mehrere Kritiker werden in Bezug auf ein Programm selten zur gleichen Meinung kommen. Allgemein ist eine Tendenz zu hochkulturellen Ansprüchen festzustellen (vgl. Weßler 1997: 22). Kritiken gehen normalerweise von der Zuschauerperspektive aus, allerdings von einem sehr anspruchsvollen „Ideal- zuschauer“. Vom „normalen“ Publikum werden oft genau die Sendungen besonders gern gesehen, die von den Kritikern zerrissen werden.

Eventuell feststellbare Kriterien der Kritiker entspringen laut Brigitte Knott- Wolf dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Unterscheidbarkeit gegenüber anderen Personen, die sich in der Öffentlichkeit über Fernsehproduktionen äu- ßern und aus der Funktion der Kritik im publizistischen Geschehen. Sie ent- stammen dem Fundus, den 150 Jahre Geisteswissenschaften und 50 Jahre Me- dienforschung hinterlassen haben. Es sollte weder ausschließlich auf die Ästhe-tik, noch ausschließlich auf den Inhalt geachtet werden. (Vgl. Knott-Wolf 1999: 89-96).

Immer wieder fällt in dieser Debatte das Stichwort „Qualität. Ralph Weiß hat einen Versuch unternommen, die Kategorien dieses Begriffs darzustellen. Für ihn gehören dazu Vielfalt, Relevanz, Professionalität, Rechtmäßigkeit und Akzeptanz. (Vgl. Weiß 1997: 185-197) Diese Maßstäbe könnten sowohl auf Angebote der Hochkultur wie auch auf die der Populärkultur angewandt werden und somit die Forderung von Dietrich Lederer nach explizierbaren Kriterien erfüllen. Sie müssten aber noch genauer definiert werden.

3.1.3 Ausbildung und Selbstbewußtsein der Kritiker

„Wer kann die Fernsehkritik ausüben, wer will sie formulieren, wer soll sie schreiben? Menschen die von jeher zur Kritik berufen waren, weil sie künstle- risches Gefühl (...) mitbringen. Außer diesen Gaben bedarf es einer gründli- chen Schulung in Literatur, Geschichte, bildender Kunst, Publizistik und end- lich einer Passion für Theater, Film, Tanz und die anderer Ausdruckskünste. Dazu kommt eine genaue Kenntnis der Fernsehtechnik und ihrer Möglichkei- ten.“ (Haake 1969: 242)

Dieses Idealbild eines Kritikers entwarf Haake 1969, doch schon er schränkt in den folgenden Zeilen ein, dass sich eigentlich jeder Gebildete zum Fernsehkritiker weiterbilden könne (ebd.).

Eine richtige Ausbildung zum Kritiker gibt es bis heute nicht. Peter Hoff meint, dass einige zwar Grundkenntnisse in Kommunikations- und Medienwissen- schaften haben, diese aber selbst dann nur selten anwenden. Auch die histori- sche Einordnungen von Programmen fällt aufgrund der geringen Kenntnisse der Fernsehgeschichte vielen schwer. (Vgl. Hoff 1997: 103) Hymmen merkt an, dass nur jeder vierte Kritiker irgendeine praktische Vorstellung von den Produktionsbedingungen im Fernsehen habe und die medienpolitische Kennt- nislosigkeit katastrophal sei (vgl. Hymmen 1988: 27). All dies macht die Kriti- ker anfällig für die Arbeit der PR.

Doch hinter den Wissenslücken stecken nicht immer Versäumnisse der Kriti- ker, sondern oft auch Sachzwänge, die aus Menschen, die sich dazu weder be- rufen noch befähigt fühlen, Kritiker machen. Denn Fernsehkritiker wird nicht als eigener, erstrebenswerter Beruf gesehen. Er stellt nur für wenige eine dau- erhafte Perspektive dar und ist in der Regel wenig einträglich. Meistens arbei- ten die Verfasser der Kritiken ansonsten in anderen Sparten und sind relativ jung. (Vgl. Hickethier 1994: 9) Prominente Kritikernamen, wie z. B. Marcel Reich-Ranicki in der Literatursparte, gibt es im Fernsehbereich kaum und nur wenige große Zeitungen wie z. B. die „Süddeutsche“ verfügen überhaupt über einen festen Kritikerstamm.

Diese Punkte tragen sicherlich nicht zur Stärkung des Selbstbewusstseins der Fernsehkritik an sich bei. Sie steht auf der untersten Stufe der intellektuellen Reputation (Hall 1988: 160). „Ein historisches Bewusstsein von ihren Mög- lichkeiten und Leistungen hat sich bisher kaum herausgebildet.“ (Hickthier 1994: 10) Doch ohne ein entsprechend selbstbewusstes Auftreten sinkt auch die Glaubwürdigkeit, dass gilt nicht nur für Alltagsdiskussionen, sondern gera- de auch für öffentliche Kritik.

3.2 Aktuelle Probleme der Fernsehkritik

3.2.1 Ausdifferenzierung und Unübersichtlichkeit der Medienangebote

Wer Programmankündigungen aufschlägt, sieht meist kleingeschriebene Tabellen über mindestens vier Seiten vor sich. Inzwischen buhlen über 30 Sender um die Aufmerksamkeit der Zuschauer.

„Die Programmleistungen aller Anbieter können kaum noch systematisch er- fasst, geschweige denn kritisch reflektiert werden. (...) Die herkömmliche Medienkritik droht bedeutungslos zu werden, weil es immer mehr Medien, immer mehr Angebote, immer mehr Macher und ein relativ flexibles Medien- nutzungsverhalten auf Seiten der Rezipienten gibt - und damit höchst unter- schiedliche Vorstellungen, was Programme sind und sein sollen, wie man sie bewertet und nutzt.“ (Jarren 1997: 314)

Auch kann sich kein Kritiker für alle Arten von Programmen gleich kompetent fühlen, eine Spezialisierung auf ein bestimmtes Genre ist unvermeidbar. (Vgl. Hymmen 1988: 21)

Deswegen ist Fernsehkritik notwendigerweise selektiv und bei den Auswahlkriterien spielt wieder die Frage der Objektivität eine große Rolle. Der Kritiker steht vor der Situation, dass er seien Wahl sowohl gegenüber den Zuschauern, als auch gegenüber den Produzenten begründen muss. Denn die fühlen sich von der Kritik schnell übergangen, , vor allem wenn sie mit dem, der die Wertungen publiziert, ökonomisch verknüpft sind.

Peter Hall sieht das Problem nun darin, dass mit einer wie auch mmer geartet Selektion der Programmkontinuität des Mediums Gewalt angetan wird. Versu- che, z. B. einen Fernsehabend insgesamt zu analysieren, seien kaum gemacht worden, dass Fernsehen als kontinuierliches Programmangebot an sich sei noch nie kritisiert worden. Er vergleicht dies mit einer Zirkuskritik, die nur Clown und Orchester herausgreift. (Vgl. Hall 1988: 162)

Auch Dietrich Lederer sieht, dass die Einzelsendungskritik stets eine Menge unterschlägt, es erscheint ihm allerdings unproblematisch, solange sie diese Reduktion explizit oder implizit kennzeichnet. Auch andere Arten der Kritik, also die Analyse von Gattungen und des Fernsehsystems sind in seinen Augen notwendig, aber ebenfalls nicht immer unproblematisch, da sie den Blick auf die Details vernachlässigen. (Vgl. Lederer 1988: 19,22)

Hans-Werner Conrad befürchtet, dass die Fernsehkritik, statt Maßstab und Orientierung in der Flut neuer Programme zu sein, selbst im Strudel der uns überschwemmenden Bilder untergehen wird (vgl. Conrad 1988: 197).

3.2.2 Ökonomische Abhängigkeiten innerhalb des Mediensystems

Die Produktion von Fernsehprogrammen ist teuer, viel Geld muss im Voraus dafür aufgebracht werden. Deswegen stecken hinter den Privatsendern große Konzerne, wie z. B. Bertelsmann. Auch die meisten Zeitungsverlage sind in solchen Konzernen involviert. Folge davon sind Interessenskonflikte innerhalb der Verlage, die vor allem auf Kosten der Medienkritik gehen. Die Pressefrei- heit, die in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert ist, wird zunehmend weniger durch staatlicher Zensur gefährdet, sondern eher durch „Lenkung und Rück- sichtnahme“ innerhalb der Verlage. (Vgl. Hickethier 1994: 253)

Diese Verknüpfungen und Abhängigkeiten innerhalb des Mediensystems stellen die Kritiker vor Probleme, denn, wie Jarren feststellt:

„Jede Vermachtung im Medienbereich, jede Konzentration, jeder Verlust an ökonomischer und publizistischer Eigenständigkeit von Anbietern und Ange- boten schränkt die Möglichkeiten medienkritischer Debatten ein.“ (Jarren 1997: 317)

Medienjournalisten werden aufgefordert, sich an „die Linie des Hauses“ zu halten, ansonsten drohen Entlassungen (vgl. Saur 1988: 137) Im Kampf um die Aufmerksamkeit der Rezipienten werden die Kritiker strategisch „eingesetzt“, wie Lederer sagt, „ohne es zu wollen, zu können oder auch nur annähernd zu begreifen“. (Lederer 1988: 23) Die Grenze zwischen Journalismus und PR verschwimmt immer mehr. Durch Studien wurde dies auch bewiesen:

„Deutlich lassen sich bereits bei vielen Zeitungen in der Vorinformation, auch im Service der Programmankündigungen Bevorzugung und Herausstellung von Fernsehangeboten finden, die mit dem eigenen Konzern zu tun haben.“ (Hickethier 1994: 253)Selbst die anerkannten Medienfachdienste wie „epd - Kirche und Rundfunk“ wurden kommerzialisiert und sind von Werbeeinnahmen zumindest mitabhängig. (Vgl. Jarren 1997: 314)

Für die Fernsehkritik hat diese Abhängigkeit einen Verlust an Glaubwürdigkeit zu Folge. Wenn ein öffentlich-rechtliches Programm kritisiert wird, kommen schnell Reaktionen nach dem Motto „diese Kritik habt ihr nur geschrieben, um euren Verlegern zu gefallen, weil ihr Privatfernsehen ein bisschen forcieren müsst“. Das gleiche gilt, wenn ein Sender eines anderen Konzerns kritisiert wird. Kritik wird auf Produzentenseite immer weniger ernst genommen. (Vgl. Saur 1988: 139)

3.2.3 Kampf gegen die Wirkungslosigkeit und Legimierungsfrage

Nachrufcharakter, kaum objektive Kriterien, ungenügend ausgebildete Kritiker ohne das nötige Selbstbewusstsein, die Unmöglichkeit, mit der Kritik dem Programm gerecht zu werden und Abhängigkeit von den Sendern schränken die Möglichkeiten der Kritikwirkung ein.

„Historisch lässt sich ein nennenswerter Einfluss der Medienkritik auf die Medienentwicklung nicht feststellen. (...) Die Medienentwicklung ist stets an- deren Parametern gefolgt als denjenigen, die die Medienkritik ihr nahe legte, technischen und ökonomischen vor allem.“ (Roß 1997: 42)

Eine österreichische Untersuchung Ende der 70er Jahre ergab, dass nur 14% der Rezipienten Nachkritiken überhaupt lesen und 80% der befragten Kriti- ker die Wirkung ihrer Arbeit auf den ORF für gering oder gleich null halten (vgl. Eichinger 1978: 15). Sogar Hans-Werner Conrad, der Programmdirek- tor von Radio Bremen, merkt an, dass Fernsehkritiken ihn und seine Kolle- gen eigentlich nur dann interessieren, wenn sie sich auf die eigene Sendung beziehen und vor allem dann akzeptiert werden, wenn sie diese positiv be- werten (vgl. Conrad 1988: 193).

Eine derart geringe Wirkung würde das Prinzip der Fernsehkritik an sich in Frage stellen. Doch Karl-Otto Saur stellt auch Erfolge fest, die sich zwar auf relativ kleine Teilbereiche beziehen, aber zur Legitimierung der Kritik bei- tragen. Seiner Meinung nach hätte es ohne die entsprechende Kritik damals weder einen Qualitätssprung im Vorabendbereich noch im Kinderfernsehen gegeben, auch der Dokumentarbereich wäre schwächer, als er heute ist. (Vgl. Saur 1988: 136)

Seit den 80er Jahren wird nun eine Debatte über die Fernsehkritik, ihren Sinn und ihre Möglichkeiten geführt. In dieser Zeit fand im Fernsehen prak- tisch eine Umorientierung von Kulturagentur zu marktabhängigen Unter- nehmen statt und eine Ohnmacht der Kritik wurde deutlich. Gerade diese Debatte demonstriere, dass die Fernsehkritik weiterhin für wichtig und not- wendig gehalten würde, so Hickethier. (Vgl. Hickethier 1994: 18)

Auch die Wirkung von Literatur-, Theater- oder Filmkritik ist bis heute nicht bewiesen, auch sie urteilt oft am Massengeschmack vorbei und trotzdem gibt es kaum Stimmen, die ihren Sinn bezweifeln. Vielleicht muss es erst ein neueres Medium geben, um die Kritik am Medium davor legitim erscheinen zu lassen. Es bleibt abzuwarten ob sich in den nächsten Jahren eine nen- nenswerte Internet-Kritik entwickelt. Diese würde mit anderen Problemen zu kämpfen haben.

4. Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Medienkritik

Otfried Jarrens zentrale Frage ist: „Durch welche Institutionen und Vorkehrun- gen kann sichergestellt werden, dass medienkritische Öffentlichkeit gesamtge- sellschaftlich erkennbar und damit unter Umständen auch wirksam wird?“ (Jar- ren 1997: 311) Oder auch: Wie kann in ein Diskurs um Medienqualität in der Öffentlichkeit etabliert werden, der nicht einseitig, sondern interaktiv geführt wird?

Seiner Meinung nach muss so ein Diskurs unterschiedliche Perspektiven und Blickrichtungen auf Medien ermöglichen. Dafür bedarf es eines Netzwerkes. Dieses besteht auf Produzentenseite aus Unternehmensleitsätzen, redaktioneller Autonomie, berufskulturelle Organisationen und nicht zuletzt aus Selbstkon- trolle. Diese müsste so organisiert werden, dass sie die Öffentlichkeit mitein- bindet und lückenloser arbeitet als bisher. Die Rezipienten sollten durch eine „Stiftung Medientest“ im Diskurs vertreten sein, da sie als Akteure fast nicht institutionalsierbar sind. Diese Stiftung könnte eine Ombudsmannfunktion ü- bernehmen, also die Rückmeldung von Rezipienten auf Produzenten vereinfa- chen. Auf staatlicher Seite könnte ein neu geschaffener Medienrat, ein Sach- verständigengremium, der Gesellschaft die Basisdaten über Medien zur Verfü-gung stellen und durch Thematisierungen und moralische Appelle Akteursver- halten mitbeeinflussen. Auch die medienbezogenen Wissenschaften sollten verstärkt Forschung betreiben. Vor allem fehlt es bisher an Grundlagenfor- schung und Großprojekten. Die „traditionellen“ Medienkritik könnte an solche neuen Organisationen anknüpfen, mit ihnen zusammenarbeiten, sich von daher legitimieren und besser wirken.

Solch ein Netzwerk würde über vielfältige konkurrierende Analyse-, Rechtfertigungs- und Sanktionsinstanzen verfügen und könnte somit die Lernfähigkeit aller an diesem System beteiligten Akteure verbessern. Es könnte eine gewisse Eigendynamik entwickeln, was sich aber durchaus als Vorteil erweisen kann. Langfristig sieht Jarren keine Alternative zu diesem Konzept, um einen gesellschaftlichen Diskurs zu schaffen, der für die Entwicklung hin zu „Medienge- sellschaft“ unabdingbar ist, obwohl er auch sieht, dass dieses Reformwerk auch mit Risiken behaftet ist. (Vgl. Jarren 1997: 319-326)

Dies alles würde über die „traditionelle“ Medienkritik, die in dieser Hausarbeit besprochen wurde, weit hinausgehen. Wenn die bestehenden drei relativ schwachen Akteure durch ein funktionierendes Netzwerk ersetzt würden, wäre die Chance damit verbunden, auch einige der Probleme der Fernsehkritik zu lösen. Durch Grundlagenforschung und -kritik könnte der Nachrufcharakter schwinden und die Programmvielfalt bearbeitbarer werden, durch die Gleich- stellung und Diskussion verschiedener konkurrierender Meinungen würde von keinem mehr ein absolut objektives Urteil erwartet werden, ökonomische Ab- hängigkeiten kämen weniger zum tragen und das Selbstbewusstsein der Kritik könnte steigen. Diese Kritik könnte einen echten öffentlichen Diskurs etablie- ren. Und dieser wird mit zunehmender Bedeutung der Medien in der Gesell- schaft immer wichtiger.

Literaturverzeichnis

1. Weßler, Hartmut (1997): Der „befremdete“ Blick auf das Selbstverständli- che. Wann ist Medienkritik kritisch?
2. Roß, Dieter (1997): Traditionen und Tendenzen der Medienkritik.
3. Kammann, Uwe (1997): Nicht nur am Rande. Medienkritik als Instrument der Qualitätssicherung.
4. Hoff, Peter (1997): Steinwürfe aus dem Glashaus. Anmerkungen zur Fern- sehkritik.
5. Weiß, Ralf (1997): Läßt sich über Qualität streiten? Versuche in der Kom- munikationswissenschaft zur Verobjektivierung des Qualitätsbegriffs.
6. Hasenbrink, Uwe (1997): Die Zuschauer als Fernsehkritiker? Anmerkun- gen zum vermeintlichen Missverständnis zwischen „Qualität“ und „Quote“.
7. Jarren, Otfried (1997): Macht und Ohnmacht der Medienkritik oder: Kön- nen Schwache Stärke erlangen? Medienkritik und medienpolitische Kom- munikation als Netzwerk. Alle in: Hartmut Weßler et al. (Hrsg.): Perspektiven der Medienkritik. Die ge- sellschaftliche Auseinandersetzung mit öffentlicher Kommunikation in der Mediengesellschaft. Dieter Roß zum 60. Geburtstag. Wiesbaden.
8. Lederer, Dietrich (1988): Medienkritik zwischen subjektiver Einschätzung und objektiven Kriterien.
9. Waldmann, Norbert (1988): Fernsehen im Fernsehen. Transparenz, Medienkunde, Selbstkritik.
10. Eisenhauer, Hans-Robert/de Haen, Imme/Janke, Hans (1988): Für und wi- der eine engagierte Medienkritik. Alle in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Medienkritik im Blick- punkt. Plädoyer für eine engagierte Programmkritik. Bonn.
11. Hymmen, Friedrich Wilhelm (1988): Misere von Anfang an. Anmerkungen zur Entwicklung der Fernsehkritik.
12. Saur, Karl-Otto (1988): Fernsehkritik - Ein Spiegel mit blinden Flecken?
13. Hall, Peter Christian (1984): Weiße Flecken der Fernsehkritik. (Leicht re- digierte Nachdruck eines Vortrags)
14. Conrad, Hans-Werner (1985): Einige Anmerkungen zum Zustand der Fernsehkritik (Nachdruck eines Vortrags) Alle in: Saur, Karl-Otto/Steimetz, Rüdiger (Hrsg.): Fernsehkritik. Kritiker und Kritisierte. München.
15. Schmidt, Siegfried J. (1994): Handlungsrollen im Fernsehen. In Faulstich, Werner (Hrsg.): Vom Autor zum Nutzer. Handlungsrollen im Fernsehen. München. Seite 13-26.
16. Knott-Wolf, Brigitte (1999): Programmqualität in der Fernsehkritik am Beispiel fiktionaler Programme. In: Ludes, Peter/Schanze, Michael (Hrsg.): Medienwissenschaften und Medienbewusstsein. Wiesbaden.
17. Gugel, Katharina (1994): Wie man Quoten interpretiert. Vom schwierigen Umgang mit dem gemessenen Zuschauer. In: Adolf-Grimme-Institut (Hrsg.): Jahrbuch Fernsehen 1993/1994. Marl. Seite 36-43
18. Hickethier, Knut (1994): Geschichte der Fernsehkritik in Deutschland. Ber- lin
19. Haake, Wilmont (1969): Die Kritik in Zeitung und Zeitschrift. In: Devifat, Emil (Hrsg.): Handbuch der Publizistik Band 3. Berlin. Seite 62-71.
20. Eichinger, Magarethe/Fabris, Hans Heinz/Signitzer, Benno (1978): Me- dieninformation und Medienkritik in Österreich. Inter- und intramediäre Medienberichterstattung und -kritik in Tages- und Wochenzeitungen, Hörfunk und Fernsehen. Wien.

Links:

1. www.alm.de (Seite der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der BRD), Stand 2.3.2001, 16 Uhr
2. www.gfk.de (Seite der Gesellschaft für Konsumforschung) Stand 2.3.2001, 16.30 Uhr

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Probleme der Fernsehkritik
Hochschule
Universität Münster
Note
2
Autor
Jahr
2000
Seiten
16
Katalognummer
V102794
ISBN (eBook)
9783640011742
Dateigröße
366 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Probleme, Fernsehkritik
Arbeit zitieren
Cornelia Oed (Autor:in), 2000, Probleme der Fernsehkritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102794

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